• Keine Ergebnisse gefunden

»Transfer« der Deutschen aus der Tschechoslowakei und aus Polen

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "»Transfer« der Deutschen aus der Tschechoslowakei und aus Polen "

Copied!
86
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Was ist Militärgeschichte? Hrsg. von Thomas Kühne und Benjamin Ziemann in Verb, mit dem Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. und dem Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum, Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh 2000,359 S. (= Krieg in der Geschichte, 6), DM 7 8 - [ISBN 3-506-74475-5]

Wer heute noch auf die neue Attraktivität von Militärgeschichtsschreibung in Deutschland hinweist, dürfte damit nur noch die Geduld seiner Leser strapazieren.

Die Zeiten, in denen sich die akademische Teildisziplin im methodologischen und ideologischen Bermudadreieck von Landser-Publizistik, Wehrwissenschaften und Historischer Friedensforschung neu zu verorten suchte, sind wohl vorüber. Doch scheint sich die Disziplin in besonderer Weise immer wieder ihres eigenen For- schungsgegenstandes durch Leitpublikationen versichern zu müssen. Die ein- schlägigen Sammelbände von Ursula von Gersdorff (1974) und des Militärge- schichtlichen Forschungsamtes (1982 bzw. 1985) haben in dieser Hinsicht sicher Wegmarken gesetzt. Der vorliegende Band präsentiert also die zwischenzeitlich erfolgte Weiterentwicklung. Deshalb gehört schon ein gehöriges Maß an Chuzpe dazu, wenn die Herausgeber behaupten, »[e]rstmals im deutschen Sprachraum« den Stand und die Erträge der Forschung diskutieren zu wollen.

Heute fällt die Militärgeschichtsschreibung fast schon ihrer eigenen Attrakti- vität zum Opfer, insofern, als zentrale Forschungsgegenstände wie organisierte Gewalt, Krieg und Militär von anderen Teildisziplinen mitunter in den eigenen binnendisziplinären Theoriedebatten und zum Zwecke der eigenen wissen- schaftspolitischen Profilbildung vereinnahmt werden. Im Sammelband von Küh- ne und Ziemann, der auf eine Jahrestagung des Arbeitskreises Militärgeschichte e.V. zurückgeht, zeigt sich dieses Phänomen ganz deutlich. Wer nun dem Titel fol- gend in diesem Buch zu erfahren sucht, was Militärgeschichte ist, wird auf mehr Fragen als Antworten stoßen.

Das beginnt mit der Einleitung der Herausgeber: Diese ist sicher sehr anregend im Hinblick auf die dort aufgeworfenen Fragen und die mitunter scharfsinnige Kritik; bei der Suche nach einer Definition oder wenigstens einer eindeutigen wis- senschaftlichen Verortung scheinen sich Kühne und Ziemann nicht recht sicher ge- wesen zu sein, welchem Fähnlein sie eigentlich folgen wollen: Die unter anderem von Michael Geyer vorgeschlagene diskussionswürdige Deutung als »historische Soziologie organisierter Gewaltverhältnisse« wird wohl angesprochen (S. 39), gleich- wohl endet der Beitrag im merklichen Gegensatz dazu mit dem Appell, die Mi- litärgeschichte doch am besten in einer Historischen Friedensforschung aufgehen zu lassen, die sich erklärtermaßen der »moralisch-politischen Delegitimation« von militärischer Gewaltorganisation verschrieben hat (S. 46).

Daß sich Militärgeschichte und Historische Friedensforschung bisher nicht im- mer unbedingt befruchtet haben, sondern teilweise im Gegensatz zueinander stan- den und stehen, zeigen die beiden einleitenden Standortbestimmungen von Gerd Krumeich und Wolfram Wette. Gerade an den gegensätzlichen Positionen dieser bei- den Autoren wird eine aktuelle und wichtige Zäsur deutlich: In den 1950 bis 1970er Jahren ließ sich die Zahl der Historiker, die sich in beiden Deutschlands mit Mi- litärgeschichte befaßten, ohne dabei entweder ihre Disziplin historisch-materiali- stisch oder aber friedenspädagogisch zu überbauen, an der Hand eines Schreiners abzählen. Heute hat die Konjunktur des Themas dazu geführt, daß die Historische

Militärgeschichtliche Zeitschrift 60 (2001), S. 181-265 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

(2)

Friedensforschung - die ja in vieler Hinsicht diesen Aufschwung sogar mit ange- stoßen hat - durch ihn selbst an Bedeutung verliert. Denn viele der heutigen Hi- storiker und Historikerinnen nehmen inzwischen die Freiheit von der frie- denspädagogischen Selbstverpflichtang gerne in Anspruch, sie bildet - wie Gerd Krumeich zu Recht feststellt - geradezu die Voraussetzung für die wissenschaftliche Arbeit.

Wissenschaft und Politik sind auch das Thema von Jürgen Angelow. Er steuert einen Nachruf auf das Fach in der DDR bei, wobei er zu dem ernüchternden Schluß kommt, daß Militärgeschichte dort nicht mehr als eine »Fußnote im Kombinat der ostdeutschen Geschichtsschreibung« gewesen sei (S. 88). Mit wachsendem zeit- lichem Abstand wird man aber gleichwohl feststellen, daß dies für eine ganze Rei- he von Forschungsergebnissen so pauschal nicht gilt.

Was den Band - und auch den Stand der Forschung - weiterhin charakterisiert, ist die Absenz des Krieges als einem zentralen Untersuchungsbereich. Für Dennis E. Showalter muß heute angesichts der dominanten akademischen Paradigmen ein Autor, der den Krieg in den Mittelpnkt seiner Betrachtung zu stellen sucht, schon über ein gehöriges Maß an »Zivilcourage« und intellektuellen »Kampfgeist« ver- fügen (S. 118). Allein Bernd Wegner versucht konzise aufzuzeigen, wo, wie und warum es Sinn machen könnte, die Geschichte der militärischen Operationen (wie- der) zu erforschen.

Auffallend ist auch die Konzentration auf das Zeitalter der Weltkriege. Allein Christa Hämmerles Überlegungen zur Geschlechtergeschichte thematisieren die Rol- le von Frauen in den Streitkräften und Kriegen früherer Jahrhunderte; Stig Förster nimmt sich des ebenso unverzichtbaren wie ungelesenen Karl von Clausewitz' an;

und mit Bernhard R. Kroener formuliert der prominenteste Vertreter der deutschen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit sein Forschungsfeld. Man fragt sich, ob der Wind des Wandels die Altertums- und Mittelalterforschung noch nicht erfaßt hat oder ob deren Vertreter nur den Weg in den vorliegenden Band nicht geschafft haben?

Eine nette redaktionelle Besonderheit ist schließlich die von Dieter Langewiesche gleich mitgelieferte Rezension des Bandes. Gewissermaßen aus der akademischen

»Meckerecke« eines Außenseiters nimmt sich Langewiesche mit erfrischender Schär- fe der geschilderten Theorie- und Verteilungskämpfe um die Militärgeschichte an.

Auswahlbibliographien zu kritisieren gehört zum wohlfeilsten Geschäft von Re- zensenten. Deshalb hat es wenig Sinn, auf mögliche fehlende oder überflüssige Nen- nungen hinzuweisen, vielmehr sollte man zunächst einmal würdigen, daß sich die Herausgeber überhaupt einer derartigen Mühe unterzogen haben. Und wenn man nach der Lektüre des Bandes immer noch nicht herausgefunden hat, was nun eigentlich Militärgeschichte ist, dann findet man es wenigstens auf diesen letzten 26 Seiten.

Markus Pöhlmann

Wie Kriege entstehen. Zum historischen Hintergrund von Staatenkonflikten.

Hrsg. von Bernd Wegner in Verb, mit Ernst Willi Hansen, Kerstin Rehwin- kel und Matthias Reiß, Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh 2000, 378 S. (= Krieg in der Geschichte, 4), DM 78,- [ISBN 3-506-74473-9]

Kriegsursachenforschung ist ein klassisches Thema der Geschichts- wie Poli- tikwissenschaft. Wenn wir ein für alle Mal wüßten, wie Kriege entstehen, ließen

(3)

sie sich auch leichter vermeiden. In dem hier vorzustellenden Band sind mit einer Einleitung des Herausgebers dreizehn Aufsätze versammelt, die von der Antike bis zur Gegenwart diachron ein Panorama von Kriegen und deren Entstehung geben.

Die Autoren behandeln gelegentlich einzelne Kriege, zumeist aber ein Bündel von Kriegen einer Epoche oder langwährende Kriegszustände. Darüber hinaus weitet sich bei einigen von ihnen die Frage nach der Entstehung von Kriegen zu einer - wie auch immer gearteten - Darstellung der Kriege selbst, ihrer sozialen, politi- schen, kulturellen und nicht zuletzt psychologischen Komponenten. Staaten und Gesellschaften stehen insgesamt im Vordergrund, ohne daß die individuellen Trä- ger von Kriegen in den Hintergrund geraten.

Die Autoren sind ausgewiesene Kenner ihrer Thematik, haben oft auch bereits in Buchform oder anderenorts zu dem Thema publiziert. Sie unterscheiden sich nach Ansatz und Temperament beträchtlich; es ließe sich sehr wohl vorstellen, daß andere Autoren zu den gleichen Themen ganz andere Herangehensweisen mit völ- lig anderen Ergebnissen bieten könnten. »Antike Wege in den Krieg«, untersucht Loretana de Libero. Sie geht für je ein griechisches und römisches Beispiel von der Frage aus, wie Expansionsabsichten einzelner Politiker gesellschaftlich vermittelt wurden, »wie Menschen im klassischen Athen und Rom dazu bewegt werden konnten, für den Krieg zu stimmen« (S. 26). Krieg als Präventivmaßnahme gegen feindliche Absichten leuchtet hier als Propaganda- und Mobilisierungsstrategie ein. Norbert Ohler entwickelt für das Mittelalter ein breites Panorama an Kriegsty- pen und Kriegsrechtfertigung. Das reicht gerade in religiöse Argumentationsmu- ster und Dimensionen. Er untersucht ferner die z.T. wirtschaftlich innovative Be- deutung, die Rolle von bedingter Professionalisierung und entwirft eine Skala von mehr oder weniger großen Kriegen und Kreuzzügen bis hin zu Fehden im Klein- gruppenbereich. Die Ursachen werden kaum gesondert thematisiert.

Eine kluge Neuiriterpretation des Dreißigjährigen Krieges hat Johannes Burk- hardt bereits 1992 geliefert; hier faßt er seine Argumente nochmals zusammen. Es gab die Konfliktebene des Religionskrieges, aber auch des Staatenbildungskrieges, die sowohl partikularstaatliche Anerkennung als auch Konflikte um universal- staatliche Konkurrenz zum Thema hatten. Beide lagen in einer z.T. unauflöslichen Gemengelage, überschnitten sich in jedem der vielen Einzelkonflikte. Was Burkhardt deutlich macht, ist die Tatsache, daß dieser semantisch schon von den Zeitgenos- sen zusammengedachte Krieg von dreißig Jahren nicht einen Beginn etwa im Jah- re 1618 hatte, sondern vielfältige Kriegsschauplätze und damit andere Kriege zu un- terschiedlichen Zeiten ineinander wuchsen. »Die frühmodernen Konfessionsstaa- ten im Aufbau nahmen die Religion für den Staatszweck in Anspruch, handelten sich damit aber auch die strukturelle Intoleranz der frühneuzeitlichen Konfessi- onsbildung ein« (S. 86): Dafür sei der Dreißigjährige Krieg ein typisches Beispiel.

Ein ebenfalls Jahrzehnte dauernder Konflikt war der Große Nordische Krieg 1700-1721 (Eckardt Opitz). Auch Opitz breitet von einer dynastischen Frage (Got- torf) über schwedische, russische, sächsisch-polnische Interessen ein Panorama von Hauptkonflikten aus. »Die Ursachen für den Ausbruch des Nordischen Krie- ges dürften dabei aber kaum deutlich geworden sein [...] Mit einfachen Formeln ist dem Großen Nordischen Krieg ohnehin nicht beizukommen« (S. 94). Und dann macht der Autor deutlich, daß sich der Krieg selbst von seinen Ursachen dyna- misch emanzipierte. Skeptisch schließt er, daß die »Persönlichkeiten in leitender Funktion« eher verantwortlich waren als die allgemeinen Strukturen. Bei den Ur- sachen des Spanischen Erbfolgekrieges läßt sich John B. Hattendorf kaum auf eine

(4)

Ursachendiskussion ein, wenn er feststellt, daß nach dem Frieden von Rijswijk 1697 bereits nach vier Jahren wieder Krieg herrschte: Er war kaum mehr als ein Waffenstillstand. In diesem Zusammenhang umreißt er in einem breiten Panora- ma die Interessen und die Involviertheit fast aller (west-)europäischen Staaten, die ihre Interessen sehr unterschiedlich glaubten wahrnehmen zu müssen.

Sehr viel zupackender behandelt Bernhard R. Kroener den Siebenjährigen Krieg.

Er geht davon aus, daß Staatsbildung (das Thema von Johannes Burkhardt), Steu- erwesen und Kriegführung zentrale Steuerungselemente der Souveräne gewesen seien. Der Krieg selbst habe gerade in seiner Vorbereitung dem noch kaum großmäehtlichen Preußen durch eben entsprechende Rüstungsmobilisierung ei- nen Vorteil verschafft. Die anderen Großmächte unterschätzten diese Möglichkeit und waren während des Krieges selbst nicht in der Lage, die Leistungsfähigkeit ihrer Staaten für Kriegführung wesentlich zu erhöhen. »Preußen überlebte das sie- benjährige Ringen, weil sein Herrscher entgegen allen Gewohnheiten europäischer Politik und Kriegführung im 18. Jahrhundert die verfügbaren Ressourcen seines Staates ausschließlich den Zwecken einer gewaltsamen Politik untergeordnet hat- te«. Auch die französischen Revolutionskriege (T.C.W. Blanning) waren nicht primär eine Auseinandersetzung zwischen einem revolutionären Frankreich und dem Rest Europas - zumindest in den Ursprüngen. Es gab bereits zuvor vielfältige Kon- fliktlagen und Kriegsabsichten der Staaten, untereinander, die nur eine.Aufladung erfuhren. »Es kam 1792 zum Krieg, da Franzosen, Preußen und Österreicher alle überzeugt waren, in einem kurzen und leichten Krieg schnell große Gebietser- werbungen machen zu können. Wie es sich herausstellte, waren sie alle im Irrtum«

(S. 186). Am ehesten auf die traditionelle Unterscheidung von Kriegsursachen und -anlässen läßt sich Winfried Baumgarts Abhandlung über den Krimkrieg 1853-1856 reduzieren. Er diskutiert die Momente eines totalen Krieges, die mit denen einen Kabinettkrieges eine sonderbare Mischung eingingen. Der lokale Krieg führte nicht automatisch in den europäischen Krieg, entwickelte aber bis zum Frieden von Pa- ris recht unterschiedliche Konstellationen, die potentiell zum gesamteuropäischen Krieg hätten eskalieren können.

Stig Förster bzw. Klaus-Jürgen Müller diskutieren die Ursachen der beiden Welt- kriege des 20. Jahrhunderts und führen in ihrem umfänglichen Texten eine Fülle von Strukturbedingungen innergesellschaftlicher wie zwischenstaatlicher Art an, die mehr oder weniger nachdrücklich zum Kriege beitrugen. Das soll hier nicht refe- riert werden. Mentalitätsgeschichtliche Deutungen stehen bei Förster im Vorder- grund, wenn er die Verursachung des Krieges »ins Reich des Absurden« setzt. Am deutschen Beispiel läßt sich zeigen, »daß Kriegsbild, operative Planung und der Wille zum Losschlagen nicht zusammenpaßt« (S. 251). Bei Müller dagegen steht die deutsche Verursachung, vor allem Hitlers Kriegswille, im Vordergrund ge- genüber Bedingungen des Staatensystems, die bis 1939, ja bis 1940 zur Ermögli- chung des europäischen und dann des weltweiten Krieges führten. Der Kalte Krieg blieb ja in seinen entscheidenden Formen ein potentieller Krieg. Den »Ursprüngen und Überwindung« geht Wilfried Loth in einem faszinierenden Panorama von mehr als 40 Jahren Staatenpolitik nach. Er sieht viele verpaßte Chancen zu einem Aus- gleich, zumal sich im letzten Jahrzehnt deutlich herausgestellt hat, daß die So- wjetunion nicht die gleichberechtigte Weltmacht war, die sie zu sein schien. »An- ders als es die bipolare Welt sich nahelegt, war der Kalte Krieg nie ein Konflikt zwischen zwei im Prinzip gleichrangigen Größen, sondern ein Konflikt zwischen dem prinzipiell eine Vielzahl von Lebensformen und Machtkonfigurationen zu-

(5)

lassenden westlichen System und der tendenziell totalitären Verabsolutierung ei- ner dieser Möglichkeiten im Ostblock.«

Den real geführten Kriegen seit 1945 (1944 bis 1992: 184 Kriege) widmet sich das AKUF (Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung an der Universität Ham- burg)-Projekt, das Klaus Jürgen Gantzel seit Jahrzehnten betreibt und hier vorstellt.

Es geht politikwissenschaftlich um Quantifizierung. Der Autor erklärt hypothe- tisch, »daß die geschilderten Charakteristika des Kriegsgeschehens seit 1945 als Ausdruck weltweiter Vergesellschaftungsdynamik unter kapitalistischem Vorzei- chen zu sehen sind« (S. 316). Normativ schließt er, »daß es sich bei den vielen Krie- gen in der Dritten und nun auch vormals Zweiten Welt um einen konfliktiv nach- holenden Prozeß kapitalistischer Vergesellschaftung und bürgerlicher Staatskon- solidierung handelt, der eines Tages in eine Zivilisierung wie in den kapitalisti- schen Metropolen münden müßte« (S. 318). In einem faszinierenden Überblick über die militärischen Konflikte im früheren Jugoslawien von 1991 bis 1995 schreibt

Wolf gang Höpken nicht nur fast schon ein eigenes kleines Buch, sondern wider- spricht der systemischen Erklärung Gantzels fast diametral, wenn er das »in vier- zig Jahren europäischer Friedfertigkeit eingeschliffene >Porträt der Moderne< als Selbsttäuschung [enttarnt], wonach kriegerische Gewalt nurmehr noch ein Phä- nomen einer >rückständigen<, außereuropäischen Peripherie sei, Friedfertigkeit hingegen das Signum der entwickelten > Zentren < sei« (S. 319). Er sieht vielmehr im ehemaligen Jugoslawien eine durchaus moderne Konfliktmischung innerge- sellschaftlicher wie zwischengesellschaftlicher Art, die sich aus dem Zerfall des titoistischen Jugoslawiens schon seit den achtziger Jahren abzeichnete. Mentale Dispositionen, Kriegsdynamik etc. überschnitten und überschneiden sich in viel- fältiger Form.

Was bleibt? Bernd Wegner weist der Geschichtsschreibung die skeptische Rolle zu, kaum etwas über das »Wesen kollektiver Gewaltbereitschaft im Allgemeinen sagen« zu können und wendet sich gegen zu weitgehende Hoffnungen von sozial- wissenschaftlicher Kriegsursachenforschung, die nach seiner Meinung eher mit außerwissenschaftlichen Bedürfnissen und Hoffnungen verknüpft sei. Die von ihm und seinen Mitautoren vorgelegten »historisch angemessenen Interpretationen ver- gangener Kriegsausbruchsszenarien« (S. 11) fordern also zu einem fortdauernden Dialog mit den Generalisierungen anderer Wissenschaften heraus. Wenn Klaus Jür- gen Gantzel 1972 einen Band unter dem Titel »Konflikt - Eskalation - Krise« über die Ursachen des Ersten Weltkrieges im Dialog von Sozialwissenschaftlem und Hi- storikern herausgab, so hat sich in der Detailinterpretation und in der Einschätzung von Erkenntnismöglichkeiten von seifen der Historiker gegenüber systemisch und zukunftsorientierten Sozialwissenschaften leider bis heute nicht viel verändert.

Jost Dülffer

Michael Kaiser, Politik und Kriegführung. Maximilian von Bayern, Tilly und die Katholische Liga im Dreißigjährigen Krieg, Münster: Aschendorff 1999, X, 582 S. (= Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 28), DM 134,- [ISBN 3-402-05679-8]

Die Schlacht bei Breitenfeld am 17. September 1631 markiert einen der entschei- denden Wendepunkte des Dreißigjährigen Krieges. Die Niederlage der kaiserlich-

(6)

ligistischen Truppen läutete unwiderruflich das militärische Ende ihres Feldherrn Johann Tserclaes von Tilly und den politischen Niedergang der Katholischen Liga unter Führung des bayerischen Kurfürsten Maximilian ein. Zugleich bereitete sie den Boden für den weiteren ungebremsten Vorstoß der Schweden unter Gustav Adolf ins Reich und den erneuten Aufstieg Wallensteins, der erst mit der Bluttat von Eger sein Ende fand.

Michael Kaiser hat den Tag von. Breitenfeld als Fluchtpunkt seiner Untersu- chung gewählt und die pointierte These formuliert, daß die Schlacht bereits verloren war, bevor auf dem Gefechtsfeld überhaupt der erste Schuß fiel. Damit löst er sich deutlich von dem häufig vorgebrachten Erklärungsmuster der erfolgreichen Mili- tary Revolution. Dieses bewertet Breitenfeld als den klaren Sieg der aus der ora- nischen Heeresreform weiterentwickelten taktischen Formation der schwedischen Brigade über die aus der spanischen Schule hervorgegangenen kaiserlich-ligisti- schen Tercios. Kaiser bestreitet diese Deutung nicht, will sie aber eingebettet wis- sen in das Umfeld des politischen Vorgangs, der die Rahmenbedingungen für die wahrgenommenen militärischen Optionen geschaffen hat.

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht dabei das Beziehungsdreieck zwischen Maximilian von Bayern, seinem Feldherrn Tilly und der Katholischen Liga, beob- achtet an einem der Kulminationspunkte des Dreißigjährigen Krieges nach der Ab- berufung Wallensteins und im Zuge des Kriegseintritts der Schweden unter Gustav Adolf. Dieser Istzustand wird detailliert aus der Geschichte des Zeitraums von 1620 bis 1631, dem Jahrzehnt der großen Erfolge der Liga, hergeleitet. Politische, militärische und persönliche Aspekte finden dabei gleichermaßen Berücksichti- gung.

Mit beeindruckender Quellenkenntnis und -nähe gelingt es dem Autor, zu- nehmend deutlichere Konturen der Beteiligten herauszuarbeiten. Spiritus rector des Geschehens war der bayerische Kurfürst Maximilian, der ab 1620 im Interes- se seines Hauses und der neu erworbenen Kurwürde als Bundesoberst wesentlich die Geschicke der Liga und seines Generalleutnants Tilly lenkte. Er wird nach- vollziehbar als Homo politicus dargestellt, der auf unterschiedlichen Schauplät- zen die Stellung seines Hauses im Konzert der Reichsfürsten, in Abgrenzung zu den Habsburgern und nicht zuletzt im europäischen Kontext auszubauen suchte. Grund- lage dafür war die bereits weitgehende Zentralisierung der Verwaltung und die erfolgreiche Verstaatlichung des Militärwesens in Bayern.

Dem Kriegsherrn Maximilian stand der Feldherr Tilly zur Seite. Beide verband eine enge und vertrauensvolle Kooperation, die sich deutlich vom zeitgenössi- schen Normalzustand abhob. Im Gegensatz zu den vergleichsweise unzuver- lässigen Kriegsunternehmern des Dreißigjährigen Krieges diente Tilly mit einer weit in die Zukunft weisenden Loyalität. Die Treue zu seinem Dienstherrn und uneingeschränkte Anerkennung des Primats der Politik machten in ihm den Vertreter eines Offizierkorps späterer Epochen erkennbar. Vor allem gegenüber dem neuen schwedischen Gegner galt Tilly als Vertreter der veralteten spanischen Schule des Kriegswesens. Seine auf kompromißlose Offensive setzende Massen- taktik erzielte jedoch in dem Jahrzehnt von 1620 bis 1630 bedeutende Erfolge, und auch bei Breitenfeld sah es zunächst nach einem Sieg der kaiserlich ligistischen Truppen aus. Tilly genoß zudem bei seinen Soldaten hohe Reputation als erfah- rener und vom Glück begünstigter Feldherr. Die für die Zeit durchaus un- gewöhnliche Fürsorge von »Vater Jean« für seine Kriegsknechte war sprichwört- lich.

(7)

Maximilians politisches Instrument war die Liga, der Sonderbünd katholischer Reichsstände, geeint durch die gemeinsamen Prinzipien der Defension, der Neu- tralität und der Exekution. Defension, die Wahrung und Verteidigung der territo- rialen Integrität der Mitgliedsstände, war Minimalkonsens und Grundlage des ge- meinsamen Agierens der Liga. Damit in engem Zusammenhang stand das Prin- zip der Neutralität, das insbesondere gegenüber einer Einbeziehung in den nie- derländischen Krieg der Habsburger konsequent ins Feld geführt wurde. Politische Selbstbeschränkung der Ligastände und eine durchaus eigennützige Verweige- rungshaltung zum Nachteil des Kaiserhauses griffen hierbei ineinander. Ambiva- lent war schließlich das dritte Prinzip, die Ligaarmee niemals kraft eigenen Rech- tes, sondern formaljuristisch stets zur Exekution kaiserlicher Kommissionen ein- zusetzen. Dies entband zwar den Bundesoberst Maximilian von eigener Verant- wortung, band das Heer jedoch eng an die kaiserliche Legitimation und damit an die politischen Vorgaben Habsburgs.

Dies wurde in dem Moment zum Problem, als die latente Rivalität zwischen den Häusern Wittelsbach und Habsburg auch auf die militärische Zusammenar- beit zwischen Kaiser und Ligaarmee durchschlug. So war die erste Amtszeit Wal- lensteins nicht zuletzt der erfolgreiche Versuch des Kaisers, sich militärisch und politisch von der Liga zu emanzipieren, begleitet von der zunehmend deutlicher formulierten Kritik der Ligastände an dem immer bedrohlicher auftretenden kai- serlichen General. Erst mit dessen Absetzung 1630 schien dann das Gleichgewicht der Kräfteverteilung im Reich wiederhergestellt, aber - wie sich zeigen sollte - auf Kosten erheblicher Einschränkungen der militärischen Handlungsfähigkeit.

Die Suche nach einem politisch opportunen und militärisch geeigneten Führer der verwaisten kaiserlichen Truppen gestaltete sich außerordentlich schwierig.

Kompromißkandidat der unter gegenseitigem Mißtrauen geführten Verhandlun- gen des Regensburger Kurfürstentages war schließlich der Feldherr der Liga, Tilly.

Er sollte in Doppelfunktion militärischer Führer sowohl des Ligaheeres wie der kaiserlichen Truppen sein, beides jedoch als weisungsgebundener Generalleutnant und damit im Ergebnis als Diener zweier Herren mit durchaus divergierenden In- teressen. Dazu mußte er in einer ausgesprochenen militärischen Krisenlage gegen einen höchst dynamischen Gegner, den schwedischen König Gustav Adolf antre- ten, der seit seiner Landung an der Ostseeküste im Sommer 1630 von Erfolg zu Er- folg eilte und immer tiefer ins Reich eindrang.

Die politische Ausgangslage für den Feldzug 1631 war für Tilly problematisch.

Der Kaiser fürchtete ein Vordringen der Schweden in die Erblande, während Ma- ximilian und die Liga nur geringes Interesse am Krieg gegen den Reichsfeind hat- ten. So wurden die militärischen Energien zunächst in die Belagerung Magde- burgs investiert, dessen spektakuläre Eroberung und Zerstörung im Mai 1631 den letzten großen Erfolg Tillys markierte. Der dann nach langem Zögern durchge- führte Einmarsch nach Sachsen, das sich als Haupt der protestantischen Partei zum Zusammengehen mit dem schwedischen König entschlossen hatte, führte in die militärische Katastrophe von Breitenfeld. Die Niederlage beendete den Nim- bus des ungeschlagenen Feldherrn Tilly ebenso wie die politische und militäri- sche Epoche der Katholischen Liga. Es folgte der Wiederaufstieg Wallensteins, ge- paart mit der wiedenim erhöhten Handlungsfähigkeit des Kaisers gegenüber den katholischen Reichsständen, und der große Krieg gegen den Sturmlauf der Schwe- den. Besiegelt war damit auch der Status Bayerns als Mittelmacht im Schatten der Habsburger.

(8)

Kaiser erzählt diese Ereignisse spannend und nachvollziehbar, gestützt auf ei- ne breite Quellenbasis. Kritisch zu bewerten ist lediglich die gewagte Methode, Quellenzeugnisse aus einem ganzen Jahrzehnt gleichwertig nebeneinanderzus tei- len, um eigene Thesen zu belegen. Dieses Vorgehen wird zwar in der Einleitung an- gekündigt und begründet, müßte aber gleichwohl an den betreffenden Stellen im Text jeweils intensiver erläutert werden.

Durch die Fokussierung auf die enge Wechselbeziehung zwischen politischen Vorgaben und militärischen Handlungsoptionen gelingt es dem Autor, seine Pro- tagonisten wirkungsvoll ins Bild zu setzen. Dies gilt vor allem für Johann Tserclaes von Tilly, der sonst allzusehr hinter die historiographisch beherrschende Gestalt Wallensteins zurücktritt. So liefert das vorliegende Werk neben der politischen Er- eignisgeschichte einen wesentlichen Beitrag zu der noch ausstehenden modernen Biographie dieses bedeutenden Feldherrn des 17. Jahrhunderts.

Thomas Lindner

Alex Nussbaumer, Zuger Militär. Im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Das Zuger Militärwesen im 18. Jahrhundert, Rotkreuz:

Zürcher Druck und Verl. 1998,363 S. (= Beiträge zur Zuger Geschichte, 13) Trotz guter Quellenlage und trotz der Pionierstudien Hans Conrad Peyers und Hermann Suters aus den siebziger Jahren ist eine gesellschaftsgeschichtlich orien- tierte Militärgeschichte der frühneuzeitlichen Innerschweiz bis anhin ein unbe- ackertes Feld geblieben. Alex Nussbaumer legt nun die faszinierenden Wechsel- wirkungen von Innen- und Außenpolitik, von Solddienst und Oligarchie am Bei- spiel des Landsgemeindeorts Zug und dessen Milizsystem offen. Der Autor hat verdienstvollerweise die Organisation des Zuger Milizwesens mittels aufwendi- ger Quellenarbeit rekonstruiert.

Das Innerschweizer Militärwesen war aufgrund einer fehlenden »military re- volution« in den Rückstand geraten, nicht nur gegenüber Frankreich oder den deutschen Fürstenstaaten, sondern auch gegenüber den protestantischen eid- genössischen Orten. Fehlende Ressourcen, aber auch eine Abneigung gegen ein als »absolutistisch« empfundenes stehendes Heer führten zur Ablehnung des »De- fensionalwerks« im 17. Jahrhundert, dem Versuch, das Militär auf eidgenössischer Ebene zu modernisieren. Die traditionelle Selbstausrüstungspflicht wurde wie die allgemeine Wehrpflicht beibehalten, mit dem Resultat, daß gerade die wachsen- den ärmeren Schichten praktisch unbewaffnet blieben. Die Quittung für die un- terlassene Modernisierung erhielten die katholischen Orte während des »Zweiten Villmergerkriegs« von 1712, den sie gegen die protestantischen Mitorte verloren.

Dem Schock von 1712, aus dem Gebietsverluste resultierten, folgte 1715 der soge- nannte »Trücklibund«, ein Geheimbund der katholischen Orte mit Frankreich mit dem Ziel der Restitution der verlorenen Gebiete. Die Niederlage gegen die prote- stantischen Orte zeigte den katholischen Eliten die Notwendigkeit einer militäri- schen Modernisierung drastisch auf. Doch die Angehörigen der Zuger Oligarchie, die meist selbst als Soldherren in Frankreich schweizerische Truppen komman- dierten, handelten erst 1757 mit der Einführung einer Zuger Militärorganisation, welche es sich zum Ziel machte, beinahe 100 Prozent der Dienstpflichtigen in die Auszugsordnung einzuteilen. Der »Liviner-Zug« von 1755, eine gemeinsame Ak-

(9)

tion der katholischen Eidgenossen gegen die widerspenstigen Leventiner, Unter- tanen von Uri, hatte die Dringlichkeit des Handelns, noch einmal vor Augen ge- führt. Es war Oberstleutnant Franz Fidel Landtwing, der das Militärreglement aus- arbeitete, das im Unterschied zu anderen Innerschweizer Militärreglementen kein reines Exerzierreglement war, sondern auch Vorschriften betreffend Organisation, Bewaffnung, Ausrüstung, Ausbildung und Disziplin enthielt (Abdruck des Re- glements im Anhang). Neu am Reglement war, daß der Staat die Bedürftigen bei der Beschaffung der Ausrüstung unterstützen sollte. Im gesamtschweizerischen Vergleich trat Zug somit auf der normativen Ebene gerade hinter die protestanti- schen Vororte Bern und Zürich.

Der Autor zeigt in einem aufwendigen prosopographischen Teil auf, wie sich die Mitglieder der höchsten Institution der Stadt Zug, dem »Kriegsrat«, aus der politischen Elite rekrutierten, wobei fachliche Kompetenzen berücksichtigt wur- den. Die grundsätzlich obrigkeitskritische Haltung des gemeinen Mannes führte jedoch dazu, daß in der Institution ein weiteres Gremium der Oligarchie erblickt wurde. Ein anderes prinzipielles Manko macht Nussbaumer in der nicht klar ge- regelten Finanzierung der Reform aus. Die den Landsgemeindeorten fremde Pra- xis einer direkten Besteuerung konnte nie anderweitig kompensiert werden, und das grundsätzliche Mißtrauen der Zuger gegenüber Militärausgaben wuchs noch durch die mangelnde Transparenz der Finanzierung. Der Widerstand gegen die Ausgaben war besonders stark ausgeprägt in den drei ländlich geprägten Amtern Ägeri, Menzingen und Baar, die sich in einem grundsätzlichen Antagonismus zur Stadt Zug begriffen und empfindlich auf Eingriffe in ihre Autonomie reagierten. Dis- ziplinlosigkeit und eine negative Einstellung weiter Teile der Bevölkerung gegen- über dem Drill und anderen sozialdisziplinierenden Maßnahmen schmälerten die hohen normativen Ansprüche weiter. Allzu hart konnten die Angehörigen der Eli- te Verstöße nicht sanktionieren, drohten doch - der »Zweite Harten- und Linden- handel« der 1760er Jahre lag als warnendes Beispiel vor Augen - Abwählen an Landsgemeinden oder noch schärfere Maßnahmen. Wie ein roter Faden zogen sich Absenzen von Musterungen und Exerzierübungen durch das ganze 18. Jahrhun- dert. Als eine direkte Folge davon wurde die Frequenz der ursprünglich mindestens einmal pro Jahr durchgeführten Schießübungen reduziert. An der mangelnden Be- reitschaft zu exerzieren konnten auch obrigkeitliche Appelle an ein staatsbürger- liches Bewußtsein oder mannigfaltige Bußen und Ehrenstrafen kaum etwas än- dern. An dieser Stelle wäre es interessant gewesen, sich mit dem Berner Historiker Peter Hersche über eine »intendierte Rückständigkeit« (von unten) Gedanken zu machen, sich zu fragen, inwieweit eine Verweigerungshaltung gegenüber militär- technischen Innovationen und Rüstungsausgaben vom Großteil der Bevölkerung getragen wurde. Anstatt nur die »Mißerfolge« von oben hätte man auch die »Er- folge« von unten verstärkt in Betracht ziehen können.

Nussbaumer evaluiert die neue Militärorganisation, die sich auf dem Papier so bedeutsam ausnimmt, anhand der Grenzbesetzung von 1792 sowie in bezug auf die französische Invasion von 1798. Er kommt zum Schluß, daß die Zuger Miliz im Jahre 1798 »ihren Hauptauftrag, den Schutz des Kantons Zugs vor äusserer Be- drohung« (S. 269) nicht erfüllen konnte. Daß dies auch an der Überlegenheit Frank- reichs lag, versteht sich von allein.

Nussbaumers Studie besticht durch ihre breite Verarbeitung von Quellen und durch ihre Genauigkeit. Der Autor hat am Beispiel der militärischen Modernisie- rungsversuche Zugs dargelegt, wie zwar eine schmale Elite durchaus neue Ideen

(10)

verwirklichen wollte, wie diese aber an den fehlenden Ressourcen und, wohl noch wichtiger, an der mangelnden Bereitschaft zu Drill und Disziplin weitgehend ge- scheitert sind. Daß Nussbaumer mit der Absetzung der Zuger Regierung durch eine »Kriegslandsgemeinde« im Jahre 1712 - eine bislang unbekannte, wichtige Episode der Zuger Landesgeschichte - eine archivalische Entdeckung ersten Ran- ges gelang, paßt zum rundum positiven Bild dieser auch optisch apart aufge- machten Dissertation.

Fabian Brändle

Militaires en Republique 1870-1962. Les officiers, le pouvoir et la vie publique en France. Actes du colloque international tenu au Palais du Luxembourg et ä la Sorbonne les 4,5 et 6 avril 1996. Sous la direction de Olivier Forcade, Eric Duhamel, Philippe Vial, Paris: Publications de la Sorbonne 1999,734 S.

(= Histoire de la France XIXe-XXe siecles, 47), FF 230 [ISBN 2-85944-362-2]

Das vorliegende Werk zerfällt dem genannten Kolloquium folgend in drei thema- tisch differenzierte Teile, wobei, auch in der Untergliederung, Chronologie weit- gehend nicht zur Geltung kommt. Im ersten Teil über Institutions militaires et in- stances de decision geht es um die Haltung der hohen militärischen Entscheidungs- träger gegenüber den politisch maßgebenden Instanzen und folglich das Eingrei- fen der Militärs in die Politik. Der zweite Teil, betitelt Les militaires au risque de la politique, behandelt die Teilnahme jener Offiziere am politischen Leben, die sich entschlossen- hatten, »die Uniform mit der Toga zu vertauschen« - eine ein- drucksvolle Formulierung, die, obschon den Sachverhalt großzügig angehend, po- litisches Handeln aktiver oder ehemaliger Militärs anspricht. Der dritte Teil Cultures, sensibilites et engagements setzt sich mit scheinbar apolitischen Offizieren von 1872 bis 1945 auseinander sowie dem Verhalten bedeutender Militärs in den großen na- tionalen Krisen. Eine scharfe inhaltliche Trennung zwischen den Teilen ist weder gelungen noch gewollt, so daß manche Untersuchung verschieden einzuordnen wäre. Dem Rezensenten ist es nicht möglich, alle fünfzig Beiträge zu berücksich- tigen. Die umfangreiche und auch profunde Materie zwingt zur' Auswahl, die es wagt, sich über die Gliederung hinwegzusetzen, ohne dabei das thematische An- liegen des Unternehmens zu beeinträchtigen. Wenn dabei eine Reihe von Beiträgen nicht zur Geltung kommt, so soll das keine differenzierende Wertung sein.

Die »Prosopographie des militaire ministres sous la troisieme republique« von Jean Estebe am Anfang des zweiten Teils ist ein Schlüssel zum Verständnis des Kol-

loquiums. Die Zeit der dritten Republik erscheint in drei Phasen, die von 1870 bis 1888, als grundsätzlich die Militärs die Kriegs- und Marineminister stellten, 1888 bis 1911, Jahre, in denen die Ressorts wechselnd von Zivilisten und Militärs be- kleidet wurden, und 1911 bis 1940, als die Mehrzahl der Minister aus dem zivilen Bereich kam. Die Tabellen über die soziale Herkunft der Generale, die Mitglieder der Exekutive wurden, sind aufschlußreich. Wir erhalten Einblick in die politischen und militärischen Karrieren jener Persönlichkeiten und ihrer Motivationen. Die- ser im Vergleich zu den anderen Beiträgen relativ kurze Aufsatz ist einer der er- giebigsten. Liest man sodann den Beitrag von Jean-Charles Jauffret über die Arbei- ten der Kommission zur Reorganisation der Armee 1871 bis 1875, so wird der Stel- lenwert deutlich, den für Frankreich der Wiederaufbau der Armee nach der Nie-

(11)

derlage im deutsch-französischen Krieg hatte. Aber Bonapartisten und Legitimisten stellten in der Kommission mehr als ein Drittel, zusammen mit den gemäßigten Rechten drei Viertel der Mitglieder, was die republikfeindliche Grundeinstellung der hohen Offiziere in den folgenden Jahren oder Jahrzehnten erklärt. Olivier For- cades Beitrag zeigt die Stimmung der Armee nach Sedan, der Pariser Kommune und den Friedensverträgen von Versailles und Frankfurt. Der Titel »Les murmurs

>de la grande muette< de la troismieme republique« trifft, wenngleich General Del- mas schon in seinem Vorwort diesen Ausdruck verworfen hat, die Situation präzis, denn es wurde nicht darüber gesprochen, sondern gehandelt. Die militärische Führung war von der Notwendigkeit durchdrungen, die Ursachen der Niederla- ge aufzuarbeiten und notwendige Reformen durchzuführen. Der Autor muß zu- geben, daß die Generale die Republik nicht begrüßten und das Durchsetzungs- vermögen der republikanischen Elite begrenzt war. Das bestätigen auch die Aus- führungen von Franqois Roth über den »Marschall-Präsidenten« Graf de Mac Ma- hon, der 1873 auf Thiers als Staatspräsident und für ein Jahr auch als Ministerpräsident folgte. Hier taucht die Frage auf, inwieweit der entschiedene Gegner der Republik ein dem nationalen Geist entsprechendes oder gespaltenes Offizierkorps geschaffen hat. Mußte doch der Marschall sich zeitweise zwischen ei- ner mehrheitlich rechts stehenden Exekutive und einem Parlament mit republika- nischer Mehrheit behaupten. Die Einzelheiten über die Auswirkung seiner Politik auf die deutsch-französischen Beziehungen werden ansprechend dargelegt. Man muß den folgenden Beitrag von George Gugliotta über den General de Cissey da- neben stellen. Der Autor hat es verstanden, den großen Anteil de Cisseys, der in den ersten sieben Regierungen nach 1871 Kriegsminister und 1874/75 gar Regie- rungschef war, an der Heeresreform darzustellen. In diesen Kontext gehören auch die Untersuchungen von Christophe Prochasson und Vincent Duclert über die Haltung des Offizierkorps in den großen Prozessen der Dreyfusaffäre. Wie das Land wa- ren auch die Militärs in zwei Lager, die Dreyfusards und Anti-Dreyfusards ge- spalten. Zunächst stehen die beiden großen Prozesse, der Zolaprozeß von 1898 und der Prozeß von Rennes 1899, im Vordergrund. Ging es den militärischen Anti-Drey- fusards in jener Krise der Republik letztlich darum, die pouvoir militaire auf- rechtzuhalten, so litt bei anderen darunter der Glaube an die Rechtsstaatlichkeit.

Dabei wird die größte Schuld General Auguste Mercier, 1893 bis 1895 zweimal Kriegsminister, zugewiesen, wobei auch die Haltung der auf ihn folgenden Res- sortchefs Cavaignac, Zurlinden, Billot, Chanoine und Freycinet beleuchtet wird.

Auch hier wird faßbar, warum sich nach Freispruch und Rehabilitierung des Haupt- manns Dreyfus 1906 im hohen Offizierkorps noch Anti-Dreyfusardismus hielt, was der Action Frangaise zugute kam.

In den letzten Jahrzehnten der dritten Republik ragen zwei starke Persönlich- keiten hervor, die Generale Maginot und Gamelin. Marc Sorlot beleuchtet die Hal- tung Maginots als Kriegsminister unter Poincare 1922 bis 1924. Die erneute Be- drohung Frankreichs durch Deutschland voraussehend forderte Maginot recht- zeitig vorbeugende Maßnahmen, und damit war die Besetzung solcher Gebiete gemeint, die dem Gegner zum Aufmarsch und zur industriellen Vorbereitung des Angriffs dienten. Nicht also die Reparationsfrage war entscheidend. So setzte er bei Poincare, der zunächst zurückhaltend war, nicht nur die Ruhrbesetzung, son- dern auch die Politik der Faustpfänder durch. Das Risiko der vorzeitigen Räumung des linken Rheinufers verband er mit dem Bau einer großen Befestigungslinie, die seinen Namen trug und als persönliches Prestigeunternehmen erscheint. Martini S.

(12)

Alexander widmet sich General Gamelin. Dieser wurde im Januar 1938 von Mini- sterpräsident Daladier zum Generalstabschef der nationalen Verteidigung ernannt, womit er faktisch Oberkommandierender der Streitkräfte war und später vom Vichyregime für das Debakel zwischen dem 10. und 19. Mai verantwortlich ge- macht wurde. Eine Auffassung, die nach Vichy in der Historiographie am Leben geblieben ist. Der Autor bemüht sich um den Nachweis, daß Gamelin trotz der Wi- derstände von politischer Seite aus Frankreich eine mächtige Militärmacht ge- schaffen hat und von 1919 bis 1939 kein Kriegsminister soviel wie er zur nationa- len Verteidigung beigetragen hat.

Über Marschall Petain als Kriegsminister hat Jean Pierrier-Cornelli seinen Bei- trag verfaßt. Petain übernahm dieses Amt nach den Februarunruhen 1934 in der Regierung Doumergue. Auch er betrieb die Modernisierung der Armee, bekam aber nicht die notwendige Unterstützung von der politischen Führung und ist da- her nicht verantwortlich für die Versäumnisse, die ihm später, zum Beispiel von de Gaulle aus London, vorgeworfen wurden. Auf Petain kommt dann der Beitrag von Romain Rainero im letzten Teil des Buches zurück.

Gegen Ende des zweiten Teiles führt uns Jacques Nobecourt Colonel de la Rocque als Führer der rechtsextremen »Croix de Feu« vor Augen. Den Weg dieser Bewe- gung, die im höheren Offizierkorps eine beachtliche Zahl von Anhängern hatte, zum Partie Populaire Frangais (PPF) beschreibt Jean-Paul Thomas. Gelungen ist der von Klaus-Jürgen Müller vorgenommene Vergleich des Antikommunismus der fran- zösischen und deutschen Militärs zwischen 1920 und 1940. Ohne die Haltung der Franzosen herunterzuspielen kommt er zu dem Ergebnis, daß bei den deutschen Militärs der Antikommunismus virulenter und aggressiver war als in Frankreich.

Doch gibt er zu, daß für die Militärs beider Länder der Kommunismus als absoluter Feind galt, und zieht die Linie bis in die Nachkriegszeit, da innerhalb der west- lichen Allianz die ehemaligen Offiziere der Wehrmacht treibende Kräfte des Anti- kommunismus waren und ihre gleichaltrigen französischen Kollegen ebenso dem Vietminh und der algerischen »Front Nationale de la Liberation Nationale« (FLN) gegenüber feindlich eingestellt waren.

Christine Levizze Touze untersucht die Haltung der militärischen Führung Frank- reichs nach der Niederlage im Juni 1940. Sie zeigt einerseits, wie wenig aussichts- reich die Fortsetzung des Krieges war, aber zugleich die Obstruktion des Generals Nogues, damals Oberbefehlshaber in französisch Afrika, wie auch anderer Pro- konsuln des Empire. Doch darüber ist hinreichend publiziert worden, so daß eine nochmalige Ausschöpfung der Akten nichts Neues bringt. Jean Delmas zeigt Ver- ständnis für die Offiziere der Waffenstillstandsarmee 1940 bis 1942 und ihren Ge- horsam gegenüber dem Staatschef. Aber diese Armee war auch Zuflucht für jene, die zum gegebenem Zeitpunkt die Fortsetzung des Kampfes wünschten, Die mit der Resistance verbundene »Organisation Metropolitaine de 1'Armee« (OMA), die später zur »Organisation de la Resistance« (ORA) wurde, erfährt besondere Berück- sichtigung. Der Soldat des Widerstandes war nach Delmas besonders politisch, da er sich Gedanken über die Zukunft Frankreichs machte. Die Ausführungen über die beiden französischen Armeen in der Zeit des Zweiten Weltkriegs gehören zu defi wichtigsten des vorliegenden Bandes.

Ansprechend sind die Ausführungen von Philippe Vial in »la Quatrieme de son marechal« über Alphonse Juin in den Jahren 1947 bis 1956. Juin geriet im Mai 1940 als Divisionskommandeur in deutsche Gefangenschaft, aus der er infolge der Pari- ser Protokolle als politisch »zuverlässig« im Sinne der Achsenmächte entlassen wur-

(13)

de. Nach Weygands Entbindung vom Amt Ende 1941 wurde er Befehlshaber der Streitkräfte Vichys in Nordafrika. Nach der Landung der Alliierten im November 1942 wechselte er wie sein Vorgesetzter Darlan die Front und kämpfte in Italien ge- gen die Achsenmächte. Obwohl hoher Offizier im Vichyregime machte de Gaulle ihn zum Generalstabschef und Chef des Komitees für nationale Verteidigung. Wir finden im Beitrag Vials nur eine kleine Anspielung auf die Vichy-Vergangenheit, nämlich daß »Le Canard Enchaine« nach der Ernennung Juins zum Marschall 1952 süffisant die Meldung betitelte »Marechal nous voilä!«, was der Anfang des Liedes war, mit dem die Volksmenge Marschall Petain bei dessen Auftritten jubelnd emp- fangen hatte. Von 1947 bis 1951 war Juin Generalresident in Marokko, wurde dann aber auf Wunsch Eisenhowers Befehlshaber der Landstreitkräfte des Mittelabschnitts der NATO. 1953 übernahm er sogar den Befehl über die gesamten Streitkräfte Eu- ropa Mitte. Der Plevenplan einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft stieß bei ihm auf Widerstand, weil er glaubte, daß die EVG die nationale Entschei- dungsfreiheit einengen werde, und die französische Presse spielte das hoch. Doch akzeptierte er 1954 die gleichberechtigte Aufnahme Westdeutschlands in die NATO.

Nach Beginn der Unruhen in Algier schlug Juin ein Kommando des Bündnisses in Nordafrika unter seiner Verantwortung vor. Das fand weder in Washington noch Pa- ris Anklang. Seine eigenwillige Haltung führte wiederholt zu Spannungen mit der Regierung, und 1956 trat er mit 68 Jahren von seinem Amt zurück und beendete damit seine militärische Karriere. Eine Rolle spielte dabei auch die Ablösung sei- nes Freundes des Obersten Alliierten Befehlshabers Europa (SACEUR), General Alfred B. Gruenther durch General Lauris Norstad, wie auch sein persönliches schlechtes Verhältnis zu den Briten, besonders zum stellvertretenden NATO-Ober- befehlshaber Feldmarschall Montgomery.

Der letzte Beitrag, verfaßt von Oliver David Dard, geht auf das Verhalten der französischen Armee zur »Organisation de 1'Armee secret« (OAS) ein, die Anfang der sechziger Jahren im Widerstand gegen die .Algerienpolitik de Gaulles entstand.

Der Verfasser stellt fest, daß die OAS zum Sammelbecken nichtmilitärischer Aben- teurer und einer Untergrund- und Terrororganisation im Mutterland wurde. An- fang 1962, als die OAS auch den Kampf gegen de Gaulle proklamierte und nicht vor Anschlägen gegen den Staatschef zurückschreckte, stieß sie bei den Anhän- gern der fünften Republik auf Ablehnung, zumal auch der Terror der FNL spür- bar wurde. Nach Dard war die Ursache des Scheiterns der OAS, daß sie sich auf einen politischen Kampf eingelassen hat, auf den die militärischen Kader un- zulänglich vorbereitet waren.

Abschließend sei hier auf den Beitrag von Jean-Christpohe Sauvage über das »In- stitute des hautes etudes de defense Nationale« (HEDN) hingewiesen. Er zeigt, in welchem Ausmaß das Institut inzwischen den rein militärischen Blickwinkel sei- ner Untersuchungen und Betrachtungen hinter sich gelassen hat.

Es ging dem Kolloquium, das dem vorliegenden Band zugrunde lag, darum, wie es in der abschließenden Zusammenfassung der drei Initiatoren heißt, die Mi- litärgeschichte aus ihren kriegsgeschichtlichen Fesseln zu befreien und den Nach- weis zu erbringen, daß die französischen hohen Offiziere immer direkt am öffent- lichen Leben als Minister, Parlamentarier oder Mitglieder politischer Organisatio- nen Stellung genommen haben. Eine Wertung der Parteinahme erfolgt dabei nicht.

Ob diese Befreiung aus den Fesseln gelungen ist, mit dieser Frage mag man die packende und lehrreiche Lektüre des Buches schließen.

Elmar Krautkrämer

(14)

Bridget Theron, Pretoria at War 1899-1900, Pretoria: Protea Book House 2000, 269 S. [ISBN 1-919825-13-4]

Deneys Reitz, Commando. A Boer Journal of the Anglo-Boer War, Johannes- burg: Jonathan Ball Publishers 1998, 258 S. [ISBN 1-86842-066-3]

Fransjohan Pretorius, Die Anglo-Boereoorlog 1899-1902, Pretoria: Protea Book House 1998, 96 S. [ISBN 1-86872-181-7]

Pieter Labuschagne, Ghostriders of the Anglo-Boer War (1899-1902). The Role and Contribution of Agterryers, Pretoria: University of South Africa 1999, 123 S. [ISBN 1-86888-065-6]

A Tourist Guide to the Anglo Boer War 1899-1903. Comp, by Tony Westby- Nunn, Simon's Town: Westby-Nunn Publ. 2000,414 S. [ISBN 0-620-24978-1]

Pieter G. Cloete, The Anglo-Boer War. A Chronology, Pretoria: J.P. van der Walt 2000, 351 S. [ISBN 0-7993-2632-1]

Wer angenommen hat, daß im sogenannten Neuen Südafrika der Burenkrieg oder Südafrikanische Krieg oder Anglo-Boer War kaum noch oder überhaupt keine Rol- le im öffentlichen Bewußtsein mehr spielen würde, der irrt. Pünktlich zum ein- hundertsten Jahrestag des Beginns des Krieges 1999, aber auch in den Monaten danach, hat eine Flut von militärgeschichtlicher Literatur den südafrikanischen Büchermarkt überschwemmt. Es handelt sich zum Teil um sehr interessante Neu- erscheinungen, aber auch um Nachauflagen, um akademische Abhandlungen und um populäre Darstellungen. Nicht wenige Bücher liegen in Afrikaans vor und ver- mitteln lediglich altbekanntes in mehr oder minder neuem Gewände. Einige Do- kumentenpublikationen und spezielle Fallstudien schließen wieder ein wenig wei- ter die eigentlich nur selten vorhandenen Lücken zum Burenkrieg, der ohnehin wohl zu den am besten erforschten Kriegsgeschehen der jüngeren Geschichte gehört.

Die an dieser Stelle vorzustellenden Bücher ragen aus der Masse der »Buren- kriegsliteratur« heraus. Sie beleuchten neue Aspekte in der Militärgeschichte, er- möglichen eine bessere Orientierung im Kriegsverlauf oder geben eine informati- ve Ubersicht über die Hintergründe der militärischen Auseinandersetzung zwi- schen Briten und Buren.

Um eine detaillierte Untersuchung des Kriegsgeschehens in der und um die Hauptstadt der damaligen Südafrikanischen Republik (Transvaal), Pretoria, geht es bei Bridget Theron. Er zeigt auf, wie der Krieg Einfluß nahm auf die politischen und sozialen Konstitutionen in einer abgrenzbaren und relativ übersichtlichen Sied- lergemeinschaft. Dies ist um so interessanter, als daß es sich ja nicht, wie über Jahr- zehnte kolportiert, um einen »Krieg des weißen Mannes« handelte, sondern die schwarze Bevölkerungsmajorität war, wie ebenfalls die Colourds und die in- dischstämmigen Südafrikaner, mehr oder minder direkt in die militärische Aus- einandersetzung um die Vorherrschaft am Kap involviert. Trotz der Vielfalt an neuerer Literatur und interessanten Forschungsergebnissen gehört diese Seite der Geschichte des Krieges zu den Unterrepräsentiertesten. Theron geht, bevor er sich der Einbeziehung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den militärischen

(15)

Verlauf widmet, davon aus, in welcher politischen, mentalen, wirtschaftlichen und militärischen Situation sich Pretoria am Ende des 19. Jahrhunderts befand. Unter Auswertung umfangreicher regionalgeschichtlicher und militärgeschichtlicher Li- teratur, Erinnerungsberichten, Zeitungen und relevanter Archive wird die Ein- wohnerschaft der größten Ortschaft und zugleich der Regierungssitz der Trans- vaal-Republik vorgestellt. Es wird deutlich gemacht, wie sich die Stadt und ihre Einwohner auf die bevorstehenden Kriegsereignisse einstellten, wie sich Handel, Industrie, Banken und Verwaltung darauf vorbereiteten. Ein Kapitel widmet sich der Frage, wie sich das Gesundheitswesen und besonders die Krankenhäuser den sie erwartenden Anforderungen stellten. Legt man die gemeinhin weit verbreite- te Ansicht zu Grunde, daß es sich bei den Buren-Republiken Südafrikanische Re- publik (Transvaal) und Oranje-Freistaat um lose staatliche Gliederungen von Sied- lerkolonien gehandelt habe, die weder über eine effektive Wirtschaft und Verwal- tung noch über organisierte oder effektive Streitkräfte verfügten, so wird man bei der Lektüre der akribisch erarbeiteten Untersuchung eines Besseren belehrt. Be- vor sich die - weltpolitisch gesehen - unbedeutende Transvaal-Republik mit dem mächtigen britischen Empire anlegte, hatte man schon gewisse Vorkehrungen für den Kriegsfall, selbst im Hinterland, getroffen. Allerdings glaubte man nicht, daß die Briten so schnell vorrücken und Pretoria besetzen würden. Panik brach unter der Bevölkerung im Mai/Juni des Jahres 1900 aus. Ebenfalls beeindruckend ist die Schilderung der britischen Besetzung von Pretoria. Verständlicherweise wurde die britische Okkupation von den Schwarzafrikanern nicht so negativ gesehen, wie von den afrikaanssprachigen Buren.

Es handelt sich um ein in der Beherrschung des wissenschaftlichen Handwerks vorbildliches, gut lesbares und durch die vielen historischen Illustrationen auch für Laien verständliches Buch.

Eines der klassischen »Burenkriegsbücher« ist der im Stile eines Tagebuches geschriebene Bericht des Sohnes des Präsidenten des Oranje-Freistaates, Deneys Reitz. Seine Erinnerungen vom Kriegsverlauf prägten gut ein Jahrhundert lang das Bild vom »Burenkrieg«. Vielfach wurden sie als Quelle für militärhistorische Dar- stellungen verwendet. Das Buch erlebte mehrere Auflagen. Wenngleich es nicht viel Neues über den Krieg zu berichten weiß, gehört es ganz einfach mit seinen detaillierten Schilderungen der Strategie und Taktik des Kampfes der Buren, des Alltagslebens, der Versorgung, des Verhältnisses zur Bevölkerung sowie der Sie- ge und Niederlagen der burischen Kommandos in die Bücherregale. Das Buch ist nach wie vor eine nicht unbedeutende historische Quelle für die Rekonstruktion des Burenkrieges.

Ist in den Werken von Theron und Reitz schon das Verhältnis der Buren, vor al- lem ihrer Kommandos (den militärischen Verbänden) zur afrikanischen Bevölke- rung im Burenkrieg angesprochen worden, so geht auch Fransjohan Pretorius, ei- ner der renommiertesten Militärhistoriker der Republik Südafrika, auf die Einbe- ziehung der Afrikaner in das Kriegsgeschehen ein. Sein bekanntes Uberblickswerk zur Geschichte des Krieges liegt inzwischen in englischer Sprache und in Afrikaans vor. Es ist reich bebildert und hat wohl nicht zuletzt deshalb eine weite Verbrei- tung gefunden. Es wurde erstmals 1985 aufgelegt. Nun liegt es in zweiter Auflage in einem anderen Verlag vor. Protea Boekhuis ist ein relativ junges Verlagshaus, das sich auf Veröffentlichungen zur Militärgeschichte spezialisiert hat. Besondere Erwähnung verdient das Kapitel 8, in dem sich der Autor mit den auf beiden Sei- ten kämpfenden oder von ihnen als Hilfskräfte herangezogenen Afrikanern be-

(16)

sqhäftigt. Damit war und ist Pretorius einer der ersten Historiker, der sich dieses Themas angenommen hat. Es wäre zu begrüßen, fände sich ein deutscher Verlag, um die Übersetzung dieses informativen Bild-Text-Bandes mit ausgesprochenem Uberblickscharakter zu besorgen. Denn eine seriöse Geschichte des »Burenkrie- ges« fehlt in deutscher Sprache.

Im Mittelpunkt einer eigenständigen militärgeschichtlichen Studie von La- buschagne, Historiker an der University of South Africa, stehen die sogenannten Ghostriders, in Afrikaans Agterryers genannt. Dabei handelt es sich um Hilfskräfte, die aus Afrikanern oder Colourds rekrutiert worden waren, die die burischen Kämpfer auf den Feldzügen begleiten mußten. Da die beiden burischen Republi- ken statt eines stehenden Heeres je über ein Kommandosystem verfügten, in dem jeder männliche (weiße) Bürger des Landes bei Anforderung und auf eigene Ko- sten Dienst tun mußte, nahmen fast alle »aufkommandierten« Buren ihre Diener mit. Sie waren nicht nur zur Bedienung ihres Herrn da, um Pferde und Waffen zu pflegen, Essen zu besorgen und zu kochen, Schlafplätze herzurichten u n d u m im Falle der Verwundung Pflegedienste zu leisten, sondern sie retteten auch oftmals ihren Herrn aus mißlichen oder gefährlichen Situationen - nicht selten unter Ein- satz ihres eigenen Lebens. Sie wurden im größeren Stil zu Schanzarbeiten heran- gezogen. Auch auf andere Weise nahmen sie, wie Labuschagne nachweist, aktiv am Kriegsverlauf teil. Die Ghostriders wurden als Kundschafter eingesetzt, dienten als Kuriere und waren nicht selten an den Kämpfen der burischen Kommandos gegen die Briten direkt beteiligt. In der Geschichtsschreibung haben sie bislang keinerlei Rolle gespielt, in der Erinnerungsliteratur erwähnte man sie nur am Ran- de. Ebenso spärlich findet man ihre Taten in den unzähligen Erinnerungsberichten deutscher Kriegsfreiwilliger gewürdigt. Diese hatten wie auch die anderen eu- ropäischen Kriegsfreiwilligen nach burischem Vorbild ebenfalls »ihre Boys« als un- entbehrliche Helfer in der Etappe und auf dem Schlachtfeld.

Labuschagne hat die Anzahl der Ghostriders auf 10 000 bis 12 000 geschätzt.

Es ist geradezu unverständlich, w a r u m sie bislang noch niemals die Aufmerk- samkeit der Militärhistoriker gefunden haben. Um so mehr gebührt Labuschagne Anerkennung. Eine Vielzahl von historischen Illustrationen, die zum Teil erstmals publiziert worden sind, erhöhen noch den Wert des Buches, welches zu den be- deutendsten Werken der südafrikanischen Militärgeschichtsschreibung gezählt werden kann.

Ein Buch ganz anderer Art, deshalb nicht minder interessant und für die Wis- senschaft wertvoll, ist der Touristenführer zu den Schlachtfeldern des Burenkrie- ges von Tony Westby-Nunn. Das Buch zeichnet sich durch große militärge- schichtliche Kompetenz des Autors und Verlegers aus. Ebenso ist seine Strategie der touristischen Vermarktung zu würdigen. Kartenskizzen, zum Teil farbige Gemäl- de, historische Fotografien, Farbfotos von der heutigen Beschaffenheit der ge- schilderten Örtlichkeiten, Abbildungen von Waffen, Uniformen, Ausrüstungsge- genständen und Orden lassen die Lektüre zu einem Erlebnis werden. Post- und Email-Anschriften erlauben eine weiter- oder tiefergehende Beschäftigung mit ein- zelnen Ereignissen des Krieges. Auf farbig unterlegten Kästchen dienen Erläute- rungen und Zitate dem besseren Verständnis der ansonsten, recht knappen Texte.

Hervorzuheben ist ein kurzes Kapitel über die »Black Concentration Camps«, die in der Forschung bislang ebenso wenig Beachtung gefunden haben wie die Ghost- riders. Auch dieses Buch gehört ohne Zweifel zu den Höhepunkten der »Ju- biläumsliteratur«.

(17)

Die Vorgeschichte und die Ereignisse des Burenkrieges genau dokumentiert und kurz kommentiert hat Pieter G. Cloete. So ist es möglich, prägnant zu erfas- sen, was an welchem Tage des Krieges auf welchem Kriegsschauplatz stattfand.

Die Kommentierungen beschränken sich oftmals auf Zitate aus relevanter Litera- tur. Diese werden exakt ausgewiesen. Abbildungen beschränken sich auf Porträts von Akteuren. Auch in diesem Buch wird deutlich, daß die Annahme vom »Krieg des weißen Mannes« der Vergangenheit angehört. Immer wieder wird auf die Ein- beziehung der Afrikaner in den Krieg eingegangen. Statistische Analysen zur Be- waffnung, zu den Kriegsverlusten sowie ein ausführlicher Index-beschließen den äußerst informativen und hilfreichen Band, der sowohl als Nachschlagewerk als auch zur durchgehenden Lektüre geeignet ist.

Ulrich van der Heyden

Barbara Beßlich, Wege in den »Kulturkrieg«. Zivilisationskritik in Deutsch- land 1890-1914, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000, IX, 416 S., DM 98,- [ISBN 3-534-14930-0]

Parallel zur militärischen Auseinandersetzung im Ersten Weltkrieg lieferten sich die europäischen Schriftstellerund Wissenschaftler ein geistiges Gefecht, welches schon die Zeitgenossen als »Kulturkrieg« bezeichneten. In ihrer Freiburger Dissertation untersucht Barbara Beßlich die Vorgeschichte dieser Auseinandersetzung für die deutsch-österreichische Seite anhand von vier einflußreichen Persönlichkeiten: in den Blick genommen werden der damals auch im Ausland vielfach rezipierte Phi- losoph und zweite deutsche Literaturnobelpreisträger Rudolf Eucken, Thomas Mann, der wandlungsreiche Schriftsteller der Wiener Moderne Hermann Bahr und der Nationalökonom Johann Plenge. Alle vier exponierten sich im Kulturkrieg.

Eucken ist dabei von der Quantität der Texte und Vorträge unerreicht, Thomas Mann irritiert bis heute seine Anhängerschar mit seinen Weltkriegstexten, Her- mann Bahrs Modernität steht neben seinem affirmativen Weltkriegsengagement für die Mittelmächte, und Johann Plenge lieferte mit dem Stichwort der »Ideen von 1914« das bis heute gängige Etikett für den deutschen Kulturkrieg. Beßlich will nun nicht, wie so oft geschehen, die Kriegsphilosophie dieser Denker mit einem ideologiekritischen Kopfschütteln registrieren, vielmehr will sie selbige aus einer Gemeinsamkeit dieser ansonsten so - auch in der Kriegszeit, was häufig übersehen wird - heterogenen Schriftsteller erklären: einer Zivilisationskritik, die bis in die 1890er Jahre zurückreicht. Den Grund für dieses Phänomen sieht Beßlich in der Modernisierungsdynamik des Zeitalters, dem Kompetenzverlust der Geisteswis- senschaften und dem einsetzenden »Organisierten Kapitalismus«, der heute als

»Korporativismus« (Hans-Ulrich Wehler) bezeichnet wird.

Die vier vorgestellten Autoren werden in zwei Lager eingeteilt: die im 19. Jahr- hundert verwurzelten, von Beßlich nicht präzise definierten Neoidealisten und die am 20. Jahrhundert orientierten Kapitalismuskritiker. Dieses Konzept von Beßlich kann nicht überzeugen. Auf den Neufichteaner Eucken trifft das Rubrum »Neoide- alist« sicherlich zu, wenn auch Friedrich Wilhelm Graf auf die positivistischen An- teile in Euckens »neoidealistischer Universalintegration« hingewiesen hat. Bei Tho- mas Mann finden sich in der Weltkriegspublizistik, wobei sich Beßlich vornehm- lich auf dessen im September 1914 in der Neuen Rundschau publizierten Aufsatz

(18)

»Gedanken im Kriege« konzentriert, ebenfalls neoidealistische Versatzstücke. Aber Plenge war als Neuhegelianer ein Neoidealist par excellence und die Rubrik »Ka- pitalismuskritik« ist kein Abgrenzungskriterium, war sich die Weltkriegspublizi- stik in der Abgrenzung vom kapitalistischen England doch einig. Und der Blick auf weitere Neoidealisten wie Paul Natorp, der den Ersten Weltkrieg wie Eucken neufichteanisch bewältigte, zeigt, daß auch im Neoidealismus der Sozialismusbe- griff gängig war. Ebenso ist die zeitliche Verankerung von Beßlich nicht plausibel, macht sie doch selbst auf Thomas Manns Orientierung am 18. Jahrhundert auf- merksam. Mit Blick auf andere Autoren ergibt sich hier auch kein Gegensatz: das idealistische Erbe des 18./19. Jahrhunderts sollte in der Weltkriegsphilosophie für die neue Zeit aktualisiert werden.

Sind die Kategorien von Barbara Beßlich also anzweifelbar, so liefert ihre Stu- die gleichwohl wichtige Ergebnisse. In zweifacher Hinsicht erweitert sie den For- schungsstand: sie differenziert die Weltkriegspublizistik, indem sie den am Per- sönlichkeitsideal und der Innerlichkeit orientierten Eucken scharf mit dem »kal- ten« Organisationstheoretiker Plenge kontrastiert. Die Weltkriegsphilosophie wird so jenseits der Einheitlichkeit suggerierenden Redeweise von den »Ideen von 1914«

inhaltlich aufgefächert. Zum anderen destruiert sie die oberflächliche Rubrizie- rung der Weltkriegsphilosophie unter dem Stichwort »Nationalismus«. Denn während die Zivilisationskritik, die Kritik an der Mechanisierung (Eucken), am

»Betrieb« (Bahr), am Kapitalismus (Plenge) übte und Thomas Manns Dichotomi- sierung von Kultur und Zivilisation in der Vorkriegszeit, teilweise schon ab 1890 entworfen wurde, kanten vorsichtige Ansätze nationalistischer Aufladung der Zi- vilisationskritik erst ab 1910, und in ihrer aggressiven Wendung nach außen erst im Kriege hinzu. Damit bestätigt Beßlich die These Hermann Lübbes von einem Um- schlagen einer philosophischen Distanz zur Politik in eine Uberidentifikation mit Beginn des Ersten Weltkrieges. Nicht der Nationalismus ist also der Schlüssel zum Kulturkrieg, sondern die zuvor sich unpolitisch gerierende, nicht national defi- nierte Zivilisationskritik, vor der das Vaterland in der Vorkriegszeit keineswegs verschont blieb.

Obwohl die Versuchung angesichts der Themenstellung sicherlich nahe liegt, umschifft Beßlich mit Hilfe des Steuermanns Nipperdey doch sehr geschickt die Klippen eindeutiger Kontinuitätsbehauptungen und einer nachträglichen Teleo- logisierung. Denn in beide chronologische Richtungen differenziert Beßlich: Wie ge- zeigt sucht sie Nationalismus nicht dort, wo er kaum zu finden ist. Und anderer- seits hütet sie sich davor, überall »Vorläufertum« zu sehen. Bei Plenge ist hier die Versuchung am größten, denn er diente sich nach 1933 Alfred Rosenberg an und stilisierte sich zum Erfinder des Nationalsozialismus - in ähnlicher Weise übrigens wie Eucken sich im Ersten Weltkrieg fälschlicherweise als nationaler Wegbereiter des Kulturkrieges darzustellen versuchte. Doch Plenge hatte die Rationalität und die Bedeutung des Staates allzusehr privilegiert, so daß Beßlich ihn nicht einmal eindeutig in die Vorgeschichte der Konservativen Revolution stellen mag. Freilich streicht Beßlich heraus, daß Plenges »Ideen von 1914« schon in seinen Ideen vor 1914 enthalten waren, wenn auch Plenges Sozialismus expressis verbis erst im Welt- krieg zu einem nationalen Sozialismus wurde.

Die Verortung Plenges als konservativ oder rechts scheint mir dagegen als zu eindeutig. Zwar meinte der Sozialismusbegriff bei Plenge wie bei so vielen Denkern der Weltkriegsphilosophie keineswegs eine ökonomische Theorie, sondern eine Gesinnung des gemeinschaftlichen Handelns im Rahmen eines starken Staates.

(19)

Gleichwohl hat die Forschung sehr detailliert Plenges Verbindungen zur Gruppe der SPD-Linken um Konrad Haenisch in der zweiten Kriegshälfte und Plenges Hoffnungen auf die Sozialdemokratie insgesamt herausgearbeitet, worauf Beßlich nur am Rande eingeht. Zum anderen fängt Beßlich nicht ein, daß es Plenge mit sei- nen »Ideen von 1914« nicht um eine Frontstellung gegen die »Ideen von 1789« ging.

Die Fassung dieses Ideenverhältnisses als kontradiktorisch oder auch nur konträr, wie sie bei dem Schweden Rudolf Kjellen anklang, kritisierte Plenge hart. Vielmehr ging es ihm um eine Aufhebung der »Ideen von 1789« durch, aber auch in die

»Ideen von 1914«.

Bei der Behandlung Rudolf Euckens wird die Problematik der zeitlichen Ein- grenzung der Studie von Beßlich deutlich. So haben die Forschungen Uwe Dathes ergeben, daß Eucken nach der Anfangseuphorie 1914 zunehmend liberale Töne anschlug und seine anfängliche Weltkriegsphilosophie deutlich abschwächte.

Als Desiderata der Forschung nennt Beßlich, deren Studie im übrigen eine bi- lanzierende Schlußbetrachtung gutgetan hätte, u.a. die jüdische Beteiligung und die zeitgenössische Kritik am Kulturkrieg. Während ersteres mittlerweile durch die Habilitationsschrift von Ulrich Sieg behoben ist, ist das zweite Desiderat angesichts der Bandbreite der Kritik tatsächlich vorhanden. Mit Gustav Radbruch und Max Weber zeigt Beßlich eine Linie der Kritik am Kulturkrieg selbst auf: die Kritik an der Indienstnahme eines wissenschaftlichen Gehäuses für die weltanschaulich-po- litische Auseinandersetzung. Aber auch bei denen, die sich mit dem Kulturkrieg identifizierten, scheinen viele Zwischentöne durch. So findet man auch in den frühen Weltkriegstexten Ernst Troeltschs kritisches Potential.

Daneben müßte die deutsche Seite mit der alliierten Seite auch in der Forschung konfrontiert werden, hier hinkt man den damaligen Zeitgenossen hinterher, die teilweise sehr genau die Stellungnahmen ihrer einstmals in der gleichen interna- tionalen »scientific community« beheimateten Kollegen wahrnahmen. Erst dann kann der Kulturkrieg auch wirklich als Krieg erkannt werden, d.h. als ein mit gei- stigen Waffen geführtes Gefecht zwischen Kriegern des Geistes.

Peter Hoeres

Sänke Neitzel, Weltmacht oder Untergang. Die Weltreichslehre im Zeitalter des Imperialismus, Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh 1999, 453 S., DM 98,- [ISBN 3-506-76102-1]

»Ungeheure Ländermassen kommen in den verschiedensten Weltteilen in den nächsten Jahrzehnten zur Verteilung. Die Nationalität, die dabei leer ausgeht, ist in der darauf folgenden Generation aus der Reihe der großen Völker, die dem Men- scherigeist seine Prägung geben, ausgeschieden.« Mit diesen Worten beschrieb Hans Delbrück 1897 in den »Preußischen Jahrbüchern« das zentrale Axiom des wilhelminischen Imperialismus: die Uberzeugung von der unabdingbaren Not- wendigkeit imperialistischer Expansion als Voraussetzung für den Fortbestand der Großmachtstellung des Deutschen Reiches. Nur als »Weltmacht« - so die weit- verbreitete Uberzeugung - werde das Reich weiterhin in der Lage sein, eine gleich- berechtigte Rolle im Konzert der »großen Mächte« zu spielen.

Diese Überzeugung von der Notwendigkeit imperialistischer Expansion war, wie Sönke Neitzels Buch zeigt, keine Besonderheit des deutschen Imperialismus,

(20)

sondern für alle am imperialistischen Konkurrenzkampf beteiligten Staaten kon- stitutiv. Den Kern dieses Deutungsmusters bildete die Annahme, das europäische Wirtschafts- und Staatensystem werde sich über kurz oder lang zu einem Welt- wirtschafts- und Weltstaatensystem entwickeln, in dem eine reduzierte Zahl von rivalisierenden »Weltmächten« die Erde unter sich aufteilen und ihre jeweiligen Einflußsphären durch eine »neomerkantilistische« Wirtschaftspolitik abschotten würde. Obwohl der Kreis der als »Weltmächte« in Frage kommenden Staaten um- stritten war, zählten nach einer weitverbreiteten Auffassung aufgrund ihrer un- terschiedlichen Machtressourcen Großbritannien, Rußland, die Vereinigten Staa- ten und (zumindest potentiell) auch das Deutsche Reich zu diesem Kreis, während Frankreich trotz seiner Tradition als europäische Großmacht und seines beträcht- lichen Kolonialbesitzes in der Regel nicht dazu gerechnet wurde.

Vor dem Hintergrund eines sozialdarwinistischen Weltbildes bildete diese Welt- reichslehre das zentrale Deutungsmuster des imperialistischen Diskurses in allen Staaten, die Ambitionen auf den Status einer Weltmacht hegten, und damit eine der wichtigsten ideologischen .Triebkräfte wirtschaftlicher und territorialer Ex- pansionsbestrebungen. Um so erstaunlicher ist es, daß die historische Forschung diesem Deutungsmuster bislang kaum Beachtung schenkte. Zwar hatte u.a. be- reits Fritz Fischer in seinen Untersuchungen zum Ausbruch des Ersten Weltkrie- ges auf die Bedeutung der Weltreichslehre hingewiesen, seine diesbezüglichen Ausführungen wurden jedoch nicht systematisch aufgegriffen - ein Desiderat, das durch Neitzels Studie nunmehr behoben wurde. Darüber hinaus eröffnet das Buch vor allem durch seinen komparativen Ansatz neue Forschungsfelder.

In vergleichender Perspektive untersucht Neitzel auf breiter Quellengrundlage die Entwicklung der Weltreichslehre in Deutschland, Großbritannien, den USA und Frankreich von den Anfängen im frühen 19. Jahrhundert bis z u m Ende des Ersten Weltkrieges. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf dem Deut- schen Reich und Großbritannien, wo die Weltreichstheorie am intensivsten dis- kutiert wurde. In beiden Ländern bildete sie u m die Jahrhundertwende die ent- scheidende weltanschauliche Grundlage für die Diskussion u m die Zukunft der eigenen Nation. Während sich im Vereinigten Königreich die Debatte dabei vor allem auf die effektive Reorganisation des Empires konzentrierte, diente das Deu- tungsmuster den deutschen Weltreichstheoretikern als Begründung für weitere Expansionsanstrengungen in Mitteleuropa und in Übersee. Denn als weit- und kolonialpolitischer Späteinsteiger verfügte das Deutsche Reich in weit geringe- rem Umfang als seine. Hauptkonkurrenten über jene Mittel und Ressourcen wie überseeische Kolonien oder wirtschaftliche Einflußsphären, die im Verständnis der Zeitgenossen eine Weltmacht kennzeichneten. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges erlebte die Weltreichslehre in Deutschland eine zweite publizistische Hochkonjunktur. Im Rahmen der allgemeinen Kriegszieldiskussion lieferte sie die ideologische Matrix für weitreichende kontinentale Expansionspläne in Mit- teleuropa. Dagegen spielte die Weltreichslehre in der britischen Weltkriegs- publizistik keine nennenswerte Rolle mehr. Insgesamt gelingt es Neitzel, die Welt- reichstheorie als ein zentrales Deutungsmuster des internationalen imperialisti- schen Diskurses herauszuarbeiten, das besonders im Deutschen Reich und Groß- britannien Verbreitung fand, weil hier der eigene Status als zukünftige Weltmacht unsicher erschien. Mit diesem Ergebnis ist ihm ein wichtiger Beitrag zur Impe- rialismus-Forschung gelungen, an dem zukünftige Arbeiten nicht vorbeikom- men werden.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Während mehr Kfz-Bauer (40 Pro- zent, Vorumfrage: 33 Prozent), Elektrotechniker (32 Prozent, Vorumfrage: 29 Prozent) und Betriebe aus Glas, Keramik und Steineverarbeitung (31

Der Prüfungsausschuss beschließt, dass nachträglich keine ärztliche Bescheinigung zur Feststellung der Prüfungsunfähigkeit vorgelegt werden muss, wenn ein Prüfer die 2..

Ich glaube, dass die Integration und Verflechtung der Volkswirtschaften, insbesondere zwischen Deutschland und den Visegrád-Staaten, schon deutlich zu weit fortgeschritten

Die untenstehenden Tabellen geben einen groben Überblick über die Aus- und Weiterbildungsangebote verschiedener Anbieter im Bereich Regionalentwicklung (Regionalmanagement,

Auch Studierende und Absolventen von Berufsakademien (bis zu zehn Jahre nach Abschluss des Studiums) mit Haupt- oder Nebenwohnsitz im Freistaat Sachsen zählen zur Zielgruppe.

Nach dieser FRL gewährte staatliche Beihilfen können mit anderen staatlichen Beihilfen (Preisgelder und Prämien gemäß Ziffer V Nummer 7 der FRL „Nachhaltig aus der Krise“)

Dennoch werden sowohl der Effekt der CO 2 - Bepreisung als auch die Auswirkungen der Klimapolitik auf Ar- beitsmärkte Verlierer*innen hervorbringen: Preiserhöhungen würden

Ältere Men- schen haben daher ein erhöhtes Risiko für eine chronische Über- säuerung, da Säure nicht mehr aus- reichend ausgeschieden und neutra- lisiert werden