Weiterbildungsmodul für Notfallpflegende 16.11.2021
Pädiatrische Hämatologie / Onkologie
Anämie & akute hämatologische Notfälle
Inhalte
• Hämatologie allgemein
• Anämie
• Blutung
• Literatur
Anämie & akute hämatologische Notfälle
Was bedeutet überhaupt Hämatologie?
Was ist unter hämatologischen Notfällen zu verstehen?
Welche Symptome können hämatologische Notfälle haben?
Welche Erkrankungen können zu hämatologischen
Notfällen führen?
Was bedeutet Hämatologie überhaupt?
Definition Hämatologie:
von altgriechisch αἷμα haima „Blut“, und λόγος logos „Lehre“
= Lehre von Physiologie, Pathophysiologie und Krankheiten des Blutes sowie der
Blutbildenden Organe
Hämatologische Gruppen von Erkrankungen
• Bildungsstörungen des Knochenmarkes
• Blutveränderung durch immunologische Prozesse
• Störung der Blutstillung (hämorrhagische Diathesen)
• Übergerinnbarkeit des Blutes (Thrombophilie)
• Bösartige Erkrankungen des Blutes
Welches sind blutbildende Organe?
• Organe in denen Blutbildung (Hämatopoese) statt findet
• Das wichtigste Blutbildende Organ:
Knochenmark
(hämatopoetische Stammzellen)
• In der Fetalzeit oder bei einem Ausfall des Knochenmarkes:
Leber
undMilz
(=extramedulläre Hämatopoese)Was ist unter hämatologischen Notfällen zu verstehen?
Hämatologische Notfälle
können sich demnachsehr unterschiedlich
präsentieren, da sie verschiedene Gruppenvon Erkrankungen umfassen
Welche hämatologischen Notfälle sind auf dem Kindernotfall anzutreffen?
• Schwere (lebensbedrohliche) Anämien:
durch akute Ursachen ausgelöst (akuter Blutverlust oder akuteHämolyse)
• Blutungen:
Thrombozyten/Gerinnungssystem• Thrombosen:
Gerinnungssystem (sehr selten bei Kindern)• Hyperviskositätssyndrome:
erhöhte Blutviskosität• Lebensbedrohliche Infektionen/Sepsis
bei NeutropenieWas ist eine Anämie?
Definition
von altgriechisch
αν-αἷμα -
übersetzt „ohne Blut“, alsoBlutarmut
= Hämoglobinkonzentration (bzw. Hämatokrit) unterhalb des
altersentsprechenden Normbereiches
Anämie bei Kindern
Hämoglobinkonzentration unterhalb des altersentsprechenden Normbereiches
Kinderreferenzwerte beachten
Altersentsprechende Normwerte
Alter Hämoglobin (g/dl) MCH (pg) MCV (fl) Retikulozyten (‰)
1.LT 16,8-25,0 33,0-38,0 99-113 15-65
7. LT 12,0-14,8 33,0-38,0 96-110 5-15
1 Monat 10,3-17,9 31,5-35,5 94-106 3-13
3 Monate 9,6-12,6 28,0-32,0 82-104 10-35
6 Monate 10,1-12,9 23,5-28,5 70-84 3-13
12 Monate 10,7-13,1 19,8-27,2 65-81 3-13
2-6 Jahre 10,8-14,3 23,0-29,0 68-84 1-13
7-12 Jahre 11,3-14,9 24,0-30,0 71-87 1-13
13-17 Jahre ♀ 12,0-16,0 26,0-32,0 71-87 1-15
♂ 14,0-18,0 25,0-31,0 70-86 1-13 Erwachsene ♀ 12,0-16,0 28,0-34,0 78-94 7-15
♂ 14,0-18,0 28,0-34,0 78-94 7-15.
Altersentsprechende Normwerte
3 grobe Anhaltspunkte:
Alter Hämoglobin (g/dl)
1.LT 16,8-25,0 Neugeborene haben noch andere
7. LT 12,0-14,8 Hämoglobinzusammensetzung für
Sauerstoffbedarf vor der Geburt
1 Monat 10,3-17,9
3 Monate 9,6-12,6 = Trimenonreduktion, Umstellung
6 Monate 10,1-12,9 ...
7-12 Jahre 11,3-14,9
13-17 Jahre ♀ 12,0-16,0 = wie Erwachsene
♂ 14,0-18,0 vorher bei Erwachsenenlabor Erwachsene ♀ 12,0-16,0 alle falsch anäm gemessen!!!
♂ 14,0-18,0
Welche Anämie ist ein Notfall?
Anhaltspunkte im Erstkontakt!
• Ausmass der Anämie
• Dynamik der Erkrankung
• klinischen Symptomatik
Anämie beim Erstkontakt
• Beobachtung:
• Schlapp und müde?
sitzt sofort ab, «aus der Puste» nach Treppensteigen, beim Rennen
• Hautkolorit?
blass
Lippen / Mundschleimhaut?
dunkelhäutig?
ikterisch? (Skleren?)
Blutungszeichen wie Petechien?
Anämie beim Erstkontakt
Beobachtung:
• Mundwinkelrhagaden?
• andere entzündliche / ekzematöse Veränderungen der Haut?
• Haare? (matt und dünn?)
• Wie präsentieren sich die Begleitpersonen?
Gemeinsamkeiten?
• Kleinwuchs, Skelettanomalien / -deformitäten (durch extramedulläre Blutbildung), Mikrozephalie?
Anämie
Beobachtung:
Skelettanomalien / -deformitäten
(durch extramedulläre Blutbildung)
sehr ausgeprägt
Nicht aussagekräftig, aber regelmässig angeführt sind Augenringe und allgemeine Hautblässe. Lippen / nktiven anschauen! Konjunktiven anschauen!
Anämie - Monitoring
neben Beobachtung
- Vitalparameter wichtig:
Temperatur -> infektiöses Geschehen
Puls, Blutdruck, Atemfrequenz -> kreislaufrelevant?
ggf. Triageanpassung!
(z.B. bei V.a. akute rasch progrediente hämolytische Anämie, HUS, Milzsequestration)
- für weitere Abklärung auch Perzentilen für
Länge, Gewicht, Kopfumfang
Anämie - Anamnese
Anamnese ausführlicher:
Vorstellungsgrund? Symptome? Seit wann?
Müdigkeit, Schwäche, Konzentrationsstörungen, rasche Belastungsdyspnoe/-tachykardie?
Bauchschmerzen? (Hinweis für Milzvergrösserung) Ikterus? (Hämolyse?) Diarrhoe? Fieber?
Gehstörungen / Knochenschmerzen?
Blutverluste (Nasenbluten, schlechte heilende Wunden, ggfs. Menstruation)?
Ernährung? (rotes Fleisch, andere eisenreiche
Nahrungsmittel, Milchkonsum?)
Anämie – ausführliche Anamnese
Anamnese ausführlicher:
Vorgeschichte?
(insbesondere Ikterus, Transfusionsbedarf,
Schmerzkrisen, chron. Erkrankungen, akute oder
rezidivierende Infekte, Malabsorption / Gedeihstörung, Medikamente?)
Familienanamnese
(insbesondere bezüglich Bluterkrankungen, ähnlichen Symptomen, Operationen wie Milzentfernung oder
Cholezystektomie, Herkunft,
Ernährungsgewohnheiten)
Wechsel zu Präsentation Sichelzellerkrankung
Häufigste Ursachen für Blutungen im Kindernotfall
• Immunthrombozytopenie
• Hämophilie
Immunthrombozytopenie (ITP)
• Autoimmunerkrankung
• Isolierte Thrombozytopenie (meist Tc < 20 G/l)
• Häufigkeitsgipfel: Vorschulalter
• Ursache: meist nach Virusinfekt
• Verläuft meist akut und selbstlimitierend
• 0,5% der Kinder erleiden eine Hirnblutung
• Risikofaktoren:
• "feuchte Purpura/Blutungszeichen" = Schleimhautblutungen
• Tc < 10-20 G/l
• Kopftrauma
• Medikamente, die Thrombocyten hemmen (z.B. NSAR)
Typische Anamnese und
Untersuchungsbefunde bei ITP
• bisher gesundes Kind
• vor 2-3 Wochen viraler Infekt
• nun neu aufgetretene Blutungszeichen
Typische Untersuchungsbefunde bei ITP
• guter AZ!
• Petechien und/oder Hämatome
• ev. Schleimhautblutungen: Epistaxis, Gingivablutungen.
Selten Hämaturie oder Darmblutung.
Bei typischer Anamnese und Status reicht ein Blutbild mit Differenzierung und Retikulozyten
Red Flags
Abgrenzung zu einer Leukämie:
• Nicht nur isolierte Thrombozytopenie, sondern auch Anämie und/oder Leukopenie
• Reduzierter AZ
• Gliederschmerzen
• Leistungsknick
• Gewichtsabnahme
• Lymphadenopathie, Hepato-/Splenomegalie
• Rezidivierenden Infekte, Sepsis
Therapie der ITP
• Immunglobuline (Privigen), ggf. Steroide bei feuchter Purpura, ansonsten richtet sich die Verabreichung von Privigen nach Klinik und nicht nach Tc-Wert
• Keine Verbesserung der langfristigen Prognose durch Behandlung mit Privigen
• KEINE NSAR (Ibuprofen, Algifor, Voltaren etc.)
Hämophilie
Definition
von altgriechisch αἷμα und filía - übersetzt „Blut“ und
„Neigung“, also
Blutungsneigung
= „Bluterkrankheit“ = Erkrankung, bei der die Blutgerinnung gestört ist
„klassisch“ Erbkrankheit mit verminderter Aktivität
von Gerinnungs-Faktor VIII (Hämophilie A) oder
Gerinnungs-Faktor IX (Hämophilie B)
Hämophilie
Definition
im Labor aPTT verlängert, Quick normal
bei schwerer Hämophilie Restaktivität < 1%
mit hoher Blutungsfrequenz
(unbehandelt > 30 Blutungsepisoden pro Jahr)
Hämophilie
Definition
atypisch lokalisierte, manchmal scheinbar spontan
auftretende und ungewöhnlich ausgedehnte Blutungen in Weichteile, Haut und Muskulatur sowie
Gelenkblutungen (65%),
besonders in instabile Knie-, Ellbogen-, Sprunggelenke Schleimhautblutungen und Einblutungen in
Organe vergleichsweise selten
Hämophilie
Definition
Unbehandelt drohen Verblutung, z.B. nach Zahn- extraktion, und Invalidisierung durch deformierte Gelenke.
- seit ca. 40 Jahren behandelbar durch Substitution des jeweiligen Gerinnungsfaktors,
davor Lebenserwartung < 20 Jahre
(z.T. neue Probleme mit Hepatitis C, HIV,...)
Hämophilie
bei schwerer Hämophilie meist Dauertherapie = Prophylaxe mit regelmässigen i.v.-Faktor-Gaben
bei mittelschwerer und milder Hämophilie oft
Cyklokapron, blutstillende Watte, Minirin ausreichend
Bei (V.a.) Blutung Substitution so früh wie
möglich - keine Zeit für Emla! -, in ausreichender Dosierung, über ausreichend langen Zeitraum!
Notfall-Hämophilie-Substitutionsplan!!!
Hämophilie
Sofortige Substitution bei klinischer Auffälligkeit / Hinweisen auf Blutung ist wichtiger als jede
diagnostische Massnahme und muss unbedingt vor detaillierter Abklärung durchgeführt werden!
Beispiel: V.a. Schädelhirntrauma
Patienten bringen „ihren“ Faktor in der Regel mit (bei vorherigem Anruf bitte daran erinnern)
ggf. aus Apotheke Faktor VIII (z.Z. Kovaltry) oder vom Erwachsenen-Notfall Faktor IX (z.Z. Immunine – nicht lange haltbar, deswegen nur dort hinterlegt)
Hämophilie
Jedes unklare Krankheitsbild beim hämophilen
Patienten muss als Blutung betrachtet werden und mit Substitution behandelt werden, bis zum Beweis des Gegenteils!
Bei entzündlichen, febrilen Erkrankungen
(Pneumonie, Angina, Appendizitis, Meningitis,
Gastroenteritis,...) ist der hämophile Patient sehr stark blutungsgefährdet
prophylaktische Substitution!