Von reifen Früchten
Otto Erich Hartleben
Von reifen Früchten
Meiner Verse
zweiter TheilA
-%7
Albert Langen
Verlag für Litteratur und Kunst
München
1902Florenz, März 1895
Toscanischer Frühling
Das
Erste sei, dassman
derWelt
sich freue, sich vorden Andern
froh geniessen lerne—
in stiller Nähe, wie in bunter Ferne das Alte frisch geniesse wie das Neue.
Doch
schaff dir auch einHerz
voll stolzer Treue, eins in sich selbstund
seinem tiefsten Kerne!Der
Freie traut durchWolken
seinem Sterne—
das
Brandmal
aller Sklaven ist die Reue.Florenz, Mai 1895
Morgen-Singsang
Wie
sehnt ichdem
Schlafemich
nach!Schon
hielt ich dasGlück
an den Fäden, da pochte dieSonn
an dieLäden
. .wie sehnt ich
dem
Schlafemich
nach!Bang
zitternd erregt sich das Herz.Da
schreit aufden
Strassen das Leben, dichmacht
esvon neuem
erbeben . .bang
zitternd erregt sich das Herz.—
Aus Träumen
nur schwebt es empor,was
je uns fürWonnen
umschliessen, aus uns sich in Lieder ergiessen . . ausTräumen
nur schwebt es empor.Rings leuchtet die lachende Welt!
Dein heimliches
Suchen und
Leidenmuss
jäh vor derSonne
verscheiden . . rings leuchtet die lachende Welt!Bozen, Juli 1895
Der Magdalenenwein
Die heilige
Magdalena
ruhtin ihrer
Höhle
tief versteckt, sie hat mit rotem Büsserblut den wonniglichen Leib befleckt.Aus
ihren Gliedernwich
die Lust des holden Lebens ganzund
gar,kaum
athmetnoch
die junge Brust unterdem
flutenden, reichen Haar.Da
steigtim
Glanz des Sonnenscheins ein Jünglingvon
der Felsenwand,und
eine Schale dunklenWeins
hält er in seiner weichen
Hand.
Und
sprach: Ich bin Dionysos,bin alles Lebens reichster Freund,
vom
frohsten Strahl des Helios siehmeinen
nackten Leib gebräunt.Der Magdalenenwein
Das
dürreHolz
in deinerHand,
draufdu
den kranken Blick gesenkt,ist
meinen Augen Spuk und
Tand, ein hässlich Bild, verzerrt, verrenkt.Ein
Menschenglück
in seinem Laufhemmt Tod und
fremdes Elend nicht—
o
heb
die tiefenAugen
aufzu meines
Lebens Freud und
Licht.Das
rote Blut auf deinerHaut
ist röter nicht, als dieser
Wein -
der
Himmel,
der dir draussen blaut,ist blauer nicht, als deiner nassen
Augen
Schein.Drauf hat er ihr
den Wein
gereicht,den
sie mit langenZügen
trank—
und
als er sich herabgeneigt, sie selig an die Brustihm
sank.Berlin, December 1895
Kinderköpfchen
In scheuer Lust
— doch nimmermehr
verschämt hobstdu
die runden, weissenArme
aufund
dehntest sieempor und
suchtest blinzelnd dein Bildim
Spiegel . . .Ich aber stand entfesselt hinter dir
und
sah in deinen vollen, blanken Schultern die beidenGrübchen
. . .Da
beugt ichmich
auf diesenNacken
niederzum
Kuss . . .Es
ward
mir klar, wiedu den
Göttern stillvertraut
—
gar innigwohl
befreundet bist.Wenn
sie dir nahen, tupfen sie dir leisemit leichtem Finger auf dies schwellende
Rund
-und
also lieblich,Menschensinn
verwirrend, blieb ihres GrussesSpur
indeinem
Fleisch.Berlin, Januar 1896
Fasching
Wie
eine reife, süsseDolde
hing deineGüte
über mir—
im
Rausche griff ich nachdem Golde und
streifte schon an seine Zier.Nun
hat eingraugewobner
Schleier mir deinen Liebreiz jähvermummt —
und
unsrer Seelen bunte Feierist
ohne
Klagelaut verstummt.Berlin, Februar 1896
Der Prophet Jona
Die Flucht vor
dem
Herren Es geschah des HerrenWort
zu Jona:Mach
dich aufund wandre
in die grosse Niniveund
predige darinnenvon dem
heiligenZorne
deines Gottes,denn
es ist vormich heraufgekommen
ihre Bosheit,
und
ich will sie strafen.Aber
Jona traute nichtdem Zorne
seines Herrn
und
hörte nicht auf seine Stimme, sondern floh hinabzum
Meere.Und
da er ein Schiff fand, das bereit war, auf diehohe
See hinaus zu steuern,gab
er Fährgeldund
bestieg es eilends—
vor
dem
Herren auf dasMeer
zu flüchten!Der Prophet Jona
Doch da
sandte Zebaoth dieStürme
übers Meer, dass sich ein Ungewitter hochgewaltig aufhob aus der Tiefe,weisse
Wellen
rings das Schiff umstürzten—
also, dass sie glaubten, es zerbräche.
Furcht
und Graun
ergriff das ganze Schiffsvolk,und
es schrie ein Jeglicher zu seinem Gott. Sie warfen alle Lasten, Güter, das Geräte selber, dasim
Schiff war, über Bord.— Nur
Jonawar
hinunter in das Schiff gestiegen—
lagund
schlief.Doch
ihn weckte jetzt der Herr des Schiffes, trat zuihm und
sprach:Was
schläfstdu?
Stehe aufund
ruf auchdu
jetzt deinen Gott an:ob
vielleicht er unserdenken
möchte, dass wir nicht verdürben.— Aber
Jona wusste keinGebet —
er beugte schweigend seine Stirnund
dachte seiner Sünde.Lasst uns losen! riefen da die Schiffer.
Lasst uns losen, dass wir so erfahren,
wer von
uns es sei,um
dessentwillen solchesÜbel
unser Schiff betroffen,wem
das Unheil gilt, das uns vernichtet.Die Flucht vor dem Herren
Und
es fiel das Losund
fiel auf Jona.Scheu
zur Seite wichen da die Leute,und
sie fragten: Sprich,warum
geschieht unsSolches?
Was
ist deinGewerbe? Woher kommst
du,und von welchem
Volke stammstdu?
Jona richtete sich auf
und
sprach:Ein Ebräer bin ich
und den
Herren Zebaoth,den
Gott derHimmel
furcht ich,der das
Meer gemacht und
alles Trockne.Seines
Wortes
heiliger Dienerwar
ich bis hierher. Er ist es, der uns heimsucht,und
ich bin es, der vorihm
gefrevelt,denn
eswar
anmich
sein Ruf ergangenund
ich bin mit euch zu Schiff gestiegen-
vor
dem
Herren auf dasMeer
zu flüchten!Nehmet mich und
werftmich
in dieWogen, und
dasMeer
wird vor euch stille werden,und
des Sturmes Kehle wird vertrocknen.Doch
die Leute scheuten sichund
trieben heiss inMüh und Angst
das Schiff zu Lande,immer
wieder nachdem Hafen
strebend, stets vergeblich-
unerbittlich tobte wider sie mitUngestüm
das Meer.13
Der Prophet Jona
Da
erhüben sie dieHände
alleauf zu Gott
und
betetenund
schrien:Herr, Herr! Lass uns nicht vergehn
ob
dieses einen Schuld!— Und
sie ergriffen Jona:Herr, Herr!
Rechne
uns nicht zu unschuldig Blut!— Und
warfen ihn hinab ins Meer.Sieh: da stand das
Meer
vor ihnen stille, schliefund
rastetevon
seinemWüten.
Seiner
Wasser
Spiegel lag geglättet,und
vertrocknetwar
des Sturmes Kehle.Berlin, Februar 1896
II
Das
Gebet
Aber
Gott verschaffte einen grossenFisch, der schlang in seines Bauches
Höhle
Jona ein.Und
Jonawar
darinnenwährend
dreierTag und
dreier Nächte, betete zu Gottund
rief zu ihm:Aus
der Tiefe rief ich, Herr, zu dirund du
Grosser hörtestmeine
Stimme.Deine Fluten hatten
mich umgeben,
alle
Wogen,
alleWellen
gingenüber
mich —
dass ich gedachte:nimmer würd
ich deinenTempel
wieder schauen,ewig wäre nun von
deinenAugen
ich Verstössen. Alle deine
Wasser
strömten mir ans Leben,mich
umragte schon die Tiefe, Schilf umflossmein
Haupt.Nieder sank ich zu der Berge
Gründen und
verriegelt hattemich
die Erde.Aber
du,mein
Herrund
Gott,du
führtest wiedermich empor
ausdem
Verderben,denn du
bist barmherzig, gutund
gnädig.15
Das Gebet
Da
die Seele schon bei mir verzagte,dacht ich deiner Herr
und mein Gebet drang
auf zu dir in deinen heiligen Tempel.Jene, die vor
deinem Grimm
verzweifeln, die sich knechten lassenvon dem
Leide—
sie verwirken deine
hohe Gnade!
Und
der Herr sprach zudem
Fischim
Meere.Und
der Fisch spie Jona aus ans Land.Berlin, Februar 1896
III
Ninive
Und zum
zweitenmal geschah des HerrenWort
zu Jona:Mach
dich aufund wandre
in die grosse Ninive
und
predigevon dem
heiligenZorne
deines Gottes,denn
es ist vormich heraufgekommen
ihre Bosheit,
und
ich will sie strafen.Jona hörte
und
gehorchte. Eilends brach er aufzum Lande
der Assyrer.Und
erkam
nach Ninive, der grossen, die drei Tagereisen lang sich ausdehnt.Stumm
ging Jona eine Tagereise, aberdann
erhob er seine Stimme, predigteund
sprach:Noch
vierzigTage
wird die stolze Ninive sich brüsten—
doch
nach vierzigTagen
wird der Herr sie züchtigen zu ihrerSünden
Ernteund
zerreissen ihrerMauern
Kranz.Da
die Leute solche Predigt hörten, zog die Furcht in ihre raschen Herzen,und
sie glaubten Gott. Alsbald erhub sichWehgeschrei und
Klagen durch die Strassen.Hartleben, Von reifen Früchten 2
17
Ninive
Und
dieKunde kam
auch vorden
König.Der
stand aufvon
seinemgoldnen Throne
legte seinen
Purpur
abund
hülltesich in einen Sack. Drauf Hess er ausschrein als Befehl
und
ausGewalt
des Königs:Dass vielleicht sich Gottes
Zorn noch
wende, sollen alle, alleWesen
fasten,Gross
und
Kleinund Mensch
wie Thier. Sie sollen alle sich in härene Säcke hüllenund
sich niederwerfen in die Asche.Darben
sollwas Odem
hauchtund niemand
soll sich selber Speis
und Trank gewähren noch
ein Thier zurTränk und Weide
treiben.Sondern
jeder sollvom
bösenWege
ab sich kehren
und von
seinerHände
Frevel!
—
Dass vielleicht wirGnade
fänden,dass vielleicht sich Gottes
Zorn noch wende! —
Als
nun
Gott dieWerke
ihrerReue
sah, erbarmte sich sein
Herz
des Volkes,und
das Übel, das er durch dieStimme
Jonas, seines Dieners über jene
schon verhängte
—
that er ihnen nicht an.Berlin, Februar 1896
IV Die Kürbisranke
Da
ergrimmte Jona tiefim
Herzenund
er betete zu Gottund
grollte:Sieh, das war's,
was
ich zu mir gesprochen, da ichnoch
inmeinem Lande
wohnte:allzuoft empörte deine
Güte
mein
gerechtes Herz, da ichnoch Kind
war.Darum
hört ich nicht auf deine Stimme, dachte, Herr, vor dir aufsMeer
zu flüchten:denn
ich weiss,du
bist barmherzig, gnädigund von
grosser, allzulanger Güte,und
des Übels, dasdu
schon verhängtest, lassestdu
dich.reim!— So nimm,
o Herrdenn meine
Seelevon
mir!Meine Augen
wollen diesem Volke deine
Gnade
nimmer gönnen —
lieber will ich sterben, als mit seinenSünden
weiter leben!Und
erwandte
sichund
gingvon
dannen.Morgenwärts
der Stadt, aufeinem Hügel
hielt er Rast
und
baute eine Hütte—
setzte sich davor
und
sah hinunter:Was
der Stadtwohl
widerfahren würde.2*
19
Der Prophet Jona
Doch
der Herr verschaffte einen Kürbis, derwuchs
über Jona, dass er Schattengab ob
seinemHaupt und
vor derSonne glühendem
Leidden
Scheitelihm
bewahrte.Jona freute sich der grossen Blätter
und
entschlief erschöpft in ihrem Schutze.Als jedoch die
Morgenröte
anbrach,hiess Gott einen
Wurm, den
Kürbis stechen, also, dass er hinsankund
verdorrte.Und
ein dürrer Ost,vom
Herrn gesendet,riss die welken Blätter bald
von
hinnen.Als die
Sonne
vollendsnun
emporstieg, stach sie Jona auf das Haupt, sodass er matt an Leibund
Seele ward. Er wünschte sichden Tod
herbeiund
riefzum
Herren:Lass
mich
länger nichtim
Unrecht leben!Da
geschah des HerrenWort
zu Jona:Meinst
du —
billig zürnstdu um
den Kürbis,den du
nichtgemacht
hast,noch
gezogen, der in einerNacht erwuchs und
welkte?Sieh, dich
jammert
seiner kurzen Blüte—
weil sie
deinem Haupte
Schutz erwiesen—
und mich
sollte Ninives nicht jammern,Die Kürbisranke
solcher grossen Stadt, darinnen
mehr denn
hunderttausendMenschen,
die nicht wissen,was
sie gutund
bösenennen
sollen?Aber
Jonagab dem
Herrn zur Antwort:Du
bist Gott, der Herr der Ewigkeiten, derdu Leben
gibstund nimmst
das Leben, derdu
bleibst in Willkür deines Schaffens, unberührtim Wandel
aller Zeiten.Aber
ich bin nur einMensch
der Erde, der dahin geht wie dasGrün
der Fluren, der dahin welkt wie die Kürbisranke—
und
ich zürne billig biszum
Tode.21
Berlin, Februar 1S96
Verlorene Nacht
Schlaf!
Du
traurigesKameel
hast auf
deinem Wiegerücken
aus der lieblichstenOase
in die
Wüste mich
getragen . .Hielt ich, siegverwöhnter Pascha,
doch im Arm
das zappelnd lustigeMädchen,
das sich nicht verhüllte, das so süssund
kindisch tollte,meiner lässigen
Hände
lachte,meine müden Augen
küsste . .Und
ich schlief an ihren Brüsten,im
Besitze reichmich
fühlend, wohlig ein—
ehnoch
die Sinne die beseligten gesättigt.—
Verlorene Nacht
Da — was
dringt für rauhesLärmen von
der Strasse? Ich erwache, reib verdrossen mir dieAugen,
seh derSonne
frechen Frühblick—
doch
keinMädchen
mir zur Seite.Draussen hör ich auf
dem
Gange, wie sich fremdeStimmen
kreuzen—
und nun
klopft es. Gottverdamm
mich!Tritt ein Comitecollege,
so ein Kerl
im
schwarzen Gehrock, höflich grinsend anmein
Lager—
mahnt
mich, dass es höchste Zeit sei,einen andren Herrn Collegen, wie versprochen, aufzusuchen . . .
Schlaf!
Du
traurigesKameel
hast auf
deinem Wiegerücken
aus der lieblichstenOase
in die
Wüste mich
getragen!23
Berlin,Juni 1896
Morgentraum
In
den wachen Morgentraum
sprühen tausend Silbersterne—
draussen auf
den
raschen Strassen drängt sich lärmend schon das Volk.Auf den
Plätzen sengt die Sonne, brütet schon derDunst
des Staubesin
den wachen Morgentraum
sprühen tausend Silbersterne.Milder Lichtschein, güt'ge Ruhe, kühl
und
heilig-still die Lüfte:Durch
die dunkelklarenWelten
hallen lange Glockentöne
in
den wachen Morgentraum.
Berlin, Januar 1897
Elegie
Du
meines Blutes Unruh, heimliche Liebste du, diedu
verstohlen nur die dunklen Blicke schenkst, o lass aus deinen schweren Flechten brauneNacht
um meine
Sinne strömen—
lass Vergessenheit sich breiten über niegestillte Lustund
Qual.Ich seh uns
wandeln unterm
kahlen Winterwald,ins Morgenrot, durch streifende Lüfte ging der
Weg.
Wir Frohen
schrittenHand
inHand und
betetenstumm und
glaubten an den Frühling, als derSchnee noch
lag . ..
— du
sollst nichtweinen —
gib mir deine liebeHand! —
Der
Frühling kam, uns beide fand er nicht vereint;in
Sommernächten
duftete süss derLindenbaum —
wir aber durften nicht in Liebe
beisammen
sein.Nun ward
es wieder Winterund
es starrt der Schnee,doch
still ausSchmerzen
spriesst unswohl
ein spätes Glück, das leisewebt und
langsamum
uns beide her.Lass uns umhüllt
von
deinen braunenHaaren
sein,du
meines Blutes Unruh, heimliche Liebste du.25
München, April 1897
Französisches Wiegenlied
In meines Vaters Garten
—
blühe
mein
Herz, blüh auf—
in meines Vaters Garten
stand ein schattiger
Apfelbaum
- SüsserTraum —
stand ein schattiger Apfelbaum.
Drei blonde Königstöchter
—
blühe
mein
Herz, blüh auf—
drei
wundersame Mädchen
schliefen unter
dem Apfelbaum
SüsserTraum —
schliefen unter
dem
Apfelbaum.Französisches Wiegenlied
Die allerjüngste Feine
—
blühe
mein
Herz, blüh auf—
die allerjüngste Feine
blinzelte
und
erwachtekaum —
Süsser
Traum —
blinzelte
und
erwachtekaum.
Die zweite fuhr sich übers
Haar —
blühe
mein
Herz, blüh auf—
die zweite fuhr sich übers Haar, sah
den
rotenMorgensaum —
Süsser
Traum —
sah
den
rotenMorgensaum.
Sie sprach: Hört ihr die
Trommel
nicht blühemein
Herz, blüh auf—
sie sprach: Hört ihr die
Trommel
nicht hell durch dendämmernden Raum —
'Süsser
Traum —
hell durch den
dämmernden Raum?
Mein
Liebster ziehtzum Kampf
hinaus blühemein
Herz, blüh auf—
mein
Liebster ziehtzum Kampf
hinaus, küsst mir als Sieger des KleidesSaum
-Süsser
Traum —
küsst mir als Sieger des Kleides
Saum!
27
München, April 1897
Die dritte sprach
und
sprach so leis—
blühe
mein
Herz, blüh auf—
die dritte sprach
und
sprach so leis:Ich küsse
dem
Liebsten des KleidesSaum
Süsser
Traum —
ich küsse
dem
Liebsten des KleidesSaum.
In meines Vaters Garten
—
blühe
mein
Herz, blüh auf—
in meines Vaters Garten
steht ein sonniger
Apfelbaum —
Süsser
Traum —
steht ein sonniger
Apfelbaum!
Bozen, Ostern 1897
Franzensfeste
Franzensfeste,
du Thor
des Frühlings,draus
dem
fröstelnden, nordischenFremdling Lenzeswogen
derBlüthenbäume
warm und
lachend entgegenströmen, weichund wonnig
entgegenschlagen - sage,warum
diesedräuenden
Mienen,all diese
Mauern und
finsteren Gräben,all diese Wälle, draus ungezählte Riesenkanonen
gen Himmel
starren?—
Wehe! Europa
rüstetden
Frieden!Tief in die wonnigsten Thäler der Berge tragen sie düster das
Werk
der Zerstörung, tragen sie seufzend des Krieges Bild.Franzensfeste,
du Thor
des Frühlings:Einst
—
ich weiss es—
rankenund schwanken
blaue Syringenempor
an den Mauern,goldener
Regen weht von
den Zinnenund
aufden
Wällen wildert die Rose.29
Franzensfeste
Doch
ausden
leeren Kanonenscharten klingts wie derKlang
der gefüllten Gläser, klingt es wie silbernes Mädchenlachen, klingts wieGesang
froh-seligerMenschen!
Lass uns träumen
von
deiner Zukunft, Franzensfeste,du Thor
des Frühlings!Frascati, Mai 1897
Im Lande der Thorheit
Im Lande
derThorheitküsst ich dieHände
derschönenFraun, siewaren
schmeichelndund
weiss, mit blitzenden Ringen geschmückt.Ich lachte
wohl
auchbeim
lieblichklingenden, lockendenWort und
eitel genoss ich des eigenen spielenden Übermuths.Doch immer
wieder irrtemein
Blick ins Leere ab:Ich sah
und
fühlte dieHände
meiner lieben Frau, die weichund
still in ruhenderGüte
sich nach mir hersehnen aus der Ferne-
deine Hände, die allein die Wirrnisdumpfen Wollens
je gebannt-
und
ich gedachte jener Stunde, da mir einstim Tode
dieseHände stummen
Trost verleihn.31
Rom, Mai 1897
Die Fackel
So
tauchte die Fackelempor
aus tiefer, tiefer Nacht,und meine
Hand, die Linke, hieltden
Fackelschaft.Sie trug
und
hielt das Feuerhoch und
Hessden Sturm
getrost zerfetzen diese
Flamme,
diedoch nimmer
starb.Im
Thale lagerte die kalte Finsternis.Viel scheue
Augen
wachten daund
sahen her zu mir, weil ich die Leuchte in der Linken trug.Doch
selber sah ich nur dieMücken
indem
roten Glanz, die Eintagsfliegen, die sich flatternd inden
Schein gedrängt—
und
ahnte nicht, wiemeine
Fackel druntenwohl
weithin vergöttertwurde
wie ein Sternenlicht.Berlin, August 1897
Der Abenteurer
Hier ist das Land.
So
rudertdenn den Kahn
zurückund
meldet den Gefährten: Ich betratmein
Reich, als Fürsten sehen siemich
wieder, oder nie.—
Was
steht ihrnoch und
zaudert? Lasstmich nun
allein, allein mitmeinem
guten Schwertund meinem
Ross—
nun werb
ich in derFremde
mir die eigne Schaar.—
Lebt wohl!
— Dem
wandelbarenMeere
kehr ich heut denRücken
zu— mein Auge
sucht dieBurgen
auf,in deren
Mauern
sich der Feige sicher fühlt.Mein Auge
suchtam
Horizonte seinen Feind.—
Der
Huftritt meines Rosses klingt anmorsch
Gebein, an Menschenschädel— mich
zu schrecken sind siewohl vom
Schicksal auf des Reiches Schwelle ausgestreut?Zerstampfe sie
mein
Schwarzer, stampfe über siehinweg:
Sie
waren
nicht, der ich bin— darum
fielen sie.Hartleben, Von reifen Früchten 33
Berlin, August 1897
Von
reifenFrüchten
Von
reifen Früchten träumt ich eine volle Nacht,von
goldigenim
dunkel üppigen Gebüsch.Am
Bergewar
es, unter altemMauerwerk
. .und
Duftund Sonne
glühten da in Heimlichkeit.Von
gelbenMarmorschwellen
rieseltemüd
ein Quellund
eineNymphe
lauschtedem
leisen Tropfenfallund
fing die kühlen Perlen mit der offnenHand
. .Von
reifen Früchten träumt ich eine volle Nacht.Berlin, November 1897
Auf Reisen
Die
Sonne
lagnoch
aufden
Strassen, eswar am
hohen, reifenTag
-ein
stummer
Jubelohne Massen
erhöhte meines Herzens Schlag.Es klang in mir ein Spiel der Sinne aus Kinderlust
und
Manneskraft,und
stolzund wonnig ward
ich inne des Glücks der freien Wanderschaft.Kein banger Führer, der
mich
leiten, kein Freund, dermich
begleiten darf -mein
sind dieHöhen, mein
die Weiten, rauhweht
die Luft, so frischund
scharf.Und dennoch
süss mit sanftenMächten
dringtSonnenwärme
tief ins Herz,und
wie einTraum
aus fernen Nächten verschwindet jeder alte Schmerz.35
Berlin, Februar 1898
Liebesfeier
Siehst
du
die Perlen springenim
krystallnen Glase, silbernund
weiss?— O
küsse mich,du
Geliebte!Heut
sind die unsichtbaren Festguirlandentiefer gehängt in stolzen
und
reichenBogen — — Warum gedenk
ich heute der stillen Frühlingsstunde, da ich zuerst gebebt andeinem Mädchenmunde,
zuerst an
meine
Brust die jungen Brüste gedrückt,die ersten, frühen Liebesfrüchte zitternd mir gepflückt? . . .
Still!
—
Hörstdu
die Perlen klingenim
krystallnen Glase, silbernund
leis?— O
küsse mich,du
Geliebte!Rom, Juni 1898
Fontana Trevi
Im
Frühschein brennt das ewige Licht vor Gottes Mutter düster rotund
heller töntund
voller rauscht der alte, stolze Quell.Schwarzgraue
Wolken türmen hoch
sich
überm
lichten Quirinal—
im
Frühschein brennt das ewige Licht vor Gottes Mutter rot.Von meinem
Lager floh der Schlaf, umflorteSorgen
scheuchtenmich
ans Fenster . . . Leicht durch Morgenluftwiegt pfeifend sich der
Schwalben
Flug.Im
Frühschein brennt das ewige Licht.37
Zürich, Juli li
In
stillerSommerluft
Das
grüneGold
der Blätter, das dieSonne
malt—
ich seh es noch, wie's dir
vom
weissen Kleide blitztund
fühle deineHände noch
aufmeinem Haar
. . . Die wildenBlumen
dufteten rings so starkund
süss.Was
sprachstdu doch? —
Ich höre deineStimme
nicht vergebens sinn ich ihrem fernen Klange nach.Ich bin allein
—
inmeine
offnenHände
fälltdas
grüne Gold
der Blätter, das dieSonne
malt.Berlin, November 1898
Gesang des Lebens
aus
dem
DiogenesGross ist das
Leben und
reich!Ewige
Götter schenkten es uns, lächelnderGüte
voll,uns den Sterblichen, Freudegeschaffenen.
Aber arm
ist desMenschen
Herz!Schnell verzagt, vergisst es der reifenden Früchte.
Immer
wieder mit leerenHänden
sitzt der Bettler an staubiger Strasse, drauf das
Glück
mitden
tönendenRädern
leuchtend vorbeifuhr.39
Berlin, November 1SQ8
Epistel
Des Meeres Gang
ist höher heutund
lauter auch!Wohl dem,
der hinterWällen
seinesLebens
Arbeit fandund
sicher steht, gefestet auf ererbtem Grund.Durch
reichen Boden,den
dasMeer vordem
genährt, auf seinemBoden
schreitet erund
lenktden
Pflug in graderBahn und wendet
ihn getrostam
Ziel.Dann
rastet er— und
lässt die Blicke schweifen rings,und
siehtum
sich inRuhe wachsen
seinerHände Werk.
Nur manchmal
horcht erwohl
hinüber nachdem
weitenMeer, wann's einmalungestümer
donnert anden
festenDamm, und
denkt des Freundes—
der auf wilder Fluten Spiel seinLos
erkorund
seines Willens Güter fand . . .Des Meeres Gang
ist höher heut,doch
stolzer auch!Berlin, Mai 1899
Erfülltes
Schweigen
Kämmst du
dir in Duftund Dunkel
deine krausen, reichen Haare,ist's, als
ob
ein blau Oefunkel knisternd dirvom Haupte
fahre.-
Und
ich spürte scheueWonne:
Wie
uns Kräfte grossumwanden,
die an Tages trüber
Sonne
Welt und
Leute nie verstanden-
wie der
Wunderkreis
derMächte
unsgeworben
zurErwärmung und im
Ahnungsfest der Nächtestill vollendet zur
Umarmung.
41
Rom, Juni 1899
Campagna
Ja! Die
Ebne
ruht in satten Düften, hingeschmiegt in sanfter Hügellinie—
drüben,
hoch
innoch
durchsonnten Lüften,still
und
einsam-schattend steht die Pinie.Alte
Gräber
dunkeln,morsche
Steine—
fern
und
unsichtbar berührt dichRom
-doch empor
ausgoldnem Abendscheine
steigt die
Kuppel von
Sanct PetersDom. -
Und du
ahnest, wie sich Flügel heben, gleichden
abendfarbnen Wolkenstreifen,denn
die Seele will zurHöhe schweben
und
der Wille durch die Fernen schweifen.Wage
nur zu lieben,was
genossen, zu behaupten,was
dich je entzündet—
alle
Wonnen
sind in dir beschlossen, jede Grösse ist in dir begründet.Berlin, September 1S99
Morgen
Auf
seinemArme
schliefihm
das Weib,doch
seine Liebe erweckte dieSonne —
da sie die
Augen
aufschlug, lachte ein Strahlüber die beiden her.
43
Berlin, Januar 1900
Rosenmontag
Am Rosenmontag
liegen zwei, die kaltenHände noch
verschlungen dasLeben
strömte rauh vorbei, die beiden haben's nichtbezwungen.
Als
überwunden
grüssen sieden
Sieger,dem
dasGlück
begegnetim Tod
verbunden, segnen sieall jene, die das
Leben
segnet.Rom, San Giovanni 1900
San Giovanni
Die letzte Sichel des verfallnen
Mondes am Himmel Roms
in der Johannisnacht hab ich erlebtund
früher nicht geruht, bis ich fürmich den
Sinn erdeuten konnte.Ich habe neue
Menschen
liebgewonnen—
und
silbernzum Gedenken
stehtnun da
die letzte Sichel des verfallnen
Mondes am Himmel Roms
in der Johannisnacht.Mein Leben denk
ich auch.—
Es ruht der Blick auf denGesimsen
schweigender Paläste.Da
färbt sich dieColonna
morgenrot,die
Schwalben werden wach — und
schon verblasst die letzte Sichel des verfallnenMondes.
45
Berlin, August 1900
Der Dichter
Ist's nicht
im Grunde
wesenloser Tand,was
ich inReimen
aneinander füge?Ist's nicht
im Grunde
eine bunte Lüge,was
ich inmüssig
heitrem Spiel erfand?Scheint dir
mein Reimgebäude
imposant?Merkst
du denn
nicht, wie keck ich dich betrüge, dieweil ichmich
mitjedem Reim
begnüge, den mir der Zufall grade legt zurHand? —
Mit Gott
und
Weltall spiel ichkühne
Spiele!Der
Dichter wird Jongleur—
er wirftim Nu
der allerzartsten
Gegenstände
vielehoch
durch die Luft—
es glücktihm Coup
aufCoup, denn
Alles kehrt zurück zuihm — dem
Ziele . . .Gott ist die
Welt
--und
Gottund
ich sind du!Kaltenleutgeben, November 1900
Ein Abschied
,Du willst
nun
gehn?'-
Weisstdu denn
nicht, dass ich schon langvon
dirgegangen
bin? Dass nur ein Schatten noch,ein Schein vor deinen
Augen
steht,den du
nur siehst?Fest glaubt ich
mich gewappnet
mitdem Panzerhemd
heiter klirrenden Hasses wider eine Welt, nur
wenige
Eisenmaschen standen offennoch von
ungefähr-
die fandestdu und
trafstmich
gut!Wie
einsamwar
ich schon- und
war'snoch
nicht genug!Jetzt
kann
icherst leicht mitvielen spöttischund
freundlichsein, in Stunden,wo
der Ekel überlistet ist-
jetzt tanzen die Götter mir auf der flachen
Hand!
Und
dasdank
ich dirund meinem
geflicktenEisenwamms.
Du
aber wusstest nicht,was du
gethan- du
stehstund
fragst: ,Du willstnun
gehn?'- Und
bindoch
schonso weit!
— O
sichre dir in der Brust dein unfühlend Herz—
:
Wertvolleres Erbteil spendet uns die Erde nicht.
47
Rom, Juli 1901
Annemarie
Deines Gartens armer Spatz zählet dir
zum Ruhme
jede
ihm
zur Winterszeit hingestreuteKrume.
Und
dieBlumen
unter sich sind desGlaubens
mächtig, dass so Vieh- alsMenschenvolk
völlig niederträchtig.
Nur von
dir erwarten sie jede seltne Güte, weildu
deine Rose nichtbrächest, als sie blühte.
Salö, Januar 1902
Cunettone
Vor dem
Kamin, indem
dieFlamme
flackerte,verstummten sie
und
dachten ihres Lebens nach.Alsdann versank so Vieles,
was
sie sonst besass,und
reinim
reinen Augenblicke lebten sie.Der
dunkle Wein, der drunten in derAsche
stand, erglühte daund gab
ein heimlich tiefes Rot.Die
Sonne
sank—
der Schnee der Berge leuchtete—
der
Winterhimmel
draussen schien geformt aus Stahl.Da
sahen sie sich staunend anund doch
vertraut—
und
fragten nichts— und
griffen herrischHand
inHand.
Wie
die Gebcärden derGewalt und Güte doch
so ganz verschwistert
wohnen
in derselbenHand!
Auf
beider Stirnen lag ein seltner Widerscheinvon dem
Kamin, indem
dieFlamme
flackerte.Hartleben, Von reifen Früchten 4Q
Druckvon Hesse & Becker in Leipzig.
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