• Keine Ergebnisse gefunden

Antike Schinderei

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Antike Schinderei"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

4 6 A R S M E D I C I 22 0 0 4

ENICUM

Antike Schinderei

Es mangelt mir an altphilologischer Bil- dung. Statt tote Sprachen zu pauken, ent- schied ich mich in der Schule für Natur- wissenschaften und Englisch. Letzteres perfektionierte ich mit jemand sehr Le- bendigem … Nun kann ich mich auf dem gesellschaftlichen Parkett nicht bewegen, genauer gesagt: artikulieren. Denn noch immer ist Latein und Griechisch das Qua- litätssiegel des gebildeten Arztes und Apothekers. Fragen Sie aber bitte nicht nach den Risiken und Nebenwirkungen!

Die sind erheblich: verwirrte Patienten, rat- lose Mitarbeiter, ausgegrenzte Kollegen.

Nicht genug damit, dass man sich all die -itiden, -pathien, die Hypers und Hypos im Studium in den Kopf drücken musste – die lieben Kollegen parlieren das antike Fachchinesisch auch dann, wenn es die Terminologie nicht erfordert. Auch wäh- rend der Weiterbildungsjahre. Dort be- kam ich am ersten Tag meines Assistenz- arztdaseins den Auftrag, «ab ovo» mit der Anamnese zu beginnen. Ich fragte die Pa- tientin, ob sie das beliebte Malzgetränk heute schon gehabt hätte. Während der Nacht, so die Nachtdienstlerin beim Rap- port am nächsten Morgen, sei mein Pa- tient von Zimmer 623 «ad patres» gegan- gen. Ich zerbrach mir den Kopf, warum der alte Krebskranke wohl nachts Zuflucht bei Ordensmännern in einem Kloster ge- sucht habe. Wenig später strahlte unser Oberarzt: Er habe endlich sein «Alter ego» gefunden. Ich überlegte, ob er reali- siert habe, dass er nicht mehr der Jüngste sei, oder endlich seine grässliche Selbst- bezogenheit erkannt habe. Doch er er- kannte beides nicht, sondern heiratete nur eine selbstlose junge Ärztin. Unser Chefarzt meinte finster, dass die «Aetas»

des Patienten hauptsächlich für dessen

schlechten Zustand verantwortlich sei.

Von diesem Krankheitsbild hatte ich noch nie etwas gehört und fand es auch nicht im Roche Lexikon der Medizin. Ich vermu- tete, dass es irgendwie mit Äthanol zu tun habe, denn meistens war der Alkoholis- mus am schlechten Zustand unserer Pa- tienten schuld. Warum um Jupiters Willen reden wir Mediziner denn ständig Latein?

Wir sind doch keine Angler oder Jäger!

Ich hätte viel lieber gut eidgenössische Zeitgenossen – das ist doch besser als

«Coaetanen». «Alumni» hören sich nach einem zentralafrikanischen Volksstamm an und «Alma mater» nach einer dicken Bergbäuerin. Eine «Offizin» lässt mich an Amtsstuben denken und nicht an die gemütliche Apotheke mit grossem Droge- rie- und Kosmetiksortiment unseres net- ten Quartier-Apothekers. Bevor ich meine Praxis und er seine Offizin eröffnete, lernte ich ihn beim Pfarrei-Grillfest ken- nen. Auf meine Frage, was denn er beruf- lich mache, sagte er «Pharma!». Ich ver- stand «Farmer», was mir angesichts seines karierten Flanellhemds und Jeans glaubhaft erschien. Dabei hatte er einen gut bezahlten Job bei Novartis. Und jetzt ruft er mich regelmässig an und meckert am falschen Latein auf meinen Rezepten herum … Neidisch bin ich auf Kollege Daniel A.W. Er diagnostiziert oft «ex ju- vantibus» und teilt dies seinen Patienten erleichtert mit. Die denken an Pro Juven- tute oder an Juve Turin, fühlen sich jung oder sportlich – und genesen. A.W. weiss nicht nur, was der Rektor und der Dekan machen, sondern sogar, ob man sie mit

«Spectabilität!» oder «Magnifizienz!» an- schreibt. Ich hingegen würde alle beide mit «Sehr geehrter Herr Professor» über einen Leisten schlagen und wüsste zudem

nicht, warum ich ihnen überhaupt schrei- ben sollte. Kollege A.W. bezeichnet sich als «Facharzt für ästhetische Gesichts- chirurgie». Wenn die anderen Hals- und Gesichtsspezialisten sich darüber aufre- gen, weil sie dadurch des unästhetischen Operierens geziehen werden, ruft A.W.

aus, er habe eine «Licentia poetica». Ich weiss nicht: Beansprucht er damit für sich Narrenfreiheit oder hat er ein Fähigkeits- zeugnis als Dichter erworben? Wahr- scheinlich Letzteres, denn seine Praxis hat er lyrisch «Kompetenzzentrum» getauft.

Nun, man muss alles cum granum salis nehmen. Von mir sagt A.W., ich sei ein

«homo ludens». Das freut mich echt!

irgendwie hört sich das angenehm verlu- dert an. Lässig begann ich daher einen Smalltalk in einem Kreis schöner junger deutscher Frauen mit den Worten «Wis- sen Sie, ich als homo ludens …». Sie rea- gierten sehr kühl. Später erfuhr ich, dass sie mich für einen schwulen Zuhälter hiel- ten, einen «Luden». Lateinisches Herum- bluffen will gelernt sein. Aber wie hätten sie wohl erst auf meine Selbstdeklaration als «homo erectus» reagiert? Freund Alex schenkte mir daraufhin das Buch «Latein für Bluffer» und schrieb als Widmung hinein: «Ο µη δαρεις αυδρωος ου αιδευεται» – «Wer nicht geschunden wird, wird nicht erzogen». In der Tat – unsere Jahreskurskollegen, die auf dem Humanistischen Gymnasium waren, wirk- ten recht geschunden, im Gegensatz zu uns unbeschwerten C-Maturanden. Alex pflegt mich mit einem herzlichen «εστι γαρ ο ϕιλος αλλος αυτος» zu begrüssen.

Wie wahr – der Freund ist tatsächlich «ein anderes Selbst»! Nämlich einer, der nicht möchte, dass Alex ständig antike Philoso- phen zitiert.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Perseus u.Anclr

Und hierauf geht es fort, als zitierten Cicero und sein Cato da aus der Präambel des – jeweils – jüngsten Klimaberichts der Vereinten Nationen: „Und da ja der berüchtigte

spiel Sappho 1818 in Wien uraufgeführt worden war und sich bis in das späte 19. Jahrhundert großer Popularität erfreute, lag auch eine aktuelle Form der antiken Erzählung vor,

Wenn man krank wurde, ging man in einen Tempel des Heilgot- tes Asklepios – sein Schlangenstab ist heute noch Symbol für die Medizin – und ließ sich von seinen

Informationen zum familiären Mamma- und Ovarialkarzinom und zu Ansprech- partnern des Deutschen Brustkrebskon- sortiums sind über die Internetseite der Deutschen Krebshilfe

Viele griechische Forscher beschrieben nicht nur fremde Kulturen, sondern entdeckten auch merkwürdige Wesen, die am Rand der Welt lebten. Sie erzählten von Riesen und Zwergen

Die Ägypter haben viele Skulpturen und Plastiken geschaffen. Manche waren riesig, wie der berühmte Sphinx von Gizeh, andere waren winzi- ge Amulette. Die heute berühmteste

Hier- mit ist eine doppelte Gefährdung verbunden, zum einen für die Philosophen, die „anecken“, zum anderen aber auch für die Gesellschaft, für die „normale“ Welt, wenn