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K Potenziale der Individualisierung im Sport und Gesundheitscoaching stärker nutzen

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DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN 68. Jahrgang 9/2017 187

EDITORIAL

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KORRESPONDENZADRESSE:

K

enntnisse zum Einfluss genetischer und epige- netischer Faktoren auf die Trainierbarkeit und Leistungsfähigkeit haben das Potenzial für eine stärkere Individualisierung des Trainings in der gesamten Lebensspanne (3, 6).

Unzureichende Individualisierung des Trainings

In der Reaktionsfähigkeit auf regelmäßige körperli- che Aktivität besteht eine beträchtliche Heterogeni- tät; gleiche Trainingsbelastungen können zu deutlich unterschiedlichen Trainingsanpassungen führen (4).

Neben Alter, Geschlecht und ethnischer Herkunft trägt vor allem die trainingsbedingte Ausprägung des Phänotyps zur Variabilität der Trainingsreaktion bei. Auch die aktuellen Ergebnisse in der Molekular- biologie und Genetik verweisen auf die Zweckmäßig- keit eines spezifischen und individualisierten Trai- nings (7). Die Muskelanpassung beim Ausdauer- und Krafttraining aktiviert unterschiedliche molekulare Signalwege und Anpassungsregulatoren und diese sind u. a. durch ein angepasstes Timing und verschie- dene Ernährungsstrategien optimierbar (13). Um die- se und weitere Erkenntnisse aus der Wissenschaft für eine gezielte Ansteuerung von Trainingsstimuli nut- zen zu können, ist eine stärkere Individualisierung des Trainings notwendig. Das Potenzial der Indivi- dualisierung im Leistungs-, Gesundheits- und Reha- bilitationssport wird bisher unzureichend genutzt.

Im Leistungssport, welcher das Ziel der (maxi- malen) Ausprägung individueller Leistungsvoraus- setzungen hat, halten viele Sportverbände noch an veralteten Rahmentrainingskonzeptionen fest und die individuelle Situation sowie die individuellen Voraussetzungen des Athleten finden zu wenig Be- rücksichtigung. Seit Jahren werden Trainingsdaten von Leistungssportlern erhoben, jedoch steht eine systematische Auswertung und Analyse dieser Da- ten, insbesondere unter der Detektion individueller Profile (Trainingstypen), bisher aus (8). Aus einer reinen deskriptiven Datenauswertung lassen sich Anpassungs- und Trainingstypen des Sportlers nicht erkennen und begründete Konzepte für individuel- le Trainingspläne nicht erstellen. Auch werden die modernen Möglichkeiten technologischer Innova- tionen, der Einsatz von Wearables, zu wenig für die Individualisierung des Leistungstrainings, d. h. zur Optimierung der Belastungs-Beanspruchungs-Re- gulation genutzt. Für eine Individualisierung der Trainingsbelastungen sind fachliche Kompeten- zen des Trainers insbesondere hinsichtlich der Be- lastungs-Beanspruchungs-Steuerung notwendig.

Je genauer Trainer die individuellen Reaktionsweisen ihres Athleten kennen, desto gezielter ist eine Bean- spruchungssteuerung umsetzbar. Kann die vertrau- ensvolle und kooperative Athlet-Trainer-Beziehung beispielsweise aufgrund der Konzentration von Leistungsstützpunkten nicht weitergeführt werden, steht die Individualisierung des Trainings vor neuen Herausforderungen.

Im Gesundheitssport, welcher das Ziel der Erhal- tung der Gesundheit und Stärkung von Gesundheits- ressourcen hat, haben die bisherigen Empfehlungen der WHO und anderer Fachgesellschaften nur allge- meinen Charakter. Sie beschränken sich auf Umfangs- und Intensitätsangaben zur körperlichen Aktivität (z. B. 150 min/Woche in moderater Intensität) und geben lediglich globale Hinweise zum Krafttraining (Training großer Muskelgruppen, mindestens zwei- mal pro Woche). Die Altersstruktur wird kaum be- rücksichtigt. Zwischen den Altersbereichen 5-17 Jah- re, 18-64 Jahre und über 64 Jahre unterscheiden sich die WHO-Empfehlungen minimal. Differenzierte An- gaben zum Training der Ausdauer, Kraft, Beweglich- keit und Koordination fehlen. Keine Aussagen werden zur Proportionierung der motorischen Fähigkeiten für Kinder, Jugendliche, Erwachsene sowie für alte und sehr alte Menschen getroffen. Ein Trainingspro- gramm für eine gesunde 75-jährige Frau oder eines 75-jährigen Mannes muss anteilig mehr auf Koordi- nation (Sensomotorik, Neuroplastizität), Beweglich- keit und Kraft ausgerichtet sein im Vergleich zum Präventivprogramm für Berufstätige im mittleren Lebensalter (30-50 Jahre). Letztere werden ihre Leis- tungsfähigkeit und Gesundheit eher über ein aerobes Ausdauertraining stärken können, weil diese Form der Belastung einer beispielsweise sitzenden Tätigkeit oder beruflichen Stress effektiver entgegenwirkt.

Die Forschung der letzten Jahre hat enorme Fort- schritte u.a. in der Herzkreislauf-, Diabetes-, Alzhei- mer- und Krebsprävention durch körperliches Trai- ning gemacht. Doch damit diese Erkenntnisse eine hohe Wirkung in der Praxis erzielen können, ist eine Individualisierung der Trainingsprogramme unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit und Belast- barkeit erforderlich.

Im Rehabilitationssport, welcher das Ziel der Wie- derherstellung der Gesundheit hat, werden seit vielen Jahren Therapieprogramme für verschiedene Krank- heitsbilder entwickelt. Auch hier zeigt sich, dass die erfolgreiche Umsetzung des Therapie- bzw. Rehabi- litationsplans in die Praxis nur dann gelingt, wenn die ärztliche Diagnose und die spezielle Krankenge- schichte des Patienten Berücksichtigung finden.

Univ.-Prof. Dr. Kuno Hottenrott Direktor Institut für Sportwissenschaft und Institut für Leistungsdiagnostik und Gesundheitsförderung

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Von-Seckendorff-Platz 2, 06120 Halle (Saale)

: kuno.hottenrott@sport.uni-halle.de August 2017

10.5960/dzsm.2017.294 Hottenrott K. Potenziale der Individualisierung im Sport und Gesundheitscoaching stärker nutzen. Dtsch Z Sportmed. 2017; 68: 187-188.

September 2017

Potenziale der Individualisierung im Sport und Gesundheitscoaching stärker nutzen

Hottenrott K

Use Increasingly the Potentials of Individualization in Sports and Health Coaching

Prof. Dr. Kuno Hottenrott

Direktor, Institut für Sport- wissenschaft und Institut für Leistungsdiagnostik und Gesundheitsförderung, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Article incorporates the Creative Commons Attribution – Non Commercial License.

https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/

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EDITORIAL

188 DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN 68. Jahrgang 9/2017

Potenziale der Individualisierung im Sport und Gesundheitscoaching stärker nutzen

Der Therapeut hat die Aufgabe, das Therapieprogramm auf den Patienten individuell anzupassen und die Trainingsbeanspru- chung unter Einsatz von Biofeedbackgeräten zu kontrollieren.

Hilfreich wären zudem individuelle Therapieprogramme, die der Patient außerhalb der Behandlungszeit selbstständig umsetzen kann. Hierbei könnte der Einsatz von Wearables das Coaching erleichtern und die Compliance verbessern.

Belastungs-Beanspruchungs-Modell zur Individualisierung des Trainings

Das Training ist in seiner Komplexität nicht mit einfachen Mo- dellen im Sinne einer linearen Reizantwort oder einem kyberne- tischen Regelkreismodell steuerbar. Zwischen der vorgegebenen Trainingsbelastung und der resultierenden Beanspruchung wirken zahlreiche Modulatoren bzw. Einflussfaktoren. Auf der Basis der Selbstorganisation zentralnervaler und molekularer Prozesse kommt es infolgedessen zu vielseitigen Interaktionen.

Das Modell der Belastungs-Beanspruchungs-Regulation (9) be- rücksichtigt die wesentlichen Modulatoren, die für eine optimale Individualisierung des Trainings notwendig sind. Der Begriff der Belastung ist als die Summe aller auf den Sportler einwirkenden Trainingsanforderungen einschließlich der biomechanischen und psychischen Belastungen aufzufassen. Die Beanspruchung äußert sich in der unterschiedlichen Inanspruchnahme der organismi- schen Funktionssysteme und ist abhängig von den emotionalen und volitionalen Leistungsvoraussetzungen. Die reizwirksame Trainingsbelastung löst immer zuerst eine bestimmte Beanspru- chung in den beteiligten Funktionssystemen aus. Da gleiche Trai- ningsbelastungen individuell unterschiedliche Beanspruchungen auslösen, sollte eine Steuerung des Trainings sowohl über die vorgegebene Belastung als auch über die durch sie hervorgeru- fene körperliche Beanspruchung erfolgen. Für die Erfassung der Beanspruchungsreaktionen eigenen sich Selbst- und Fremdbe- obachtungen sowie biologische Messgrößen. Für letztere bieten sich einfach handhabbare Wearables an, mit denen eine bis zu 24-h-Überwachung des Athleten (Phasen der Aktivität bzw. Inak- tivität, Schlafrhythmen, u.a.) möglich ist. Aus diesen Daten lassen sich Aussagen zur Belastbarkeit bzw. eingeschränkten Belastbar- keit treffen, welche wichtige Indikatoren zur gezielten Reizsetzung und zur Vermeidung von Überbelastungen sind.

Das autonome Nervensystem (ANS) als Hauptintegrations- system für die Vielzahl von afferenten Signalen kann zur Indivi- dualisierung des Trainings durch die Erfassung seiner Aktivität während der Trainings- und Erholungsphasen wesentlich beitra- gen. Bisherige Studien belegen, dass sich ein guter Erholungszu- stand in hohen vagalen Parametern der Herzfrequenzvariabilität (HRV) zeigt (10, 11) und als Voraussetzung für intensives Trai- ning anzusehen ist. Anhand prospektiv randomisiert-kontrol- lierter Trainingsstudien konnte gezeigt werden, dass mit einem HRV-Monitoring die Leistungsentwicklung in Ausdauersportar- ten positiv beeinflusst werden kann (2). Retrospektive Trainings- und HRV-Analysen belegen, dass vagale HRV-Parameter geeig- net sind, ein funktionales oder nicht funktionales Overreaching (NFOR) zu detektieren (2, 12).

Für eine Individualisierung der Trainingsbelastungen über die HRV empfiehlt es sich zunächst über mehrere Tage die Aus- lenkung vagaler HRV-Parameter (z.B. RMSSD) bei weitgehend regenerativen Trainingsbelastungen zu bestimmen. Nach dieser sogenannten individuellen Baselinebestimmung kann dann das geplante Trainingsprogramm starten. Entscheidend für den Trai- ningsfortschritt wird es jetzt sein, begründete Abweichungen vom erstellten Trainingsplan auf der Basis der HRV vorzuneh- men. Kommt es also im Trainingsprozess zu starken Auslen- kungen der vagalen HRV-Parameter, so sollte das Trainingspro- gramm entsprechend angepasst werden. Den Untersuchungen von Plews et al. (12) zu Folge, sollten Korrekturen erst aus einem mehrtägigen Trend oder einem 7-Tage-Durchschnittswert erfol- gen. Auslenkungen nach einem Tag über oder unter dem Basline- bereich rechtfertigen keine Trainingsplankorrektur.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Trainingsbelas- tungen heterochrone Reaktionen zahlreicher, wechselwirkender Organsysteme und biologischer Signale hervorrufen. Anpassungs- mechanismen besitzen somit eine hohe Dynamik und Komple- xität und verlaufen stets individuell. Grundvoraussetzung eines individualisierten Trainings ist es, geeignete Messgrößen für die Erfassung des Beanspruchungs- und Regenerationszustandes zu detektieren und diese in den Trainingsprozess so zu implemen- tieren, dass optimale Trainingseffekte erzielt werden können. Die HRV ist hier ein vielversprechender Marker, dessen Anwendung sich nicht nur auf den Leistungssport begrenzen sollte.

Literatur

(1) BELLENGER CR, FULLER JT, THOMSON RL, EILEEN KD, ROBERTSON Y, BUCKLEY JD. Monitoring Athletic Training Status Through Autonomic HeartRate Regulation: A Systematic Review and Meta-Analysis.

Sports Med. 2016; 46: 1461-1486. doi:10.1007/s40279-016-0484-2 (2) BELLENGER CR, KARAVIRTA L, THOMSON RL, ROBERTSON EY, DAVISON K,

BUCKLEY JD. Contextualizing Parasympathetic Hyperactivity in Functionally Overreached Athletes With Perceptions of Training Tolerance. Int J Sports Physiol Perform. 2016; 11: 685-692.

doi:10.1123/ijspp.2015-0495

(3) BOUCHARD C, AN P, RICE T, SKINNER JS, WILMORE JH, GAGNON J, PERUSSE L, LEON AS, RAO DC. Familial aggregation of VO2max response to exercise training: results from the HERITAGE Family Study. J Appl Physiol. 1999; 87: 1003-1008.

(4) BOUCHARD C, RANKINEN T. Individual differences in response to regular physical activity. Med Sci Sports Exerc. 2001; 33: S446-S451.

doi:10.1097/00005768-200106001-00013

(5) BURGGREN WW. Dynamics of epigenetic phenomena: inter- and intragenerational phenotype ‘washout’. J Exp Biol. 2015; 218: 80-87.

doi:10.1242/jeb.107318

(6) EHLERT T, SIMON P. Genetik und Epigenetik der körperlichen Leistungsfähigkeit. Dtsch Z Sportmed. 2011; 62: 86-91.

(7) HOPPELER H-H. Epigenetics in comparative physiology. J Exp Biol.

2015; 218: 6. doi:10.1242/jeb.117754

(8) HOTTENROTT K, BRAUMANN K-M. Aktuelle Situation im deutschen

Spitzensport. Sportwissenschaft. 2015; 45: 111-115. doi:10.1007/

s12662-015-0372-1

(9) HOTTENROTT K, NEUMANN G. Belastungs-Beanspruchungs-Modell zur Individualisierung des Trainings. In Hottenrott K, Seidel I (Hrsg.). Handbuch Trainingswissenschaft – Trainingslehre.

Schorndorf: Hofmann; 2017: 55-57.

(10) HOTTENROTT K, HOOS O. Heart Rate Variability Analysis in Exercise Physiology. Jelinek HF, Cornforth DJ. and Khandoker AH. (Eds.).

ECG Time Series Variability Analysis: Engineering and Medicine.

CRC Press; 2016: 245-275.

(11) LE MEUR Y, PICHON A, SCHAAL K, SCHMITT L, LOUIS J, GUENERON J, VIDAL PP, HAUSSW C. Evidence of Parasympathetic Hyperactivity in Functionally Overreached Athletes. Med Sci Sports Exerc. 2013; 45:

2061-2071. doi:10.1249/MSS.0b013e3182980125

(12) PLEWS DJ, LAURSEN PB, KILDING AE, BUCHHEIT M. Heart rate variability in elitetriathletes, isvariation in variability the key to effective training? A case comparison. Eur J Appl Physiol. 2012; 112: 3729- 3741. doi:10.1007/s00421-012-2354-4

(13) WACKERHAGE H, GEHLERT S. Signaltransduktionsmodell. In Hottenrott K, Seidel I. (Hrsg.). Handbuch Trainingswissenschaft–

Trainingslehre, Schorndorf: Hofmann; 2017: 49-55.

(14) WORLD HEALTH ORGANIZATION. Global recommendations on physical activity for health. 2010. www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK305057/.

[8. August 2017].

Referenzen

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