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islamischen Amulettwesens

Von Dorothee Pielow, Göttingen

Zum Thema Zär ist schon viel geforscht und publiziert wor¬

den, doch bleiben immer noch eine Reihe von Fragen zu dieser

Zeremonie offen.' Ein Vergleich mit anderen, ebenfalls in den is¬

lamischen Ländern verbreiteten^ Beschwörungen zur Vertreibung

oder Kontaktaufnahme von Dämonen, eine Gegenüberstellung

der Zär-Geister mit weiteren im Islam bekannten Geistern oder

aber ein Vergleich mit den speziellen Geister und Dämonen ab¬

wehrenden Amulettformen blieb bislang z. B. wenig beachtet.^

Mit einigen wenigen Worten soll zunächst einmal dargestellt

werden, worum es sich bei dieser Veranstaltung - die zugleich

häufig mit dem fraglichen Begriff „Kult'"* verbunden wird - han-

' wie z.B. die noch immer nicht befriedigende etymologische Bedeutung des Begriffs „Zär" oder auch die genaue Herkunft und Bedeutung der Zär-Veranstal¬

tungen. Im allgemeinen wird Äthiopien als das „Heimatland" des Zärs bezeich¬

net. Vergleichende Studien über einen rein afrikanischen Zär mit einer islamisier¬

ten Zär-Veranstaltung stehen noch aus.

2 Bekannt ist der Zär u.a. in Saudi-Arabien oder im Iran, beschrieben z.B.

bei MoDARESSi 1968. Siehe auch Fußn. 5.

' Im folgenden wird nicht näher auf eine begriffliche Unterscheidung von

„Geistern" und „Dämonen" eingegangen. Die Beschäftigung mit der Dämonolo¬

gie, in die das Thema einzuordnen ist, muß der Tatsache Rechnung tragen, daß mit den Begriffen „Geister" oder „Dämonen" bereits eine überwiegend negative Wertung verbunden ist, die im Bereich der Wissenschaft im Westeuropa der Neu¬

zeit entstanden und auf die Auseinandersetzung zwischen Antike und Christen¬

tum zurückzuführen ist. So verwundert es nicht, daß europäische Wissenschaftler den Geister- und Dämonenglauben des Orients stets als eine sehr negative Er¬

scheinung und als Zeuge eines ausgesprochenen Aberglaubens werteten. In der Regel wurde und wird nicht zwischen hilfreichen Geistern und gefährlichen Dä¬

monen unterschieden; spezielle Erscheinungen wie der Zär in Ägypten oder die Angst vor der Dämonin Umm al-layl werden verallgemeinert und häufig als Aus¬

druck eines „Aberglaubens" verstanden.

" Unter „Kult" ist ein rituelles und zugleich sakrales Verhalten zu verstehen.

Ein Kult verlangt die ehrfurchtsvolle Haltung derjenigen Menschen, die ihn be-

(2)

Dämonenabwehr am Beispiel des Zars 355

delt: „Unter Zär versteht man eine besonders in Ägypten ausge¬

bildete Zeremonie zur Vertreibung und Besänftigung von Gei¬

stern, in deren Mittelpunkt Opfer und ekstatische Tänze ste-

hen."5

Hinzuzufügen wäre bei dieser ersten Minimaldefinition, daß es

sich nicht allein um eine Beschwörungszeremonie in Ägypten

handelt, sondern um eine Erscheinung, die ebenso in weiten Tei¬

len der islamischen Welt, in Schwarzafrika* und Äthiopien' be¬

obachtet wird.

Im Mittelpunkt der Zär-Zeremonien, hadrit az-Zär/P\. hada¬

rät az-Zär, steht die Beschwörung spezieller Geister, der soge¬

nannten „Zär-Geister". Diese Geister gelten als Verursacher

mannigfaltiger Erkrankungen wie Kopf- und Gliederschmerzen,

Taubheit, Epilepsie, Hysterie, Herzbeklemmungen, Atemnot

und Lähmungen, alle Nervenleiden, Depressionen etc., vor allem

aber werden sie auch für „typische Frauenerkrankungen" wie

monatliche Migräneanfälle und Menstruationsbeschwerden, Ge¬

bärmuttererkrankungen, Unfruchtbarkeit u.ä. verantwortlich ge¬

macht.* Dadurch, daß der Zär der Heilung bestimmter Krank¬

heiten dient, wird er als „Krankheilungsritual"' bezeichnet.

treiben. Hierbei spielt die Symbolik eine große Rolle, die den Eingeweihten den Schlüssel zum Verständnis der Handlungen liefert. Eines der auffallendsten mit dem Kult verbundenen Elemente stellt vielfach das (rituelle) Opfer dar. Der Zär in den islamischen Ländern verbindet all diese typischen „Kultformen", doch steht hier das religiöse, islamisierte Verhalten sehr stark im Mittelpunkt, so daß man kaum mehr von einer neben der Hochreligion unabhängig bestehenden Kult¬

form sprechen kann.

' Kriss/Kriss-Heinrich: Volksglaube im Bereich des Islam, Bd.II: 140; siehe ebenfalls eine umfangreiche Darstellung zum Zär in Ägypten bei R Kahle (Zär-

beschwörungen in Ägypten) 1912: 1-41 und E.Littmann (Arabische Geisterbe¬

schwörungen aus Ägypten) 1950. Der Zär ist in Ägypten seit 1870 bekannt (siehe hierzu Kriss/Kriss-Heinrich 1962: 142 und Rodinson 1957: 257).

* S. Zenkovsky (Zär and Tambura in Omdurman) 1950: 73 ff.

^ Aus Äthiopien kommend, verbreitete er sich entlang der Handelsrouten, so daß er auch im Sudan bekannt ist. Siehe z.B. Triningham 1952: 257 ff; M.Leiris 1983: 108-125 und 1943: 96-103 oder E. Haberland (Die Galla Süd-Äthiopiens) 1963 und S. Messing (Group therapy and social Status in the Zär of Ethiopia) 1958.

* Zur Aufzählung dieser Erkankungen siehe z.B. Meyerhof 1917: 320 und

Winkler 1936: 15. Das Spektrum der durch Zär-Geister verursachten Erkrankun¬

gen umfaßt all jene Krankheiten, für deren Entstehung auch andere, nicht Zär- spezifische Geister und Dämonen in den islamischen Ländern verantwortlich ge¬

macht werden. Symptome wie Angstgefühle, ZerstreutheiL physisches Unwohl¬

sein, auch Alpträume, Händezittern, Stammeln etc. werden auch ganz allgemein

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Der oder auch die Zär-Geister fahren nach Meinung der Be¬

troffenen in den Körper und verursachen im Zustand der Beses¬

senheit ein physisches oder psychisches Leiden, das darin gip¬

felt, daß die Person regelrecht geschüttelt wird. Der Umstand,

daß sich der oder die Besessene windet, aufbäumt und am gan¬

zen Körper zittert oder wild um sich schlägt, spricht für sich,

wenn man bildhaft sagt, daß „der Zär-Geist sein Opfer reitet."'"

Zu beobachten ist, daß die Zär-Veranstaltungen überwiegend

von Frauen besucht werden, - also daß die Zär-Geister vor allem

für Frauen gefährlich werden und gefürchtet sind, ja, daß die

Zär-Veranstaltungen in den islamischen Ländern immer mehr zu

einer besonderen Institution der volksmedizinischen Behandlung

von Frauenerkrankungen zu werden scheinen. Aus der Beobach¬

tung, daß die Zär-Erkrankungen mit einer psychischen Disposi¬

tion" verbunden sind, folgern Autoren wie S.Messing und

L.Wolf, daß die Zär-Besessenheit vor allem für Frauen mit psy¬

chischen Problemen in Frage kommt und für solche, die in einer

Inferioritätsposition der Gesellschaft stehen und mit dieser be¬

sonderen „Erkrankung" - der Besessenheit - die Anerkennung

und Beachtung anderer auf sich lenken wollen.'^

Der Zär ist nicht - wie einige Autoren meinen'-' - eine Veran¬

staltung „unterer Volksschichten", sondern er wird in allen sozia-

den ginn, also den Geistern zugeordnet. Vgl. hierzu z. B. Bliss 1984: 49 f., Canaan 1929: 181, oder Blackman 1927: 223. M. Meyerhof stellte schon 1917: 318 in sei¬

nem Aufsatz „Beiträge zum Volksheilglauben der heutigen Ägypter" zusammen¬

fassend fest, daß es fast „... immer das plötzliche Befallenwerden aus völliger Ge¬

sundheit isL welches dem Volksglauben die Einwirkungeines besonderen Krank¬

heitsdämons wahrscheinlich macht."

So beschrieben z.B. von Mohammad Askari: „Der ägyptische Zär, ein

Krankheilungsritual der Frauen." SFB Sendereihe „Musik in den Religionen - Is¬

lam" vom 13.4.1985. Der Autor hat in den Jahren 1979 und 1982 .selb.st Feldfor¬

schung in Ägypten betrieben und Gelegenheit gehabt, an den Zär-Veranstaltun¬

gen teilzunehmen. Hierbei entstanden zahlreiche Aufnahmen der Zär-Gesänge.

Vgl. das danach betitelte Buch von H. Winkler: Die reitenden Geister der Toten. Vertraut ist uns im deutschsprachigen Raum diese Vorstellung ebenfalls z. B. in dem Sprichwort „ihn reitet der Teufel" als Feststellung für ein unkontrol¬

liertes, ungesteuertes Fehlverhalten.

" Zur psychologischen Komponente beim Zär der Galla Süd-Äthiopiens sie¬

he auch E. Haberland 1963: 506.

'2 Siehe S. Messing/L.Wolf: Group therapy and social status in the Zär cult of Ethiopia. In: American Anthropologist 1958 (Bd. 60): 1120-1126.

Siehe z.B. den Artikel „Zär-Kult", Neues Wörterbuch für Völkerkunde 1987: 530.

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Dämonenabwehr am Beispiel des Zärs . 357

len Schichten der islamischen Welt durchgeführt. Man beobach¬

tet sogar jüngst eine Tendenz, nach der sich der Zär gerade in

den gebildeten und sozial hochgestellten Schichten einer zuneh¬

menden Beliebtheit und Verbreitung erfreut.''*

Wenn eine Frau aufgrund ihrer Beschwerden vermutet, daß sie

das Opfer eines oder auch mehrerer Zär-Geister geworden sein

könnte, wendet sie sich an eine Spezialistin, küdya oder saiha^^

genannt. Die Erkrankte wird in ihrer besonderen Eigenschaft als

Besessene 'arüsa, wörtl. „Braut", genannt, was das besondere

Verhältnis von den Zär-Geistern zu einer Frau treffend charakte¬

risiert.

Die Rolle der küdya/saiha^^ kann nicht von einem Mann über¬

nommen werden." Das Besondere an der saiha ist, daß sie Kon¬

takt zu allen Zär-Geistern herstellen kann, ohne selbst von die¬

sen besessen zu werden. Dennoch hat auch sie einen oder mehre¬

re „eigene" Zär-Geister, mit denen sie in Verbindung steht und

die bereits „versöhnt" wurden. Die saiha ist mit ihrem Zär-Geist

„verheiratet", das bedeutet, daß sie, sofern sie einen Ehemann

hat, mit diesem in ihrer besonderen Eigenschaft als „Mittlerin"

und Vertraute der Zär-Geister fortan keinen Geschlechtsverkehr

mehr haben darf.

Hierin ist der Zär durchaus dem sich verbreitenden Interesse für Esoterik in Europa vergleichbar, das auch in wissenschaftlicher Hinsicht wieder - wie schon in den 20er Jahren - „salonfähig" zu werden scheint.

" Darunter ist eine autorisierte Vorbeterin bzw. Leiterin der Zär-Veranstal¬

tung zu verstehen, keinesfalls aber, wie Kriss/Kriss-Heinrich 1962: 143 beschrei¬

ben, „eine Art Priesterin".

'" Im folgenden nur „saiha". „Küdyat Zär" ist eine ägyptische Bezeichnung, wörtl. „Oberin der Zär-Beschwörung".

" An verschiedenen Stellen wurden Vermutungen über die spezielle Rolle ei¬

ner Frau als Spezialistin beim Zär, bzw. ihre Affinität bei magischen Prakdken angestellt. So sehen B. Tibi (Der Islam urtd das Problem der kulturellen Bewältigung

des sozialen Wandels, 1985: 41) und G.Becker {Das Pentagramm-Symbol in Ma¬

rokko, 1989: 80-82) ganz allgemein eine besondere Zuweisung der Frauen als

„Trägerinnen der Magie" durch die historisch vorgeschriebene Geschlechtertren¬

nung beim Ritual: während die Männer das kollektive Freitagsgebet in der Mo¬

schee ausführten, hätten die Frauen, so Tibi, „vorislamische Kultformen weiter ausgeführt und konserviert" (Tibi 1985: 41). Vgl. ebenso S.Davis: Patience and Power. Women's Lives in a Moroccan Village, 1984: 124L). P. Sivers führt dagegen die besondere Verbindung der Frauen zur Magie darauf zurück, daß die Frauen gegenüber den Männern in der Bildung und beruflichen Ausbildung zurückblei¬

ben. Dies, so Sivers, fördere das Interesse und die Inhilfenahme magischer Prak¬

tiken {Maghreb und Westafrika, 1984: 401).

(5)

Die saiha muß zunächst prüfen, ob es sich wirklich um einen

Zär-Geist handelt oder aber ob das Leiden nicht doch durch ei¬

nen anderen Faktor hervorgerufen wurde. Daher nimmt sie eine

„Spur", atar auf. Kleidungsstücke oder andere Dinge, mit denen

sich die erkrankte Person umgeben hat, wie z.B. ein Kopfkissen

oder ein Kopftuch, werden von der saiha eingehend geprüft, in¬

dem sie eine oder mehrere Nächte auf diesem Kleidungsstück

schläft und so im Zustand des Schlafes durch bildhafte Träume

erfährt, ob tatsächlich ein Zär-Geist am Werke ist. Wenn ihr dies

im Traum positiv bedeutet wird'*, also die leidende Person wirk¬

lich besessen ist, dann beraumt die saiha eine Zär-Veranstaltung

an, die der „Versöhnung", nicht „Austreibung" des Zär-Geistes dienen soll.

Die erkrankte Frau wird am Tag der Zär-Veranstaltung wie

eine Braut in weißer Kleidung von einigen anderen Frauen, die

bereits selbst einen Zär hinter sich gebracht haben, zur saiha ge¬

leitet. Nun kann der eigentliche Zär beginnen, bei dem eindring¬

liche Anrufungen an die Zär-Geister in Form von gleichförmigen

Liedern, untermalt von rhythmischem Trommelschlag und dem

Klatschen oder dem Schlagen von Schellenbändern, Baßtrom¬

meln und/oder dem mazhar (ein großes, mit Schnarren versehe¬

nes Tamburin) im Vordergrund stehen. Während der gesamten

Zeremonie erfüllen ausgewählte Räucherungen, wie z. B. Weih¬

rauch, Myrrhe, Koriander oder Ambra das bait al-kudya, „Haus

der Kudya". Auch werden spezielle Zär-Amulette getragen,

überwiegend in der Gestalt flacher, scheibenförmiger Plättchen

mit kugelförmigen Anhängern und Fuß-, Arm- und Fingerringen

aus Eisen oder Silber (arab. hulhäl)}'^

Die versammelten Frauen tanzen^" bei den sehr eindringli¬

chen, rhythmischen Melodien, die kaum Variationen oder kleine

Änderungen kennen, mit, wobei der gleichmäßige Singsang dazu

Durch die Technik der Oneiromantik deutet die saiha z.B. Opfertiere oder Kerzen, die sie im Traum sieht, als Hinweise fiir eine anstehende Zär-Veranstal¬

tung.

" Es genügt uns in diesem Zusammenhang, auf die Zär-Amulette zu verwei¬

sen. Ausführlich sind sie bei Kriss/Kriss-Heinrich 1962 auf den Seiten 149-158 beschrieben. Siehe auch P. Schienerl 1975, 1976 und 1980.

2" Der Tanz hat keine besonderen Regeln, doch geschieht er meist in wiegen¬

der Weise, wobei die Füße fest den Rhythmus stampfen und der Kopf ebenfalls rhythmisch zunächst langsam, dann immer schneller hin- und hergeschmissen wird.

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Dämonenabwehr am Beispiel des Zar% 359

geeignet ist, einen tranceartigen Zustand hervorzurufen.Ein

Rhythmus, daqqa, und ein Refrain folgen dabei immer wieder

abwechselnd aufeinander.

Zä/--Geister sind hierarchisch geordnet, es gibt unter ihnen un¬

tergebene Geister (wie z.B. der „Knecht Walläg") mit kleiner

Machtbefugnis, aber auch „Sultane", hochangesehene und sehr

mächtige Geister. Jeder Zär-Geist hat seine eigene Melodie oder

seinen eigenen Rhythmus. Im Laufe der Veranstaltung werden

die Lieder und Melodien der verschiedenen Zär-Geister gesun¬

gen mit dem Ziel, die richtige Melodie für die erkrankte Frau

herauszufinden. Man beginnt mit den Liedern, die sich an die

„kleinen" Zär-Geister richten, und im Laufe der Veranstaltung

werden nach und nach die Melodien der immer mächtiger wer¬

denden Zär-Geister angeklungen. In Ägypten steht an der Spitze

der ganzen Zär-Geister z. B. der „Sultan Mamma", der gleich¬

falls eine ganze ehrwürdige Schar von Verwandten - Schwestern

und Brüdern - um sich versammelt hat, die nicht minder bedeut¬

sam in dieser Hierarchie der Geister sind. Immer dann, wenn ein

Lied angestimmt wird, das für eine der mitsingenden Frauen das

entsprechende zu ihrem eigenen Zär-Geist ist, wird diese beson¬

ders ekstatisch tanzen, so daß bei einer Gruppe von mittanzen¬

den und mitsingenden Frauen immer eine besonders exzessiv

tanzt und die anderen in ihrer Begeisterung mitzureißen ver¬

sucht.

Wenn die erkrankte Frau in Ekstase fällt, mit dem Kopf um

sich schlägt und mit dem ganzen Körper den erwünschten eksta¬

tischen Zustand signalisiert, dann weiß die saiha, daß die richti¬

ge Melodie für den entsprechenden Zär-Geist gefunden wurde.

Der Höhepunkt der ganzen Zeremonie ist, daß die Frau in die¬

sem Zustand den Namen des Geistes auszusprechen vermag. Die

Kenntnis und das Aussprechen des Namens führt zu der „Ver¬

söhnung" mit dem Zär-Geist. Fortan kann die betroffene Frau

„ihren" Zär-Geist beim Namen rufen und ihn, wann immer er es

fordert, mit kleinen oder großen Opfergaben, mit den für ihn be¬

stimmten Liedern und auch mit bestimmten Räucherungen be¬

friedigen.

Den Äbschluß der Zär-Veranstaltung, die mitunter mehrere

2' Wiederholungen einzelner Textpassagen bis zu 15mal sind keine Seltenheit - die mit den Liedern verbundenen Namen der Geister werden so den Zuhören¬

den regelrecht „eingehämmerL"

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Tage^^ andauern kann, bildet schließlich das Töten eines Opfer-

tieres^^ und das Bestreichen der weißen Kleidung der Kranken

mit dem Blut des geopferten Tieres und das Einnehmen eines ge¬

meinsamen Festmahls.^'*

Der Zär ist - wie eingangs festgestellt wurde - eindeutig keine

islamische „Erfindung", sondern seinem Ursprung nach vermut¬

lich abessinischer Herkunft. Zär-Veranstaltungen dürfen weder

an einem Freitag noch im Fastenmonat Ramadan abgehalten

werden, und eine jede Zär-Veranstaltung beginnt mit Rezitatio¬

nen aus dem Koran und wird ebenfalls mit Worten aus dem Ko¬

ran beendet. Auch in den Liedtexten finden sich vermehrt kora¬

nische Einschübe, Lobpreisungen an Gott und seinen Propheten,

Muhammad. 2^ Daß der Zär demnach in weiten Teilen als neues

Kulturelement stark islamisiert wurde, zeigt sich hierin beson¬

ders deutlich.

Vertraute, den einzelnen Handlungen des Zärs entsprechende

Handlungen finden sich aber auch in einem ganz anderen Be¬

reich der islamischen Magie: dem Amulettwesen, das in seiner

Komplexität in vielfacher Hinsicht der oben beschriebenen Zere¬

monie des Zärs nicht nachsteht.

Frauen, Männer, Kinder, Tiere - schlicht alle Lebewesen und

alles, was einem lieb und wert ist, können durch spezielle Amu¬

lette geschützt werden. Und da der Einfluß übelwollender Gei¬

ster oder des bösen Blicks^* von allen gleichermaßen gefürchtet

wird, sind alle Lebewesen und Gegenstände potentielle Amulet-

22 Kriss/Kriss-Heinrich 1962: 165 beschreiben ihre eigens für sie inszenierte Zär-Veranstaltung „... ein Zär von mittlerer Ausdehnung beginnt gewöhnlich am Nachmittag des ersten und endet in der Nacht des zweiten Tages." A. Wieland 1994: 58 gibt an, daß die Zär-Veranstaltungen häufig drei Tage andauern können.

2^ Als Opfertiere dienen Hühner, Hasen, Kaninchen, Tauben oder Hammel -

die saiha entscheidet darüber, ob ein oder auch mehrere Tiere geopfert werden sollen, und berücksichtigt bei der Wahl auch die finanzielle Lage ihrer Patientin.

2'' Die Schlachtung des Opfers kann auch zu Beginn der Zeremonie stattfinden und die folgenden Tänze und Gesänge einleiten.

2' Ein Lied eines Zärs, von Kriss und Kriss-Heinrich 1962: 169 aufgezeich- neL beginnt z. B. mit den Worten:

Mein Geliebter, oh PropheL Du Fürsprech, oh Prophet;

Oh Ihr, die ihr den Propheten gesehen habt.

Was sind seine Eigenschaften, oh Prophet, Wie hast du die Prophetenschaft erkannL Was ist zwischen seinen Schultern? ...

2" D.i. die Vorstellung von einem vom Blick - den Augen - ausgehenden

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Dämonenabwehr am Beispiel des Zars 361

träger. Amulette an Haustüren, im Auto, etc. kommen ebenso

häufig vor wie an Mensch und Tier. Ganz besondere Schutzma߬

nahmen werden vor allem aber für zwei Personengruppen getrof

fen: Zum einen sind es Kinder, die bis zur Vollendung ihres sieb¬

ten Lebensjahres als besonders gefährdet für Krankheit und Tod

gelten und deren Verursachung häufig dem bösen Blick oder ei¬

nem Dämon zugeschrieben werden, zum anderen sind es

Schwangere und Wöchnerinnen. Letztere sollen unter dem

Aspekt des Amulettwesens und den damit verbundenen Hand¬

lungen genauer betrachtet werden:

In weiten Teilen der islamischen Welt findet sich die Furcht

vor den ginn. Zu ihrer Gattung wird die Gestalt der „Mutter der

Nacht", Umm al-layl, auch Täbi'a, „Folgerin", oder Qarina ge¬

nannt, gerechnet, die den Frauen besonders während der

Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett nachstellt

und ebenso für das Neugeborene und Kleinkinder eine dämoni¬

sche Bedrohung verkörpert.^'

Die Krankheiten, die ganz allgemein den ginn oder speziell

der Umm al-layl zugeschrieben werden, sind mit denjenigen, die

auf die Zär-Geister zurückgeführt werden, nahezu identisch, wo¬

bei spezielle Erkrankungen und Komplikationen während der

Schwangerschaft aber vor allem mit der Umm al-layl in Zusam¬

menhang gebracht werden. Daß es für Frauen spezielle Geister

gibt, die besonders gefürchtet und konkret mit Frauenleiden in

Verbindung gebracht werden, ist demnach ein Phänomen, das

nicht allein für die Zär-Geister zutrifft. Bei gleichen Krankheits¬

symptomen und mit der Übereinstimmung einer ursächlichen Be¬

sessenheit wird offenbar differenziert, ob die Krankheiten ganz

allgemein von der Gruppe der ginn verursacht werden oder aber

ob es sich um den Einfluß der speziellen Zär-Geister handelt.

Als Schutz vor den ginn und der Dämonin, deren Einwirken

im Volksglauben nicht selten zum Tod von Mutter und Kind

führt, gelten besondere Schriftamulette und Beschwörungsfor¬

meln, die wiederum besondere Maßnahmen für ihre Herstellung

und Anwendung erfordern. Schriftamulette werden für gewöhn¬

lich - anders als die gegenständlichen Amulette, denen auch fa-

Übel; der böse Blick verursacht im Volksglauben die gleichen Krankheiten wie die Geister und Dämonen. Ausführlich zu dem Thema siehe Hauschild 1982.

2' Die Qarina wird auch für den sogenannten „plötzlichen Kindstod" verant¬

wortlich gemacht, weswegen sie auch Umm Sibyän, „Kindsmutter" genannt wird.

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brikmäßige Herstellung keinen Abbruch zu tun scheint - von

einem Fachmann hergestellt.

Anders als bei den gegenständlichen Amuletten geht die schüt¬

zende, heilende, segenbringende oder abschreckende Wirkung

des Amuletts von seinem Inhalt aus, welcher im Idealfall speziell

nach den Wünschen seines Trägers komponiert wird. Die um¬

fangreichen Vorbereitungen zur Anfertigung eines Schriftamu¬

letts zum Schutz vor den krankmachenden ginn oder der Dämo¬

nin Umm al-layl erinnern an die Zeremonie des Zärs und sollen

kurz skizziert werden:

Damit ein Schriftamulett seine optimale Wirkung erzielen

kann, muß der jeweilige Inhalt mit den Eigenschaften der be¬

drohten oder schon besessenen Frau harmonieren. Hierbei sind

u.a. ihr Name und der Name der Mutter, Alter, Geburtstag und

gegebenenfalls die Geburtsstunde zu nennen, die dann feste Be¬

standteile des schriftlichen Inhaltes bilden und es zu einem un¬

verwechselbaren Unikat machen.

Anweisungen darüber, was ein Schriftamulett beinhalten soll,

finden sich beispielsweise in den Zauberbüchern, namentlich in

denen des im 13. Jh. lebenden arabischen Magiers Ahrnad Ibn

'AlT al-BOnT und seinen Schriften Usül al-hikma oder Sams al-

ma'ärif al-kubrä, die sich großer Beliebtheit und Verbreitung er¬

freuen und in weiten Teilen der islamischen Länder bekannt

sind. Hierin wird auf die magische Wirksamkeit bestimmter Su¬

ren, Gottesnamen und Beschwörungsformeln verwiesen. Zudem

werden Zahlen- und Buchstabenquadrate sowie bestimmte astro¬

logische Erkenntnisse erklärt, und BünT erteilt genaue Anweisun¬

gen darüber, wie diese einzelnen Elemente zu einem wirkungs¬

vollen Talisman miteinander komponiert werden müssen. Die

Schriftamulette sind für gewöhnlich, unabhängig von ihrem In¬

halt, von Suren und Lobpreisungen an Gott und seinen Prophe¬

ten umrahmt, eine Äußerlichkeit, die auch die Ziär-Zeremonien

umkleidet und die religiöse Einbezogenheit in volksreligiöse

Praktiken unterstreicht.

Der oder die Schreiber/in^' des Amuletts unterzieht sich wäh¬

rend der Anfertigung solcher Schriftamulette häufig aufwendiger

2" Hierzu zählen beispielsweise die massenhaft angefertigten Hand- oder Au¬

genamulette.

2' Schriftamulette werden von Männern und Frauen geschrieben. Im folgen¬

den zur besseren Lesbarkeit nur „der Amulettschreiber".

(10)

Dämonenabwehr am Beispiel des Zars 363

Prozeduren. Es kann sein, daß er sich als Vorbereitung für das

eigentliche Schreiben für eine gewisse Zeit bestimmter Speisen

enthalten oder fasten muß, daß er in Klausur gehen muß oder

daß er das Amulett in reiner, weißer Kleidung zu schreiben

hat.^° Der Sinn derartiger Prozeduren ist, daß der Schreiber eine

bestimmte Segenskraft, baraka, sammeln soll, die dann gleich¬

sam beim Schreiben mit der Tinte in das Geschriebene einfließen

soll. Außerdem soll durch die reinigenden, kontemplativen

Übungen die Kraft des Schreibers derart gestärkt werden, daß

sie auf die Geistwesen wie ein Schutzschild wirkt und die Tätig¬

keit des Schreibens vor ihren Angriffen schützt.

Damit eine Verbindung zwischen dem Amulett, dem Träger

und den ginn hergestellt werden kann, muß eine „Spur", atar,

gesucht werden, d.h. der Amulettschreiber benötigt ein Klei¬

dungsstück oder etwas ähnliches, das mit der erkrankten Frau

Körperkontakt hatte, ein Vorgang, der in die „Berührungsmagie"

eingeordnet wird und den wir bereits weiter oben bei den Vorbe¬

reitungen zum Zär kennengelernt haben. Es wird also auch hier

davon ausgegangen, daß ein „... unverlierbarer Kontakt vorhan¬

den ist und bestehen bleibt zwischen einem Ding und dem Besit¬

zer, dem es in irgendeiner Weise eignet oder geeignet hat.""" Der

Amulettschreiber kann daher auch Haare, einen Fingernagel etc.

verlangen, um den Kontakt zwischen der Person und dem ginn

bzw. der Dämonin herzustellen.

Süfische Übungen, wie das ständige, unaufhörliche Gottgeden¬

ken oder aber die Nennung oder Anrufung bestimmter Namen

von Engeln und Dämonen, gehören - ebenso wie beim Zär - zu

den festen Bestandteilen vieler Rezepte, die die Herstellung von

solchen Schriftamuletten untermalen. Während bestimmte, als

besonders heil- oder schutzkräftig angesehene Suren und Be¬

schwörungsformeln den Text des Schriftamuletts bilden, muß

der Schreiber bestimmte Namen oder Formeln ständig wiederho¬

len. Ebenso wird die erkrankte Frau gleichfalls dazu aufgefor¬

dert, einen Teil der komplexen Handlungen des Schreibers mit¬

zumachen. Ihr Beitrag zum Gelingen eines möglichst guten Amu¬

lettes ist es, daß auch sie bestimmte Gottesnamen, Suren oder

'° Solche Anweisungen erfahrt der Schreiber von Schriftamuletten z.B. aus den Zauberbiichern. In aller Ausführlichkeit sind diese Maßnahmen in den oben erwähnten Schriften BOnTs beschrieben.

^' Canaan 1915:25.

(11)

beschwörende Formeln nach Anweisung des Herstellers zu rezi¬

tieren hat. Auch hier zeigen sich Parallelen zu den Z5r-Veran¬

staltungen: Die Texte und Beschwörungsformeln, die zur Unter¬

stützung eines wirksamen Amuletts rezitiert und gesungen wer¬

den müssen, tragen den gleichen, oft atemlosen und ekstatischen

Charakter: kurze Anrufungen an Gott und den Propheten, Lob¬

preisungen, die vielfache, formelhafte Nennung von Wünschen

und Schwüren - all dies bewirkt schließlich ebenfalls den er¬

wünschten rauschhaften, exaltierten Zustand.

Die zukünftige Trägerin des Schriftamuletts wird bei Aushän¬

digung des Amuletts dazu verpflichtet, es reinzuhalten, es also

vor Wasser, Schmutz, aber auch den Blicken anderer zu schüt¬

zen, damit die Segenskraft nicht gemindert wird oder gar verlo¬

rengeht. Spezielle Amulettbehältnisse aus Leder oder Silber sind

dafür geeignet.

Ferner soll die Frau das Amulett genauso lange tragen, wie es

der Schreiber verordnet hat. Bei bestimmten Krankheiten, deren

Entstehung unmittelbar auf die Umm al-layl zurückgeführt wird,

muß sie es z. B. so lange tragen, bis sie von der Krankheit geheilt

ist. Wenn das Amulett prophylaktisch schützen soll, wird hinge¬

gen ständiges Tragen empfohlen. Auch hat die Frau es ledighch

an derjenigen Körperstelle zu tragen, an der das Amulett, ähn¬

lich wie ein bestimmtes Heilmittel, wirken soll. Dies kann der

linke oder rechte Arm sein, oder das Amulett wird um den Hals

gehangen oder auf den Bauch gelegt etc., je nachdem, wo sie Be¬

schwerden hat oder welche Körperstelle als besonders schutzbe-

dürfig erscheint. Ein derartig angefertigtes Schriftamulett darf

weder verkauft noch an andere Personen verliehen werden.

Weitere Maßnahmen, zu denen die Frau ebenfalls aufgefordert

wird, bevor sie das Amulett tragen darf, sind das Fasten, das Op¬

fern bestimmter Tiere und das Verbrennen bestimmter Räucher¬

waren, vor allem Weihrauch, Koriander oder Myrrhe.■'^ Diese

auch beim Zär verwendeten Räuchermittel sollen besonders

wirksam in der Vertreibung und Abschreckung aller dämoni¬

schen Geistwesen sein.

Wie weiter oben dargestellt, sind für den Zär zwei spezielle

Vorgänge von besonderem Interesse: der rhythmische, mit Ge¬

sang verbundene Tanz und die daraus resultierende Ekstase, die

" Vgl. Gawhary, 1968: 77.

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Dämonenabwehr am Beispiel des Zars . 365

den Höhepunkt der Zeremonie darstellt. Der Sinn dieses rausch¬

haften Zustandes ist, den Namen des krankmachenden Zär-Gei¬

stes herauszufinden und durch ihn eine Verbindung zwischen der

besessenen Frau und „ihrem Zär-Geist" herzustellen. Wie wir sa¬

hen, haben die Zär-Geister allesamt Namen, mit denen man sie

anrufen kann.^^

In der Magie ist die Kenntnis eines Namens ein außerordent¬

lich machtvolles Instrument. Gleichviel ob es sich um einen Got¬

tesnamen^"*, den Namen eines Geistwesens oder den eines Men¬

schen handelt, versetzt seine Kenntnis den Magier in die Lage,

den Namen in bezwingender Weise anzuwenden, denn der Na¬

me ist nach volksreligiöser Meinung mit dem ureigenen Wesen

seines Trägers verbunden. Von ganz besonderer Bedeutung für

die Kunde der Talismane, 'Um at-tUasm, die die Herstellung der

Schriftamulette beschreibt, ist daher die Kenntnis der Namen

der Geistwesen (Engel, Dämonen und ginn). Ebenso wie beim

Zär müssen die Namen der krankmachenden Geistwesen „fi¬

xiert" werden. Mit der Niederschrift des Namens in einem ma¬

gisch wirksamen Schriftstück wird die dämonische Aktionskraft

„gesiegelt", d.h. der Name - und damit auch sein Träger - wird

gebannt.

Die meist namenlose Schar der islamischen Geister und Dämo-

W V

nen wjrd vor allem nach Gruppen wie 'IfrTt, Märid, Gül, Ginn

oder Saitän^^ gegliedert, die zugleich ihr Wesen und ihren Cha¬

rakter beschreiben, aber innerhalb dieser Gruppierungen weitge¬

hend namenlos bleiben. Bekannte, häufig erwähnte Namen aus

der islamischen Welt der Geister und Dämonen sind beispiels¬

weise Maimün, Samhüris, al-Murra oder Barqän^*, die vielfach

explizit in den Beschwörungen genannt werden, auf deren Wesen

oder Charakter aber, wenn überhaupt, nur beiläufig eingegangen

wird. Eine Hierarchie oder verwandtschaftliche Verhältnisse, wie

sie die Zär-Geister aufweisen, spielen bei den magischen Hand-

Eine große Liste von Zär-Geisternamen findet sich in Kriss und Kriss- Heinrich, 1962, auf den Seiten 232-234.

Ausführlich zur Verwendung der Gottesnamen in der islamischen Magie

siehe M. Gawhary 1968, und D. Pielow 1995: 84-96.

^5 Zur Charakteristik dieser Wesen siehe ausführlich Zbinden 1953: 13 f. und 59 fL und Wieland 1994: 37-47.

Namentlich genannt z.B. bei dem im 13. Jh. lebenden arabischen Magier Ahmad Ibn al-Bünl in seiner Schrift Usül al-hikma, S.57 oder 118.

(13)

lungen, die mit den ginn verbunden sind, keine Rolle.^' Ver¬

wandtschaftliche Verhältnisse der ginn werden zwar in Märchen

und Erzählungen beschrieben, aber ansonsten nicht so systema¬

tisch erfaßt, wie es bei den Zär-Geistern der Fall ist.

Zusammenfassender Vergleich:

Schriftamulette werden nach dem Prinzip der sympathetischen

Magie derartig mit Beschwörungen und Räucherungen, Rezita¬

tionen von Suren oder Gottesnamen etc. verbunden, daß die hier¬

in namentlich genannten Geister und Dämonen speziell zur Er¬

füllung bestimmter Wünsche aufgefordert werden. Während die

Kenntnis des Namens (ob Geister oder Engel) in der islamischen

Magie zu einer Bezwingung, vom Menschen ausgehenden Be¬

herrschung, führt, dient das Wissen der Namen von den Zär-

Geistern eher einem ihrerseits erwünschten „Outing".

Man kann sagen, daß es sich bei den vielen Liedern, die anlä߬

lich einer Zär-Veranstaltung gesungen werden, um Beschwörun¬

gen handelt. Eine Beschwörung „ist die mit magischen Worten

und Handlungen erfolgende Herbeirufung einer stärkeren

Macht, um diese dem Willen des Beschwörers Untertan zu ma¬

chen."^*

Das Ziel des Zärs aber ist - anders als bei üblichen Beschwö¬

rungen - das Kennenlernen des Geistes und die Kontaktaufnah¬

me. Es ist sogar noch mehr als das. Beim Zär vollzieht sich die

symbolische Verheiratung einer Frau mit „ihrem" Zär-Geist.

Jeder Zär-Geist, ob in der Hierarchie sehr weit unten stehend

oder aber ganz oben, hat seinen eigenen Machtbereich. Mit dem

Menschen geht er eine Art Symbiose ein, ähnlich der Vorstellung

von einem persönlichen Schutzengel, der den Menschen ein Le¬

ben lang begleitet.^' Nur wenn die Zär-Geister beim Namen ge¬

rufen werden, bekommen sie die ersehnten Opfergaben. Ein

Zär-Geist muß ein Leben lang durch Opfergaben günstig ge-

Siehe z. B. in den zahlreichen Beschwörungsformeln von al-Bünl zugeschrie¬

benen Werken Sams al-ma'ärif al-kubrä oder Usül al-hikma.

^* HDA, Bd. 1: 1109 (Art. „Beschwörung, beschwören").

Eine Vorstellung, die sich auch in der vor allem in Ägypten bekannten Ge¬

stalt des qarin (masc.) und der qarina (fem.) findet (nicht zu verwechseln mit der Kindbettdämonin „Qarina"): Man glaubt, daß einjeder Mensch einen persönli¬

chen Doppelgänger in der Welt der Geister habe, der den Menschen ein Leben

lang begleitet und parallel alles genauso erlebt, wie der Mensch auch, und

schließlich mit diesem stirbt.

(14)

Dämonenabwehr am Beispiel des Zars 367

stimmt werden, da er ansonsten wieder IcörperHche oder psychi¬

sche Leiden hervorruft, weswegen man auch davon spricht, daß

„wer einmal in seinem Leben einen Zär gemacht hat, immer da¬

mit zu tun haben wird."

Dies ist ein markanter Unterschied zu der Vorstellung von be¬

sessenmachenden Geistern und den damit verbundenen Be¬

schwörungs- und Austreibungszeremonien, deren vorrangiges

Ziel ja die Austreibung aus dem besessenen Körper ist.

Parallelen zu den Symptomen der von Zär-Geistern verursach¬

ten Krankheiten zeigen sich beim Einwirken der Qarina in den

weiter oben beschriebenen Erkrankungen, vor allem aber auch

den speziellen Frauenerkrankungen.'*"

Anders als bei den Zär-Geistern ist hier jedoch wieder auf ei¬

nen entscheidenden Unterschied zu verweisen: im Gegensatz zu

den Zär-Veranstaltungen ist es das vordringliche Ziel einer jegli¬

chen Beschwörungszeremonie gegen die Umm al-layl und alle

anderen Wesen aus der Welt der ginn und Dämonen, die derarti¬

ge Leiden hervorrufen, diese aus dem Körper oder der unmittel¬

baren Nähe der Betroffenen zu vertreiben. Beim Zär jedoch ist

das besondere Ziel - wie wir sahen - die „Versöhnung".

Der Zär ist eine ganz eigene, authentische Zeremonie, bei der

die übernatürlichen Geister mit in das Alltagsleben der Frauen

einbezogen werden und die einen persönlichen Kontakt durch

die entsprechenden Zeremonien aufbauen.

Daß es Parallelen und Ähnlichkeiten zu anderen magischen

Handlungen gibt, wie z.B. denjenigen, die mit dem Amulettwe¬

sen verbunden sind, ist augenfällig. Sie lassen sich zum einen

durch die Islamisierung bestimmter zeremonieller Abläufe erklä¬

ren und zum anderen durch die Übernahme und Adaption altbe-

Anschaulich sind diese u.a. in einer von Winkler 1930: 62 übersetzten

Quelle aus dem 17. Jh. beschrieben. Darin heißt es Und manchmal geselle ich

mich zu einer Frau wegen ihrer Leibesfrucht und nehme für sie die Gestalt der leiblichen Schwester oder der lieben Nachbarin an und spreche zu ihr: Du bist schwanger und ich bin schwanger. Ich zeige dir meinen Bauch, so zeige mir auch deinen Bauch. Ich lege dann meine Hand auf ihren Bauch und infolgedessen ver¬

liert sie Blut aus ihrem Bauche. Einer anderen versperre ich die Pforte ihrer Scham, so daß sie zur selben Zeit und Stunde stirbt Eine andere plage ich in ih¬

rem ganzen Wesen mit Schlägen auf den Kopf, wieder eine andere plage ich mit Masern auf ihrem Körper, wieder eine andere plage ich mit Rheumatismus in ih¬

ren Gliedern, eine andere mit Herzklopfen, und wieder eine andere mit Rücken¬

schmerzen, eine andere mit Augenentzündung in ihrem Auge

(15)

kannter Handlungen, die schon vor Bekanntwerden des Zärs bei

Dämonenbeschwörungen in den arabisch-islamischen Ländern

bekannt waren.

Wie dargestellt, empfindet die Person, die an einer Zär-Veran¬

staltung teilnimmt, ein körperliches oder psychisches Leiden,

welches schließlich zu einer ernstzunehmenden gesundheitlichen

Krise der Betroffenen führen kann. Nach Bewältigung dieser ge¬

sundheitlichen Krise folgt dann aufgrund der Zeremonie die

Neu- oder Wiederentdeckung der eigenen, nunmehr erstarkten

Persönlichkeit. Das gleiche gilt auch für die Personen, die sich

durch die besondere Kraft der Amulette stärken wollen.

Geisterbeschwörungen und andere magische Handlungen voll¬

ziehen sich nach Regeln und bestimmten Grundmustern. Dies

wurde schon ausführlich von Marcell Mauss in seiner Schrift

Soziologie und Anthropologie I, Theorie der Magie'^^ beschrieben,

und auch Malinowski'*^ hat mit seiner scharfen Beobachtungsga¬

be auf bestimmte gleichbleibende Handlungsabläufe während

magischer Handlungen - und der Zär ist eine magische Hand¬

lung - verwiesen.

Der rhythmische Tanz, das Singen und Rezitieren bestimmter

Beschwörungsformeln, die Räucherungen, das Tragen bestimm¬

ter Kleidung, schließlich die Ekstase und die Kontaktaufnahme

zur Welt der Geister - all dies sind bekannte und entscheidende,

kulturübergreifende Momente magischer Handlungen. Das min¬

dert jedoch keinesfalls die Originalität dieser Zeremonien, die,

wie wir sahen, auch ihre ganz eigenen Charakteristika beibehal¬

ten. Aber es lassen sich bei auch noch so fremdartig erscheinen¬

den Handlungen vertraute Grundmuster erkennen, die die Be-

Siehe z. B. M. Mauss 1989: 82 „Der Magier und sein Klient verhalten sich

zum magischen Ritus wie der das Opfer Spendende und der Opferpriester zum

Opfer: auch sie müssen sich vorbereitenden Riten unterwerfen ... Zu diesen Vor¬

schriften gehört, daß sie keusch bleiben und rein sind, sich vorher bestimmten Waschungen unterziehen und sich salben; sie haben zu fasten oder sich bestimm¬

ter Speisen zu enthalten; sie müssen ein besonderes Kleid tragen, entweder ganz neu oder auch völlig verschmutzL weiß oder mit purpurnen Streifen, etc.; sie müssen sich schminken, maskieren, verkleiden, bekränzen, etc.; gelegentlich müssen sie nackt sein, sei es um jede Schranke zwischen sich und den magischen Kräften zu beseitigen, sei es, um durch rituelle Anstößigkeit zu wirken. Schlie߬

lich sind bestimmte geistige Einstellungen erforderlich, man muß den Glauben haben und ernsthaft sein" (Mauss, 1989: 82).

'^^ In seiner Schrift: Magie, Wissenschaß und Religion. Und andere Schriften, v.a. auf den Seiten 55-59 („Der Ritus und die Beschwörung").

(16)

Dämonenabwehr am Beispiel des Zars 369

gegnung mit der Welt der Geister und Dämonen zu bewältigen

suchen.

Abschließend ist es vielleicht noch interessant anzumerken,

daß der Zär in Ägypten seit den fünfziger Jahren und auch im

Iran offiziell verboten wurde. Als Grund für das Verbot wurde

der Umstand genannt, daß Männer wie auch Frauen sich beim

Tanz gegenseitig umarmen und so in Ekstase geraten .. .'^^

Literatur

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(17)

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ZwEMER, S.: Die Moslemische Frauenweh. Gütersloh 1933 (Beschreibung des Zärs auf Seite 28).

(18)

Traditions and controversies concerning the

sugüd al-Qur'än in hadTt literature*

By Roberto Tottoli, Naples

Sugüd (prostration) is a fundamental part of the ritual prayer

(salät); it is the highest practice of religious devotion and it is

due to God only. Apart from prostration during ritual prayer and

the generic prostration of thanksgiving to God/ Muslim tradi¬

tions also prescribe sugüd when listening to the recitation of cer¬

tain Qur'anic verses (sugüd al-Qur'än). There are numerous tra¬

ditions about this sugüd al-Qur'än, even if there is no agreement

in the sources about which of the Qur'änic verses the believer

should prostrate himself to. Scholars have almost completely

overlooked the question of the sugüd al-Qur'än, although recently

U. Rubin has dedicated a few pages to it and A. Rippin has written

a short introduction to the matter for the Encyclopaedia of Islam.^

The following pages will attempt to discuss the traditions and the

controversies concerning this Muslim practice, as shown by the

in-depth treatment of it in hadTt literature. The thesis of this essay

* This article is a part of a wider study concerning sugüd in IVluslim traditions and literature: its origin and its meaning. I started this research while I was in Je¬

rusalem during 1993-94 as part of my doctorate program at the Dipartimento di Studi e Ricerche su Africa e Paesi Arabi of the Istituto Universitario Orientale, Naples; I would like to thank the Lady Davis Fellowship Trust that granted me a scholarship to study at the Hebrew University. I am also indebted to ProL M.J. Ki¬

ster for his advice about this subject when I was in Jerusalem and for his invalua¬

ble suggestions. My thanks are due also to Prof G.Canova, Prof M. Lecker and Prof U. Rubin for their comments on a first draft of this article.

' What hadlt collections usually call sugüd al-shukr; about this practice see R. Tottoli: The thanksgiving prostration (sujüd al-shukr) in Muslim traditions, forthcoming.

2 See U. Rubin : TTie Eye of the Beholder. The Life of Muhammad as Viewed by the Early Muslims. Princeton 1995, 163-66; an introduction to the argument is at p. 163, then Rubin deals with the traditions concerning the prostration at the reci¬

tation of the süra of the Star (no. 53); and A. Rippin, in Encyelopaedia of Islam (=

El^), Leiden-London 1960 f, s.v. Sadjda.

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