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Archiv "Zum Titel: Rettungsdienst wird zum politischen Schlachtfeld" (11.02.1994)

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POLITIK

Im Rahmen der großangelegten Sparaktionen im Gesundheitswesen konnte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auch den Be- reich des Rettungsdienstes als Aus- gabequelle für Kosten im Gesund- heitswesen nicht übergehen. Die Fra- ge nach möglichen Einsparungen in diesem Bereich ist nicht nur berech- tigt, sondern sogar erforderlich, wenn eine Kostenreduzierung das politische Ziel ist.

Obwohl die Gesamtkosten für den Rettungsdienst in der Ausgaben- position „Fahrtkosten", die neben dem Krankentransport, der Notfall- und Luftrettung auch die Gesamtheit der sonstigen Reisemittel umfassen, nur einen Anteil von 1,2 Prozent der gesamten Kosten des Gesundheits- wesens ausmachen, bleibt immer noch die Berechtigung, auch hier zu möglichen Einsparungen zu kom- men. Die Frage ist nur, wo kann sinn- voll gespart werden vor dem Hinter- grund des Stellenwertes der Notfall- rettung für die Gesamtkrankheitsko- sten und ein Überleben des einzel- nen Notfallpatienten. Hier scheint allerdings den Verantwortlichen des Ministeriums durch einen zu vorder- gründigen Blick auf Bilanzen der Einblick in medizinische Notwendig- keiten getrübt worden zu sein.

Seehofer will

500 Millionen sparen Ausgangspunkt der Sparüberle- gungen war eine Ausarbeitung eines Mitarbeiters des BMG, in dem wahl- los Fakten aus dem Rettungsdienst unter dem Titel „Rettungs- und Krankentransportwesen: leistungsfä- hig, aber teuer" zusammengetragen und verglichen wurden. Das mündete schließlich in die pauschale Folge- rung, daß bei einem wettbewerbli- chen Ansatz mittelfristig im Ret- tungs- und Krankentransportdienst

KOMMENTAR

mindestens 20 Prozent eingespart werden könnten. Bundesgesund- heitsminister Horst Seehofer (CSU) hat auch sofort diesen Ball aufgefan- gen und im Sommer 1993 alle im Rettungsdienst Tätigen damit aufge- schreckt, daß nunmehr 500 Millionen DM im Bereich des Rettungsdienstes eingespart werden müssen.

Bei genauer Analyse der Daten- sammlung wird klar, daß hier eine Reihe von Fehlinterpretationen und unbewiesene Fakten zu einem Fehl- schluß geführt haben. Im Gegensatz zu anderen Strukturen des Gesund- heitswesens wird der Rettungsdienst als fest etablierter, umfassend ausge- bauter und effektiv arbeitender Be- reich eingeordnet. Es wird der Ret- tungsdienst auf der Basis des Unfall- verhütungsberichtes Straßenverkehr aus dem Jahr 1981 (!) als in seinem Aus- und Aufbau gesichert zugrunde gelegt, da die Planungsziele in wei- tem Umfang erreicht und im Bundes- gebiet ein befriedigender Ausbauzu- stand vorhanden seien. Nur punktu- ell seien weitere Verbesserungen nö- tig. Unabhängig von den enormen Veränderungen nach der Wiederver- einigung steht dem die Analyse der Bundesanstalt für Straßenwesen aus dem Jahr 1992 entgegen, wonach zehn Minuten nach Eingang einer Notfallmeldung bei der Rettungsleit- stelle nur 78 Prozent der Notfälle er- reicht werden, das sind drei Prozent weniger als im Jahr 1985. Bei interni- stischen Notfällen sind dies nur 71 Prozent. Gegen die Tatsache eines optimal ausgestatteten Rettungs- dienstes spricht auch die Reaktion der Landesregierungen, aus finan- ziellen Gründen bei der Beschaffung der Rettungswagen diese in ihren räumlichen Abmessungen zu verklei- nern, obwohl dadurch ergonomische Freiräume und damit die Arbeitsbe- dingungen sowie die medizinischen Möglichkeiten deutlich einge- schränkt werden. In der Vergangen-

heit waren die Veränderungen des Verhältnisses von Krankenwagen (KTW) zu Rettungswagen (RTW) ein Maß für die Verbesserungen der Versorgungsmöglichkeiten. Die nun- mehr bewußt unterlaufene DIN für RTW bei einer Verbesserung dieses Verhältnisses zugunsten von RTW macht die Vorhaltung von unzurei- chend geeigneten Rettungswagen zu einem Scheinargument.

Wenn aus politischer Sicht die Preisanhebungen für 1993 nicht er- klärbar sind und mit 13,4 Prozent ge- genüber dem Vorjahr aus dem Rah- men fallen, dann darf zumindest der Versuch einer Erklärung unterstellt werden, die aufgrund einer fehler- haften Gewichtung politischer Vor- gaben nicht erfolgreich sein kann. Im Vordergrund der Kostensteigerung steht die politisch gewollte Verände- rung der Personalstruktur durch ver- mehrte Einbeziehung von hauptamt- lichen Kräften mit höherer Qualifi- kation. Die stufenweise Umwandlung von nebenamtlichen und ehrenamtli- chen in hauptberufliche Stellen machte 1993 in Bayern einen Steige- rungsanteil von 19,5 Millionen DM aus. Der Steigerungsanteil durch die tarifvertraglich festgelegte Arbeits- zeitverkürzung, die 185 zusätzliche Planstellen notwendig machte, belief sich auf 12,4 Millionen DM. Zivil- dienstleistende kommen, abgesehen vom allgemeinen Rückgang, wie auch im Bereich der Ehrenamtlichen, auf- grund einer beschränkten Verfügbar- keit nur noch begrenzt als „billige"

Einsatzkräfte in Frage. In Bayern ist der Anteil der Ehrenamtlichen im Rettungsdienst von anfänglich 30 bis 40 Prozent im Jahr 1992 auf 20 Pro- zent zurückgegangen. Hier sind des- halb die Personalkosten beim Roten Kreuz von 1990 bis 1992 um 34,4 Pro- zent gestiegen. Als weitere Ursache für die Preissteigerungen des vergan- genen Jahres kommen neben den ta- rifvertraglichen Arbeitszeitverkür- zungen die Höhergruppierungen für das Rettungspersonal durch die Lan- desrettungsdienstgesetze sowie die damit verbundene Höhergruppie- rung für Rettungsassistenten in Fra- ge. Dazu kommen zusätzliche Tarif- erhöhungen durch Dienstalterszu- schläge und Erhöhungen der Sozial- versicherungsbeiträge.

Zum Titel

Rettungsdienst wird zum politischen Schlachtfeld

A-332 (28) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 6, 11. Februar 1994

(2)

POLITIK

Mit zunehmendem Ausbau der Notarztdienste stiegen nicht nur das Anspruchsdenken der Bevölkerung, in kürzester Frist bei Bedarf einen Notarzt verfügbar zu haben, sondern auch die Akzeptanz dieser ärztlichen Leistung als Teilbereich des Ret- tungsdienstes. Das Argument des BMG, daß die Mengenkomponente der Rettungsdiensteinsätze sich nicht verändert habe, ist ebenso falsch wie die Beurteilung der Verteilung zwi- schen — billigeren — Krankentrans- porten und — teuren — Rettungs- und Notarzteinsätzen. Seit 1985 haben die Krankentransporte um sieben Prozent abgenommen, die Notfall- einsätze aber um neun Prozent zuge- nommen Die Tatsache, daß bei 35 Prozent aller internistischen Notfälle kein Notarzt eingesetzt wurde, zeigt, daß bezüglich der notärztlichen In- terventionen sogar noch ein gewisser Nachholbedarf besteht. Bei den Haus-, Sport- und Freizeitnotfällen betrug der Anteil der Notarzteinsät- ze sogar lediglich 18,5 Prozent, trotz eines Anstieges von 1985 auf 1992 um 4,2 Prozent.

Das politische „Allheilmittel"

der Privatisierung und des dadurch erhofften Wettbewerbes kann flä- chendeckend zu keinen Einsparun- gen führen, da die verallgemeinernde Aussage, daß eine Konkurrenz zu ei- ner Senkung der Transportgebühren führt, bisher vollkommen unbewie- sen ist. Wie Untersuchungen in ei- nem Bundesland gezeigt haben, sind private Krankentransportunterneh- men nicht billiger als die Hilfsorgani- sationen, sondern teurer, wenn man als Bezugsgröße die Kosten pro Ret- tungsmittelstunde vergleicht.

Vor diesem Hintergrund droht den Ausgabensteigerungen der Jahre 1992/93 durch die extremen Gebüh- rensteigerungen, die die Kranken- kassen entgegen gesetzlichen Bestim- mungen vertraglich vereinbart haben (wie die AOK Rheinland-Pfalz) be- ziehungsweise wozu sie durch Schiedsentscheide staatlicher Behör- den oder durch Festsetzung der Kommunen gezwungen wurden, nun das BMG durch die Festsetzung von Festbeträgen zu begegnen. Das ist al- lerdings mit der augenblicklichen Rechtslage nicht vereinbar, da das Überschreiten der Deckelungsgrenze

KOMMENTAR

allein die Tatbestandsvoraussetzung des § 133 Abs. 2 SGB V für das Ein- führen von Festbeträgen nicht er- füllt.

Kostenerhöhungen unvermeidbar

Seehofer glaubt, daß der Ret- tungsdienst von den Einsparungsbe- mühungen im Gesundheitsdienst nicht abgekoppelt werden kann. Ab- gesehen davon, daß das BMG keiner- lei Zuständigkeit auf Landesebene besitzt, hält der bayerische Wirt- schaftsminister Wiesheu den Kran- kenkassen entgegen, sie hätten bei den Verhandlungen über die Benut- zungsentgelte die Diskussion verwei- gert und damit einer gütlichen Eini- gung im Wege gestanden. Als statisti- scher Trick wird der Vorwurf des Ge- sundheitsministers und der ihn un- terstützenden Krankenkassen zu- rückgewiesen, die Benutzungsentgel- te im Landesrettungsdienst wären zwischen 24 und 33 Prozent in Bay- ern erhöht worden. Die Hilfsorgani- sationen haben aber in Bayern nach- gewiesen, daß ihre Betriebskosten gegenüber dem letzten Jahr tatsäch- lich wesentlich höher lagen. Bei einer angebotenen Anhebung um 3,1 Pro- zent gegenüber den erforderlichen 16,8 Prozent wäre, wie das für den Rettungsdienst zuständige Innenmi- nisterium feststellte, der Rettungs- dienst in der bisherigen Form flä- chendeckend nicht mehr aufrechtzu- erhalten gewesen. An die 3,1-Pro- zent-Deckelung sind zwar die Kran- kenkassen, nicht aber die Länder ge- bunden, wenn es um die Sicherstel- lung der Notfallversorgung der Be- völkerung geht und der Rettungs- dienst und die Kassen sich nicht einig werden. Nachdem die für die diesjäh- rige Kostenerhöhung akzeptierten und von einem unabhängigen Wirt- schaftsprüfungsinstitut als sachge- recht bezeichneten Gründe (perso- nelle Umstrukturierung, Arbeitszeit- verkürzung) im Jahr 1994 — wie von der DAG bei der Konzertierten Akti- on bereits angekündigt — durch Tarif- erhöhungen für das Rettungsdienst- personal ergänzt werden und nicht etwa wegfallen, ist für die unmittel- bare Zukunft nicht mit einer wesent-

lichen Kostenreduzierung zu rech- nen. Es ist unstrittig und auch vom BMG in der Ausarbeitung nachge- wiesen, daß der Anteil der Personal- kosten bereits im Jahr 1978 bei dem zu diesem Zeitpunkt noch hohen An- teil ehrenamtlicher Leistungen 65 Prozent ausmachte.

Es wird der Zukunft vorbehalten bleiben, wer sich auf dem politischen Schlachtfeld im Kampf um die Preise durchsetzen wird. Unausweichlich dabei wird es sein, daß definiert wird, welcher Standard der notfallmedizi- nischen Versorgung künftig zugrun- degelegt werden kann, den die Politi- ker dann auch zu finanzieren bereit sind. Diese Entscheidung, für die Mediziner nicht verantwortlich ge- macht werden können, muß aber auch ganz klar dem Bundesbürger verdeutlicht werden. In den vorberei- tenden Gesprächen zur Konzertier- ten Aktion im Gesundheitswesen war dazu zu vernehmen, daß hierbei nach dem gleichen Konzept der Kostenre- duzierungen wie in anderen Berei- chen des Gesundheitswesens verfah- ren werden soll. Wie bei der Beschaf- fung einer Brille werden nur noch Grundkosten übernommen, während die Hauptlast des Rettungsdienstes dem Benutzer, also dem Patienten übertragen werden soll.

Wenn dieser erklärte Wille des BMG sich durchsetzen sollte, wird es Aufgabe der Betroffenen sein, sich damit auseinanderzusetzen. Die Schwierigkeit ist allerdings, daß die Bevölkerung sich mit dem Problem Krankheit und Tod nicht auseinan- dersetzen möchte und deshalb diesen Teilbereich des Lebens verdrängt.

Damit ist aber auch im Gegensatz zu finanziellen Fragen der Arbeitsent- lohnung die Finanzierung der Er- krankung und der damit verbunde- nen Kosten nachrangig. Viele Bürger werden deshalb mit dieser Entwick- lung erst dann konfrontiert, wenn sie unvorhergesehen und unerwartet zu Patienten oder eventuell Notfallpa- tienten werden.

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. med. Peter Sefrin Institut für Anästhesiologie

der Universität Würzburg Josef-Schneider-Straße 2 97080 Würzburg

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 6, 11. Februar 1994 (29) A-333

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