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Heute auf Seite 3: Ein Modell für Europa

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Heute auf Seite 3: Ein Modell für Europa

£>05 öfipnußtnblatt

UNABHÄNGIGE WOCHENZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND

Jahrgang 49 - Folge 22 Erscheint wöchentlich

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt 3 0 . M a i 1 9 9 8 Landsmannschaft Ostpreußen e.V. RRO/L

Parkallee &U86, 20144 Hamburg U

Nordrhein-Westfalen:

Ein Partei-Patriarch muß gehen

Zwei Jahrzehnte Johannes Rau enden mit einer zwiespältigen Bilanz

Der Wachwechsel an Rhein u n d R u h r ist v o l l z o g e n - mit Jubelor- gien für den scheidenden Minister- p r ä s i d e n t e n u n d sozialdemokrati- schen Landesvorsitzenden. D o c h m a n merkte es Johannes R a u an, d a ß er aus d e m Beifallssturm der Parteitagsdelegierten nicht n u r Dankbarkeit h e r a u s h ö r t e , sondern auch E r l ö s u n g : E n d l i c h geht er.

Viele, die i h m minutenlang ste- hend Reverenz erwiesen, hatten schon lange hinter vorgehaltener H a n d - einige auch u n v e r b l ü m t of- fen - diesen T a g herbeigesehnt.

Dies s p ü r t e R a u voller Bitterkeit.

Besonders der einst gescheiterte u n d der neue Kanzlerkandidat hofften auf diesen Tag u n d arbeite- ten auf i h n h i n - Lafontaine u n d S c h r ö d e r . M i t der Ü b e r g a b e der Regierungsmacht an Wolfgang Clement - so wollte es S c h r ö d e r - sollte den W ä h l e r n demonstriert werden, d a ß die S P D mit neuen Gesichtern neuen S c h w u n g i n die Politik bringt, w ä h r e n d die C D U mit K o h l nur m ü d e auf der Stelle tritt.

Rau, der noch auf d e m M a n n h e i - mer Parteitag vergeblich z u Schar- p i n g hielt, d a n n auf Lafontaine setzte u n d sich schließlich S c h r ö - der beugen m u ß t e , trat nicht frei- w i l l i g z u r ü c k . E r w o l l t e erst nach einem SPD-Sieg i m Herbst aus d e m A m t e scheiden, u m sich gleich dar- auf auf das h ö c h s t e vorzubereiten.

D i e B u n d e s p r ä s i d e n t s c h a f t sollte sein politisches Leben k r ö n e n .

N u n ist das alles u n g e w i ß . In der mitteldeutschen S P D werden Stim- men i m m e r lauter, die einen K a n -

DIESE WOCHE

Scherbenhaufen in Potsdam

Wähler üben sich

im „Bürgermeister-Kegeln" 2

Der Schein des Anstoßes

Modell Dyba

hat sich bewährt 4

Rechtsruck in Ungarn

Liberal-konservative

siegen bei Parlamentswahlen 5

Im Zeichen der Biene

Gedenken an Elisabet Boehm 9

Kooperation

über Grenzen hinweg

Über neue Zukunftsperspektiven wurde diskutiert

„Sternfahrt" in die Heimat

Erstes Kreistreffen der Lötzener

auf ostpreußischem Boden 19

Nur noch „Euro-Region"?

Kaum erkämpft, schon

gefährdet: Der Nationalstaat 20

didaten aus den neuen B u n d e s l ä n - dern fordern. U n d S c h r ö d e r w i e Lafontaine hielten sich i n D ü s s e l - dorf bedeckt. S c h r ö d e r meinte nur:

„ W i r haben miteinander noch viel v o r . " U n d Lafontaine, auf dessen W o r t Rau vertraut hatte, beließ es bei der nichtssagenden Formulie- rung, d a ß die Frage nach Raus Qualifikation für das h ö c h s t e A m t schon beantwortet sei. D i e steiner- ne Miene, mit der Rau diese N i c h - tigkeiten quittierte, sprach B ä n d e . E r mag sicn i n diesem Augenblick der E n t t ä u s c h u n g vielleicht daran erinnert haben, d a ß er einmal den Satz g e p r ä g t hatte: „ G e b r o c h e n e Versprechungen sind w i e gespro- chene Verbrechen."

D i e Bilanz der mehr als z w e i Jahrzehnte M i n i s t e r p r ä s i d e n t - schaft i n D ü s s e l d o r f fällt z w i e s p ä l - tig aus. Z w a r fuhr „ B r u d e r Jonan- nes" die besten SPD-Wahlergeb- nisse heim, schuf so etwas w i e ein L a n d e s b e w u ß t s e i n u n d erreichte, d a ß das L a n d an Rhein u n d R u h r noch i m m e r der bedeutendste Wirtschaftsfaktor i n Deutschland geblieben ist. A b e r i n den Z u - wachsraten, i n der Modernisie- r u n g der Wirtschaft, i n der Schaf- fung neuer A r b e i t s p l ä t z e f ü h r e n l ä n g s t das einstige A g r a r l a n d Bay- ern u n d B a d e n - W ü r t t e m b e r g .

Eher Stillstand als D y n a m i k sind das Kennzeichen der letzten Jahre des Parteipatriarchen. Dies s p ü r t e schon lange der neue M a n n an der Regierungsspitze - Wolfgang C l e - ment. Dessen K r i t i k an der v o n der eigenen Partei z u verantworten- den Bildungsmisere ist vernich- tend. Sein Widerstand gegen die Eskapaden der G r ü n e n , die Rau eigentlich gar nicht ins Boot neh-

men wollte, konnte gerade noch das Schlimmste v o n der Wirtschaft des Landes abwenden. A b e r ma- chen konnte der Macher nicht viel, solange Rau statt handfester L a n - despolitik i n H a rm o n i e mit den G r ü n e n machte.

Die C D U w i r d es jetzt besonders schwer haben. Hoffte sie auf Bele- b u n g nach d e m Sturz des Denk- mals, sieht sie sich jetzt jenem P o l i - tiker konfrontiert, den sie oftmals lobend gegen R a u herausstrich.

W i e sollte sie jetzt i h n b e k ä m p f e n ? D a z u g e h ö r t schon eine gute Porti- on Phantasie, aber die hat die N R W - C D U nicht gepachtet.

Seit Franz Meyers Abschied u n d K ö p p l e r s T o d w a r sie immer nur zweiter Sieger. K e i n Wunder, denn der importierte Parteivorsitzende B l ü m sitzt i m Bundestag u n d macht i n Bundespolitik, ist i m L a n - de k a u m p r ä s e n t u n d kann daher auch nicht die Klinge i m Landtag kreuzen. U n d aus den eigenen Rei- hen kamen bislang bestenfalls t ü c h t i g e K ä r r n e r . Das aber langt nicht für einen Wechsel i n Düssel- dorf.

W e n n Raus A m b i t i o n e n auf das P r ä s i d e n t e n a m t scheitern sollten, scheidet mit i h m der letzte A k t i v e der einstigen Neutralistengruppe der Gesamtdeutschen Volkspartei u m Gustav Heinemann, die auf H a r m o n i e mit den K o m m u n i s t e n bedacht war, aus der Politik. D o c h die G V P scheint i n der H ö p p n e r - S P D einen potenten Nachfolger i n politischer Gesinnung gefunden z u haben. R e i n h a r d H ö p p n e r s V o l k s f r o n t b ü n d n i s ist anders k a u m z u deuten. D a r ü b e r wenig- stens kann Johannes Rau zufrieden sein. 1 1 imar Schubbe

Zeichnung aus „Frankfurter Allgemeine"

Z U W e l l i g , Z U S p ä t / Von Hans Heckel

D

ie S P D hat es vorgemacht, jetzt zieht auch Kanzler K o h l nach. M i t ihrer Partei- tagsoperette v o n L e i p z i g hatten die Sozialdemokraten klargemacht, d a ß sie i n diesem W a h l k a m p f mehr denn je auf Inhalte z u verzichten

f

edenken. M i t Hans-Hermann iedje n u n hat der Kanzler einen Medienprofi u n d Ex-„ Bild "-Chef z u seinem Kampagnenmacher er- koren. K e i n Zweifel: Beide Seiten setzen auf g r o ß e Lettern, wer diffe- renzieren w i l l , w i r d es schwer ha- ben.

Erst a m Wahlabend werden w i r wissen, ob U n i o n wie S P D den rich- tigen Riecher hatten. Möglicher- weise navigieren sich beide auch dramatisch v o m W ä h l e r w i l l e n u n d -empfinden weg. Einiges spricht n ä m l i c h dafür, d a ß es die Deut- schen, ganz i m Gegensatz zur E i n - s c h ä t z u n g der Wahlstrategen, durchaus genau wissen wollen.

„ P h ö n i x " a l a r m i e r t d e n D G B

Tarifvertrag einer christlichen Gewerkschaft bricht gepflegte Verkrustungen auf

Der sozialdemokratisch dominier- te D G B - insbesondere sein Mitglie- derriese IG Metall - ist beunruhigt.

Das „Phantomgebilde" C G M , auch als „Fata Morgana" i m Gewerk- schaftsland bespöttelt, hat mit Ver- handlungsgeschick und Kreativität bei den Metallarbeitgebern in Mittel- deutschland einen Tarifvertrag er- reicht, der die von der IG Metall über Jahrzehnte hinweg gepflegten Ver- krustungen aufbricht.

Gegenüber den 2,7 Millionen Mit- gliedern ist die von Sigfrid Ehret ge- rührte Christliche Gewerkschaft Me- tall mit gerade 110 000 natürlich ein Zwerg, aber Zwerge sind oft beweg- licher als Riesen, das zeigt sich über- deutlich immer wieder in der Wirt- schaft, wo die Anpassung an neue Entwicklungen im technischen Be- reich, aber auch auf dem Markt von den mittelständischen Unternehmen oft in atemberaubender Geschwin- digkeit erfolgen, während manche Branchenriesen lange mit Umstel- lungsschwierigkeiten zu kämpfen haben. U m mittelständische Unter- nehmen der metallverarbeitenden

Industrie und um das Elektrohand- werk geh es bei den Aktivitäten der C G M in erster Linie.

Der neue Vertrag - „Phönix" ge- heißen - sieht eine Wochenarbeits- zeit zwischen 31 und 42 Stunden vor.

Arbeitnehmer können sich einen Teil des Urlaubsanspruches in Geld aus- zahlen lasen. A u f die besondere Si- tuation einzelner Betrieb wird in weitaus höherem Maße eingegangen als bei den IG-Metall-Verträgen mit ihren Öffnungsklauseln. U n d ganz besonders wichtig und für die Ein- heitsgewerkschafter empörend:

„Phönix" sieht zwingend ein Schlichtungsverfahren vor, damit grundsätzlich Arbeitskämpfe ver- mieden werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Schweiz sind mit einer ähnlichen Regelung - dem sogenannten Friedensabkommen - seit Jahrzehnten gut gefahren. Die Schweiz kennt so gut wie keine Streiks.

Für die mitteldeutsche Wirtschaft, deren Betriebe noch immer schwer zu kämpfen haben, ist ein solcher Vertrag besonders wertvoll, denn

viele dieser mittelständischen Unter- nehmen sind in Gefahr, durch rigo- rose Lohnforderungen und Streiks an den Rand des Ruins zu geraten.

Die Konsequenz: Rund zwei Drittel der Metall- und Elektrobetriebe wei- gern sich, dem Arbeitgeberverband beizutreten und dessen Tarifverträ- ge mit der IG Metall zu akzeptieren.

Diese Verträge können den Bestand der noch immer schwachbrüstigen neuen Betriebe gefährden. Für die Arbeitnehmer sichert „Phönix"

durch die flexiblen Regelungen und die Schlichtungsformel Arbeitsplät- ze.

DGB-Funktionäre bezeichnen

„Phönix" zwar als eine Lachnum- mer, doch in Wirklichkeit sind sie tief besorgt, weil sie um ihre Monopol- stellung in der Vertretung von A r - beitnehmerinteressen fürchten. Die bröckelt ohnehin, ist es der C G M doch bei den jüngsten Betriebsrats- wahlen selbst in IG-Metall-Hochbur- gen wie Daimler Benz, A u d i oder Bosch gelungen, zahlreiche Mandate zu gewinnen - im Metallbereich ins- gesamt über 1500. Siegfried Prignitz

D o c h hier liegt das D i l e m m a ge- rade der Regierungsparteien. M i t ihren klaren Worten zur A u s l ä n - der- u n d A s y l p o l i t i k etwa hat die C S U z w a r den N e r v der Basis ge- troffen. Doch was n ü t z t das, w e n n der stellvertretende C D U / C S U - Fraktionschef Geißler umgehend mit d e m linken Flügel schlägt u n d kontert, d a ß Deutschland sehr w o h l ein „ E i n w a n d e r u n g s l a n d "

sei u n d die M ü n c h e n e r Vorstellun- gen keine Chance h ä t t e n , z u m ge- meinsamen Programm beider U n i - onsparteien z u werden?

Die sichere U n t e r s t ü t z u n g der F D P i m R ü c k e n w e i ß Heiner G e i ß - ler, d a ß er u n d nicht die Bayernuni- on sich nach der W a h l durchsetzen w i r d - egal ob i n der derzeitigen Konstellation oder i m Falle einer Elefantenhochzeit v o n U n i o n u n d S P D .

Was die G l a u b w ü r d i g k e i t der C S U s c h w ä c h t , ist jedoch noch mehr die Frage, w a r u m erst jetzt, so k u r z vor der W a h l , derart deutlich Position bezogen w i r d i n der zen- tralen Frage der u n g e z ü g e l t e n Z u - wanderung. Die U n i o n ist seit bald 16 Jahren an der Regierung. Diese 16 Jahre waren gefüllt mit dem ge- waltigsten Asylantenstrom, den Deutschland je sah. Effektiv unter- nommen wurde letztlich nichts dagegen.

O

b w o h l niemals mehr als sechs oder sieben Prozent der Asylbewerber als poli- tisch Verfolgte anerkannt wurden, durften auch nahezu alle anderen hier bleiben. U n d mittels der Rechtswegegarantie konnten u n d k ö n n e n abgelehnte Asylbewerber sich auf Kosten der deutschen Steu- erzahler jahrelang von P r o z e ß z u P r o z e ß schleppen, bevor man sie a u ß e r Landes weist. Dort ange- kommen erlaubt ihnen ihr - i n Deutschland weltweit einmaliges-

„ G r u n d r e c h t auf A s y l " , sofort ins gelobte Land z u r ü c k z u k e h r e n u n d das ganze Verfahren v o n neuem beginnen z u lassen, u n d so weiter u n d so fort.

Das Problem nicht nur der C S U ist es, d a ß dieser unhaltbare Z u - stand eben ein alter H u t ist, ebenso wie die ewig verschleppte Steuer- reform, die Arbeitslosigkeit, die Kriminalität, die Staatsverschul-

(2)

Politik Das £)ftpuu$cnblatt

30. M a i 1998 - Folge 22 - Seite 2

dung u n d etliches mehr. Alles soll- te scnon 1982 „geistig-moralisch"

gewendet werden, ist es aber nicht.

W a r u m soll also ein bislang treu- er C D U - oder CSU-Wähler glau- ben, d a ß ausgerechnet jetzt alles anders w i r d , d a ß in vier Jahren ge- lingen soll, was die Regierung K o h l in 16 nicht vermochte? Das Auf- trumpfen des Linksauslegers Geiß- ler läßt zudem vermuten, d a ß ein- flußreiche F ü h r u n g s p e r s ö n l i c h - keiten i n der U n i o n eine i m besten Sinne konservative Politik gar nicht w ü n s c h e n , sondern nur de- ren Wähler.

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m dem mißtrauisch gewor- denen Wahlvolk nachvoll- ziehbar z u machen, d a ß die U n i o n gelernt hat u n d die „ W e n - de" nun endlich vollziehen w i l l , hätte eine andere Entscheidung not getan. E i n neuer Kanzlerkandidat, eine neue F ü h r u n g s r i e g e h ä t t e n her g e m u ß t , nicht bloß ein neuer Regierungssprecher.

Beobachter der Bonner Szene vermerken jedoch, d a ß Helmut K o h l es in seiner ü b e r l a n g e n Zeit als Parteivorsitzender (seit 1973!)

f

eschafft hat, quasi alle Persönlich- eiten der ersten Garnitur z u erle- digen, zuletzt Lothar Späth. Die einzigen, die neben u n d auch ge- gen den ewigen Chef ihre eigene Seilschaft erhalten u n d sogar aus- bauen konnten, waren die Partei- linken u m Heiner Geißler und Rita S ü s s m u t h . Sie haben vor allem gro- ßen Einfluß auf die Programmge- staltung der C D U , wie jetzt ange- sichts des Streits u m die Zuwande- rung erneut deutlich wurde.

Es dürfte nicht wenige i n der C S U geben, die heute erst recht bit- ter bereuen, d a ß der l e g e n d ä r e Franz-Joseph S t r a u ß 1976 doch noch zurückschreckte vor einer Trennung v o n der C D U u n d der bundesweiten Ausdehnung der Christsozialen. So jedenfalls w i r d es der Bayernunion k a u m gelin- gen, «ich als eine A r t konservatives Korrektiv zur C D U z u empfehlen, nach all den Jahren des gemeinsa- men Verschleppens der Probleme.

Brandenburg:

„ B ü r g e r m e i s t e r - K e g e l n " i n P o t s d a m Nach der Abwahl von OB Grämlich präsentiert sich die SPD heillos zerstritten

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UNABHÄNGIGE W O C H E N - ZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND Chefredakteur: ElimarSchubbe (Verantwortlich f. d. redaktionellen Teil) Politik, Zeitgeschehen, Feuilleton, Le- serbriefe: Peter Fischer, Hans Heckel (Freier Mitarbeiter); Kultur, Unterhal- tung, Frauenseite: Silke Osman;

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Im Rathaus der brandenburgi- schen Landeshauptstadt Potsdam geht's d r ü b e r u n d drunter. Die Par- teien streiten sich, u n d obendrein sind sich selbst die Sozialdemokra- ten untereinander nicht g r ü n . O b e r b ü r g e r m e i s t e r Horst G r ä m - lich (SPD) wurde Anfang M a i per Volksentscheid a b g e w ä h l t . Die Lücken in der F ü h r u n g s e t a g e des Rathauses werden immer größer, nur rund die Hälfte der Chefriege ist noch i m A m t .

Brandenburgs Umweltminister Matthias Platzeck (SPD) soll nach dem Wunsch der S P D der neue O b e r b ü r g e r m e i s t e r i n der Landes- hauptstadt werden. Seine eigenen Genossen aber machen sich schon Sorgen u m ihn. Wohlmeinend war- nen sie ihn, er solle sich nicht i n dem erbitterten Grabenkrieg ver- heizen lassen. Vorher haben am 27.

September die Bürger das Wort, sie w ä h l e n ein neues Kommunalpar- lament. U n d auch das g e h ö r t z u m Bild: In der ehemaligen p r e u ß i - schen Königsstadt ist nichts mehr von einer positiven, p r e u ß i s c h e n Stimmung z u s p ü r e n ; i m Gegen- teil: Potsdam scheint eine H o c h - burg der Nörgler, Diffamierer u n d Zerstörer z u sein.

Die Potsdamer Ränkespiele dau- erten zwar schon einige Monate, so richtig ins bundesdeutsche Ram- penlicht aber kamen die Kämpfe erst z u m Jahreswechsel 1997/98.

Die Kritik am O b e r b ü r g e r m e i s t e r wurde seit Herbst 97 immer schär- fer; die Attacken kamen ü b r i g e n s hauptsächlich aus den Reihen der PDS. Inhaltlich war die Kritik an Grämlich recht unverbindlich.

Da die Kritiker dem O b e r b ü r g e r - meister keine Verfehlung nachwei- sen konnten, konzentrierten sie sich auf andere Personen. U n d sie w u r d e n fündig. Ins Kreuzfeuer ge- riet der Potsdamer Baustadtrat Detlef K a m i n s k i (SPD), der dann auch z u Jahresanfang seinen H u t nehmen m u ß t e . Der Baurat steht unter dem Verdacht der Beste- chung.

Die SPD-Landesparteizentrale ließ Grämlich i m Frühjahr fallen.

Sicherheitspolitik:

Hinter den Kulissen verhandelten die Genossen ü b e r einen Nachfol- ger. Durch gezielte Indiskretionen wurde die Öffentlichkeit d a r ü b e r informiert, d a ß die Landes-SPD ei- nen Nachfolger für G r ä m l i c h sucht. Diese A r t v o n „Solidarität"

hat sich Grämlich gemerkt. Er ließ sich aber nicht entmutigen, trat nicht z u r ü c k u n d setzte auch ohne R ü c k e n d e c k u n g durch Manfred Stolpe seine Arbeit fort.

Doch nun ist alles z u Ende. Horst Grämlich trat nach der A b w a h l aus der S P D aus. A u c h sein Nachfol- ger, der I n t e r i m s - O b e r b ü r g e r m e i - ster, Finanzstadtrat Hans-Joachim Bosse, erklärte seinen Austritt aus der SPD. Er reagierte damit auf den Umgang seiner Partei mit G r ä m - lich. Bosse warf Ministerpräsident Stolpe u n d L a n d t a g s p r ä s i d e n t Herbert Knoblich (SPD) „politi- sches R ä n k e s p i e l " vor.

Wer die Stimmung in Potsdam richtig verstehen w i l l , der sollte einmal einen Blick in die Untersu- chung des „Spiegel" z u m 3. Okto- ber 1996 werfen. Die „Spiegel"-Re- dakteure hatten 1996 z u m T a g der Deutschen Einheit i n einer auf- wendigen Studie untersucht, wie die objektiven Lebensbedingun- gen (Arbeitsplätze b z w . Arbeitslo- sigkeit, Wohnungsangebot, Schu- len/Hochschulen, Nahverkehrs- system etc.) einerseits u n d die sub- jektive E i n s c h ä t z u n g durch die Bürger andererseits ist.

Es ü b e r r a s c h t nicht, d a ß i n brandenburgischen Städten wie Schwedt, E i s e n h ü t t e n s t a d t oder

Wie ANDERE es sehen

Frankfurt/Oder, w o die Lebensbe- dingungen i n der Tat schlecht sind, auch die Stimmung schlecht ist.

Andererseits gibt es aber auch, so die „Spiegel"-Studie, einige S t ä d t e in Sachsen oder Vorpommern, w o trotz schlechter Rahmenbedingun- gen die Bürger optimistisch u n d Konstruktiv eingestellt sind. Der totale A u s r e i ß e r aber war Pots- dam, obwohl dort die Bedingun- gen eigentlich recht gute sind:

Es gibt viele Firmen, die Ministe- rien sind dort u n d viele Landesbe- h ö r d e n , a u ß e r d e m mehrere Ge- richte u n d weitere staatliche E i n - richtungen. K u r z u m : Es gibt dort durchaus gute Chancen, einen A r - beitsplatz z u finden. A u c h das B i l - dungsangebot ist gut, die Landes- hauptstadt hat eine eigene U n i v e r - sität u n d ein gutes Nahverkehrssy- stem. Aber: Die Potsdamer sind to- tal unzufrieden, die Stimmung ist miserabel. N i r g e n d w o i n den mit- teldeutschen Landern ist die Dis- krepanz zwischen objektiver Lage u n d subjektiver Befindlichkeit so g r o ß wie i n der alten p r e u ß i s c h e n Königsstadt.

Gegen diese Volksfront der N ö r g l e r m u ß t e G r ä m l i c h jahrelang a n k ä m p f e n . Bereits 1992/93 gab es erste Versuche, i h n abzusetzen u n d durch einen P D S - O b e r b ü r g e r - meister z u ersetzen. Jahrelang hielt G r ä m l i c h dagegen - vergeblich.

Sollte Umweltminister Matthias Platzeck wirklich das A m t antreten wollen, dann w ü r d e er sich auf ein spiegelglattes Parkett begeben.

Hagen Nettelbeck

Zeichnung aus

„Hamburger Abendblatt"

G r e n z s c h u t z f ü r d i e E u r o p ä i s c h e U n i o n

EU-Parlament unterstützt Forderung nach europäischem Sicherheitskonzept

Die Macht des Europaparla- ments ist eng begrenzt. N u r wenige europapolitische Weichenstellun-

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en h ä n g e n v o m V o t u m der Straß- urger Abgeordneten ab. Dennoch ist unverkennbar, d a ß immer wie- der Berichte, Empfehlungen u n d Forderungen dieses parlamentari- schen Gremiums v o n nationalen Parlamenten, Regierungen oder auch v o n der Brüsseler Kommissi- on beachtet werden. Deshalb ver- dient der Vorstoß des CSU-Euro- paabgeordneten Bernd Posselt für einen Europäischen Grenzschutz Beachtung.

Posselt, der zugleich Vizepräsi- dent der christlich-konservativen Paneuropa-Union ist, fand für sei- nen Vorstoß bei nahezu allen poli- tischen Lagern der S t r a ß b u r g e r Versammlung lebhafte Zustim- mung, obwohl v o r d e r g r ü n d i g vor allem Deutschland v o m illegalen Zustrom aus dem E U - A u s l a n d be- troffen ist. A l l e m Anschein nach beginnt sich auch bei Parlamentari- ern der anderen EU-Staaten die Einsicht durchzusetzen, d a ß die i l - legale Zuwanderung nicht nur z u einer sozialen u n d wirtschaftlichen Belastung der sogenannten reichen

L ä n d e r führen w ü r d e , sondern auch die Innere Sicherheit u n d schließlich sogar die kulturelle Identität sämtlicher Mitgliedstaa- ten bedrohen könnte.

Der Schutz vor g r e n z ü b e r s c h r e i - tender Kriminalität u n d vor un- kontrollierter Einwanderung k ö n - ne, so Posselt, „nicht dem jeweils südlichsten, nördlichsten oder öst- lichsten Mitgliedstaat" überlassen bleiben. Hier sei die Gemeinschaft der EU-Staaten gefordert. A n der heutigen deutschen Ostgrenze, die gleichzeitig E U - A u ß e n g r e n z e sei, m ü ß t e n nach der Osterweiterung Ü b e r g a n g s r e g e l u n g e n für Kontrol- len gelten.

Posselts Plädoyer für einen effek- tiven Europagrenzschutz fand par- teiübergreifende Zustimmung. In seinem mit g r o ß e r Mehrheit ange- nommenen Bericht ü b e r „EU-Er- weiterung u n d innere Sicherheit"

forderte er u . a. eine Europaakade- mie für Innere Sicherheit, eine ge- meinschaftliche A u s b i l d u n g der Polizeiorgane, Grenzschutzeinhei- ten, Beamten und Richter mit Hilfe entsprechender EU-Programme, eine systematische Zusammenar-

beit zwischen Europol u n d den z u s t ä n d i g e n P o l i z e i b e h ö r d e n i n Mittel- u n d Osteuropa, eine w i r k - same g r e n z ü b e r s c h r e i t e n d e Be- k ä m p f u n g der organisierten Ost- West-Kriminalität sowie eine A n - passung der Visapolitik der Bei- trittskandidaten g e g e n ü b e r Dritt- staaten.

Posselt: „Rechtsstaatlichkeit u n d Innere Sicherheit sind die entschei- denden Eintrittsvoraussetzungen in die Rechtsgemeinschaft der E U . Bei den Recntskriterien m u ß es eine mindestens ebenso genaue Punktlandung geben w i e beim Drei-Prozent-Knterium der Euro- päischen W ä h r u n g s u n i o n . "

Der Forderungskatalog des C S U - Abgeordneten wurde auch v o n der Mehrheit der sozialdemokrati- schen Parlamentarier u n t e r s t ü t z t . Bezeichnenderweise k a m die K r i - tik v o n den G r ü n e n . Sie verurteil- ten die „ U b e r b e t o n u n g " der Ver- b r e c h e n s b e k ä m p f u n g u n d der po- lizeilichen Zusammenarbeit i m Posselt-Bericht - u n d wiesen seine Warnung vor einer z u laschen Asylpolitik aus g r u n d s ä t z l i c h e n E r w ä g u n g e n z u r ü c k . s. P .

W e r n e r B u x a t

A m 20. M a i verstarb der langjähri- ge Vorsitzende der Landsmann- schaft O s t p r e u ß e n , Landesgruppe Baden-Württemberg, Werner Buxa.

Er wurde i m Kriegsjahr 1916 in Me- mel geboren und erlitt das schwere Los, seinen Vater i m Krieg 1917 zu verlieren, ohne ihn gekannt zu ha- ben. Werner Buxa besuchte das Lui- sengymnasium in Memel und die Oberrealschule in Königsberg. Dort legte er das Abitur ab. Danach arbei- tete er bis 1938 in der Jugendpflege, woran sich Reichsarbeitsdienst und wie bei allen Angehörigen seiner Generation eine lange Soldatenzeit anschlössen. Den Krieg beendete Werner Buxa als Hauptmann und Ritterkreuzträger.

Nach kurzer Internierung in briti- scher Gefangenschaft fand er im Sommer 1945 seine Ehefrau wieder und begann mit dem Neuaufbau sei- ner Existenz. Gleich 1945 begann er mit der Arbeit für die Vertriebenen.

Er war der G r ü n d e r und erste Vorsit- zende der Ortsgruppe Bevensen im Kreis Uelzen. Das soziale Empfin- den für seine Mitmenschen war bei ihm stark ausgeprägt. Neben seiner Berufstätigkeit als Bewährungshel- fer g r ü n d e t e er gleich nach dem Kriege eine Aufbaugemeinschaft der Kriegsbeschädigten i m Kreis Uelzen.

A l s Reserveoffizier der Bundes- wehr leistete Werner Buxa von 1966 bis 1976 einen wichtigen Beitrag für den inneren Aufbau unserer Bun- desrepublik, zuletzt mit dem Dienst- grad eines Oberstleutnants der Re-

\ serve.

1966 rief Buxa die Preußische Ta- felrunde in Pforzheim ins Leben.

Hier wurde mit wissenschaftlich hochrangigen Referaten in geselli- ger Runde kulturell Interessierten ein Thema z u Geschichte oder Lan- deskunde O s t p r e u ß e n s dargestellt.

Für über 100 Veranstaltungen der Tafelrunde Pforzheim war er der verantwortliche Leiter.

Neben seinem Beruf und der eh- renamtlichen Tätigkeit für die Hei- matvertriebenen hat sich Werner Buxa i n weiteren karitativen Ein- richtungen ehrenamtlich engagiert.

Darüber hinaus fand er Zeit, sich schriftstellerisch z u betätigen. Seiner

| Feder entstammen wichtige Stan-

| dardwerke ü b e r das Kriegsgesche- hen an der Ostfront i m Zweiten Weltkrieg.

Der gesamte Lebensweg von Wer- 1 ner Buxa vor dem Kriege, i m Kriege

\ als Soldat und nach dem Kriege beim j Wiederaufbau beweist eine hohe I staatsbürgerliche Verantwortung,

| ein konstruktives Demokratiever- ständnis und ist geprägt von Liebe z u Heimat und Vaterland. Er fühlte sich zur menschlichen Gemeinschaft hingezogen und leistete als wertvol- les Mitglied stets aufbauende und fürsorgliche Arbeit. W o immer Wer- ner Buxa wirkte, er fühlte sich stets für seine Mitmenschen verantwort- lich.

Die Landsmannschaft Ostpreußen ehrte 1991 den Verstorbenen, indem sie i h m ihre höchste Auszeichnung, den Preußenschild, zuerkannte. Wir

f

edenken seiner in Dankbarkeit und rauer. W i l h e l m v. Gottberg

j Manfred Kanther:

„ W e i t e r s o !

Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) lobte anläßlich der diesjährigen Pfingsttreffen verschie- dener Landsamnnschaften die Poli- tik der Vertriebenen. W i r begingen 1998 „50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte", dabei müsse auch an das Recht auf die Heimat verwiesen werden - „ein universales Menschenrecht", so Kanther in ei- nem Grußwort. Die U m w ä l z u n g e n von 1989/90 hätten den Vertriebe- nen wie unseren östlichen Nachbarn neue Möglichkeiten der Zusammen- arbeit eröffnet. H . T.

(3)

30. M a i 1998 - Folge 22 - Seite 3

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D a s l ü b i s c h e R e c h t M o d e l l f ü r E u r o p a

Blickpunkt

Das gotische Rathaus.

S y m b o l Revaler B ü r g e r r e c h t e u n d Revaler B ü r g e r m a c h t u n d Selbstbehauptung - gegen O r d e n , K i r c h e u n d fremde Herren Foto Estonian Tourist Board

In diesem Jahr feiert Reval das lübi- sche Recht. Am 16. Mai würdigten die Präsidenten Roman Herzog und Lennart Meri auf einem „Symposi- um 750 Jahre lübisches Stadtrecht in Reval/Tallinn - vom mittelalterli-

chen Stadtrecht zum Europarecht"

in der estnischen Hauptstadt dieses historische Erbe, das bis in die Ge- genwart hineinwirkt. Das Ostpreu- ßenblatt bringt Auszüge aus den Re-

den beider Präsidenten.

Roman Herzog:

Estland zeigt,

was Leistung vermag

E

s ist atemberaubend z u sehen, wie umfassend u n d durchgrei- fend der Wandel seit meinem ersten Besuch (1991) Ihr Land nach vorn ge- bracht hat. Die Dynamik ist überall spürbar trotz mancher Schwierigkei- ten, die Gelegenheiten beim Schopf zu packen, sich etwas zuzutrauen u n d etwas z u unternehmen - kurz:

„ja" z u sagen zur Zukunft. Die triste Vergangenheit belastet nicht den Blick auf morgen. Ich bekenne frei- mütig, d a ß ich mir etwas mehr einer solchen zupackenden u n d unbe- schwerten Fialtung auch in Deutsch- land w ü n s c h e .

Die Reformpolitik Ihres Landes ist von Vertrauen i n eigene Leistungs- kraft, Optimismus und Zuversicht, aber auch vom Stölzauf das Erreichte inspiriert. So konnte sie Ende März zu Recht i n den Beginn konkreter Beitrittsverhandlungen mit der E u - ropäischen U n i o n m ü n d e n . Das est- nische Beispiel zeigt deutlich: N u r Reformkurs ist Erfolgskurs!

Jeder Besucher Tallinns sieht auf den ersten Blick, d a ß er sich in einem über Jahrhunderte gewachsenen i n - tegralen Teil unserer gemeinsamen europäischen Geschichte und Kultur befindet. M a n spürt, d a ß diese Stadt

I

m Jahre 1219 eroberten die D ä n e n das Land der Esten. Die Invasi- onstruppen König Waldemars II.

gingen unweit jenes Felsenmassivs an Land, auf dem die alte Estenburg Lyndanise gestanden haben soll und das im Volksglauben als Grabhügel des Riesen Kalevipoeg galt. Die heidnischen Esten wehrten sich ver- zweifelt gegen die christlichen Er- oberer, und es schien, als wollte sich das Schlachtenglück ihnen zunei- gen. Da richtete, so will es die Sage, Bischof Andreas hilfeheischend den Blick gen Himmel und siehe, die Pforten des Himmels öffneten sich,

und dieses Land Europa nie wirklich verlassen haben, sondern d a ß sie immer als Teil der geistigen Gemein- schaft unseres Kontinents präsent waren und nunmehr dabei sind, ih- ren legitimen Platz in Europa wieder einzunehmen.

In diesem Sinne läßt sich die politi- sche Zielsetzung der begonnenen Beitrittsverhandlungen zur Europäi- schen Union auf den gleichen kurzen Nenner bringen, mit dem der däni- sche König Erik IV. Plogpenning dem damaligen Reval das Recht der Stadt Lübeck verlieh: „Omnia iura que habent cives Lybicenses". Wenn man diesen Satz heute liest, und ihn nicht i m rechtstechnischen Sinne versteht, dann ließe er sich m ü h e l o s auch auf den Beitritt Estlands zur Eu- ropäischen Union verwenden: „Sie, d.h. die Bürger Tallinns u n d Est- lands, sollen künftig alle Rechte ha- ben, die auch die Bürger Lübecks i n der Europäischen Union haben."

Das Lübecker Stadtrecht fand von Tondern i m Westen bis Narwa i m Osten Anwendung. Es hat als Rechtsrahmen für die Handels- und Rechtsgemeinschaft der Hanse den spezifischen Bedürfnissen, die durch die Lage u m die Ostsee als dem älte- sten gemeinsamen Gütertransport- weg definiert waren, so gut gedient, d a ß wechselnde Herrschaften diesen Rahmen immer wieder bestätigen.

Was Handel und Wandel ermöglich- ten, war schon damals sachorientiert und ganz unideologisch geregelt, so d a ß unterschiedliche Herrscher wie die dänischen Könige, der Deutsche Ritterorden, die Schweden und auch die russischen Zaren offenbar gut damit leben konnten. In dem ge- meinsamen Rechtsraum, den die Hanse schuf, hat sich das Recht als ein wesentlicher Entwicklungsfaktor erwiesen, u n d die Städte als Träger dieser Entwicklung haben davon stark profitiert.

W i r stehen heute nicht nur vor der Frage, wie eine erweiterte Europäi- sche Union ihre Handlungsfähigkeit nach innen u n d a u ß e n verbessern kann. Zugleich m ü s s e n w i r ihre de- mokratiscne Legitimation u n d ihre Bürgernähe stärken u n d ausbauen.

Das Beispiel der Hanse gibt dazu i n - teressante Anregungen. Es zeigt, wie ein nützenorientiertes Kommunal- verfassungsrecht schon vor sieben Jahrhunderten erfolgreich prakti- zierte, was der Vertrag von Maas- tricht für die politische Union Euro- pas bisher nur i n einer abstrakten

und ein großes rotes Tuch mit einem weißen Kreuz schwebte herab auf die offenen H ä n d e des königlichen B i - schofs. Die dänischen Krieger sahen in diesem Zeichen einen Fingerzeig Got- tes, faßten wieder neuen Mut und be- siegten die Esten. Das weiße Kreuz auf rotem Grund ist seit dem die dänische Fahne - der Danebrog.

A u f dem Felsenmassiv errichteten die Dänen eine neue Burg und nann- ten sie Castrum Danorum. Unterhalb des Burgberges bauten die deut- schen Kaufleute i m Gefolge des Dä- nenkönigs die Bürgerstadt. Sie nann- ten sie Reval nach der estnischen

Formulierung zustande gebracht hat, nämlich das Subsidiaritätsprin- zip.

Städte und Gemeinden sind immer auch Schulen der Demokratie. N i r - gendwo sonst sind politische Ent- scheidungen direkter und erfahrba- rer, nirgendwo sonst greifen sie un- mittelbarer i n das persönliche Le- bensumfeld der Menschen ein. Des- halb tun w i r Europäer gut daran, unseren Kommunen künftig das Recht zur Selbstverwaltung zu erhal- ten. A u c h unser Miteinander in Eu- ropa wird nach wie vor wesentlich von den Initiativen der örtlichen Ebe- ne und ihrer Menschen gestaltet wer- den.

Deshalb beglückwünsche ich die Bürgerinnen und Bürger von Tallinn zu ihrem Jubiläum und wünsch e al- len Verantwortlichen Estlands wei- terhin gutes Gelingen beim Aufbau von Recht und Gesetz und auf dem Weg in die Europäische Union.

Lennart Meri:

Die Pflicht ist älter als die Welt

I

hre Anwesenheit, Herr Bundes- präsident, bestätigt mir, d a ß Sie in den uralten hanseatischen Beziehun- gen und i m lübischen Stadtrecht das historische Modell für das gegen- wärtige, das neue Europa sehen. A l - les Neue ist vergessenes Altes. Ich w i l l damit sagen, d a ß wir in Europa über eine gemeinsame Erfahrung von einer früheren europäischen Union verfügen. Diese frühere U n i - on hatte einen einheitlichen Rechts- raum geschaffen. Sie vereinte mehr als hundert Städte. U n d sie strahlte etwas aus, was man i m heutigen Sprachgebrauch der Europäischen Union u n d der Nato gemeinsame Werte nennt. Sie strahlte weit über ihre Grenzen hinaus - und sie hat den Begriff der Menschenrechte in der ihrer Zeit charakteristischen Version nach Estland gebracht. In Estland haben i m lübischen Recht die Begrif- fe Bürger und Bürgerrechte Wurzeln geschlagen.

Die Bürger haben in Europa einen auffallendahnlichen Werdegang. Sie lebten unter dem Schutz der Burg, der Burgmauern, zuletzt der Stadt- mauern. Das war ein mächtiges Sym- bol: „Ein' feste Burg ist unser Gott"

schrieb Martin Luther. In Estland entstammt das Wort Bürger - koda-

Landschaft Rävala. Die Esten hin- egen gaben ihr den Namen Taani

inn, Stadt der D ä n e n - T a l l i n n . Vor 750 Jahren verlieh der Dänenkönig Erik IV. Plogpennig Reval das lübi- sche Stadtrecht; und bis in die Neu- zeit hinein war für streitende Reva- ler Bürger Lübeck die letzte Ge- richtsinstanz. Die Dänenherrschaft endete 1346, als König Waldemar IV. Atterdag Reval u n d alle däni- schen Besitzungen in Estland für 19 000 Mark Silber an den Hoch- meister des Deutschen Ordens ver- kaufte. Der Vertrag wurde auf der Marienburg besiegelt.

nik - dem Begriff Heim - koda, kodu, in Finnland den Begriffen Gemeinde, Volk.

Wenn ich i m lübischen Recht und in der Hanse den Wegbereiter der Osterweiterung der Europäischen Union sehe, dann interessiere ich mich vor allem für die Grenzen des lübischen Rechts in Zeit und Raum, nicht für den Zustand, sondern für den Prozeß. Wir müssen die Vitalität der lübischen Rechtsnormen schät- zen und bewundern. Noch i n der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhun- derts fanden wesentliche Teile des lübischen Rechts Eingang in das Bal- tische Provinzialrecnt. U n d dies blieb so bis zur Besetzung der Repu- blik Estland durch die Rote Armee und die Zerstörung Estlands als ei- nes europäischen Rechtsstaates i m Jahre 1940.

Vor etwa zwanzig Jahren kam es zum Streit zwischen zwei Behörden der sowjetischen Besatzungsmacht,

zwischen der Tallinner Stadtverwal- tung und jener Forstbehörde, die für die Pflege des Grünschutzstreifens der Stadt zuständig war. Als ich mir diese Gegend auf der Landkarte an- schaute, stellte ich z u meiner freudi- gen Überraschung fest, d a ß die Wur- zeln des Konflikts der beiden sowje- tischen Behörden bis i n die mittelal- terlichen Grenzstreitigkeiten u m die Revaler Mark reichten. Ich e r w ä h n e diesen Vorgang, u m z u fragen, ob wirklich ein Rechtssystem durch ein anderes per Dekret ersetzt werden kann. U n d ich frage mich, ob in der Rechtswissenschaft nicht manchmal Ursache und Wirkung verwechselt werden.

Wurde Reval wirklich aus dem lü- bischen Recht geboren? Oder wurde das lübische Recht nicht i n einem übertragenen Sinne i n Reval gebo- ren? Es ist nicht wahr, d a ß der Uber- gang von einem Rechtssystem in ein anderes dem Schritt von einem ins andere Zimmer gleicht, wo wir dann neben der Tür nach dem Schalter su- chen, u m den Kronleuchter erstrah- len z u lassen.

Die romantische Versuchung der Rechtswissenschaftler, die Grün- dung einer Stadt an einem genau da- tierbaren politischen Willen eines rechtsetzenden Herrschers festzuma- chen, hat mich schon immer beschäf- tigt. Also: Es werde eine Stadt! Troja, Rom, Köln, Tallinn - Reval, Nowgo- rod, New York und Petersburg. Gab es dort nicht schon ein von Alltagssor- gen und -freuden erfülltes Leben lan- ge vor der Zeit, als diese Orte unter diesem oder jenem Namen in die Landkarte eingetragen wurden?

In der Bronze- oder Eisenzeit kreuzten sich die Wege von Jägern und Fischern verschiedener Stäm- me. A n diesen Wegen entwickelte sich über Jahrhunderte hinweg manch ein Obdach. U n d aus solchen Strohdächern, aus solchen Fischer- katen entstanden Paris, Reval und Nowgorod. Städte werden nicht aus dem Stadtrecht geboren, sondern das Stadtrecht wird in den Städten geboren. Markt, Frühstadt und Stadt nehmen ihren Anfang in der Kon- frontation gegensätzlicher Interes- sen, u m schließlich dem gemeinsa- men Interesse Platz z u machen und zum örtlichen Gewohnheitsrecht zu werden.

Werten wir das lübische Recht von diesem Standpunkt aus und fragen wir nach der wichtigsten Schlußfol- gerung für unsere heutige Konfe- renz, so lautet meine Antwort: Ich schätze am meisten die Geschwin-

digkeit, mit der sich das lübische Recht verbreitet hat, u m für lange Jahrhunderte i n der Ostseeregion Fuß z u fassen. Nordeuropa war un- ter der Führung Revals reif dafür, das lübische Recht z u seinem eigenen Recht z u erklären. Diese Erfahrung kann uns mit Zuversicht dem Über-

f

ang Estlands in den Rechtsraum der uropäischen Union entgegensehen lassen. Die Geschichte herrscht i m - mer über die Zukunft.

Ein amerikanischer Freund be- hauptete, d a ß Estland und Israel et- was gemeinsam hätten - beide Völ- ker seien Völker des Wortes. Mein Freund hatte recht. In Nordeuropa, wo die Schriftsprache j ü n g e r ist als in Westeuropa, hat das Wort noch kei- ne Inflation i n Wert und Gewicht durchgemacht.

1969 filmte ich i m Nordural den Komi-Jäger Iwan Popow - einen A n - alphabeten. Er war es gewohnt, mit seinem H u n d z u sprechen. Er sagte mir: „Das Wort hat eine große Kraft."

Im Unterschied z u Deutschland ist das Wort in Estland auch heute noch eine gewichtige Quelle der Geschich- te, es ist der Hauptträger unserer Identität.

Das lübische Recht war vor allem ein Stadtrecht. U n d wir könnten fra- gen, ob es nur innerhalb der Revaler Stadtmauer seine Wirkung hatte. For- mal war es sicher so. Aber die mächti- ge Strahlkraft dieses Rechts über das ganze Land hat die Denkweise und die Wertvorstellungen der Esten viel- leicht sogar stärker geprägt als die der Menschen in Westeuropa. Vielleicht läßt sich dies durch die mündliche Tradition erklären, die bei uns noch im vorigen Jahrhundert eine zentrale Stellung innehatte.

Im täglichen Sprachgebrauch der Esten wird auch heute noch eine Werteformel verwendet, die ich so in keine Sprache der Welt wirklich übersetzen kann: „ O r d n u n g und Pflicht". Wenn etwas unternommen oder entschieden werden soll, drückt dieses Begriffspaar Strenge aus;

wenn etwas Gutes geleistet, ent- schieden oder gebaut wurde, drückt es Anerkennung aus. Ich füge ein Sprichwort hinzu: „Die Pflicht ist drei Tage älter als die Welt" und

„ O r d n u n g erwärmt die Ordnung".

Mit diesen Beispielen will ich ver- ständlich machen, was wir unter den gemeinsamen europäischen Werten verstehen. Die Esten haben sie auch in schwerster Zeit bewahrt. Daraus schöpfen wir die Selbstsicherheit, mit der wir der Europäischen Union entgegensehen.

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Politik

30. M a i 1 9 9 8 - F o l g e 2 2 - S e i t e 4

B aden-Württemberg:

Macht der Staat seine „Nazis" selbst?

Empörung in Stuttgart: „Verdeckter Ermittler" impfte Jugendliche mit braunen Parolen

Erst vor kurzem war Bernd M . aufgegangen, d a ß Politik vielleicht gar nicht so langweilig ist, wie er bislang gedacht hatte. K a u m 16 Jahre alt begann er nun, sich u m z u - schauen - u n d siehe da, die Sache war richtig spannend. So kreuzte Bernd v o n Ehskussionsversanstal- tung z u Diskussionsversanstal- tung, traf nette u n d weniger nette, interessante u n d weniger interes- sante Leute.

Eines Tages kam er so ins Ge- spräch mit einem jungen M a n n ,

„ d a m a l s so Mitte 20", der es offen- bar richtig drauf hatte, u n d was noch besser war, jener „coole T y p "

kam auch noch aus derselben Ge- gend wie Bernd M .

A x e l , wie sich der neue Bekannte von Bernd nannte, war äußerlich eher unscheinbar. Doch das endlo- se Gelaber auf den Veranstaltun- gen, die Bernd M . bislang besucht hatte, wurde i h m irgendwann doch zu langweilig. Mitten i n der Pubertät verlangte es ihn, altersty- pisch, nach „ A k t s c h n " .

A x e l bliebt das natürlich nicht verborgen. O b er nicht mal mit- kommen wolle z u einer richtigen politischen Schulungsgruppe, w o auch was passiert? - Das m u ß t e sich Bernd nicht zweimal fragen lassen.

Axels Gruppe nannte sich „Vor- feldorganisation", a u ß e r d e m war da nocn eine „Kameradschaft" i m Umfeld der Fangemeinde des Karlsruher SC. Fußball u n d der K S C waren ja ohnehin Bernds Welt. Alles p a ß t e toll zusammen.

Die „Vorfeld"-Treffen waren wie K r i m i . Wie man sich bei Polizei- Verhören, Razzien u n d ä h n l i c h e m verhalten soll, referierte A x e l vor seinen gebannt lauschenden A n - h ä n g e r n . Die 13- bis 16jährigen wa- ren m a ß l o s entzückt, wie wichtig sie auf einmal geworden waren. So wichtig, d a ß sogar der Staat hinter ihnen her ist! Genial! U n d das alles durch A x e l .

Natürlich m u ß t e jetzt auch rich- tig „ g e k ä m p f t " werden gegen die Linken. A x e l , wer sonst, w u ß t e auch gleich wie. Etwa Schlagstöcke dabeihaben, sei wichtig. U n d Mes- ser, u m den Linken die Autoreifen z u zerstechen. A u ß e r d e m m u ß der

„ F e i n d " g r ü n d l i c h a u s g e s p ä h t werden, Autonummern, Adressen u n d so. Abenteurer, Geheimagent u n d Kämpfer i n einem, unschein- bare Pickelgesichter mutierten ü b e r Nacht z u richtigen Helden, A x e l sei Dank.

A x e l sorgte unterdessen auch da- für, d a ß der Spaß nicht z u kurz kam. Geile Feten waren regelmä- ßig angesagt, u n d das Bier ging nie aus. A x e l war nicht knickerig. U n d dann ging es auch noch z u den „Oi- Konzerten" einschlägiger Skin- head-Gruppen. D a gab es dann al- les auf einmal: Spaß, Lärm, Bier u n d Bürgerschreck. Einfach stark.

E r n ü c h t e r u n g trat ein, als die neuen Helden tatsächlich i n eine Polizeirazzia gerieten. Die meisten seilten jetzt geräuschlos ab.

Doch dann kam der Knall: „Axel Reichert", so der angebliche V o l l - name des Anführers, ist gar nicht

A x e l Reichert, sondern ein „Ver- deckter Ermittler" der Polizei, sein Name ein Deckname. Der ehemali-

f

e b a d e n - w ü r t t e m b e r g i s c h e Repu- l i k a n e r - L a n d t a g s a b g e o r d n e t e Bernhard A m a n n soll ihn verpfif- fen haben. „Stern", „Kennzeichen D " u n d die „S D R - L an de ss ch au "

fielen ü b e r A m a n n her, das Amts- gericht Karlsruhe ermittelt gegen A m a n n wegen des Verrats eines Dienstgeheimnisses - wie „Rei- chert" ist auch A m a n n Polizeibe- amter.

Bernd M . war die Sache aller- dings schon vorher spanisch vor- gekommen. „Ich habe z u s p ä t ge- merkt, was für Inhalte dieser A x e l uns da eigentlich auftischte, diese Verherrlichung des NS-Regimes, die antidemokratischen u n d anti- semitischen S p r ü c h e - i n dem M a ß e , wie ich politisch selbst z u denken anfing, widerte mich der K r a m an." Viele andere auch, etli- che seien heute erwachsener ge- worden, i n die C D U gegangen u n d grausen sich bei der Erinnerungen an den „ g a n z e n Quatsch". Unter den Jugendlichen, die „ A x e l " vor- ü b e r g e n e n d ins Netz gegangen waren, ist auch der heutige junge Republikaner M a r k u s Burkhard.

Er w i r d jetzt als Synonym dafür herangezogen, d a ß die eben doch

„ r e c h t s r a d i k a l " seien. W ar das vielleicht „Reicherts" Auftrag?

M a n v e r p a ß t ahnungslosen 13- bis 16jährigen eine „belastete Vergan- genheit" - u n d sobald sich emer von ihnen später i n einer mißliebi- gen Partei engagieren, holt man die (selbstinszemerte) J u g e n d s ü n d e

hervor u n d haut sie ihnen u m die Ohren.

Die Republikaner i m Stuttgarter Landtag sehen hier einen Fall v o n

„ B e s c h a f f u n g s e x t r e m i s m u s " .

„Reichert" habe z u Straftaten er- mutigt. In einer Fragestunde des Landtages bombardierten die Reps die Landesregierung mit p e i n l i - chen Anfragen, aus denen sich der z u s t ä n d i g e Ministerialdirektor Ek- kert nur m ü h s a m herauszuwinden suchte. Jetzt sind M e d i e n u n d eta- blierte Parteien b e m ü h t , aus der

„Affäre Reichert" einen „Fall A m a n n " z u machen. „ R e i c h e r t "

w i r d z u m Helden aufgebaut, der n u n akut bedroht sei. Bernhard A m a n n zufolge aber hat „ R e i c h e r t "

selbst i n der Polizeikantine mit sei- nem Auftrag geprahlt, Jugendliche i m NS-Sinne z u schulen u n d dann bei den Republikanern einzu- schleusen. A u ß e r d e m hatte bereits der „Spiegel" ü b e r „ R e i c h e r t " i m November 1995 geschrieben, lange bevor A m a n n auf den Fall auf- merksam wurde.

Was bleibt, ist die ungeheuerli- che Tatsache, d a ß die Sicherheits- kräfte unter dem damaligen Stutt- garter Innerurünister Frieder Birze- Ie (SPD) offenbar e i g e n h ä n d i g eine scheinbare Neonazi-Gruppe auf- bauen ließen u n d so Jugendliche auf die Leimrute v o n falscher K a - meraderie u n d w ü s t e n ideologi- schen Versatzstücken des Hitlens- mus z u locken versuchten. U n d , wenn der Verdacht stimmt, auch nicht davor z u r ü c k s c h r e c k t e n , die jungen Menschen z u Straftaten aufzustacheln. Hans Höckel

Michels Stammtisch

Es kommt selten vor, daß der Stammtisch im Deutschen Haus dem grünen Polit-Schauspieler Joseph Fi- scher zustimmt. Aber als er sagte:

„ Wer wissen will, was konservativ ist, der guckt doch schon längst nicht mehr auf die CDU", kam beifälliges Nicken in der ganzen Runde auf. Enttäu- schung schwang mit, als der Stamm- tisch meinte, die CDU habe die konser- vativ und national denkenden Bürger längstin Stich gelassen undmachenur noch auf Mitte, „was immer das auch sei". Wenn es denn „links" gebe - und dagegen wettere die CDU mit Recht -, könne man logisch Mitte doch nur aus dem Vorhandensein von „rechts" erklären. Da aber wolle die CDU partout nicht mehr sein, seit diese Seitenrichtung im politischen Leben von der veröffentlichten Mei- nung nur noch als Schimpfwort ge- braucht wird.

Wer oder was soll denn „rechts"

sein, fragte man am Stammtisch. Das müsse auf alle Fälle eine demokratische Kraft sein, lautete die Antwort - keine Chaoten, Spinner oder Extremisten.

Schließlich sei „rechts" ebenso demo- kratisch wie „links". Wenn das nicht geschehe, könne das ganze System nicht funktionieren und ein „antifa- schistischer Block" rücke an die Stelle unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Ob die CDU es schaffe, sachlich und personell das verlorene Gleichgewicht von Christlich-Sozialen beider Konfes- sionen, Wirtschaftsliberalen sowie wertebezogenen und patriotischen Konservativen in ihren Reihen wieder herzustellen, bezweifelten die einen und erhofften die anderen am Stamm- tisch. Auf alle Fälle, darin war man sich einig, hänge davon nicht nur das Schicksal der CDU, sondern das der deutschen Demokratie ab.

Gedanken zur Zeit:

Der „Schein des Anstoßes"

Dybas Modell widerlegt die Zweifle / Von Pater Lothar Groppe SJ

Bischof L e h - m a n n hat völlig recht, w e n n er z u m „Schein des A n s t o ß e s " der S c h w a n g e r - schaftskonflikt- beratung sagt:

„ E i n e L ö s u n g , die makellos ist, fällt nicht v o m H i m m e l . " Dies ist auch gar nicht n ö t i g , denn sie liegt bereits vor.

Erzbischof D y b a praktiziert sie seit 1993 mit steigendem Erfolg.

W e n n i h n bischöfliche Kollegen deswegen „ u n t e r tosendem A p - plaus" zurechtgewiesen haben, d ü r f t e selbst a e m einfältigsten G e m ü t klar sein, d a ß m a n d e n Sack schlägt u n d den Esel meint.

A u f gut deutsch: Der Protest rich- tet sich letztlich gegen den Papst, der die Bischöfe eindringlich bit- tet, Wege z u finden, d a ß ein Bera- tungssenein, der „faktisch eine SchKisselfunktion für die D u r c h - f ü h r u n g straffreier A b t r e i b u n g "

ist, „ i n den kirchlichen oder der Kirche zugeordneten Beratungs- stellen nicht mehr ausgestellt w i r d " .

W e r v o n der „ Q u a d r a t u r des Kreises" spricht, offenbart eine k a u m z u ü b e r b i e t e n d e Begriffs- stutzigkeit. Erzbischof D y b a ist nach langem Ringen u m eine mit d e m christlichen Sittengesetz ver- einbare L ö s u n g aus der staatli-

chen Schwangerschaftskonflikt- beratung ausgestiegen, w e i l sie z w i n g e n d die A u s s t e l l u n g eines Beratungsscheins fordert. W e n n er diesen als „ T ö t u n g s l i z e n z " be- zeichnet, hat er sich noch z u r ü c k - haltend g e ä u ß e r t . K a r d i n a l Höff- ner nannte die A b t r e i b u n g „ M a s - senmord i m Mutterleib . U n d Papst Johannes P a u l II. sprach i n einem z u Beginn dieses Jahres i n Washington verlesenen Brief so- gar v o n „ i m m e r noch andauern- d e m Holocaust unschuldigen L e - bens".

D e m unvoreingenommenen Beobachter des Zeitgeschehens k a n n nicht entgehen, d a ß die p o l i - tical correetness z w a r die s t ä n d i g e Erinnerung an den Massenmord an den Juden wachhalten w i l l , aber den weit umfangreicheren Massenmord an ungeborenen K i n d e r n als „ S e l b s t b e s t i m m u n g s - recht der Frauen" z u kaschieren sucht. Der menschenverachtende Z y n i s m u s mehrerer Politiker u n d Medienleute offenbart sich u . a.

darin, d a ß larmoyant beklagt w i r d , w i r verfugen i m m e r noch nicht ü b e r f l ä c h e n d e c k e n d e A b - treibungskliniken. Dabei d ü r f e n diese nach Urteilen zweier deut- scher Gerichte als „ M o r d i n s t i r u - te" bezeichnet werden. A l s o : D i e Massenmorde der N a z i s sollen unserem G e d ä c h t n i s eingebrannt bleiben, o b w o h l sie ü b e r ein hal- bes Jahrhundert hinter uns liegen.

A b e r die Massenmorde an unge- borenen K i n d e r n soll m a n als

„ R e c h t auf den eigenen B a u c h "

u n d A u s f l u ß des Selbstbestim- mungsrechts akzeptieren. Im G e - gensatz z u den Naziverbrechen, die unter strikter Geheimhaltung erfolgten, w i r d die V e r n i c h t u n g ungeborener K i n d e r seit Jahr- zehnten auf offenem M a r k t e r ö r - tert u n d verteidigt.

W e r sich dagegen auflehnt, gilt bestenfalls als vorgestrig, w e n n nicht gar als ü b l e r Brunnenvergif- ter. Ist diese „ L o g i k " nicht etwas seltsam?

1995 veröffentlichten die katho- lischen Bischöfe ein W o r t z u m 50.

Jahrestag der Befreiung v o n A u s c h w i t z , das nicht gerade v o n profunder Kenntnis der G e - schichte zeugt. W e r die Zeit des Kirchenkampfes i m Dritten Reich nicht n u r aus d e m „ S p i e g e l "

kennt, w e i ß , d a ß es neben man- cherlei Versagen einen oft heroi- schen Einsatz für die Verfolgten gab.

N a c h d e m Zeugnis des j ü d i - schen Theologen u n d Historikers Pinchas E. L ap id e hat die katholi- sche Kirche unter Pius XII. minde- stens 700 000, wahrscheinlich aber sogar 860 000 Juden gerettet, weit mehr als alle anderen K i r - chen, religiösen Einrichtungen, das Internationale Rote K r e u z u n d die westlichen Demokratien zusammengenommen.

W e n n die Bischöfe dennoch an die Brust ihrer V o r g ä n g e r schla- gen, m ü s s e n sie sich fragen, w i e s p ä t e r e Generationen d a r ü b e r ur- teilen, d a ß sie d u r c h A u s s t e l l u n g der Beratungsscheine a m M a s s e n - m o r d ungeborener K i n d e r mit- schuldig w u r d e n . H i n t e r vorge- haltener H a n d kolportieren selbst kirchenfreundliche Christen: I m Dritten Reich hatten die Bischöfe A n g s t v o r d e m M o r d , heute v o r d e m R u f m o r d . „ Q u a d r a t u r des Kreises?" M i t n i c h t e n .

Erzbischof D y b a w e i ß einen W e g , der für alle gangbar ist, die sich der V e r a n t w o r t u n g für die Ungeborenen b e w u ß t s i n d , nicht zuletzt ihrer V e r a n t w o r t u n g v o r Gott, w e n n sie e i n m a l Rechen- schaft ablegen m ü s s e n .

S e l b s t v e r s t ä n d l i c h darf die K i r - che Frauen i n N o t nicht allein las- sen. A b e r auch ein guter Z w e c k heiligt kein schlechtes M i t t e l . E r z - bischof D y b a hat ohne A u s s t e l - l u n g v o n Beratungsscheinen die Z a h l der Schwangerenberatung alljährlich u m 5 Prozent steigern k ö n n e n . W e n n i m m e r w i e d e r be- hauptet w i r d , so w ü r d e n die F r a u - en „ n i c h t mehr erreicht", ist dies eine gezielte Desinformation.

Eine sachgerechte Beratung ohne A u s s t e l l u n g eines Scheins ist also nicht nur m ö g l i c h , sondern erfolg- versprechend u n d zukunftswei- send. Es bedarf also keiner neuen Arbeitsgruppe z u r L ö s u n g eines

f

e w i ß schwerwiegenden P r o - lems.

So werden die kirchlichen Bera- tungsstellen nicht m i t s c h u l d i g an unverantwortlichen K i n d s t ö t u n - gen, u n d die K i r c h e gewinnt ihre G l a u b w ü r d i g k e i t als H ü t e r i n des Lebens z u r ü c k .

Volksfront:

P r o t e s t

Offener Brief an Höppner

In Mitteldeutschland wächst der Protest gegen das Volksfrontbünd- nis v o n M a g d e b u r g . Das Ostpreu- ßenblatt dokumentiert einen offe- nen Brief ehemaliger politischer D D R - H ä f t l i n g e - „ K i r c h e von un- ten" - an den SPD-Regierungschef v o n Sachsen-Anhalt:

Sehr geehrter H e r r Ministerprä- sident,

i m Auftrag meiner Arbeitsgrup- pe m ö c h t e ich Ihnen unseren Pro- test ü b e r m i t t e l n gegen Ihre Vor- schläge g e g e n ü b e r der C D U . Wenn Sie die PDS(ED) als demokratische Partei bezeichnen, d a n n schlagen Sie uns mit dieser Formulierung ins Gesicht. Sie waren, genau wie w i r , i n der evangelischen Kirche aktiv, doch blieb Ihnen glücklicher- weise unser Schicksal erspart. Im Zuchthaus der SED-Diktatur ha- ben w i r dieses System erleiden m ü s s e n .

M o d r o w , der i n Dresden De- monstranten v o r der Wende zu- sammenschlagen ließ, ist Ehren- vorsitzender dieser Partei. Gysi war „ I M " u n d auch Brie.

W i r protestieren schärfstens ge- gen die Absage einer Koalition mit der C D U i n einer Zeit, i n der die Demokraten gegen die extremen Parteien PDS(ED) u n d D V U zu- sammenstehen m ü s s e n .

M i t freundlichen G r ü ß e n Alexander W . Bauersfeld Sprecher der Arbeitsgemein- schaft ehemaliger politischer DDR- Hartlinge - Kirche v o n unten

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