• Keine Ergebnisse gefunden

Früherkennung von Kindeswohlgefährdung im Früh bereich (0 5 Jahre) Eine Arbeitshilfe für Fachpersonen

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Früherkennung von Kindeswohlgefährdung im Früh bereich (0 5 Jahre) Eine Arbeitshilfe für Fachpersonen"

Copied!
44
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Direktion für Inneres und Justiz des Kantons Bern Kantonales Jugendamt

(2)

Kontakt/Auskunft:

Kantonales Jugendamt Hallerstrasse 5 Postfach 3001 Bern 031 633 76 33 kja-bern @be.ch

3. Auflage Februar 2020

(3)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . 4

Einleitung . . . 5

Das Wohl des Kindes . . . 6

… und dessen Gefährdung . . . 7

Teil 1 Praxis der Früherkennung von Kindeswohlgefährdung . . . 8

1 Das Ampelsystem . . . 8

1.1 Risikobelastung und Ressourcen klären . . . 8

1.2 Fachspezifische Beratung . . . 10

2 Der Entscheidungsbaum . . . 11

2.1 Vorgehen bei «grün» . . . 11

2.2 Vorgehen bei «gelb»: . . . 11

2.3 Vorgehen bei «orange» . . . 12

2.4 Vorgehen bei «rot» . . . 13

Teil 2 Informationsaustausch zwischen Fachpersonen . . . 14

Anhang A Einschätzungshilfen . . . 17

B Wer hat welche Aufgabe im Kindesschutz? . . . 38

C Adressen von Beratungsstellen . . . 40

(4)

Im Kindesschutz ist die Früherkennung von Kindeswohlgefährdung zu einer zunehmend wichtigen Handlungsmaxime geworden: Kin- der, die in ihrer psychischen, physischen und sexuellen Entwicklung gefährdet sind, sollen frühzeitig erfasst werden und individuelle Unter- stützung erhalten. Studien zeigen, dass frühe stressreiche Erfahrungen wie Vernachlässi- gung oder Misshandlung zu dauerhaften neu- robiologischen und hormonellen Veränderun- gen führen, die ein Kind lebenslang vulnerabel für Stress und psychische Erkrankungen ma- chen. Aufgrund der entwicklungspsychologi- schen Besonderheit von Säuglingen und Klein- kindern ist Kindesschutz eine interdisziplinäre und systemübergreifende Angelegenheit, die nicht mit isolierten Massnahmen und Kompe- tenzen einer fachlichen Disziplin allein abge- deckt werden kann. Es braucht eine klare und verbindliche Zusammenarbeit zwischen Fach- personen aus unterschiedlichen Disziplinen. Im Zusammenhang mit der Früherkennung sollen Eltern in ihren Erziehungs-, Betreuungs- und Schutzaufgaben soweit gestärkt werden, dass einschneidendere Interventionen vermieden werden können.

Im Rahmen des Konzepts Frühe Förderung im Kanton Bern wurde das Kantonale Jugendamt im Jahr 2013 mit der Umsetzung der Mass- nahme «Früherkennung im Frühbereich – ver- bindliche Zusammenarbeit als Voraussetzung für einen funktionierenden Kindesschutz» be- auftragt. Unter engem Einbezug wichtiger Ak- teure wurden in der Folge fachliche Grundlagen für die Einschätzung zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung erarbeitet, bestehende Angebotsstrukturen optimiert sowie Koopera-

tionsstrukturen entwickelt. Zusammenarbeit innerhalb der professionellen Strukturen und ein gemeinsam geteiltes Verständnis über Be- deutung, Inhalt und Ziel der Früherkennung sind zwingende Voraussetzungen für einen funktionierenden Kindesschutz.

Die vorliegende Broschüre richtet sich an Fach- personen im Frühbereich (0 – 5 Jahre), die mit (werdenden) Eltern und Kleinkindern in Kontakt stehen, insbesondere an Ärzte und Ärztinnen, Hebammen, an Fachpersonen aus dem Bereich Kinderbetreuung sowie an Fachpersonen aus der Sozial- und Heilpädagogik. Ziel ist es, einen Gesamtüberblick über Einschätzungshilfen zu geben und das konkrete Vorgehen im Rahmen der Früherkennung von Kindeswohlgefährdung aufzuzeigen. Weiter soll die Broschüre im Sinne einer Orientierungshilfe zur Sensibilisierung und zu einem gemeinsamen Verständnis eines um- fassenden Kindesschutzes beitragen.

Wir danken zum einen der Fachstelle für Kin- der-, Jugend- und Familienfragen des Kantons Thurgau, welche uns die Broschüre «Vernet- zung und Zusammenarbeit bei Frühen Hilfen und im Kinderschutz» (2013) freundlicherweise als Grundlage zur Verfügung gestellt hat. Zum anderen danken wir den Mitgliedern der Pro- jektgruppe1, welche mit ihrem Fachwissen massgeblich zur Umsetzung des Projekts bei- getragen haben.

Andrea Weik

Amtsleiterin Kantonales Jugendamt Bern

Vorwort

1 Abelin Yves (Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Seeland, bis April 2016), Christen Esther (Sozialamt, Gesund- heits- und Führsorgedirektion), Durrer Dominik (Verein Berner Haus- und Kinderärzte), Gund Kathrin (Hebammenverband Sektion Bern), Häfliger Luzia (Mütter- und Väterberatung Kanton Bern), Hanhart Judith (Berner Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt, Polizei- und Militärdirektion), Schärmeli Andrea (Berner Gesundheit), Schmid David (Amt für Kinder- garten, Volksschule und Beratung, Erziehungsdirektion), Sidler Jacqueline (Projektleitung, Kantonales Jugendamt Bern, Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion).

(5)

Die vorliegende Broschüre ist in zwei Teile gegliedert:

Im ersten Teil werden Einschätzungshilfen für Fachpersonen zur Früherkennung von Kindes- wohlgefährdung sowie zum Vorgehen in Zusam - menarbeit mit anderen Fachpersonen vorgestellt.

Der zweite Teil veranschaulicht den Informa- tionsaustausch zwischen Fachpersonen unter Berücksichtigung des Daten- und Persönlich- keitsschutzes.

Im Anhang sind die Einschätzungshilfen aufge- führt, Aufgaben zentraler Akteure beschrieben sowie Adressen von Beratungsstellen aufgelistet.

Sinn und Zweck dieser Broschüre Die Broschüre dient der Sensibilisierung zum Thema Kindesschutz und ist eine Orientierungs- hilfe für den praktischen Alltag. Sie bringt Klä- rung, wohin sich Fachpersonen für eine Fach- beratung im Bereich Kindesschutz wenden können und gibt einen Überblick über die Imple- mentierung der Einschätzungshilfen. Für Fach- personen, die in der Praxis mit den Einschät- zungshilfen arbeiten, bietet die Broschüre einen Überblick über deren Aufbau und Anwendung.

Ziel der Früherkennung von Kindeswohlgefähr- dung ist, die Anzeichen einer möglichen Kin- deswohlgefährdung frühzeitig wahrzunehmen sowie angemessene und koordinierte Unter- stützung für die betroffenen Kinder und deren Familien zu leisten. Was für alle Kinder gilt, hat im Frühbereich (0 – 5 Jahre) eine besondere Be- deutung: Kleine Kinder sind in besonderem Mass abhängig von ihrem familiären und sozia- len Umfeld. Eine frühzeitige fachliche Hilfe stel- lung kann die Eltern unterstützen, ihre Betreu- ungs-, Erziehungs- und Schutzaufgaben entspre- chend dem Bedürfnis des Kindes wahrzunehmen.

Vor diesem Hintergrund kommt Fachpersonen im Frühbereich eine wichtige Rolle zu: Sie stehen in ihrem beruflichen Alltag regelmässig in Kontakt mit Kindern und deren Eltern und können Anzei- chen einer Gefährdung frühzeitig wahrnehmen.

Damit Früherkennung gelingt, braucht es stabi- le Brücken zwischen den Akteuren, die mit Kin- dern und Eltern in Kontakt stehen. Verlässliche Netzwerke und verbindliche Kooperationsstruk- turen ermöglichen Übergänge zu weiterführen- den Hilfen und sind für einen funktionierenden Kindesschutz unerlässlich. Voraussetzung für deren Gelingen ist nicht nur das Bewusstsein über die eigenen professionellen Möglichkeiten.

Auch die Kenntnis der Zuständigkeiten und Auf- träge der weiteren Fachstellen sind für die Zu- sammenarbeit nötig.

Die Umsetzung des Projekts «Früherkennung im Frühbereich – verbindliche Zusammenarbeit als Voraussetzung für einen funktionierenden Kindesschutz» sowie die Inhalte dieser Bro- schüre basieren auf den Erfahrungen aus dem Modellprojekt «Guter Start ins Kinderleben – Werkbuch Vernetzung. Chancen und Stolper- steine interdisziplinärer Kooperation und Ver- netzung im Bereich Früher Hilfen und im Kindesschutz», welches im Jahre 2011 vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen in Deutschland herausgegeben wurde.

Eine frühzeitige fachliche Hilfestellung kann die Eltern unterstützen, ihre Betreuungs-, Erziehungs- und Schutzaufgaben ent- sprechend dem Bedürfnis des Kindes wahrzunehmen.»

«

(6)

Die Bundesverfassung (Art. 11) und das Schwei- zerische Zivilgesetzbuch (Art. 301 Abs. 1) bieten keine eigentliche Definition des Kindeswohls.

Beim unbestimmten Rechtsbegriff Kindeswohl handelt es sich um ein Leitprinzip für staatliches Handeln: Es gilt der Vorrang des Kindeswohls in einem umfassenden Sinne. Angestrebt wird eine altersgerechte Entfaltungsmöglichkeit des Kindes in geistig-psychischer, körperlicher und sozialer Hinsicht, wobei in Beachtung aller kon- kreten Umstände nach der für das Kind best- möglichen Lösung zu suchen ist.

Gemäss UN-Kinderrechtskonvention (von der Schweiz 1997 ratifiziert) lässt sich das Kindes- wohl in sechs «Basic Needs2» fassen:

– Bedürfnis nach Liebe, Akzeptanz und Zuwen- dung

– Bedürfnis nach Ernährung und Versorgung – Bedürfnis nach stabilen Bindungen

– Bedürfnis nach bestmöglicher Gesundheits- fürsorge

– Bedürfnis nach Schutz vor Gefahren von ma- terieller, emotionaler und sexueller Ausbeu- tung

– Bedürfnis nach Wissen, Bildung und Vermitt- lung hinreichender Erfahrung

Das Wohl des Kindes …

2 Quelle: Fegert, Jörg M.: Welches Wissen erleichtert dem Verfahrenspfleger die Kommunikation mit Kindern?

In: Familie, Partnerschaft, Recht, 2. Jg. (1999), Heft 6, S. 321 – 327.

Angestrebt wird eine altersgerechte Entfaltungs- möglichkeit des Kindes, wobei in Beachtung aller konkreten Umstände nach der für das Kind best- möglichen Lösung zu suchen ist.»

«

(7)

Die Gefährdung dieser Bedürfnisse kann die gesunde Entwicklung des Kindes beeinträchti- gen und gefährden.

Eine Gefährdung des Kindeswohles besteht, wenn die Grundbedürfnisse und Grundrechte des Kindes nicht erfüllt sind und das Kind sich nicht seinen Potenzialen entsprechend entfal- ten kann sowie vermeidbares Leid nicht verhin- dert wird. In rechtlicher Hinsicht wird von einer Gefährdung gesprochen, sobald nach den Um- ständen die ernstliche Möglichkeit einer Beein- trächtigung des körperlichen, geistigen oder psychischen Wohls des Kindes vorauszusehen ist. Nicht erforderlich ist, dass sich diese Mög- lichkeit schon verwirklicht hat. Unerheblich sind die Ursachen der Gefährdung: Sie können in den Anlagen oder in mangelnden Ressourcen und Kompetenzen des Kindes, der Eltern oder der weiteren Umgebung liegen.3

Gefährdungsformen

Vernachlässigung: Nichterfüllen kindlicher Bedürfnisse durch Unterlassen oder Entzug der notwendigen Fürsorge (Ernährung, Pflege), Aufsicht (Betreuung, Schutz vor Gefahren) und Anregung (zur motorischen, geistigen, emotionalen und sozialen Entwicklung).

Psychische Gefährdung: Beeinträchtigung oder Schädigung der Entwicklung aufgrund von Ablehnung, Drohung, Beschimpfung, Blossstellung, Demütigung, Verachtung, Abwertung, Isolation oder Nichtbeach- tung. Das Miterleben elterlicher Paargewalt und die Instrumentalisierung von Kindern in eskalierenden El- ternkonflikten gelten aktuell als häufigste Form psychischer Gefährdung.

Körperliche Misshandlung: Schläge oder andere gewaltsame Handlungen wie Verbrennen, Würgen, Schütteln, Verbrühen sowie weibliche Genitalverstümmelung.

Sexueller Missbrauch: Jede sexuelle Handlung mit oder ohne Körperkontakt, die an oder vor einem Kind vorgenommen wird.

3 Quelle: Hegnauer, Cyril (1999): Grundriss des Kindes- rechts und des übrigen Verwandtschaftsrechts, Bern (5. Auflage).

Eine Gefährdung des Kindeswohles besteht, wenn die Grundbedürfnisse und Grundrechte des Kindes nicht erfüllt sind und das Kind sich nicht seinen Potenzialen entsprechend entfalten kann sowie vermeidbares Leid nicht verhindert wird.»

«

(8)

1.1 Risikobelastung und Ressourcen klären

Die Grenzen zwischen Normalität, Belastung und Gefährdung sind häufig nicht eindeutig. Im Einzelfall gibt es unterschiedliche Faktoren, die einer Gefährdung des Kindeswohls zugrunde liegen können. Merkmale, welche die Wahr- scheinlichkeit einer Kindeswohlgefährdung er- höhen wie finanzielle Notlage, psychische Prob- leme eines Elternteils oder häusliche Gewalt nennt man Risikofaktoren. Gleichzeitig können Ressourcen wie feinfühliges Erziehungsverhal- ten, fröhliches Temperament oder hohe Selbst- wirksamkeitserwartung des Kindes die Wirkung der Risikofaktoren vermindern (Schutzfaktoren).

Vor dem Hintergrund der in der Fachliteratur be- kannten Risiko- und Schutzfaktoren unterstüt- zen die Einschätzungshilfen, die beobachtba- ren Anhaltspunkte für eine Gefährdung zu strukturieren, zu gewichten und auf dieser Ba- sis den Unterstützungsbedarf und das weitere Vorgehen zu planen.

1 Das Ampelsystem

Die Mehrheit der Gefährdungssituationen, mit denen sich Fachpersonen im Frühbereich be- fassen, befinden sich in der Grauzone: Das Kin- deswohl ist möglicherweise gefährdet und es gibt Anzeichen von inadäquatem Verhalten der Eltern oder der erwachsenen Bezugspersonen.

Das Ampelsystem ist ein Instrument zur Risiko- einschätzung einer vorliegenden Situation. Es unterstützt Fachleute bei einem «unguten Ge- fühl» oder Verdacht auf Gefährdung und klärt das weitere Vorgehen. Die unterschiedlichen Situationen werden mit einer grünen, gelben, orangen oder roten Ampel gekennzeichnet.

Grün bedeutet, dass kein erkennbarer Unter- stützungsbedarf für die Familie vorliegt, gelb und orange bedeutet, dass ein Unterstützungs- bedarf vorhanden respektive Unterstützung notwendig ist und rot, dass das Kindeswohl gefährdet und Unterstützung zwingend not- wendig ist.

Teil 1

Praxis der Früherkennung von Kindeswohlgefährdung

4 Quelle: Hauri, Andrea; Jud, Andreas; Lätsch, David & Rosch, Daniel (2015): Berner und Luzerner Abklärungsinstrument zum Kindesschutz. Berner Fachhochschule und Hochschule Luzern – Soziale Arbeit.

5 Telefonische Erreichbarkeit nach KESB-Kreisen unter: https://www.jgk.be.ch/jgk/de/index/direktion/organisation/kesb/

kesb_kreise.html. Ausserhalb der Bürozeiten kann die KESB via Notfall Polizei (117) eingeschaltet werden.

Akute Kindeswohl gefährdung

Es gibt Anhaltspunkte4, die darauf hindeuten, dass sofort gehandelt werden muss um das Kind vor einer erheblichen Gefahr zu schützen. Im Folgenden einige Beispiele:

– Es bestehen deutliche Anhaltspunkte, dass das Kind zurzeit erheblich körperlich misshan- delt oder sexuell ausgebeutet wird oder dass es in den nächsten Stunden oder Tagen dazu kommen wird.

– Es bestehen deutliche Anhaltspunkte, dass das Kind aufgrund einer Vernachlässigung zurzeit oder in den nächsten Stunden oder Tagen an Leib und Leben bedroht ist.

– Eine Betreuungsperson verweigert der Fachperson den Zugang zum Kind oder der Auf- enthaltsort des Kindes ist unbekannt oder es gibt Anhaltspunkte, dass das Kind in den nächsten Tagen an einen unbekannten Ort gebracht wird.

Bei einer akuten Kindeswohlgefährdung ist umgehend die Kindes- und Erwachsenenschutz- behörde (KESB) zu kontaktieren5.

(9)

Bestehen keine Anhaltpunkte für eine akute Gefährdung, sind die Risiko- und Schutzfaktoren zu prüfen (siehe Einschätzungshilfen im Anhang) und folgende Fragen zu beantworten:

Fühlt sich die Fachperson mit der Risikoeinschätzung unsicher (Einschätzung der eigenen Sicherheit = 1 bis 3), ist eine Besprechung im Team oder die Nutzung des entsprechenden Coaching-Angebots durch die Mütter- und Väterberatung Kan- ton Bern im Rahmen der fachspezifischen Beratung vorzusehen.

Wie hoch schätzen Sie das Risiko einer Kindeswohlgefährdung für das Kind ein?

1 2 3 4 5

sehr niedrig

niedrig

eher hoch

hoch

sehr hoch

Wie sicher fühlen Sie sich in der Einschätzung, ob eine Kindeswohl­

gefährdung vorliegt?

1 2 3 4 5

sehr unsicher

unsichereher unsicher

sichersehr sicher

Auf der Basis der Einschätzung des Risikos und der eigenen Sicherheit wird die Situation, in der sich das Kind befindet, mit einer grünen, gelben, orangen oder roten Ampel gekennzeichnet.

Risiko < 3 Sicherheit ≥ 4

Risiko < 3 Sicherheit < 4

Risiko ≥ 3 Sicherheit < 4

Risiko ≥ 3 Sicherheit ≥ 4

(10)

men von vertieften Gesprächen. Bis zur erfolgreichen Triage bleibt die Verantwortung über den Fall bei der meldenden Institution.

Die Zusammenarbeit zwischen Hebammen und der Mütter- und Väterberatung basiert auf derselben fachlichen Grundlage, sieht jedoch aufgrund der Vereinbarung zwischen dem Heb- ammenverband Sektion Bern und der Mütter- und Väterberatung eine spezifische Koopera- tion mit verbindlicher Übergabepraxis vor7. Entsprechend sind die Einschätzungshilfen für die Zielgruppe der freipraktizierenden Hebam- men angepasst (siehe Anhang).

Fachberatung durch die kantonalen Erziehungsberatungsstellen

Die kantonale Erziehungsberatung (EB) ist unter anderem beauftragt, die kinder- und jugend- psychologische sowie die schulpsychologische Versorgung sicherzustellen und alle Massnah- men zur Verbesserung der Erziehungs-, Schu- lungs- und Entwicklungsverhältnisse zu för- dern. Die EB unterstützt Familien, Lehrkräfte, andere Erziehende, Behörden und Institutionen mit Rat und Anleitung.

Die Einschätzung einer Gefährdungssituation und das Besprechen der weiteren Vorgehens- weisen gehören zum Grundauftrag der EB. Die EB wird von der KESB bei komplexen Fragen der Kindeswohlgefährdung beauftragt, eine Be- gutachtung der Situation durchzuführen und einen Massnahmenkatalog vorzuschlagen.

1.2 Fachspezifische Beratung

Die Mütter- und Väterberatung Kanton Bern hat einen Auftrag des Kantons Bern als Koopera- tionspartner für die fachspezifische Beratung im Frühbereich. Fachpersonen können sich bei Unsicherheiten in der Situationseinschätzung oder zum konkreten Vorgehen an die Mütter- und Väterberatung wenden6. Der Einbezug er- fahrener Fachpersonen dient häufig der per- sönlichen Entlastung und hilft die professionelle Verantwortung zu tragen.

Inhalte der fachspezifischen Beratung durch die Mütter- und VäterberatungCoaching zur Situationseinschätzung:

Die von der Fachperson vorgenommene Ein- schätzung wird überprüft, indem Rückfragen sowie Sach- und Verständnisfragen gestellt werden. Zeigt die überprüfte Situationsein- schätzung erneut die Notwendigkeit von Un- terstützungsleistungen auf (Fall bleibt orange oder rot), wird in einer zweiten Phase des Coa- ching-Gesprächs die Triage der Eltern geklärt.

– Klärung des Vorgehens für Triage der El- tern: Die Triage hat zum Ziel, Eltern zum Woh- le des Kindes zur Annahme weiterführender Hilfen zu motivieren. Je nach Situation führt die Institution nach entsprechendem Coa- ching selber oder im Beisein der fachverant- wortlichen Mütter- und Väterberaterin das Triage-Gespräch durch.

– Weiterführendes Beratungsangebot der Mütter- und Väterberatung: Bei Einwilligung der Eltern erfolgt die Triage an die Mütter- und Väterberatung. Diese übernimmt die Fallfüh- rung in der Kindesschutzthematik und erar- beitet mit den Eltern Hilfeleistungen im Rah-

6 Kontakt für die fachspezifische Beratung: Mütter- und Väterberatung Kanton Bern, Tel. 031 370 00 20.

7 vgl. Konzept «Übergabe freipraktizierende Hebamme an Mütter- und Väterberatung Kanton Bern» unter https://www.mvb-be.ch/de/fachpersonen/hebammen

(11)

2 Der Entscheidungsbaum

Der Entscheidungsbaum unterstützt Fachper- sonen im Frühbereich, das weitere Vorgehen zu planen und die vorhandenen Kooperations- strukturen zu nutzen.

2.1 Vorgehen bei «grün»

Kein Unterstützungsbedarf

Bei der Einschätzung eines geringen Risikos der kindlichen Entwicklung mit hoher subjekti- ver Sicherheit besteht kein Unterstützungsbe- darf und es werden keine weiteren Hilfestellun- gen eingeleitet. Gegebenenfalls können die Eltern über allgemeine Elternbildungs- und Hil- feangebote informiert werden.

2.2 Vorgehen bei «gelb»

Unterstützungsbedarf vorhanden

Gelangt die Fachperson zum Ergebnis, dass ein Unterstützungsbedarf in der Familie vorliegt und sind die Eltern zur Annahme von Unterstüt- zung bereit, werden die entsprechenden Hilfe- stellungen eingeleitet. Im Rahmen der Vermitt- lung an die geeignete Fachstelle ist zu klären, welche Schritte die Eltern selber einleiten res- pektive wie sie einbezogen werden können. Die Inanspruchnahme der Unterstützungsangebo- te wird nicht überprüft, jedoch wird die weitere Entwicklung beobachtet und der Kontakt zu den Eltern aufrechterhalten.

Risiko < 3 Sicherheit ≥ 4

Kein Unterstützungsbedarf

Sind die Eltern nicht zur Annahme von Hilfen bereit, kann gegen ihren Willen keine weitere Unterstützungsleistung vorgenommen werden und insbesondere keine Datenweitergabe statt- finden (vgl. Teil 2 – Informationsaustausch zwi- schen Fachpersonen). Die Fachperson beob- achtet aufmerksam den weiteren Verlauf.

Wichtig ist, den Kontakt zu den Eltern aufrecht- zuerhalten.

Risiko <3 Sicherheit < 4

Überprüfen der Einschätzung im Team/Vorgesetzte

Sorgeberechtigte

– zeigen Problemakzeptanz und Veränderungs­

bereitschaft

– haben Kooperationsfähigkeit und Kooperati­

onsbereitschaft zur Problemlösung – sind vereinbarungsbereit und ­fähig

Nein:

Information über mögliche Hilfe­

leistungen – Beobachten

des weiteren Verlaufs

Ja:

Vermittlung an geeignete Stelle – Keine Überprüfung

der Inanspruchnah­

me der Hilfestellung – Beobachten

des weiteren Verlaufs

Der Entscheidungsbaum unterstützt Fachpersonen zu planen und vorhandene Strukturen zu nutzen.»

«

(12)

2.3 Vorgehen bei «orange»

Unterstützung notwendig

Beurteilt die Fachperson das Risiko als «eher hoch», «hoch» oder «sehr hoch», fühlt sich je- doch bei dieser Einschätzung nicht sicher, ist eine Fallbesprechung im Team oder mit Vorge- setzten angezeigt. Zudem steht den Fachper- sonen das Coaching-Angebot zur Situations- einschätzung der Mütter- und Väterberatung zur Verfügung. Wird nach Anwendung des Vier- Augen-Prinzips die Notwendigkeit von Unter- stützungsbedarf bestätigt, sind die Eltern zur Annahme weiterführender Hilfen zu motivieren.

Im Rahmen der fachspezifischen Beratung (vgl.

1.2) klärt die Fachperson mit der Mütter- und Väterberatung das Vorgehen für die Triage der Eltern. Im Einverständnis mit den Eltern über- nimmt die Mütter- und Väterberatung die Fall- führung in der Kindesschutzthematik und erar- beitet im Rahmen von vertiefenden Gesprächen gemeinsam mit den Eltern Hilfestellungen und leitet Hilfeangebote ein.

Nehmen die Eltern keine weiterführenden Un- terstützungsangebote in Anspruch, wird die vorliegende Situation als rot eingestuft.

Risiko ≥ 3 Sicherheit < 4

Fallbesprechung im Team/Vorgesetzte und Absprache über weiteres Vorgehen

Weiterführende fachspezifische Beratung zu Kindesschutzfragen

Angebot des Kooperationspartners im Frühbe­

reich (Mütter­ und Väterberatung Kanton Bern)

Coaching für Fachpersonen Reflektierende Rückfragen

zur Einschätzung Einschätzung bleibt orange oder rot

Coaching für Fachpersonen Klärung des Vorgehens für Triage

der Eltern

Triage­Gerspräch Institution mit Eltern Bei Einwilligung der Eltern Weiterführendes Beratungsangebot

MVB BE – vertiefendes Gspräch Abklärung Hilfsbedarf und Einleitung

von Hilfeangebote

(13)

2.4 Vorgehen bei «rot»

Unterstützung zwingend

Ergibt die Einschätzung, dass ein hohes Risiko für eine Kindeswohlgefährdung besteht und fühlt sich die Fachperson mit dieser Einschät- zung sicher, ist eine Unterstützungsleistung zwingend notwendig. Nach Absprache im Team oder mit Vorgesetzten wird die Kontakt- aufnahme mit der Mütter- und Väterberatung empfohlen. Im Rahmen der fachspezifischen Beratung (vgl. 1.2) sieht das Coaching- und Be- ratungsangebot folgende Schritte vor:

– Überprüfung der Situationseinschätzung – Klärung des Vorgehens für die Triage der Eltern – Fallführung in der Kindesschutzthematik mit

Abklärung und Einleitung der weiterführen- den Unterstützung8 bei Einwilligung der Eltern.

Risiko ≥ 3 Sicherheit ≥ 4

Fallbesprechung im Team/Vorgesetzte und Absprache über weiteres Vorgehen

Weiterführende fachspezifische Beratung zu Kindesschutzfragen

Angebot des Kooperationspartners im Früh­

bereich (Mütter­ und Väterberatung Kanton Bern)

Coaching für Fachpersonen Reflektierende Rückfragen

zur Einschätzung Einschätzung bleibt orange oder rot

Coaching für Fachpersonen Klärung des Vorgehens für Triage

der Eltern

Triage­Gerspräch Institution mit Eltern Bei Einwilligung der Eltern Weiterführendes Beratungsangebot

MVB BE – vertiefendes Gspräch Abklärung Hilfsbedarf und Einleitung

von Hilfeangebote

Meldung an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Nehmen die Eltern trotz des bestehenden Un- terstützungsbedarfs kein Angebot in Anspruch, ist eine Gefährdungsmeldung an die KESB vorzu- sehen (vgl. Formular «Meldung einer eventuellen Kindeswohlgefährdung» unter www.jgk.be.ch).

Die KESB beurteilt die Situation des Kindes und der Familie und trifft falls nötig geeignete Mass- nahmen, um das Kind und die Eltern bestmög- lich zu unterstützen. Dabei geht es unter ande- rem auch darum, die Kompetenzen der Eltern soweit zu stärken, dass diese ihre Erziehungs-, Betreuungs- und Schutzaufgaben wahrneh- men können. Im Zentrum stehen immer das Kind und die Abwendung der Gefährdung.

Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die KESB auch eine beratende Funktion hat: Fach- personen können die Frage, ob eine Gefähr- dungsmeldung angezeigt ist, mit der KESB im Rahmen einer anonymen Fallberatung klären.

8 Bei Bedarf zieht die Mütter- und Väterberatung im Einverständnis mit den Betroffenen Fachstellen wie Ernährungs- beratung, Erziehungsberatung oder Suchtberatung hinzu.

(14)

möglich beschrieben werden (vgl. Anhang – wer hat welche Aufgabe im Kindesschutz?).

Weiter beeinflusst eine wertschätzende und überzeugte Haltung der Kooperationspartner untereinander erwiesenermassen die Bereit- schaft der Betroffenen zur Inanspruchnahme von Hilfestellungen.

Bereich behördlicher Kindesschutz Grundsatz:

– Informationsweitergabe an die KESB allenfalls gegen den Willen, aber nicht ohne Wissen der Sorgeberechtigten (Transparenzgebot).

Ausnahme des Transparenzgebotes:

– akute Kindeswohlgefährdung

Bereich Früherkennung und einver- nehmlicher Kindesschutz

Grundsatz:

– Informationsweitergabe an eine Fachstelle nur im Einverständnis mit den Sorgeberechtigten.

Ausnahme:

– Keine! Sonst:

Im Bereich des behördlichen Kindesschutzes geht es um die Informationsweitergabe an die KESB, welche im Zivilgesetz (ZGB) geregelt ist:

– Jede Person kann der KESB Meldung erstat- ten, wenn die körperliche, psychische oder sexuelle Integrität eines Kindes gefährdet er- scheint (Art. 314c Abs. 1 ZGB).

– Liegt eine Meldung im Interesse des Kindes, sind auch Personen meldeberechtigt, die dem Berufsgeheimnis nach Strafgesetzbuch 9 un- terstehen (Art. 314c Abs. 2 ZGB). Sie müssen sich nicht vom Berufsgeheimnis entbinden lassen.

– Folgende Fachpersonen sind zu einer Mel- dung an die KESB verpflichtet, wenn konkrete Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung be- Zusammenarbeit setzt immer voraus, dass In-

formationen ausgetauscht werden. Die verschie- denen Stellen, Behörden und Fachpersonen stehen in einem Spannungs verhältnis zwischen Informationsbedürfnis und Vertrauensschutz:

Was darf gemeldet werden, wie weit reicht die Schweigepflicht, wo setzt der Datenschutz Grenzen? Wie können zu den Eltern und Kin- dern vertrauensvolle Beziehungen geknüpft werden, und wann soll durch Informationswei- tergabe weiteren Fachstellen und Behörden der Zugang zu Kindern ermöglicht werden, ohne dass die aufgebaute Beziehung einen Ver- trauens bruch erleidet?

Das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre und Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten (Art. 13 Abs. 1 und 2 BV) setzt dem Austausch besonders schützenswerter Personendaten grundsätzlich eine Schranke. Es gibt nur zwei Wege, die einen Informationsaustausch persön- licher Daten legitimieren: 1. Einwilligung, 2. ge- setzliche Grundlage/Amtshilfe.

Im Bereich der Früherkennung und des einver- nehmlichen Kindesschutzes ist ein Informa- tionsaustausch zwischen Fachstellen nur im Ein- verständnis mit den Sorgeberechtigten möglich.

Vor dem Hintergrund, dass Unterstützungsleis- tungen nur dann erfolgsversprechend sind, wenn sie von Betroffenen als sinnvoll beurteilt wer- den, lässt sich dies nicht nur als Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit, sondern auch aus fachli- cher Sicht begründen. Es empfiehlt sich, Einwil- ligung als Prozess zu betrachten: Eine Einwilli- gung seitens der Sorgeberechtigten liegt unter Umständen nicht immer sofort vor, sondern muss im Gespräch und in der Begegnung erst erarbeitet und sichergestellt werden. Den Eltern sollen Unterstützungsangebote so konkret wie

Teil 2

Informationsaustausch zwischen Fachpersonen

9 Art. 321 Abs. 1: Geistliche, Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare, Patentanwälte, nach Obligationenrecht zur Verschwiegen- heit verpflichtete Revisoren, Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktoren, Apotheker, Hebammen, Psychologen sowie ihre Hilfs- personen, die ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, werden, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

(15)

stehen und sie der Gefährdung im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit nicht Abhilfe schaf- fen können (Art. 314d Abs. 1 ZGB):

– Fachpersonen, die beruflich regelmässig Kontakt mit Kindern haben; bspw. Kitamit- arbeitende, Spielgruppenleitende, Tages- mütter und professionelle Sporttrainer.

– Fachpersonen in amtlicher Tätigkeit wie Lehrpersonen oder Sozialarbeitende. Die Meldepflicht ist auch erfüllt, wenn die Fach- person die Meldung an ihre vorgesetzte Person richtet (Art. 314d Abs. 2 ZGB).

Eine Meldepflicht an die KESB kommt dann zum Tragen, wenn die Fachperson in ihrer beruf- lichen Tätigkeit und im einvernehmlichen Rah- men nicht genügend für Abhilfe schaffen kann.

Ob tatsächlich eine Kindeswohlgefährdung vor- liegt, die eine behördliche Massnahme erfor- dert, entscheidet die KESB.

(16)

Beispiele zur Veranschaulichung Kita-Mitarbeitende haben beruflich tagtäglich mit Kindern zu tun. In Situationen mit «gelbem»

und «orangem» Ampelstatus dürfen sie Infor- mationen grundsätzlich nur im Einverständnis mit den Sorgeberechtigten austauschen. (Be- reich Früherkennung und einvernehmlicher Kin- desschutz). Zeigen sich Eltern in Situationen mit notwendigem Unterstützungsbedarf (roter Fall) nicht kooperativ oder besteht eine akute Ge- fährdungssituation (Bereich behördlicher Kindes- schutz), sind Kita-Mitarbeitende zur Meldung an die KESB verpflichtet (Art. 314d Abs. 1 ZGB).

Die Meldepflicht ist auch erfüllt, wenn die Fach- person die Meldung an die vorgesetzte Person, namentlich an die Kita-Leitung richtet (Art. 314d Abs. 2 ZGB). Die Gefährdungsmeldung an die KESB erfolgt folglich durch die Kita-Leitung.

Dabei kann sich die Kita-Leitung von einer Fachberatung unterstützen lassen.

Freipraktizierende Hebammen unterstehen dem strafrechtlich geschützten Berufsgeheimnis (Art. 321 StGB) und zudem der Schweigepflicht gemäss kantonalem Gesundheitsgesetz (Art. 27 GesG). Im Bereich der Früherkennung und des einvernehmlichen Kindesschutzes («gelbe»/

«orange» Ampel) dürfen sie Informationen nur im Einverständnis mit den Sorgeberechtigten austauschen. Im Bereich des behördlichen Kin- desschutzes («rote» Ampel ohne Kooperation der Sorgeberechtigten sowie akute Gefähr- dung) können Hebammen gegenüber der KESB Meldung erstatten, ohne sich vorgängig vom Berufsgeheimnis entbinden zu lassen (Art.

314c Abs. 2 ZGB).

Was ist einvernehmlicher Kindesschutz?

Die Sorgeberechtigten nehmen freiwillig, d. h. einvernehmlich fachliche Unter­

stützungsleistungen in Anspruch, um der Kindeswohlgefährdung wirksam zu begegnen.

Unterscheidungskriterium zwischen einvernehmlichem und behördlichem Kin­

desschutz ist nicht die Intensität der Gefahrenlage, sondern die Frage, inwieweit die Sorgeberechtigten Kooperationsfähigkeit, ­bereitschaft und ­möglichkeit aufweisen: Sind die Sorgeberechtigten mit fachlicher Unterstützung in der Lage, für Abhilfe der Kindeswohlgefährdung zu sorgen, darf keine behördliche Mass­

nahme angeordnet werden (Subsidiaritäts­ und Verhältnismässigkeitsprinzip).

Was ist behördlicher Kindesschutz?

Eine durch die Kindes­ und Erwachsenenschutzbehörde angeordnete Massnah­

me zur Sicherung des Kindeswohls. Behördlicher Kindesschutz setzt dann ein, wenn die Sorgeberechtigten nicht genügend für die Abwendung der Kindeswohl­

gefährdung unternehmen wollen oder können.

(17)
(18)

Einschätzungshilfen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung für Fachpersonen im Frühbereich (0-5 Jahre)

Seite 2 von 5

2 Anhaltspunkte und Risikofaktoren für eine mögliche Kindeswohlge- fährdung

Die nachfolgenden Risikofaktoren deuten lediglich darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit einer möglichen Kindeswohlgefährdung erhöht ist. Die Risikoeinschätzung soll Fachleute im Frühbe- reich unterstützen, in einer konkreten Situation Klarheit bezüglich des weiteren Vorgehens zu erlangen.

Risikofaktoren2 ja

1. Soziale Belastung der Eltern

Hinweise auf schwere Konflikte oder Gewalt in der aktuellen Partnerschaft*

Bekannte psychische Störung der Mutter/des Vaters*

Hinweise auf Alkoholprobleme/ Drogenkonsum bei Mutter oder Vater* Misshandlungs- Missbrauchs- oder Vernachlässigungserfahrung der Mutter oder des Vaters in der Kindheit

Mindestens ein Kind der Mutter ausserfamiliär platziert (Heim, Pflegefamilie, Adoptivfamilie)

Finanzielle Notlage

Soziale/sprachliche Isolation (wenig Unterstützung von anderen Personen)

Alter der Mutter ≤ 18 Jahre zum Zeitpunkt der Geburt

Mehr als ein zu versorgendes Kind bei einem Alter der Mutter ≤ 20

Unerwünschte Schwangerschaft

Alleinerziehend

Nikotinkonsum ≥ 20 Zigaretten am Tag

2. Fehlende pädiatrische Vorsorgeuntersuchungen des Kindes

Fehlende pädiatrische Vorsorgeuntersuchungen des Kindes

3. Kind stellt deutlich erhöhte Fürsorgeanforderungen, die die Möglichkeit der Familie zu übersteigen drohen

Mehrlinge

Chronische Erkrankung

Deutliche Entwicklungsverzögerung (körperlich, sprachlich, sozial, Verzögerung der Intelligenzent- wicklung)

Körperliche/geistige Behinderung

Verhaltensauffälligkeit (z.B. exzessives Schreien, starkes Trotzen, aggressives Verhalten) 4. Beobachtbare deutliche Schwierigkeiten der Hauptbezugsperson bei der Annahme und

Versorgung des Kindes

Wirkt am Kind desinteressiert, wenig Interaktion und Blickkontakt

2 Quelle: Ziegenhain, Ute; Schöllhorn, Angelika; Künster, Anne K. et. Al (2010): Modellprojekt Guter Start ins Kinderleben. Werkbuch Vernetzung. Köln: Nationales Zentrum Frühe Hilfen; vgl. auch Wahrnehmungsbogen für den Kindesschutz der Mütter- und Vä- terberatung des Kantons Bern (unveröffentlicht).

(19)

Einschätzungshilfen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung für Fachpersonen im Frühbereich (0-5 Jahre)

Seite 3 von 5 Macht ablehnende Äußerungen über das Kind (z.B. Kind schreit um Mutter zu ärgern, negativ getönte

Spitznamen)

Wirkt passiv, antriebsarm, aggressiv, emotional unstabil, psychisch auffällig

Gibt auffallend häufig das Kind ab

Übersieht deutliche Signale des Kindes oder reagiert hierauf unangemessen 5. geäusserte Sorgen der Hauptbezugsperson

Äussert Zukunftsängste

Fühlt sich überfordert

Fühlt sich vom Kind abgelehnt

Die mit Stern (*) gekennzeichneten Risikofaktoren sind besonders stark zu gewichten.

3 Schutzfaktoren

Schutzfaktoren haben schützende Effekte im Hinblick auf die Entwicklung von Kindern unter an- sonsten eher ungünstigen Lebensumständen3. Schutzfaktoren sind Ressourcen, deren Wirkung wissenschaftlich belegt ist.

Schutzfaktoren4 ja

Fröhliches Temperament des Kindes

Hohe Selbstwirksamkeitserwartung des Kindes

Ausgeprägte Impuls- und Bedürfniskontrolle

Hohe Konstanz der Betreuungssituation

Feinfühliges (emotional unterstützendes) Erziehungsverhalten einer Betreuungsperson

Sichere Bindung des Kindes zu mindestens einer Betreuungsperson

Ausgeprägte soziale Unterstützung der Betreuungsperson

3 Kindler, Heinz (2011). Risiko- und Schutzfaktoren, Gefährdungseinschätzung. Ulm: KJPP, Universitätsklinikum Ulm, S. 23.

4 Quelle: Lätsch, David, Hauri, Andrea, Jud, Andreas & Rosch, Daniel (2015). Ein Instrument zur Abklärung des Kindeswohls – spezi- fisch für die deutschsprachige Schweiz, Zeitschrift für Kindes- und Erwachsenenschutz (ZKE), 1/2015.

(20)

Einschätzungshilfen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung für Fachpersonen im Frühbereich (0-5 Jahre)

Seite 4 von 5

4 Risikoeinschätzung5

Die Risikoeinschätzung erfolgt auf der Basis der erhobenen Anhaltspunkte und Risikofaktoren für eine Kindeswohlgefährdung. Berücksichtigen Sie bei der Einschätzung auch vorhandene Schutz- faktoren.

Einschätzung des Risikos

Wie hoch schätzen Sie das Risiko einer Kindeswohlgefährdung für das Kind ein?

1 2 3 4 5

☐ sehr niedrig

☐ niedrig

☐ eher hoch

☐ hoch

☐ sehr hoch

Einschätzung der eigenen Sicherheit

Wie sicher fühlen Sie sich in der Einschätzung, ob eine Kindeswohlgefährdung (Misshand- lung/Missbrauch/Vernachlässigung) vorliegt?

1 2 3 4 5

☐ sehr unsicher

☐ unsicher

☐ eher unsicher

☐ sicher

☐ sehr sicher

Bewertung

Aufgrund der Einschätzung des Risikos und der Sicherheit kann der Fall als grün, gelb, orange oder rot eingeordnet werden:

Risiko <3 Sicherheit ≥ 4

Risiko <3 Sicherheit < 4

Risiko ≥3 Sicherheit < 4

Risiko ≥3 Sicherheit ≥ 4

5© Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm, Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) e.V.; in: Ziegenhain, Ute, Schöllhorn, Angelika; Künster, Anne K.; Hofer, Alexandra; König, Cornelia &

Fegert, Jörg M. (2010). Werkbuch Vernetzung. Modellprojekt Guter Start ins Kinderleben, Nationales Zentrum Frühe Hilfen S.

176. Die Vergleichszeichen sind gegenüber dem Original leicht verändert. Vgl. auch: Hauri Andrea & Zingaro Marco (2013) Leitfaden Kindesschutz, Kindeswohlgefährdung erkennen und angemessen handeln. Bern: Stiftung Kinderschutz Schweiz und Einschätzungshilfen der Mütter/Väterberatung des Kantons Bern (unveröffentlicht).

(21)

Einschätzungshilfen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung für Fachpersonen im Frühbereich (0-5 Jahre)

Seite 5 von 5

5 Entscheidungsbaum – Weiteres Vorgehen klären

Der nachfolgende Entscheidungsbaum unterstützt Fachpersonen im Frühbereich - ohne explizi- ten Beratungsauftrag im Kindesschutz - das weitere Vorgehen zu planen. Weiter zeigt das Ablaufschema die institutionell verankerten Kooperationsstrukturen im Kanton Bern auf.

Grüner Fall Kein Unterstützungs-

bedarf

Gelber Fall Unterstützungsbe-

darf vorhanden

Oranger Fall Unterstützung not-

wendig

Roter Fall Unterstützung zwin-

gend

Überprüfung der Einschätzung im Team/Vorgesetzte und Absprache über weiteres Vorgehen.

Sorgeberechtigte

- zeigen Problemakzeptanz und Verände- rungsbereitschaft

- haben Kooperationsfähigkeiten und Ko- operationsbereitschaft zur Problemlösung - sind vereinbarungsbereit und -fähig

Fallbesprechung im Team/Vorgesetzte und Ab- sprache über weiteres Vorgehen.

Weiterführende fachspezifische Beratung zu Kindsschutzfragen6

Hinweis roter Fall: Sofern keine Inanspruchnahme des Angebots der Mütter- und Väterberatung durch die Eltern erfolgt, Gefährdungsmeldung an die KESB durch die anfragende Institution aus dem Frühbe- reich (Formular: Meldung einer eventuellen Kindes- wohlgefährdung unter www.be.ch/kes).

6 Konzept MVB „Fallspezifische Beratung zu Kindesschutzfragen im Frühbereich“, November 2015 Nein: Information

über mögliche Hilfestellungen

•Beobachtung des weiteren Verlaufs

Ja: Vermittlung an ge- eignete Stelle

•Keine Überprüfung der Inanspruchnahme der Hilfestellung

•Beobachten des wei- teren Verlaufs

Angebot des Kooperationspartners im Frühbereich (Müt- ter- und Väterberatung Kanton Bern)

Coaching für Fachpersonen Reflektierende Rückfragen zur Einschätzung

Einschätzung bleibt orange oder rot

Coaching für Fachpersonen Klärung des Vorgehens für Triage der Eltern

Triage-Gespräch Institution mit Eltern Bei Einwilligung der Eltern

Weiterführendes Beratungsangebot MVB BE – Vertiefendes Gespräch

Abklärung Hilfsbedarf und Einleitung von Hilfeangebote

(22)
(23)

Einschätzungshilfen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung für Fachpersonen im Frühbereich (0-5 Jahre) 1 Risikofaktoren

Seite 2 von 4 Von einer finanziellen Notlage muss etwa ausgegangen werden, wenn die Erstausstattung für das Baby nicht angeschafft werden konnte, wenn eine hohe Schuldenlast angegeben wird oder angemessener Wohnraum und angemessene Grundversorgung ungesichert erscheinen. Entscheidend ist das subjektive Gefühl der Belastung durch die Mutter/den Vater und weniger die Tatsache, dass diese beispielsweise Sozialhilfegelder beziehen.

Soziale/sprachliche Isolation (wenig Unterstützung von anderen Personen)

Die Familie hat im Alltag keine Kontaktperson/en, mit denen sie sich flüssig sprachlich verständigen kann. Die Angaben zu im Alltag fehlenden Unterstützungspersonen ergeben sich durch die Äusserungen der Mutter oder des Vaters / der PartnerInnen. Werden Bekannte, Verwandte oder Freunde erwähnt, die aber negativ charakteri- siert oder als nicht ansprechbar geschildert werden, so besteht trotzdem eine soziale Isolierung.5

Alter der Mutter ≤ 18 Jahre zum Zeitpunkt der Geburt

Mehr als ein zu versorgendes Kind bei einem Alter der Mutter ≤ 20

Eingeschätzt wird die tatsächliche Belastung durch die Anzahl zu versorgender Kinder.

Die Anzahl der bereits erfolgten Geburten und die Anzahl der zu versorgenden Kinder können voneinander ab- weichen, da in manchen Fällen Kinder in (Verwandten-) Pflege gegeben werden oder Kinder von Partnern mitbe- treut werden müssen.

Unerwünschte Schwangerschaft

Ausschlaggebend ist die Haltung der Mutter, nicht diejenige des Vaters oder nahe stehender Personen. Die Mutter macht die explizite Aussage, dass sie das Kind nicht gewollt hat, respektive, dass sie die Schwanger- schaft unterbrechen wollte. Dieser Faktor ist nur relevant, wenn sich diese Haltung während der Schwanger- schaft nicht verändert hat.6

Alleinerziehend

Hier stellt sich die Frage, ob es neben der Mutter/ des Vaters eine weitere Person gibt, die Betreuungsaufgaben im Alltag übernimmt. So kann es zum Beispiel sein, dass die Grosseltern, Haus- oder WohnpartnerInnen für die Mitbetreuung des Kindes zur Verfügung stehen, dann würde alleinerziehend nicht zutreffen. Jedoch können getrennt lebende verheiratete Mütter/Väter oder Mütter/ Väter mit einer Wochenendbeziehung, die keine weitere Mitbetreuung des Kindes erhalten, als Alleinerziehende bezeichnet werden.7

Nikotinkonsum ≥ 20 Zigaretten am Tag

Risikofaktor 2: Fehlende pädiatrische Vorsorgeuntersuchungen des Kindes

Fehlende pädiatrische Vorsorgeuntersuchungen des Kindes

Die kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen des Kindes werden nicht regelmässig durchgeführt.

Risikofaktor 3: Kind stellt deutlich erhöhte Fürsorgeanforderungen, die die Möglich- keit der Familie zu übersteigen drohen

Mehrlinge

Chronische Erkrankung

Deutliche Entwicklungsverzögerung Körperliche/geistige Behinderung

Verhaltensauffälligkeit (z.B. exzessives Schreien, starkes Trotzen, aggressives Verhalten)

Die Eltern schildern das Verhalten des Kindes als schwierig. Zum Beispiel können exzessives Schreien, starkes Trotzen, überaktives-forderndes oder affektiv- aggressives Verhalten als schwieriges Verhalten empfunden wer- den.

5 Vgl. Kindler, 2009, S. 231.

6 Vgl. Kindler, 2009, S. 230. 7 Vgl. ebd.

(24)

Einschätzungshilfen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung für Fachpersonen im Frühbereich (0-5 Jahre) 2 Schutzfaktoren

Seite 3 von 4

Risikofaktor 4: Beobachtbare deutliche Schwierigkeiten der Hauptbezugsperson bei der Annahme und Versorgung des Kindes

Wirkt am Kind desinteressiert, wenig Interaktion und Blickkontakt

Die Mutter/der Vater haben wenig Blickkontakt mit dem Kind. Es findet wenig bis kaum Interaktion statt.

Macht ablehnende Äußerungen über das Kind (z.B. Kind schreit um Mutter zu ärgern, negativ getönte Spitznamen)

Die Mutter/der Vater macht ablehnende Äusserungen dem Kind gegenüber. Zum Beispiel werden negativ ge- färbte Spitznahmen verwendet oder es findet eine negative Beschreibung des Kindes oder seiner Signale statt.

Es ist zu erkennen, dass die Gefühlsreaktionen gegenüber dem Kind deutlich negativ sind. Zum Beispiel geht die Mutter/der Vater davon aus, dass das Kind schreit, um sie/ihn zu ärgern.8

Wirkt passiv, antriebsarm, aggressiv, emotional unstabil, psychisch auffällig9

Die Hauptbezugsperson wirkt passiv und antriebsarm oder das Verhalten ist psychisch auffällig (z.B. postpartale bzw. postnatale Depression, Schizophrenie, Psychose).

Gibt auffallend häufig das Kind ab

Mutter/Vater gibt das Kind auffallend häufig zur Fremdbetreuung ab, obwohl die äusseren Umstände dies nicht erfordern (z.B. durch Erwerbstätigkeit, Krankheit).10

Übersieht deutliche Signale des Kindes oder reagiert hierauf unangemessen

Risikofaktor 5: Geäusserte Sorgen der Hauptbezugsperson

Äussert Zukunftsängste Fühlt sich überfordert Fühlt sich vom Kind abgelehnt

Die mit Stern (*) gekennzeichneten Risikofaktoren sind besonders stark zu gewichten.

2 Schutzfaktoren

Schutzfaktoren11

Fröhliches Temperament des Kindes

Kind reagiert häufig positiv (z.B. lacht häufig, lacht wenn es angesprochen wird, lässt sich beim Weinen leicht beruhigen), hat über einen längeren Zeitraum eine positive Stimmung, hat eine hohe Aufmerksamkeitsspanne in der sozialen Interaktion, geringe Irritierbarkeit (lässt sich für das Alter wenig durch äussere Reize ablenken und ist offen für neue Reize12.

Hohe Selbstwirksamkeitserwartung des Kindes

Subjektive Gewissheit des Kindes, dass es über die Fähigkeiten und Motivation verfügt, um eine Aufgabe be- wältigen zu können13.

Ausgeprägte Impuls- und Bedürfniskontrolle

Kind kann Impulse und eigene Bedürfnisse überdurchschnittlich gut kontrollieren.

8 Vgl. Kindler, 2009, S. 231f.

9 Vgl. Kindler, 2009, S. 230.

10 Vgl. ebd.

11 Quelle: Lätsch, David, Hauri, Andrea, Jud, Andreas & Rosch, Daniel (2015). Ein Instrument zur Abklärung des Kindeswohls – spezifisch für die deutschsprachige Schweiz, Zeitschrift für Kindes- und Erwachsenenschutz (ZKE), 1/2015.

12 Vgl. Hauri, Andrea, Jud, Andreas, Lätsch, David, Rosch, Daniel (2015). Ankerbeispiele zum Berner und Luzerner Abklärungs- instrument; Bern und Luzern (unveröffentlicht).

13 Vgl. Bierhoff, Hans-Werner, Herner, Michael Jürgen (2002) Begriffswörterbuch Sozialpsychologie, Stuttgart: Kohlhammer, S. 201.

(25)

Einschätzungshilfen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung für Fachpersonen im Frühbereich (0-5 Jahre)

Seite 4 von 4 Hohe Konstanz der Betreuungssituation

Kind hat mindestens eine konstante, verlässliche und verfügbare Betreuungsperson, hohe Konstanz des Be- treuungssettings (Orte, Räumlichkeiten, Betreuungspersonen)

Feinfühliges (emotional unterstützendes) Erziehungsverhalten einer Betreuungsperson Betreuungsperson erkennt Signale des Kindes und reagiert prompt und angemessen darauf.

Sichere Bindung des Kindes zu mindestens einer Betreuungsperson

Achtung: Bindungsdiagnose sollte durch eine dafür legitimierte Fachperson gestellt werden. Hinweise auf eine sichere Bindung können sein14: Kind zeigt Wunsch nach Bindung, ist beziehungsorientiert, sucht bei Belastung Unterstützung der Bezugsperson, hat eine offene und flexible Selbsteinschätzung, positives Selbstwertgefühl, achtet sich selbst, kann Emotionen offen kommunizieren, hat guten Zugang zu eigenen Emotionen, sucht Kör- perkontakt.

Ausgeprägte soziale Unterstützung der Betreuungsperson

Betreuungsperson kennt Personen, die sie bei Bedarf unterstützen (materiell, praktisch, emotional) und mit denen sie gemeinsame Aktivitäten durchführen kann15.

14 Vgl. Lengning Anke & Lüpschen Nadine (2012). Bindung: München: Reinhardt, S. 21.

15 Vgl. Hauri, Andrea, Jud, Andreas, Lätsch, David, Rosch, Daniel (2015). Ankerbeispiele zum Berner und Luzerner Abklärungs- instrument; Bern und Luzern (unveröffentlicht).

(26)

1 Mütter- und Väterberatung Kanton Bern | Schweiz. Hebammenverband Sektion Bern Einschätzungshilfe zur Früherkennung einer akuten Kindeswohlgefährdung | 02.2016

Einschätzungshilfe zur Früherkennung einer akuten Kindeswohlgefährdung

Die vorliegende Einschätzungshilfe unterstützt Hebammen bei der frühzeitigen Wahrnehmung von Anzeichen einer akuten Kindeswohlgefährdung. Bei einer akuten Kindeswohlgefährdung ist die KESB zu informieren.1

Name/Vorname des Kindes: Geburtsdatum des Kindes:

Name/Vorname der Mutter: Name/Vorname des Vaters:

Name/Vorname der ausfüllenden Person: Datum:

Akute Kindeswohlgefährdung

Folgende Anhaltspunkte2 können darauf hindeuten, dass sofort gehandelt werden muss um das Kind vor einer erheblichen Gefährdung zu schützen:

Es bestehen deutliche Anhaltspunkte, dass das Kind zurzeit erheblich körperlich misshandelt oder sexuell ausgebeutet wird oder dass es in den nächsten Stunden oder Tagen dazu kommen wird.

Es bestehen deutliche Anhaltspunkte, dass das Kind aufgrund einer Vernachlässigung zurzeit oder in den nächsten Stunden oder Tagen an Leib und Leben bedroht ist.

Eine Betreuungsperson verweigert der Fachperson das Kind zu sehen oder der Aufenthaltsort des Kindes ist unbekannt oder es gibt Anhaltspunkte, dass das Kind in den nächsten Tagen an einen unbekannten Ort gebracht wird.

1 Hebammen unterstehen der beruflichen Schweigepflicht gemäss Art. 321 StGB. Liegt eine Meldung im Interesse des Kindes, sind sie zur Meldung einer möglichen Kindeswohlgefährdung an die KESB berechtigt (Art. 314c Abs. 2 ZGB). Sie müssen sich nicht vom

Berufsgeheimnis entbinden lassen.

2 Quelle: Hauri, Andrea; Jud, Andreas; Lätsch, David & Rosch, Daniel (2015):

Berner und Luzerner Abklärungsinstrument zum Kindesschutz. Berner Fachhochschule und Hochschule Luzern – Soziale Arbeit.

(27)

1 | 5 Mütter- und Väterberatung Kanton Bern | Schweiz. Hebammenverband Sektion Bern Einschätzungshilfen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung | 02.2016

Einschätzungshilfen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung

1 Wahrnehmungsbogen für den Kindesschutz

Der Wahrnehmungsbogen ist nur für Fälle, bei denen keine akute Kindeswohlgefährdung vorliegt.

Name/Vorname des Kindes:

Geburtsdatum des Kindes:

Name/Vorname der Mutter:

Name/Vorname des Vaters:

Name/Vorname der ausfüllenden Person:

Datum:

Risikofaktor 1: Soziale Belastung Ja

Alter der Mutter ≤ 18 Jahre zum Zeitpunkt der Geburt

Mehr als ein zu versorgendes Kind bei einem Alter der Mutter ≤ 20 Jahre Unerwünschte Schwangerschaft (explizit Haltung der Mutter)

Alleinerziehend

Hinweise auf schwere Konflikte bzw. Gewalt in der Partnerschaft Bekannte psychische Erkrankung der Mutter/des Vaters (z. B. Depression) Nikotinkonsum > 20 Zigaretten am Tag

Hinweise auf Alkoholprobleme/Drogenkonsum bei Mutter oder dem Vater

Hohe Stressbelastung und wenig Ressourcen (soziale Lage/Lebenssituation der Familie) Soziale/sprachliche Isolation der Familie (wenig Unterstützung von anderen Personen) Niedriger Bildungsstand

Misshandlungs-, Missbrauchs-, Vernachlässigungserfahrung der Mutter oder des Vaters in der Kindheit

Mutter oder Vater mit Heimerziehung oder mit mehrfach wechselnden Hauptbezugspersonen Mindestens ein Kind der Mutter in Pflege oder adoptiert

Risikofaktor 2: Medizinische Versorgung Ja

Fehlende Schwangerschaftsuntersuchungen

Fehlende regelmässige ärztliche Vorsorgeuntersuchungen des Kindes Fehlende adäquate medizinische Versorgung des Kindes

(28)

2 | 5 Mütter- und Väterberatung Kanton Bern | Schweiz. Hebammenverband Sektion Bern Einschätzungshilfen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung | 02.2016

Risikofaktor 3: Kind stellt deutlich erhöhte Fürsorgeanforderungen,

welche die Möglichkeit der Familie zu übersteigen drohen Ja Frühgeburt

Mehrlinge

Angeborene/neonatale oder später erworbene Krankheiten/Behinderungen (chronisch/akut) Kind zeigt schwieriges Verhalten (z. B. exzessives Schreien, starkes Trotzen,

aggressives Verhalten)

Risikofaktor 4: Beobachtbare deutliche Schwierigkeiten der Hauptbezugsperson

bei der Annahme und Versorgung des Kindes Ja

Wirkt am Kind desinteressiert, wenig Interaktion und Blickkontakt

Macht ablehnende Äusserungen über das Kind (z. B. negativ getönte Spitznamen, eine negativ verzerrte Beschreibung des Kindes oder seiner Signale)

Wirkt passiv, antriebsarm, psychisch auffällig

Übersieht deutliche Signale des Kindes und/oder interpretiert sie nicht kindgemäss Reagiert unangemessen (nicht alters- und/oder situationsgerecht)

Gibt auffallend häufig das Kind ab

Risikofaktor 5: geäusserte Sorgen der Hauptbezugsperson Ja Hat Zukunftsängste

Fühlt sich überfordert (seelisch und/oder körperlich) Fühlt sich vom Kind abgelehnt

Sonstige beobachtbare Auffälligkeiten (keine evidenzbasierende Risikofaktoren) Beobachtbare Auffälligkeiten, die zu einer negativen chronischen Entwicklung beim Kind führen können.

a) Versorgung des Kindes

Mangelhafter Pflegezustand (z.B. Zahnpflege, unangenehmer Körpergeruch, unbehandelte Hautreizungen)

Mangelhafte Ernährung (z.B. Fehlernährung)

Wohnsituation nicht kindgerecht (z.B. keine Sicherheitsvorkehrungen bei Steckdosen, Bewegungs- und Spielmöglichkeiten sehr eingeschränkt) usw.

b) Deutliche Entwicklungsverzögerungen

Das Kind hat deutliche Entwicklungsverzögerungen in einem oder mehreren der folgenden Entwicklungsbereiche:

Motorische Entwicklung Sprachliche Entwicklung Soziale Entwicklung usw.

Bitte sonstige beobachtbare Auffälligkeiten beschreiben:

(29)

3 | 5 Mütter- und Väterberatung Kanton Bern | Schweiz. Hebammenverband Sektion Bern Einschätzungshilfen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung | 02.2016

Schutzfaktoren1

Schutzfaktoren haben schützende Effekte im Hinblick auf die Entwicklung von Kindern unter ansonsten eher ungünstigen Lebensumständen2. Schutzfaktoren sind Ressourcen, deren Wirkung wissenschaftlich belegt ist.

Ja Fröhliches Temperament des Kindes

Hohe Selbstwirksamkeitserwartung des Kindes Ausgeprägte Impuls- und Bedürfniskontrolle Hohe Konstanz der Betreuungssituation

Feinfühliges (emotional unterstützendes) Erziehungsverhalten einer Betreuungsperson Sichere Bindung des Kindes zu mindestens einer Betreuungsperson

Ausgeprägte soziale Unterstützung der Betreuungsperson

1 Quelle: Lätsch, David, Hauri, Andrea, Jud, Andreas & Rosch, Daniel (2015). Ein Instrument zur Abklärung des Kindeswohls – spezifisch für die deutschsprachige Schweiz, Zeitschrift für Kindes- und Erwachsenenschutz (ZKE), 1/2015.

2 Kindler, Heinz (2011). Risiko- und Schutzfaktoren, Gefährdungseinschätzung. Ulm: KJPP, Universitätsklinikum Ulm, S. 23.

(30)

4 | 5 Mütter- und Väterberatung Kanton Bern | Schweiz. Hebammenverband Sektion Bern Einschätzungshilfen zur Früherkennung von Kindeswohlgefährdung | 02.2016

2 Einschätzung und Bewertung des Risikos einer Kindeswohlgefährdung

Die Einschätzung erfolgt aufgrund der subjektiven Wahrnehmung der Situation der Familie mittels Wahrnehmungsbogen.

Name/Vorname des Kindes:

Geburtsdatum des Kindes:

Name/Vorname der Mutter:

Name/Vorname des Vaters:

Name/Vorname der ausfüllenden Person:

Datum:

1. Einschätzung

1.1. Einschätzung des Risikos

Wie hoch schätzen Sie das momentane Risiko für das Kind ein?

1 2 3 4 5

sehr niedrig niedrig eher hoch hoch sehr hoch

1.2. Einschätzung der eigenen Sicherheit

Wie sicher fühlen Sie sich in der Einschätzung, ob derzeit eine Kindeswohlgefährdung vorliegt?

1 2 3 4 5

sehr unsicher unsicher eher unsicher sicher sehr sicher

2. Bewertung

Aufgrund der Einschätzung des Risikos und der Sicherheit kann der Fall als grün, gelb, orange oder rot eingeordnet werden:

Risiko < 3 Sicherheit ≥ 4

Risiko < 3 Sicherheit < 4

Risiko ≥ 3 Sicherheit < 4

Risiko ≥ 3 Sicherheit ≥ 4

Risiko niedrig, Sicherheit hoch Risiko niedrig, Sicherheit niedrig Risiko hoch, Sicherheit niedrig Risiko hoch, Sicherheit hoch

< = kleiner als ≥ = grösser als oder gleich als

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihre neue Rolle als Mutter oder Vater genauso unbeschwert erleben, und dass Sie sich den Weg bahnen, der am besten zu Ihnen und Ihrer Familie

Zwangsverheiratung liegt dann vor, wenn mindestens eine der betroffenen Personen sich zur Ehe gezwungen fühlt und entweder die Weigerung kein Gehör findet oder nicht gewagt

Gesundheitsorganisationen und Industrie» zeigt, dass der Geltungsbereich der Richtlinien nicht mehr auf die Ärzteschaft fokussiert, sondern alle medizinischen Fachpersonen

Testen Sie OrCam MyEye in Ihrer Beratungsstelle, bei Accesstech oder in einer der Filialen der Stiftung AccessAbility Informieren Sie sich. Luzern

In den Interviews wurde deutlich, dass mit Fachpersonen seltener Gespräche über Vorausplanung geführt werden als mit Angehörigen. Auch Menschen mit einer potentiell lebensbedrohlichen

An fünf Studienzentren wurden insgesamt 34 Fachpersonen in in- terprofessionell gemischten Fokusgruppen dazu inter- viewt, welche spirituellen Anliegen und Bedürfnisse

• Meldepflicht besteht, wenn die Fachperson im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit nicht Abhilfe schaffen kann (Art. 1). • Die Meldepflicht erfüllt auch, wenn die Fachperson die

Narrative Heilpädagogik : der Stellenwert von erzählenden Textteilen 42 Dokumentation zum Schwerpunkt / Bücher / Materialien / Forschung / Agenda