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Muslimische Lebenswelten in England und Wales - Diplomarbeit

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Muslimische Lebenswelten in England und Wales -

Jemenit*innen und die letzten Lascars in Geschichte und Gegenwart

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Tamara Antonia BUCHBERGER

am Institut für Religionswissenschaften Begutachterin: Drin. Profin. Ulrike Bechmann

Graz, 2021

(2)

Danksagung II

Danksagung

Mein Dank gilt in erster Linie meinem Mann, der mich in den letzten 9 Jahren in jedweder Hinsicht unterstütz hat.

Vor allem danke ich Frau Drin. Profin. Ulrike Bechmann für ihr Verständnis und die Bereitschaft, auch in unbequemen Situationen eine essenzielle Stütze zu sein. Trotz der kilometerweiten Distanz zwischen uns, ist der Kontakt nie abgebrochen. Viel wichtiger jedoch ist die Tatsache, dass ein großer Teil meiner Arbeit auf die Inspiration von ihr zurückzuführen ist. Mich mit den Jemenit*innen auseinanderzusetzen, war Produkt eines gemeinsamen Prozesses während eines Seminars. Ich möchte mich hiermit bei Ihnen für die außerordentliche Unterstützung recht herzlich bedanken.

Darüber hinaus gilt mein Dank auch meinen Freund*innen. Danke für das Korrekturlesen und die aufmunternden Worte.

Schlussendlich danke ich meiner ganzen Familie, die nie aufgehört hat an mich zu glauben.

(3)

Kurzfassung III

Kurzfassung

Lascars beschreibt eine Gruppe von Männern aus dem afrikanischen und südasiatischen Raum, die im 16. Jahrhundert auf Segelschiffen und später für die Ostindien-Kompanie arbeiteten. Mit der Eröffnung des Suezkanals 1869 stieg die Zahl des Transportschiffhandels um ein Vielfaches. Mit der Ausdehnung des Empires und der strategischen Notwendigkeit aufgrund der Bedrohungen aus Ägypten und dem osmanischen Reich suchten die Brit*innen nach einem geeigneten Stützpunkt zwischen Suez und Indien. Die Hafenstadt Aden im Jemen war die ideale Anlegestelle für den Kohle- und Trinkwassernachschub, den sie für die Dampfschiffe benötigten. Durch den stetig wachsenden Handel zwischen der arabischen Halbinsel und der britischen Insel erreichten Jemenit*innen die Küstenstädte Englands und Wales. Als Matrosen unter Deck verdienten sie als

„stoker“ und „fireman“ ihren Lohn. 1890 fassten die ersten Jemenit*innen in South Shields Fuß und errichteten sogenannte „boarding houses“. Die Jemenit*innen sind die am längsten etablierte muslimische Minderheit in Großbritannien und zählen heute zirka 70.000 Einwohner*innen. Anfang des 20. Jahrhunderts konvertierten weiße Britinnen zum Islam und hatten leitende Positionen in den Moscheen von Woking und Liverpool inne. Muslimische Frauen aus Pakistan, Bangladesch, - die meisten sind in den 1960ern nach Großbritannien immigriert - oder dem Jemen müssen sich Herausforderungen stellen, die die Bereiche der Bildung, der Arbeitslosigkeit und der Islamophobie betreffen. Organisationen wie „TellMama,

„British-Yemeni Society“, „Yemeni Woman Union“ und die „Yemeni Community Association“ bemühen sich in vielerlei Hinsicht um die Bedürfnisse und Sorgen ihrer Schwestern und Brüder im Glauben.

Stichwörter:

Britisches Empire Lascars

Aden

Jemenit*innen Konvertit*innen

(4)

Abstract IV

Abstract

Lascars describes a group of men from South Asia and Africa, working in the 16th century on ships and later for the East-India Company. Opening the Suez channel in 1869 increased the number of merchant ships by a multiple. Within the expansion of the Empire and the need of strategy caused by the threat of Egypt and the Ottoman Empire, the British seek for a suitable base between Suez and India. The port of Aden in Yemen was the ideal stage for coal and freshwater replenishment.

Caused by the increasing trade between the Arabian Peninsula and the British Isle, Yemenis achieved the coastal towns of England and Wales. As a sailor they gained their salary as stokers and firemen. In 1890 Yemenis settled down in South Shields and established boarding houses. The Yemenis are the longest established minority in Britain and count about 70.000 residents. In the beginning of the 20th century white female Britain’s converted to Islam and occupied leading positions in mosques like Woking and Liverpool. Muslim women from Pakistan, Bangladesh- mostly immigrated in the 1960s- or Yemen face obstacles concerning topics like education, unemployment and Islamophobia. Associations like “TellMama”, „British-Yemeni Society“, „Yemeni Woman Union“ and the „Yemeni Community Association“ are concerned in many ways about the needs and sorrows of their sisters and brothers in faith.

Keywords:

British Empire Lascars Aden Yemenis

Female converts

(5)

Inhaltsverzeichnis V

Inhaltsverzeichnis

Danksagung ... 2

Kurzfassung ... 3

Abstract ... 4

Inhaltsverzeichnis ... 5

1. Einführung ... 7

2. Überblick ... 9

2.1 Statistische Übersicht ... 9

2.1.1 Aufbau und Geschichte des Census ... 10

2.1.2 Statistiken im Vergleich von 2001, 2011 und 2016 ... 10

2.2 Arbeitslosigkeit ... 13

2.3 Einteilung der Kolonien ... 14

2.4 Arten der britischen Staatsangehörigkeit ... 15

2.5 Sklavenhandel und Sklaverei – Ausbeutung und Arbeitskräfte ... 18

2.6 Migration und Flucht - Beweggründe... 19

3. Epochaler Überblick ... 21

3.1 Differenzierter Blick auf die Geschichte ... 21

3.2 Die ersten Kontakte ... 23

3.2.1 Islamische Expansion im ersten Jahrtausend und wirtschaftliche Interessen ... 23

3.2.2 Das 18. bis 20. Jahrhundert ... 29

4. Lascars – die erste Generation muslimischer Migrant*innen in England und Wales ... 31

4.1 Der Jemen – Ein Überblick ... 31

4.2 Das Zaydī Imāmāt und das britische Protektorat Aden ... 32

4.2.1 Lascars ... 36

(6)

Inhaltsverzeichnis VI 4.3 Die Etablierung muslimischer Gemeinden anhand der Jemenit*innen in South Shields und Cardiff und der Ahmadiyya-Bewegung in London, Liverpool

und Woking ... 37

4.3.1 Einleitung ... 37

4.3.2 Die ersten Lascars am Beispiel der Jemenit*innen ... 40

4.3.3 Etablierung jemenitischer Gemeinden in South Shields und Cardiff . 42 5. Die Verbreitung des Islam in den Moscheen ... 47

5.1 Woking, Liverpool, London und Khwaja Kamal-du-Din ... 48

5.2 Britische Konvertitinnen und Frauen in leitenden Positionen in den Gemeinden von Liverpool und Woking ... 49

5.3 Der Spagat zwischen den Kulturen ... 50

5.4 Frauen in leitenden Positionen ... 51

6. Identitätsstiftende Kultur und Religion ... 53

6.1 Einführung ... 53

6.2 Identität ... 53

6.3 Bildung als Weg zur Stärkung der Identität ... 54

6.3.1 Einleitung ... 54

6.3.2 Zwischen Kultur und Glaube – Karriere, Familie und Ehe ... 56

6.3.3 Ehe ... 57

6.3.4 Familiäre Vorbilder und Peer Groups ... 57

6.3.5 Erfahrungen aus dem Hochschulbereich ... 58

7. Resümee – Ausblick ... 59

8. Internetquellen ... 63

9. Abkürzungsverzeichnis ... 66

10. Abbildungsverzeichnis ... 67

11. Tabellenverzeichnis ... 67

12. Filmverzeichnis ... 67

13. Quellen von Abbildungen ... 68

(7)

Einführung 7

1. Einführung

Großbritannien, ein Land, welches aufgrund seiner Geschichte aus einem Pool von Erfahrung mit Migration und Integration schöpfen kann, steht zurzeit, ebenso wie ganz Europa, vor großen Herausforderungen in der Causa Asylpolitik und Islamophobie. Kapitel 2 behandelt daher die Statistik der heterogenen muslimischen Bevölkerung in England und Wales unter Zuhilfenahme des Census, um ein differenziertes Bild hinsichtlich der Zusammensetzung der britischen Bevölkerung im Laufe der letzten Jahrzehnte zu erhalten. Des Weiteren eröffnet Kapitel 3 einen epochalen Überblick der muslimischen Migration nach Großbritannien und beschreibt die ersten Kontakte zwischen Brit*innen und Muslim*innen. Das British Empire wurde im 19. Jahrhundert durch militärische Eroberung, Ausbeutung und Sklavenhandel zu einer Weltmacht. Als Seefahrernation umkreisten sie den kompletten Globus, errichteten Kolonien und bedienten sich ihrer Bodenschätze sowie menschlichen und ökonomischen Ressourcen. Durch Besetzung strategischer Handelswege im Mittleren Osten und mit der Öffnung des Suezkanals, sowie der fortschreitenden Industrialisierung, gelang es dem Empire 1919 seine größte Ausdehnung zu erreichen. Die wichtigste und heute noch begehrte Hafenstadt Aden im Jemen wurde zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert zur essenziellsten Anlegestelle für die Schifffahrt. Um das Mutterland1 mit den nötigen Nahrungsmitteln2 zu versorgen, wurden zuerst via Segelschiff und danach mittels Dampfschiff die Kolonien angesteuert. Die Britische- Ost-Indien-Gesellschaft, die 1600 gegründet wurde, diente dem florierenden Handel zwischen Indien, Asien, Afrika und Europa. Kapitel 4 widmet sich den jemenitischen Muslim*innen, vor allem aber den Lascars und ihre Beziehung zum British Empire.

Ausgehend von der Geschichte des Zaydī Imāmāts bis zur Etablierung jemenitischer Gemeinden in South Shields und Cardiff, wird in Kapitel 5 die Ausbreitung des Islam in den Moscheen von Woking und Liverpool dargestellt.

Jemenitische Muslime wurden Bestandteil einer heute heterogenen Gesellschaft, die zurzeit nach ihren geschichtlichen Wurzeln forschen. Hinsichtlich der

1Laut Duden: Als Mutterland wird das Land bezeichnet, zu dem eine Abhängigkeit oder Zugehörigkeit eines Gebiets bei räumlicher Trennung besteht.

2 Zucker, Tabak und Kaffee wurden aus den Kolonien zur Versorgung der britischen Bevölkerung importiert.

(8)

Einführung 8 Terrorattacken in den USA und Europa geraten Muslim*innen3 immer mehr unter Generalverdacht einer terroristischen, religiös motivierten Gruppierung anzugehören. Muslimische Brit*innen, Organisationen wie „TellMama“ und die

„British-Yemeni-Society“ versuchen Aufklärung hinsichtlich ihrer Geschichte und den rassistischen Anfeindungen zu betreiben. Daher wird in Kapitel 5 der Schwerpunkt auf britische Konvertitinnen gelegt und erörtert die Rolle der Frauen in Moscheen Ende des 19. Jahrhunderts. Kapitel 6 versucht einen Einblick in die identitätsstiftende Kultur des Islam zu geben und eröffnet Aspekte für weitere Forschung im Bereich Identität, Islam, Säkularismus, Feminismus und Religion.

Es wird darauf hingewiesen, dass teilweise auf die gendergerechte Form verzichtet wird. Diese Form wird nur dann angewendet, wenn davon auszugehen ist, dass es sich um beide Geschlechter handelt.

3 In Bezug auf Großbritannien, bezieht sich diese Aussage vor allem auf Pakistaner*innen, Bangladescher*innen, Jemenit*innen und Muslim*innen aus dem afrikanischen Raum.

(9)

Überblick 9

2. Überblick

2.1 Statistische Übersicht

Aufgrund der starken Zuwanderung wurden Volkszählungen in Großbritannien immer wichtiger. Ab 1991 wuchs der muslimische Anteil der britischen Bevölkerung und wurde daher auch unter anderem in den Vordergrund des Census gestellt. Der Census, auf Deutsch Volkszählung, wird seit 1801 durchgeführt und ist die umfangreichste Informationsquelle über die Bevölkerung in Großbritannien. Diese Erhebungen erfolgen durch das Office for National Statistics, deren Hauptaufgaben

„die Erhebung, Analyse und Verbreitung statistischer Daten über die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs“4 sind. In einem Zehn-Jahres-Intervall erhebt das Office for National Statistics Daten über die Population, die auch online durchgeführt werden, wobei schätzungsweise ein Drittel nicht daran teilnehmen kann, da es weder über entsprechenden Zugang noch über die notwendigen Sprach und-Lesekompetenzen5 verfügt.

In diesem Kapitel werden vor allem die Bevölkerungsdaten aus den Jahren 2001 und 2011 herangezogen, da der Census 2021 noch nicht abgeschlossen ist.

Allerdings gibt es spezifische Daten zur muslimischen Population aus den Jahren 2016 und 2021, die aus Vollständigkeitsgründen miteinfließen werden. Darauf hinzuweisen ist, dass der Census keine Erhebungen bezüglich der konfessionellen Religionszugehörigkeit liefert. Es wird also nicht zwischen Herkunftsländern unterschieden. Pakistaner*innen, Bangladescher*innen, Jemenit*innen sowie Türk*innen werden unter dem Sammelbegriff Muslim*innen angeführt.

Details zum Census sowie dessen Aufbau werden in dieser Arbeit nur marginal beschrieben, da es den Umfang sprengen würde. Ebenfalls wird auf Schottland und Nordirland nicht eingegangen, da der Bereich für diese Arbeit nicht relevant ist und der überwiegende Teil der Muslim*innen in England (vor allem London) beheimatet

4 Vgl. Office for National Statistics, in: https://www.ons.gov.uk/aboutus/whatwedo [abgerufen am:

07.06.2021].

5 Vgl. Hussain, Serena / Sherif, Jamil: Minority religions in the census. The case of British Muslims, in: Religion 44 / 3 (2014) 428-429.

(10)

Überblick 10 ist.6 Es wird speziell auf Grafiken und Tabellen eingegangen, die einen Überblick der Konfessionen in England und Wales geben.

2.1.1 Aufbau und Geschichte des Census

Der Census von 2001 stellt seit 150 Jahren wieder die Gretchen Frage: „Nun sag´

wie hast du´s mit der Religion? […]“, die Goethe in seinem Werk Faust I Faust an Margarete stellen ließ.7 Anders als heute, konzentrierte sich der Census 1851 an der christlichen Bevölkerung. Dies reflektiert die neue Pluralität der Glaubensgemeinschaften innerhalb Großbritanniens. Der Census von 2001 listet Christen, Muslime, Hindus, Sikhs, Buddhisten und Juden sowie „andere Religionen“

und diejenigen ohne Bekenntnis auf, jedoch basiert die Beantwortung auf Freiwilligkeit. Im Laufe der letzten 50 Jahre hat die Diskussion über die Bezeichnung von Minderheiten einen Wandel durchlebt. Von „colour“ in den 1950er und 1960er, zu „race“ in den 70er bis 80er, zu „ethnicity“ in den 90er Jahren bis hin zu „religion“

und „Islamophobia“ in der Gegenwart.8

Das Sichtbarmachen der muslimischen Bevölkerung, ermöglichte den Muslim*innen das Recht auf Selbstdefinition und förderte die soziale Eingliederung.

Zusätzlich wurde dadurch die Regierung dazu verpflichtet, auf zuvor unsichtbare lokale Probleme, zu reagieren. Besonders negativ fällt hierbei die Arbeitslosenstatistik muslimischer Frauen aus, auf die in Punkt 2.2.1 näher eingegangen wird.

2.1.2 Statistiken im Vergleich von 2001, 2011 und 2016

Statistiken sind eine Hilfestellung, wenn es um die Verdeutlichung und Veranschaulichung von Daten geht. In einem Diagramm können zahlreiche Informationen abgelesen und interpretiert werden. Im folgenden Kapitel werden drei Diagramme aufgezeigt, die Informationen bezüglich der Bevölkerungszahl von Muslimen, Christen, Buddhisten, Hindus, Sikhs und Juden sowie anderer Religionen in England und Wales aufzeigen. Im Vergleich dient das

6 Vgl. Ansari, Humayun: Muslims in Britain, in: https://minorityrights.org/wp-content/uploads/old-site- downloads/download-129-Muslims-in-Britain.pdf [abgerufen am: 26.07.2021], 7.

7 Vgl. Goethe, Johann Wolfgang: Faust I. Vers 3415. Textauszug entnommen in:

http://www.faustedition.net/print/faust.19#scene_1.1.16 [abgerufen am: 08.06.2021].

8 Vgl. Peach, Ceri: Muslims in the 2001 Census of England and Wales. Gender and economic disadvantage, in: Ethnic and Racial Studies, 29 / 4 (2006) 631.

(11)

Überblick 11 Gesamtbevölkerungsdiagramm von England und Wales als Verhältnismaß.

Statistiken können Daten zwar verdeutlichen, aber sie sind auch manipulativ und subjektiv, je nach Darstellung. Betrachtet man das Balkendiagramm in Abbildung 2, so erscheint der Balken für Muslim*innen deutlich länger als jener der Buddhist*innen. Die Daten diesbezüglich sind korrekt, aber es impliziert ein falsches Verhältnis. Diese Abbildung soll veranschaulichen, wie bedeutend die muslimische Bevölkerung in den letzten zwei Jahrzehnten gewachsen ist.

In Abbildung 1 ist der Anstieg der britischen Bevölkerung seit 1801 deutlich zu erkennen, wobei 1941 aufgrund des Zweiten Weltkrieges keine Zählung erfolgte.

Angesichts der Migration aus dem ehemaligen Empire gewann die statistische Erhebung der Einwohner*innen für die Regierung an Bedeutung. 2011 lag die Gesamtbevölkerungsanzahl von England und Wales bei 56,1 Millionen. 2001 hingegen bei 52,4 Millionen. Seit 1801 ist das der höchste Einwohnerzahlanstieg innerhalb eines Zehn-Jahres-Intervalls, der erhoben wurde.

Abbildung 1: Gesamtbevölkerungszahl von England und Wales 1801-2011

Eine 2018 veröffentliche Metastudie zeigt einen weiteren Anstieg der britischen Bevölkerung in England und Wales um 1,7 Millionen Menschen.9 Die für diese Arbeit aber wesentlich wichtigere Statistik ist diejenige, die sich auf den muslimischen Anteil der Bevölkerung bezieht. In Abbildung 2 sind die drei größten Minderheiten in England und Wales auf einem Balkendiagramm dargestellt. Mit 4,8% stellen Muslim*innen 2011 die größte Gruppe dar. 2001 waren es 2,7% und in der veröffentlichten Metastudie 2018 ergaben die Erhebungen für 2016 5,8% in England und 1,6% in Wales. Diese Abbildung zeigt aber nur einen Ausschnitt und

9 Vgl. Muslimische Einwohner in England und Wales 2017 Excel-Tabelle https://www.ons.gov.uk/peoplepopulationandcommunity/culturalidentity/religion/adhocs/008332pop ulationofenglandwalesandselectedlocalauthoritiesagainstnumbersandpercentofmuslims201516201 7 [abgerufen am 15.05.2021].

(12)

Überblick 12 vermittelt den Eindruck einer überaus präsenten muslimischen Bevölkerung.

Abbildung 3 zeigt eine deutlich objektivere Darstellung der Bevölkerungszusammensetzung.

Abbildung 2: Religiöse Minderheiten in England und Wales: Stand 2011

Jedoch ist aus diesen Daten ersichtlich, dass Muslim*innen immer mehr an Bedeutung gewinnen, und daher auch an den ökonomischen und sozialen Bedingungen im Land beteiligt sind. Wie bereits oben erwähnt, veranschaulicht die Abbildung 2 nur das prozentuelle Verhältnis der religiösen Minderheiten in England und Wales. Betrachtet man aber das folgende Balkendiagramm in Abbildung 3, so ergibt sich ein durchaus breiteres Spektrum der Religionszugehörigkeit in England und Wales.

Abbildung 3: Religionszugehörigkeit laut Census 2011

In Abbildung 3 sind die Auswahlmöglichkeiten des Census von 2011 für die Religionszugehörigkeit aufgelistet. Dabei ist ersichtlich, dass ein großer Anteil

59,30%

25,10%

7,20%

4,80%

1,50%

0,80%

0,50%

0,40%

0,40%

Christen ohne Religion keine Angabe Muslime Hindus Sikhs Juden Buddhisten andere Religion

0,00% 10,00% 20,00% 30,00% 40,00% 50,00% 60,00% 70,00%

Religionszugehörigkeit Census 2011

Religionszugehörigkeit Census 2011

(13)

Überblick 13 angibt, keiner Religion anzugehören. Beinahe 60% und damit der größte Teil der britischen Bevölkerung bezeichneten sich als Christ*innen.

Abbildung 4: Muslimische Gruppierungen Ende der 90er Jahre

Abbildung 4 zeigt Schätzungen der vorherrschenden muslimischen Gruppen in Großbritannien Ende der 1990er. Ausgehend von rund 2 Millionen Muslim*innen im Jahre 2001 kommt der Großteil aus Pakistan und Bangladesch. Dies ist auch diejenige Gruppe, die das stärkste Bevölkerungswachstum innerhalb der Muslim*innen aufweist. Waren es im Jahr 1991 640.000, so stieg die Anzahl 2001 auf rund 1 Million. Andere kleinere muslimische Nationalitäten immigrierten aus Algerien, Bosnien, Jordanien, Kurdistan, dem Libanon, Mauretanien und den Golf- Staaten, sowie Nigeria, Palästina, dem Sudan, Syrien und Tunesien. Schätzungen zufolge konvertierten 5.000 Menschen, die vor allem aus dem afrikanisch- karibischen Raum stammten, zum Islam. Weiße Brit*innen hingegen konvertierten eher zum sufistischen Islam. Wie in der oben gezeigten Abbildung ersichtlich ist, zählt die jemenitische Gemeinschaft nur wenige tausend Mitglieder im Vergleich zu den Pakistaner*innen.10

2.2 Arbeitslosigkeit

Neben den Erhebungen zur Einwohnerzahl von England und Wales werden auch Altersprofile und Beschäftigungsausmaße bestimmter Bevölkerungsschichten erstellt. Hierzu zählen unter anderem der Altersdurchschnitt von Muslim*innen und

10 Vgl. Ansari, Humayun, Muslims in Britain, 7.

(14)

Überblick 14 die am dichtesten von Muslim*innen bewohnten Bezirke Englands. 60% aller Muslim*innen in Großbritannien sind unter 30 Jahre11 alt, wohingegen 22% der Christ*innen über 65 Jahre12 alt sind. Ein weiteres Detail aus der Erhebung ist die starke Zuwanderung in die Bezirke Manchester, Birmingham, Bradford, Newham, Tower Hamlets und Haringey. Darüber hinaus sind Muslim*innen im Vergleich zu den anderen religiösen Minderheiten diejenigen mit der größten Arbeitslosigkeit.

Geht man noch einen Schritt weiter und teilt Menschen ohne Beschäftigung in ihre Geschlechter auf, dann ist das Ausmaß noch deutlicher. Nur 37% der Pakistanerinnen, 37% der Bangladescherinnen und 35% der arabischen Frauen sind am Arbeitsmarkt aktiv. Im Vergleich zu den 62% der Inderinnen und 57% der übrigen weiblichen Bevölkerung, sind gerade einmal ein Drittel der muslimischen Frauen in Beschäftigung. Dies lässt darauf schließen, dass der Großteil der muslimischen Frauen verheiratet ist und sich um ihre Familie kümmert. Die meisten muslimischen Haushalte sind kinderreich und finanzieren sich vom Gehalt des Familienvaters. Das wiederum bedeutet, dass sie in ärmeren Verhältnissen leben und sie unmittelbar in die Armut schlittern.

Mit dem Race Relations Act 2000, den Employment Equality Act Regulations 2003 und dem Equality Act 2010 versuchte die britische Regierung der religiösen und genderspezifischen Diskriminierung auch am Arbeitsmarkt entgegenzuwirken. 2010 wurde die Religion explizit als ein „zu schützendes Merkmal“ verankert.13

2.3 Einteilung der Kolonien

Das Empire kannte vier Abstufungen hinsichtlich der eroberten Gebiete, die Hugo Preller wie folgt definiert: Die Kronkolonie14 untersteht nur einer ernannten Regierung und hegt eine enge Verbundenheit zum Mutterland. Die Kolonien im engeren Sinn bestehen aus ernannten Personen und örtlich gewählten Personen, die eine Regierung unter einem vom Souverän gesandten Gouverneur bildeten. Der Begriff Dominion wurde 1867 eingeführt, das vor allem Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika, Irland und Neufundland betraf und die autonomsten

11 Vgl. Hussain / Sherif, Minority religions in the census, 420.

12 Vgl. OFN: What does the Census tell us about religion in 2011? in:

https://www.ons.gov.uk/peoplepopulationandcommunity/culturalidentity/religion/articles/fullstorywha tdoesthecensustellusaboutreligionin2011/2013-05-16 [abgerufen am 08.06.2021].

13 Vgl. Hussain / Sherif, Minority religions in the census, 422-423.

14 Unter anderem: Indien und später Pakistan, Bangladesch, Nepal, Bhutan, Myanmar, Kaschmir, Hongkong

(15)

Überblick 15 Strukturen bildete. Dabei wurde ein Gouverneur vom König/der Königin ernannt, der/die mit einem Parlament vor Ort und mit diesem dafür zuständigen Ministerium zusammenarbeitete.15 Das bedeutet, dass sich diese Länder selbst verwalteten, aber unter dem Schutz der Krone standen und damit allen Pflichten, die damit verbunden waren, nachkommen mussten. Die Protektorate16, wie zum Beispiel Aden im Jemen sicherte den Brit*innen einen idealen Anlegehafen, um Waren vice versa zu verschiffen. Unter einem Protektorat versteht man ein Gebiete, das unter dem Vorwand des Schutzes vor anderen feindseligen Besatzungsmächten erobert wurde und den Eigeninteressen der besetzenden imperialen Macht dient. Die Verwaltungsformen änderten sich zum Teil im Laufe der Geschichte und so wurde zum Beispiel British Indien 1947 von einer Kronkolonie in die Dominions Pakistan und Indien aufgeteilt.

Nach dem ersten Weltkrieg wurde im Versailler Friedensabkommen 1919 im Artikel 22 die Regierungsform des Mandats festgelegt. Preller interpretiert den Artikel wie folgt: „All den Abstufungen lag der Gedanke einer Erziehung der Welt zur europäischen Zivilisation zugrunde (vgl. Art. 22 des Versailler Vertrages).“17 Mit anderen Worten diente die Besetzung der einzelnen Kolonien, der Anpassung an europäische Werte und Strukturen, die zugunsten der wirtschaftlichen Interessen des Empires eingeführt wurden.

2.4 Arten der britischen Staatsangehörigkeit

Rechte und Pflichten der britischen Staatsbürger*innen werden seit 1949 durch sechs Klassen definiert. Diese Einteilung trifft auch den muslimischen Anteil der britischen Bevölkerung. Um das differenzierte Bild der Identitätszugehörigkeit der heterogenen muslimischen Bevölkerung in Großbritannien zu beschreiben, ist es notwendig diese Klassifizierungen aufzuzeigen. Nachfolgend werden in historischer Reihenfolge die Vereinigungen von Irland und Schottland mit England und Wales, sowie die Staatsangehörigkeitsbezeichnungen in der Tabelle 1 aufgelistet.

15 Vgl. Preller, Hugo: Geschichte Englands. II von 1815 bis 1910, Berlin: De Gruyter 21954, 57-58.

16 Schutzherrschaften des britischen Empires wie zum Beispiel Bahrain, Uganda, Nigeria und Ägypten.

17 Vgl. Preller, Geschichte Englands, 58.

(16)

Überblick 16 Im Act of Union 1707 wurde das Königreich Schottland mit dem Königreich England zu Großbritannien vereint.18 Im Act of Union 180119 wurde Großbritannien und Irland zum Vereinten Königreich. Diese beiden Bündnisse waren eine der ersten, die andere Staaten mit dem Mutterland England verbanden. Durch die Kolonialisierung und die Ausdehnung des Imperiums wurden Staatsangehörigkeitsklassen eingeführt. Diese dienten dazu, die Bürger*innen des Empires mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten zu versehen und ihnen im Zuge der Dekolonialisierung eine bestehende Zugehörigkeit anzuerkennen. Vor 1949 wurden pauschal alle Bürger*innen des Commonwealth als „British subject“ deklariert. Das waren jene Bürger*innen, die in irgendeiner Form mit Großbritannien in Verbindung standen.

„British citizen“ betrifft nur diejenigen, die in Großbritannien geboren wurden oder die britische Staatsbürgerschaft innehaben. Mittlerweile gilt in Großbritannien das Geburtsortsprinzip ius soli.20 Im Laufe der Dekolonialisierung von 1949-1997 wurden Einteilungen der Staatsangehörigkeit eingeführt, um die Bürger*innen in den ehemaligen Kolonien zu unterscheiden.

Bedeutend für diese Arbeit sind die Bezeichnungen der Staatsangehörigkeit der weißen britischen Bevölkerung21 (british citizenship), der jemenitischen Migrant*innen (british overseas territories citizen / british overseas citizen) und die der aus Pakistan und Bangladesch (british overseas territories citizen / british overseas citizen) stammenden muslimischen Migrant*innen.

Die britische Regierung kennt sechs Typen der Staatsangehörigkeit und den damit verbundenen Rechten und Pflichten, die in der untenstehenden Tabelle 1 aufgelistet sind.

18 Vgl. The Editors of Encyclopaedia: Britannica. Act of Union, in:

https://www.britannica.com/event/Act-of-Union-Great-Britain-1707 [abgerufen am: 20.07.2021].

19 Vgl. The Editors of Encyclopaedia: Britannica. Act of Union, in:

https://www.britannica.com/event/Act-of-Union-United-Kingdom-1801 [abgerufen am 20.07.2021].

20 Vgl. Types of British nationality: in http://www.gov.uk/types-of-british-nationality [abgerufen am 19.07.2021].

21 Die in Großbritannien geborene Bevölkerung ohne Migrationshintergrund aus den ehemaligen Kolonien. Diese Bezeichnung dient der Unterscheidung hinsichtlich der Klassifikation der Staatsangehörigkeit.

(17)

Überblick 17

BEZEICHNUNG BEDINGUNGEN RECHTE / PFLICHTEN

BRITISH CITIZENSHIP

• geb. im UK • Britischer Pass,

• Keine Einreisekontrollen, Arbeits- und

Aufenthaltsberechtigung

BRITISH OVERSEAS TERRITORIES CITIZEN

• geb. vor Jänner 1983 im UK

• Bürger*in des CUKC*

• Verwandtschaft geboren in

Überseegebieten

• Mit einem Bürger** der Überseegebiete verheiratet

• Britischer Pass

• Konsulatsbetreuung und Schutz

• Einreisekontrollen

• Keine automatische Arbeits- und

Aufenthaltsberechtigung

• Gilt nicht für die

Europäische Union als britische/r Bürger*in BRITISH CITIZENSHIP

automatisch seit 21.05.2002 aus ausgewählten Gebieten***

BRITISH OVERSEAS CITIZEN

• geb. vor

Dezember 1982 im UK

Ansuchen:

• Kinder unter 18

• Staatenlose

• Britischer Pass

• Konsulatsbetreuung und Schutz

• Einreisekontrollen

• Keine automatische Arbeits- und

Aufenthaltsberechtigung

• Gilt nicht für die

Europäische Union als britische/r Bürger*in

BRITISH SUBJECT

bis 1949:

• fast alle

Bürger*innen des Empires

nach 1949:

• Kinder staatenloser Eltern

• Staatenlose

• geb. außerhalb des UK oder der Überseegebiete

• Britischer Pass

• Konsulatsbetreuung und Schutz

• Einreisekontrollen

• Keine automatische Arbeits- und

Aufenthaltsberechtigung

• Gilt nicht für die

Europäische Union als britische/r Bürger*in

BRITISH NATIONAL (OVERSEAS)

• registriert vor 1997;

• betrifft nur Hong Kong

Ansuchen:

• Britischer Pass

• Konsulatsbetreuung und Schutz

• Einreisekontrollen

• Keine automatische Arbeits- und

Aufenthaltsberechtigung

(18)

Überblick 18

• Arbeits-

Aufenthalts- und Studienerlaubnis

• Gilt nicht für die

Europäische Union als britische/r Bürger*in

BRITISH PROTECTED PERSON

Betrifft:

• Geschützte Personen aus Burnei

Darussalam

• Staatenlose Personen

• Status der geschützten Person bereits vor Jänner 1983 Ansuchen wenn:

• Dauerhaft staatenlos

• In der UK oder den

Überseegebieten geboren

• Eltern des Kindes waren bereits geschützte Personen

• Britischer Pass

• Konsulatsbetreuung und Schutz

• Einreisekontrollen

• Keine automatische Arbeits- und

Aufenthaltsberechtigung

• Gilt nicht für die

Europäische Union als britische/r Bürger*in

Tabelle 1: Typen der Staatsangehörigkeit

* Citizen of the United Kingdom and Colonies

** Gilt nur für Frauen, welche mit einem Mann, der den Status eines britischen Übersehgebietseinwohners innehat, verheiratet sind, nicht umgekehrt.

*** Anguilla, Bermuda, British Antarctic Territory, British Indian Ocean Territory, British Virgin Islands, Cayman Islands, Falkland Islands, Gibraltar, Montserrat, Pitcairn Islands, Saint Helena, Ascension and Tristan da Cunha, South Georgia and the South Sandwich Islands, Turks, and Caicos Islands

Heute gilt für alle in Großbritannien lebenden Personen das Geburtsortsprinzip ius soli.

2.5 Sklavenhandel und Sklaverei – Ausbeutung und Arbeitskräfte

Der Sklavenhandel und die Sklaverei selbst, waren für das British Empire von großer Bedeutung in wirtschaftlicher Hinsicht. Vor allem, um den Bedarf an Kaffee, Tabak und Zucker zu decken. Herangezogen wurden zuallererst irische Sträflinge, die auf den Plantagen in Amerika arbeiteten. Nach Aufständen der irischen Häftlinge bedienten sich die Brit*innen der Sklav*innen aus den afrikanischen Kolonien22, die

22 Vgl. Craig, Gary: The UK´s Modern Slavery Legislation. An Early Assessment of Progress, in:

Cogitatio 5 / 2 (2017) 17.

(19)

Überblick 19 zuverlässiger und weniger anfällig für Tropenkrankheiten waren.23 Die Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei per se erfolgte in zwei Stufen in den Jahren 180724 und 183325. Auch innerhalb der Kolonien wurden Menschen in die Leibeigenschaft der Großgrundbesitzer gedrängt oder als billige Arbeitskräfte in der Marine beziehungsweis den Fabriken eingesetzt. Darunter befanden sich auch Muslim*innen aus Pakistan, Bangladesch und dem Jemen. Zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert und dem Beginn der Industriellen Revolution in Großbritannien eröffnete sich mit der Entwicklung der Dampfschiffe ein Arbeitsmarkt für viele jemenitische Muslime. Die Arbeit der männlichen jemenitischen Bevölkerung beschränkte sich vorwiegend auf den Bereich der Schifffahrt. 2015 veröffentlichte der unabhängige Nachrichtensender Al Jazeera (English) eine Dokumentation26 über die ersten Jemeniten in Großbritannien. Zeitzeugen, die 1950 über den Seeweg an die Küsten Großbritanniens kamen, erzählen von ihren Erfahrungen als älteste muslimische Gemeinde. Jemenitische Muslime arbeiteten unter Deck auf den Dampfschiffen der britischen Marine und befeuerten die Öfen mit Kohle. Aus den Gesprächen mit den Zeitzeugen ging unter anderem hervor, dass Jemeniten nur ein Drittel von dem Lohn bekamen, den die weiße britische Besatzung erhielt.

2.6 Migration und Flucht - Beweggründe

Migrationsbewegungen und Völkerwanderungen sind kein Phänomen des 21.

Jahrhunderts, sondern ein Teil des stetigen Wandels der politischen, ökonomischen und militärischen Gegebenheiten. Aber die Frage nach den unterschiedlichen Beweggründen der Menschen bleibt. 2016 erreichte Europa eine Flüchtlingswelle, verschuldet von einem Krieg im mittleren Osten27, der tausende Menschen in die Armut trieb. Migrationsbewegungen werden von Forschungsgruppen wie Globale

23 Vgl. Osterhammel, Sklaverei und die Zivilisation des Westens, 49.

24 Vgl. Farrell, Stephen: Contrary to the Principles of Justice, Humanity and Sound Policy. The Slave Trade, Parliamentary Politics and the Abolition Act, 1807*, in: Parliamentary History 26 / S1 (2007) 142.

25 Vgl. Slavery Abolition Act, in: https://www.pdavis.nl/Legis_07.htm [abgerufen am 16.07.2021].

26 BRITAIN´S FIRST YEMENIS (Regie: Alsaedi, Mohammed, England 2015).

27 Die Bezeichnung Mittlerer Osten umfasst laut Wissenschaftlern Libyen, Saudi-Arabien, Jemen, Vereinigte Arabische Emirate, Oman, Kuwait, Katar, Bahrain, Israel, Palästinensische Autonomiegebiete (Palästina), Jordanien, Libanon, Syrien, Irak und Iran.

Siehe hierzu: Klingholz, Reiner / Müller, Ruth / Sievert, Stephan: Krisenregion Mena. Wie demografische Veränderungen die Entwicklung im Nahen Osten und Nordafrika beeinflussen und

was das für Europa bedeutet, in: https://www.berlin-

institut.org/fileadmin/Redaktion/Publikationen/aeltere_Studien/Krisenregion_Mena/Mena_RZ_NEU _online.pdf [abgerufen am 21.07.2021].

(20)

Überblick 20 Fragen der SWP (Stiftung Wissenschaft und Politik), die von Steffen Angenendt28 geleitet wird, der UNHCR, UNICEF, IOM und der EU-Kommission analysiert. Unter anderem sind Steffen Angenendt und Muhammad Anwar29 der Überzeugung, dass die sogenannten Push- und Pull-Faktoren (Druck- und Sogfaktoren) nicht voneinander zu trennen sind, sondern gemeinsam wirken. Aus heutiger europäischer Sicht, so meint Angenendt, sind die stärksten Triebkräfte für Migration Bürgerkriege und Kriege. Global und epochal gesehen, spielen ökonomische Gründe eine weitaus bedeutendere Rolle. Von geschätzten 250 Millionen Menschen weltweit (diese Angaben beziehen sich auf das 21. Jahrhundert) wandern nur etwa 65 Millionen aufgrund von Terror oder Krieg aus ihren Heimatländern aus. Die Gründe, warum sich Menschen dazu entscheiden, in ein fremdes Land zu flüchten, sind vielfältig. Neben einem exponentiellen Bevölkerungswachstum30 und den damit entstehenden sekundären Folgeerscheinungen wie Nahrungsmittelknappheit, marginale medizinische Versorgung und hohe Arbeitslosigkeit, sind Terror und Kriege eher die Ausnahme, die zu Migration beziehungsweise einem demografischen Wandel31 führen.32 Dies wird auch in der Migration der Muslim*innen aus dem Jemen, Pakistan und Bangladesch im nachfolgenden Kapitel erläutert.

28 Vgl. Reitan, Klaus: Die neuen Völkerwanderung. Ursachen der Migration, in: Reitan, Klaus (Hg.):

Die vielen Gründe der Migration. Interview mit Steffen Angnendt, Wien: Edition Steinbauer 2016, 63.

29 Vgl. Anwar, Muhammad: Muslims in Western States. The British Experience and the Way Forward, in: Journal of Muslim Minority Affaires 28 / 1 (2008) 129.

30 Der demografische Wandel findet global statt. Pauschalierungen wonach Afrika zu den fertilsten Kontinenten zählt müssen verneint werden. Teile Afrikas wie Nigeria, Mali, Niger und Tschad haben verzeichnen eine hohe Fertilität, wobei Tunesien und andere Länder Nordafrikas auf europäischem Niveau gelandet sind.

31 Unter demografischem Wandel versteht man den Zusammenhang der Faktoren der Zu- und Abwanderung sowie der Geburten- und Sterblichkeitsrate.

32 Vgl. Reitan, Die neuen Völkerwanderungen, 63-64.

(21)

Epochaler Überblick 21

3. Epochaler Überblick

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wann, in welcher Form und warum die Islamische Welt33 mit der britischen Bevölkerung in Kontakt kam und inwieweit sich diese Beziehung auf das Zusammenleben bis in die Gegenwart auswirkte. Im Kapitel 1.3 wird erläutert, wie sich die einseitige literarische Berichterstattung auf die Beziehung zwischen Muslim*innen und Brit*innen im 7. Jahrhundert auswirkte.

Die Berichte von Bede sollen als negatives Beispiel zeitgenössischer Historik dienen und die/den Leser*in dazu animieren, das Berichtete objektiv und kritisch zu hinterfragen. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt auf dem Bereich der immigrierten Jemenit*innen, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Großbritannien kamen. Aus diesem Grund wird auch in den folgenden Kapiteln immer wieder darauf Bezug genommen und detailliert beschrieben.

3.1 Differenzierter Blick auf die Geschichte

Voraussetzung für eine objektive Darstellung der Geschichte der Muslim*innen in Großbritannien, insbesondere der jemenitischen, ist das Wissen über unterschiedliche epochale, religiöse, ethnische und kulturelle Hintergründe der Autor*innen, die von Muslim*innen berichteten. Denn die Daten, die im Laufe der Geschichte über die Islamische Welt in Großbritannien gesammelt und danach aufgeschrieben wurden, führten nach Gilliat-Ray oft zu Missverständnissen, wie sie es in ihrem Buch Muslims in Britain folgend beschrieb:

“It is important at the outset to consider where information about Islam and Muslims in Britain has come from over the course of history, and the limitations and biases of difference sources. Any understanding of the relationship between Islam and Britain is inevitably shaped by the available evidence, so whether we are examining Christian ecclesiastical texts, travel diaries, captivity narratives, parliamentary papers, literary fiction, or stage plays, there are inevitably inherent limitations and

33 Die Kurzformulierungen wie „islamische Welt“ oder „muslimische Welt“ werden bewusst von mir gewählt. Ich weiß, dass diese Bezeichnungen der Vielfalt im sprachlichen, kulturellen, ethnischen und religiösen Bereich der Muslim*innen nicht gerecht werden, benutze diese Sätze aber im Bewusstsein dieser Vielfalt.

(22)

Epochaler Überblick 22 biases. Misunderstandings of Islam and Muslims in one genre are often reproduced in another.” 34

Die Bedeutung eines historischen Verständnisses ist ebenso wichtig, wie das eines religiösen. Die unterschiedlichen religiösen Vorstellungen und die kulturellen Ideen, die durch die Migration nach Großbritannien eingeflossen sind, trugen wesentlich zur Entwicklung der heterogenen muslimischen Bevölkerung wie auch der britischen bei.35 Wenn hier von unterschiedlichen religiösen Vorstellungen geschrieben wird, dann deswegen, weil es die einheitliche Geschichte des Islam oder der Muslim*innen nicht gibt. Ein Blick in die Geschichte und die Archäologie, sowie die wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit historischen Texten der jeweiligen Epochen zeigen, dass es einen differenzierteren Blick darauf braucht.

Liest man zum Beispiel die Zeilen von Bede (673 -735), einem englischen Mönch, Gelehrten und Schriftsteller, der in einem Kloster in Northumberland den Versuch wagte, die Muslime seiner Zeit zu beschreiben, so bestätigt sich die oben erwähnte Dringlichkeit der objektiven Forschung. Er studierte die Schriften des Hl.

Hieronymus (342-420), in denen eine düstere Stimmung hinsichtlich Arabiens gezeichnet wurde. Diese mit Vorurteilen behafteten Eindrücke übernahm Bede und ließ sie in seine Beschreibungen über die Muslim*innen in England einfließen.

Obwohl zu Zeiten Hieronymus der Islam des Propheten Mohammed noch gar nicht

„geboren“ war, so kam es dem christlich geprägten Mönch gelegen, diese Vorurteile auf die fremde Bedrohung zu übertragen und die als „Sarazene“ zu titulieren. Gilliat- Ray fasst die Aussagen des Kirchenvaters wie folgt zusammen:

“For Jerome, there was a direct connection between the desert-dwelling ‘Saracens’

and all that was ‘dark’ or within ‘shadows’. He defined Arabia as ‘evening’, the

34 Vgl. Gilliat-Ray, Sophie: Muslims in Britain. An Introduction, Cambridge: Cambridge University Press 2010, 3.

35 Ich führe hier drei Artikel als Beispiele auf, die sich mit aktuellen Themen, welche die Migration und Integration betreffen, auseinandersetzen. Diese Beispiele versuchen nicht die Fülle der Diskurse zu decken, sondern einen Einblick in die diversen Konfliktthemen zu geben. Siehe dazu:

Bärthlein, Thomas: Tief gespalten. Britisch-asiatische Wähler und der Brexit, in:

https://de.qantara.de/inhalt/britisch-asiatische-waehler-und-der-brexit-tief-gespalten [abgerufen am 21.07.2021].

Tellmama: Islamophobia and Anti-Muslim Hatred in North East England, in:

https://tellmamauk.org/islamophobia-and-anti-muslim-hatred-in-north-east-england-2/ [abgerufen am 21.07.2021].

Borger, Sebastian: Erzbischof von Canterbury für Duldung von Teilen der Scharia, in:

https://www.derstandard.at/story/3216635/erzbischof-von-canterbury-fuer-duldung-von-teilen-der- scharia [abgerufen am 21.07.2021].

(23)

Epochaler Überblick 23 beginning of night and sin, and he contrasted this spiritual darkness with ‘the light of scriptural knowledge’.”36

In den vergangen Jahrzehnten leisteten und leisten Wissenschaftler*innen einen essenziellen Beitrag zur objektiven Darstellung der Geschichte des Islam und der Muslim*innen in Großbritannien.37 Die Aufarbeitung der eigenen imperialen Geschichte und die Erörterung von Diskrepanzen in einer multireligiösen Bevölkerung sind Ziel der wissenschaftlichen Forschung und religiösen38 beziehungsweise genderaffinen Organisationen39 im Commonwealth. Angetrieben von den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn 2017 und der Flüchtlingswelle 2015/16 eröffneten sich Diskurse zwischen Vertreter*innen der muslimischen Glaubensgemeinschaften und der Politik, die bis in die Gegenwart aktuell sind.

3.2 Die ersten Kontakte

3.2.1 Islamische Expansion im ersten Jahrtausend und wirtschaftliche Interessen

Die folgenden Kapitel beschreiben epochenartig die ersten Kontakte der weißen britischen Bevölkerung mit der muslimischen Welt ab dem 8. Jahrhundert und enden mit der Migration jemenitischer Muslim*innen nach Großbritannien im 20.

Jahrhundert.

Im 7. Jahrhundert etablierten sich zwei Weltreligionen, zum einen in Mekka und zum anderen in Kent. Mohammeds Ruf zum Prophetentum im Jahre 610 und Augustinus christlich, missionarische Tätigkeit in Kent im Jahre 597 verhalfen beiden Religionen zu Bekehrungen und der Ausbreitung ihrer Theologien.40 Nach Mohammeds Tod

36 Vgl. Gilliat-Ray, Muslims in Britain, 5.

37 Beispiele von Islamwissenschaftler*innen, die sich mit unterschiedlichen Bereichen auseinandersetzten und dazu publizierten.

Cook, Michael: Commanding Right and Forbidding Wrong in Islamic Thought, Cambridge University Press 2000.

Rohe, Mathias: Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart, München: 32011.

Gilliat-Ray, Sophie: Muslims in Britain. An introduction, Cambridge: Cambridge University Press 2010.

Anwar, Muhammad: Between Two Cultures. Study in the Relationships Between Generations in the Asian Community in Britain, London: Commission for Racial Equality 1976.

38 The British-Yemeni Society, British Muslim Forum, UK Islamic Mission, Muslim Council of Britain

39 Tell Mama (Measuring Anti-Muslim Attacks)

40 Ich begrenze bewusst die Fakten über die Ausbreitung des Christentums und weiß über dessen vielfältige Geschichte Bescheid, jedoch bezieht sich dieser Bereich nur auf England. Damit soll festgehalten werden, dass das Christentum beinahe gleichzeitig mit dem Islam missioniert hat und, um die Vormachtstellung in Europa konkurriert hat.

(24)

Epochaler Überblick 24 im Jahre 632 übernahmen vier seiner engsten Vertrauten die Herrschaft: Abū Bakr, Umar, Uthmān und Alī. Mu´āwiya gründete nach Uthmans und Alīs´ Tod das Umayyaden-Kalifat, welches 750 vom Kalifat der Abbāsiden abgelöst wurde. Der sunnitische Islam der shāfi´tischen Rechtsschule breitete sich entlang der Küste aus, wohingegen sich der zaydītische Islam der shīitischen Rechtsschule im Norden ausbreitete.41 Arabische Eroberer (Umayyaden) fielen zu Beginn des 8. Jahrhundert an der Küste Afrikas ein und teilten Nordafrika in zwei Regionen auf: Ifrīqiya42 und in die Maghreb43-Staaten. Über die Straße von Gibraltar versuchten die arabischen Truppen gemeinsam mit den Berbern44 Gebiete Spaniens zu erobern. Das nach der Eroberung multireligiöse45 Al-Andalus (der arabische Name für das islamische Gebiet der Iberischen Halbinsel) wurde zuerst von umayyadischen Statthaltern und später von abbāsidischen regiert.46

Die ersten Kontakte zu umayyadischen Muslim*innen führen demnach bis in das 8.

Jahrhundert zurück. Großbritannien, als eine Seefahrernation, betrieb vor allem Handel mit Mittelmeerländern wie Spanien und begegnete auf diese Weise umayyadischen Eroberern. Aus Bredes Schriften geht hervor, dass er Pfeffer und Weihrauch besaß, die Archäologie entdeckte koptische Bronzeschüsseln und byzantinisches Silber, die eine aufrechte Handelsbeziehung zu Muslim*innen im mediterranen Raum bestätigen.47 Im 9. Jahrhundert wurde im Jemen die Rassid- Dynastie von einem Zaydī Imām gegründet, der über Jemen herrschte.48

Aus dieser Zeit stammen auch zwei nennenswerte Funde, die den Kontakt zwischen Brit*innen und Muslim*innen noch untermauern. Um 900 entstammt das Ballycottin- Kreuz, welches in der Grafschaft von Cork in Irland gefunden wurde und auf dem sich eine arabische Inschrift befindet. Ein weiterer Hinweis auf die ersten Kontakte zu Muslim*innen ist eine der drei Goldmünzen, die aus der Regierungszeit des

41 Vgl. Siddique Seddon, Mohammad: The Last of The Lascars. Yemeni Muslims in Britain, 1836- 2012, Istanbul: IMAK 2014, x.

42 Ost-Tunesien, Ost-Algerien und Tripolitanien (heute Libyen)

43 Teile der Sahara, Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen

44 Berber bezeichnet eine nicht genauer definierte Bevölkerungsgruppe in Nordafrika. Sie waren Anfang des 8. Jahrhunderts den arabischen Inquisitoren ausgeliefert und eroberten gemeinsam Spanien innerhalb von zwei Jahren.

45 Christen, Juden, nicht konvertierte Berber und umayyadische Muslime

46 Vgl. Scarfe Beckett, Katharine: Anglo-Saxon Perceptions of the Islamic World, Cambridge:

Cambridge University Press 2003 28-34.

47 Vgl. Scarfe Beckett, Anglo-Saxon Perceptions of the Islamic World, 61-62.

48 Vgl. Siddique Seddon, The Last of The Lascars, x.

(25)

Epochaler Überblick 25 Königs Offa von Mercia49 (757-796) in England erhalten sind. Sie stellen eine Kopie eines Golddinars der Abbasiden-Dynastie dar und wurden auf der einen Seite mit der arabischen Formel der Shahāda, dem islamischen Glaubensbekenntnis, und auf der anderen mit den Worten Offa Rex geprägt.50 51 Diese Inschrift lässt darauf schließen, dass König Offa einer der ersten britischen Konvertiten war, allerdings stellt Sophie Gilliat-Ray in ihrem Buch Muslims in Britain – An Introduction52 fest, dass diese Münzen kein Beweis dafür sind. Anhand der Inschriften sei demnach zu erkennen, dass weder Offa noch seine Geldgeber, die Bedeutung des Arabischen erfassen konnten. Darüber hinaus hält sie fest, dass Offa in ein neues Erzbistum investieren wollte, was die oben erwähnte Aussage wiederum unglaubwürdig machen würde. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass diese Münze als eine Art Abgabe an den Heiligen Stuhl in Rom gedacht war, da auch dort dieselben Münzen entdeckt wurden.

Abbildung 5: Offas Golddinar

Die Abbāsiden erlangten nach einem erfolgreichen Machtwechsel die Oberhand in der muslimischen Welt, verloren aber in Afrika, an die ägyptischen Fātimiden, an Einfluss. Der Großteil Spaniens, Al-Andalus, wurde zu einem eigenständigen

49 Das Königreich Mercia der Anglo-Sachsen bestand zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert und war eines der mächtigsten in England.

50 Vgl. Hannon, Paul: Muslime in Grossbritannien. Integrationsprozesse in Geschichte und Gegenwart in: Religionen unterwegs, 21 / 3 (2015) 16.

51 Vergleiche auch hierzu die englische Version von Hellyer, Hisham A.: British Muslims. Past, Present and Future in: The Muslim World 97 (2007) 227.

52 Vgl. Gilliat-Ray, Muslims in Britain, 6-7.

(26)

Epochaler Überblick 26 umayyadischen Emirat von Abd ar-Rahmān I erklärt und war zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Christen, Berbern, Arabern und Neo-Muslimen ausgesetzt. Im 11. Jahrhundert gewannen die Almoraviden an Macht in Spanien, darunter gehörten Marokko, Algerien, Portugal sowie Mauretanien und Westsahara zu ihren Herrschaftsgebieten. Die Ayyūbīden herrschten im 12. Jahrhundert von Ägypten aus über die Küste Nordafrikas bis in den Jemen. Vor 1173 waren Nord- und Südjemen von zahlreichen sunnitischen sowie ismailitischen Dynastien beherrscht, bis sich im 9. Jahrhundert das Zaydī Imāmāt etablierte und fast 1000 Jahre den Jemen regierte. Das byzantinische Reich gewann und verlor in den darauffolgenden Jahrhunderten immer wieder an Landmasse und Einfluss, bis es im 15. Jahrhundert von den Osmanen erobert wurde.53

Im 13. Jahrhundert unter der Regentschaft von König John I. waren die Beziehungen zur muslimischen Welt so gefestigt, dass der König in Betracht zog die Tochter des Sharif von Marokko54 zu ehelichen und zum Islam zu konvertieren.

Dieses Angebot wurde aber vom Sharif abgelehnt, da er die Aufrichtigkeit der königlichen Absichten nicht erkennen konnte. Trotz der Reconquista (Rückeroberung Spaniens bis ins 15. Jahrhundert) und der anhaltenden Kreuzzüge gegen die muslimischen Eroberer gab es erste Mischehen zwischen spanischen Muslim*innen und den Brit*innen.55

Im 16. und 17. Jahrhundert erreichten die ersten Reisenden den Nahen Osten und berichteten über Muslim*innen. Aus Tagebüchern und Reiseberichten, die überliefert wurden und erhalten blieben, geht hervor, dass die Informationen, die die Reisenden über die „Anderen“ aufzeichneten, nicht über die stereotypen Vorstellungen hinausgingen. Jones beschreibt dies mit folgenden Worten:

“Most travelers were too isolated to observe and understand more than the externals. Legally subject to the millet system, which placed them under the rule of their ambassadors, they lived around the embassies and seldom learned enough of the language or customs to penetrate the stereotypes. Their knowledge of the Turks was gleaned from books they had read, rumors they heard from other Europeans or

53 Vgl. Scarfe Beckett, Anglo-Saxon Perceptions of the Islamic World, 36-38.

54Scharif (arab. sharīf, «edel, erhaben»), wird allgemein für Personen von besonderem Status in der islamischen Gesellschaft verwendet, im Besonderen für die Sippe und Nachkommen des Propheten Muḥammad. siehe: Bundeszentrale für politische Bildung Kleines Islam-Lexikon online

55 Vgl. Hellyer, Hisham A.: British Muslims. Past, Present and Future in: The Muslim World 97 (2007) 227.

(27)

Epochaler Überblick 27 their dragomans, and direct observations of events whose internal causes and significance they did not understand.”56

Unter Königin Elizabeth I. im 16. Jahrhundert herrschte ein freundschaftliches Verhältnis zwischen dem britischen Königshaus und den Osmanen, wofür bereits ihr Vater die Basis durch Bündnisse schuf. Es wurde vereinbart, dass jeder von den Spaniern gerettete muslimische Soldat in England Asyl bekam und umgekehrt, dass jeder gerettete Engländer, von den Osmanen, wieder zurücktransportiert wird.57 Dabei ist zu erwähnen, dass damals innerhalb Englands Muslim*innen (Araber, Berber und Osmanen) weder eine Daueraufenthaltsberechtigung hatten noch Untertanen der Krone waren, sondern als eigenständige Gruppen inmitten der britischen Gesellschaft existierten.58 Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass die Königin Sultan Murad bei der Bekämpfung der Spanier 1588 zur Seite stand. Dies könnte mitunter ein Grund für die Rettung Englands vor der spanischen Regentschaft gewesen sein.59

Die Handelsbeziehungen zur muslimischen Welt und die gemeinsame Abneigung gegenüber den Spaniern ging so weit, dass Königin Elizabeth ihre Kapitäne dazu aufforderte, gekaperte spanische Schiffe und die sich an Bord befindenden muslimischen Sklaven mit Nahrung, Kleidung und Geld auszustatten und sie zurück in ihre Heimat zu bringen. Auch zum Sharif Ahmad al-Mansur, dem marokkanischen Sultan, pflegte das britische Königshaus ein militärisches, wirtschaftliches und diplomatisches Verhältnis.60 Die erste Schiffsladung aus Marokko 1574 beinhaltete 300 Tonnen raffinierten Zucker, 220 Melasse, 1400 Pfund Süßigkeiten, 600 Pfund Marmelade, 6 Tonnen Datteln und 30 Tonnen Mandeln.61 Die Osmanen eroberten unterdessen 1517 den Jemen mithilfe ägyptischer Streitkräfte von den Portugiesen zurück und sicherten sich die Hafenstadt Aden. Mit der Gründung der English East

56 Vgl. Jones, Norman L.: The Adaptation of Tradition. The Image of the Turk in Protestant England, in: East European Quarterly XII / 2 (1978) 169.

57 Vgl. Rosser-Owen, Isla: Muslims of London. A brief historical overview in:

http://www.masud.co.uk/ISLAM/bmh/BMH-IRO-historical_overview.htm [abgerufen am:

23.07.2021].

58 Die Kolonialisierung Afrikas und Asiens begann erst im 17. Jahrhundert, als man die Vormachtstellung Spaniens und Frankreichs in Frage stellte.

59 Vgl. Gilliat-Ray, Muslims in Britain, 13.

60 Vgl. Hellyer, British Muslims, 227.

61 Vgl. Rosser-Owen, Isla: Muslims of London. A brief historical overview in:

http://www.masud.co.uk/ISLAM/bmh/BMH-IRO-historical_overview.htm [abgerufen am:

23.07.2021].

(28)

Epochaler Überblick 28 India Kompanie 160062 fluorierte der Handel zwischen den asiatisch/arabischen Staaten und der Küste Englands. Anfang des 17. Jahrhunderts wurde John Jourdain, ein Vertreter der Ost-Indien Kompanie, der erste namentlich erwähnte Engländer im Jemen.63

Bis in das 18. Jahrhundert erlebte Großbritannien einen wirtschaftlichen und ökonomischen Aufschwung, der durch zahlreiche Verträge und Handelsabkommen untermauert wurde. Folgendes schreibt Gilliat-Ray zur wirtschaftlichen und politischen Beziehung zwischen Muslim*innen und Großbritannien:

„When Britain has been in a position of relative weakness, interests have tended to be negotiated with the Muslim world. But when Britain has been more powerful, economically and politically, negotiation has usually been replaced by the imposition of terms and conditions detrimental to Muslim participants both in trade and in politics. Paradoxically, therefore, throughout history negative assumptions about Islam and Muslims have coexisted alongside very different secular views about the material culture of Muslim countries. “64

Muslim*innen durften mit Erlaubnis des Königs Charles I. ihre Religion ausüben, muslimische Händler, Gefangene und Botschafter prägten das gesellschaftliche Leben und die ersten britischen Bürger*innen konvertierten zum Islam. Diese scheinbare Idylle findet mit König James 1604 ein Ende, als er den Vertrag mit den Spaniern zum gemeinsamen Widerstand gegen die Osmanen unterzeichnet. Was aber blieb, ist das kulturelle und intellektuelle Erbe einer mutualen Verbindung.

Deutlich wird das anhand der im 17. Jahrhundert eingerichteten Lehrstühle für arabische Studien in Oxford und Cambridge sowie der ersten englischen Version des Korans übersetzt von Alexander Ross im Jahre 1649. Der Kanon der Medizin von Ibn Sina (980 – 1037)65 prägte die Medizinstudenten (Medizinstudentinnen gab es noch nicht) bis in das 16. Jahrhundert.66

62 Vgl. Siddique Seddon, The Last of The Lascars, 1.

63 Vgl. Siddique Seddon, The Last of The Lascars., x.

64 Vgl. Gilliat-Ray, Muslims in Britain, 8.

65 Vgl. Strick, Heinz Klaus: Ibn Sina (980-1037). Der Vielgelehrte, in:

https://www.spektrum.de/wissen/ibn-sina-980-1037/1067603 [abgerufen am 19.05.2021].

66 Vgl. Helleyer, British Muslims, 228.

(29)

Epochaler Überblick 29 3.2.2 Das 18. bis 20. Jahrhundert

Mit Beginn des 18. Jahrhunderts und dem damit verbundenen Begriff der Industriellen Revolution befand sich Großbritannien im wirtschaftlichen Aufschwung und erlebte ein exponentielles Bevölkerungswachstum. W. W. Rostow bezeichnet dazu die zwei Jahrzehnte zwischen 1783 und 1802 als die Phasen des „take-off“, bei denen es sich um eine jährliche Wachstumsrate von 2% handelt.67 Durch das stetige Wachstum der britischen Bevölkerung und des Interesses an wirtschaftlicher Ausbeutung anderer Länder zum eigenen finanziellen Aufstieg, wurde der Drang der Brit*innen fremde Länder zu besetzen, immer größer.68 Auch, um Frankreich zu dieser Zeit die Vormachtstellung rund um das Rote Meer zu nehmen und militärisch brisante Stützpunkte einzunehmen.

Mitte des 19. Jahrhunderts stand der Suez-Kanal unter französischem Einfluss. Er gilt seit seiner Öffnung im Jahre 1869 als die wichtigste Handelsroute auf dem Seeweg zwischen dem Mittleren Osten69 und Europa.70 Unter den eroberten Gebieten zählte auch die Hafenstadt Aden im Jemen, die die Brit*innen 1838 als Protektorat einnahmen. Aden ist bis heute eine bedeutsame Hafenstadt und war der Knotenpunkt der Ost-Indien-Gesellschaften. Einige Großreiche versuchten Aden und das umliegende Gebiet unter deren Kontrolle zu bringen, darunter zählten zum Beispiel das Römische Reich, Persien, Äthiopien, die Fatimiden71 in Ägypten und die Osmanen. Portugal war eines der ersten europäischen Länder, die 1517 einen gescheiterten Angriff auf Aden verübte.72

Die Industrielle Revolution verhalf den fortschrittlichen Brit*innen zu wertvollen Ressourcen hinsichtlich der Dampfschifffahrt, der Agrarwirtschaft und des Handels.

67 Vgl. Wende, Peter: Grossbritannien 1500-2000. Oldenbourg Grundriss der Geschichte, München:

De Gruyter Oldenbourg 2001, 152.

68 Vgl. Preller, Geschichte Englands, 57.

69 Vgl. Crouzet, Guillemette: The British Empire in India. The Gulf Pearl and the Invention of the Middle East, in: Middle Eastern Studies, 55 / 6 (2019) 1-2.

70 Vgl. Preller, Geschichte Englands, 57-59. / British-Empire in:

https://www.britannica.com/place/British-Empire [abgerufen am 16.07.2021].

71 Die Fatimiden gehören dem schiitischen Islam der Siebener-Schiiten an und herrschten von 909- 1171 in Ägypten. Siehe dazu: Schönig, Hanne: Art. Antike. Schiiten, in: Der neue Pauly https://referenceworks.brillonline.com/search?s.f.s2_parent=s.f.book.der-neue-pauly&search- go=&s.q=Fatimiden [abgerufen am 26.07.2021].

72 Vgl. Mawby, Spencer: British Policy in Aden and the Protectorates 1955-67. Last outpost of a Middle East Empire, London/New York: Routledge 2005, 12.

(30)

Epochaler Überblick 30 Diese Modernisierungsfortritte Englands wurden als Vorlage genutzt und in den Kolonien des 18. und 19. Jahrhunderts weitergeführt beziehungsweise adaptiert.73 Die Ausdehnung des Empires reichte Anfang des 19. Jahrhunderts von Amerika bis hin zu Neuseeland und Australien. 1884 erweiterte es seinen Einfluss auf Afrika und eroberte die Gebiete vom Kap der guten Hoffnung bis nach Ägypten. Um 1865 konnte Großbritannien Nordamerika74, Südasien sowie Singapur und zahlreiche Insel- und Küstengebiete75 in Mittelamerika, am Atlantik, in Afrika und auf der iberischen Halbinsel zu seinen Herrschaftsgebieten zählen.76 Als eine Seefahrernation erweiterte Großbritannien durch militärische Besetzung und Eroberung neuer Gebiete und erreichte 191977 sein größtes Ausmaß, welches ein Viertel der Landmasse der Erde betrug.

73 Vgl. Wende, Grossbritannien 1500-2000, 152.

74 Kanada und Britisch-Kolumbien

75 Hafenstadt Aden (1838) im Jemen

76 Vgl. Preller, Geschichte Englands, 60.

77 Vgl. Versailler Friedensabkommen zwischen den Alliierten zur Aufteilung der Gebietsmandate in:

https://de.wikipedia.org/wiki/Britisches_Weltreich [abgerufen am 15.07.2021].

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