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granat apfel 5|2014

Gast in Georgien

ie uralte, landschaftlich reizvolle Kul- turregion im Kaukasus am Ostrand des Schwarzen Meers zieht immer mehr westliche Reisende an – sie sind nicht die ersten, die kommen: Das Kolchis der Argonauten-Sage um den Griechenhelden Jason, der zusammen mit dem geraubten „Golde-

nen Vlies“, einem Widderfell, auch die Prinzessin und Magi- erin Medea heimführt, liegt im Westen Georgiens. Spektaku- läre goldene Grabbeigaben im Nationalmuseum der Haupt- stadt Tiflis verweisen auf einen historischen Kern dieser Sage.

Das christlich-orthodox ge-

prägte Land mit derzeit etwa 4,5 Millionen EinwohnerInnen lockt mit Natur und Kultur.

Viele Burgen, Höhlenklöster und Kirchen zäh- len zum UNESCO-Weltkulturerbe. Mit Bahn, Bus oder 16-sitzigem Marshrutka, einem

Kleinbus-Sammeltaxi, lassen sich die meisten Sehenswürdigkeiten gut erreichen.

Neben der Gottesmutter Maria sind die Landespatrone, der heilige Georg und die hei- lige Nino, allgegenwärtig. Mit ihnen wettei- fert der alte Katholikos-Patriarch Ilia II., das

derzeitige Oberhaupt der poli- tisch einflussreichen orthodo- xen Landeskirche.

Ethnische Konflikte

Seit der Unabhängigkeit 1991 durchlebte die ehemalige So- wjetrepublik Georgien stür- mische Zeiten. Nach blutigen ethnischen Konflikten gingen 2008 im Krieg mit Russland die „abtrünni- gen“ Provinzen Abchasien und Südossetien verloren. Die Spannungen mit dem mächtigen Nachbarn und Schutzmacht der nun sich „un- abhängig“ nennenden Regionen dauern an.

Seit ihrer Unabhängigkeit 1991 durchlebte die ehemalige Sowjetrepublik Georgien stürmische Zeiten, bis heute sucht das Land seinen Platz zwischen Europa und Russland. Kultur und Natur locken indes immer mehr TouristInnen an.

TEXT: EVA MARIA TEJA MAYER

D

Derzeit scheint der Reichtum noch

Politikern und erfindungsreichen

Geschäftsleuten

vorbehalten.

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Fotos: Eva Maria Teja Mayer

Reise

Nach dem Assoziierungsabkommen mit der EU vergangenen November wünschen sich viele den Beitritt Georgiens zu EU und NATO;

andere wie der junge Maler Mikheil in Tiflis sind von der Haltung Europas enttäuscht: „Als uns Russland überfallen hat, hat uns die EU im Stich gelassen! Besser, wir halten uns an Putin, der würde ordentlich in unsere Wirt- schaft investieren – wir wären in Kürze ein reiches Land.“

Die staatliche Mindestpension beträgt ge- rade einmal 125 Lari monatlich (1 Lari = ca.

0,42 Euro). Eine vier- bis sechsköpfige Fami- lie braucht aber zum Überleben mindestens 1.000 Lari. Das Heer der Bettler und Rentne- rinnen, die durch Straßenverkauf von Nasche- reien, Tabakwaren, gestrickten und gefilzten Accessoires dazuverdienen, träumt in Tiflis genauso von besseren Zeiten wie die 250.000 Vertriebenen des ethnischen Konflikts. Derzeit scheint der Reichtum noch Politikern und er- findungsreichen Geschäftsleuten vorbehalten:

Das Einstiegsgehalt einer Lehrkraft mit Uni- diplom liegt bei 200 Lari. Hohe Arbeitslosig- keit, Landflucht, Inflation und innenpolitische Querelen führen bei manchen zu einer Stalin- Nostalgie – der mit harter Hand regierende ehemalige Sowjetführer stammte aus der ge- orgischen Kleinstadt Gori.

„Ja, der ‚Homo sowjeticus‘ spukt noch in den Köpfen vieler Menschen“, seufzt Dr. Ma- riam Didebulidze, die engagierte Direktorin des staatlich finanzierten „George Chubinas-

hvili National Research Center for Georgian Art History and Heritage Preservation“. Lieber er- zählt sie von den Er- folgen ihrer ca. 80 Mit- arbeiterInnen bei der Erhaltung des historischen Bauerbes. Dabei zeigt sie auch Realitätssinn: „Oft muss man bei heutiger Nutzung alter Bauwerke einen Kompromiss eingehen – natürlich wünschen sich zum Beispiel Mönche in ihrem Kloster Dusche und Heizung!“ Sie verweist auf das erste mit EU-Geldern dotierte Projekt, das Mit- telalterstädtchen Sighnaghi in der Weinregion Khakheti: „Früher gab es dort keine Kanalisa- tion, Wasser und elektrischen Strom nur eine Stunde am Tag!“

Der Tourismus ist eine der wichtigsten Ein- nahmequellen. Großzügig investiert wurde auch in die Region Svanti im Westkaukasus, die attraktiv für Bergsteiger und Kunstlieb- haber ist. „Die Leute dort sind Fremden ge- genüber etwas eigen“, warnt mich die junge Kunsthistorikerin Lela in Tiflis. „Ohne Einhei- mische kommst du in die versperrten priva-

Hohe Arbeitslosigkeit, Landflucht, Inflation und innenpolitische Querelen führen bei manchen zu einer Stalin-Nostalgie.

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Links: Der 5.047 Meter hohe Mount Kazbegh, der achthöchste Berg des Kaukasus, davor die Dreifaltigkeitskirche aus dem 14. Jahrhundert Unten: Viele Rentnerinnen müssen sich durch den Verkauf an kleinen Marktständen etwas dazuverdienen.

Georgien ist christlich- orthodox geprägt.

Hier betet eine Frau im Alaverdi- Kloster im Osten des Landes.

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Fotos: Eva Maria Teja Mayer

KULTUR & GESELLSCHAFT Reise

ten Kirchen kaum hinein.“

Mit „einheimisch“ meint sie Angehörige der wehrhaften Svanen, die einen eigenstän-

digen Kaukasus-Dialekt sprechen. Glaubt man Gerüchten, sind die Blutfehden rivalisierender Familien noch gar nicht so lang vorbei.

Wehrtürme und Kirchen

Nach tagelangen Regenfällen blockiert ein Erdrutsch die durch enge Täler führende Ser- pentinenstraße, verschont aber Gott sei Dank unseren Marshrutka. Der frühe Schneefall Ende September verwandelt die steilen Gassen von Mestia in Morastfelder. Dort treffe ich auf den Touristiker Giorgi, der einer der alteinge- sessenen Großfamilien entstammt, die ihre Abstammung meist noch ins Mittelalter zu- rückführen und Eigentümer der zahlreichen kleinen Kirchen und mehrstöckigen Wehrtür-

me („Koshkebi“) sind, Wahr- zeichen Svantis wie Geor- giens. Giorgi verhandelt für mich am Telefon und organi- siert meinen Besuch in sonst unzugängliche kapellenartige Kirchen mit wunderschönen Fresken. Mit ihm fahre ich auch von Mestia nach Ushguli – die vier Dörfer auf ca. 2.100 Metern Seehöhe gehören zu den am höchsten gelegenen ständig bewohnten Siedlungen.

Giorgi zeigt mir die Familienkirche seiner Mutter. „Hier haben wir das ‚Shesaziri‘ dar- gebracht, als meine Mutter einen Autounfall überlebt hat“, erzählt er. Für das „Dankop- fer“ schlachtet man ein geschmücktes Schaf oder eine Ziege (für Männer einen Widder oder Bock) und kocht das Fleisch in einem großen Kessel, die Leber wird gebraten. Nach gemeinsamem Gebet schmausen die Familien- mitglieder, dazu wird Schnaps ausgeschenkt.

„Dieser Brauch geht auf vorchristliche Rituale zurück“, weiß Giorgi. „Die Kirche sieht das nicht gern.“ Auch dass die alte Jagdgöttin Dali nun (gemeinsam mit dem heiligen Georg) als

„Jagdengel“ angerufen wird, missfällt man- chen Geistlichen.

In einem „Machubi“, dem traditionellen svanischen Haus, in dem Menschen und Tie- re gemeinsam um eine zentrale Feuerstelle lebten, hat Aludas Familie ein privates Mu- seum eingerichtet: „Diese Tür hier hat mein Vater geschnitzt.“ Der junge Mann holt seine Tante Tschano Padsia. Im Museum führt sie mir zwei traditionelle dreisaitige Streichins- trumente vor und singt dazu ein altes Volks- lied. „Bei Festen tanzt man dazu“, übersetzt Aluda. Seine Familie pflügt die Felder noch mit einem Ochsengespann, ein riesiger kau- kasischer Schäferhund bewacht Gehöft und Vieh. Bei regnerischem Wetter und schlammi- gen Wegen zieht man Motorfahrzeugen gern Pferde als Reittiere vor.

Der Tourismus floriert, auch viele Svanen bauen ihr Wohnhaus als Hostel für Gäste um.

Doch wandern von den Dörfern Ushgulis im- mer mehr junge Leute ab. „Was soll ich hier?“, fragt Tako, die die Maturaklasse der örtlichen Schule besucht. „In meinem Dorf leben nur noch sechs Familien!“ Sie möchte in Tiflis Pharmazie studieren und sich dort einen Job suchen. Um vielleicht später zurückzukeh- ren? Sie lächelt scheu: „Lieber nicht …“

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Der Tourismus floriert, doch wandern von den Dörfern immer mehr

junge Leute ab.

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Oben: Die mehr- stöckigen Wehrtürme sind Wahrzeichen der Region Svanti, sie stehen auch in der Hauptstadt Mestia.

Rechts: Die Menschen in Svanti pflegen ihre eigene Kultur, hier ein traditionelles Saiteninstrument.

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