DIE GLOSSE
Beim Betrachten alter Schulfotos
Alte Klassenfotos im „Hei- matblatt" einer Organisation schlesischer Vertriebener (nach dem Motto: Erinnerungsstücke an die Heimat gehören bei einer Saushaltsauflösung nicht in die Mülltonne). Dabei kann man volksgesundheitliche Betrachtun- gen anstellen.
Abgebildet sind eine offen- bar einklassige Dorfschule („Zwergschule") im Jahre 1934 oder 1935 und eine städtische Sexta im Jahre 1928, insgesamt 58 Jungen und 30 Mädchen (plus ein Lehrer und ein Studienrat).
Soweit erkennbar, trug nie- mand einen Gürtel. Bei den Sex- tanern ist allerdings nur ein Paar Hosenträger zu sehen. Von den
24 haben 13 Matrosenanzüge oder im Stil ähnliche Pullover an;
man sieht also nicht, was darunter steckt. In der Dorfschule gibt es nur zwei Matrosenanzüge. Bei den 34 Jungen sind zumindest zwölf Paar Hosenträger zu erken- nen (unübersehbar komisch: ein abgerissener Knopf).
Von den elf Paar Jungenbei- nen in der ersten Reihe sind acht barfuß — hatten sie keine Schuhe, oder brauchten sie keine? (Zum Vergleich: Die elf Sextaner in de- ren erster Reihe haben sämtlich Schuhe an. Vier tragen kurze Socken, sechs Kniestrümpfe, ei- ner lange schwarze Strümpfe.)
Ob es aber wohl heute mög- lich wäre, 88 deutsche Schulkin- der und zwei Lehrer zu fotogra- fieren, ohne daß auch nur eine einzige Brille aufs Bild kommt?
Hatten Sie keine, oder brauchten sie keine . . . ? gb ven Medizin in den Bereich der Pri-
märprävention dann erfolgen, wenn im ureigensten Bereich der gesetzli- chen Krankenversicherung, in Dia- gnose, Therapie und Rehabilitation, Aufgaben zu erfüllen sind, die stei- gende Mittel erfordern. Im übrigen ist das Kriterium einer Versicherung immer noch die Versicherbarkeit, gleichgültig, ob die Versicherung so- lidar oder individuell erfolgt. Kran- keit ist versicherbar — Gesundheit nicht.
I Der Schwerpunkt muß bei den Mitgliedern liegen
Prävention ist eine Aufgabe für alle Bereiche des Gesundheitswe- sens, wobei jeder Bereich die ihm gegebenen Möglichkeiten in der Prävention wahrzunehmen hat.
Prävention ist eine allgemeinge- sellschaftliche, eine die Gesamtheit aller Bürger betreffende Aufgabe.
Von daher kommt dem Staat eine besondere Bedeutung insbesondere in der Primärprävention zu. Er
nimmt diese Aufgabe wahr, so über den öffentlichen Gesundheitsdienst, über die Bundeszentrale für gesund- heitliche Aufklärung oder über die Förderung zahlreicher Institutionen und Maßnahmen im Bereich der Prävention.
In der gesetzlichen Krankenver- sicherung liegt der Schwerpunkt in der mitgliederorientierten Präven- tion. Hierzu gehören die individuel- le Beratung und die Früherkennung.
Primärprävention als Auftrag an die gesetzliche Krankenversicherung gibt die Möglichkeit zur Information der Mitglieder zum Beispiel über Mitgliederzeitschriten, über Aus- stellungen in den Kundenzentren oder über die Verteilung von Infor- mationsmaterial zu Fragen einer ge- sunden Lebensführung und der Ver- hütung von Krankheiten. Die ge- setzliche Krankenversicherung ist weiterhin aufgefordert, wie bisher auf allen Ebenen in Vereinigungen und Arbeitsgemeinschaften mitzu- wirken, die insbesondere der Ge- sundheitserziehung, der Gesund- heitsförderung, der Verhütung von Krankheiten und damit der Primär-
prävention dienen. Hier kann und muß die gesetzliche Krankenversi- cherung ihre besonderen Erfahrun- gen, ihre Daten und ihre Initiativen einbringen. Ein allgemeiner Auftrag zur Prävention, ein Auftrag, der die gesamte Gesellschaft umfaßt und damit alle Bereiche, in denen Pri- märprävention vorstellbar und nötig ist, muß jedoch abgelehnt werden.
Dies ist nicht Aufgabe der gesetzli- chen Krankenversicherung.
I Schlußbemerkung
Die gesetzliche Krankenversi- cherung ist in erster Linie eine Ver- sicherung für den Krankheitsfall — dies sollte sie bleiben. Die Versi- cherten in der gesetzlichen Kranken- versicherung haben Anspruch auf Versorgung im Krankheitsfall nach dem letzten Stand der medizinischen Wissenschaft. Sie haben Anspruch auf Teilhabe am medizinisch-techni- schen Fortschritt. Ihr Anspruch rich- tet sich ausschließlich gegen die ge- setzliche Krankenversicherung und ist auf keinen anderen Leistungsträ- ger übertragbar.
Prävention ist eine allgemeine gesundheitspolitische Aufgabe. Je- der Teilbereich des Gesundheitswe- sens muß die präventiven Maßnah- men durchführen, die für sein Auf- gabengebiet adäquat und spezifisch sind. Dies gilt selbstverständlich auch für die gesetzliche Krankenver- sicherung.
1) Standpunkt. AOK-Bundesverband zu aktuellen The- men Nr. 3. Hrsg.: AOK-Bundesverband, Bonn, Fe- bruar 1988
2) Kressin, Udo: Primäre Gesundheitserziehung in der Bundesrepublik Deutschland Ein Überblick über Grundlagen, Möglichkeiten, Grenzen und Wider- stände primärpräventiver Beeinflussung der Bevöl- kerung - Konstanzer Dissertationen, Bd. 41.2 Aufl., Hartung-Gorre-Verlag, Konstanz 1987.
3) Laaser, NL, G. Sassen, G. Murza, P. Sabo (Hrsg.):
Prävention und Gesundheitserziehung. Springer- Verlag, Berlin Heidelberg 1987. ISBN 3-540-18488-0.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Fritz Beske Institut für
Gesundheits-System-Forschung Beselerallee 41
2300 Kiel A-2204 (24) Dt. Ärztebl. 85, Heft 31/32, 8. August 1988