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19. Wahlperiode 21.05.2021

Unterrichtung

durch die Bundesregierung

Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus

Perspektivwechsel – Nachholende Gerechtigkeit – Partizipation

Inhaltsverzeichnis

Seite

Vorwort... 10

Zentrale Forderungen der Unabhängigen Kommission Antiziganismus... 13

Zur Kommission und ihrer Arbeitsweise... 16

Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Arbeit der Bundesweites Hearing „Zivilgesellschaftliche Forderungen von Die Handlungsempfehlungen der Unabhängigen Kommission Kontext und Auftrag ... 16

Selbstverständnis der Unabhängigen Kommission Antiziganismus... 17

Arbeitsweise der Unabhängigen Kommission Antiziganismus... 18

Unabhängigen Kommission Antiziganismus... 20

Sinti:ze und Rom:nja“... 20

Antiziganismus ... 23

1. Phänomen und Bezeichnung – historische Voraussetzungen und Debatten um den Begriff „Antiziganismus“... 24

1.1. Denkmuster in der Geschichte eines Gewaltverhältnisses ... 24

Aufklärung, moderner Rassismus und Nationalismus ... 24

Völkischer Rassismus im Nationalsozialismus und danach ... 25

Eigenständigkeit und Verwobenheiten von Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja ... 26

Zugeleitet mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 19. Mai 2021 gemäß Beschluss vom 22. März 2019 (Bundestagsdrucksache 19/8546).

(2)

30

35

40

45

50

55

60 Seite 1.2. Zur diskriminierenden und diffamierenden

Fremdbezeichnung „Zigeuner“... 27

Historische Herleitung ... 28

Verknüpfung mit Verfolgung und Vernichtung... 29

Deutungsmacht, Emanzipation und Anerkennung... 29

Die Rolle der Wissenschaft... Auseinandersetzungen um Bezeichnungen in Politik und Öffentlichkeit... 30

1.3. Kontroversen zur begrifflichen und inhaltlichen Fassung des Gewaltverhältnisses gegen Rom_nja und Sinti_ze... 32

Historische Entwicklung des Antiziganismusbegriffs ... 32

Definitionen ... 33

Orientierung am Antisemitismusbegriff ... Analytische Perspektiven und Schwerpunktsetzungen... 36

Zwischen Rassismuserfahrungen und Analysen der Projektionen ... 37

Um wen geht es?... 38

Abwägungen ... 39

1.4. Fazit und Ausblick... 2. Die lange Geschichte des Antiziganismus... 42

2.1. Der Makel der „unbekannten Herkunft“... 44

2.2. „Gebet, Opfer und Cultus sind dem Zigeuner ganz fremde, unbekannte Dinge“ ... 2.3. Fremdkörper im Nationalstaat... 46

2.4. Abwertung als Bettler und Diebe ... 48

2.5. Sinti_ze und Rom_nja als wissenschaftliche Objekte ... 49

2.6. „Unverdorbene Natürlichkeit“... 2.7. Als „Fremdrasse“ markiert ... 51

2.8. Fazit... 53

2.9. Handlungsempfehlungen – Geschichte ... 54

3. Hinterlassenschaften des NS-Völkermordes ... 3.1. Der NS-Völkermord und seine Leugnung... 55

3.2. NS-Täterschaft und Deutungsmacht nach 1945 ... 57

3.3. Keine juristische Verurteilung der Täter_innen ... 58

3.4. Fortgesetzte rassistische Erfassung und Kriminalisierung ... 3.5. Kontinuitäten der Stigmatisierung in Staat, Institutionen und Gesellschaft ... 62

3.6. Ausbürgerung aus dem Staatswesen... 63

(3)

Seite 3.7. Rassistische Segregation in NS-Zwangslagern und

Stadtrandsiedlungen nach 1945 ... 65

3.8. Nicht „wiedergutgemacht“: Verfolgung und Enteignung ... 66

3.9 Traumatisierung und intergenerationelle Folgen... 73

3.10. Fazit... 77

3.11. Handlungsempfehlungen – Hinterlassenschaften... 78

4. Bürgerrechtsbewegungen nach 1945 – Akte der (Selbst-)Befreiung ... 80

4.1. Konfrontationen mit Tat und Täter_innen... 80

4.2. Zivilisierung der Gesellschaft: Bürgerrechts- und Menschenrechtsdiskurs... 82

4.3. Institutionalisierung und Errungenschaften... 82

4.4. Pluralisierungen seit den 1980er Jahren ... 84

4.5. Fazit... 84

4.6. Handlungsempfehlungen – Bürgerrechtsbewegungen ... 85

5. Erscheinungsformen und mediale Tradierungen von Antiziganismus... 86

5.1. Historische Tiefenschichten ... 86

5.1.1. Antiziganismus in der visuellen Kultur ... 86

5.1.2. Antiziganismus in Spiel- und Dokumentarfilmen ... 91

5.1.3. Antiziganismus in der deutschen Literatur und der Kinder- und Jugendliteratur ... 98

5.2. Mechanismen des Antiziganismus in der journalistischen Berichterstattung... 107

5.2.1. Einleitung ... 107

5.2.2. Othering... 111

5.2.3. Bild-Identifikation ... 113

5.2.4. Stereotype Bildauswahl ... 114

5.2.5. Thematisierung der Nicht-Thematisierten... 116

5.2.6. Techniken der Kriminalisierung... 118

5.2.7. Stimmen von Gewicht ... 120

5.2.8. Interviewsituationen ... 123

5.2.9. Das Ausblenden gesellschaftlicher Diskriminierung... 124

5.2.10. Fazit journalistische Berichterstattung ... 126

5.3. Fazit... 127

5.4. Handlungsempfehlungen – Mediale Repräsentation ... 128

(4)

Seite 6. Beispiele für Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze

und Rom_nja in der Alltagskultur ... 130

6.1. Antiziganismus und Social Media... 130

6.1.1. Muster des Antiziganismus im Web 2.0... 131

6.1.2. Verhältnis von Social-Media-Aktivitäten zu Gewalt... 134

6.1.3. Fazit... 135

6.1.4. Handlungsempfehlungen – Social Media... 135

6.2. Antiziganismus im Fußball... 137

6.2.1. Artikulationsformen: verbal und visuell... 138

6.2.2. Antiziganismus – vom Stadion in die Gesellschaft ... 139

6.2.3. Akteur:innen und Handlungsfelder ... 140

6.2.4. Fazit: Antiziganismus muss auf die Agenda ... 141

6.2.5. Handlungsempfehlungen – Fußball... 141

7. Rassismuserfahrungen ... 143

7.1. Die (De-)Thematisierung von Rassismen und Rassismuserfahrungen in einer Gesellschaft mit Rassismushintergrund... 143

7.2. Studie: Rassismuserfahrungen von Sinti:ze und Rom:nja in Deutschland... 144

7.2.1. Rassismuserfahrungen im Alltag... 147

7.2.2. Rassismuserfahrungen in der Arbeitswelt ... 149

7.2.3. Rassismuserfahrung im Bereich Wohnen... 152

7.2.4. Rassismuserfahrungen im Bereich Bildung... 155

7.2.5. Rassismuserfahrungen in Behörden ... 159

7.2.6. Rassismuserfahrungen im Bereich Soziale Arbeit... 162

7.2.7. Rassismuserfahrungen im Bereich Medien ... 165

7.2.8. Rassismuserfahrungen im Bereich Gesundheit ... 166

7.2.9. Grundlegende Mechanismen des Rassismus gegen Sinti:ze und Rom:nja ... 168

7.3. Fazit... 177

7.4. Handlungsempfehlungen – Rassismuserfahrungen... 177

8. Institutioneller Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja... 180

8.1. Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja im Bildungssystem ... 180

8.1.1. Das Problem der Nichtthematisierung von (Alltags- )Rassismus in Bildungsinstitutionen ... 180

8.1.2. Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja im Kontext Schule ... 181

8.1.3. Bildungsaufstieg als widerständige Strategie in antiziganistischen Verhältnissen... 183

(5)

Seite

8.1.4. Integration genügt nicht... 184

8.1.5. Geschlechterbezogene Ethnisierungen in Bildungszusammenhängen ... 186

8.1.6. Institutionalisierter, normalisierter Rassismus im Bildungssystem... 188

8.1.7. Erfahrungen und Folgen von alltagrassistischer Diskriminierung... 191

8.1.8. Zur Bedeutung des Umgangs mit dem Genozid im Bildungsbereich... 193

8.1.9. Mit Geschichtsbewusstsein gegen antiziganistischen Rassismus ... 195

8.1.10. Fazit... 197

8.1.11. Handlungsempfehlungen – Bildungssystem... 197

8.2. Antiziganismus im Kontext der Repräsentationen von Sinti_ze und Rom_nja in Lehrplänen und Schulbüchern ... 198

8.2.1. Rassismuskritik als Perspektive für Schulbuchanalysen ... 199

8.2.2. Lehrpläne und Schulbücher im internationalen Vergleich ... 200

8.2.3. Diskriminierung durch bildungspolitische Rahmenbedingungen und Lehrkräfte ... 203

8.2.4. Ergebnisse der Studie des GEI über deutsche Lehrpläne und Schulbücher ... 205

8.2.5. Fazit... 211

8.2.6. Handlungsempfehlungen – Lehrpläne und Schulbücher... 211

8.3. Institutioneller Antiziganismus in kommunalen Verwaltungen ... 212

8.3.1. Institutioneller Rassismus als unverzichtbare Analyseperspektive... 213

8.3.2. Antiziganistischer Rassismus durch staatliche Behörden... 215

8.3.3. Tradierte Handlungsroutinen: Kommunalpolitische Strategien der Ausgrenzung von Sinti_ze und Rom_nja nach 1945 ... 217

8.3.4. Mechanismen des institutionellen Antiziganismus: Kommunale Praktiken im Kontext der EU-Binnenmigration aus Rumänien und Bulgarien am Beispiel einer deutschen Großstadt ... 219

8.3.5. Fazit... 225

8.3.5. Handlungsempfehlungen – Kommunale Verwaltung... 225

8.4. Rassismus gegen Sinti:ze und Rom:nja/Antiziganismus in Polizei- und Ermittlungsbehörden ... 227

8.4.1. Einleitung ... 227

8.4.2. Leerstellen in der Forschung ... 227

8.4.3. Polizeiliche Diskurse... 230

8.4.4. Polizeiliche Praxis ... 237

(6)

Seite

8.4.5. Fazit... 241

8.4.6. Handlungsempfehlungen – Polizei- und Ermittlungsbehörden ... 242

8.5. Sozialarbeiterischer Antiziganismus ... 244

8.5.1. Fazit... 247

8.5.2. Handlungsempfehlungen – Soziale Arbeit ... 247

9. Antiziganismus im Kontext von Asyl und Bleiberecht... 248

9.1. Asylrecht ... 248

9.1.1. Grundlagen des Asylrechts und des Rechts auf Schutz im weiteren Sinne ... 248

9.1.2. Einschränkung durch das Konzept der „Sicheren Herkunftsstaaten“ ... 248

9.1.3. Antiziganismus als Konstante in Debatten zum Asylrecht... 248

9.2. „Sichere Herkunftsstaaten“?... 252

9.2.1. Individuelle, unvoreingenommene Prüfung von zentraler Bedeutung... 252

9.2.2. Menschenrechtsituation von Rom_nja in den als „Sichere Herkunftsstaaten“ eingestuften Westbalkanstaaten... 253

9.2.3. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die EU-Richtlinie 2013/32/EU ... 253

9.2.4. Recht auf effektiven Rechtsschutz ... 255

9.2.5. Weitere Konsequenzen für die betroffenen Menschen... 255

9.2.6. Antiziganistische Diskriminierung und Verfolgung als asylrechtlicher Verfolgungsgrund in der deutschen Rechtspraxis?... 256

9.3. Bleiberecht... 257

9.3.1. Zur Bedeutung von ‚Bleiberecht‘... 257

9.3.2. Die aktuelle Abschiebepraxis − Fallbeispiele... 258

9.3.3. Möglichkeiten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis... 261

9.4. Fazit... 262

9.5. Handlungsempfehlungen – Asyl und Bleiberecht ... 264

10. Defizite bei der polizeilichen und justiziellen Bearbeitung antiziganistisch motivierter Straftaten ... 265

10.1. Einleitung ... 265

10.2. Antiziganistisch motivierte Hasskriminalität als Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) ... 265

10.3. Ergriffene Maßnahmen seit 2015 ... 266

10.4. Ermittlung und Ahndung rassistischer Motive als menschenrechtliche Verpflichtung ... 267

(7)

Seite 10.5. Rassistische Beweggründe und Ziele im Sinne des

§ 46 Abs. 2 StGB... 269

10.5.1. Rassistisch oder fremdenfeindlich? ... 271

10.5.2. Keine Beschränkung auf politisch organisierte beziehungsweise erkennbar rechtsextreme Täter_innen... 271

10.5.3. Umstände der Tat und Opferperspektive als Ausgangspunkt... 273

10.6. Aus- und Fortbildung von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten forcieren... 274

10.7. Rassismus in Strafverfolgungsbehörden und Gerichten? ... 274

10.8. Unterstützung Betroffener erforderlich ... 275

10.9. Antiziganismus-Monitoring durch NGOs ... 276

10.10. Fallbeispiel ... 277

10.10.1.Darstellung des Fallbeispiels „Elena Dumitrache“... 277

10.10.2.Zusammenfassende Analyse... 279

10.11. Fazit... 280

10.12. Handlungsempfehlungen – Straftaten... 281

11. Antiziganistische Einstellungen in der Bevölkerung Deutschlands – Forschungsbefunde und -perspektiven ... 283

11.1. Bevölkerungsumfragen zu antiziganistischen Einstellungen in Deutschland... 283

11.1.1. Messung der Zustimmung zu Vorurteilsaussagen... 286

11.1.2. Messung sozialer Distanz ... 288

11.1.3. Soziodemografische Faktoren und politische Präferenzen... 289

11.1.4. Soziale Motive für antiziganistische Einstellungen... 292

11.1.5. Antiziganistische Einstellungen im internationalen Vergleich... 293

11.2. Problematische Aspekte der Einstellungsforschung... 294

11.3. Fazit... 295

11.4. Handlungsempfehlungen – Antiziganistische Einstellungen ... 296

12. Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti:ze und Rom:nja in der Wissenschaft... 297

12.1. Einleitung ... 297

12.2. Wissenschaftlicher Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti:ze und Rom:nja ... 298

12.3. Rassistische Gewalt und Wissenschaft: Wissenschaftspolitisches Versagen nach 1945... 302

12.4. Von der Rassenhygiene zur Sozialhygiene – Das Fortwirken rassistischer Netzwerke nach 1945... 305

(8)

Seite 12.5. Humangenetik: Denkmuster in der Tradition der

Rassenhygiene ... 307

12.6. Fazit... 311

12.7. Handlungsempfehlungen – Wissenschaft... 312

13. Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja in politischen Parteien und Bewegungen... 315

13.1. Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja in Parteien... 315

13.2. Antiziganismus in Bewegungen und Organisationen der extremen Rechten ... 336

13.3. Handlungsempfehlungen – Parteien und Bewegungen ... 339

14. Der „Strategische Rahmen der EU zur Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe der Roma (2020–2030)“: Darstellung und Kritik... 341

14.1. Einführung... 341

14.2. Der „EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma“ bis 2020 ... 341

14.3. Diskurs über den EU-Rahmen bis 2020 ... 342

14.4. „Integrierte Maßnahmenpakete zur Integration und Teilhabe der Sinti und Roma“ in der Bundesrepublik... 342

14.5. Evaluation der Umsetzung der EU-Rahmenstrategie bis 2020 ... 344

14.6. „Strategischer Rahmen der EU zur Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe der Roma (2020–2030)“ ... 345

14.7. Einschätzungen zur Post-2020-Strategie ... 347

14.8. Handlungsempfehlungen – EU... 348

15. Aktivitäten und Programme der Bundesländer und auf Bundesebene gegen Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja ... 349

15.1. Maßnahmen gegen Antiziganismus durch die Länder ... 349

15.2. Maßnahmen und Programme auf Bundesebene ... 358

15.2.1. Fazit... 368

15.2.2. Handlungsempfehlungen – Aktivitäten und Programme... 369

16. Ansätze der außerschulischen historisch-politischen Bildungsarbeit gegen Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja ... 371

16.1. Perspektiven von Rassismuserfahrenen und geschichtsbewusstes Thematisieren des gegenwärtigen antiziganistischen Rassismus... 371

(9)

Seite 16.2. Fragestellungen einer explizit antiziganismuskritischen

Bildungsarbeit ... 372

16.3. Gedenkstätten – Orte antiziganismuskritischer Bildungsarbeit?... 374

16.4. Exemplarische Analyse ausgewählter Materialien antiziganismuskritischer Bildungsarbeit... 381

16.5. Handlungsempfehlungen – Außerschulische Bildung... 387

17. ErMächtigungsStrategien (Empowerment) von Organisationen der Rom:nja und Sinti:ze (ORS/OSR) ... 389

17.1. Trilogie: Rassismen – Wissen und Macht – ErMächtigungsStrategien (Empowerment) ... 389

17.2. Rückblicke und Etappen der Machtaneignung (Empowerment) in Geschichte und Gegenwart von Organisationen der Rom:nja und Sinti:ze... 390

17.3. Studie zum Empowerment für Rom*nja und Sinti*ze in Deutschland ... 392

17.3.1. Die Landschaft der Organisationen von Sinti:ze und Rom:nja in Deutschland... 394

17.3.2. Die Ressourcen der Organisationen und ihrer Akteur:innen ... 395

17.3.3. Hindernisse der Organisationen... 398

17.3.4. Empowerment-Verständnisse, -Strukturen und –Strategien... 401

17.3.5. Politische Forderungen der Organisationen... 407

17.4. Fazit und Handlungsempfehlungen ... 414

17.5. Handlungsempfehlungen – Empowerment... 414

Handlungsempfehlungen: Zusammenstellung aus allen Kapiteln ... 416

Bibliografie ... 439

Literatur ... 439

Quellen ... 483

Web Content / Medien ... 483

Historische und zeitgenössische Quellen... 497

(10)

Vorwort

Von Beginn an war die im März 2019 aufgenommene Arbeit der Unabhängigen Kommission Antiziganismus von Ereignissen begleitet, mit denen Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja in der Bundesrepublik Deutschland öffentlich sichtbar wurde. Zu hören und zu lesen war von der gesetzwidrigen Sondererfassung von Sinti_ze und Rom_nja bei der Berliner Polizei, von antiziganistisch legitimierten Absperrungen ganzer Wohnblocks im Kon- text der Corona-Ausnahmesituation, von Planungen zu einem Abbau des Denkmals für die im Nationalsozialis- mus ermordeten Sinti und Roma Europas aufgrund des Baus einer S-Bahn-Trasse sowie über Abschiebungen von seit Jahrzehnten in Deutschland lebenden Rom_nja in existenziellen Notlagen. Auch die Abführung eines elfjährigen Kindes in Handschellen und seine Inhaftnahme sowie weitere Fälle exzessiver Polizeigewalt zählen zu diesen Ereignissen. Einiges an Aufmerksamkeit erfuhren die Äußerungen von prominenten Personen aus der Unterhaltungsbranche, die in ignoranter, verletzender und verächtlichmachender Manier bei mehreren Anlässen vor einem Millionenpublikum ihr Beharren auf der rassistischen Fremdbezeichnung Zigeuner1 zum Besten ga- ben. Entsetzlicher Höhepunkt einer Reihe rassistischer Angriffe auf Rom_nja und Sinti_ze war der rechtsterro- ristische Anschlag in Hanau vom 19. Februar 2020. Unter den neun Todesopfern befinden sich drei Angehörige aus den Communitys von Sinti_ze und Rom_nja: die 35-jährige Mercedes Kierpacz, der 23-jährige Vili Viorel Păun und der 33-jährige Kaloyan Velkov.

Allein diese Beispiele verweisen auf die Gegenwärtigkeit von Antiziganismus2 in der Bundesrepublik, aber auch auf die Dringlichkeit, diesen als eine spezifische Form von Rassismus umfassend zu untersuchen, um Strategien seiner Überwindung zu entwickeln. Die Einberufung einer wissenschaftlichen Kommission durch die Bundesre- gierung mit Mandatierung durch den Deutschen Bundestag, die über viele Jahre vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gefordert worden ist, war daher ein längst überfälliger Schritt.

Die Unabhängige Kommission Antiziganismus stand bei der Abfassung ihres Berichts, der im Zeitraum von zwei Jahren zu erfolgen hatte, vor mehreren Herausforderungen. Zunächst mussten inhaltliche Schwerpunkte definiert werden, die einer Darstellung im Bericht bedurften. Zudem galt es, die Themen zu identifizieren, für die neue, empirische Studien anzufertigen waren, auf deren Basis eine wissenschaftlich fundierte Analyse erst möglich war. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass eine große Fülle von Themen zu bewältigen war, für welche auf- grund der jahrzehntelangen Nichtbearbeitung und Abwehr von Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja kaum valides empirisches Wissen und Material vorlag. Die Wissenschaftler_innen der Kommission, welche verschiedenen Disziplinen angehören, gaben insgesamt fünfzehn Studien in Auftrag, um für den Bericht ihre eigene Expertise um Erkenntnisse zu nicht hinreichend erforschten Fragestellungen ergänzen zu können.

Im Verlauf der Arbeit kristallisierten sich drei zentrale Befunde heraus, die für den Bericht grundlegend sind:

1. Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja ist ein strukturell in der europäischen Moderne angelegtes vielschichtiges Phänomen langer Dauer. Verschiedene Erscheinungsformen haben zu unterschiedlichen Zeiten ihre spezifische Ausprägung erhalten und ihre jeweils größte Wirkung erreicht. Sie haben sich historisch überlagert und mit wechselnder Intensität zu dem Gesamtphänomen gefügt, das wir als Antiziganismus beziehungsweise als Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja bezeichnen und das sich flexibel an veränderte gesellschaftliche Bedingungen anpasst. Erst die Anerkennung dieser historischen Tiefendimensionen ermöglicht es, Antiziganismus in seinen weitreichenden Folgen zu verstehen. Dies gilt, mit Blick auf die Bundesrepublik, für den nach 1945 fortgesetzten Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja ebenso wie für den strukturellen und institutionellen antiziganistischen Rassismus der Gegenwart, was in vielen Teilen des vorliegenden Berichts deutlich erkennbar ist.

2. Es war absehbar, dass das Menschheitsverbrechen des nationalsozialistischen Völkermordes an Sinti_ze und Rom_nja im Bericht der Kommission eine Rolle spielen wird. Doch dass sich die Auswirkungen des NS-Völkermordes wie ein roter Faden durch die gesamte Darstellung ziehen, ist ein Ergebnis, das so nicht zu erwarten war. Dies liegt nicht nur darin begründet, dass für Überlebende und deren Nachkommen die Erfahrungen der Entrechtung und Entmenschlichung, der Gewalt- und Tötungspraktiken, des Verlustes von

1 Die Kommission hat sich zu folgendem Umgang mit dem diskriminierenden Begriff Zigeuner entschieden: Erscheint er im laufenden Berichtstext, wird er, anstelle der häufig praktizierten, relativierenden Verwendung mit einfachen Anführungszeichen, hier durchgestrichen. Das Durchstreichen eines Begriffs hat der Philosoph Jacques Derrida in seinem Buch Grammatologie (Frankfurt am Main 1974) vorgeschlagen, um eine gleichzeitige Verwendung und Ablehnung zu ermöglichen. Die geschichtlichen und semantischen Bedeutungszuschreibungen bleiben sichtbar und in Erinnerung, ihre Geltung wird jedoch verneint. In Zitaten und bei bibliografischen Angaben wird der wissenschaftlichen Praxis gefolgt und die originale Schreibweise wiedergegeben.

2 Um die systematischen Diskriminierungen gegen Sinti_ze und Rom_nja zu bezeichnen, werden im vorliegenden Bericht so- wohl der Begriff „Antiziganismus“ als auch „Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja“ verwendet. Hierzu ausführlich Kap. 1.

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Eigentum und Gesundheit, Familie und Heimat bis heute präsent sind. Es hat seine Ursache insbesondere auch darin, dass nach 1945 eine Anerkennung des Völkermordes über Jahrzehnte ausblieb und die Täter und Täterinnen juristisch nicht zur Verantwortung gezogen wurden, sondern stattdessen in der Bundesrepublik weitgehend unbehelligt weiterwirken und ihre Karrieren fortsetzen konnten. In Form einer Schuldumkehr schrieben sie im Konsens mit weiten Teilen der Gesellschaft die Ursachen der Verbrechen den Opfern zu; gleichzeitig wurden Praktiken der Stigmatisierung, Sondererfassung und gesellschaftlichen Segregation sowie Exklusion fortgeführt. In vielen gesellschaftlichen Bereichen und Disziplinen wurde bruchlos an rassistische Repräsentationsformen und rassistische Forschung angeknüpft. Ob im Bildungssystem, in der Sozialen Arbeit, bei der Polizei, in der Asylpolitik oder in der Wissenschaft: Überall zeigen sich die Auswirkungen des Versäumnisses, den Völkermord anzuerkennen und Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja nach 1945 wirksam zu delegitimieren.

3. Schließlich musste auffallen, dass die Erfahrungen der von Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja betroffenen Menschen im öffentlichen Diskurs nahezu unsichtbar sind. Sie werden kaum thematisiert. Zwar gibt es Autobiografien, in denen die individuellen Erfahrungen von Sinti_ze und Rom_nja mit Rassismus in der heutigen demokratischen Bundesrepublik deutlich hervortreten. Auch deuten einige wenige Studien, etwa über das Bildungssystem oder polizeiliche Praktiken, darauf hin, dass Rassismuserfahrungen von Sinti_ze und Rom_nja keinesfalls als Einzelfälle marginalisiert werden können.

Doch über das tatsächliche Ausmaß und die Gegenwärtigkeit dieser Erfahrungen im Alltag gab es bislang keine empirischen Studien. Dies gilt gleichermaßen für die diversen Selbstorganisationen von Sinti_ze und Rom_nja, die zentrale Akteur_innen für einen gesellschaftlichen Wandel sind. Wenig war bekannt über ihre Bedeutung, ihre Anzahl, ihre Strategien und Agenden sowie die Rahmenbedingungen ihres Engagements.

Aufgrund der besonderen Relevanz der Themen vergab die Kommission drei größere Studien an For- schungsteams an verschiedenen Hochschulen. Eine dieser größeren Studien widmete sich dem institutionellen Antiziganismus und damit einer besonders heiklen Frage, da die Existenz von Rassismus in einer funktionieren- den Demokratie stets geleugnet wird, wie sich zum Beispiel an der Weigerung, racial profiling innerhalb der Polizei untersuchen zu lassen, zeigt. Umso beunruhigender sind die Ergebnisse der an der Leibniz Universität Hannover durchgeführten Studie, die auf empirischer Grundlage Mechanismen eines institutionellen Antiziga- nismus innerhalb kommunaler Praktiken nachweist.

Zwei weitere große Studien wurden beauftragt, die im Hinblick auf die Frage der sozialen, politischen, kulturellen und ökonomischen Relevanz von Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja Neuland betraten. An der Hochschule Mittweida entstand eine Studie über Empowerment für Sinti_ze und Rom_nja, die die Konzepte und Rahmenbedingungen von rund 80 in der Bundesrepublik existierenden Organisationen von Sinti_ze und Rom_nja (OSR/ORS) untersuchte. Über 90 Prozent der befragten OSR thematisierten den ungleichen gesell- schaftlichen Zugang zu Bildung, Wohnen, Arbeit und gesundheitlicher Versorgung sowie Ungleichbehandlung durch staatliche Institutionen und Justiz als relevante Hindernisse in ihrer Arbeit. Ebenfalls über 90 Prozent aller befragten ORS benennen Rassismen als gravierende Hindernisse. Die am häufigsten genannten Kategorien sind Diskriminierung durch staatliche Behörden und Institutionen, Marginalisierung und Homogenisierung, Krimina- lisierung, rechte Gewalt und mangelnder Schutz. Alle genannten Kategorien werden explizit immer wieder im konkreten Zusammenhang mit staatlichen Institutionen genannt – besonders oft im Kontext von Arbeit, Wohnen und Bildung.

Eine an der Alice Salomon Hochschule Berlin erarbeitete Studie „Rassismuserfahrungen von Sinti_ze und Rom_nja in Deutschland“ erhob bei dreiundneunzig Rom_nja und Sinti_ze ihr persönliches, berufliches und po- litisches Wissen, ihre Erfahrungen und Analysen zur Gegenwart von Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja in Deutschland. Bemerkenswert ist, dass die Gesprächspartner_innen der Studie, die sich in unterschiedlichen Kon- texten und Herkünften positionieren, übereinstimmend berichteten, dass sie sich als Rom_nja oder Sinti_ze am verletzlichsten und am meisten diskriminiert fühlen. Innerhalb der eigenen Sozialisation stellt Rassismus für die Befragten, so die Studie, zudem eine komplexe ganzheitliche Erfahrung dar, die sich nicht nur auf die eigene persönliche Entwicklung auswirkt, sondern auch auf familiäre und kollektive Denk- und Handlungsräume ein- wirkt und nicht zuletzt auch die Handlungsmöglichkeiten und Zugehörigkeitserfahrungen in der Gesamtgesell- schaft prägt.

(12)

„Nothing about us without us“ hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als Leitlinie bei Selbstorganisationen von Minderheiten etabliert. Diesem Diktum hat sich die Unabhängige Kommission Antiziganismus – auch ange- sichts der Unterrepräsentation von Angehörigen der Communitys von Sinti_ze und Rom_nja in der Kommission – verpflichtet gefühlt. Deshalb war es ein besonderes Anliegen der Kommission, den Stimmen und Bedürfnissen der vielfältigen und vielzähligen Communitys Gehör zu verschaffen. Konsultationsgespräche mit Dachverbänden von Sinti_ze und Rom_nja sowie ein nichtöffentliches Hearing mit den in der Bundesrepublik aktiven Selbstor- ganisationen haben die Arbeit der Kommission begleitet und wesentlich bereichert.

In Bezug auf die beiden Studien zu Rassismuserfahrungen und Empowerment sowie dem Hearing „Zivilgesell- schaftliche Forderungen von Sinti_ze und Rom_nja in Deutschland“ ist zudem ein besonderer historischer Mo- ment herauszustellen: Noch nie haben sich in Deutschland in dieser Breite und Vielfalt Angehörige der Commu- nitys Sichtbarkeit und Gehör verschafft und ihre Analysen, Konzepte, Erfahrungen, Erlebnisse sowie Ideen mit- geteilt. Vor dem Hintergrund der langen Geschichte antiziganistischer/rassistischer Wissenschaft ist dies ein gro- ßer Vertrauensbeweis der Communitys in die Möglichkeit eines gesellschaftlichen Wandels. Studien und Hearing waren in dieser Form nur möglich, weil hier Community-Angehörige federführend mitgearbeitet haben und die Studien ausdrücklich community-basiert sowie unter strengen forschungsethischen Standards bei sorgfältig ein- gehaltenem Datenschutz durchgeführt wurden. Das Wissen, das dadurch der Kommission zur Verfügung gestellt wurde, ist unersetzlich und grundlegend für ihre Arbeit gewesen.

Was die zentralen Forderungen und Handlungsempfehlungen betrifft, so hat die Unabhängige Kommission An- tiziganismus diese vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Expertise der Kommissionsmitglieder, der Er- gebnisse aus den beauftragten Studien sowie der Konsultationsgespräche und des Hearings ausgearbeitet. Sie lassen sich in drei Kategorien aufschlüsseln:

• Um Antiziganismus beziehungsweise Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja zu überwinden, bedarf es erstens eines grundlegenden Perspektivwechsels in der Gesellschaft, der die Relevanz von Antiziganismus anerkennt und die damit zusammenhängenden strukturellen und institutionellen Macht- und Gewaltverhältnisse kritisch reflektiert und zu überwinden trachtet.

• Zum zweiten ist eine Politik der nachholenden Gerechtigkeit erforderlich, die das seit 1945 begangene Unrecht gegenüber Überlebenden und deren Nachkommen ausgleicht.

• Drittens bedarf es einer gezielten Förderung von Partizipation, um Selbstorganisationen bei der Durchsetzung von gesellschaftlicher Teilhabe dauerhaft zu unterstützen.

Die Unabhängige Kommission Antiziganismus stellt fest, dass aufgrund der historischen und empirischen Be- funde Antiziganismus als ein eigenständiges Macht- und Gewaltverhältnis zu qualifizieren ist. Antiziganismus hat sich in einer jahrhundertelangen Geschichte herausgebildet und zu Ausprägungen geführt, die sich von ande- ren Formen rassistischer Diskriminierung deutlich unterscheiden. Die Notwendigkeit einer Unterscheidung ist nicht zuletzt aufgrund des an Sinti_ze und Rom_nja begangenen nationalsozialistischen Völkermords sowie der sogenannten Zweiten Verfolgung nach 1945 in der Bundesrepublik evident. Der Erfolg einer wirksamen, geziel- ten Bekämpfung und Überwindung von Antiziganismus hängt unmittelbar von der Anerkennung dieser Beson- derheit ab.

Dieser Bericht kann trotz wichtiger Erkenntnisse, die auf empirischer Grundlage gewonnen wurden, nur ein An- fang sein. Künftig wird es darauf ankommen, die Auseinandersetzung mit Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja in allen relevanten gesellschaftlichen Feldern zu berücksichtigen: bei politischen Entschei- dungsprozessen, in der Wissenschaftspraxis, in der medialen Repräsentation, in der historisch-politischen Bil- dungsarbeit und nicht zuletzt im institutionellen Handeln. Nur so kann die Grundlage für den von der Kommis- sion geforderten nachhaltigen Perspektivwechsel gelegt werden.

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Zentrale Forderungen der Unabhängigen Kommission Antiziganismus

Der in diesem Bericht aus unterschiedlichen Perspektiven dokumentierte Antiziganismus stellt ein aktuelles, historisch gewachsenes und eigenständiges Macht- und Gewaltverhältnis dar, dessen bislang radikalste Ausprägung der staatlich organisierte Genozid im Nationalsozialismus war. Die Bundesregierung und der Bundestag, in deren Auftrag die Unabhängige Kommission Antiziganismus ihre Empfehlungen ausgearbeitet hat, stehen nunmehr in der Verantwortung, gezielt, unmittelbar und ohne Nivellierung der Besonderheit von Antiziganismus dessen Bekämpfung und Überwindung auf die politische Agenda zu setzen.

1. Berufung einer_eines Beauftragten gegen Antiziganismus und Einsetzung eines unabhängigen Beratungskreises

Die Überwindung von Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja ist und bleibt eine dauerhafte Aufgabe für Staat, Politik und Gesellschaft. Deswegen fordert die Kommission die Berufung einer_eines Beauf- tragten gegen Antiziganismus durch die Bundesregierung. Dieses Amt soll im Bundeskanzleramt angesiedelt werden. Als Teil der Exekutive koordiniert die_der Beauftragte die Maßnahmen zur Überwindung von Antiziga- nismus und der Prävention ressortübergreifend. Ihr_sein Aufgabenbereich schließt die Koordination und Umset- zung des „Strategischen EU-Rahmens für Gleichstellung, Inklusion und Partizipation der Roma“ in Form der Nationalen Kontaktstelle für Sinti_ze und Rom_nja (NRCP) ein. Die zu berufene Person soll über nachgewiesene Expertise im Themenfeld Antiziganismus verfügen und möglichst parteipolitisch unabhängig sein. Außerdem ist darauf zu achten, dass die Person über eine möglichst breite Anerkennung und Akzeptanz in den von Antiziga- nismus betroffenen Communitys verfügt. Das Amt der_des Beauftragten ist mit angemessenen finanziellen und personellen Ressourcen auszustatten.

Die_der Beauftragte gegen Antiziganismus wird durch einen unabhängigen Kreis aus Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft beraten, der von der Bundesregierung in Absprache mit der_dem Beauftragten berufen wird.

Bei der Zusammensetzung dieses Beratungskreises ist sicherzustellen, dass die Perspektive der von Antiziganis- mus Betroffenen mehrheitlich und in einem möglichst breiten Spektrum vertreten ist. Die Agenda und Arbeits- weise der_des Beauftragten wird im Benehmen mit dem unabhängigen Beratungskreis festgelegt.

2. Schaffung einer ständigen Bund-Länder-Kommission

Viele Maßnahmen zur Überwindung von Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja fallen in die Zuständigkeit der Länder (Bildung, Justiz, Polizei etc.). Zur Sicherstellung der Umsetzung zahlreicher in diesem Bericht formulierter Empfehlungen fordert die Kommission deshalb die Schaffung einer ständigen Bund-Länder- Kommission. Der Bund sollte hier von der Möglichkeit Gebrauch machen, Anregungen zu geben und Impulse zu setzen.

Analog zur Bundesebene sind auf der Ebene der Länder Beauftragte gegen Antiziganismus und deren Arbeit begleitende, unabhängige Beratungskreise nach den unter (1) genannten Anforderungen zu berufen. Nach dem Vorbild der Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung des Antisemitismus soll die Vertretung der Länder in der einzurichtenden Bund-Länder-Kommission durch die Beauftragten gegen Antiziganismus erfolgen.

3. Umfassende Anerkennung des nationalsozialistischen Genozids an Sinti_ze und Rom_nja

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus verhinderten die ehemaligen Täter_innen über Jahrzehnte eine Anerkennung des an Sinti_ze und Rom_nja begangenen Völkermords. Diese verweigerte Anerkennung hat entscheidend zum Fortwirken von Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja nach 1945 beigetragen und führte zu einer gravierenden und bis heute andauernden Schlechterstellung von Sinti_ze und Rom_nja auf der Gesetzes- und der Umsetzungsebene in der ‚Wiedergutmachung‘. Die Unabhängige Kommission Antiziganismus fordert daher die Bundesregierung auf, diesen Nachteil umfassend und unmittelbar auszugleichen. Den Überlebenden muss ein Leben in Würde ermöglicht werden. Um den notwendigen Perspektivwechsel einzuleiten, empfiehlt die Kommission dem Bundesministerium der Finanzen, die im Bund und in den Ländern zuständigen Behörden explizit auf die Gültigkeit des Grundsatzes einer Kollektivverfolgung von Sinti_ze und Rom_nja für den Zeitraum vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 hinzuweisen.

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Für nicht in Deutschland lebende Überlebende des NS-Völkermordes an Sinti_ze und Rom_nja fordert die Kom- mission die Einrichtung eines Sonderfonds durch das Bundesministerium der Finanzen für diejenigen, die nach den gesetzlichen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland bisher keine oder nur geringfügige Entschädi- gungen erhalten haben. Eine niedrigschwellige, einmalige Anerkennungsleistung ist für alle Rom_nja und Sinti_ze vorzusehen, die vor der Befreiung ihres damaligen Heimat- oder Emigrationslandes von der NS-Besat- zung oder den mit dem NS-Regime kollaborierenden Regierungen geboren wurden. Diejenigen, die die An- spruchsvoraussetzungen erfüllen, sollen laufende Leistungen erhalten.

Die Kommission fordert darüber hinaus, den gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Schaden, der durch die massive Benachteiligung in der Wiedergutmachungspraxis und den fortgesetzten Antiziganismus nach 1945 der Zweiten Generation entstanden ist, umfassend auszugleichen. Den bis 1965 in Deutschland geborenen Kin- dern der im Nationalsozialismus verfolgten Sinti_ze und Rom_nja sind daher nach dem Vorbild der Stiftung Anerkennung und Hilfe einmalige Pauschalen zur selbstbestimmten Verwendung auszuzahlen.

4. Kommission zur Aufarbeitung des an Sinti_ze und Rom_nja begangenen Unrechts in der Bundesrepublik Deutschland

Sinti_ze und Rom_nja wurde und wird durch staatliche Behörden und andere gesellschaftliche Institutionen der Bundesrepublik Deutschland (z. B. Polizei, Justiz, öffentliche Verwaltung, Ausländer- und Sozialbehörden, Schulen, Jugendämter, Kirchen, Wohlfahrtsverbände) gravierendes Unrecht zugefügt. Deshalb fordert die Kommission die Bundesregierung auf, einen umfassenden Prozess der Aufarbeitung dieses auch als Zweite Verfolgung bezeichneten Unrechts einzuleiten. Dazu ist eine mit angemessenen finanziellen und personellen Ressourcen sowie Befugnissen ausgestattete Kommission einzusetzen.

Unter Berücksichtigung der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. Oktober 2017 (2017/2038[INI]) und der Erfahrungen bereits stattgefundener Wahrheitskommissionen zur Aufarbeitung staatlichen Unrechts in Demokratien hat diese Kommission die Aufgabe, auf nationaler wie auf lokaler Ebene zur Beendigung der fortwirkenden Diskriminierung und Ausgrenzung beizutragen. Sie soll die Wahrheit über das begangene und bis heute fortdauernde Unrecht bekannt machen, die Verantwortung benennen und konkrete Schritte festlegen, um nachholende Gerechtigkeit herzustellen und in einen gesellschaftlichen Aufarbeitungsprozess einzutreten. Bei der Einsetzung der Kommission ist sicherzustellen, dass die Perspektiven von Sinti_ze und Rom_nja mehrheitlich und in einem möglichst breiten Spektrum vertreten sind.

5. Anerkennung von geflüchteten Rom_nja als besonders schutzwürdige Gruppe

In der Asylpolitik des wiedervereinigten Deutschlands führten seit 1990 antiziganistisch geprägte Debatten und Praktiken zu einer erheblichen Benachteiligung von Rom_nja, die in Deutschland Schutz vor Diskriminierung, Gewalt und Krieg suchten. Fluchtursachen wurden nicht anerkannt, und auch eine historische Verantwortung wurde für diese Überlebenden und Nachkommen eines vom nationalsozialistischen Deutschland zu verantwor- tenden Genozids von der Bundesrepublik nicht übernommen. Insbesondere Rom_nja, die aus Jugoslawien und den postjugoslawischen Staaten nach Deutschland flohen, wurde Zugang zu Recht, Wohnen, Gesundheit, Bil- dung und Arbeit erheblich erschwert oder gar verweigert. Ihnen wurde damit jegliche Zukunftsperspektive ver- wehrt.

Die Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt der Bundesregierung, ein klares Bekenntnis für eine Verantwortung gegenüber den in der Bundesrepublik seit vielen Jahren lebenden Rom_nja abzugeben und die Perspektivlosigkeit derjenigen, die bis heute mit dem unsicheren Status einer Duldung leben müssen, zu beenden.

Mit Blick auf die praktische Anwendung der Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes ist klarzustellen, dass die in Deutschland lebenden Rom_nja aus historischen und humanitären Gründen als eine besonders schutzwürdige Gruppe anzuerkennen sind. Landesregierungen und Ausländerbehörden sind aufgefordert, die Praxis der Ab- schiebung von Rom_nja sofort zu beenden.

Darüber hinaus sind bestehende Barrieren für Rom_nja beim Zugang zum Recht abzubauen. Der Bundesregie- rung und dem Gesetzgeber des Bundes wird empfohlen, die menschenrechtlich nicht haltbare Einstufung von Serbien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Montenegro und dem Kosovo als „Sichere Her- kunftsstaaten“ zurückzunehmen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wie auch die Verwaltungsge- richte haben bei ihren asylrechtlichen Entscheidungen grundsätzlich zu beachten, dass sich Erfahrungen von Diskriminierung in diesen Staaten im Rahmen staatlicher Strukturen wie auch im Alltag individuell in unter- schiedlicher Intensität verdichten können. Daher ist die bisherige Entscheidungspraxis mit Blick auf die tatsäch- liche Situation von Rom_nja in diesen Staaten zu prüfen. Kumulative Verfolgungsgründe sind anzuerkennen.

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6. Umsetzung und Verstetigung von Partizipationsstrukturen

Obwohl die heterogenen Communitys der Sinti_ze und Rom_nja Teil der deutschen Gesellschaft sind, ist ihr Recht auf politische Partizipation bis heute nur unzureichend verwirklicht. Dies betrifft sowohl öffentlich-recht- liche Bereiche wie Medien, Wissenschaft sowie Behörden und andere staatliche Institutionen als auch verbindli- che und auf Dauer angelegte politische Partizipationsstrukturen auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene.

Die Unabhängige Kommission Antiziganismus fordert die politisch Verantwortlichen deshalb auf, effektive und nachhaltige Partizipationsstrukturen für die Communitys der Sinti_ze und Rom_nja auf allen Ebenen zu schaffen.

Dies umfasst ein Vertretungs- und Stimmrecht für Organisationen der Sinti_ze und Rom_nja in allen staatlichen Gremien, in denen es um die Angelegenheiten der Communitys der Sinti_ze und Rom_nja geht bzw. in denen Antiziganismus entgegengewirkt werden muss, wie zum Beispiel den Rundfunkräten und Landesmedienanstal- ten. Zudem ist die zivilgesellschaftliche Arbeit der Organisationen von Sinti_ze und Rom_nja in Deutschland durch transparente Strukturen einer dauerhaften finanziellen Förderung zu stärken. Partizipationsmodelle, wie Staatsverträge und/oder Partizipationsräte und ähnliche Maßnahmen, sollen auf Bundes- und Länderebene in Zusammenarbeit mit den Communitys umgesetzt und gesetzlich verankert werden. Dabei ist die Heterogenität der Organisationen in der Partizipation und materiellen Förderung abzubilden.

Die Kommission fordert die Bundesregierung auf, dem Bundestag in regelmäßigen, längstens aber vierjährlichen Abständen Berichte über den Umsetzungsstand der hier formulierten Handlungsempfehlungen vorzulegen. Zu den Berichten sollen parlamentarische Anhörungen stattfinden.

Im Übrigen empfiehlt die Kommission die Etablierung einer wirkungsorientierten Gesamtstrategie auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zur Schaffung eines stärkeren Bewusstseins für sämtliche Erscheinungsformen von Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Rechtsextremismus in allen Lebensbereichen, im öffentlichen Raum wie auch in staatlichen Institutionen. Insbesondere ist – unter Einbeziehung und Mitwirkung Schwarzer Communitys in Deutschland – die Einrichtung und Gestaltung einer Kommission zu empfehlen, die sich mit Anti-Schwarzen-Rassismus befasst.

(16)

Zur Kommission und ihrer Arbeitsweise Kontext und Auftrag

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma forderte über einen langen Zeitraum hinweg, auf Bundesebene analog zum Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus eine Kommission zum Problem des Antiziganismus einzuset- zen. Ein dahingehender Antrag von Abgeordneten und Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen vom 2. Juli 2014 wurde vom Bundestag zunächst an drei Ausschüsse verwiesen.3 Im Mai 2015 richtete der Zentralrat einen Appell an den Innenausschuss des Deutschen Bundestages, „die Bundesregierung in einer Entschließung aufzufordern, endlich einen Expertenkreis zum Antiziganismus zu berufen“.4 Weiterhin erarbeitete der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma eine Vorlage „Anforderung an eine Expertenkommission Antiziganismus“, die als Grundlage für weitere Gespräche diente.5 Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode wurde schließlich die Einsetzung einer Expertenkommission zum Problem des Antiziganismus in Deutschland vereinbart.6 Am 22. März 2019 verabschiedete der Deutsche Bundestag den Antrag „Antiziganismus bekämp- fen“ der Fraktionen CDU/CSU und SPD.7 Die Berufung und Konstituierung der Kommission erfolgte am 27. März 2019 im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.8 Die Kommission wurde beauftragt, einen Bericht zum Problem des Antiziganismus in Deutschland und Empfehlungen für seine Bekämpfung vorzulegen.

In seinem Antrag „Antiziganismus bekämpfen“ stellte der Deutsche Bundestag fest:

• Die Bundesrepublik Deutschland trägt vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Völkermords an den Sinti:ze und Rom:nja „eine besondere Verantwortung im Kampf gegen Antiziganismus“.

• Diese „besondere Verantwortung“ speist sich auch daraus, dass dieser Völkermord „lange Zeit ignoriert(en)“ wurde.

• Sie ist zudem nicht auf die Bundesrepublik Deutschland begrenzt, sondern gilt für das gesamte Europa.

• Antiziganismus kann überdies nicht als gesellschaftliches Randphänomen betrachtet werden, sondern reicht bis in „die Mitte der Gesellschaft hinein“.

• Da die deutschen Sinti:ze und Rom:nja zu den vier anerkannten autochthonen Minderheiten Deutschlands gehören, haben sie neben ihrem Schutz „ein Recht auf eine gleichberechtigte Beteiligung am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Deutschland“.

Im Weiteren verwies der Deutsche Bundestag darauf, dass die Kommission „erstmals eine systematische Be- standsaufnahme aller Erscheinungsformen des Antiziganismus erarbeiten soll.“9 Dementsprechend regte er die Kommission an, „eine Bestandsaufnahme der Genese, Erscheinungsformen und Folgen des Antiziganismus in allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen vorzulegen“. Als Schwerpunkte formulierte er darüber hinaus:

„Hass und Drohungen gegen Sinti und Roma im Internet“, „historisch-politische Bildungsarbeit“, die Beleuch- tung der Situation an den Schulen sowohl hinsichtlich einer „Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Antiziganis- mus‘“ als auch mit der „600-jährige[n] Geschichte der Minderheit in Deutschland“, hier insbesondere mit Blick auf die Verfolgungsgeschichte von Sinti:ze und Rom:nja im Nationalsozialismus sowie hinsichtlich ihrer „kul- turellen Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte“. Die Kommission sollte im Weiteren auch euro- päische Perspektiven und Themen hinsichtlich der Bekämpfung von Antiziganismus einbeziehen und einschät- zen.

3 Deutscher Bundestag, Drucksache 18/1967 vom 02.07.2014. In der Sitzung vom 17.10.2014 wurde der Antrag diskutiert und an den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, den Innenausschuss und den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verwiesen.

4 Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, „Initiative für die Einrichtung eines unabhängigen Expertenkreises zum Antiziganis- mus“, unveröffentlichtes Schreiben, 23. Oktober 2015.

5 Vgl. beispielsweise das „Fachgespräch zum Thema Antiziganismus in Deutschland“ am 16. Februar 2017 mit den Fraktionen der CDU/CSU sowie der SPD im Deutschen Bundestag.

6 Vgl. den Koalitionsvertrag vom 14. März 2018 zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages; CDU, CSU und SPD, „Koalitionsvertrag 19. Legislaturperiode“.

7 Vgl. Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, „Antiziganismus bekämpfen“, BT-Drs. 19/8546 v. 19.03.2019.

8 Vgl. Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. „Bundesregierung beruft die Mitglieder der Unabhängigen Expertenkommission Antiziganismus“ (2019).

9 Hier und folgend zitiert nach Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, „Antiziganismus bekämpfen“, BT-Drs. 19/8546 v. 19.03.2019, 1.

(17)

Die Kommission hat unmittelbar nach ihrer Einberufung am 27. März 2019 ihre Arbeit aufgenommen. Sie wurde, nach Konsultation mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, mit elf Wissenschaftler:innen und Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft besetzt, die sich mit der Erforschung und Prävention von Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti:ze und Rom:nja beschäftigen. Drei Mitglieder sind Angehörige der Minderheit. Diese Unausgewo- genheit hinsichtlich der Repräsentation von Sinti:ze und Rom:nja in der Zusammensetzung der Kommission wurde von verschiedenen NGOs und Aktivist:innen kritisiert.10 Ebenso kritisiert wurde seitens der European Yenish Union der fehlende Einbezug Jenischer Perspektiven.11

Übersicht der Mitglieder der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (in alphabetischer Reihenfolge)12

• Prof. Dr. Klaus-Michael Bogdal, Professor für Germanistische Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld

• Dr. Hendrik Cremer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Menschenrechte

• Dr. Markus End, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin

• Dr. Karola Fings, Projektleitung „Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa“ an der Forschungsstelle Antiziganismus am Historischen Seminar der Universität Heidelberg

• Jana Mechelhoff-Herezi, M.A., Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas

• Prof. Dr. Elizabeta Jonuz, Professorin für Soziale Arbeit, Migration und Internationales an der Hochschule Hannover

• Silas Kropf, B.A., Freiberuflicher Teamer, Trainer und Referent

• Prof. Dr. Astrid Messerschmidt, Professorin für Erziehungswissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal

• Dr. Frank Reuter, Wissenschaftlicher Geschäftsführer der Forschungsstelle Antiziganismus am Historischen Seminar der Universität Heidelberg

• Prof. Dr. Wolfram Stender, Professor für Soziologie an der Hochschule Hannover

• Dr. Jane Weiß, Wissenschaftliche Mitarbeiterin/Projektleiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin Selbstverständnis der Unabhängigen Kommission Antiziganismus

Die Kommission bestimmte ihr Arbeitsprogramm und die zu behandelnden Inhalte sowie die zu adressierenden Forschungsdesiderate unabhängig und eigenständig. Sie handelte dabei im Bewusstsein der historischen Dimen- sion ihrer Aufgabe. Insbesondere um ihre Unabhängigkeit nicht zu gefährden, jedoch ebenfalls aufgrund des ambitionierten Zeitplans ihrer Tätigkeit und ihres hohen Arbeitspensums, das auch durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie im Laufe ihres Bestehens verdichtet wurde, nahm die Kommission davon Abstand, in Kontakt und Austausch mit der Öffentlichkeit zu treten: Sie hat der Abfassung des Berichtes einschließlich seiner Handlungsempfehlungen oberste Priorität gegeben.13 Politische Interventionen der Kommission fanden aus die- sen Gründen nur in unumgänglichen Fällen statt, die eine Positionierung der Kommission erforderten. Auch konzentrierte sich die Kommission bewusst auf die historische Entwicklung und gegenwärtige Dimension sowie die Struktur des spezifischen Rassismus gegen Sinti:ze und Rom:nja und nicht auf die Diskriminierung von bei- spielsweise Jenischen oder Fahrenden.

10 Vgl. Barz et al., Studie zum Empowerment von Sinti*ze und Rom*nja, 51, 94, 164; Randjelović et al., Studie zu Rassismuser- fahrungen von Sinti:ze und Rom:nja in Deutschland, 36.

11 Vgl. European Yenish Union, Schreiben an die Unabhängige Kommission Antiziganismus, 17. Juli 2019.

12 Der Unabhängigen Kommission Antiziganismus gehörte zunächst auch Georgi Ivanov an, stellvertretender Vorsitzender des transkulturellen Jugendverbandes Amaro Foro. Aus privaten Gründen schied er im Frühsommer 2019 aus der Kommission aus.

13 Einzige Ausnahme war die Teilnahme der Unabhängigen Kommission an der digitalen Konferenz zum neuen „Strategischen EU-Rahmen für Gleichheit, Inklusion und Teilhabe der Roma bis 2030“ am 12. Oktober 2020, veranstaltet durch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, vertreten durch ihr Mitglied Silas Kropf.

(18)

Im Laufe der Kommissionsarbeit stellte sich heraus, dass ihr offizieller Auftrag, einen besonderen „Schwerpunkt […] auf Maßnahmen […] auf Bundesebene“ zu legen,14 der Tatsache einer umfassenden strukturellen und insti- tutionellen Verbreitung von Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti:ze und Rom:nja in allen Teilen der Gesell- schaft und mit individuellen Folgen großer Tragweite für alle Lebensbereiche nicht ausreichend gerecht werden würde. Daher beziehen sich die zentralen Empfehlungen des vorliegenden Berichtes mehrheitlich auf die Bun- desebene, insgesamt enthält der Bericht jedoch ausdrücklich auch Empfehlungen für alle politischen Ebenen und viele weitere öffentliche Verantwortungsbereiche.

Die Kommission entschied sich mit Aufnahme ihrer Tätigkeit für die Bezeichnung Unabhängige Kommission Antiziganismus, um den gerade im Kontext des Rassismus gegen Sinti:ze und Rom:nja einschlägig vorbelasteten Begriff des „Experten“ nicht im Titel zu führen.

Arbeitsweise der Unabhängigen Kommission Antiziganismus

Die Kommission kam von Ende März 2019 bis Ende März 2021 zu 30 Arbeitssitzungen zusammen. Diese fanden zunächst regelmäßig in den Räumen des Bundesministeriums des Innern, Bau und Heimat (BMI) sowie im Deut- schen Institut für Menschenrechte (DIMR) in Berlin statt. Mit Beginn der COVID-19-Pandemie in Deutschland mussten die Besprechungen der Kommission in den digitalen Raum verlegt werden. Die Arbeitssitzungen dienten unter anderem der Festlegung der Agenda, der Diskussion von Selbstverständnis und Arbeitsweise, der interdis- ziplinären Erörterung der Inhalte des Berichtes15 und der Konzeption sowie Beauftragung von externen Experti- sen, Gutachten und Studien.

Als Sprecher:innen der Kommission bestimmten die Mitglieder Dr. Hendrik Cremer, Deutsches Institut für Men- schenrechte, und Prof. Dr. Elizabeta Jonuz, Hochschule Hannover. Die Koordinierungsstelle wurde am Deut- schen Institut für Menschenrechte (DIMR) in Berlin angesiedelt. Die Kommission dankt dem Institut für die Einrichtung der Koordinierungsstelle und für sein Engagement in allen damit verbundenen Angelegenheiten. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Koordinierungsstelle begleitete Dr. Sarah Kleinmann die Arbeit der Kom- mission inhaltlich und organisatorisch. Ihre äußerst kenntnisreiche, kompetente, stets zuverlässige und überaus engagierte, dem Thema und den Menschen gleichermaßen zugewandte Tätigkeit war für die Kommission eine unschätzbare Unterstützung.

In Ergänzung zur eigenen Fachkenntnis der Mitglieder der Unabhängigen Kommission Antiziganismus wurden 15 externe Gutachten und Studien in Auftrag gegeben. Diese erweiterten und ergänzten das Wissen der Kom- mission.

Von der Unabhängigen Kommission Antiziganismus vergebene Expertisen

• Antiziganismus im Fußball und in Fußball-Fankulturen – Pavel Brunssen

• Antiziganismus und Gedenkstätten – Steffen Jost

• Zum Umgang der deutschen Justiz mit an der Roma-Minderheit begangenen NS-Verbrechen nach 1945.

Das Sammelverfahren zum „Zigeunerkomplex“ (1958–1970) – Dr. Ulrich F. Opfermann

• Studie zu Rassismuserfahrungen von Sinti:ze und Rom:nja in Deutschland – Leitung: Prof. Dr. Iman Attia / Isidora Randjelović (Alice Salomon Hochschule Berlin)

• Studie zum Empowerment von Sinti*ze und Rom*nja – Leitung: Prof. Dr. Asiye Kaya / Koordination: Hajdi Barz (Hochschule Mittweida)

• (Dis-)Kontinuitäten antiziganistischen Profilings im Zusammenhang mit der Bekämpfung „reisender Täter“

– Eric Töpfer (Deutsches Institut für Menschenrechte)

14 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, „Antiziganismus bekämpfen“, BT-Drs. 19/8546 v. 19.03.2019, 2.

15 Diese Interdisziplinarität kommt auch in einer heterogenen Verwendung von geschlechtergerechten Schreibweisen im Bericht zum Ausdruck. Letztlich wurden vor allem zwei plausible Varianten gewählt, die sich jeweils in den Kapiteln des Berichts wiederfinden: eine Schreibweise mit Doppelpunkt und eine Schreibweise mit Unterstrich. Zu Schreibweisen im Bericht soll an dieser Stelle überdies noch auf eine Problematik hingewiesen werden: Durchstreichungen der rassistischen Bezeichnung Zigeuner, wie sie in den allermeisten Fällen verwendet werden, gehen beispielsweise beim Kopieren des Textes aus PDF- Dateien verloren. Dies gilt es auch zu berücksichtigen mit Blick auf die anwendbare Arbeitsdefinition zu Antiziganismus/Ras- sismus gegen Sinti_ze und Rom_nja, die die Kommission entwickelt hat.

(19)

• Mechanismen des institutionellen Antiziganismus: Kommunale Praktiken und EU-Binnenmigration am Beispiel einer westdeutschen Großstadt – Christian Hinrichs und Tobias Neuburger, Leitung: Prof. Dr. Dirk Lange (Leibniz Universität Hannover)

• Tödliche Polizeigewalt gegenüber Sinti und Roma von 1945 bis 1980 – Ingrid Müller-Münch

• Analyse der Verbreitung antiziganistischer Meldungen auf Facebook – Dr. Matthias J. Becker

• Analyse der Forschungsbefunde zu antiziganistischen Einstellungen in der deutschen Bevölkerung – Prof.

Dr. Linda Supik / Dorothea Nolden

• Antiziganismus als asylrechtlicher Verfolgungsgrund in der Praxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und der Rechtsprechung deutscher Gerichte – Dr. Doris Liebscher

• Schulbücher und Antiziganismus: Zur Darstellung von Sinti und Roma in aktuellen deutschen Lehrplänen und Schulbüchern – Leitung: Prof. Dr. Riem Spielhaus, Mitarbeit: Dr. Imke von Rath (Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung)

• Diskursivierung von ‚Sinti und Roma‘ und ‚Antiziganismus‘ in Bundestagsdebatten von 2010–2019 – Katharina Peters

• Rom*nja als Proband*innen in genetischen Studien – Prof. Dr. Veronika Lipphardt / Dr. Mihai Surdu

• Fallstudien zu Antiziganismus in Europa: Zum Umgang mit Rom*nja aus dem Kosovo sowie Antiziganistische Praktiken im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie – Mag. Mirjam Karoly

Kontakt und Austausch gab es nach einer konstituierenden Phase, in der die Agenda und das Vorgehen erarbeitet wurden, vorrangig mit den Selbstorganisationen von Sinti:ze und Rom:nja in Deutschland. Weitere ursprünglich geplante Gastgespräche sowie Konsultationsgespräche mit politischen Vertreter:innen, etwa Berichterstatter:in- nen von im Bundestag vertretenen Parteien, aber auch Gespräche mit Mitarbeiter:innen in Ministerien, waren in dem engen Zeitrahmen leider nicht möglich.

Einschätzungen der aktuellen Dimensionen von Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti:ze und Rom:nja wurden mit den fünf Dachverbänden von Sinti:ze und Rom:nja in Deutschland in jeweils eigenständigen Konsultations- gesprächen ausgetauscht. Überdies wurden die politischen Forderungen der Dachverbände sowie Herausforde- rungen und Bedürfnisse ihrer gegenwärtigen Arbeit erörtert. Als externe Sachverständige wurde durch die Kom- mission außerdem Mag. Mirjam Karoly mit dem Fachvortrag „EU – Initiativen zur Förderung der Roma Inklu- sion 2010–2020“ angehört.

Von der Unabhängigen Kommission Antiziganismus geführte Konsultationsgespräche

Zentralrat Deutscher Sinti und Roma

Sinti Allianz Deutschland e. V.

Bundesarbeitsgemeinschaft RomnoKher

Amaro Drom e. V.

Bundes Roma Verband e. V.

Interventionen der Unabhängigen Kommission Antiziganismus

• Stellungnahme der Unabhängigen Kommission Antiziganismus zur Frage der Post-2020 EU- Rahmenstrategie in Bezug auf Roma und Romnja vom 30. Juni 2020 (veröffentlicht)

• Briefe vom 7. Oktober 2020 anlässlich der Gefährdung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas an den Konzernbevollmächtigen der Deutschen Bahn AG für das Land Berlin, Alexander Kaczmarek, an den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Dr. Wolfgang Schäuble, und an die Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz des Landes Berlin, Regine Günther (nicht öffentlich)

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