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"Diese Gottheiten sind den Gelehrten heilig". Hermes und Athena als Leitfiguren nachreformatorischer Kunsttheorie

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Academic year: 2022

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» D I E S E G O T T H E I T E N SIND DEN G E L E H R T E N H E I L I G «

1

Hermes und Athena als Leitfiguren nachreformatorischer Kunsttheorie

.5

Jürgen Müller und Bertram Kaschek

Die Kunst des Hendrick Goltzius, die uns so vielgestaltig vor Augen tritt, gelangt vor allem in der Darstellung des nackten menschlichen Körpers zu ihrer wahren Meister­

schaft. Schon Karel van Mander hat in der Lebensbe­

schreibung des Künstlers aus dem Jahre 1604 immer wieder dessen besondere Fähigkeiten in der Wiedergabe lebendigen Fleisches hervorgehoben. So soll Goltzius in Italien allein deshalb, weil er die nackten Sklaven habe rudern sehen wollen, mit einer Galeere von Neapel nach Rom gefahren sein. Sein darstellerisches Vermögen bil­

dete er aber aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem durch das Studium antiker Statuen aus, was durch zahl­

reiche erhaltene Zeichnungen ebenso bestätigt wird wie durch van Mander, der behauptet, kein anderer Nieder­

länder habe jemals in so kurzer Zeit in Rom so viele und gute Zeichnungen gemacht.

2

Nicht einmal die Pest und der mit ihr verbundene Verwesungsgeruch hätten ihn daran hindern können, seiner Neigung zum Zeichnen nachzugehen.

Die Frage, ob Goltzius tatsächlich nach dem leben­

den Modell gezeichnet hat, ist umstritten. Der wichtig­

ste, aber fragwürdige Hinweis auf ein Aktstudium ist einer anonymen Lebensbeschreibung des Karel van Mander zu entnehmen, in der es über Goltzius, van Man­

der und Cornelis van Haarlem heißt: »Diese drei taten sich zu einer Art Akademie zusammen, um am lebenden Modell zu studieren, und Karel unterwies die beiden anderen in der italienischen Manier [,..].«

3

Wie man sich allerdings das Zeichnen nae't leven vorzustellen hat, be­

richtet van Mander in der Vita des Cornelis van Haarlem, wo es heißt: »Inzwischen kam Cornelis seiner ihn an­

spornenden Natur außerordentlich zu Hilfe, indem er äußerst fleißig und viel nach der Natur zeichnete, wozu er sich die besten beweglichen und lebendigen Antiken auswählte, deren wir hierzulande eine genügende An­

zahl besitzen, als dem sichersten und besten Studium, das es gibt [,..].«

4

In diesem Sinne sind die antiken Statuen in ihrer idealen Schönheit der kruden Wirklichkeit überlegen.

Überdies belegen diese Textstellen, in welchem größeren historischen Kontext Akt- und Antikenstudium stehen.

Ist doch die Kunst gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf dem Wege, autonome Institutionen hervorzubringen und

der Künstlerausbildung durch die postulierte Nach­

ahmungswürdigkeit der Antike ein solides Fundament zu verschaffen, auf dem sich eine »akademische« Kunst entwickeln kann.

5

Ebensolche akademisch-klassizistischen Tendenzen sind auch in einem Kupferstich zu erkennen, den Jacob Matham im Jahre 1588 nach einer Zeichnung seines Stief­

vaters und Lehrers Goltzius gestochen hat. Er zeigt Athena, die Göttin der Weisheit, und Hermes, den Gott der Beredsamkeit (vgl. Kat-Nr. 9). Goltzius nutzt das my­

thologische Thema, ganz im Sinne unserer Eingangsbe­

merkungen, als Anlass für eine virtuose Aktdarstellung.

Offenbar ist es ihm darum zu tun, jeweils einen ideal­

schönen weiblichen und männlichen Körper darzustel­

len, und nicht zufällig hat man in der Vorzeichnung zum Stich die ersten Anzeichen einer stilistischen Wende sehen wollen. Bauch- und Brustmuskulatur des Merkur sind zwar athletisch durchgebildet, doch frei von allen Exzessen des Knollenstils.

Der Kupferstich reicht insofern über eine bloße my­

thologische Illustration hinaus, als die Zusammenkunft von Hermes und Athena eine bedeutende kunsttheoreti- sche Allegorie darstellt, die unter dem Namen »Herm- athena« in diversen Kunstzentren der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kursierte und noch für Peter Paul Rubens von eminenter Bedeutung war. »Hermathenen«

begegnet man in Bologna ebenso wie in Prag oder in Haarlem.

Der Ursprung dieses Motivs ist literarischer Her­

kunft: Man findet ihn bei dem antiken Autor Cicero, der sich in einem Brief an seinen Freund Atticus für eine

»IIermathena«(-Statue) bedankt, die er ihm für sein Gymnasium in Tusculum vermittelt habe.

6

Wie diese Statue aussah, ist jedoch nicht überliefert. Die Wieder­

aufnahme dieses lange vergessenen Motivkomplexes im 16. Jahrhundert wirft die Frage auf, welche Umstände zu diesem Rückgriff geführt haben. Welcher Anlass hat also die Hermathena-Ikonographie nötig gemacht?

Wir haben bereits den »akademischen« Kontext an­

gesprochen, in den diese Allegorie gehört. So ist in der kunsthistorischen Forschung seit langem bekannt, dass die »Ilermathena« als Aushängeschild akademischer und rhetorisch orientierter Kunst zu verstehen ist.

7

Ver­

einfachend kann man sagen, dass durch die Zusammen­

kunft von Beredsamkeit (Hermes) und Weisheit (Athe­

na) die harmonische Vereinigung von Form und Inhalt zum Thema wird. Mit dieser auf Cicero und seine Theo­

rie vom idealen Redner zurückgehenden Vorstellung ist ein ästhetischer Anspruch formuliert, der sich als Bil­

dungsauftrag akademischer Künstlervereinigungen be­

stens eignet.

8

So erscheint die manieristische Kunst unter dem Banner der Ilermathena als eine Bemühung um Aus­

gleich und angemessene Verbindung von Gestalt und Ge­

halt. Kurioserweise wurde dem Manierismus in stilge­

schichtlicher Hinsicht jedoch immer wieder ein Zeitgeist

Originalveröffentlichung in: Müller, Jürgen (Hrsg.): Die Masken der Schönheit : Hendrick Goltzius und das Kunstideal um 1600, Hamburg 2002, S. 27-32

(2)

unterstellt, der angeblich a n t i k l a s s i s c h e n Idealen h u l­ digte u n d einer zügellosen E i n b i l d u n g s k r a f t d e n V o r z u g gab.9 Manieristische K u n s t e r s c h i e n d a n n e n t w e d e r als Niedergang der R e n a i s s a n c e oder als regelrechte G e g e n ­ b e w e g u n g , die v o r a l l e m b e m ü h t war, W e r k e j e n s e i t s eines etablierten R e g e l k a n o n s z u schaffen.

W e n n i m folgenden v o n der H e r m a t h e n a - I k o n o g r a - p h i e die R e d e ist, geht d a m i t g e n a u die gegenteilige T h e ­ se einher: dass sich n ä m l i c h die K u n s t der z w e i t e n Hälfte des 16. J a h r h u n d e r t s auf eine christlich v e r a n t w o r t e t e W e i s e auf die r h e t o r i s c h e n Ideale der A n t i k e z u r ü c k b e ­ sinnt. Bisher ist dieser H i n t e r g r u n d für die Interpreta­

t i o n der W e r k e eines H e n d r i c k G o l t z i u s oder Karel v a n M a n d e r z u m e i s t ü b e r s e h e n w o r d e n .1 0

D I E K U N S T U N T E R V E R D A C H T

In gewisser W e i s e k a n n die H e r m a t h e n a - I k o n o g r a p h i e als kulturpolitisches »Schlagbild« ( A b y W a r b u r g ) begrif­

fen w e r d e n , u n t e r d e m sich Künstler m i t a k a d e m i s c h ­ r h e t o r i s c h e m Selbstverständnis f o r m i e r t e n . I m Falle des H e n d r i c k G o l t z i u s geht m i t der Darstellung der H e r m - a t h e n a e i n e t h e o r e t i s c h e Rechtfertigung seines Schaf­

fens einher.

I n d i e s e m Z u s a m m e n h a n g g e w i n n t d i e T a t s a c h e , dass der Stich m i t H e r m e s u n d A t h e n a z u einer Serie v o n i n s g e s a m t a c h t Blättern m i t m y t h o l o g i s c h - a l l e g o r i s c h e n Sujets gehört, einige Bedeutung. D e n n alle diese Stiche zeigen P e r s o n i f i k a t i o n e n in d e m o n s t r a t i v zur S c h a u ge­

stellter Nacktheit. O b es sich u m die E l e m e n t e , S i n n e , T u g e n d e n , P a r z e n oder G r a z i e n h a n d e l t . J e d e s e i n z e l n e Blatt ist e i n e Feier der prächtigen e n t b l ö f k e n Körper.1 1

U n d v e r m u t l i c h geht es für G o l t z i u s d a r u m , diesen A s ­ pekt seiner K u n s t z u verteidigen: die Hingabe a n ver­

m e i n t l i c h h e i d n i s c h e T h e m e n u n d an die S c h ö n h e i t der Leiber. D e n n i m L a u f e des 16. J a h r h u n d e r t s w a r e n - v o r allem i m n ö r d l i c h e n E u r o p a - S t i m m e n laut g e w o r d e n , die hart m i t d e r j e n i g e n K u n s t u n d Literatur ins G e r i c h t gingen, die sich n i c h t v o r n e h m l i c h an d e n W e r t e n u n d W e r k e n der c h r i s t l i c h e n L e h r e orientierten.

D e r w o h l p r o m i n e n t e s t e K r i t i k e r g o t t v e r g e s s e n e r K u n s t war der große H u m a n i s t E r a s m u s v o n R o t t e r d a m , der i n s e i n e m Ciceronianus aus d e m J a h r e 1 5 2 8 eine h a r s c h e A n k l a g e gegen die p u r i s t i s c h e n V e r e h r e r a n t i k e r F o r m v o l l e n d u n g führte. Bei dieser Schrift h a n d e l t es sich u m e i n e n p o l e m i s c h e n Dialog ü b e r d e n besten Stil, w i e der Untertitel besagt (Ciceronianus sive De optima dicendi genere).12 E r a s m u s greift d a m i t in eine Debatte ein, w e l c h e die h u m a n i s t i s c h e n G e m ü t e r bereits seit Petrarca bewegte.1 3 S t r e i t p u n k t w a r die Frage n a c h der Vorbildhaftigkeit C i c e r o s für die Schriftsteller der G e ­ g e n w a r t - die Frage also, o b C i c e r o a u c h in m o d e r n e n c h r i s t l i c h e n Zeiten als oberste s p r a c h l i c h e A u t o r i t ä t die­

n e n k ö n n e .

E r a s m u s m e i d e t d u r c h die F o r m des fiktiven Dialogs e i n e direkte S t e l l u n g n a h m e , d o c h lässt die I n s z e n i e r u n g

des G e s p r ä c h s seinen p e r s ö n l i c h e n S t a n d p u n k t m e h r als d e u t l i c h w e r d e n . W a s z u Beginn n a c h bloßer Satire auf e i n e n ü b e r z o g e n e n N a c h a h m u n g s k u l t a u s s i e h t , e n t ­ p u p p t sich bald als ü b e r a u s ernstes Spiel. D e n n was hier z u r Debatte steht, ist n i c h t allein der beste Stil, s o n d e r n v i e l m e h r die Frage n a c h d e m r e c h t e n G l a u b e n . D i e f u n ­ d a m e n t a l e K r i t i k a m c i c e r o n i a n i s c h e n Stil z i e l t i m G r u n d e auf dessen Gleichgültigkeit gegenüber G o t t . U n d so lautet der s c h w e r w i e g e n d e V o r w u r f , der v o r allem an die V e r t r e t e r der r ö m i s c h e n A k a d e m i e g e r i c h t e t ist:

» H e i d e n t u m ist es, was u n s e r O h r u n d Herz für diese Dinge e i n n i m m t . «1 4

Bei aller dialogischen O f f e n h e i t der A r g u m e n t a t i o n des E r a s m u s bleibt dies der K e r n des v e r h a n d e l t e n Pro­

b l e m s : A n t i k e F o r m e n sind h e i d n i s c h e F o r m e n ! I h n e n mangelt der K o n t a k t z u r c h r i s t l i c h e n Heilslehre. So k ö n ­ n e n die W o r t e C i c e r o s n i c h t z u d e n c h r i s t l i c h e n W e r t e n f i n d e n , u n d d e m e n t s p r e c h e n d fehlen d e m C i c e r o n i a n e r die r e c h t e n A u s d r ü c k e (»verba« u n d »vocabula«) für die c h r i s t l i c h e n S a c h v e r h a l t e (»res«). Hält m a n sich u n g e ­ a c h t e t dessen a n die S p r a c h e des a n t i k e n R e d n e r s , d a n n m i s s a c h t e t m a n die D r i n g l i c h k e i t der c h r i s t l i c h e n B e ­ lange. U n d so fordert E r a s m u s v o n K u n s t u n d Literatur, dass sie die M y s t e r i e n Christi n i c h t n u r k u n s t v o l l , s o n ­ d e r n a u c h gläubig b e h a n d e l n sollen.1 5

D e n k t m a n hierbei a n die b e s o n d e r s in der italieni­

s c h e n K u n s t gängige V e r w e n d u n g antiker F o r m e n , d a n n wird d e u t l i c h , wie p r o v o k a n t die T h e s e n des Ciceronia­

nus für die K u n s t t h e o r i e des 16. J a h r h u n d e r t s gewesen sein m ü s s e n . Folgerichtig geriet die Schrift des E r a s m u s u n t e r d e n an C i c e r o orientierten H u m a n i s t e n z u m A n - lass für e i n e erhitzte u n d p o l e m i s c h geführte Debatte.

Dies wird v e r s t ä n d l i c h , w e n n m a n b e d e n k t , was E r a s m u s bereit ist preiszugeben: n i c h t s weniger als das a n t i k e Erbe, das gerade erst d u r c h die italienische R e n a i s s a n c e stolz u n d selbstbewusst w i e d e r angeeignet w o r d e n war.

I m N o r d e n s a h e n s i c h die b i l d e n d e n K ü n s t l e r i m Zeitalter der R e f o r m a t i o n j e d o c h e i n e m n e u e n Legitima­

t i o n s d r u c k ausgesetzt. K u n s t u n d T h e o l o g i e gerieten z u ­ n e h m e n d in eine s p a n n u n g s v o l l e B e z i e h u n g . Historisch ist diese bereits bei d e n K i r c h e n v ä t e r n u n d i h r e m Ver­

hältnis z u r ( s p ä t - ) a n t i k e n Kultur vorgebildet. S c h o n A u ­ gustinus u n d H i e r o n y m u s s a h e n sich i m vierten J a h r ­ h u n d e r t n . C h r . v o r d a s P r o b l e m gestellt, z w i s c h e n c h r i s t l i c h e r u n d h e i d n i s c h - a n t i k e r Tradition Stellung z u beziehen.1 6 W a s E r a s m u s in seiner Schrift fordert, ist, dass an die Stelle der a n t i k e n S c h ö n h e i t die Wahrhaftig­

keit des s c h m u c k l o s e n A u s d r u c k s treten soll.

Diese U n t e r d r ü c k u n g der a n t i k - s c h ö n e n F o r m u n d ihre A b w e r t u n g gegenüber d e m v e r m e i n t l i c h b e d e u t e n ­ deren Inhalt m ö c h t e n u n die K u n s t u n t e r d e m B a n n e r der H e r m a t h e n a n i c h t länger h i n n e h m e n . Ihr A n s p r u c h ist es, die F o r m gegen ihre V e r ä c h t e r ins R e c h t z u setzen, u m das G l e i c h g e w i c h t z w i s c h e n d e n P o l e n wieder h e r z u ­ stellen.

(3)

D I E W I E D E R K E H R D E R H E R M A T H E N A

Dass C i c e r o seine H e r m a t h e n a n i c h t nä h e r b e s c h r i e b e n hat, w a r für die K u n s t beileibe k e i n S c h a d e n , d e n n so k o n n t e es z u einer eigenständigen b i l d l i c h e n Neuerfin­

d u n g in der N e u z e i t k o m m e n . D o c h w a r es k e i n Künstler, der das G ö t t e r p a a r zuerst gegen E r a s m u s ins Feld f ü h r t e , s o n d e r n ein r e n o m m i e r t e r G e l e h r t e r - n o c h d a z u einer, der v o n der P o l e m i k des E r a s m u s direkt betroffen war:

G u i l l a u m e Bude. Er galt als der Heros des f r a n z ö s i s c h e n H u m a n i s m u s .

1 5 3 2 v e r ö f f e n t l i c h t er s e i n e h u m a n i s t i s c h e P r o ­ g r a m m s c h r i f t De studio literarum rede & commode in- stituendo, i n d e r er i m p l i z i t gegen E r a s m u s S t e l l u n g b e z i e h t . Es h a n d e l t sich u m e i n e l e i d e n s c h a f t l i c h e Ver­

teidigung der bonae literae u n d u m e i n e Feier ihrer W i e ­ d e r k e h r n a c h der t a u s e n d j ä h r i g e n Sintflut des Mittelal­

ters.17 H e r m e s , A t h e n a u n d die M u s e n begleiten, B u d e zufolge, die t r i u m p h a l e R ü c k k e h r . Sie repräsentieren die H a r m o n i e der W i s s e n s c h a f t e n u n d ein n e u e s h u m a n i s t i ­ s c h e s Bildungsideal.

So f i n d e n wir bei B u d e a u c h eine d e u t l i c h e Kritik a m u n g e h o b e l t e n Stil der K i r c h e n v ä t e r s o w i e die A n k l a g e ge­

g e n z e i t g e n ö s s i s c h e T h e o l o g e n , d i e w e n i g e r f ü r d a s E v a n g e l i u m als v i e l m e h r gegen H e r m e s u n d A t h e n a (also die antike Literatur) predigten.1 8 I m G e g e n s a t z d a z u er­

hebt B u d e die b e i d e n G o t t h e i t e n z u d e n Leitfiguren sei­

n e r Rhetorik.1'' H e r m e s b e d e u t e die M a c h t des R e d e n s u n d A t h e n a die Seelenkraft des Begreifens.

B e i d e G o t t h e i t e n w e r d e n als z u s a m m e n g e h ö r i g e T e i l e e i n - u n d d e s s e l b e n V e r s t e h e n s z u s a m m e n h a n g s e n t w o r f e n , w e n n es heißt, dass logos s o w o h l ratio ( A t h e - n a - V e r n u n f t ) als a u c h oratio ( H e r m e s - R e d e ) b e d e u t e . M a n k ö n n e sich z u d e m k e i n W o r t vorstellen, das e h r ­ würdiger u n d reicher a n B e d e u t u n g wäre als logos, weil bei d e n G r i e c h e n s o w o h l der e i n g e b o r e n e S o h n G o t t e s als a u c h V e r n u n f t u n d W e i s h e i t G o t t e s m i t d i e s e m Na­

m e n b e z e i c h n e t w ü r d e n .2 0

N a c h B u d e f i n d e n R h e t o r i k u n d P h i l o s o p h i e also i m c h r i s t l i c h e n logos ihr g e m e i n s a m e s F u n d a m e n t . Er ist der Q u e l l , aus d e m b e i d e entspringen: ratio u n d oratio, V e r n u n f t u n d R e d e , F o r m u n d Inhalt. I m G r u n d e s i n d B e r e d s a m k e i t u n d W e i s h e i t also gar n i c h t v o n e i n a n d e r z u t r e n n e n , ihr göttlicher U r s p r u n g rechtfertigt b e i d e in gleicher Weise. D a m i t antwortet B u d e auf E r a s m u s , der in gut christlicher M a n i e r b e h a u p t e t hatte, dass n i c h t das S c h ö n e , s o n d e r n das U n s c h e i n b a r e u n d Ilässliche das G ö t t l i c h e enthalte.2 1 I m Gegensatz d a z u favorisiert der F r a n z o s e die beseelte s c h ö n e F o r m . M i t s e i n e m A r g u m e n t der G l e i c h u r s p r ü n g l i c h k e i t v o n W e i s h e i t u n d B e r e d s a m k e i t w e n d e t B u d e das c i c e r o n i a n i s c h e Ideal weiser B e r e d s a m k e i t ins C h r i s t l i c h e u n d öffnet dieses für e i n e Begegnung m i t antiker Kultur.

I m g l e i c h e n S i n n e h a t d e r B o l o g n e s e r H u m a n i s t A c h i l l e B o c c h i das Motiv v o n H e r m e s u n d A t h e n a z u n u t ­ z e n gewusst. Mit i h m u n d d e m K u p f e r s t e c h e r G i u l i o

B o n a s o n e setzt n u n die Bildgeschichte der H e r m a t h e n a ein. D e n n der erste E n t w u r f für sein Stadtpalais aus d e m J a h r e 1 5 4 5 zeigt die n a h e z u q u a d r a t i s c h e Fassade eines Palazzo, dessen A t t i k a l i n k s v o n H e r m e s u n d rechts v o n A t h e n a b e k r ö n t wird. Es h a n d e l t sich hierbei u m die erste » e m b l e m a t i s c h e « Z u s a m m e n f ü h r u n g der b e i d e n G o t t h e i t e n i n der N e u z e i t , w o b e i der R ü c k b e z u g auf C i c e r o u n d seine t u s c u l a n i s c h e H e r m a t h e n a eindeutig ist, sollte der P a l a z z o d o c h a u c h e i n e literarische A k a d e ­ m i e beherbergen.2 2

Dieser E n t w u r f k a m j e d o c h n i c h t z u r A u s f ü h r u n g , u n d auf das F i g u r e n p r o g r a m m w u r d e verzichtet. D o c h hat der B a u h e r r seine Schutzgötter keineswegs verges­

s e n . F ü r s e i n e i n f l u s s r e i c h e s E m b l e m b u c h Symboli- carum Quaestionum, De universo genere, quas serio ludebat, Libri Quinque, das zuerst 1555 e r s c h i e n , hatte er ein E m b l e m ( A b b . l ) e n t w o r f e n , das die Vereinigung v o n H e r m e s u n d A t h e n a sinnfällig v o r A u g e n führt.2 3 D i e Darstellung zeigt die E c k s i t u a t i o n eines G e b ä u d e s m i t r u s t i z i e r t e m Sockelgeschoss, ü b e r d e m die H e r n i e n v o n A t h e n a u n d H e r m e s appliziert sind. Sie s t e h e n gewisser­

m a ß e n »über Eck« u n d h a b e n die A r m e ineinanderge- h a k t . D i e G ö t t e r e r s c h e i n e n als Paar, u n d fast k ö n n t e m a n m e i n e n , die Blicke der b e i d e n träfen sich. V e r b u n ­ d e n w e r d e n sie z u d e m d u r c h e i n e n k l e i n e n A m o r , der ge­

n a u mittig auf der K a n t e plaziert ist. E i n e r seiner b e i d e n A r m weist in m i c h e l a n g e l e s k e m G e s t u s ü b e r die S c h u l ­ ter, w ä h r e n d er in der a n d e r e n H a n d ein Z a u m z e u g hält, m i t d e m er e i n e n s k u l p i e r t e n L ö w e n k o p f z u s e i n e n F ü ß e n bändigt.

V e r s c h i e d e n e s u b t i l e M e t a p h e r n d e r V e r e i n i g u n g g r e i f e n bei d i e s e r I n s z e n i e r u n g i n e i n a n d e r : d i e V e r ­ s c h r ä n k u n g der A r m e , der B l i c k k o n t a k t u n d der v e r m i t ­ telnde A m o r k n a b e . H e r m e s u n d A t h e n a w e r d e n auf diese W e i s e als inniges Paar vorgestellt, das seine sprichwörtli­

c h e G e g e n s ä t z l i c h k e i t z u ü b e r w i n d e n weiß. Diese D e u ­ t u n g erfährt i m Schriftteil des E m b l e m s eine Bestäti­

gung. So lautet die Inscriptio: »Die Mäßigung lässt die W e i s h e i t v o l l k o m m e n w e r d e n , der Fortschritt (in d e n

u \ itisjft-.. M ^ , t;'4L <ä*ä1

5 £ 5 r

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SfilÄ

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Abb. 1 Achille Bocchi, Symbolicarum Quaestionum, De universo genere, quas serio ludebat, Libri Quinque, Bologna 1555, Liber IUI, Symbolon CIL

(4)

S t u d i e n ) verbessert die B e r e d s a m k e i t . U n d dies z u s a m­ m e n m a c h t das G l ü c k ( d e n Erfolg) vollständig.«2 4

D i e G e m e i n s a m k e i t v o n W e i s h e i t u n d B e r e d s a m k e i t führt z u r v o l l k o m m e n e n Glückseligkeit, w e n n H e r m e s u n d A t h e n a d i e s e m Ziel m i t vereinten Kräften entgegen­

streben. Dabei spricht der erläuternde T e x t d a v o n , dass die b e i d e n G ö t t e r d e m »heiligen K n a b e n « bei der B ä n d i ­ gung des M o n s t r u m s zur Seite s t ü n d e n . G l e i c h z e i t i g lässt der Bildteil des E m b l e m s d e n E i n d r u c k e n t s t e h e n , der G e g e n s a t z v o n » s a p i e n t i a « u n d » e l o q u e n t i a « w ü r d e d u r c h die M a c h t der L i e b e - v e r k ö r p e r t in A m o r - ü b e r ­ w u n d e n . »Sic m o n s t r a d o m a n t u r - So w e r d e n die M o n ­ ster g e z ä h m t « , liest m a n auf d e m G e s i m s , ü b e r d e m sich die Figurentrias erhebt.

D a s d a r u n t e r b e f i n d l i c h e Rustikageschoss galt in der A r c h i t e k t u r t h e o r i e der R e n a i s s a n c e als n a t u r w ü c h s i g e B a u f o r m . V o r d i e s e m Hintergrund k a n n der i m E m b l e m dargestellte A m o r k n a b e , u n t e r s t ü t z t v o n d e n i h n flankie­

r e n d e n G ö t t e r n , gar als Bändiger der triebhaften Natur a n g e s e h e n w e r d e n .

D o c h d a m i t sind seine m ö g l i c h e n B e d e u t u n g e n n o c h n i c h t erschöpft. Der puer sanctus, wie er i n der S u b - scriptio g e n a n n t wird, lässt sich n ä m l i c h d u r c h a u s als christologische A n s p i e l u n g v e r s t e h e n , z u m a l die archi­

t e k t o n i s c h e Situation - auf der E c k e - e i n e n g e d a n k ­ l i c h e n B r ü c k e n s c h l a g z u r A p o s t e l g e s c h i c h t e g e r a d e z u provoziert: Petrus spricht dort v o n C h r i s t u s als d e m E c k ­ stein ( A p o s t e l g e s c h i c h t e 4, I I ) .2 5 In b i l d l i c h - e m b l e m a t i - scher F o r m f i n d e n wir hier also dieselbe Struktur, die a u c h B u d e s K o n z e p t i o n v o n ratio u n d oratio z u g r u n d e lag. Das C h r i s t u s s y m b o l des E c k s t e i n s verweist auf d e n Logos als Bedingung der V e r b i n d u n g v o n W e i s h e i t u n d B e r e d s a m k e i t .

D E R C H R I S T L I C H E C I C E R O U N D D I E K U N S T

V o n B o c c h i s E m b l e m b u c h aus n i m m t die H e r m a t h e n a i h r e n W e g in die K u n s t g e s c h i c h t e . Bereits i m J a h r e 1 5 5 6 e r s c h e i n t das Motiv in V i n c e n z o Cartaris Imagini delli

ö

dei de gl'antichi: A r m in A r m s t e h e n die G ö t t e r eng bei­

einander.2 6 W i e d e r k o m m e n G e g e n s ä t z e z u m Ausgleich:

D e n n o b g l e i c h H e r m e s d e n E i n d r u c k e r w e c k t v o r a n ­ z u s c h r e i t e n , hat er d e n n o c h d e n A r m u m A t h e n a gelegt u n d wird m i t ihr a m O r t v e r h a r r e n . Der erläuternde T e x t b e z i e h t sich n u n explizit auf C i c e r o s A t t i c u s - B r i e f e u n d u n t e r s t r e i c h t d i e d o r t b e r e i t s angelegte B e d e u t u n g s ­ d i m e n s i o n der H e r m a t h e n a als a k a d e m i s c h e s W a h r z e i ­ c h e n i m S i n n e der Z u s a m m e n f ü h r u n g v o n B e r e d s a m k e i t u n d Weisheit.2 7 D a m i t steht Cartari in einer L i n i e m i t B u d e u n d B o c c h i .

Es wird d e u t l i c h , dass die O r i e n t i e r u n g an C i c e r o all j e n e vereint, die sich in i h r e m D e n k e n , S c h r e i b e n u n d Bilden auf die b e i d e n G o t t h e i t e n H e r m e s u n d A t h e n a be­

rufen. Kurz: H e r m a t h e n a ist das S i n n b i l d eines christ- Zic/x-ciceronianischen Bildungsideals g e w o r d e n . G e g e n alle r e f o r m a t o r i s c h e n E i n w ä n d e wird C i c e r o p a r a d i g m a ­ tisch als Inbegriff der ars bene dicendi verteidigt. A u c h für e i n e n C h r i s t e n d ü r f e n eloquentia u n d sapientia n i c h t geschieden w e r d e n .

E b e n darin b e s t a n d a u c h s c h o n die historische Ziel­

s e t z u n g v o n C i c e r o s r h e t o r i s c h e m H a u p t w e r k De orato- re: Die S c h u l e n der R h e t o r i k u n d der P h i l o s o p h i e sollten wieder v e r e i n t w e r d e n , die seit der s o k r a t i s c h e n Kritik a n R h e t o r e n u n d S o p h i s t e n als v o n e i n a n d e r getrennte D i s z i p l i n e n sich e n t w i c k e l t e n . Crassus, der Protagonist des C i c e r o n i s c h e n Dialogs über d e n Redner, beklagt z u ­ tiefst »jene so u n s i n n i g e , n u t z l o s e u n d t a d e l n s w e r t e T r e n n u n g z w i s c h e n Zunge u n d G e h i r n , die d a z u führte, dass u n s die e i n e n d e n k e n u n d die a n d e r e n r e d e n lehr­

ten«2 8. W i e s c h o n C i c e r o die sokratische U n t e r s c h e i d u n g in w a h r e r P h i l o s o p h i e u n d bloßer R h e t o r i k z u ü b e r w i n ­ d e n t r a c h t e t e , so a r b e i t e n n u n die h e r m a t h e n i s c h e n G e l e h r t e n d a r a n , die T r e n n u n g v o n F o r m u n d Inhalt, w e l c h e E r a s m u s a u s d r ü c k l i c h i m N a m e n des Sokrates vollzogen hatte, rückgängig z u m a c h e n .2 9

E n t s c h e i d e n d ist, dass die Künstler des a u s g e h e n d e n 16. J a h r h u n d e r t s die H e r m a t h e n a u n d d a m i t die Erfül­

lung des c i c e r o n i a n i s c h e n Ideals für sich selbst in A n ­ s p r u c h n e h m e n . Das b e d e u t e t z u m e i n e n , dass sie aus ihrer d i e n e n d e n Rolle gegenüber der T h e o l o g i e h e r a u s ­ drängen, z u m a n d e r e n , dass sie die b i l d e n d e K u n s t als das geeignete Feld a n s e h e n , z u einer w a h r e n S y n t h e s e v o n Gestalt u n d G e h a l t z u gelangen.

Sehr d e u t l i c h zeigt sich dies a m W e r k v o n Federico Z u c c a r i , der in s e i n e n B i l d e r f i n d u n g e n m e h r f a c h auf H e r m e s u n d A t h e n a zurückgreift. Hat er d o c h i m P a l a z z o Farnese in C a p r a r o l a eine H e r m a t h e n a gemalt, w e l c h e die b e i d e n G ö t t e r A r m in A r m zeigt u n d w i e d e r u m d u r c h ihre Bcinstellung vereint. Für die Verbreitung dieser I k o ­ n o g r a p h i e dürften allerdings zwei Stiche b e d e u t s a m e r sein, die C o r n e l i s C o r t n a c h Vorlagen Zuccaris anfertig­

te. Sie zeigen H e r m e s u n d A t h e n a in e x p l i z i t k u n s t ­ t h e o r e t i s c h e n Z u s a m m e n h ä n g e n : Der Maler der Wahr­

heit (Bartsch 2 2 1 ) u n d Die Verleumdung des Apelles (Bartsch 219).

Abb. 2 Federico Zuccari, Die Verleumdimg des Apelles, 1572, Feder und Pinsel, 406 x 536 m m , Hamburger Kunsthalle, Kupfer­

stichkabinett

(5)

Im Besitz der Hamburger Kunsthalle befindet sich die Vorzeichnung Zuccaris zum letztgenannten Stich aus dem Jahre 1572 (Abb. 2). Es fällt auf, dass Zuccari die

Szene der Verleumdung um eine Rahmenerzählung er­

weitert hat. Der italienische Künstler begnügt sich nicht damit, den antiken Schriftsteller Lukian von Samosta bildlich nachzuerzählen, sondern er erfindet einen eige­

nen kunsttheoretischen Kommentar hinzu. Lukian be­

richtet, dass der berühmte Maler Apelles durch seinen neidischen Kollegen Antiphilos beim Pharao Ptolemäus verleumdet worden sei, jedoch seine Unschuld habe be­

weisen können. So erkennt man im inneren Bildfeld auf der linken Seite den eselsohrigen Pharao, wie er im Be­

griff ist, ein verheerendes Fehlurteil zu fällen, da er den Eingebungen der Verleumdung rechts und der Eifersucht hinter ihm erlegen ist. Und während seine Linke noch auf den Beschuldigten weist, greift die Rechte bereits nach hinten, um das Schloss zu öffnen, mit dem die Fi­

gur des blinden und brutalen Zorns (furore, wie er im Stich betitelt ist) in Ketten gehalten wird. Es ist offen­

sichtlich, dass eine Entfesselung des Rasenden zur Ver­

nichtung des Künstlers führen müsste, würde nicht die weise Athena den urteilsschwachen Herrscher von sei­

nem verderblichen Tun mit einer ruhigen, aber be­

stimmten Geste abhalten. Auf der gegenüberliegenden Seite hat sich Hermes des Malers angenommen und bringt diesen - zusammen mit der Zeugin seiner Un­

schuld: der nackten Wahrheit - in Sicherheit. Die beiden Götter sind die Beigaben Zuccaris zur Geschichte, sie werden zu besonnenen Fürsprechern der Malerei im Zeitalter ihrer religiösen Kritisierbarkeit.

30

H E R M A T H E N A T R A N S A L P I N A

Die Vermittlung der Hermathena nach Nordeuropa ist wohl vor allem das Verdienst des Prager Hofmalers Bar­

tholomäus Spranger. Er hatte zunächst in Rom als päpst­

licher Hofkünstler gearbeitet und Zuccari bei den Fres­

ken in Caprarola assistiert. Hier ist er vermutlich auf das Thema gestoßen, das er später am Habsburger Hof in Prag etablieren wird. Spranger ist es auch, der die Herm­

athena ähnlich eindeutig in einen kunsttheoretischen Kontext einbrachte wie Zuccari: Ein Blatt (vgl. Kat.- Nr. 8), das zwar erst 1628 publiziert wurde, dessen Vor­

zeichnung aber aus dem Jahre 1592 stammt, zeigt einen jungen Künstler, der von Merkur vor den Thron der Minerva geführt wird, um von dieser mit dem Lorbeer gekrönt zu werden.

31

Während nun an der Rückseite des Throns die besiegten Laster - Dummheit, Faulheit und Neid - in Fesseln liegen, besteigen im Hintergrund links die Musen den Helikon, angeführt von den Disegno-Kün- sten Malerei, Skulptur und Architektur.

32

Es ist der Triumph der ehemals als handwerklich ver­

femten Künste, der hier in Szene gesetzt ist: die Befrei­

ung der bildenden Kunst von ihrer Unterdrückung durch Unwissenheit, Missgunst und Neid. Diesem Ziel kamen

die Prager Maler tatsächlich näher, als Rudolf II. am 27.

April 1595 einen Majestätsbrief erließ, mit dem er die Malerei in den Rang einer freien Kunst erhob. Spranger lieferte daraufhin einen Entwurf für das neue Gildewap­

pen, auf dem Minerva zusammen mit Merkur und Fama eine Trias bildet. Damit etikettiert er die Malergilde ge­

wissermaßen als akademische Institution, und »Herm­

athena« bestätigt sich als Leitmotiv der Malerei als freier Kunst.

Auch ein Deckenfresko im sogenannten »weißen Turm« der Prager Burg, das vermutlich zwischen 1595 und 1600 entstanden ist, zeigt die beiden Gottheiten - unserem nach oben gerichteten Blick entsprechend vor einem blauen Himmelsgrund: Merkur energisch aus­

schreitend und Minerva entspannt auf einer Wolke la­

gernd.

33

Diese Antithese von Ruhe und Bewegung kennzeich­

net ein weiteres Werk aus dem Prager Umfeld. Hans von Aachen hat sich - in Zusammenarbeit mit dem Emble- matiker Joris Hoefnagel und dem Kupferstecher Aegidius Sadeler - ebenfalls des Themas angenommen. Im Rah­

men einer Stichfolge von drei Blättern (Abb. 3) erscheint die Hermathena hier unter dem Schlagwort des »schnel­

len Laufes« (Cursus) wiederum als Sinnbild von Aus­

gleich, Vermittlung und Mäßigung. Arm in Arm werden die Götter auf einem steinernen Sockel präsentiert, und während Athena dort statuarisch ihren Schwerpunkt ge­

funden hat, will der Götterbote erhobenen Fußes schon wieder entfliehen. Doch ihre Blicke binden die beiden in Zuneigung aneinander, so dass hierin nicht zu Unrecht die Verbildlichung des erasmischen »Eile mit Weile« (fe-

stina lente) gesehen wurde. Das auf dem Postament an­

gebrachte Epigramm Hoefnagels, in dem das Leben ei­

nem Würfelspiel verglichen wird, fordert ausdrücklich die Überwindung des Zufalls durch die Kunst.

34

Dass es tatsächlich die Kunst sein soll, die das Ideal eines gelungenen Lebens erfüllt, machen die Hinter­

grundszenen deutlich. Links erkennt man die Enthaup­

tung der Medusa durch Perseus, der seine Waffen sinni-

6

< H E I U \ A T H E N A ^

Abb. 3 Aegidius Sadeler nach Hans van Aachen, Hermathena, Kupferstich

(6)

gerweise von Hermes und Athena erhalten hat. Der aus dem Blut der Gorgone entsprungene Pegasus - geflügel­

tes Ross und Gefährte der Dichter - entschwebt schon in die Lüfte. Auf der rechten Bildhälfte entdecken wir ihn dann wieder, wie er durch seinen Hufschlag die Quelle Ilippokrene am Helikon, dem Berg der jungfräulichen Musen, entspringen lässt. Am Fuße des Berges, wohin sich der Quellfluss ergießt, haben sich die neun Musen schließlich zu einem gemeinsamen Konzert versammelt.

Der Hintergrund des Hermathena-Stichs liefert somit eine Abfolge von Szenen, in der Entstellung und Ent­

wicklung der Künste von der gewaltsamen Überwindung der Triebhaftigkeit bis zur friedlichen Harmonie der Musen in sinnbildlich-gedrängter Form zum Ausdruck kommt. Eine Entwicklung, für die Hermes und Athena durch ihre Waffengabe an Perseus verantwortlich sind:

Künstlerischer Fortschritt ist nur mit dem Segen beider Götter zu erreichen.

Die zentrale Rolle der Hermathena in der reflexiv­

theoretischen Kunst am Prager Hof legt die Vermutung nahe, Goltzius habe mit seiner Gestaltung des Themas den Anschluss an die theoretischen Ideale der rudolfini- schen Kunst gesucht. Und in der Tat fällt seine erste Her­

mathena in die Zeit des regen künstlerischen Austauschs mit Spranger.

33

Doch wäre es verkehrt, in Goltzius allein den Epigo­

nen Sprangers zu sehen; seine Auseinandersetzung mit dem Sujet der Hermathena (vgl. Kat.-Nr. 10) deutet viel­

mehr auf ein eigenständiges Problembewusstsein. Für ihn, der in den bilderstürmenden Niederlanden arbeite­

te, wird das Thema sogar eine weit größere Dringlichkeit besessen haben als für die Künstler am liberalen rudol- finischen Hof, denen es letztlich »nur« um soziale Aner­

kennung ging. In den Niederlanden hingegen galt es, die neuen Errungenschaften der italienischen Renaissance in einem fundamentaleren Sinne zu verteidigen: Das im­

portierte antike Erbe musste gegenüber dem religiösen Eifer ebenso gerechtfertigt werden wie der nackte mensch­

liche Körper als bildwürdig zu erweisen war. Dieser Her­

ausforderung haben sich die Künstler der sogenannten Haarlemer Akademie gestellt.

Im Rahmen dieser Auseinandersetzung hat sich die Hermathena-Ikonographie als äußerst aussagekräftiges christliches »Schlagbild« erwiesen, das dem Vorwurf ei­

nes erneuerten Heidentums selbstbewusst entgegentre­

ten konnte. Denn die Vereinigung von Weisheit und Be­

redsamkeit sollte - wie wir sahen - ihren Ursprung in Christus, dem göttlichen Logos, finden. Angetrieben von dem Begehren, das bloße Handwerk zu übersteigen, be­

gibt sich die Kunst des ausgehenden 16. Jahrhunderts in die theoretische Obhut humanistischer Gelehrsamkeit.

Was sich hier neben dem Streben nach Nobilitierung vollzieht, ist eine Binnenwendung der Kunst, die - wenn

auch nur dem Wunsche nach - beginnt, sich auf ihre eigenen, ganz spezifischen Probleme und Problemlösun­

gen zu besinnen. In diesem Lichte erscheint das herm­

athenische Ideal als utopische Antizipation künstleri­

scher Autonomie.

1 »[...] doctis numina sacra viris.« So heißt es in der Bildun­

terschrift des Hermathena-Kup- ferstiohs von Jacob Matham, der nach einer Zeichnung von Hen- drick Goltzius entstanden ist.

(Vgl. Kat.-Nr. 9).

2 Van Mander-Floerke 1906, II, S. 239.

3 Van Mander-Floerke 1906, II, S. 404.

4 Van Mander-Floerke 1906, II, S. 311.

5 Vgl. dazu einführend Pevsner 1940.

6 Vgl. Wind 1958, S. 232 f., der darauf hinweist, dass es sich bei den beiden Briefstellen (Ad Atti- cum I, 1, 5 sowie I, 4, 3) um die beiden einzigen Erwähnungen der Hermathena in der antiken Lite­

ratur handelt.

7 Vgl. DaCosta Kaufmann 1981.

8 Vgl. Cicero-De oratore.

9 Diese Ansicht geht zurück auf Bellori, der in seiner Carracci- Vita schrieb, dass mit dem Ende der Renaissance die Künstler auf­

hörten, die Natur zu studieren und begannen, ihre Kunst durch kapriziöse Einfälle zu verfälschen.

Vgl. Gombrich 1985, S. 138.

10 Zur impliziten Theologie van Manders vgl. Müller 1993.

11 Vgl. Krystof 1997, S. 90 ff.

12 Vgl. Erasmus-Ciceronianer.

13 Vgl. Fumaroli 1980, S. 77 ff.

14 Vgl. Erasmus-Ciceronianer, S. 171.

15 Vgl. Erasmus-Ciceronianer, S. 321.

16 Vgl. dazu einführend - kurz und prägnant - Curtius 1948, S. 82 ff.

17 Vgl. Bude-L'etude, S. 50f.

18 Vgl. Bude-L'etude, S. 60 f.

19 Inspiriert war er gewiss durch Martianus Capella, dessen De nuptiis Philologiae et Mereurii in seinem Besitz war. Vgl. Kat.

Paris 1968, Kapitel VIII: Biblio- theque, Kat.-Nr. 163, S.40. Zu Capellas Schrift allgemein vgl.

Curtius 1948, S. 47 ff.

20 Diese Vorstellung stützt sich auf den Prolog des Johannes- Evangeliums.

21 Vgl. dazu Müller 1999, S. 90-125.

22 Zu Bocchi allgemein vgl.

Watson 1993. Zur Ikonologic der Fassadenkonzeption des Palazzo Bocchi vgl. Kiefer 1999.

23 Bocchi-Symbolicarum, Liber IUI, Symbolon CIL

24 »SAPIENTIAM MODESTIA, PROGRESSIO ELOQVENTIAM, FELICITATEM HAEG PERFICIT«

Die Motive werden innerhalb der Pictura (wie dann auch in der Subseriptio) nochmals aufgenom­

men: »Mc duce perficics - Voll­

ende es mit meiner Führung«, sowie: »Tu modo progredere - Sehreite mit Maß.«

25 Vgl. in diesem Zusammen­

hang Symbolon GIX., das die imaginäre Lokalisierung der Hermathena an Bocchis Palazzo konkreter darstellt.

26 Hier zitiert nach der Ausgabe Venedig 1647.

27 Cartari-Imagini, S. 188.

28 Cicero-De oratore, III, 61.

29 Vgl. Müller 1999, S. 90-105.

30 Das Blatt Zuccaris ist - mit seiner allegorischen Rahmung, die noch dazu in Zeichnung und Stich differiert - weitaus komple­

xer als es hier besprochen werden kann.

31 Vgl. dazu Vignau-Wilberg 1997, S. 179-188.

32 Zu beachten ist hier die Ver­

bindung zu Sprangers Gemälde

»Der Triumph der Weisheit«, das ebenfalls den Sieg der Minerva über die Ignorantia zum Thema hat. Vgl. dazu Müller 1994, S. 46-57.

33 Vgl. Fuci'kovä 1989/90.

34 »ITA VITA EST IIOMINVM, QVASI CVM LVDAS TESSERIS, / SI ILLVD, Q V O D EST MAXIME OPVS, IACTV NON CADIT, / ILLVD, Q V O D GECIDIT FORTE, ID A R T E VT GORRIGAS.« (Das Leben der Menschen ist so wie dein Spiel mit den Würfeln. Wenn jenes durch den Wurf nicht lallt, ist dieses das höchste Werk. Ist jenes zufällig gefallen - dies, da­

mit du es durch die Kunst zurecht richtest.)

35 Vgl. Strech 1998, S. 201.

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