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Dienstbarkeiten und das Bauen - von praktisch wichtigen Schnittstellen

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Année / Jahr:

2015

Dienstbarkeiten und das Bauen - von praktisch wichtigen Schnittstellen

Auteur / Autor:

Schmid Jörg

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Dienstbarkeiten und das Bauen

 von praktisch wichtigen Schnittstellen

Jörg Schmid, Prof. Dr. iur., Luzern1

I. Grundlagen

A Dienstbarkeiten als beschränkte dingliche Nutzungsrechte B Grund- und Personaldienstbarkeiten

C Entstehung, Auslegung und Untergang von Dienstbarkeiten D Der rechtliche Schutz des Dienstbarkeitsberechtigten (Übersicht) II. Dienstbarkeiten, die das Bauen erleichtern

A Wegrechte

1. Die genaue Umschreibung des Inhalts 2. Der Unterhalt

3. Sonderfall: Das Notwegrecht als Legalservitut B Parkplatz-Benützungsrechte

C Baurechte (Baurechtsdienstbarkeiten) D Fotovoltaikdienstbarkeiten

III. Dienstbarkeiten, die das Bauen erschweren A Bauverbote

1. Kennzeichen und Zwecke von Bauverbots-Dienstbarkeiten 2. Streitfälle zur Tragweite des Bauverbots

3. Die rechtliche Durchsetzung B Gewerbebeschränkungen IV. Einzelfragen

A Dienstbarkeiten und Immissionen

B Bauten im Baurecht und Haftung gegenüber Dritten V. Einige Thesen

1 Für wertvolle Mithilfe bei der Materialsammlung und bei der Klärung von Einzelfragen danke ich meinem Assistenten Oliver Zbinden, MLaw. Das Manuskript wurde am 26. Oktober 2014 abgeschlossen.

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Kernaussagen

Dienstbarkeiten sind nach wie vor eines der zentralen und bewährten Mittel, um Nutzungen eines Grundstücks zu ermöglichen oder einzuschränken. Sie sind aber auch

„prozessträchtig“: Gerichtliche Streitigkeiten um Dienstbarkeiten haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Dienstbarkeiten sollen deshalb gezielt und massvoll eingesetzt werden.

Eine fachkundige (juristische) Beratung bei der Errichtung ist angezeigt und wird seit dem Inkrafttreten der jüngsten Sachenrechtsrevision2 vom Gesetz in Art. 732 ZGB (Erfordernis der öffentlichen Beurkundung) vorgesehen. Wichtige Schnittstellen weisen die Dienstbarkeiten zu mehreren anderen Gebieten auf, etwa zum Immissionsrecht und zum Baubewilligungsverfahren.

2 In Kraft seit 1. Januar 2012.

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I. Grundlagen

A Dienstbarkeiten als beschränkte dingliche Nutzungsrechte

Dienstbarkeiten ‒ geregelt in Art. 730 ff. ZGB (auch Servituten genannt, französisch „les servi- tudes“) ‒ sind Nutzungsrechte und betreffen in den meisten Fällen Grundstücke.3 Kraft der Dienstbarkeit darf der Berechtigte:

‒ entweder ein fremdes Grundstück nutzen, etwa durch ein Wegrecht, ein Baurecht oder ein Überbaurecht (sog. affirmative oder positive Dienstbarkeit4);

‒ oder vom belasteten Eigentümer verlangen, dass dieser die Ausübung seines Eigentums- rechts in bestimmter Hinsicht unterlässt, etwa bei einem totalen oder partiellen Bauverbot (sog. negative Dienstbarkeit).

‒ Stets aber ist der Inhalt einer Dienstbarkeit ‒ aus der Sicht des belasteten Eigentümers ‒ ein Dulden oder Unterlassen. Eine Verpflichtung zu einer positiven Leistung kann mit einer Servitut nur nebensächlich verbunden werden (Art. 730 Abs. 2 ZGB).5

Die Nutzung oder Nutzungsbeschränkung, welche die Dienstbarkeit verschafft, ist hierbei ein beschränktes dingliches Recht, das heisst ein Recht, das gegen jedermann („erga omnes“) wirkt, nicht nur gegen jene Person, welche die Dienstbarkeit errichtet hat. Namentlich wirken Dienst- barkeiten auch im Konkurs eines Beteiligten („Konkursfestigkeit“), bestehen also selbst dann weiter, wenn der Wegrechtsbelastete in Konkurs fällt. Dadurch unterscheiden sich Dienstbar- keiten von den rein obligatorisch („persönlich“) wirkenden Nutzungs- und Gebrauchsrechten (Gebrauchsleihe, Miete, Pacht, Leasing) und von blossen Einwilligungen auf Zusehen hin („pre- karistische Gestattung“).6

Im Verhältnis zu den Pfandrechten (die ebenfalls beschränkte dingliche Rechte sind) gilt für die Dienstbarkeiten der Grundsatz der Alterspriorität: Das früher begründete Recht ist grundsätz- lich das stärkere.7 Wurde also zunächst auf einem Grundstück ein Bauverbot als Dienstbarkeit errichtet und später ein Pfandrecht begründet, so bleibt im Zwangsvollstreckungsverfahren (Be- treibung auf Pfandverwertung) das Bauverbot bestehen und bindet den Ersteigerer des Grund- stücks.8

B Grund- und Personaldienstbarkeiten

Je nachdem, wie sich die dienstbarkeitsberechtigte Person bestimmt, unterscheidet das Gesetz zwei Grundarten von Dienstbarkeiten:

‒ Bei den Grunddienstbarkeiten (Art. 730 ff. ZGB) kennzeichnet sich die berechtigte Person durch das Eigentum an einem bestimmten Grundstück. So soll ein Wegrecht (regelmässig) ein ganz bestimmtes Nachbargrundstück erschliessen (also gerade dem jeweiligen Eigentü- mer dieses Grundstücks dienen), ein Bauverbot regelmässig einem oder mehreren bestimm- ten Nachbarn die Aussicht sichern; bei Überbaurechten (Art. 674 ZGB) ist sogar stets der

3 Nur eine Art der (Personal-)Dienstbarkeiten ‒ nämlich die Nutzniessung ‒ kann nicht nur an Grundstücken, son- dern auch an Fahrnis, an Rechten oder an einem ganzen Vermögen errichtet werden (Art. 745 Abs. 1 ZGB). Dies bleibt hier ausser Betracht.

4 Zu dieser Einteilung vgl. PAUL-HENRI STEINAUER, Les droits réels, Band II, 4. Aufl., Bern 2012, Nr. 2202 ff.;

SCHMID JÖRG/HÜRLIMANN-KAUP BETTINA, Sachenrecht, 4. Aufl., Zürich 2012, Nr. 1208 f.

5 STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2218 ff.; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1206.

6 SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1201 ff.

7 STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2148 f.; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1169 ff.

8 Vorbehalten bleibt der Sonderfall, in welchem der Dienstbarkeitsberechtigte bei der Pfanderrichtung dem Vor- rang des Pfandrechts zugestimmt hat.

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jeweilige Eigentümer der betreffenden Nachbarparzelle (von der das überragende Gebäude ausgeht) die dienstbarkeitsberechtigte Person.

‒ Bei Personaldienstbarkeiten (Art. 745 ff. ZGB) ist eine beliebige, im Dienstbarkeitsvertrag und im Grundbuch bezeichnete Person oder Personengruppe ‒ allenfalls sogar die Allge- meinheit (Wegrecht als „Popularservitut“) ‒ aus der Dienstbarkeit berechtigt, ohne Rück- sicht darauf, ob die betreffende Person Eigentümerin eines bestimmten Grundstücks ist oder nicht.

Die Art der Dienstbarkeit wirkt sich auch auf die Frage ihrer Übertragbarkeit aus:

‒ Grunddienstbarkeiten können für sich allein nicht übertragen werden. Recht und Last gehen aber immerhin dann über, wenn das Eigentum am berechtigten oder belasteten Grundstück wechselt.

‒ Gewisse Personaldienstbarkeiten, die im vorliegenden Zusammenhang interessieren, sind übertragbar („selbständig“) oder können übertragbar ausgestaltet werden, namentlich Bau- rechte im Sinn von Art. 779 ff. ZGB. Unter gewissen Voraussetzungen können solche Rech- te sogar als Grundstücke (mit eigener Nummer und dadurch mit Eignung als Grundpfand) im Grundbuch eingetragen werden (Art. 655 Abs. 2 Ziff. 2 und Abs. 3 sowie Art. 779 Abs. 3 ZGB).

C Entstehung, Auslegung und Untergang von Dienstbarkeiten

Dienstbarkeiten entstehen als dingliche Rechte mit der Eintragung in das Grundbuch (Art. 731 Abs. 1 ZGB). Die Eintragung setzt einen Rechtsgrund voraus ‒ in der Regel besteht er in einem Dienstbarkeitsvertrag, der zu seiner Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung bedarf (Art. 732 Abs. 1 ZGB).9 Beschränkt sich die Ausübung einer Dienstbarkeit (etwa eines Wegrechts, eines Baurechts oder eines Bauverbots) auf einen Teil eines Grundstücks und ist die örtliche Lage im Rechtsgrundausweis (Dienstbarkeitsvertrag) nicht genügend bestimmbar umschrieben, so ist sie in einem Auszug des Planes für das Grundbuch zeichnerisch darzustellen (Art. 732 Abs. 2 ZGB).10

Die Formvorschrift der öffentlichen Beurkundung, die erst seit dem Inkrafttreten des neuen Sachenrechts vom 1. Januar 2012 gilt, bezweckt, die Rechtssicherheit bei Dienstbarkeitsver- hältnissen zu erhöhen, zumal es die Aufgabe der Urkundsperson ist, die Parteien fachkundig zu beraten und ihren Willen umfassend und klar in der Urkunde wiederzugeben.11 Die Neuerung ist sachgerecht: Sie mag bei der Errichtung von Dienstbarkeiten im Vergleich zur früheren Rechts- lage zusätzliche Kosten (Beurkundungsgebühren) mit sich bringen, ist aber im Gegenzug geeignet, Kosten eines späteren Prozesses zu vermeiden.

Die Auslegung von Dienstbarkeiten (Grund- und Personaldienstbarkeiten) vollzieht sich unter den ursprünglichen Vertragsparteien nach dem Erwerbsgrund, meistens also nach dem Dienst- barkeitsvertrag.12 War der gegenwärtige Eigentümer des belasteten oder des berechtigten Grund- stücks am Abschluss des Vertrags auf Dienstbarkeitserrichtung nicht beteiligt (Hinzutreten eines „gutgläubigen Dritten“),13 so gilt für die Auslegung die Stufenfolge von Art. 738 ZGB:

Primär ist ‒ soweit sich die Rechte und Pflichten aus dem Grundbucheintrag „deutlich ergeben“

9 Möglich ist auch die Errichtung einer Dienstbarkeit durch öffentlich beurkundete Erklärung des Eigentümers zu Lasten seines Grundstücks, das er zu veräussern gedenkt (Eigentümerdienstbarkeit; Art. 733 ZGB; BGer 5A_383/

2010 vom 10. Dezember 2010 E. 2.1 = ZBGR 92/2011, S. 345 ff.). Zum Sonderfall des Notwegs vgl. hinten III.

A 3; zum Spezialfall der Dienstbarkeitserrichtung durch Erbteilungsvertrag vgl. SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit.

in Fn. 4, Nr. 1245.

10 Zu den Anforderungen an einen solchen Plan vgl. BGE 138 III 742/743 ff. E. 2.

11 STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2231a; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1245.

12 SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1275a ff.

13 STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2288 ff.; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1275d ff.

Aus der neueren Rechtsprechung zum Beispiel BGE 139 III 404/406 f. E. 7.1.

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‒ dieser Eintrag massgebend (Abs. 1).14 Im Rahmen des Eintrags kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit aus ihrem Erwerbsgrund (regelmässig: Dienstbarkeitsvertrag) oder aus der Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt wurde (Abs. 2). Bedeutsam können ‒ namentlich für Weg-, Weide-, Tränke- oder Holzungsrechte ‒ auch das kantonale Recht oder der Ortsgebrauch sein (Art. 740 ZGB). In der Praxis spielt regel- mässig der Erwerbsgrund (Dienstbarkeitsvertrag) eine zentrale Rolle. In den letzten Jahren hat das Bundesgericht zur Auslegungshilfe verschiedentlich den Grundsatz der „natürlichen Publi- zität“ für anwendbar erklärt; danach muss sich ‒ verkürzt formuliert ‒ der Erwerber eines dienstbarkeitsbelasteten bzw. -berechtigten Grundstücks die allgemein sichtbaren Begebenhei- ten entgegenhalten lassen, die zum Zeitpunkt seines Erwerbs bestanden haben.15

Der Untergang einer Dienstbarkeit geschieht gemäss Art. 734 ZGB mit der Löschung des Grundbucheintrags oder mit dem vollständigen Untergang des belasteten oder des berechtigten Grundstücks. Nach Lehre und Rechtsprechung ist aber auch der unmittelbare Verzicht auf eine Dienstbarkeit möglich.16

Dienstbarkeiten (insbesondere Grunddienstbarkeiten) sind nach dem Gesagten auf lange Dauer angelegt. Doch sieht Art. 736 ZGB die Möglichkeit der gerichtlichen Ablösung vor: Hat eine Dienstbarkeit für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren, so kann der Belastete ihre Löschung verlangen (Art. 736 Abs. 1 ZGB). Ist ein Interesse des Berechtigten zwar noch vor- handen, aber im Vergleich zur Belastung von unverhältnismässig geringer Bedeutung, so kann die Dienstbarkeit gegen Entschädigung ganz oder teilweise abgelöst werden (Abs. 2). Letztere Bestimmung ist auch dann anwendbar, wenn das unverändert vorhandene Interesse des Berech- tigten durch eine entsprechende Zunahme der Belastung unverhältnismässig gering geworden ist.17 Doch darf das Anwachsen der Belastung nicht auf Gründe zurückgehen, die vom Eigentü- mer des belasteten Grundstücks selber herbeigeführt worden sind.18 Ausserdem kann ein An- wachsen der Belastung, das einzig auf das Ansteigen der Baulandpreise zurückzuführen ist, nach der Rechtsprechung nur mit Zurückhaltung als Grund für die Ablösung einer Bauverbots- Dienstbarkeit im Sinn von Art. 736 Abs. 2 ZGB anerkannt werden, zumal solche Rechte ihren Zweck gerade dann erfüllen, wenn sich das Interesse an einer Überbauung des belasteten Grundstücks aktualisiert.19 Eine Ablösung kommt nach der Rechtsprechung „höchstens dann“ in Betracht, wenn das belastete Grundstück wegen des Bauverbots „überhaupt nicht mehr vernünf- tig genutzt werden könnte“.20

D Der rechtliche Schutz des Dienstbarkeitsberechtigten (Übersicht) Dem Dienstbarkeitsberechtigten stehen mehrere Schutzbehelfe zur Verfügung, namentlich sol- che des Besitzesschutzes und des Rechtsschutzes:21

‒ Der Inhaber eines beschränkten dinglichen Rechts gilt als Besitzer (Art. 919 Abs. 1 und 2 ZGB). Dem Dienstbarkeitsberechtigten steht daher zunächst (und in einem engen Rahmen) ein Recht auf Selbsthilfe gegen Beeinträchtigungen der Dienstbarkeit zu (allgemein Art. 926 ZGB). Art. 737 Abs. 1 ZGB berechtigt ihn insbesondere dazu, alles zu tun, was zur Erhal- tung und Ausübung der Dienstbarkeit notwendig ist.

14 Beispiel für einen „klaren“ Grundbucheintrag: BGE 107 II 331/334 E. 2 (Bauverbotsdienstbarkeit).

15 Zum Beispiel BGE 137 III 145/149 f. E. 3.3.3 und 137 III 153/155 ff. E. 4; differenzierend und kritisch BETTINA

HÜRLIMANN-KAUP, ZBJV 149/2013, S. 356 ff. und 360 ff.; vgl. auch SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr.

1281a ff.

16 STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2252 f.

17 BGE 107 II 331/339 E. 4 (Praxisänderung).

18 BGE 107 II 331/339 E. 4 mit dem Beispiel eines (im Blick auf das Bauverbot) übersetzten Erwerbspreises.

19 BGE 107 II 331/341 E. 5b.

20 BGE 107 II 331/341 E. 5c (in casu verneint).

21 STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2301 ff.; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1227 ff. mit Hinweisen.

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‒ Als Besitzer stehen dem Dienstbarkeitsberechtigten auch die weiteren Behelfe des Besitzes- schutzes zu, namentlich die Besitzesstörungsklage nach Art. 928 ZGB (hier aktuell als Be- seitigungs- bzw. Unterlassungsklage). Sie setzt grundsätzlich voraus, dass der Besitzer so- fort, nachdem ihm der Eingriff in die Dienstbarkeit und der Täter bekannt geworden sind, die Beseitigung der Störung verlangt (Art. 929 Abs. 1 ZGB), spätestens aber ein Jahr seit Beginn der Besitzesstörung (Art. 926 Abs. 2 ZGB).

‒ Zu den Klagen des sogenannten Rechtsschutzes gehört insbesondere die „actio confessoria“

(Dienstbarkeitsklage). Sie ist zwar gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, aber doch in Leh- re und Rechtsprechung anerkannt; sie erlaubt ein rechtliches Vorgehen gegen jede Person, welche die Ausübung der Dienstbarkeit beeinträchtigt, mit Einschluss des Eigentümers des belasteten Grundstücks (Art. 737 Abs. 3 ZGB).22 Geht die Störung der Dienstbarkeit aller- dings auf eine übermässige Ausübung des Eigentumsrechts auf einem Nachbargrundstück zurück, so steht dem Beeinträchtigten die Klage aus Art. 679 ZGB (Immissionsklage) zu.23

II. Dienstbarkeiten, die das Bauen erleichtern

Im Folgenden seien Beispiele und beispielhafte Rechtsprobleme um Dienstbarkeiten erläutert, die nach ihrem Zweck das Bauen oder die Nutzung der bestehenden Baute erleichtern sollen.

Der Bauende (oder seine Baute Nutzende) ist also jeweils Dienstbarkeitsberechtigter; sein Nachbar ist (seine Nachbarn sind) mit der Servitut belastet.

A Wegrechte

Wegrechte werden regelmässig als Grunddienstbarkeiten errichtet, da es um die (bessere) Er- schliessung eines Grundstücks (und nicht um die Begünstigung einer von diesem Grundstück unabhängigen Person) geht. Von diesem typischen Fall gehen die nachfolgenden Ausführungen aus.

1. Die genaue Umschreibung des Inhalts

Kraft des Wegrechts darf der Berechtigte einen Weg oder eine Strasse in bestimmter Weise nutzen, und der Eigentümer des belasteten Grundstücks muss diese Nutzung dulden (Art. 730 Abs. 1 ZGB). Worin genau die Nutzung besteht, ist im Dienstbarkeitsvertrag (samt allfälligem Plan; Art. 732 Abs. 2 ZGB) von den Errichtungsparteien zu vereinbaren und (vom Grundbuch- verwalter) stichwortartig im Grundbuch zu umschreiben (Art. 98 Abs. 3 GBV). Beizufügen bleibt:

‒ Ein „Fusswegrecht“ erlaubt (nur) die Nutzung „zu Fuss“.24 Ein „Fahrwegrecht“ berechtigt zum Fahren mit Fahrzeugen ‒ ob auch die Benutzung zu Fuss, ist unklar. Soll beides erlaubt sein, empfiehlt sich die Umschreibung als „Fuss- und Fahrwegrecht“.

‒ Bezüglich des Fahrens kann näher bestimmt werden, welche Fahrzeuge zugelassen sind (Personenwagen, landwirtschaftliche Fahrzeuge usw.). Haben die Parteien ein „unbe- schränktes“ Fuss- und Fahrwegrecht vereinbart, so nimmt das Bundesgericht an, damit sei nicht ein nach allen Richtungen und auch gegenüber Mehrbelastungen geschütztes Recht gemeint, geht aber doch davon aus, das Dienstbarkeitsrecht sei „nicht auf bestimmte Zwecke beschränkt oder mit einer besonderen Leistungspflicht verbunden“.25

22 STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2306 f.; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1235.

23 STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2307; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1236.

24 Allenfalls ist das Befahren mit einem Rollstuhl oder einem Handwagen ebenfalls gedeckt: Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich (LB110023) vom 8. Juni 2012 und dazu BETTINA HÜRLIMANN-KAUP/DIANA

OSWALD, Auslegung eines Wegrechts: einseitige Umgestaltung des Wegbelags durch den Belasteten, BR/DC 2013, S. 316 ff.

25 BGE 139 III 404/407 E. 7.2 mit Hinweisen.

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‒ Die Breite des (Fahr-)Wegs kann explizit umschrieben werden („gemessene Dienstbarkeit“).

Fehlt eine solche Beschreibung („ungemessene Dienstbarkeit“),26 so sind für den Inhalt und Umfang der Dienstbarkeit die gewöhnlichen Bedürfnisse des berechtigten Grundstücks massgebend.27 Die Bedürfnisse können (und werden) sich freilich im Verlauf der Zeit än- dern. Hier liegt die Grenze im Verbot der Mehrbelastung (Art. 739 ZGB). Eine unzulässige Mehrbelastung liegt jedoch nach der Rechtsprechung nur vor, wenn die Zunahme derart stark ist, dass „mit Sicherheit angenommen werden kann, sie überschreite die Grenze des- sen, was bei der Begründung der Dienstbarkeit vernünftigerweise in Betracht gezogen wor- den sein könnte“.28

‒ Auch bezüglich der gemessenen Dienstbarkeiten ist Vorsicht bei der Umschreibung am Platz: Wird im Dienstbarkeitsvertrag (oder in einem Gerichtsurteil, das sich über den Um- fang eines Fahrwegrechts ausspricht29) das Wort „Fahrbahnbreite“ verwendet, so ist damit laut dem Bundesgericht der maximal zulässige Räderabstand eines Fahrzeugs gemeint; dies sei nicht gleichzusetzen mit der Breite der Wegrechtsfläche, verstanden „im Sinne des regel- mässig breiteren Wagenoberbaus“.30 Im konkreten Fall stützte sich das Bundesgericht auf die Empfehlungen der Vereinigung der Schweizerischen Strassenfachleute (VSS-Normali- en) an die Erstellung und Gestaltung von Privatstrassen, die beidseits ein Bankett („zusätzli- che lichte Breite“) von je 20 cm vorsehen.31 Der notariellen Praxis ist demnach zu raten, im Dienstbarkeitsvertrag auf das Wort „Fahrbahnbreite“ zu verzichten oder in unzweideutiger Weise eine „maximale Wegrechtsbreite“ beizufügen.32

Die Beispiele zeigen, dass der exakten Umschreibung des Inhalts der Dienstbarkeit grosse Be- deutung (namentlich auch zur Streitvermeidung) zukommt.

2. Der Unterhalt

Die Last des Weg- oder Strassenunterhalts trifft grundsätzlich den Wegberechtigten (Art. 741 Abs. 1 ZGB). Dienen Weg oder Strasse auch dem Belasteten (also dem Eigentümer, etwa als Zufahrtstrasse zum eigenen Haus), so haben ‒ mangels anderer Vereinbarung ‒ beide für den Unterhalt „im Verhältnis ihrer Interessen“ aufzukommen (Art. 741 Abs. 2 ZGB).33

Vom Unterhalt sind die Kosten für die Erstellung eines Wegs oder einer Strasse zu unterschei- den; Art. 741 ZGB findet auf diesen Fall keine (auch keine analoge) Anwendung.34 Zwar steht es dem Eigentümer der belasteten Parzelle (gestützt auf sein Eigentumsrecht; Art. 641 Abs. 1 ZGB) und dem Dienstbarkeitsberechtigten (gestützt auf sein Dienstbarkeitsrecht, Art. 737 Abs.

1 ZGB) frei, jeweils auf eigene Kosten einen Weg bzw. eine Strasse zu erstellen. Eine Kosten- beteiligung des „anderen“ ist aber nur bei entsprechender Vereinbarung geschuldet.35

Bestehen an einer Strasse zu Gunsten mehrerer anderer Grundstücke mehrere (selbständige) gleich lautende Fuss- und Fahrwegrechte im gleichen Rang, so sind unter diesen Berechtigten

26 BGE 139 III 404/407 E. 7.3; LIVER, Zürcher Kommentar, N 19 f. zu Art. 737 ZGB.

27 BGE 139 III 404/407 E. 7.3 mit Hinweisen.

28 BGE 139 III 404/408 E. 7.3.

29 Im Fall von BGer 5A_66/2013 vom 29. August 2013 E. 6.5 (insoweit nicht in BGE 139 III 404) war in einem vorangehenden, rechtskräftigen Gerichtsurteil eine „Fahrbahnbreite von 2,30 m“ festgelegt worden.

30 BGer 5A_66/2013 vom 29. August 2013 E. 6.5 (insoweit nicht in BGE 139 III 404); kritisch dazu SCHMID JÖRG/ ZBINDEN OLIVER, Auslegung von Dienstbarkeiten und öffentlich-rechtliche Normen, BR 2014, S. 135 f.

31 Trotz der Umschreibung „Fahrbahnbreite von 2,30 m“ legte das Bundesgericht daher die Breite der Wegrechts- fläche auf 2.70 m fest; BGE 139 III 404/408 ff. E. 7.4; kritisch SCHMID/ZBINDEN, zit. in Fn. 4, S. 136.

32 SCHMID/ZBINDEN, zit. in Fn. 4, S. 136.

33 Zur Sichtbarmachung abweichender Unterhaltsvereinbarungen im Grundbuch vgl. Art. 741 Abs. 2 Satz 2 ZGB (Fassung seit 1. Januar 2012; dazu etwa STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2285 f.;

SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1290a).

34 BGE 132 III 545/547 f. E. 3.3.1.

35 BGE 132 III 545/547 f. E. 3.3.1; STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2283a; SCHMID/HÜRLIMANN- KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1290b.

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die Miteigentumsregeln sinngemäss anwendbar (Art. 740a Abs. 1 ZGB), so etwa die Art.

647c ff. ZGB über die baulichen Massnahmen an der Strasse. Durch öffentlich beurkundeten Vertrag (der im Grundbuch vorgemerkt werden kann) lässt sich das Recht, durch Verzicht auf das Wegrecht aus dieser Gemeinschaft auszuscheiden, für die Dauer von höchstens 30 Jahre ausschliessen (Art. 740a Abs. 2 ZGB).36

3. Sonderfall: Das Notwegrecht als Legalservitut

Gewisse Dienstbarkeiten (Servituten) beruhen nicht auf Vertrag, sondern auf Gesetz, indem beim Vorliegen eines ganz bestimmten Sachverhalts das Gesetz einer Person einen obligatori- schen Anspruch auf Einräumung einer Dienstbarkeit (grundsätzlich gegen volle Entschädigung) einräumt. Im vorliegenden Zusammenhang sind vor allem drei Arten solcher gesetzlicher Dienstbarkeiten von Bedeutung:37

‒ Das Überbaurecht nach Art. 674 Abs. 3 ZGB: Im Fall eines unberechtigten Überbaus kann dann, wenn der Berechtigte trotz Erkennbarkeit nicht rechtzeitig Einspruch erhoben hat und es die Umstände rechtfertigen, dem Überbauenden, der sich im guten Glauben befindet, ge- gen eine angemessene Entschädigung das dingliche Recht (Dienstbarkeit) auf den Überbau und allenfalls sogar das Eigentum am Boden zugewiesen werden.38

‒ Das Durchleitungsrecht nach Art. 691 ZGB: Ein Durchleitungsrecht über fremden Grund besteht insofern, als jeder Grundeigentümer verpflichtet ist, die Durchleitung von Röhren und Leitungen zur Versorgung und Entsorgung gegen volle Entschädigung zu gestatten, so- fern ein anderes Grundstück sonst nicht oder nur mit unverhältnismässigen Kosten erschlos- sen werden könnte.39

‒ Das Notwegrecht nach Art. 694 ZGB.

In der Gerichtspraxis eine erhebliche Rolle spielt nach wie vor das Notwegrecht.40 Das Gesetz gewährt einen Anspruch auf einen Notweg (gegen volle Entschädigung), wenn ein Grundeigen- tümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse hat („Weg- not“). Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss sich der Grundeigentümer in erster Linie an die öffentlich-rechtlichen Rechtsinstitute halten, um die Wegnot zu beseitigen.

Liegt eine hinreichende Zufahrt im Sinn des öffentlichen Rechts vor, so hat der Zivilrichter aufgrund sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen, ob damit die Wegnot aus der Sicht von Art. 694 ZGB behoben ist oder ob aus dieser Bestimmung ein weitergehender An- spruch auf Einräumung eines Notwegs besteht.41

Einigen sich die Beteiligten in einem solchen Fall auf eine Wegrechtsdienstbarkeit, so ist ihnen zu raten, im Vertrag und im Grundbuch (Art. 98 Abs. 2 lit. d Ziff. 1 GBV) genau anzugeben, ob es sich um ein Notwegrecht oder um eine gewöhnliche Wegdienstbarkeit handelt. Beim Not- wegrecht kann nämlich der Belastete die Löschung der Servitut verlangen, wenn die Wegnot weggefallen ist, während eine gewöhnliche Dienstbarkeit nur nach Massgabe von Art. 736 ZGB aufgehoben werden kann.42

36 STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2283c.

37 Vgl. ausführlich STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 1847 ff.; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1220 ff.

38 Zu einem Sonderfall (Überbaurecht und Fotovoltaikanlage) vgl. hinten III. D.

39 Beispiel: BGE 136 III 269 ff.

40 Ausführlich STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 1861 ff.

41 BGer 5A_796/2013 vom 17. März 2014 E 1.3.2, u.a. mit Hinweis auf BGE 136 III 130/136 ff. E. 3.3.4 ff.

42 SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1226. Illustrativ BGer 5A_412/2009 vom 27. Oktober 2009 E. 5 und 6 = ZBGR 92/2011, S. 196 ff. Vgl. auch Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich (LB110023) vom 8. Juni 2012 und dazu BETTINA HÜRLIMANN-KAUP/DIANA OSWALD, zit. in Fn. 24, BR/DC 2013, S. 316 ff.

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B Parkplatz-Benützungsrechte

Das Vorhandensein von Parkplätzen dient dem Wohnen und wird teilweise durch das öffentli- che Recht vorgeschrieben. Beide Arten von Dienstbarkeiten kommen hier in Frage:

‒ Dem Eigentümer eines anderen Grundstücks (insbesondere eines Nachbargrundstücks) kann auf dem belasteten Grundstück das Recht eingeräumt erhalten, sein Fahrzeug zu parkieren.

Bei der Ausgestaltung als Grunddienstbarkeit (Art. 730 ZGB) muss berücksichtigt werden, dass die Servitut nicht selbständig auf einen anderen Berechtigten übertragen werden kann.

Die Übertragung ist nur durch Veräusserung des Grundstücks möglich.

‒ In Betracht kommt indessen auch die Begründung eines Parkplatz-Benützungsrechts als Per- sonaldienstbarkeit nach Art. 781 ZGB. Berechtigt ist dann eine bestimmte Person (ohne Rücksicht darauf, ob sie Eigentümerin eines Nachbargrundstücks ist). Die (selbständige) Übertragbarkeit kann und muss im Dienstbarkeitsvertrag vereinbart werden (Art. 781 Abs. 2 ZGB), was das Benützungsrecht „selbständig handelbar“ macht. Im Übrigen gelten die Be- stimmungen über die Grunddienstbarkeiten (Art. 781 Abs. 3 ZGB).

Bei grösseren Überbauungen ‒ namentlich bei Stockwerkeigentum ‒ sind freilich regelmässig primär andere rechtliche Gestaltungsarten der Parkplatz-Benützung (ausserhalb des Dienstbar- keitsrechts) zu prüfen, namentlich solche des Miteigentumsrechts.

C Baurechte (Baurechtsdienstbarkeiten)

Baurechtsdienstbarkeiten geben einer Person das Recht, auf einem fremden Grundstück (auf oder unter der Bodenfläche) ein Bauwerk zu errichten oder beizubehalten (Art. 779 Abs. 1 ZGB). Durch die Dienstbarkeit wird das Akzessionsprinzip durchbrochen: Das Bauwerk gehört dem Bauberechtigten, während der Boden im Eigentum des Baurechtsgebers (Dienstbarkeits- Belasteter) verbleibt (Art. 675 Abs. 1 ZGB).

Diese Gestaltungsart kommt heute auch für Grossprojekte immer häufiger vor. Von der Vielzahl von Fragen seien hier nur drei Punkte herausgegriffen:

‒ Die Eigentümerstellung des Bauberechtigten an der kraft des Baurechts errichteten Baute gibt ihm die Befugnis, sie zu verändern oder abzureissen. Die Baute muss daher nach der Rechtsprechung ein bestimmtes Mass an baulicher und funktioneller Eigenständigkeit auf- weisen.43 Die Begründung eines Baurechts an Teilen von Gebäuden ist nicht zulässig.44

‒ Bei Baurecht lassen sich gewisse obligationenrechtliche Vereinbarungen (namentlich der Baurechtszins) im Grundbuch vormerken (Art. 779a Abs. 2 und Art. 779b Abs. 2 ZGB); da- mit können sie auch einem Dritterwerber entgegengehalten werden (Art. 959 Abs. 2 ZGB).

‒ Ist das Baurecht selbständig (übertragbar) und dauernd (d.h. auf mindestens 30 Jahre oder auf unbestimmte Zeit begründet), so kann es als Grundstück in das Grundbuch aufgenom- men werden (Art. 655 Abs. 3 und Art. 779 Abs. 3 ZGB). Alsdann wird dieses Recht (Dienstbarkeit) im Rechtsverkehr behandelt wie ein Grundstück; es kann namentlich mit Grundpfandrechten belastet werden.

D Fotovoltaikdienstbarkeiten

Gegenstand einer Dienstbarkeit kann auch die Duldung einer fremden Fotovoltaik-Anlage auf einem Gebäude sein.45 Im vorliegenden Zusammenhang interessieren insbesondere Anlagen auf Dächern (als Indach- oder Aufdachanlagen). Die beschriebenen Anforderungen an Bauten im

43 BGE 111 II 134/139 E. 3. Ausführlich BETTINA HÜRLIMANN-KAUP, Die Fotovoltaikdienstbarkeit ‒ ausgewählte sachenrechtliche Fragen, ZBJV 150/2014, S. 705 f.

44 BGE 111 II 134/139 E. 3.

45 Vgl. dazu umfassend BETTINA HÜRLIMANN-KAUP, Die Fotovoltaikdienstbarkeit, zit. in Fn. 43, S. 679 ff.

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Baurecht (baulich und wirtschaftlich-funktionelle Eigenständigkeit der Baute)46 sprechen gegen die Zulässigkeit der Errichtung von Fotovoltaikanlagen mittels eines Baurechts.47 Zulässig sind aber Benutzungsdienstbarkeiten nach Art. 781 ZGB (Personaldienstbarkeit) oder, wenn der jeweilige Eigentümer eines bestimmten Grundstücks berechtigt sein soll, nach Art. 730 ZGB (Grunddienstbarkeit).

In einem Entscheid des Jahres 201248 hatte sich das Bundesgericht mit einer Terrassenüberbau- ung zu befassen, bei der drei Häuser aneinandergebaut waren und ein Überbaurecht (Art. 674 ZGB) bestand, zumal die jeweiligen Wohngeschosse und das Dach die Grenzen der einzelnen Grundstücke überragten. Jahre später errichteten die Eigentümer des oberen Hauses auf dem überragenden Dach eine Fotovoltaikanlage, gegen die sich die Eigentümer der unteren Häuser klageweise wehrten. Das Bundesgericht entschied, das Überbaurecht für das Dach umfasse auch die Befugnis, auf dem in das Nachbargrundstück hineinragenden Dachteil eine Fotovoltaikanla- ge (Indach- oder Aufdachmontage) zu bauen, obwohl der Rechtsgrund, der zur Begründung des Überbaurechts gedient hatte, nichts Derartiges enthielt und damals auch nicht an eine solche Anlage gedacht worden war.49 Hierbei berief sich das Gericht namentlich auf die offene Zweck- umschreibung des Rechtsgrunds und auf seine Praxis, wonach dem Dienstbarkeitsbelasteten je- ne Mehrbelastung grundsätzlich zuzumuten sei, welche auf eine objektive Veränderung der Ver- hältnisse (etwa die Entwicklung der Technik) zurückgehe und die zweckentsprechende Benut- zung des belasteten Grundstücks nicht wesentlich behindere.50 Diese Rechtsprechung ist recht weitgehend, aber nach der hier vertretenen Auffassung vor dem Hintergrund der aktuellen Ener- giediskussion zu sehen. Aus notarieller Sicht ist sie eine Mahnung zu sorgfältiger Vertragsge- staltung: Wer bei der Begründung eines Überbaurechts den späteren Einbau von Fotovoltaik- anlagen verhindern will, muss dies im Rechtsgrund klar festhalten.51

III. Dienstbarkeiten, die das Bauen erschweren

Im Folgenden geht es um Rechtsprobleme bei Dienstbarkeiten, die nach ihrem Zweck das Bauen oder die Nutzung der bestehenden Baute erschweren (oder ganz ausschliessen) sollen.

Jene Person, die auf ihrem Grundstück bauen möchte, ist jeweils Dienstbarkeitsbelasteter; sein Nachbar ist (seine Nachbarn sind) aus der Servitut berechtigt.

A Bauverbote

1. Kennzeichen und Zwecke von Bauverbots-Dienstbarkeiten

Dienstbarkeiten, welche das Bauen verbieten, schränken die Eigentumsfreiheit des Grundeigen- tümers erheblich ein (und mindern des Verkehrswert des Grundstücks). Aus diesem Grund füh- ren sie nicht selten zu Streit über die Tragweite des Verbots, also über die Frage, ob und in wel- chem Umfang auf dem belasteten Grundstück dennoch gebaut werden darf. Massgebend für die Auslegung ist die Stufenordnung von Art. 738 ZGB; zentrale Bedeutung hat hierbei regelmässig der Dienstbarkeitsvertrag.52

Für die Auslegung des Dienstbarkeitsvertrags ist zunächst dort, wo sich der übereinstimmende wirkliche Wille der Vertragsparteien nicht mehr nachweisen lässt oder ein Dritter beteiligt ist,

46 Vorne II. C.

47 Ausführlich und differenzierend BETTINA HÜRLIMANN-KAUP, Die Fotovoltaikdienstbarkeit, zit. in Fn. 43, S. 704 ff.

48 BGE 138 III 650 ff.

49 BGE 138 III 650/653 ff. E. 5 und 6.

50 BGE 138 III 650/657 f. E. 6.4. Für die Indachmontage bezeichnete das Bundesgericht dies als unproblematisch, für die Aufdachmontage wollte es nicht ohne Not in den Ermessensspielraum der Vorinstanz eingreifen (E. 6.6).

51 BETTINA HÜRLIMANN-KAUP, Die Fotovoltaikdienstbarkeit, zit. in Fn. 43, S. 713; kritisch DIESELBE, ZBJV 150/2014, S. 412 ff.; eher zustimmend JÖRG SCHMID/MARLÈNE BERNARDI, Auslegung eines Überbaurechts:

Zulässigkeit einer Fotovoltaikanlage als Dachgestaltung, BR/DC 2013, S. 127 f.

52 Allgemein zur Auslegung von Dienstbarkeiten vorn I. C.

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das Vertrauensprinzip massgebend. Hierbei kommt dem Wortsinn der Vereinbarung „nach dem lokalen Sprachgebrauch zur Zeit der Dienstbarkeitserrichtung“ besondere Bedeutung zu.53 Aus- serdem ist der Zweck bedeutsam, welcher der Dienstbarkeit vernünftigerweise zuzurechnen ist, unter Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks.54 Der

„Deutung von Zwecksetzungen“ (welche die Parteien im Dienstbarkeitsvertrag nicht ausdrück- lich formuliert haben) haftet indessen ‒ wie das Bundesgericht freimütig einräumt ‒ „immer et- was Spekulatives an“.55 Typische Zwecke bei Bauverbots-Dienstbarkeiten sind: Sicherung der Aussicht und der Besonnung des (herrschenden) Grundstücks sowie Schutz vor anderen Immis- sionen, namentlich Lärm.56 Denkbar ist aber auch, dass durch ein Bauverbot die landwirtschaft- liche Tätigkeit auf dem herrschenden Grundstück vor Beeinträchtigungen (Schädigungen der Kulturen oder nachbarlichen Klagen wegen landwirtschaftlicher Immissionen) geschützt werden soll.57

Auch hier kommt demnach der sorgfältigen Abfassung des Dienstbarkeitsvertrags (durch den Notar) eine zentrale Bedeutung zu; insbesondere sollte der Zweck explizit umschrieben werden, den die Parteien mit der Servitut anstreben. Das Bundesgericht neigt im Zweifel (wie generell bei Dienstbarkeiten) zu einer restriktiven Auslegung des Verbots; die Freiheit des Eigentümers soll nur so weit beschränkt sein, als es zur normalen Ausübung der Servitut nötig ist.58

2. Streitfälle zur Tragweite des Bauverbots

Die Rechtsprechung hatte im Zusammenhang mit Bauverboten beispielsweise folgende Streit- fragen zu entscheiden:

‒ In BGE 109 II 412 ff. bestand die Servitut in einem Bauverbot auf einer Breite von 13,5 m entlang der gesamten gemeinsamen Grenze des belasteten und des herrschenden Grund- stücks. Die Errichtung einer Tiefgarage (zu einem Mietshaus), eines Zufahrtswegs und ver- schiedener Parkplätze ‒ teilweise in der mit dem Bauverbot belegten Zone gelegen ‒ wur- den vom Bundesgericht als zulässig beurteilt. Zwar kann ein Bauverbot auch das Recht des Eigentümers zum Bauen unter der Bodenoberfläche beschränken, soweit der Dienstbarkeits- berechtigte ein entsprechendes Interesse hat. In casu wurde ein Verbotsinteresse für eine un- terirdische (nicht sichtbare), das Bodenniveau nicht verändernde Baute verneint.59 Ebenso darf der Eigentümer die Oberfläche umgestalten, etwa einen Garten asphaltieren, wenn das Niveau nicht oder nur in vernachlässigbarer Weise erhöht wird.60 Mit diesen Einschränkun- gen ist auch die Errichtung von (ebenerdigen) Parkplätzen zulässig.61 Solche Parkplätze las- sen sich auch nicht mit Fahrnisbauten vergleichen (die ihrerseits vom Hochbauten-Verbot erfasst werden).62

‒ In LGVE 2013 I Nr. 1363 war ein „Bauverbot (beschränkt) lt. Plan“ im Grundbuch eingetra- gen. Aus der öffentlichen Urkunde ging hervor, dass die Bauverbotsfläche im Jahr 1960 zur Arrondierung des belasteten Grundstücks abgetreten wurde. Laut dem Luzerer Obergericht

53 BGer 5A_599/2013 vom 14. April 2014 E. 4.3.

54 BGE 109 II 412/414 E. 3, mit Hinweis auf LIVER, Zürcher Kommentar, N 16 und 109 ff. zu Art. 738 ZGB; vgl.

auch BGer 5A_599/2013 vom 14. April 2014 E. 4.3.

55 BGer 5A_599/2013 vom 14. April 2014 E. 4.5.

56 BGE 109 II 412/414 E. 3 in fine; vgl. auch ESCHMANN BEAT, Auslegung und Ergänzung von Dienstbarkeiten, Diss. Zürich 2005, S. 58.

57 BGE 107 II 331/337 E. 3c‒d.

58 BGE 109 II 412/414 E. 3.

59 BGE 109 II 412/415 f. E. 4.

60 BGE 109 II 412/416 E. 5a, mit Hinweis auf LIVER, Zürcher Kommentar, N 90 zu Art. 730 ZGB und 112 zu Art.

738 ZGB, sowie auf den Beschluss des Kantonsgerichtsausschusses Graubünden vom 14./15. Februar 1962, S. 259 ff., ZBGR 44/1963, S. 259 ff.; vgl. auch ESCHMANN, zit. in Fn. 56, S. 57.

61 BGE 109 II 412/417 f. E. 5b.

62 BGE 109 II 412/417 E. 5b.

63 Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern (1B 11 51) vom 9. November 2012 E. 3.5 (nur elektronisch publiziert).

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ergab sich daraus keineswegs der von den Klägern (Dienstbarkeitsberechtige) behauptete Zweck, die Bauverbotsfläche als grüne Wiese oder Rasen zu belassen; die Beklagten waren vielmehr berechtigt, eine Gartenanlage (mit Terrainumgestaltungen und gewissen [nicht nä- her bezeichneten] baulichen Anlagen) zu errichten.

‒ Anders verhielt es sich in BGer 5A_599/2013 vom 14. April 2014: Hier beruhte die Bauver- botsdienstbarkeit auf einem Erb- und Teilungsvertrag, der für mehrere Grundstücke detail- liert regelte, ob und in welcher Höhe gebaut werden durfte (und der dem Eigentümer des be- lasteten Grundstücks vor dem Kauf zur Kenntnis gebracht worden war). Der belastete Eigentümer plante nicht nur, Parkplätze zu erstellen, sondern zu diesem Zweck eine 20 cm breite und 1,2 bis 1,5 m hohe Stützmauer zu errichten, hinter welcher Terrain eben aufge- füllt und geteert werden sollte. Dies verstiess nach dem Bundesgericht gegen die Servitut und war deshalb unzulässig.64

3. Die rechtliche Durchsetzung

Die Frage der Durchsetzung von Bauverbots-Dienstbarkeiten stellt sich insbesondere für das Baubewilligungsverfahren. Als Grundsatz gilt, dass die Baubewilligungsbehörden nur Einspra- chen öffentlich-rechtlicher Natur prüfen (dürfen); zu entscheiden, ob das Projekt gegen private Rechte (namentlich Bauverbots-Dienstbarkeiten) verstösst, ist demgegenüber Sache des Zivil- gerichts.65 Die Einzelheiten richten sich nach dem anwendbaren kantonalen Baurecht.

Nach luzernischem Recht werden Baugesuche öffentlich bekannt gemacht und zusammen mit den Beilagen öffentlich aufgelegt; den Anstössern (insbesondere den Eigentümern, deren Grundstücke an das Baugrundstück angrenzen) wird die öffentliche Auflage des Baugesuchs mit dem Hinweis auf die Einsprachemöglichkeit während der Auflagefrist bekanntgegeben (§ 193 PBG LU66). Öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Einsprachen sind mit Antrag und Begründung während der Auflagefrist bei der angegebenen Stelle einzureichen; mit der öffent- lich-rechtlichen Einsprache kann die Verletzung öffentlich-rechtlicher Bestimmungen, mit der privatrechtlichen Einsprache die Verletzung privater Rechte ‒ also auch die Verletzung von Dienstbarkeiten ‒ geltend gemacht werden (§ 194 PBG LU). Die Baubewilligungsbehörde prüft von Amtes wegen, ob das Bauvorhaben den öffentlich-rechtlichen Bau- und Nutzungsvorschrif- ten entspricht und ob das Baugrundstück erschlossen ist; lässt sich dies bejahen, so ist die Bau- bewilligung zu erteilen (§ 195 Abs. 1 PBG LU). Einsprecher mit privatrechtlichen Einsprachen werden von der Gemeinde an den Zivilrichter verwiesen (§ 66 Abs. 2 PBV LU67). Der Entscheid über das Baugesuch und die Einsprachen werden der Bauherrschaft, den Grundeigentümern und den Einsprechern schriftlich durch Zustellung des Entscheids eröffnet (§ 196 Abs. 3 PBG LU).

Die Baubewilligungsbehörde hat demnach nicht über die Rechtmässigkeit der privaten Ein- sprachen ‒ insbesondere einer Einsprache wegen einer bestehenden Bauverbots-Dienstbarkeit ‒

64 BGer 5A_599/2013 vom 14. April 2014 E. 4.5.

65 PETER HÄNNI, Planungs-, Bau und besonderes Umweltschutzrecht, 5. Aufl., Bern 2008, S. 334.

66 Planungs- und Baugesetz des Kantons Luzern vom 7. März 1989, SRL Nr. 735. Die Frist beträgt grundsätzlich 20 Tage.

67 Planungs- und Bauverordnung des Kantons Luzern vom 27. November 2001, SRL Nr. 736. Dieser Grundsatz war früher im Gesetz selber verankert, wurde jedoch zur Vereinfachung und Kürzung der gesetzlichen Vorschriften in die Verordnung verschoben (Botschaft des Regierungsrates an den Grossen Rat [des Kantons Luzern] B 76 vom 20. Oktober 2000 zu einer Änderung des Planungs- und Baugesetzes, S. 61 f.).

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zu entscheiden; dieser Entscheid obliegt einzig dem Zivilgericht.68 Zur Klärung der privatrecht- lichen Rechtslage können beide Parteien an das Zivilgericht gelangen:69

‒ Der Einsprecher (Dienstbarkeitsberechtigter) kann zur Durchsetzung seines Rechts auf Un- terlassung der betreffenden Baute klagen, allenfalls samt einem Gesuch um vorsorgliche Massnahmen (einstweiliges gerichtliches Bauverbot für die Dauer des Zivilprozesses).70

‒ Der Bauherr (Dienstbarkeitsbelasteter) kann seinerseits eine Klage auf gerichtliche Feststel- lung einreichen, dass mit dem geplanten Bau keine privaten Rechte des Einsprechers ver- letzt werden (negative Feststellungsklage).

In den Baugesetzen anderer Kantone ist die Rechtslage ähnlich.71 B Gewerbebeschränkungen

Dienstbarkeiten, welche eine Gewerbebeschränkung zum Inhalt haben, beschäftigen Rechtspre- chung und Lehre seit Jahrzehnten. Anerkannt ist mittlerweile der Grundsatz, dass eine Dienst- barkeit zwar eine Beschränkung des Eigentums des dienenden Grundstücks bezwecken kann, dass sie aber nicht zulässig ist, wenn es lediglich darum geht, die persönliche Handlungsfreiheit des betreffenden Eigentümers oder anderer Personen einzuschränken.72 Die Frage stellt sich vor allem bei negativen Dienstbarkeiten (deren Inhalt also in einem Nichttun des Grundeigentümers besteht). Solche Dienstbarkeiten sind nur zulässig, wenn die Tätigkeit, auf welche die Eigentü- merin verzichtet, den körperlichen Zustand, die äussere Erscheinung und den wirtschaftlichen oder sozialen Charakter des Grundstücks betrifft.73 So kann etwa die Verpflichtung eines Wirts, in seinem Restaurant nur das Bier einer bestimmten Brauerei auszuschenken, nicht Inhalt einer Dienstbarkeit sein, da hier lediglich die persönliche Handlungsfreiheit des Wirts eingeschränkt wird.74 Zulässig ist nach der Rechtsprechung hingegen eine Dienstbarkeit, die auf dem belaste- ten Grundstück einzig den Betrieb einer Zimmerei zulässt und jede andere industrielle Nutzung ausschliesst, da dadurch nach der Meinung des Bundesgerichts der wirtschaftliche und soziale Charakter des Grundstücks bestimmt wird.75

68 Grundlegend: Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 25. April 1989, LGVE 1989 II Nr. 5, S. 138/141 E. 1b mit Hinweisen zur Entstehungsgeschichte der damaligen, mit der heutigen Rechtslage überein- stimmenden Gesetzesnorm. Ähnlich Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 16. Februar 1999 (V 98 163), LGVE 1999 II Nr. 23, S. 237/238 E. 2. Vgl. auch BGer 1C_302/2009 vom 7. Juni 2010 E. 6.3. Teil- weise weitergehend MISCHA BERNER, Das Baubewilligungsverfahren, in Robert Walder (Hrsg.), Luzerner Planungs- und Baurecht, Bern 2012, Nr. 1010 f.

69 Vgl. zum Folgenden Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 25. April 1989, LGVE 1989 II Nr.

5, S. 138/141 E. 1c.

70 Beispiel: Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern 1B 11 51 vom 9. November 2012, LGVE 2013 I Nr. 3 E. 3.5 (nur elektronisch publiziert).

71 Für den Kanton Bern: ALDO ZAUGG/PETER LUDWIG, Baugesetz des Kantons Bern, Kommentar, 4. Aufl., Bern 2012, N 4a zu Art. 2 Baugesetz; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 14. April 2003, BVR 2003, S. 385/387 f. E. 4 (Bauverbotsdienstbarkeit ist im Baubewilligungsverfahren nicht zu berücksichtigen). Für den Kanton Aargau: ANDREAS BAUMANN et al., Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, N 54 zu Art. 60 Baugesetz; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 30. Mai 2000, AGVE 2000, S. 246/247 f. E. 2b (Bauverbotsdienstbarkeit ist von den Baubewilligungsbehörden nicht zu beachten).

72 BGE 123 III 337/341 E. 2c/aa mit Hinweisen; STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2215 ff.;

SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1269.

73 BGE 123 III 337/342 E. 2c/bb.

74 STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2217a; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1269 bei Fussnote 70.

75 BGE 123 III 337/343 E. 2c/cc.

(15)

IV. Einzelfragen

A Dienstbarkeiten und Immissionen

Das Nachbarrecht (insbesondere Art. 679 f. und 684 ZGB) dient zum Schutz vor Überschrei- tung des Grundeigentums durch den Grundeigentümer; unzulässig sind namentlich übermässige Einwirkungen (Immissionen) auf das Eigentum des Nachbarn (Art. 684 Abs. 1 ZGB). Dem Ge- schädigten stehen unter anderem die Klagen auf Beseitigung der Störung und auf Unterlassung weiterer Immissionen zu (Art. 679 Abs. 1 ZGB). Obwohl das Gesetz in diesem Zusammenhang von „Eigentum“ oder „Grundeigentümer“ spricht, sind nach der bundesgerichtlichen Praxis auch die Inhaber beschränkter dinglicher Rechte (also auch die Dienstbarkeitsberechtigten) aktiv- und passivlegitimiert.76

Nach Rechtsprechung und Lehre muss eine Person ein vernünftiges Interesse an einer Dienst- barkeit haben, sonst ist diese unzulässig.77 Namentlich können Duldungs- und Unterlassungs- pflichten, die dem Belasteten bereits durch das Gesetz auferlegt werden (wie etwa durch das ge- nannte Verbot übermässiger Immissionen), nicht Inhalt einer Grunddienstbarkeit sein; der Be- rechtigte hat nämlich kein vernünftiges Interesse daran hat, ein schon klarerweise kraft Gesetzes bestehendes Recht zusätzlich noch als Dienstbarkeit zu erwerben. Doch kann die Beseitigung von Unsicherheiten über die immissionsrechtliche Rechtslage dennoch eine Dienstbarkeit recht- fertigen. So kann nach der Praxis insbesondere im Nachbarrecht ein Interesse daran bestehen, bestimmte von einem Nachbargrundstück ausgehende Einwirkungen, die an sich zu den nach Art. 684 ZGB verbotenen Immissionen gehören, durch eine Dienstbarkeit auszuschliessen,

„weil ungewiss ist, ob der Richter die Einwirkungen als übermässig und ungerechtfertigt be- trachten würde“.78 Ausserdem kann ein dienstbarkeitsrechtlicher Schutz gegen Lärmeinwirkun- gen weiter gehen als der gesetzliche Schutz, sofern die Parteien dies vereinbaren. Daher bejahte das Bundesgericht die Zulässigkeit einer Dienstbarkeit unter verschiedenen Stockwerkeigen- tums-Grundstücken mit dem Inhalt, Trittschallimmissionen zu unterlassen und zu diesem Zweck die Böden des oberen Grundstücks mit Spannteppichen auf Filzunterlage zu bedecken bzw. bedeckt zu lassen; die Pflicht zur Belegung der Böden wurde als nebensächliche Ver- pflichtung im Sinn von Art. 730 Abs. 2 ZGB zugelassen.79

B Bauten im Baurecht und Haftung gegenüber Dritten

Errichtet eine Person aufgrund einer Baurechtsdienstbarkeit auf fremden Grundstück eine Bau- te, so wird nach dem Gesagten80 das Akzessionsprinzip (durch die Dienstbarkeit) unterbrochen, und die errichteten Bauwerke gehören nicht dem Bodeneigentümer, sondern dem Bauberechtig- ten (Art. 675 Abs. 1 ZGB). Diese Bauten können nun aber Ursache für eine Schädigung Dritter sein. So kann sich namentlich dann, wenn durch die Bauarbeiten der Boden ins Rutschen gerät und Nachbargrundstücke schädigt oder mit Schaden bedroht, die Frage einer Haftung aus Überschreitung des Grundeigentums (Art. 679 i.V.m. Art. 684 ZGB) stellen. Das Bundesgericht hat sich in einem solchen Fall nicht abschliessend zur Haftungsfrage geäussert, jedoch entschie- den, dass der Grundeigentümer (Dienstbarkeitsbelasteter) dann nicht haftet, wenn er auf die Art der Ausübung der tatsächlichen Herrschaft des Bauberechtigten über das Grundstück keinen

76 Zur Aktivlegitimation („Nachbar“) vgl. grundlegend BGE 104 II 15/18 E. 1; ferner etwa BGE 119 II 411/415 E.

4a. Zur Passivlegitimation („Grundeigentümer“) vgl. BGE 104 II 15/19 ff. E. 2; 132 III 689/692 f. E. 2.2. Zum Ganzen (teilweise kritisch) STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 1902 und 1905 f.; SCHMID/HÜRLI-

MANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 955 und 959.

77 STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2213 ff.; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, zit. in Fn. 4, Nr. 1266 f.

78 BGE 106 II 315/318 E. 2c mit Hinweisen; vgl. auch STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 2214a.

79 BGE 106 II 315/318 ff. E. 2c‒e.

80 Vgl. vorne II. C.

(16)

Einfluss hat; in diesem Fall ist also für Schadenersatzansprüche nur der Bauberechtigte (Dienstbarkeitsberechtigter) passiv legitimiert.81

V. Einige Thesen

1. Wer Nutzungsrechte (und Nutzungsverbote) „konkursfest“ errichten will, kommt um Dienst- barkeiten (beschränkte dingliche Rechte) nicht herum. Rein obligationenrechtliche Nutzungs- rechte oder gar „prekaristische Gestattungen“ (Erlaubnisse auf Zusehen hin) sind für diesen Fall zu wenig sicher.

2. Dienstbarkeiten werden oft auf lange Dauer errichtet. Dieser Umstand und die daraus folgen- de Belastung, verbunden mit allenfalls unvorhergesehenen Entwicklungen um das belastete Grundstück führt sie nicht selten zu Streit ‒ teilweise erst viele Jahre nach der Errichtung. Das spricht allgemein für einen gezielten und massvollen Einsatz.

3. Bei der Auslegung einer Dienstbarkeit (im Prozessfall: durch das Gericht) spielt der Zweck, den die Parteien damit angestrebt haben, eine zentrale Rolle. Der exakten Umschreibung dieses Zwecks im Dienstbarkeitsvertrag kommt daher eine hervorragende Bedeutung zu. Seit 2012 be- darf der Vertrag auf Errichtung einer Dienstbarkeit der öffentlichen Beurkundung (Art. 732 Abs. 1 ZGB). Das Formerfordernis soll eine kompetente Beratung der Parteien fördern und zu einer sicheren Grundlage für den Grundbucheintrag beitragen. In gewissen Fällen ist ein beson- derer Auszug des Plans für das Grundbuch mit zu beurkunden (Art. 732 Abs. 2 ZGB).

4. Im Baubewilligungsverfahren sind allfällige Bauverbotsdienstbarkeiten von der Bewilli- gungsbehörde regelmässig nicht zu beachten. Über privatrechtliche Baueinsprachen zu entschei- den, ist Aufgabe des Zivilgerichts.

5. Dienstbarkeiten (namentlich Baurechtsdienstbarkeiten) können auch immissionsrechtlich be- deutsam sein. Das Bundesgericht betrachtet im Immissionsprozess die Inhaber beschränkter dinglicher Rechte sowohl als aktiv- wie auch als passivlegitimiert.

81 BGE 132 III 689/693 ff. E. 2.3‒2.4; kritisch STEINAUER, Les droits réels II, zit. in Fn. 4, Nr. 1905c und BR/DC 2007, Nr. 210, S. 63 f.; BETTINA HÜRLIMANN-KAUP, ZBJV 145/2009, S. 194 ff.

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Literaturverzeichnis

(Auswahl)

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Referenzen

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