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Die Volksgemeinschaft nach dem Nationalsozialismus

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Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 

52-2 | 2020

Les traités de paix en Europe centrale : quels potentiels pour quelles réalisations ?

Die ‚Volksgemeinschaft‘ nach dem Nationalsozialismus

Zum Gebrauch eines belasteten Begriffs im 1. Deutschen Bundestag (1949-53)

Simon Specht

Édition électronique

URL : https://journals.openedition.org/allemagne/2467 DOI : 10.4000/allemagne.2467

ISSN : 2605-7913 Éditeur

Société d'études allemandes Édition imprimée

Date de publication : 31 décembre 2020 Pagination : 399-425

ISSN : 0035-0974 Référence électronique

Simon Specht, „Die ‚Volksgemeinschaft‘ nach dem Nationalsozialismus“, Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande [Online], 52-2 | 2020, Online erschienen am: 31 Dezember 2021, abgerufen am 18 Februar 2022. URL: http://journals.openedition.org/allemagne/2467 ; DOI: https://doi.org/10.4000/

allemagne.2467

Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande

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Die ‚Volksgemeinschaft‘ nach dem Nationalsozialismus

Zum Gebrauch eines belasteten Begriffs im 1. Deutschen Bundestag (1949-53)

Simon Specht *

1. Einleitung

Die ‚Volksgemeinschaft‘ (1) ist als zentrales Konzept der Ideologie des Nationalsozi- alismus in der Geschichtswissenschaft ausführlich behandelt worden. Wenig Berück- sichtigung hat jedoch bisher die Frage nach der Verwendung des Begriffs über das Ende des ‚Dritten Reichs‘ hinaus gefunden – und das, obwohl die Forschung zu den Anfangsjahren der Bundesrepublik bereits seit langem Nachwirkungen der vom NS propagierten Gemeinschaftsorientierung, kollektive Muster des Beschweigens der nationalsozialistischen Vergangenheit und der Schuldabwehr sowie personelle Kon- tinuitäten zwischen ‚Drittem Reich‘ und BRD nachgewiesen hat (2). Im Deutschen

* Masterstudent in Geschichtswissenschaft, Universität Bielefeld / Université de Paris. Für ihre kriti- sche Lektüre und Hinweise danke ich Paula Diehl, Patrick Farges, Kristoffer Klammer und Willibald Steinmetz sowie dem/der Gutachter/in der Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande.

1 Kernbegriffe der NS-Ideologie und andere Quellenbegriffe werden in dieser Arbeit in einfachen Anführungszeichen verwendet.

2 Vgl. z. B.  Ulrich Brochhagen, Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer, Hamburg (Schriftenreihe des Hamburger Instituts für Sozialforschung), 1994; Hel- mut Dubiel, Niemand ist frei von der Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages, München/Wien, 1999, S. 35-77; Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München, 1996; Malte Thiessen, „Schöne Zeiten? Erinnerungen an die ‚Volksgemeinschaft‘ nach 1945“, in: Frank Bajohr, Michael Wildt (Hg.), Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main (Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Buchreihe), 2009, S. 165-187; Ders., „Erinnerungen an die ‚Volksgemeinschaft‘. Integration und Exklusion im kommunalen und kommunikativen Gedächt- nis“, in: Detlef Schmiechen-Ackermann (Hg.), ‚Volksgemeinschaft‘: Mythos, wirkungsmächtige sozi- ale Verheißung oder soziale Realität im ‚Dritten Reich‘? Zwischenbilanz einer kontroversen Debatte, Paderborn u.a. (Nationalsozialistische ‚Volksgemeinschaft‘. Studien zu Konstruktion, gesellschaftli- cher Wirkungsmacht und Erinnerung, Bd. 1), 2012, S. 319-334; Martin Will, Ephorale Verfassung.

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Bundestag etwa war auch weiterhin von der ‚Volksgemeinschaft‘ die Rede: Der Begriff taucht allein während der ersten Legislaturperiode von 1949 bis 1953 in den Protokol- len zu 18 Sitzungen auf (vgl. Abb. 1) (3).

Neben der Feststellung zahlreicher Kontinuitäten zwischen dem ‚Dritten Reich‘

und der Bonner Republik findet sich in der zeitgeschichtlichen Forschung auch viel- fach die These, dass der neue westdeutsche Staat sich zumindest diskursiv über die Abgrenzung vom NS legitimierte und deshalb allzu offensichtliche Verbindungen zu selbigem, sei es im allgemeinen öffentlichen Sprachgebrauch, in der Politik oder in der Verwaltung, als nicht wünschenswert galten (4). Die Frage danach, von wem und wie der Begriff ‚Volksgemeinschaft‘ im politischen Diskurs der frühen BRD verwandt wurde, welche Bedeutungen und Vorstellungen damit verbunden wurden und wie dabei mit der nationalsozialistischen Prägung des Begriffs umgegangen wurde, ver- dient vor diesem Hintergrund eine nähere Betrachtung. Die Arbeit ordnet sich damit sowohl in die Begriffsgeschichte der NS-Ideologie ein als auch in jene Studien zur Geschichte der frühen Bundesrepublik, die die Umstände der fragilen Stabilisierung dieser neuen Demokratie untersuchen – vor dem Hintergrund dessen, was Benedikt Wintgens pointiert als „die Wechselwirkung zwischen der ‚Volkskontinuität‘ und der

‚politische[n] Diskontinuität‘“ (5) bezeichnet.

Als Quellen zur Beantwortung der Leitfrage dienen die erwähnten stenographischen Berichte zu den Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages. Mit Michael Freeden ist davon auszugehen, dass Parlamentsdebatten eine der wichtigsten Quellen zum Verständnis politischer Sprache sind (6). Insbesondere in seinen ersten Jahren war der Bundestag das zentrale Forum der politischen Auseinandersetzungen in Westdeutsch- land, dessen Debatten vor allem durch Printmedien und Radio verbreitet wurden (7). Die Digitalisate der Berichte werden nach dem Begriff ‚Volksgemeinschaft‘ sowie den damit

Das Parteiverbot der rechtsextremen SRP von 1952, Thomas Dehlers Rosenburg und die Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen, 2017, S. 487-490.

3 Vgl. Maika Jachmann, Drucksachen und Plenarprotokolle des Deutschen Bundestages – ab 1949 (pdok.bundestag.de/), 01.01.2017 (Zugriff: 09.04.2020).

4 Vgl. z. B. N. Frei, Vergangenheitspolitik (Anm. 2), S. 88; Claudia Fröhlich, „Rückkehr zur Demo- kratie – Wandel der politischen Kultur in der Bundesrepublik“, in: Peter Reichel, Harald Schmid, Peter Steinbach (Hg.), Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung – Deutung – Erinnerung, Bonn (Schriftenreihe, Bd. 766), 2009, S. 107-115; Norbert Götz, „Die nationalsozialisti- sche Volksgemeinschaft im synchronen und diachronen Vergleich“, in: D. Schmiechen-Ackermann (Hg.), ‚Volksgemeinschaft‘ (Anm.  2), S.  64; Sigrid Meuschel, „Legitimationsstrategien in der DDR und in der Bundesrepublik“, in: Christoph Klessmann, Hans Misselwitz, Günter Wichert (Hg.), Deutsche Vergangenheiten – eine gemeinsame Herausforderung. Der schwierige Umgang mit der dop- pelten Nachkriegsgeschichte, Berlin, 1999, S. 118ff.; M. Thiessen, „Schöne Zeiten?“ (Anm. 2), S. 175.

5 Benedikt Wintgens, Treibhaus Bonn. Die politische Kulturgeschichte eines Romans, Berlin/Düssel- dorf (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 178 – Reihe Parlament und Öffentlichkeit, Bd. 8), 2019, S. 19.

6 Vgl. Michael Freeden, „Conceptual History, Ideology and Language“, in: Willibald Steinmetz, Michael Freeden, Javier Fernández Sebastián (Hg.), Conceptual History in the European Space, New York/Oxford (European Conceptual History, Bd. 1), 2017, S. 123.

7 Vgl. Eckart Conze, Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München, 2009, S. 127f.; Marie-Luise Recker, Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland. Der Deutsche Bundestag 1949-1969, Berlin/Düsseldorf (Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus), 2018, S. 228-231.

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verwandten Begriffen ‚Volksgenosse/n‘ (8) und ‚Volkskörper‘ durchsucht. Der Trend ist für alle drei Begriffe der gleiche: Zusammen kommen sie im 1. Bundestag in 51 Plenar- protokollen mindestens einmal vor, im 2. nur noch in weniger als halb so vielen, und ab der dritten Legislaturperiode stets in unter zehn Plenarprotokollen (vgl. Abb. 1) (9). Die entsprechenden Fundstellen für den 1. Bundestag bilden die Grundlage der empirischen Untersuchung. Dafür wird ein Ansatz gewählt, der die begriffsgeschichtliche Methode nach Koselleck mit dem morphologischen Ideologiebegriff nach Freeden kombiniert.

Freeden betrachtet es als die grundlegende Funktion einer Ideologie, einem Subjekt durch die Einordnung und Interpretation seiner Wahrnehmungen ein Verständnis seiner überkomplexen Umwelt zu ermöglichen. Im politischen System erlauben es Ideologien, die Kontrolle über die politische Sprache zu gewinnen und somit kol- lektive Entscheidungen zu treffen und zu legitimieren. Ideologien bestünden dabei aus Gruppierungen von miteinander kombinierten politischen Begriffen, die ihre spezifische Bedeutung durch ihre Anordnung untereinander in Clustern erhielten.

Grundsätzlich könnten jedem politischen Begriff stets verschiedene Bedeutungen zugeschrieben werden, was Freeden als „essential contestability“ (10) bezeichnet. Durch die Einbettung in eine Ideologie jedoch würden die jeweiligen Begriffe auf eine Bedeu- tung verengt, die nun nicht mehr angezweifelt werden könne, ohne die gesamte Ideo- logie in Frage zu stellen (11).

Die wichtigste Gemeinsamkeit zwischen diesem Ideologieverständnis und einem begriffsgeschichtlichen Ansatz nach Koselleck liegt in der Betonung der Relevanz politischer Sprache und ihrer Begriffe. Der Fokus liegt bei Koselleck allerdings stär- ker darauf, die Ablagerung geschichtlicher Erfahrung in Begriffen sowie die dadurch bedingten Begriffsveränderungen nachzuvollziehen. Spezifisch begriffsgeschichtlich ist die folgende Untersuchung insofern, als sie einzelne, konkrete Situationen des Wortgebrauchs erfasst und auswertet. Diese Begriffsverwendungen müssen in ihren jeweiligen Kontexten analysiert und ihre Bedeutungen eruiert werden (12). Dem mor-

8 Die weibliche Form ‚Volksgenossin/nen‘ taucht im Korpus nicht auf.

9 Ein Online-Tool, das für die Plenarprotokolle des Bundestags eine grafische Darstellung von Begriffshäufigkeiten ermöglicht, wurde anlässlich des 70-jährigen Bestehens des Parlaments von der Zeit veröffentlicht: Vgl. Kai Biermann u.a., Darüber spricht der Bundestag (www.zeit.de/politik/

deutschland/2019-09/bundestag-jubilaeum-70-jahre-parlament-reden-woerter-sprache-wandel#), 09.09.2019 (Zugriff: 09.04.2020). Ein Vergleich mit der eigenhändigen Suche über die Datenbank auf der Website des Bundestags zeigt allerdings, dass dieses Programm nicht alle Begriffsverwendungen findet, weswegen es hier nicht benutzt wird (vgl. M. Jachmann, Drucksachen und Plenarprotokolle des Deutschen Bundestages [Anm. 3]).

10 Michael Freeden, Ideology. A Very Short Introduction, Oxford u.a. (Very Short Introductions, Bd. 95), 2003, S. 52.

11 Vgl. M. Freeden, Ideology (Anm. 10), S. 2ff., 51-65; Ders., „Conceptual History, Ideology and Lan- guage“ (Anm. 6), S. 118-124, 133.

12 Vgl. Reinhart Koselleck, „Einleitung“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd.  1, 1972, insb. S.  XIV, XIX, XXIV; Ders., „Vorwort“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, 1992, insb. S. VII; Willibald Steinmetz, Michael Freeden, „Introduction. Conceptual History:

Challenges, Conundrums, Complexities“, in: Steinmetz/Freeden/Sebastián (Hg.), Conceptual History in the European Space (Anm. 6), S. 1f.; M. Freeden, „Conceptual History, Ideology and Lan- guage“ (Anm. 6), S. 119, 123.

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phologischen Ansatz Freedens wird dadurch Rechnung getragen, dass ein besonderes Augenmerk möglichen Bezügen zur NS-Ideologie und der Position der Begriffe inner- halb des jeweiligen ideologischen Clusters, soweit erkennbar, gilt. Deswegen stehen zusätzlich zum Wort ‚Volksgemeinschaft‘ auch die Ausdrücke ‚Volksgenosse/n‘ und

‚Volkskörper‘, die sich in der NS-Ideologie durch ihre enge Nachbarschaft gegenseitig bedingen und zur Definition des NS-Begriffs von ‚Volksgemeinschaft‘ unerlässlich sind, am Beginn der Untersuchung. Es ist jedoch darauf zu achten, dass diese Verbin- dung in der Verwendung der Begriffe nach 1949 nicht zwingend gegeben sein muss – andere Definitionen und konzeptionelle Cluster könnten sich entwickelt haben (13). Dabei ist natürlich auch der Rekurs auf Begriffsverständnisse aus der Zeit vor dem NS denkbar. Der Untersuchung des Quellenmaterials soll daher ein Überblick zur Begriffsgeschichte der ‚Volksgemeinschaft‘ bis zum ‚Dritten Reich‘ sowie zum Stand der Forschung zur Verwendung des Begriffs nach 1945 vorgeschaltet werden. So wird in Ergänzung der hier auf synchroner Ebene unternommenen begriffsgeschichtlichen Analyse auch die „diachronische Tiefengliederung“ (14) des Begriffs für die Unter- suchung nutzbar gemacht.

Wahlperiode

Anzahl Sitzungen mit Begriffsverwendung

Gesamtzahl Sitzungen

Anteil Sitzungen mit Begriffsverwen-

dung in Prozent Volksge-

meinschaft

Volks- genosse/n

Volks körper Gesamt

1 (1949-53) 18 20 20 51 282 18,09

2 (1953-57) 6 7 11 24 227 10,57

3 (1957-61) 4 1 2 7 168 4,17

4 (1961-65) 4 2 3 8 198 4,04

5 (1965-69) 1 0 0 1 247 0,4

6 (1969-72) 2 1 0 3 199 1,51

7 (1972-76) 0 0 0 0 259 0

8 (1976-80) 1 0 0 1 230 0,43

9 (1980-83) 3 0 0 3 142 2,11

10 (1983-87) 4 0 2 6 256 2,34

11 (1987-90) 7 2 1 9 236 3,81

12 (1990-94) 3 1 0 4 243 1,65

13 (1994-98) 2 0 1 3 248 1,21

14 (1998-2002) 1 0 1 2 253 0,79

15 (2002-05) 0 0 0 0 187 0

16 (2005-09) 2 0 1 3 233 1,29

17 (2009-13) 2 0 0 2 253 0,79

18 (2013-17) 1 0 1 2 245 0,82

Abb.  1 Häufigkeit der Begriffe ‚Volksgemeinschaft‘, ‚Volksgenosse/n‘ und ‚Volkskörper‘ in den stenographischen Berichten zu den Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages Da teils in ein und derselben Sitzung mehrere der untersuchten Begriffe benutzt wurden, ist der Wert in der Spalte „Gesamt“ für einige Wahlperioden geringer als die Summe aus den Spalten für die Verwendung der drei Begriffe im Einzelnen (Vgl. M. Jachmann, Drucksachen und Plenarprotokolle des Deutschen Bundestages [Anm. 3]).

13 Vgl. M. Freeden, ebd., S. 125f., 130.

14 R. Koselleck, „Einleitung“ (Anm. 12), S. XXI.

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2.  Konjunkturen der ‚Volksgemeinschaft‘ von den Ursprüngen bis zur Bundesrepublik

2.1. Entwicklung und Charakter der ‚Volksgemeinschaft‘ bis zum Nationalsozialismus Die ‚Volksgemeinschaft‘ des NS stellt sich Historikern zum einen als Quellenbegriff und zum anderen als analytisches Konzept dar. Während geschichtswissenschaftliche Ansätze bis in die 1970er-Jahre vor allem darauf zielten, ‚Volksgemeinschaft‘ als rei- nes Propagandakonstrukt zu entlarven, dem keine soziale Realität entsprochen habe, ist seitdem und insbesondere ab circa 2000 verstärkt betont worden, dass der Begriff als „wirkungsmächtige soziale Verheißung“ (15) gleichwohl eine Schlüsselrolle für die Untersuchung der zeitgenössischen Wahrnehmung und der Erinnerung an den NS sowie Formen und Gründe seiner Unterstützung spielen könne. Mit ihrem inhären- ten Aufruf zur Mitarbeit an ihrer Verwirklichung habe die ‚Volksgemeinschaft‘ eine mobilisierende Kraft besessen sowie Ordnungsmuster und Rollenangebote geliefert – insofern könne ‚Volksgemeinschaft‘ als soziale Praxis verstanden werden, die immer wieder konkret symbolisch erfahrbar gemacht werden musste (16). Diese Ansätze sind nicht unumstritten, doch da die vorliegende Arbeit ‚Volksgemeinschaft‘ als Quellen- begriff untersucht, muss die intensive Debatte um die ‚Volksgemeinschaft‘ als analyti- sches Konzept (17) hier nicht weiter ausgebreitet werden.

Unstrittig ist in der Forschung, dass es sich bei ‚Volksgemeinschaft‘ um einen der zentralen Begriffe der nationalsozialistischen Ideologie und Propaganda handelt (18). Geprägt wurde er jedoch schon deutlich früher – laut Norbert Götz spätestens 1791 in einer Übersetzung eines Werkes John Lockes. Im Laufe des 19. Jahrhunderts benutz- ten verschiedenste Wissenschaftler den Begriff in der Bedeutung eines seiner selbst bewussten Volkes, dessen Mitglieder einander in geistiger Einheit verbunden und als Kollektiv Grundlage und Ausgangspunkt staatlichen Handelns sind. Gegen Ende des Jahrhunderts wurde der Begriff zunehmend von politischen Akteuren, unter anderem

15 Detlef Schmiechen-Ackermann, „‚Volksgemeinschaft‘: Mythos der NS-Propaganda, wirkungs- mächtige soziale Verheißung oder soziale Realität im ‚Dritten Reich‘? – Einführung“, in: Ders. (Hg.),

‚Volksgemeinschaft‘ (Anm. 2), S. 13.

16 Vgl. Frank Bajohr, Michael Wildt, „Einleitung“, in: Dies. (Hg.), Volksgemeinschaft (Anm. 2), S. 7-13;

Ian Kershaw, „Volksgemeinschaft. Potential and Limitations of the Concept“, in: Martina Steber, Bernhard Gotto (Hg.), Visions of Community in Nazi Germany. Social Engineering and Private Lives, Oxford/New York, 2014, S. 29-42; Thomas Mergel, „Führer, Volksgemeinschaft und Maschine. Poli- tische Erwartungsstrukturen in der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus 1918-1936“, in:

Wolfgang Hardtwig (Hg.), Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918-1939, Göttingen (Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft. Sonderhefte, Bd.  21), 2005, S.  91-127; Martina Steber, Bernhard Gotto, „Volksgemeinschaft im NS-Regime. Wandlun- gen, Wirkungen und Aneignung eines Zukunftsversprechens“, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 62 (2014), S.  433-445; Michael Wildt, „Volksgemeinschaft“ (docupedia.de/zg/Volksgemeinschaft?o ldid=125622), 03.06.2014 (Zugriff: 09.04.2020); Ders., Die Ambivalenz des Volkes. Der Nationalsozia- lismus als Gesellschaftsgeschichte, Berlin, 2019, S. 30-36.

17 Vgl. dazu z. B. I.  Kershaw, ebd., S.  36-42; Steber/Gotto, „Volksgemeinschaft im NS-Regime“

(Anm. 16), S. 435; M. Wildt, „Volksgemeinschaft“ (Anm. 16); Wolf Gruner, „Das Dogma der ‚Volks- gemeinschaft‘ und die Mikrogeschichte der NS-Gesellschaft“, in: Detlef Schmiechen-Ackermann u.a. (Hg.), Der Ort der ‚Volksgemeinschaft‘ in der deutschen Gesellschaftsgeschichte, Paderborn u.a.

(Nationalsozialistische ‚Volksgemeinschaft‘. Studien zu Konstruktion, gesellschaftlicher Wirkungs- macht und Erinnerung, Bd. 7), 2018, S. 71-90.

18 Vgl. M. Wildt, ebd.

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in der völkischen Bewegung, verwendet; die Grundlage dieser ‚Volksgemeinschaften‘

bildete entweder die gemeinsame Staatsangehörigkeit oder die gemeinsame ethnische Herkunft (19).

‚Volk‘ und entsprechende Komposita wurden seit dieser Zeit vermehrt als Alterna- tive zum wenig beliebten Begriff der ‚Nation‘ gebraucht. Letzterer wurde vor allem mit der revolutionär begründeten französischen Nation verbunden und stand im zeitge- nössischen Verständnis in einer deutlich engeren Verbindung zum Staatsbegriff. Das

‚Volk‘ ließ sich demgegenüber leichter auf biologisch-ethnischer Grundlage verstehen.

In ähnlicher Weise galt ‚Gemeinschaft‘ in Deutschland weithin, stark beeinflusst von der entsprechenden Unterscheidung bei Ferdinand Tönnies, als natürliche, vor- und überstaatliche Form der inneren Verbundenheit eines ‚Volkes‘, ‚Gesellschaft‘ hingegen als künstliches und fragiles Gebilde (20).

Weite Verbreitung erlangte die ‚Volksgemeinschaft‘ im Ersten Weltkrieg. In diesem Zusammenhang wird in der Forschung oft Wilhelms II. berühmte Behauptung zu Kriegsbeginn, er kenne von nun an keine Parteien, sondern nur noch Deutsche, zitiert – obwohl er den Begriff ‚Volksgemeinschaft‘ dabei gar nicht verwandte. Er gab jedoch die entsprechende Vorstellung einer nationalen Gemeinschaft, die jenseits etwaiger politischer Differenzen solidarisch zusammensteht, treffend wieder. Darauf aufbau- end, machten in der Weimarer Republik alle Parteien außer der USPD und der KPD vom Begriff der ‚Volksgemeinschaft‘ Gebrauch. Insgesamt bezeichneten sie damit eine herzustellende innere Einheit, ein notwendiges harmonisches Zusammenhalten der Deutschen angesichts der heftigen politischen Kämpfe in den Anfangsjahren des neuen Staates. Verteidiger der Weimarer Republik forderten mit dem Begriff einen – in seiner Ausgestaltung jeweils unterschiedlichen – grundlegenden demokratischen Mindestkonsens ein; ihre Gegner kritisierten, dass gerade das bestehende politische System innergesellschaftliche Konfliktlinien verschärfen und damit Bemühungen um eine ‚Volksgemeinschaft‘ vereiteln würde. Aus liberaler Sicht richtete sich die Beschwörung des Begriffs vor allem gegen die Spaltung des ‚Volkes‘ im Klassenkampf;

im Zentrum verband man ihn mit mystischen Ideen oder auch mit korporatistischen Staats- und Gesellschaftsentwürfen; Sozialdemokraten benutzten die ‚Volksgemein- schaft‘, ähnlich wie auch Linksliberale, zur Verteidigung des Weimarer Systems, fer- ner zur Argumentation für die Beteiligung an Koalitionen, und sahen in ihr teils die Chance einer Verbindung von Sozialismus und Nationalismus. Noch in seiner Rede zum Ermächtigungsgesetz am 23.03.1933 sprach Otto Wels in positiver Form von einer zu erreichenden ‚Volksgemeinschaft‘. Mittlerweile bestimmte jedoch schon die nationalistisch und rassistisch aufgeladene Interpretation des Begriffs durch die poli- tische Rechte und vor allem die NSDAP den Diskurs (21).

19 Vgl. N. Götz, „Volksgemeinschaft im synchronen und diachronen Vergleich“ (Anm. 4), S. 57f.

20 Vgl. Bajohr/Wildt, „Einleitung“ (Anm.  16), S.  10f.; N.  Götz, ebd., S.  57f.; Peter Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse. Radikaler Nationalismus im Deutschen Kaiserreich 1890-1914, Göttingen (Kri- tische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd.  176), 2007, S.  87f.; M.  Wildt, „Volksgemeinschaft“

(Anm.  16); Ders., Die Ambivalenz des Volkes (Anm.  16), S.  23ff.; Manfred Riedel, „Gesellschaft, Gemeinschaft“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, 1975, S. 854-860.

21 Vgl. N.  Götz, ebd., S.  58f.; T.  Mergel, „Führer, Volksgemeinschaft und Maschine“ (Anm.  16), S. 95-101; M. Wildt, „Volksgemeinschaft“ (Anm. 16); Ders., Die Ambivalenz des Volkes (Anm. 16),

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Die nationalsozialistische ‚Volksgemeinschaft‘ bildete einen Kollektivsingular im Sinne Kosellecks (22). Die Zugehörigkeit zu ihr entschied sich nach rassistischen und antisemitischen Kriterien. Diese biologisch gedachte ‚Volksgemeinschaft‘ war somit nicht identisch mit der Gesamtheit der deutschen Staatsbürger bzw. der Bevölke- rung des Deutschen Reichs: Sie schloss im Ausland lebende Deutsche nach den NS- Rassevorstellungen ein und im Gegenzug alle im Deutschen Reich lebenden Bürger sowie alle anderen Personen, die nach der NS-Ideologie nicht als Deutsche anzuse- hen waren, aus. Die Utopie dieser ausgrenzenden ‚Volksgemeinschaft‘ war die einer solidarischen und harmonischen Einheit des ‚Volkes‘, innerhalb dessen alle sozialen Unterschiede und Schranken aufgehoben würden – ein Idealzustand, der einerseits mit der Errichtung der NS-Herrschaft bereits als erreicht galt, andererseits ständig unter vollem Einsatz der ‚Volksgenossen‘ verwirklicht und erhalten werden sollte.

Trotz dieses egalitären Versprechens forderte der NS den unbedingten Gehorsam der

‚Volksgenossen‘ gegenüber dem absolute Macht besitzenden ‚Führer‘ Hitler ein, und die Gemeinschaftszugehörigkeit des Einzelnen war keineswegs nur aufgrund seiner vermeintlichen ‚Rasse‘ schon gesichert: Wer den NS nicht mindestens passiv tolerierte, konnte als ‚Volksschädling‘ aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden. Des Weiteren konnten behinderte Personen und ‚Mischlinge‘, die als Risiken für die Gesundheit der eigenen ‚Rasse‘ angesehen wurden, zwar in die ‚Volksgemeinschaft‘ aufgenommen werden, doch dies „wurde als ein Gnadenerweis verstanden, dem sich die Betroffenen durch Unterwürfigkeit und Opferbereitschaft würdig zu erweisen hatten“ (23). Darin lag die disziplinierende Dimension der ‚Volksgemeinschaft‘. Zentrum und Ziel war nicht das Wohlergehen des Einzelnen, sondern die Entwicklung bzw. Bewahrung der biolo- gischen Grundlage der gedachten Gemeinschaft: ein ‚rassisch reiner Volkskörper‘ (24).

Aus dieser Beschreibung des nationalsozialistischen Begriffs von ‚Volksgemein- schaft‘ geht hervor, weshalb die Analyse neben der Untersuchung der Verwendung des Begriffs selbst auch die der Begriffe ‚Volksgenosse/n‘ und ‚Volkskörper‘ einbezieht.

Beide stehen in der NS-Ideologie in direkter Nachbarschaft zur ‚Volksgemeinschaft‘.

Die drei Begriffe beziehen sich in ihren Bedeutungen gegenseitig aufeinander und bilden damit nach Freeden ein gemeinsames ideologisches Cluster. ‚Volksgenosse‘

bezeichnet hierbei das einzelne Mitglied der ‚Volksgemeinschaft‘; in dieser Verbin- dung wurde der Begriff ebenfalls bereits vor 1933 in den verschiedenen politischen Lagern gebraucht. In der Sprache des NS wurde ‚Volksgenosse‘ ähnlich extensiv

S.  47-57, 65; Jörn Retterath, „‚Parteihader‘ versus ‚Volksgemeinschaft‘. Kritik an Parteien und Parlamentarismus seitens der politischen Mitte in den Anfangsjahren der Weimarer Republik“, in:

Sebastian Elsbach, Ronny Noak, Andreas Braune (Hg.), Konsens und Konflikt. Demokratische Transformation in der Weimarer und Bonner Republik, Stuttgart (Weimarer Schriften zur Republik, Bd. 9), 2019, S. 143-147.

22 Vgl. R. Koselleck, „Einleitung“ (Anm. 12), S. XVIIf.; N. Götz, ebd., S. 60.

23 N. Götz, ebd., S. 62.

24 Vgl. Cornelia Berning, Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin/New York, 2007 (2., durchgese- hene u.  überarbeitete Aufl.), S.  654-660; N.  Götz, ebd., S.  59-63; M.  Wildt, „Volksgemeinschaft“

(Anm. 16); Ders., Die Ambivalenz des Volkes (Anm. 16), S. 30ff., 36, 64; Kurt Bauer, Nationalsozi- alismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, Wien/Köln/Weimar (UTB, Bd. 3076), 2008, S. 109- 112; Hans-Ulrich Wehler, Der Nationalsozialismus. Bewegung, Führerschaft, Verbrechen 1919-1945, München, 2009, S. 5-13, 80ff., 84f., 119f., 129ff., 145-151.

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genutzt wie ‚Volksgemeinschaft‘: Als „gleichschaltende Anrede“ (25) des Publikums bei Ansprachen und als direkter Appell an den Einzelnen. Hierbei ist ‚Genosse‘ bewusst der üblichen Anrede in sozialistischen Parteien entlehnt und verweist damit genau wie ‚Volksgemeinschaft‘ auf einen egalitären Anspruch, das ‚Volk‘ hingegen auf die rassische Beantwortung der Frage, wer in dieser Gemeinschaft als ‚Genosse‘ gelten darf und wer nicht (26). In diesem Sinne liest man bereits im Programm der NSDAP von 1920: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein“ (27).

Die Genese des Begriffs ‚Volkskörper‘ folgt einem etwas anderen Pfad. Körper- metaphern und andere organizistische Analogien zur Beschreibung von politischen und gesellschaftlichen Verbänden haben eine lange Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden diese unter dem Einfluss der Naturwissenschaften, vor allem der Eugenik, zusätzlich biologisch bzw.

medizinisch aufgeladen, während Statistik und Demographie den ‚Volkskörper‘

mess- und untersuchbar machten. In Analogie zum von Krankheitserregern bedroh- ten menschlichen Körper wurden Gefahren für den ‚Volkskörper‘ identifiziert, die es abzuwehren oder auszumerzen gelte – insbesondere aus sozialdarwinistischer, anti- semitischer und rassistischer Perspektive (28). In den Anfangsjahren der Weimarer Republik stieg die Beliebtheit organizistischer Analogien, die auf die Regeneration des ‚Volkskörpers‘ nach dem Krieg zielten, weiter. So schildert Moritz Föllmer, wie auch liberale Wirtschafts- und Verwaltungseliten bis zur vorübergehenden Stabi- lisierung der Republik um 1926 verstärkt Bilder eines geschwächten ‚Volkskörpers‘

zur Beschreibung ihrer Krisenwahrnehmungen nutzten. Diese Metaphorik habe, ähnlich wie auch das Konzept der ‚Volksgemeinschaft‘, auf eine Überwindung von Klassengegensätzen durch die rhetorische Zusammenfassung aller Individuen in einer Einheit mit gemeinsamen Interessen gezielt (29). Die Nationalsozialisten knüpften

25 C. Berning, ebd., S. 663.

26 Vgl. ebd., S. 660-664.

27 Zit. n. ebd., S. 662.

28 Vgl. C.  Berning, ebd., S.  667f.; Gerhard Dohrn-van Rossum, Ernst-Wolfgang Böckernförde,

„Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Histori- sches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 4, 1978, S. 519-622, insb. S. 521-561;

Inge Baxmann, „Der Körper der Nation“, in: Etienne François, Hannes Siegrist, Jacob Vogel (Hg.), Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich 19. und 20. Jahrhundert, Göt- tingen (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 110), 1995, S. 354; Detlev J. K. Peukert, Max Webers Diagnose der Moderne, Göttingen (Kleine Vandenhoeck-Reihe, Bd. 1548), 1989, S. 106;

Ute Planert, „Der dreifache Körper des Volkes: Sexualität, Biopolitik und die Wissenschaften vom Leben“, Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft, 26 (2000), S. 561- 564; Heinrich Hartmann, Der Volkskörper bei der Musterung. Militärstatistik und Demographie in Europa vor dem Ersten Weltkrieg, Göttingen, 2011, S. 8f., 17f.; Maren Lorenz, Leibhaftige Vergangen- heit. Einführung in die Körpergeschichte, Tübingen (Historische Einführungen, Bd.  4), 2000, S.  34, 104-120.

29 Vgl. Moritz Föllmer, „Der ‚kranke Volkskörper‘. Industrielle, hohe Beamte und der Diskurs der nationalen Regeneration in der Weimarer Republik“, Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für His- torische Sozialwissenschaft, 27 (2001), S.  41-67; Dohrn-van Rossum/Böckernförde, ebd., S.  617;

I. Baxmann, ebd., S. 355, 360f.

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an diesen Gebrauch an, radikalisierten jedoch den biologischen und rassistischen Gehalt des Begriffs. In ihrer Ideologie bezeichnete ‚Volkskörper‘ „das Gesellschafts- modell einer hierarchisch strukturierten, rassisch homogenisierten Produktions- und Reproduktionsgemeinschaft“ (30) als biologisch-materielle Grundlage der ‚Volksge- meinschaft‘. Vom ‚Volkskörper‘ ist auch im NS vor allem im Kontext der ihn angeblich bedrohenden Gefahren die Rede, insbesondere zur Legitimation gesundheitspoliti- scher und rassehygienischer Vorhaben. Dem Wohlergehen des ‚Volkskörpers‘ habe sich das Individuum, so die Forderung in der NS-Ideologie, unterzuordnen und im Zweifel zu opfern – hier wird der Zusammenhang mit dem Konzept der ‚Volksgemein- schaft‘ besonders offensichtlich (31).

2.2. Die ‚Volksgemeinschaft‘ nach 1945

Die Literatur zur Frage, wie die untersuchten Begriffe nach dem Ende des ‚Drit- ten Reichs‘ und der Prägung durch ihre Einbettung in die NS-Ideologie verwandt wurden, ist überschaubar. Gideon Botsch stellt fest, es sei vor allem die „fundamen- taloppositionelle extreme Rechte“ gewesen, die den Begriff der ‚Volksgemeinschaft‘

nach dem NS positiv aufgegriffen habe. Innerhalb derselben habe er den Status einer

„weltanschauliche[n] ‚Grundposition‘“ (32) innegehabt – über fast alle rechtsgerichteten Gruppierungen und Strömungen der BRD hinweg, von 1949 bis in die Gegenwart.

In den 1950er- und 60er-Jahren hätten insbesondere die Sozialistische Reichspartei (SRP) und die Deutsche Reichspartei die ‚Volksgemeinschaft‘ in ihre Programmatik eingebaut und dabei vor allem ihre Bedeutung als harmonische, klassen- und schran- kenlose soziale Utopie betont, um diese als Gegenentwurf zur parlamentarischen Demokratie mit ihrer angeblichen Zersplitterung in entgegengesetzte Partikular- oder Klasseninteressen in Stellung zu bringen (33). Auch Norbert Frei, Martin Will und Henning Hansen verweisen auf die zentrale Rolle der ‚Volksgemeinschaft‘ in der Ideologie der SRP. Hansen erwähnt ferner, dass die Bundesregierung den Gebrauch des Begriffs ‚Volksgemeinschaft‘ in ihrem Verbotsantrag gegen die SRP vom 19.11.1951 als einen Beleg dafür nannte, dass es sich bei ihr um eine Nachfolgeorganisation der NSDAP handele (34). Doch auch nachdem sich das Bundesverfassungsgericht der

30 Winfried Süss, Der „Volkskörper“ im Krieg. Gesundheitspolitik, Gesundheitsverhältnisse und Kran- kenmord im nationalsozialistischen Deutschland 1939-1945, München (Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 65), 2003, S. 12 Anm. 3.

31 Vgl. W. Süss, ebd., S. 12, 32ff.; C. Berning, Vokabular des Nationalsozialismus (Anm. 24), S. 667-670;

D. Peukert, Max Webers Diagnose der Moderne (Anm. 28), S. 110ff.; Peter Glanninger, Rassismus und Rechtsextremismus. Rassistische Argumentationsmuster und ihre historischen Entwicklungslinien, Frankfurt am Main u.a. (Mensch und Gesellschaft. Schriftenreihe für Sozialmedizin, Sozialpsycha- trie, medizinische Anthropologie und philosophische Reflexionen, Bd. 16), 2009, S. 148-151; Malte Thiessen, „Vom immunisierten Volkskörper zum ‚präventiven Selbst‘. Impfen als Biopolitik und soziale Praxis vom Kaiserreich zur Bundesrepublik“, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 61 (2013), S. 46-64.

32 Gideon Botsch, Wahre Demokratie und Volksgemeinschaft. Ideologie und Programmatik der NPD und ihres rechtsextremen Umfelds, Wiesbaden (Edition Rechtsextremismus), 2017, S. 81.

33 Vgl. ebd. S. 80-98.

34 Vgl. N. Frei, Vergangenheitspolitik (Anm. 2), S. 326; M. Will, Ephorale Verfassung (Anm. 2), S. 109;

Henning Hansen, Die Sozialistische Reichspartei (SRP). Aufstieg und Scheitern einer rechtsextremen

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Argumentation der Bundesregierung weitestgehend angeschlossen und die SRP am 23.10.1952 als verfassungswidrig eingestuft und verboten hatte, orientierte sich die rechte Szene laut Botsch weiter an der ‚Volksgemeinschaft‘ – teils unter Verwendung anderer Begrifflichkeiten, aber immer wieder an prominenter Stelle auch mit genau dieser Bezeichnung, so etwa im Titel des Europaprogramms der NPD von 1978, in einem Schulungsheft der Nationalistischen Front von 1991 oder in den NPD-Partei- programmen von 1996 und 2010 (35).

Im 1.  Bundestag wurden die Begriffe ‚Volksgemeinschaft‘, Volksgenosse/n‘ und

‚Volkskörper‘ allerdings, wie unten weiter ausgeführt wird, in der deutlichen Mehr- heit der Fälle von Abgeordneten benutzt, die nicht dem organisierten Rechtsextre- mismus zuzuordnen sind. So stammen allein fast zwei Drittel der Wortbeiträge, in denen die Begriffe in nicht-kritischer Absicht genannt werden, von Abgeordneten der drei größten Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP. Der folgende Überblick konzent- riert sich daher auf die Literatur zu der Frage, inwiefern ‚Volksgemeinschaft‘ und die verwandten Begriffe im weiteren politischen Diskurs der frühen BRD benutzt wur- den – jenseits des Spektrums, das in seiner Ideologie und Programmatik den mehr oder minder offenen Anschluss an den NS suchte. Hierzu finden sich kursorische Erwähnungen in der weitaus umfänglicheren Literatur zur politischen Sprache (36) und Vergangenheitspolitik der frühen BRD.  Frei und Helmut Dubiel etwa sehen in der Missbilligung von Prozessen gegen NS-Kriegsverbrecher und der Solidarisierung mit den Angeklagten durch einen Großteil der deutschen Bevölkerung der 1940er- und 1950er-Jahre ein Fortwirken der Orientierung an der ‚Volksgemeinschaft‘, genauer an der Solidarität der ‚Volksgenossen‘ zueinander. Dubiel illustriert dies am Beispiel der These der Kollektivschuld der Deutschen an den Verbrechen des NS, über die sich Bundestagsabgeordnete der 1950er-Jahre regelmäßig entrüsteten: Nur, so Dubiel, wer implizit immer noch von der Zugehörigkeit aller Deutschen zu einem einheitlichen Handlungskollektiv, der ‚Volksgemeinschaft‘ (37), ausging, habe beispielsweise in den Entnazifizierungsverfahren der Alliierten eine kollektive Schuldzuschreibung sehen können (38). Martina Steber verweist auf die vereinzelte Evozierung des Konzepts der

‚Volksgemeinschaft‘ in Gesellschafts- und Gemeinschaftsentwürfen der Deutschen Partei (DP), im Umfeld von Franz Josef Strauß sowie bei Ludwig Erhard – ohne dass der Begriff selbst tatsächlich benutzt worden wäre (39). In ähnlicher Weise sieht

Partei, Berlin/Düsseldorf (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Par- teien, Bd. 148), 2007, S. 106-109, 241f.

35 Vgl. G. Botsch, Wahre Demokratie und Volksgemeinschaft (Anm. 32), S. 87, 89, 94ff.

36 Vgl. allgemein als frühen Erfahrungsbericht zum Fortleben der Sprache des NS: Victor Klemperer, LTI. Notizbuch eines Philologen, Leipzig (Reclam-Bibliothek, Bd. 125), 2005 (21. Aufl.), insb. S. 10f., 25f., 162-166.

37 Vgl. für das Verständnis der ‚Volksgemeinschaft‘ als Handlungskollektiv auch N.  Götz, „Volksge- meinschaft im synchronen und diachronen Vergleich“ (Anm. 4), S. 58.

38 Vgl. H. Dubiel, Niemand ist frei von der Geschichte (Anm. 2), S. 46ff., 70f.; N. Frei, Vergangenheitspo- litik (Anm. 2), S. 304f.

39 Vgl. Martina Steber, Die Hüter der Begriffe. Politische Sprachen des Konservativen in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland, 1945-1980, Berlin/Boston (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London / Publications of the German Historical Institute London, Bd.  78), 2017, S. 134f., 159f., 208-212.

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Wintgens in Helmut Schelskys Formel von der ‚nivellierten Mittelstandsgesellschaft‘

einen „Nachklang der ‚Volksgemeinschaft‘“ (40).

Ferner finden sich gelegentliche Einschätzungen zum Wortgebrauch nach 1945 in begriffsgeschichtlichen Abrissen der gesamten Entwicklung der Begriffe ‚Volk‘ oder

‚Volksgemeinschaft‘ sowie in einigen Arbeiten, deren Hauptaugenmerk auf der Ver- wendung des Begriffs ‚Volksgemeinschaft‘ im NS liegt (41). Franz Janka meint ähnlich wie Dubiel, dass das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Kollektiv, in das man sich einzuordnen habe, in Ost- und Westdeutschland auch nach 1945 weit verbreitet gewe- sen sei. Auch die Überzeugung von der Überlegenheit der eigenen Gruppe habe sich erhalten, ebenso wie die abwehrende Haltung gegenüber ‚Gemeinschaftsfremden‘

– nicht jedoch die „Verschmelzung von sozialen und nationalen Gedanken“ (42). Der soziale, egalisierende Appell der ‚Volksgemeinschaft‘ für sich habe allerdings weiter einen Einfluss auf Sozialisierungsvorstellungen nach 1945 gehabt (43). Götz schließlich behauptet, der Begriff ‚Volksgemeinschaft‘ sei in der Nachkriegszeit in Verruf geraten und daher meist vermieden worden. Die wenigen positiven Begriffsverwendungen, die es bis zum Ende der 1960er-Jahre unter demokratischen Politikern gegeben habe, hätten sich stets an vornationalsozialistischen Definitionen aus der Weimarer Repub- lik orientiert (44). Vom Verschwinden des Begriffs aus dem breiten öffentlichen Diskurs nach 1945 sind auch Norbert Jegelka und Hajo Funke überzeugt (45).

Die einzigen Arbeiten, die die Frage der Nachwirkungen der NS-‚Volksgemeinschaft‘

in der westdeutschen Gesellschaft zum Hauptthema machen, sind zwei lokalgeschicht- liche Aufsätze von Malte Thießen. Das Vergemeinschaftungsangebot des NS habe demnach in der BRD seine Attraktivität behalten. Bereits in der Endphase des Krieges

40 B. Wintgens, Treibhaus Bonn (Anm. 5), S. 33.

41 In den Geschichtlichen Grundbegriffen finden sich allerdings keine Aussagen zur ‚Volksgemeinschaft‘

nach 1945 und nur sehr knappe Bemerkungen zur Geschichte der Teilbegriffe ‚Volk‘ und ‚Gemein- schaft‘ ab der Nachkriegszeit. Der Artikel zu „Volk, Nation, Nationalismus, Masse“ vertritt die These, während der Teilung Deutschlands sei der Begriff ‚Volk‘ vorwiegend zur Legitimierung der inneren Verfassung verwandt worden, während die ‚Nation‘ vor allem für die Frage nach den Gemeinsamkei- ten der beiden deutschen Staaten eine Bedeutung gehabt habe (vgl. Reinhart Koselleck u.a., „Volk, Nation, Nationalismus, Masse“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch- sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, 1992, S. 141, 420-431). Der Artikel zum Lemma „Gesellschaft, Gemeinschaft“ vermerkt ebenfalls nur kurz: „Der politisch verhängnisvolle Einfluß der Gemein- schaftsideologie ist der weiteren Wirkung des Theormes [sic]“ nach dem Zweiten Weltkrieg „ver- ständlicherweise abträglich gewesen“, und das dualistische Schema Gesellschaft – Gemeinschaft lebe

„heute lediglich als ideologisch fragwürdiger Wortbestand in Publizistik, kulturkritischem Schrift- tum und unterschwellig in jenen pseudomarxistischen Texten der ‚Neuen Linken‘ fort, die […] den Gemeinschaftskult der Periode nach dem Ersten Weltkrieg wiederholen“ (M. Riedel, „Gesellschaft, Gemeinschaft“ [Anm. 20], S. 860, 862).

42 Franz Janka, Die braune Gesellschaft. Ein Volk wird formatiert, Stuttgart, 1997, S. 454.

43 Vgl. ebd., S. 452-459.

44 Vgl. N Götz, „Volksgemeinschaft im synchronen und diachronen Vergleich“ (Anm. 4), S. 64.

45 Vgl. Norbert Jegelka, „‚Volksgemeinschaft‘. Begriffskonturen in ‚Führer‘ideologie, Recht und Erziehung (1933-1945)“, in: Annette Graczyk (Hg.), Das Volk. Abbild, Konstruktion, Phantasma, Berlin, 1996, S. 124ff.; Hajo Funke, „Volk, völkisch, Volksgemeinschaft – historische Konzepte. Die Rechtspopulisten heute und die Gesellschaft der Vielfalt“, Einsicht 18 – Bulletin des Fritz Bauer Insti- tuts, 9 (2017), S. 28f.

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und verstärkt in der Nachkriegszeit habe sich daraus die Vorstellung vom deutschen Volk als ‚Opfer-‘ ‚Not‘- oder ‚Schicksalsgemeinschaft‘, die unter der dreifachen Geißel des Hitler-Regimes, des Krieges und der alliierten Besatzung gelitten habe, entwickelt.

Auch der Begriff ‚Volksgemeinschaft‘ selbst sei teils weiterhin verwandt worden, wenn auch gelegentlich abgeschwächt, z. B. als „‚Volksgemeinschaft‘ unter demokratischen Vorzeichen“ (46). Aus den semantischen Ähnlichkeiten dürfe man jedoch nicht auf direkte Kontinuitäten der NS-Ideologie schließen: Zum einen habe die neue Gemein- schaftsidee eine „‚Volksgemeinschaft‘ ohne Führer“ (47) dargestellt, zum anderen habe der Mythos von den Deutschen als Opfer gerade auf eine Distanzierung vom NS gezielt. Von der ‚Volksgemeinschaft‘ über die ‚Opfergemeinschaft‘ sei nun das Leitbild der ‚Erfolgsgemeinschaft‘ des Wirtschaftswunders entstanden, einer „‚Volksgemein- schaft light‘“ (48): Ohne ‚rassische‘ Grundlage und Exklusion, dafür ein freiwilliges, auf wirtschaftlichem Erfolg basierendes, größtmögliches Integrationsangebot. Dieje- nigen, die aus der NS-‚Volksgemeinschaft‘ verstoßen worden waren, seien allerdings auch weiterhin ausgeschlossen gewesen: Ihre Inklusion hätte eine Konfrontation des Opfermythos mit den tatsächlichen NS-Verfolgten notwendig gemacht. Als offener Begriff sei ‚Volksgemeinschaft‘ ferner auch eine Projektionsfläche für die vermeintlich guten, sozialen Seiten des ‚Dritten Reichs‘ gewesen, an die man sich als Kontrast zu gegenwärtig wahrgenommenen sozialen Problemen erinnert habe, und habe zudem die Möglichkeit geliefert, an Verständnisse aus der Weimarer Zeit anzuknüpfen (49).

Abgesehen von den Aufsätzen Thießens behandelt die bestehende Forschung die Frage, inwiefern sich ab 1945 Nachwirkungen der NS-‚Volksgemeinschaft‘ jenseits des Rechtsextremismus feststellen lassen, also höchstens nebenbei. Der vorliegende Beitrag unterscheidet sich sowohl von dieser Literatur als auch von den Arbeiten Thie- ßens dadurch, dass er zur Beantwortung dieser Frage zum ersten Mal das Fortleben des konkreten Begriffs der ‚Volksgemeinschaft‘ nach 1945, mit der Untersuchung der Kontinuitäten oder Diskontinuitäten seines Gebrauchs, in den Mittelpunkt stellt.

3. Die ‚Volksgemeinschaft‘ im Bundestag

3.1. Der 1. Deutsche Bundestag und seine Debatten

Der 1. Deutsche Bundestag tagte zwischen dem 07.09.1949 und dem 29.07.1953 (50). In diesem Zeitraum fanden 282 Plenarsitzungen statt, mehr als in jeder nachfolgenden Wahlperiode – ein Hinweis auf die Vielzahl an Aufgaben, die der Regelung durch das Parlament der erst wenige Monate alten Republik bedurften. Wichtige Themen der ersten Legislaturperiode waren neben Gesetzeswerken zum grundsätzlichen

46 M. Thiessen, „Schöne Zeiten?“ (Anm. 2), S. 173.

47 Ebd., S. 170.

48 Ebd., S. 185.

49 Vgl. ebd., S.  165-187; Ders., „Erinnerungen an die ‚Volksgemeinschaft‘“ (Anm.  2), S.  319-334; fer- ner Thießens kurze Anmerkung zum punktuellen Gebrauch des Konzepts ‚Volksgemeinschaft‘ im westdeutschen Impfdiskurs: Ders., „Vom immunisierten Volkskörper zum ‚präventiven Selbst‘“

(Anm. 31), S. 60f.

50 Vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, I. Wahlperiode, 1. Sitzung, 07.09.1949, S. 1.; Bundes- tag, I. WP, 282. Sitzung, 29.07.1953, S. 14253.

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Aufbau des neuen Staates und seiner Verwaltung vor allem Fragen der Außen- und Deutschlandpolitik, darunter die Westintegration, ferner die Sozialgesetzgebung und, teils eng mit den vorigen Punkten zusammenhängend, die Regelung der Folgen des Zweiten Weltkrieges und der Besatzungszeit, etwa im Lastenausgleich, in der Rehabi- litierung von im ‚Dritten Reich‘ tätigen Beamten und in der Gesetzgebung zur Been- digung der Entnazifizierung, zur Amnestie für NS-Täter oder zu Flüchtlingen und Vertriebenen (51).

Bei der ersten Bundestagswahl am 14.08.1949 musste die Fünf-Prozent-Hürde noch lediglich auf Länderebene genommen werden, was die im Vergleich zu späteren Legis- laturperioden hohe Zahl an im Parlament vertretenen Parteien und das noch instabile Spektrum der Fraktionen erklärt. Von den 410 Sitzen des Hauses (einschließlich der nicht voll stimmberechtigten Abgeordneten West-Berlins) entfielen zu Beginn der Wahlperiode 211 auf die Regierungskoalition aus CDU/CSU mit 141, FDP mit 53 und DP mit 17 Sitzen. Die Opposition bestand aus der SPD mit 136, der Bayernpartei (BP) mit 17, der KPD mit 15, der Wirtschaftlichen Aufbauvereinigung (WAV) mit zwölf, dem Zentrum (Z) mit zehn, der Deutschen Konservativen Partei/Deutschen Rechts- partei (DKP/DRP), die im Bundestag in der Fraktion der Nationalen Rechten (NR) in Erscheinung trat, mit fünf und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) mit einem Sitz sowie drei parteilosen Abgeordneten. Bei DP, BP und WAV handelte es sich um konservative bis rechte Parteien mit regionaler Bedeutung, im Falle der DP in Norddeutschland, in dem der BP und der WAV in Bayern. Die DP und die WAV verstanden sich unter anderem als Vertreter der Interessen von Flüchtlingen, während die BP eine extrem föderalistische und gegen Flüchtlinge und Vertriebene gerichtete Position einnahm. Die DKP/DRP war eine rechtsextreme Partei, die schon bald in der SRP aufging. Seit Oktober 1950 existierte ferner noch die Fraktion des Deutschen Gemeinschaftsblocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE-DG), die sich als Vertretung der Flüchtlinge und Vertriebenen verstand (52).

Die Debatten dieses politisch diversen Plenums sind in den vom stenographischen Dienst erstellten Berichten grundsätzlich wortgetreu überliefert. Vor ihrer Veröffentli- chung sieht die Geschäftsordnung des Bundestages ein Korrekturrecht des jeweiligen Redners vor, welches den Inhalt der Rede jedoch nicht berühren darf – es bleibt daher lediglich ein enger Raum für sprachliche und stilistische Anpassungen. Als generell unzulässig werden z. B. Änderungen angesehen, die die Argumentation eines Beitrags

51 Vgl. Adolf M. Birke, Die Bundesrepublik Deutschland. Verfassung, Parlament und Parteien, München (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 41), 1997, S. 16-19, 83-89; E. Conze, Die Suche nach Sicher- heit (Anm. 7), S. 127ff.

52 Vgl. Rudolf Vierhaus, Ludolf Herbst (Hg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949-2002, Bd. 3, München, 2003, S. 4; Johannes Volmert, „Der Neubeginn: Die erste Bundestagsdebatte zur Regierungserklärung von Konrad Adenauer (20.-29.9.49)“, in: Armin Burk- hardt, Kornelia Pape (Hg.), Sprache des deutschen Parlamentarismus. Studien zu 150 Jahren parla- mentarischer Kommunikation, Wiesbaden, 2000, S. 194ff.; E. Conze, ebd., S. 114, 127ff., 147-151; Helga Grebing, „Die Parteien“, in: Wolfgang Benz (Hg.), Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd.  1: Politik, Frankfurt am Main (Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd.  1), 1989, S. 93-98; A. M. Birke, ebd., S. 16f.; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Die Mitglieder des Deutschen Bundestages. 1.-13. Wahlperiode. Alphabetisches Gesamtverzeichnis (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages – Materialien, Bd. 127), Bonn, 1998.

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im Nachhinein aufbessern oder Passagen, die in dieser Form durch andere Redner kritisiert wurden, entschärfen wollen. Daneben nehmen die Stenographen auch eigen- mächtig Abänderungen am Wortlaut der Debatten vor, die nicht über das Korrektur- recht der Redner hinausgehen dürfen und im Wesentlichen die Funktion erfüllen, das gesprochene Wort in Schriftsprache zu überführen. Zwischenrufe oder andere akustische Reaktionen aus dem Plenum werden gemäß den gleichen Regeln möglichst vollständig dokumentiert. Nicht-akustische Interventionen werden nur aufgenom- men, wenn Redner auf sie Bezug nehmen (53).

Auch wenn aufgrund dieser Regeln und Konventionen für die vorliegende Unter- suchung beachtet werden muss, dass möglicherweise nicht alle tatsächlichen Ver- wendungen der Begriffe ‚Volksgemeinschaft‘, ‚Volksgenosse/n‘ und ‚Volkskörper‘ im Bundestagsplenum über die stenographischen Berichte erschließbar sind, zeigen die obigen Ausführungen auch, dass sich die Korrekturen insgesamt in einem engen Rah- men bewegen und nicht von wiederholten oder systematischen Streichungen der ent- sprechenden Begriffe auszugehen ist.

3.2. ‚Volksgemeinschaft‘, ‚Volksgenosse/n‘ und ‚Volkskörper‘ im Bundestag:

Quantitativer Überblick und qualitative Analyse

In den stenographischen Berichten zu den 282  Plenarsitzungen des 1.  Deutschen Bundestages tauchen die Begriffe ‚Volksgemeinschaft‘, ‚Volksgenosse/n‘ und ‚Volks- körper‘ in 51  Sitzungen auf – zum ersten Mal in der Sitzung vom 21.09.1949, zum letzten Mal am 02.07.1953 (54). In diesen 51 Sitzungen benutzten 64 Redebeiträge einen oder mehrere der Begriffe mindestens einmal. Insgesamt fielen die drei Begriffe 74 Mal: ‚Volksgemeinschaft‘ 21‚ ‚Volkskörper‘ 25 und ‚Volksgenosse/n‘ 28 Mal.

In nur sechs Fällen wurden die Begriffe mit kritischer Distanz und ablehnend ver- wandt: Viermal von KPD- (55) und zweimal von FDP-Abgeordneten (56). In zwei Fällen (CDU und SPD) ist die Bewertung der Begriffe unklar: Sie schwankt zwischen Distan- zierung und Wiederaneignung (57). In einem Fall (Z) handelt es sich um ein Zitat aus dem behandelten Gesetzentwurf, in dem der Begriff ‚Volkskörper‘ verwandt wurde;

der Redner geht in keiner Weise auf diese Begriffsverwendung ein (58). Die übrigen 55 Wortbeiträge enthalten explizit positive oder ohne direkt erkennbare Bewertung vorgenommene eigene Verwendungen der drei Begriffe. Davon entfallen 14 auf die CDU, elf auf die FDP, zehn auf die SPD, vier aufs Zentrum, je zwei auf die KPD, BP,

53 Vgl. Andreas Olschewski, „Die Verschriftung von Parlamentsdebatten durch die stenographischen Dienste in Geschichte und Gegenwart“, in: Burkhardt/Pape (Hg.), ebd., S. 336-348; Armin Burk- hardt, Das Parlament und seine Sprache. Studien zu Theorie und Geschichte parlamentarischer Kom- munikation, Tübingen (Reihe Germanistische Linguistik, Bd. 241), 2003, S. 469-507.

54 Vgl. M. Jachmann, Drucksachen und Plenarprotokolle des Deutschen Bundestages (Anm. 3).

55 Vgl. Renner, Bundestag, I. WP, 29. Sitzung, 20.01.1950, S. 907; Harig, Bundestag, I. WP, 80. Sitzung, 27.07.1950, S. 2976; Kohl, Bundestag, I. WP, 172. Sitzung, 07.11.1951, S. 7099; Renner, Bundestag, I. WP, 195. Sitzung, 21.02.1952, S. 8383f.

56 Vgl. Neumayer, Bundestag, I.  WP, 79.  Sitzung, 26.07.1950, S.  2875; Mende, Bundestag, I.  WP, 160. Sitzung, 11.07.1951, S. 6491.

57 Vgl. von Brentano, Bundestag, I.  WP, 6.  Sitzung, 21.09.1949, S.  45; Eichler, Bundestag, I.  WP, 59. Sitzung, 27.04.1950, S. 2187.

58 Vgl. Bertram, Bundestag, I. WP, 49. Sitzung, 22.03.1950, S. 1705.

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DP, WAV und den BHE-DG, je eine auf die NR, den SSW und den zu diesem Zeit- punkt als DRP-Hospitant im Bundestag vertretenen Günter Goetzendorff, der zuvor der WAV-Fraktion angehört hatte (59), sowie drei auf zum jeweiligen Zeitpunkt frak- tionslose Mitglieder des Bundestages. Die Gesamtheit der Wortbeiträge verteilt sich auf 50 Abgeordnete (bis auf Helene Wessel (Z) (60) ausschließlich Männer), von denen die große Mehrzahl nur in einer einzigen Rede von einem oder mehreren der unter- suchten Begriffe Gebrauch macht. Lediglich zehn Redner verwenden die Begriffe in zwei verschiedenen Wortbeiträgen, und nur zwei – Willi Eichler (SPD) und Oskar Wackerzapp (CDU) – zu drei verschiedenen Gelegenheiten (61).

Aufgrund der längeren Redezeit größerer Fraktionen kann man aus diesen Zahlen nicht allzu viele Schlüsse auf die relative Beliebtheit der Begriffe innerhalb verschie- dener politischer Richtungen ziehen. Hier ist nur folgendes festzustellen: Die Begriffe

‚Volksgemeinschaft‘, ‚Volksgenosse/n‘ und ‚Volkskörper‘ wurden im 1.  Deutschen Bundestag des Öfteren positiv verwandt, und das, wenn auch unterschiedlich oft, durch Abgeordnete aus allen Parteien bzw. Fraktionen. Eine qualitative Analyse die- ser Verwendungen und ihrer Kontexte kann sich natürlich nicht mit jeder einzelnen der 74 Fundstellen befassen. Sie soll stattdessen anhand von möglichst vielen Beispie- len die wichtigsten Aspekte der Begriffsverwendungen herausstellen – beginnend mit den wenigen Fällen, in denen der Gebrauch der Begriffe explizit kommentiert oder kritisiert wurde oder in denen er direkt an das Begriffsverständnis im NS anschloss.

Die Begriffe in der Diskussion: Kritik, offener NS-Bezug und Relativierung

Bei den zwei oben erwähnten kritischen Nennungen der untersuchten Begriffe durch FDP-Politiker handelt es sich um Zitate, von deren Wortwahl sie sich distan- zierten, indem sie diese als solche kennzeichneten (z.  B. „vom sogenannten Stand- punkt der Volksgemeinschaft“ (62)). Auf ihre eigene Position zu den behandelten Begriffen gingen sie dabei jedoch nicht ein. Die einzigen wirklichen Kritiker dieser Volkskomposita im Bundestag waren die KPD-Abgeordneten – wenngleich auch sie diese in zwei Fällen ohne kritische Distanz nutzten (63). Ihre Einwände basierten auf dem marxistischen Verständnis von Ideologien. Diese würden die Wahrnehmung der Realität verzerren und dadurch die Natur materiell existierender Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse verschleiern bzw. diese legitimieren; ihre Funktion sei es damit, Proteste seitens der unterdrückten Klasse zu verhindern und die bestehende gesellschaftliche Ordnung aufrechtzuerhalten (64). Besonders prägnant wird diese Posi- tion in einem Redebeitrag des zweiten Vorsitzenden der KPD-Fraktion Heinz Renner

59 Vgl. hier und im Folgenden, sofern nicht anders angegeben, für die vollen Namen und biographischen Angaben der Abgeordneten Vierhaus/Herbst (Hg.), Biographisches Handbuch, 3 Bde (Anm. 52).

60 Vgl. Wessel, Bundestag, I. WP, 7. Sitzung, 22.09.1949, S. 74.

61 Vgl. Eichler, Bundestag, I. WP, 59. Sitzung, 27.04.1950, S. 2187; Ders., Bundestag, I. WP, 234. Sit- zung, 22.10.1952, S. 10718; Ders., Bundestag, I. WP, 279. Sitzung, 02.07.1953, S. 13938; Wackerzapp, Bundestag, I. WP, 178. Sitzung, 05.12.1951, S. 7341; Ders., Bundestag, I. WP, 192. Sitzung, 13.02.1952, S. 8261; Ders., Bundestag, I. WP, 264. Sitzung, 06.05.1953, S. 12895.

62 Neumayer, Bundestag, I. WP, 79. Sitzung, 26.07.1950, S. 2875.

63 Vgl. Niebergall, Bundestag, I.  WP, 144.  Sitzung, 30.05.1951, S.  5699; Paul, Bundestag, I.  WP, 180. Sitzung, 12.12.1951, S. 7488.

64 Vgl. M. Freeden, Ideology (Anm. 10), S. 5ff.

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vom 20.01.1950 sichtbar. Er ereignete sich im Kontext der Beratung eines Gesetzent- wurfs zur Verbesserung von Leistungen an Kriegsopfer, der nach Meinung Renners unzureichend war. In einem Angriff auf den Bundesarbeitsminister Anton Storch (CDU), der den Gesetzentwurf eingebracht hatte, kritisierte Renner, dass Storch auf einer Tagung des Reichsbundes der Kriegs- und Zivilbeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen den Begriff der ‚Notgemeinschaft‘ benutzt habe:

„Dies ist ein hohes Wort, aber meiner Meinung nach ein leeres Wort, wenn es von den Rei- chen den Armen gepredigt wird, wenn die Satten es den Hungrigen predigen, um sie über den Grad ihrer Verelendung hinwegzutäuschen. (Zuruf von der KPD: Wir haben es alle schon einmal gehört!) — Ja, wir haben es alle schon einmal gehört, sogar mehrfach unter Hitler. Dort hieß es Volksgemeinschaft. Es war derselbe Schwindel wie heute. (Bravo! bei der KPD. – Unruhe und Widerspruch bei den Regierungsparteien.)“ (65).

‚Not-‘ und ‚Volksgemeinschaft‘ sind für Renner also nur zwei verschiedene Ausdrücke für eine ideologische Strategie der Herrschenden, die dazu diene, eine Solidarität mit sozial Benachteiligten zu suggerieren, die ihre tatsächliche Politik nicht einlöse, und sich so ihre Unterstützung zu sichern (66). Wenn KPD-Abgeordnete solche begriffliche Ähnlichkeiten als Belege für eine Fortsetzung der Strategien des NS in der BRD ins Felde führten, passt dies dazu, dass die Anprangerung personeller Kontinuitäten zwi- schen beiden Systemen eines der zentralen Themen der politischen Kommunikation ihrer Fraktion war. Auch jenseits des Bundestages kamen entsprechende Vorwürfe in den 1950er-Jahren vor allem von der KPD und von Gruppierungen aus ihrem Umfeld (67).

Auf die exkludierende Dimension des Begriffs ‚Volksgemeinschaft‘ machte die KPD im Bundestag ebenfalls aufmerksam. Wieder war ein Ausspruch Storchs der Stein des Anstoßes. Als Renner ihn am 07.11.1951 in einer Debatte zur Rentenversicherung mit einem Zwischenruf unterbrach, wehrte Storch ab:

„Ach, ich kann mich doch darüber mit Ihnen nicht unterhalten! Wer sich durch sein all- gemeines Verhalten außerhalb der deutschen Volksgemeinschaft stellt, (Abg. Renner: Das verbitte ich mir! Das ist eine Frechheit von Ihnen!) hat kein Recht, über derartige Dinge zu sprechen! (Sehr richtig! in der Mitte. – Abg. Renner: Das ist doch eine unerhörte Frechheit!

– Fortgesetzte Zurufe von der KPD.)“ (68).

Im Anschluss warf Rudolf Kohl (KPD) Storch vor, er habe sich hiermit einer Argu- mentationsfigur des NS bedient, die schon früher gegen seine Partei verwendet wor- den sei:

„Wir haben absolut Verständnis für die Nervosität des Herrn Bundesarbeitsministers, (Zurufe von der Mitte: Er ist ja gar nicht nervös!) wenn ihm peinliche Gesetzesvorlagen unterbreitet werden. Er versucht dann, die Dinge mit einer Handbewegung abzutun. So hat

65 Renner, Bundestag, I. WP, 29. Sitzung, 20.01.1950, S. 907.

66 Vgl. ähnlich auch Harig, Bundestag, I.  WP, 80.  Sitzung, 27.07.1950, S.  2976; Renner, Bundestag, I. WP, 195. Sitzung, 21.02.1952, S. 8383f.

67 Vgl. Jens Ulrich Klocksin, Kommunisten im Parlament. Die KPD in Regierungen und Parlamenten der westdeutschen Besatzungszonen und der Bundesrepublik Deutschland (1945-1956), Bonn, 1993, S. 279f.; Dominik Rigoll, „Grenzen des Sagbaren. NS-Belastung und NS-Verfolgungserfahrung bei Bundestagsabgeordneten“, Zeitschrift für Parlamentsfragen, 45 (2014), S. 130f.

68 Storch, Bundestag, I. WP, 172. Sitzung, 07.11.1951, S. 7098.

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er es eben getan, indem er gesagt hat, daß wir außerhalb der Volksgemeinschaft stünden.

Herr Bundesarbeitsminister, ich darf Ihnen sagen, daß dieser Satz in einer verflossenen Zeit zwölf Jahre lang ausgesprochen worden ist. Es spricht nicht für Sie, daß Ihre Nervosi- tät in einem solchen Satz Ausdruck findet“ (69).

Des Weiteren geht aus den stenographischen Berichten hervor, dass KPD-Abgeord- nete die Verwendung von NS-Vokabular, etwa des Begriffs ‚Volksgenosse/n‘, gelegent- lich mit dem Zwischenruf „Heil Hitler!“ (70) kommentierten – augenscheinlich, um auf die von ihnen wahrgenommenen sprachlichen Kontinuitäten hinzuweisen.

Das Gegenstück zur expliziten Begriffskritik durch KPD-Abgeordnete war die offene Verteidigung der historischen NS-‚Volksgemeinschaft‘ durch den Alt- und Neonazi Fritz Rößler. Dieser war in mancherlei Hinsicht eine extreme Ausnahme im 1. Bundestag, schon allein aufgrund seiner Biographie. Der 1912 geborene Röß- ler trat bereits 1930 der NSDAP bei und war bis 1945 in verschiedenen Parteiämtern beschäftigt, unter anderem in der sächsischen Gauhauptstellenleitung und der Reichs- propagandastelle. Nach Kriegsende nahm Rößler in Niedersachsen die Identität eines Studienrats Dr. Franz Richter an und entging so einer Haft oder Internierung. Unter seinem neuen Namen wurde er 1949 für die DKP-DRP in den Bundestag gewählt;

im September 1950 wechselte er zur SRP. Den Begriff ‚Volksgemeinschaft‘ gebrauchte Rößler (z. Zt. fraktionslos) am 13.09.1950 während der ersten Lesung eines Gesetzent- wurfs der Bundesregierung zur Ausführung der Bestimmungen des Art. 131 GG. Mit diesem Artikel schrieb das Grundgesetz eine bundesrechtliche Regelung der Ansprü- che jener Personen vor, die bei Kriegsende im öffentlichen Dienst beschäftigt gewesen waren und bisher keine entsprechende Neubeschäftigung oder Versorgungszahlun- gen erhalten hatten; er zielte damit auch auf die Wiedereinstellung der zahlreichen Beamten und übrigen Beschäftigten des NS-Staates ab, die im Zuge der alliierten Ent- nazifizierungsverfahren entlassen worden waren (71). Rößler kritisierte insbesondere, dass der vorgelegte Gesetzentwurf zur Regelung dieser Frage ehemalige Angehörige von Wehrmacht und Reichsarbeitsdienst (RAD) benachteilige. Demgegenüber hob er die angeblichen „volkswirtschaftlichen Leistungen“ des RAD sowie den „hohen Wert“

der „Erziehung im Arbeitsdienst“ hervor – laut Protokoll immer wieder unterbrochen durch „Unruhe und Zurufe“ und „Widerspruch“, zunächst vonseiten der SPD, später aus dem ganzen Plenum. Weiter verteidigte er den RAD mit der Behauptung, dieser habe keine „nationalsozialistische[n] Aufgaben“ (im Sinne einer Betätigung für die NSDAP) gehabt, sondern vielmehr jene, „Werte zu schaffen, zur Volksgemeinschaft, zur wahren Staatsauffassung, (Widerspruch und Unruhe – Glocke des Präsidenten), zur genügenden Achtung der Handarbeit zu erziehen“ (72). Die Wertschätzung der NS-

‚Volksgemeinschaft‘ als Utopie, an deren Verwirklichung die RAD-Dienstleistenden mitgearbeitet hätten, ist eindeutig. Rößler scheute sich trotz – oder vielleicht wegen

69 Kohl, Bundestag, I. WP, 172. Sitzung, 07.11.1951, S. 7099.

70 Wellhausen, Bundestag, I. WP, 264. Sitzung, 06.05.1953, S. 12908.

71 Vgl. N. Frei, Vergangenheitspolitik (Anm. 2), S. 69f.; M. Will, Ephorale Verfassung (Anm. 2), S. 488.

72 Richter, Bundestag, I.  WP, 84.  Sitzung, 13.09.1950, S.  3147. Bei Fritz Schuler (CDU) findet sich ein ähnlich unkritisches Lob der Pflichterfüllung des Handwerks gegenüber der historischen NS-

‚Volksgemeinschaft‘ während der Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs (vgl. Schuler, Bundestag, I. WP, 199. Sitzung, 19.03.1952, S. 8549).

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