Grundpositionen der Ethik im historisch-systematischen Zusammenhang
Grundprobleme der Moralphilosophie
1
- Überblick über die gesamte Vorlesung - Literaturhinweise
- Quellentexte
- Weiterführende Literatur
- Einführung: Was ist und zu welchem Ende betreibt man Moralphilosophie?
• Vorlesung WS 12/13
Grundpositionen der Ethik im historisch-systematischen Zusammenhang Vorlesungsplan:
Hinweis: Die Lehrveranstaltung am 15.01.2013 entfällt!
¥ Grundbegriffe
¥ Sokrates und die Frage, wie zu leben sei
¥ Platons Theorie des Guten
¥ Tugendhaftes Handeln: Aristoteles
¥ Hellenistische Glücksethik: Epikur und die Stoa
¥ Der Utilitarismus: Bentham und John Stuart Mill
¥ Kant I: Pflichtethik und Kategorischer Imperativ
¥ Kant II: Ethik, Politik und Pädagogik
¥ Moralbegründung im Ausgang vom Gefühl: Hume-Schopenhauer-Nussbaum
¥ Nietzsches Moralkritik
¥ Moral und Demokratie: Deweys pragmatistischer Ansatz
¥ Die Diskursethik von Habermas und Apel
¥ Theorie der Gerechtigkeit: Rawls und die kommunitaristische Kritik 3
• Platon, Politeia, 427d-506b, in: Ethik Texte, hrsg. von Peter Welsen, Freiburg/München 1999.
• Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1094a-1178a, in: Ethik Texte, hrsg. von Peter Welsen, Freiburg/München 1999.
• Epikur, Brief an Menoikeus, in: Malte Hossenfelder (Hrsg.), Antike Glückslehren, Stuttgart 1996.
• Stoa: Fragmente über Affekte, Tugend und Handeln, in: Malte Hossenfelder (Hrsg.), Antike Glückslehren, Stuttgart 1996, S. 77-86, 102-126.
• David Hume, Auszüge aus dem „Traktat über die menschliche Natur“,in: Ethik Texte, hrsg. von Peter Welsen, Freiburg/München 1999, 93-110.
• John Stuart Mill, Auszüge aus „Der Utilitarismus“, in: Ethik Texte, hrsg. von Peter Welsen, Freiburg/München 1999, 137-151.
• Kant I, Auszüge aus der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Ethik Texte, hrsg. von Peter Welsen, Freiburg/München 1999, 111-126.
• Kant II, Auszüge aus der Pädagogik-Vorlesung (A 118-A 146), in: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 2 (Werkausgabe Bd. XII, hrsg. von W. Weischedel), Frankfurt/Main 1968, 749-761.
• Arthur Schopenhauer, Über die Grundlage der Moral, Auszug in: Ethik Texte, hrsg. von Peter Welsen, Freiburg/München 1999, 127-136.
• Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, Erste Abhandlung, Abschnitt 10-17, in: Kritische Studienausgabe (Colli-Montinari) Bd. 5, München 1988, 270-289.
• John Dewey, Neugestaltung der Moralbegriffe, in: Die Erneuerung der Philosophie, Hamburg o.J. (Junius-Vlg.), 205-229.
• Zur Diskursethik: Lutz Wingert, Gemeinsinn und Moral, Frankfurt/Main 1993, S. 264-281.
•
Konrad Ott, Moralbegründungen zur Einführung, Hamburg 2005•
Bernd Ladwig, Gerechtigkeitstheorien zur Einführung, Hamburg 2011•
Ch. Menke/Arnd Pollmann, Philosophie der Menschenrechte zur Einführung, Hamburg 2007•
Michael Hauskeller, Geschichte der Ethik (auf 4 Bände angelegt), München 1997ff.•
R. Celikates, St. Gosepath (Hg.), Philosophie der Moral. Texte von der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurt 2009•
Herlinde Pauer-Studer, Einführung in die Ethik, UTB 2010•
Projekt Leben (Schulbuch Ethik Oberstufe), Stuttgart 2011•
H. Hastedt, E. Martens (Hg.), Ethik - Ein Grundkurs, Hamburg 1994•
Ethik-Texte, hg. v. Peter Welsen, Freiburg 19995
•
Die Wende zur praktischen Philosophie•
Ausgangspunkt Handlungstheorie ☛Pragmatismus•
Begriffliche Grundlagen:•
Ethik und Moral•
Das Gute und das Richtige•
Werte und Normen•
Normativ vs. deskriptiv•
Personsein (normativ) und Menschsein (deskriptiv)•
Autonomie als Leitvorstellung•
Autoren und Adressaten moralischer Normen7
• Moral ☛ Inbegriff der Normen, Werte und gefühlsmäßigen
Einstellungen, die das zwischenmenschliche Handeln prägen
• Ethik ☛ Reflexion über Moral
Ethik und Moral 1
Ethik und Moral II
• ethisch ☛ bezogen auf kulturspezifische
Vorstellungen
vom ,guten Leben‘
• moralisch ☛ bezogen
auf das für alle, kulturunabhängig, Richtige
9
Das Gute und das Richtige
• Hintergrund: kultureller Pluralismus
☛•
Vielzahl religiöser, sozialer, ethnischer etc. Lebensformen mit unterschiedlichen Überzeugungen darüber, was ein gutes,gelungenes Leben ausmacht
•
von daher Unterscheidung:•
Das Gute als Inbegriff der verschiedenen Visionen von menschlichem Wohlergehen (,human flourishing“)•
Das Richtige als Inbegriff der für alle gleichenRahmenbedingungen des guten Lebens (zentral: Menschenrechte)
•
Unterscheidung, nicht Trennung !Werte und Normen
• Werte artikulieren die persönlichen bzw.
gruppenspezifischen Visionen des Guten,
Normen die verbindlichen Verhaltensweisen für alle
• Werte: emotional attraktive Leitvorstellungen mit reflexivem Anteil. Bspw. Freundschaft
• Normen: moralisch oder rechtlich verbindliche Regeln, die auch unabhängig von persönlicher Wertschätzung binden. Bspw. Tötungsverbot
11
Normativ/deskriptiv
•
wichtige Grundunterscheidung: will man darstellen, welche Werte oder Normen gelten (deskriptiv) oder welche gelten sollten (normativ)?•
normative Schlüsse aus deskriptiven Aussagen sind (ohne weitere Begründung) ungültig! (sog. naturalistischerFehlschluß)
•
Beispiel für Fehlschluß:•
Mütter kümmern sich meist mehr um Kinder als Väter (deskriptiv).•
Also sind Frauen für die Kinderbetreuung zuständig undPersonsein/Menschsein
•
zentrale Frage: was begründet moralische Ansprüche (Rechte und Pflichten)?•
Personsein: Verfügung über bestimmte Eigenschaften (z.B.Rationalität, Selbstbestimmung, Zukunftsorientierung)
•
Menschsein: biologisch und/oder religiös definiert•
Fragen:•
Sind alle Menschen Personen?•
Gibt es nichtmenschliche Personen?•
Ist Personalität oder Menschlichkeit Grund der Moral?•
Asymmetrie von Rechten und Pflichten!13
Autonomie
•
Zentraler Begriff der Ethikdebatte in Begründung (z.b. Kant, Kat.Imperativ) und Anwendung (z.b. „autonomer Patient“ in Medizinethik) seit der Neuzeit
•
wörtlich „Selbstgesetzgebung“•
Unersetzbarkeit des Einzelnen als Urteilender und Handelnder•
Kant, Aufklärung: „Habe Mut, Deinen Verstand ohne Anleitung anderer zu gebrauchen“•
Komplementarität zw. Autonomie und Allgemeinheit•
Leitvorstellung: Identität von Autoren und Adressaten moralischer Normen•
wichtiger Einwand: viele Menschen sind nicht autonom und können es•
Pluralismus der Wertordnungen als Hintergrund•
Normative Dimension von Politik und Recht•
Verhältnis zur religiös begründeten Moral•
Der Boom der angewandten EthikDie gesellschaftliche Funktion philosophischer Ethik
15
•
Hauptebenen ethischer Reflexion•
Deskriptive Ethik•
Metaethik•
Normative Ethik•
Angewandte Ethik (applied ethics)1. Deskriptive Ethik
a.) Entstehung und Sinn der Moral (evolutionäre Ethik, Anthropologie) b.) Moralhistorie und - soziologie, Moralethnologie
c.) Motivationspsychologie
d.) Moralentwicklung und Theorie der Moderne
2. Normenlogik
3. Metaethik (Bedeutungstheorie der Moralsprache) 4. Normative Ethiktheorien
a.) Moralprinzipien (z.B. Kategorischer Imperativ) b.)Grundnormen (positive und negative Pflichten) c.) Menschen- und Bürgerrechte
d.) Reichweite der „moral community“
17
5. Angewandte Ethik (Umwelt, Wirtschaft, Medizin, Medien etc.)
a.) Praxisnormen (Grundsätze „mittlerer Reichweite“) b.) Argumentationsräume („Bereichstopologien“)
6. Fragen anwendungsorientierter Ethik
a.) Verantwortungszuschreibungen b.) Risikobeurteilungen
c.) Abwägungskonzepte
d.) Werte- und Normenkonflikte
7. Konzeptionen des guten Lebens (Eudämonistische Ethik)
•
Das Übliche und das Richtige•
Die Figur des Sokrates•
Die Ideenlehre•
Der gute Staat und der gute Mensch19
•
Homer (8.Jh.):Handeln als
Inszenierung der Götter
•
Soziale Anerkennung als Moral•
Xenophanes (6.Jh.):Kritik am
Anthropomorphism us
• Wider den Athletenkult
• Vom Mythos zum Logos
• Soziale Geltung vs.
gerechtfertigte Geltung
• Die Polis als Lebensform und ihre Auflösung
•
Lebensdaten: 470-399•
Öffentliches Auftreten in Athen als Führer vonGesprächen
•
Die Frage, „wie zu leben sei“•
Prinzip des Dialogs•
Rolle der Sophistik21
•
Quellen:•
„Charmides“: Besonnenheit•
„Protagoras“: politische Tüchtigkeit•
„Thrasymachos“: Gerechtigkeit•
„Laches“: Tapferkeit•
Prinzip des Dialogs:•
Das ungeprüfte Leben ist nicht wert, gelebt zu werden•
Das Wissen des Nichtwissens•
Die sokratische Ironie•
Die „was“-Frage: Beispiel „Laches“•
Glück als tugendhaftes Handeln•
Gadamer: Welcher Tennisclub ist der beste?•
Der Prozeß:•
Verführung der Jugend•
Gotteslästerung (Asebie)•
Platons „Apologie“ und der „Phaidon“: Die Rechtfertigung des Gerechten23
•
Lebensdaten: 427-347 v. Chr.•
Schüler des Sokrates: Schock des Todes und die Suche nach Gewißheit•
Ca. 387 Gründung der Akademie•
Vergebliche Versuche in der Politik (Dionysius I u. II auf Sizilien)•
Etwa 30 Dialoge, in denen fast immer Sokrates auftritt•
Das Höhlengleichnis (Politeia, 7. Buch)•
Die Höhle und die Schatten•
Der Aufstieg•
Die Gewöhnung ans Licht•
Die Letztbegründung•
Die Rückkehr•
Der Hohn der Höhlenbewohner•
Idee und Erscheinung: das unsichtbare Wirkliche•
Die Idee des Wahren, Schönen und Guten25
•
Platons „Elitismus“•
Die Analogie von Mikro- und Makrokosmos•
Kosmos-Staat-Individuum•
Gerechtigkeit nicht als Gleichheit, sondern als Ordnung der Teile eines Ganzen•
Unsere Textauswahl: aus Platons „Staat“ (Politeia), Thema:Tugenden, oberste Tugend: Gerechtigkeit
•
Die vier Kardinaltugenden (Schaubild)27
•
Leben und Werk•
Was ist menschliches Handeln?•
Das gute Leben und das oberste Gut (Kritik an Platons Theorie des Guten)•
Was sind Tugenden?•
Die Mesotes-Lehre (Lehre vom richtigen Maß)•
Gerechtigkeit als zentrale Tugend•
Klugheit und Erfahrung: die Phronesis•
Die höchste Lebensform29
•
20 Jahre lang Mitglied der platonischen Akademie•
342 Erzieher Alexanders des Großen•
335 Gründung einer Schule: Peripatos•
Hintergrund: Zerfall der Polis•
Suche nach dem Begrifflich-Universalen nicht über (Platon), sondern in der konkreten Wirklichkeit•
Zentraler Text: Die Nikomachische Ethik•
Zur Methode des Aristoteles•
Ausgang von den tatsächlichen moralischen Überzeugungen seiner Gesellschaft•
Systematisierung und Kritik: was bewährt sich?•
Abschied von der absoluten Gewißheit: EN 1094 b 23-28•
Die Struktur des Handelns: EN 1094a, ff.•
Verfolgung von Gütern (Zielen)•
Das Gute als dasjenige, wonach alles strebt•
Zwei Arten von Zielen:•
Herstellen (poiesis), das auf ein Werk zielt (ergon) zielt•
Handeln (praxis), das seinen Zweck in sich selbst trägt31
•
Die Struktur des Handelns•
Vielzahl der Handlungsziele•
Hierarchie unter ihnen•
Höchstes Ziel des Handelns: Eudaimonia (Standardübersetzung:„Glückseligkeit“, besser: das gute Leben)
•
Die drei Lebensformen, in denen das Gute realisiert werden soll:•
Leben der Lust (Hedonismus)•
Öffentliches Leben im Dienst der Polis•
Philosophische oder betrachtende Lebensform•
Fragestellung: was macht eine Sache „gut“•
Grundgedanke: Realisierung des gattungsspezifi-schen Könnens•
Suche nach dem Guten „für uns“, nicht „an sich“•
Platonkritik: Nutzlosigkeit einer theoretischen Erkenntnis des Guten•
Differenz zwischen „know how“ und „knowing that“.•
Rolle der äußeren Glücksgüter: EN 1099b33
•
Im Blickpunkt: nicht die einzelne Handlung, sondern die feste Grundhaltung (hexis)•
Tugenden als bewußt kultivierte Handlungs-dispositionen•
Dianoetische (Verstandes-) und ethische Tugen-den: Erlernen vs.Praktizieren
•
Zentral: Regelung der Affekte: Angemessenheit und Unangemessenheit•
Affekte moralisch neutral; erst durch reflektie-rende Bewertung und Entscheidung moralisch qualifiziert•
Mitte nicht Mittelmäßigkeit, sondern Höchstform eines Könnens•
Vermeidung des Zuviel und des Zuwenig•
Ausnahmen: in sich schlechte Handlungen: Schadenfreude, Mord•
Nicht rechnerische, sondern persönliche Mitte: Ermittlung durch Einbeziehung des gegenteiligen Schlechten•
Beispiel: Umgang mit Geld (zwei relative Mitten!)35
Verfehlung der Mitte durch
ein Zuviel
Tugend der Mitte
Verfehlung der Mitte durch
ein
Zuwenig
Tollkühnheit Mut Feigheit
Stumpfsinn Mäßigkeit Zuchtlosigkeit
Verschwendung <Freigebigkeit
Sparsamkeit> Geiz
Schmeichelei Freundlichkeit Streitsucht
•
Zentrale Rolle: die anderen Tugenden (Tapferkeit, Besonnenheit, Großherzigkeit etc.) sind persönliche Exzellenzformen, dieGerechtigkeit aber ist innerlich sozial
•
Gerecht ist, wer an sozialen Gütern (Geld, Anerkennung etc.) nicht mehr und nicht weniger fordert, als ihm zusteht•
Das Zustehende als das Angemessene: nicht arithmetische Gleichheit, sondern: jeder nach seinem Verdienst bzw. seinen Fähigkeiten•
Proportionalitätsanalogie: A:B C:D37
•
Klugheit, bezogen auf das menschliche Gute: praktische Vernunft•
≠ Weisheit: Thales von Milet!•
Für die Praxis ist die Kenntnis des Einzelnen entscheidend:•
Das Geflügelfleisch und die Mittelmeerdiät•
Klugheit als in der Zeit reifende Frucht des Nachdenkens über Erfahrung: die Jugend kann nicht klug sein: EN 1142a ff.• Eudaimonia als Tätigkeit gemäß dem eigentümlichen Vermögen des Menschen
•
Vorrang der betrachtenden (philosophischen) Lebensform:•
Sie ist die wertmäßig Höchste•
Sie bietet die reinsten Genüsse•
Sie ist maximal autark•
Sie entspricht dem Göttlichen im Menschen39
•
In der Gegenwart: Dominanz der subjektiven Befindlichkeit:glücklich ist, wer sich glücklich fühlt (WYSIWYG-Prinzip)
•
Bei Aristoteles: objektive Glücksbedingungen: Zusammenspiel von wesensgemäßem Handeln und äußeren Glücksgütern•
Im Blickpunkt: das Individuum41
•
Sozialethik tritt in den Hintergrund: instabile soziale Verhältnisse•
Privatisierung des Glücks•
Glück als Unabhängigkeit und Selbstgenüg-samkeit•
Glück als Bewußtseinszustand, der auf die Erreichung aller selbstgesetzten Zwecke folgt•
Affektkontrolle zentral: Ataraxie (Epikur) bzw. Apathie (Stoa) als Autarkie•
Prinzip der Zweckökonomie:•
„Damit wir können, was wir wollen, müssen wir wollen, was wir können“•
Oberste Glücksregel :“Entwickle nur solche Bedürfnisse, die du jederzeit befriedigen kannst, setze dir nur solche Zwecke, deren Verwirklichung außer Zweifel steht“.•
Indifferentismus in Bezug auf alles andere•
Drei Hauptschulen: Epikur, Stoa und Skepsis (Pyrrho)43
•
Gründung der Schule um 300 v.Chr. durch Zenon von Kition
•
Schule in einerSäulenhalle, daher
„Stoa“
•
Radikalismus der Bedürfnislosigkeit•
Bestehen der Schule über fünf Jahrhunderte•
Wichtige Vertreter:•
Zenon•
Chrysipp•
Panaitios•
Seneca•
Epiktet•
Marc Aurel45
• Das höchste Gut:
•
„Einstimmig leben“: Übereinstimmung von Wollen und Können•
Vernünftige Einsicht als nicht nur notwendige, sondern hinreichende Bedingung der Glück-seligkeit• Die Handlungstheorie:
Vorstellung (Sahnetorte)
Trieb (Appetit und/oder Hunger)
Zustimmung (das gönn ich mir/
„hier sag ich nein“)
Handlung (Verzehr/Verzicht)
Die Struktur der Handlung
47
• Die Affekte:
•
Affekt als „übersteigerter Trieb“•
Ursache: falsche Zustimmung der Vernunft aufgrund eines falschen Werturteils (Kognitivismus)•
Ziel: völlige Ausrottung der Affekte• Tugendlehre:
•
Tugenden nicht an sich, sondern instrumentell nützlich•
Tugend als „aufrechte Vernunft“, als Vernunft, die nichts Unverfügbares als ein Gut beurteilt•
Inhaltlich Übernahme der platonischen Tugenden: Tapferkeit, Besonnenheit, Weisheit, Gerechtigkeit• Güter, Übel und „Adiaphora“
•
Tugend als einziges Gut, Laster als einziges Übel, alles übrige ist gleichgültig (adiaphoron)•
Das Gleichgültige als alles,was aus dem Bereich des durch Handeln sicher Erreichbaren herausfällt, z.B. Lust•
Triebe sind Adiaphora, der Weise läßt sie geschehen, denn ohne Einwirkung der Vernunft steigern sie sich niemals zum Affekt49
•
„naturgemäß leben“ (Kleanthes)•
Kein Wille zur Veränderung der Realität; innere Einstellung entscheidend•
Radikale Entwertung der objektiven und intersub-jektiven Realität gegenüber dem Bewußtsein:•
Epiktet: „Nicht die Dinge beunruhigen die Menschen, sondern die Meinungen über die Dinge“•
Das Ideal des stoischen Weisen•
Epikuros: 341-270•
Gründung einer Schule um 310: der„Garten“
•
Straffe Lehrorganisation,Auswendiglernen der Kernsätze
•
Mischung aus Philosoph, Therapeut und „Guru“•
Desinteresse an „Bildung“•
„Hedonismus“; Vorwurf:„Schweinephilosophie“
•
Lehrbriefe: Brief an Menoikeus51
•
Weiterführung der hellenistischen Glücksethik im Blick auf die Gesellschaft•
Hauptautoren:•
Jeremy Bentham (1748-1832)•
John Stuart Mill (1806-1873)•
In der Gegenwart:•
Dieter Birnbacher, Peter Singer•
Bedeutendster Gegenentwurf zum Kantianismus (Prinzipienethik):Konsequentialismus
•
Klassischer Haupttext: Der Utilitarismus (1861)53
•
Folgenorientierung (erwartbare oder tatsächliche Folgen einer Handlung)•
Kurzformel:•
„Das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl über den größtmöglichen Zeitraum“•
Teleologische Ethik: Nützlichkeit für das Erreichen „guter Ziele“entscheidend
•
Konsequentialismus•
Hedonistische Wertbasis•
Gleichheitsgrundsatz (Egalitarismus)•
Maximierungsstruktur•
Kalkülisierungsideal (Nutzensummenberechnung)55
•
Deskriptiver Teil:•
Alle Menschen streben von Natur nach der Vermeidung von Schmerz und dem Gewinn von Lust (Zit. Bentham)•
Normativer Teil:•
Das moralisch Richtige besteht in der Maximierung der Differenz zwischen Lust und Leid•
Nutzenprinzip:•
Definition des Moralischen über seine Nützlichkeit zur Realisierung des außermoralisch Guten•
Nutzen als Summe von Glückszuständen•
Glück als positiv (lustvoll) getönte mentale Zustände (WYSIWYG- Prinzip): pleasure, happiness, lust, joy etc.•
Solche Zustände sind intrinsisch gut, negative intrinsisch schlecht•
Zentrale Rolle der individuellen Präferenzen•
Gewichtung der Präferenzen nur nach ihrer Intensität/Stärke57
•
Bei Mill Übergang vom quantitativen zum qualitativen Utilitarismus:•
Wertunterschiede zwischen Lustformen•
Sinnliche und geistige Lüste•
Geistige Lust höherwertig•
Begründung: Urteil der Kenner→ gebildete vs. naturwüchsige Präferenzstrukturen•
Anthropologische Annahme: wer beides kennt, zieht immer die höhere Lust vor•
Die Glückszustände jedes Individuums zählen gleich; Mill: „Equal claim of everbody to happiness“•
In der radikalen Versionen: alle Glückszustände (Lustquanten) zählen gleich•
Idee des „benevolent spectator“: wie würde ein wohlwollender, unparteischer Beobachter urteilen?•
Verrechenbarkeit des Nutzens für ein Individuum bzw. eine soziale Gruppe mit dem Gesamtnutzen•
Zentralität des Gesamtnutzens59
•
Entscheidend ist die Erhöhung der Gesamtsumme der Differenz zwischen Freud und Leid•
Kein absoluter Wert des Individuums; diese als verrechenbare Posten in der Bilanz•
Einschluß aller empfindungsfähigen Wesen in die „moral community“•
Pathozentrik; Bentham: „The question is not: can they reason, but:Can they suffer?“
•
Gleichstellung der Zukunft mit der Gegenwart:Zukunftsverantwortung in die Theorie eingebaut
•
Maximum der Nutzensumme entscheidend•
Prinzip der einfachen Aggregation (es gibt keine intrinsischschlechten Handlungen, entscheidend ist ihr Effekt für den sozialen Nutzen)
•
Idee eines formalisierten Berechnungsverfahrens: der utilitaristische Kalkül•
Bentham: „Sum up all the values of the pleasures on the one side and those of all the pains on the other“•
Plausibilität des Gedankens bei Übertragung auf dieWohlfahrtsökonomie: Sozialreformerischer Impuls - Geld als Quantifizierungsvariable
61
•
Problem: wie können Lusteinheiten quantifiziert werden? Nur technische Schwierigkeit oder prinzipielle Unmöglichkeit?•
Differenzierungsversuch: Übergang vom Aktutilitarismus zum Regelutilitarismus•
AU: Nützlichkeitskriterium auf Einzelhandlungen bezogen•
RU: solche Regeln sind zu befolgen, deren Befolgung auf Dauer den Gesamtnutzen maximiert•
Kontraintuitiver Charakter:•
Keine absoluten Verbote (Rechtfertigung von Tötungen etc., wenn Nutzensumme steigt)•
Beispiel Organspende•
Singer: Menschsein ≠ Personsein•
Nutzenmaximierung zwingt zu radikalem Verzicht auf die Verfolgung von Eigeninteressen•
Unvereinbarkeit mit normativ strukturierten Institutionen: Beispiel Sport - Korrektur von Schiedsrichterentscheidungen beientsprechender Lustbilanz?
•
Unvereinbarkeit mit der Idee der Menschenrechte63
•
Die Pflichtethik Immanuel Kants•
Lebensdaten, Kontext•
Quellen•
Glückseligkeit und Glückswürdigkeit•
Grundcharaktere: Rationalismus, Formalismus, deontologischer Charakter, Universalismus, Apriorismus•
Praktische Regeln und die Idee eines kategorischen Imperativs•
Das einzig Gute: der gute Wille65
•
Der KI als Metaregel: Vernunft prüft den Verstand•
Der Universalismus und die weiteren Formulierungen des KI•
Naturgesetzformel•
Selbstzweckformel und die Idee der Menschenwürde•
Pflicht und Neigung: Freiheit und Notwendigkeit•
Vom Apriorismus zur sozialen Praxis:•
Geschichtsphilosophie•
Pädagogik•
Stilles Leben in Königsberg•
Vollendung der deutschen Aufklärung: „Mündigkeit“•
Verfasser der drei Kritiken•
Kritik der reinen Vernunft•
Kritik der praktischen Vernunft•
Kritik der Urteilskraft•
Bedeutendster deutscher Philosoph, heute weltweit wichtiger Bezugspunkt aller philosoph. Debatten67
•
Quellentexte zur Moralphilosophie!Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: Ermittlung des obersten Prinzips der Moral
!Kritik der praktischen Vernunft: Vorausset-zungen und Konsequenzen dieses Prinzips
!Metaphysik der Sitten: Konkretisierung und Rechtstheorie
!Geschichtsphilosophische Schriften: Einbettung der Moral in die Menschheitsentwicklung
!Pädagogik-Vorlesung: „Gründung eines moralischen Charakters“
• Hilfreiche Texte:
!Ralf Ludwig, Kant für Anfänger: Der kategorische Imperativ, DTV
•
Bis jetzt behandelte Ethiken: „Glücksethiken“•
Kant: Ethik der „Glückswürdigkeit“•
Grundgedanke: nur wer so handelt, daß alle glücklich sein könnten, wenn alle so handeln würden wie er, ist würdig, glücklich zu sein•
Glück als unser natürliches, Pflicht als unser moralisches Handlungsmotiv•
Unabhängigkeit der Moralgeltung von Gott, aber: Gott als Instanz der (jenseitigen) Verbindung von Glückswürdigkeit undGlückseligkeit
69
•
Rationalismus•
Prinzip der Normbegründung und der Handlungsprüfung ist die Vernunft•
Gefühle sind in der Moralbegründung irrelevant•
Formalismus•
Die Ethik gibt keine Inhalte, sondern nur ein formales Prüfungsverfahren vor•
Sie will unsere Alltagsintuitionen formalisieren und besser begründen•
Deontologisch-kategorischer Charakter•
Sie zielt auf unbedingte Sollens- bzw. Verbotssätze•
Universalismus•
Die Grundidee besteht in der Verallgemeinerbarkeit als Moralkriterium:Einbeziehung aller (Betroffenen)
•
Nähe und Differenz zur goldenen Regel:Verallgemeinerung des eigenen Standpunktes vs. Standpunkt „einer von allen“ (Kant: „die Menschheit in meiner Person“)
•
Apriorismus•
Kant abstrahiert von aller Erfahrung: nicht was tatsächlich gilt, sondern was gelten soll, ist gefragt71
•
Ausgangspunkt: regelgeleitetes Handeln nach Maximen•
Drei verschiedene Arten von Gebotsformeln (Imperativen)•
1. Regeln der Geschicklichkeit: wenn Du Zweck a erreichen willst, gebrauche Mittel b: hypothetisch•
2. Ratschläge der Klugheit: wer ein gutes Leben haben will, sollte a tun:hypothetisch (weil auf private Entwürfe des guten Lebens bezogen)
•
3. Gesetze der Sittlichkeit: Geltung unabhängig von der Existenz gesetzter Zwecke: kategorisch (z.B.„Du sollst nicht lügen“) Geltungsbegründung (nicht inhaltliche Ableitung!) durch die Metaregel des KI„Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten
werden, als allein ein guter Wille. (...) Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt, oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgend eines vorausgesetzten Zweckes, sondern allein
durch das Wollen, d.i. an sich, gut. (...)
73
„Wenn gleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur, es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlete, seine Absichten durchzusetzen, ... und nur der gute Wille (freilich nicht etwa als ein bloßer Wunsch,
sondern als die Aufbietung aller Mittel, sofern sie in unserer Gewalt sind) übrig bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst
glänzen, als etwas, das seinen vollen Wert in sich selbst hat. Die
Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann diesem Werte weder etwas zusetzen, noch abnehmen.“ (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 1-3)
•
Der Verstand bildet Maximen: z.B. „ich soll geliehenes Geld immer zurückgeben“•
Die Vernunft als das Vermögen der Reflexion bzw. der Bildung sog.„regulativer Ideen“ prüft mithilfe der Metaregel des KI den moralischen Gehalt der Maxime
•
Die Urteilskraft befindet darüber, ob eine gege-bene Situation unter die fragliche Maxime fällt oder nicht75
• Drei Hauptformeln (in der Grundlegung...)
I. „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die [d.h. von der] du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“
II. „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte.“
III. „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“
•
Moralisch handeln als Handeln aus Pflicht, nicht bloß als pflichtgemäßes Handeln•
Ausklammerung der Gefühle, persönlicher (Vor-)lieben etc. als„Neigung“ (unser empirisches Wollensprofil)
•
Freiheit als Handeln aus Einsicht, Unfreiheit als Gesteuertwerden durch die persönlichen Neigungen (empirischer vs. intelligibler Charakter)•
Mensch als „Bürger zweier Welten“77
•
Geschichtsphilosophie•
Hintergrund: Idee der Aufklärung: „Ausgang aus der selbstver-schuldeten Unmündigkeit“durch den „Mut, sich seines eigenen Verstandes ohne Anleitung anderer zu bedienen“
•
Zentraler Text: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht•
„Wir sind im hohen Grad durch Kunst und Wissenschaft kultiviert. Wir sind zivilisiert bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber, uns schon für moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralität gehört noch zur Kultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf dasSittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft, macht bloß die Zivilisierung aus. ... Alles Gute aber, das nicht auf moralisch-gute Gesinnung gepropft ist, ist nichts als lauter Schein und schimmerndes Elend.“
• Prinzip der Entfaltung all unserer Anlagen
• Entwicklung unserer Naturanlagen nur in der Gattung, nicht im Individuum möglich
• Die ungesellige Geselligkeit und Schopenhauers
„Stachelschweingleichnis“
79
•
„Zum ewigen Frieden“ (1795)•
Zentrale Bedeutung für Idee der Menschenrechte, Stellung der Vereinten Nationen•
Spannung zwischen Moral und Politik: auch ein „Volk von Teufeln“ könnte einen Staat gründen•
Regulative Idee einer Unterordnung der Politik unter die Moral•
Staatsbürgerrecht, Völkerrecht und Weltbürgerrecht•
Zentral: republikanische Verfassung (Gewaltenteilung)•
Kants Pädagogik; das Ideal der Autonomie und die Idee einer besseren Welt•
„Eltern erziehen gemeiniglich ihre Kinder nur so, daß sie in die gegenwärtige Welt, sei sie auch verderbt, passen. Sie sollten sie aber besser erziehen, damit ein zukünftiger besserer Zustand dadurch hervorgebracht werde“•
Vier Schritte des Erziehungsprozesses:•
Disziplinierung-Kultivierung-Zivilisierung-Moralisierung81
•
Disziplinierung•
Bezähmung der Wildheit•
Der Mensch kann entweder bloß dressiert, abgerichtet, mechanisch unterwiesen, oder würklich aufgeklärt werden. Man dressiert Hunde, Pferde, und man kann auchMenschen dressieren. ... Mit dem Dressieren aber ist es noch nicht ausgerichtet, sondern es kommt vorzüglich darauf an, daß Kinder denken lernen“
•
Kultivierung•
Verschaffung der Geschicklichkeit: „Besitz eines Vermögens, welches zu allen beliebigen Zwecken zureichend ist“ (Kulturtechniken, hard und soft skills)•
Zivilisierung•
Erwerb von „Manieren“, Fähigkeit, durch gute Umgangsformen eigene Ziele zu erreichen•
Moralisierung•
An ihr entscheidet sich das Gelingen des Kulturprozesses: „wir leben im Zeitpunkte der Disziplinierung, Kultur und Zivilisierung, aber noch lange nicht in dem Zeitpunkte der Moralisierung“•
„Die erste Bemühung bei der moralischen Erziehung ist, einen Charakter zu gründen.Der Charakter besteht in der Fertigkeit, nach Maximen zu handeln.“
•
„Die Moralische Kultur muß sich gründen auf Maximen, nicht auf Disziplin.“•
Es kommt bei der Moralisierung darauf an, daß der Zögling „die Gesinnung bekomme, daß er nur lauter gute Zwecke erwähle. Gute Zwecke sind diejenigen, dienotwendigerweise von jedermann gebilligt werden; und die auch zur gleichen Zeit jedermanns Zwecke sein können.“
83
•
Schillers Einwand:•
Von persönlicher Neigung kann man nicht abstrahieren•
Kant und der Motorradunfall•
Was macht den Willen konkret „gut“?•
Operation gelungen, Patient tot?•
Konflikte zwischen Pflichten•
Das Lügenverbot und der Nazi•
Die Philosophie des „moral sense“; David Hume; Arthur Schopenhauer; Martha Nussbaum85
•
Allen gemeinsam:•
Zweifel an der Motivationskraft rein rationaler Überlegungen•
Skepsis in Bezug auf die Reichweite universalistischer Prinzipien•
Differenzpunkte:•
Positive (Shaftesbury etc.) vs. negative Hintergrundmetaphysik•
Einschätzung der Beziehung zwischen dem Guten und dem Richtigen•
Anknüpfungspunkt für feministische Ethiktheorien (Carol Gilligan, Martha Nussbaum)„Endziel aller moralischen Spekulationen ist, uns unsere Pflicht zu lehren und durch treffende Schilderungen von der Hässlichkeit des Lasters und der Schönheit der Tugend entsprechende Gewohnheiten zu erzeugen und uns zu bestimmen, das eine zu meiden, dem anderen uns zuzuwenden. Läßt sich das aber jemals von verstandesmäßigen Folgerungen und Schlüssen
erwarten, die von sich aus keinerlei Macht über die Affekte ausüben, auch nicht die tätigen Kräfte des Menschen in Bewegung setzen? Sie ermitteln Wahrheiten; wo aber die ermittelten
Wahrheiten farblos sind und weder Verlangen noch Wider-willen hervorrufen, können sie auf unser Tun und Verhalten keinerlei Einfluß gewinnen. ... Unterdrückt man alle warmen Gefühle und alle Voreingenommenheit für die Tugend ebenso wie allen Abscheu vor dem Laster, macht man die Menschen vollkommen gleichgültig gegen diese Unterschiede, so hört die Moral auf, ein praktisches Anliegen zu sein, hat keinerlei Tendenz mehr, unser Leben und Handeln zu
bestimmen.“ (David Hume, Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral)
87
•
Britische Moralphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts:naturalistische Psychologie im Zeichen von Sympathie, Wohlwollen (Benevolenz) und Mitgefühl
• Hauptvertreter:
•
Earl of Shaftesbury (1671-1713)•
Großer Einfluß auf Schiller•
Verschmelzung von Schönheit und Tugend im Zeichen des Enthusiasmus: Idee der„moral grace“
•
Francis Hutcheson (1694-1746)•
Joseph Butler (1692-1752)89
•
Humes Handlungsmodell•
„Reason is, and ought to be the slave of the passions, and can never pretend to any other office than to serve and obey them.“•
„Morals excite passions, and produce or prevent actions. Reason of itself is utterly impotent in this particular. The rules of morality, therefore, are not conclusions of our reason.“(beide Zitate aus: A Treatise of Human Nature, 1739/40)
• Eigennutz und Sympathie als Gegenpole: Idee einer Harmonisierung beider
•
Ausgang von der Sympathie im Sinne der affektiven Bezogenheit der Menschen aufeinander•
Problem: Zufälligkeit und Schwanken affektiver Zuneigungen•
Humes Strategie: Ausweitung des Affektbegriffs im Sinne des Ausdrucks ursprünglicher Sozialität („fellow-feeling“)•
Daher Basis fundamentaler gemeinsamer Interessen, vor allem an der Erhaltung des Staates, die Stabilität verbürgen•
Ethik als Lehre von den staatserhaltenden Tugenden.91
•
Gegenstand moralischer Urteile dement-sprechend nichtEinzelhandlungen, sondern positive (Tugenden) bzw. negative (Laster) Charakterzüge, d.h. Handlungsdispositionen
•
Aufstellung eines Tugendkatalogs (in Anlehnung an den römischen Autor Cicero)93
•
Arthur Schopenhauer, 1788-1860•
Hauptwerk: Die Welt als Wille und Vorstellung•
Negativistische Metaphy-sik: der‚Weltkern‘ ist nicht gut, nicht vernünftig, sondern ein blinder Wille
•
Ablehnung des Rationalismus in der Moral•
Schrift Über die Grundlage der Moral•
Idee einer metaphysischen Grundlegung (einer Gesamtdeutung der Wirklichkeit, die der Moral ihren Platz und ihr Prinzip zuweist)•
Betonung der negativen emotionalen Erfahrungen: Leidhaftigkeit des Daseins•
Nähe zu fernöstlichen, insbes. Buddhistischen Motiven•
Frage nach dem moralischen Wert von Handlungen im Rahmen einer Psychologie der Handlungsmotive95
•
Ausschlaggebend für‘s Handeln sind emotional gefärbte Motive, nicht Überlegungen•
Das stärkere Motiv setzt sich immer durch•
„Wohl und Wehe“ für einen oder mehrere Menschen ist der letzte Zweck jeder Handlung•
Handlungen, die auf das „Wohl und Wehe“ des Handelnden zielen, sind egoistisch•
Zwischen egoistischen und moralischen Handlungen besteht eine strenge Disjunktion•
Der moralische Wert einer Handlung liegt allein in ihrer Beziehung auf Andere•
Es sind nur drei Grund-Triebfedern denkbar:•
Egoismus, der das eigene Wohl will•
Bosheit, die das fremde Wehe will•
Mitleid, welches das fremde Wohl will•
Mitleid als einzige Motivation aller Moral: Zitat Grundlage der Moral, 247f.•
Mitfreude etc. kommt nicht vor; radikaler Gegensatz zu Shaftesbury•
Kern des Mitleids: die Erfahrung des „das bin ich“ (tat vam asi), das Schwinden der Grenze zum Anderen•
(252f.): Gerechtigkeit als präventives Mitleid97
•
geb. 1947•
Eine der bekanntestenamerikanischen Philosophinnen
•
Gemäßigt feministisches Selbstverständnis•
Neostoische bzw. neoaristotelische Ethik•
Wichtigste Titel:•
The Therapy of Desire•
Idee des guten Lebens zentral: Eudämonie•
Wichtig: Unterscheidung zwischen eudämoni-stischen und hedonistischen Urteilen. (Moral ist eudämonistisch!)•
EU‘s beziehen sich auf das, was ein Selbst als intrinsisch seinen Wertschätzungen zugehörig empfindet - dies schließt denSelbstwert anderer ausdrücklich ein
•
HU‘s beziehen sich auf andere nur im Maß ihrer Nützlichkeit für das Selbst99
•
Gefühle sind evaluative Urteile über das, was für‘s Leben wichtig ist (für Individuum/soziale Gruppe)•
Sie beziehen sich auf Personen und Sachverhalte, die für das Gedeihen des Selbst (sein gelingendes Leben ⇒Eudämonie):•
Sehr wichtig sind•
Aber nicht (vollständig) kontrolliert werden können.•
Weil Gefühle kognitive Elemente aufweisen, können sie partiell durch Bildung und Überlegung beeinflußt werden•
Erziehung der Gefühle daher als zentrale pädagogisch-moralische Aufgabe•
Compassion als „a painful emotion occasioned by the awareness of another person‘s undeserved misfortune“•
C is „a conception of human flourishing and the majorpredicaments of human life, the best one the onlooker is able to form“
•
Verbindung zum übergreifenden Moralkonzept:•
„Compassion depends upon the judgments about flourishing the spectator forms; and these will only be as reliable as is the spectator‘s general moral outlook“101
•
Die philosophische Mitgefühlsdebatte:•
Viele Philosophen (z.B. Platon, Seneca, Spinoza, Nietzsche) sehen Mitgefühl negativ; Hauptvorwurf: es sei herablassend und verletze die Würde des Bemitleideten•
Nussbaums Position: der Kampf zwischen Mitgefühlsgegnern und -Freunden spiegelt zwei Anthropologien und politische Visionen:•
Mensch exklusiv als Vernunftwesen, das Würde hat•
Mensch als verletzbares und ungesichertes Wesen, das Würde hat•
Zusammenfassung:•
„Compassion is our species‘ way of hooking the good of others to our fundamentally eudaimonistic (though not egoistic) structure of ourimaginations and our most intense cares.“
•
Compassion bedarf der Einbindung in durchdachte Theorien über•
a.) die menschlichen Basisgüter,•
b.) Handeln und Schuldhaftigkeit•
c.) über das Ausmaß unserer moralischen Verpflichtungen•
Durch Kunst und Literatur kann und muß Compassion sensibilisiert werden (ähnlich bei Richard Rorty) (Frage: Bedeutung der Massenmedien?)103
•
Friedrich Nietzsches Suche nach einem Standpunkt•
„jenseits von Gut und Böse“105
•
Philosoph und Altphilologe, nur für einige Jahre Professor in Basel•
Seit 1889 geistig umnachtet; Pflege und „Vermarktung“ durch die rassistische und später dem NS nahestehende Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche•
Enorme Wirkung auf alle Bereiche der Kultur: Religion, Kunst, Musik, Literatur, Philosophie, Lebensreform•
Radikaler Denker, der Religion und Moral scharf kritisiert•
Ideengut wurde in extrem verflachter Form von den Nationalsozialisten aufgenommen•
Einfluß Schopenhauers, aber positive Wende von dessen Willensbegriff•
Idee der „Umwertung aller Werte“•
Psychologie des Verdachts: Suche nach Lügen, Tarnungen, Ausreden, Illusionen als Geschäft des Philosophen (Zitat GdM)•
Lt. Nietzsche innerer Zusammenhang zwischen der abendländischen Moral und dem Gottesbegriff•
„Fällt der Imperator, fallen auch die Imperative“•
Nähe zu Freuds Psychoanalyse und dessen Religionskritik (vgl. Die Zukunft einer Illusion)107
•
„Jenseits von Gut und Böse“ und v.a.:•
„Zur Genealogie der Moral“•
Literaturtipps:•
Als allererster Einstieg: Projekt Leben, 258/259 u. 364/65•
Nietzsche insgesamt: Wiebrecht Ries, Nietzsche zur Einführung, Junius-Verlag•
Gründliche Darstellung: Werner Stegmeier, Nietzsches „Genealogie der Moral“, Darmstadt 1994•
Was bedeutet es, nach der Herkunft der Moral zu fragen?•
Das Verhältnis von Genese und Geltung, oder: die Rose und der Misthaufen•
Frage nach dem Wert der Moral: hemmt oder fördert sie das menschliche Gedeihen?•
Antidemokratisches Denken: es kommt nicht auf das Glück der Vielen, sondern auf das Erreichen der höchsten Entwicklungshöhe durch einige Wenige ( Übermensch) an•
Letztes Ziel: Bejahung des Lebens, so wie es ist ( Amoralismus, denn in Moral wird das Leben, so wie es ist, normativ kritisiert!), als ewigeWiederkehr des Gleichen
109
•
Erste Abhandlung: „Gut und Böse“, „Gut und Schlecht“•
These: „gut“ hieß ursprünglich „wohlgeraten“ - Selbstbezeichnung der Vornehmen und Mächtigen; „schlecht“ waren die Geringen und zu kurz Gekommenen (Herrenmoral); später habe die Ohnmächtigen den Spieß umgedreht, um sich an den Herren zu rächen (Sklavenmoral)•
An die Stelle des deskriptiven Gegensatzes von Gut und Schlecht tritt damit der normative Gegensatz von Gut und Böse•
Entstehung der universalistischen Moral als raffiniertester Trick der Verlierer: Herrschaft des Geistes des Ressentiments•
„Schuld“ und „Schlechtes Gewissen“:•
Nietzsche nimmt ‚evolutionsbiologische‘ Perspektive ein, fragt nach der Nützlichkeit von Moralvorstellungen•
Entstehung des Schuldbegriffs als Verinnerlichung materieller „Schulden“mittels (Recht auf) Grausamkeit
•
Der „freie Wille“ als Philosophenerfindung, um Vergeltung rechtmäßig erscheinen zu lassen•
„schlechtes Gewissen“ als Verinnerlichung des Schuldgefühls zur Dauerangst vor einem strafenden Gott•
Befreiung von diesen Kategorien (vgl. religiöse Herkunft Nietzsches) als menschheitlicher Durchbruch (!), statt dessen: die „große Gesundheit“, das Leben ohne Ressentiment und Moral111
•
Asketische Ideale:•
Verneinung des Daseins im Sinn höherer Ideale als Grund der Moral•
Typus des „Priesters“ als Vertreter dieser Ideale hoch ambivalent:Verfeinerung, Sublimierung, Geistigkeit, aber auch Nihilismus: Verleugnung dieser Welt, Zucht, schlechtes Gewissen, Sinngebung um den Preis der Verneinung der Welt
•
Bisher einzige Antwort auf die Frage nach dem Lebenssinn (Zitat GdM 411), daher Notwendigkeit neuer Werte: „Brüder, bleibt der Erde treu“ Erfahrung von Moral als Zwang und Repression
Extreme Übersteigerung des Ideals subjektiver Authentizität
Wahrheitsmoment der
psychologischen Kritik: nicht überall, wo Moral draufsteht, ist auch Moral
drin
Wirkungsgeschichte: Nietzsches als Inspirator der Lebensreform-
Bewegung
Stilisierung zur Heilands-Gestalt
113
•
John Deweys Suche nach einer pragmatistischen Ethik•
Mit Charles S. Peirce u.William James bedeu- tendster
pragmatistischer Philosoph
•
Zentralbegriff:Erfahrung
•
Innere Verbindung von Philosophie, Pädagogik und demokratischer Praxis115
Ausschnitt aus der Homepage der
„University of Delaware“, USA:
•
Werte: „emotional besetzte Vorstellungen über dasWünschenswerte; reflexive Standards zur Bewertung unserer Wünsche“ (Soziologe Hans Joas)
•
Werte sind für‘s Handeln zentral, Normen erwachsen erst aus Werten•
Hintergrundproblem: Gegensatz von Wertrelati-vismus und Wertobjektivismus (Willkür vs. Präexistenz)•
Dewey: Ausgangspunkt Wünsche; sie erwachsen aus organismischen Interaktionen mit der Umwelt117
•
Durch den intersubjektiven Austausch werden Wünsche reflektiert, kritisiert und bewertet•
So entsteht die moralkonstitutive Unterscheidung zwischen dem, was faktisch „desired“ ist und dem, was der Handelnde fürnormativ „desirable“ hält.
•
Werte sind weder subjektiv, noch objektiv, sie entstehen vor dieser Unterscheidung im Austausch zwischen Menschen und ihrerUmwelt
•
„Es ist ebenso erstaunlich wie deprimierend zu sehen, daß die Menschheit so viel Energie auf den (mit Waffen des Fleisches wie des Geistes geführten) Kampf um die Wahrheit der religi-ösen,moralischen und politischen Glaubens-bekenntnisse gewendet hat im Unterschied zu der geringen Anstrengung, Glaubensbekennt- nisse einer Überprüfung auszusetzen, indem man nach ihnen handelt.“
Aus: John Dewey, Die Suche nach Gewißheit
119
•
Kampf gegen die Vorstellung unveränderlicher moralischer Ideen, bes. gg. die Idee eines höchsten Guts•
Weg von Prinzipien, hin zu situationsgerechtem Handeln:•
„eine moralische Situation ist eine, in der Urteil und Wahl vor der eigentlichen Handlung gefordert sind“•
„Handeln ist immer spezifisch, konkret, individualisiert, einzigartig“•
Der Zweck heiligt niemals die Mittel, schon die Unterscheidung selbst ist fragwürdig•
„Nicht Perfektion als ein endgültiges Ziel, sondern der immer andauernde Prozeß der Vervollkommnung, der Reifung, der Verfeinerung ist das Ziel des Lebens, Ehrenhaftigkeit, Fleiß, Besonnenheit, Gerechtigkeit, wie Gesundheit, Reichtum undBildung sind nicht Güter, die man besitzen soll, wie sie es wären, wenn sie unwandelbare Ziele ausdrückten, die es zu erreichen gilt.
Sie sind Richtungen der Veränderung in der Qualität der
Erfahrung. Wachstum selbst ist das einzige moralische ‚Ziel‘.“
121
•
Optimismus und Pessimismus sind der moralischen Situation gleichermaßen unangemessen.•
Meliorismus (W. James) ist dagegen „der Glaube, daß diespezifischen Bedingungen, die in einem bestimmten Augenblick bestehen, seien sie vergleichsweise schlecht oder vergleichsweise gut, in jedem Fall verbessert werden können.“
•
Der Erziehungsprozeß fällt mit dem moralisch Prozeß vollkommen in eins•
„Wachsen oder die kontinuierliche Neugestaltung der Erfahrung (ist) das einzige Ziel“•
„Erziehung bedeutet, jeweils den Grad und die Art von Wachstum zu erhalten, die in der Gegenwart möglich sind. Dies ist einekonstante Funktion, unabhängig vom Alter.“
123
•
„Regierung, Geschäft, Kunst, Religion, alle sozialen Institutionen haben eine Bedeutung, einen Zweck: Dieser Zweck besteht darin, die Fähigkeiten der menschlichen Individuen freizusetzen und zu entwickeln, ohne Rücksicht auf Rasse, Geschlecht, Klasse oder ökonomischen Status. ... Demokratie hat viele Bedeutungen, aber wenn sie eine moralische Bedeutung hat, dann findet sie sich in der Entscheidung, daß der Prüfstein aller politischen Institutionen und industriellen Einrichtungen in dem Beitrag besteht, den sie zum all- seitigen Wachstum jedes Mitglieds der Gesellschaftbeisteuern.“ (John Dewey, Die Erneuerung der Philosophie)
•
Geb. 1929•
Bekanntester lebender deutscher Philosoph•
Hauptwerk 1981:•
Theorie des kommunikativen Handelns•
Begründung der Ethik auf der Basis der menschlichenSprache
125
•
Anspruch ähnlich Kant: Rekonstruktion der tatsächlichen normativen Voraussetzungen unseres Alltagshandelns•
Linguistisch-intersubjektivitätstheoretische Wende: nicht Analyse des Bewußtseins einer moralischen Person, sondern Anknüpfung an den moralischen Gehalt der Verständigung zwischen Personen•
Fragestellung der PSA: welche moralischen Verpflichtungen undRechte müssen Personen notwendig unterstellen, wenn sie sich auf die Verständigung durch Argumente einlassen?
127
•
Gebrauch von Sprache mit der Absicht, andere nicht zu deneigenen Zwecken bloß zu überreden, sondern gemeinsam einen Konsens⇐ zu finden (Einsicht aller statt Durchsetzung einiger)
•
Unterschied Konsens Kompromiß•
Wenn Konsens problematisch wird (neue Fragen,Meinungsverschiedenheiten etc. auftauchen), sollte das
kommunikative Handeln in einen Diskurs überführt werden