Historienbild
Thomas Kirchner
D
ie Historienmalerei galt lange Zeit nicht nur als die be
deutendste künstleri
sche Gattung, sondern schien auch besonders dazu geeignet, in politi
schen Kontexten einge
setzt zu werden. Dabei hatte sie der Grün
dungsvater der neuzeit
lichen Kunsttheorie, Leon Battista Alberti, der als erster die Histo
rienmalerei als den H ö h e p u n k t jeglicher künstlerischer Betäti
g u n g beschrieb, ledig
lich als die bildliche
Wiedergabe einer Narration definiert, als die U m s e t z u n g einer Geschichte in Malerei.
1An eine politische Indienstnahme der Gattung dachte er noch nicht, wie er auch weniger an den mit einem Historienbild zu vermittelnden Inhal
ten interessiert war. An keiner Stelle äußerte er sich zu dem Text, der in einer Komposition malerisch umgesetzt werden sollte. Alberti defi
nierte die G a t t u n g über deren formale Gestal
tung, nicht aber über den Inhalt. Und auch bei der B e s t i m m u n g der Aufgabe eines Historien
bildes verhielt er sich zurückhaltend: Es solle be
wegen und erfreuen, von einer Belehrung des Betrachters, wie sie eine politische N u t z u n g der G a t t u n g verfolgte, ist noch nicht die Rede.
Die Kunsttheorie nach Alberti hielt sich weiter
hin in der Frage einer politischen Inanspruch
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I Domenico Ghirlandaio: Die Übergabe der Ordensregeln, 14791486, Fresko, Florenz, S.Trinitä, Cappella Sassetti
n ä h m e der Historienmalerei zurück. Und doch erfuhr die G a t t u n g sukzessive eine Politisie
rung und avancierte neben der Monumental
skulptur zum bevorzugten künstlerischen Mittel politischer Selbstdarstellung. Die Entwicklung scheint nicht zu trennen zu sein von der Literari
sierung der Historienmalerei. Nach und nach wurde das Horazsche «ut pictura poesis» nicht mehr lediglich im Sinne der Übertragung einer beliebigen Narration verstanden, sondern als die Aufforderung, auf eine bereits literarisch aufbe
reitete Form einer H a n d l u n g zurückzugreifen oder eine H a n d l u n g im Sinne der literarischen Diskussionen selbst aufzubereiten.
2Von zentra
ler Bedeutung war in diesem Z u s a m m e n h a n g
die aristotelische Poetik, die seit dem f r ü h e n
16. Jahrhundert intensiv diskutiert wurde.
3An
Originalveröffentlichung in: Handbuch der politischen Ikonographie Bd. 1, Uwe Fleckner, Martin Warnke, und Hendrik Ziegler (Hg.), München 2011, S. 505-512ihr orientierten sich alle poetologischen Über
legungen der folgenden Jahrhunderte. Unab
hängig von der zentralen, auch von der Kunst
theorie strittig erörterten Frage der Präferenz von Tragödie oder Epos war man sich in Hin
blick auf die Figur des Helden einig.
4Eine darzu
stellende H a n d l u n g m ü s s e von einem Helden ausgehen oder auf ihn gerichtet sein. Der Held solle für den Betrachter unmittelbar erkennbar sein, zu diesem Zweck m ü s s e er von allen ande
ren Bildakteuren deutlich abgehoben werden.
Die Historienmalerei orientierte sich nicht nur an den beiden höchsten literarischen Gattungen, sondern darüber hinaus an der Geschichts
schreibung. Der Rückgriff auf diese erlaubte es der Malerei, Ciceros Diktum «historia magistra vitae» («die Geschichte als Lehrmeisterin des Le
bens») und damit eine erzieherische Aufgabe für sich in Anspruch zu nehmen. Das wiederzuge
bende Ereignis m u ß t e bedeutsam und auch für spätere Generationen vorbildlich sein. Nun be
deutete die Annäherung an die literarischen Gat
tungen die Geschichtsschreibung wurde eben
falls als eine solche betrachtet , mit der die Kunst ihre Nobilitierung verfolgte, nicht notwen
digerweise eine Politisierung der Historienmale
rei, sie bereitete dieser jedoch das Terrain. So ent
wickelte die Malerei gerade für die Hervorhebung der Figur des Helden vielfaltige Formen, die es erlaubten, eine deuüiche Hierarchisierung des Bildpersonals vorzunehmen. Die klassische Form einer solchen Hierarchisierung ist die Drei
eckskomposition, an deren Spitze die inhaltlich zentrale Person gezeigt wird, aber auch der Gol
dene Schnitt eignete sich, um eine Person kom
positorisch zu betonen.
5Darüber hinaus konn
ten Lichtführung und Farbgebung als Mittel der innerbildlichen Gewichtung dienen. Auch diese Mittel waren nicht notwendigerweise politisch konnotiert, aber sie machten die Historienmale
rei für die Politik attraktiv, eigneten sie sich doch
2 I Giorgio Vasari: Der verwundete Hugenottenführer Coligny, 1572-1573, Fresko, Vatikan, Vatikanspalast, Sala Regia
in hervorragender Weise dazu, eine politische Aussage zu transportieren.
6In ihrer inhaltlichen Gestaltung ist die Histo
rienmalerei alles andere als h o m o g e n . Sie um
f a ß t die Wiedergabe historischer Ereignisse, wozu auch biblische Geschichten gezählt wur
den, mythologischer und literarischer T h e m e n und Allegorien. Und all diese Bereiche wurden auch in politischen Kontexten eingesetzt. Immer wieder wurde überlegt, auch zeitgenössische Er
eignisse in einer von der narrativen Historien
malerei entwickelten Form darzustellen. So mal
te Giorgio Vasari die Sala di Cento Giorni der
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Historienbild
Cancellaria in Rom mit Szenen aus dem Leben Papst Pauls III. (1546) und die Sala Regia im Vatikan (1572-1573) mit Szenen zur Bartho
lomäusnacht aus; das Konzept konnte sich jedoch nicht durchset
zen |Abb. 2|. Nach dem von der Geschichts
schreibung abgeleite
ten Selbstverständnis der Historienmalerei durften n u r T h e m e n be
handelt werden, deren vorbildlicher Charakter unumstritten war. Eine zeitgenössische Hand
lung war jedoch noch nicht in das Buch der Geschichte a u f g e n o m m e n , konnte daher noch keine Vorbildfunktion beanspruchen und also auch keine Darstellungsform, wie sie die Histo
rienmalerei für die vorbildlichen Handlungen früherer Epochen entwickelt hatte. Erst im 18. Jahrhundert sollte sich dies ä n d e r n .
7Bis da
hin wurden für zeitgenössische Ereignisse, etwa für Schlachten, andere, von der Historienmalerei abweichende Formen verwendet.
Damit stellte sich als zentrales Problem einer im politischen Kontext eingesetzten Historienma
lerei, wie zwischen historischer oder fiktionaler Ebene und dem Zeitgeschehen zu vermitteln sei.
Wie konnte dem Betrachter klar gemacht wer
den, d a ß das historische, religiöse oder literari
sche beziehungsweise mythologische Ereignis nicht für sich stand, sondern auf die Gegenwart verwies, ja sogar vorrangig eine Aussage über die Gegenwart formulierte? Bis ins frühe 16. Jahr
hundert hatte man kein Problem, beide Ebenen in einem Bild z u s a m m e n z u f ü g e n . So zeigt Ghir
Iandaio in der Kapelle der Florentiner Familie Sassetti in S. Trinitä die Vita des heiligen Fran
v-N
3 I Raffaet: Vertreibung des Heliodor aus dem Tempel, 15111512, Fresko, Vatikan, Vatikanspa
last, Stanza d'Eliodoro
ziskus, N a m e n s p a t r o n des Familienoberhauptes Francesco Sassetti. Dies macht den Zyklus indes noch nicht zu einem Politikum, erst die Verbin
d u n g der historischen Szenen mit der Vita des Auftraggebers vollzieht diesen Schritt. Ghir
landaio l ä ß t die O r d e n s g r ü n d u n g der Franziska
ner und die Übergabe der Ordensregeln durch den Papst nicht an ihrem historischen Ort statt
finden, dem Lateranspalast in Rom, sondern in einem weldichen Rahmen in Florenz, auf der Piazza della Signoria |Abb. l|. Darüber hinaus wird rechts im Vordergrund der Auftraggeber mit seinem Sohn gezeigt, daneben Lorenzo de' Medici und ein Mitglied der Pucci, einerweiteren wichtigen Florentiner Familie. Eine Verbindung mit den Medici betont zudem die im Vorder
grund die Treppe heraufsteigende G r u p p e mit dem Humanisten Angiolo Poliziano und seinen Schülern, den Söhnen Lorenzo de' Medicis.
Ort und Zeitpunkt der Aufgabe dieses Konzeptes einer innerbildlichen Vermischung von histo
rischer und zeitgenössischer Ebene zur Verdeut
lichung eines politischen Anspruchs lassen sich
präzise benennen: die Stanzen des Vatikans u m
das Jahr 1514. In ihnen entwickelte Raffael sein
Konzept einer zunehmend komplexen Historien
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4 I Raffael: Brand des Borgo, 151 di Borgo
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17, Fresko, Vatikan, Vatikanspalast, Stanza dell'lncendio
m a i e r e i . In d e r S t a n z a d ' E I i o d o r o (1511-1514) f o l g t e e r n o c h d e m t r a d i t i o n e l l e n M o d e l l . I m H a u p t b i l d m i t d e r Vertreibung des Heliodor aus dem Tempel ist d e r A u f t r a g g e b e r P a p s t J u l i u s II. in d i e b i b l i s c h e S z e n e i n t e g r i e r t (Abb. 3| (• P a p s t b i l d n i s ) . V o n l i n k s in d i e K o m p o s i t i o n e i n t r e t e n d , s c h e i n t e r d i e F l u c h t d e s T e m p e l rä u b e r s v e r a n l a ß t z u h a b e n u n d n i c h t d e r i m H i n t e r g r u n d n u r s c h w e r a u s z u m a c h e n d e H o h e p r i e s t e r O n i a s , d e s s e n G e b e t e i g e n d i c h d a z u g e f ü h r t h a t t e , d a ß d a s U n g l ü c k d e s T e m p e l r a u b e s a b g e w e n d e t w u r d e . I n d e n W a n d b i l d e r n d e r a n s c h l i e ß e n d e n , n u n u n t e r P a p s t Leo X. a u s g e m a l t e n S t a n z a d e l l ' l n c e n d i o di B o r g o (15141517) t a u c h t h i n g e g e n d e r A u f t r a g g e b e r n i c h t m e h r a u f . D e r Brand des Borcjo b e w e g t s i c h n u r a u f e i n e r Z e i t e b e n e ; i m H i n t e r g r u n d ist P a p s t Leo IV. z u s e h e n , d e r i m 9. J a h r h u n d e r t e i n e m F e u e r i m r ö m i s c h e n S t a d t t e i l B o r g o d u r c h d a s Z e i c h e n d e s K r e u z e s E i n h a l t g e b o t e n h a t t e [Abb. A\. D o c h ü b e r r a s c h t es, d e n H e l d e n d e r G e s c h i c h t e , d e r d i e R e t t u n g v o r d e m F e u e r b e w i r k t e , w i e d e r u m l e d i g l i c h a u f d e r h i n t e r s t e n R a u m e b e n e z u f i n d e n . So ist a u c h h i e r w i e d e r d e r A u f t r a g g e b e r d i e e i g e n ü i c h z e n t r a l e F i g u r , o h n e j e d o c h s e l b s t d a r g e s t e l l t z u s e i n , er w i r d v o n s e i n e m
V o r g ä n g e r u n d N a m e n s v e t t e r l e d i g l i c h v e r t r e t e n . D a ß n i c h t L e o IV., s o n d e r n L e o X . d e r e i g e n d i c h e H e l d ist, d a r a u f v e r w e i s t d i e Leer
stelle in d e r M i t t e d e r K o m p o s i t i o n , d i e n o r m a l e r w e i s e d e m H e l d e n v o r b e h a l t e n ist. D e r B e t r a c h t e r h a t s i c h h i e r d e n z e i t g e n ö s s i s c h e n P a p s t v o r z u s t e l l e n . D e r G r u n d f ü r d i e s e n W e c h s e l s c h e i n t k ü n s t l e r i s c h e r u n d p o l i t i s c h e r N a t u r g e w e s e n z u s e i n . D i e z u B e g i n n d e s J a h r h u n d e r t s o f f e n s i c h t l i c h a m p ä p s t l i c h e n H o f e d i s k u t i e r t e a r i s t o t e l i s c h e Poetik b e t o n t e d i e E i n h e i t d e r Zeit a l s e i n e z e n t r a l e R e g e l .9 E i n e K o m p o s i t i o n , d i e a u f z e i t l i c h v ö l l i g u n t e r s c h i e d l i c h e n E b e n e n a n g e s i e d e l t ist, w i d e r s p r a c h d e m G e s e t z d e r W a h r s c h e i n l i c h k e i t ; d i e s g a l t e b e n f a l l s f ü r d i e W i e d e r g a b e l i t e r a r i s c h e r T h e m e n , d i e m i t z e i t g e n ö s s i s c h e n F i g u r e n d u r c h m i s c h t i s t . Sie v e r l o r i h r e G l a u b w ü r d i g k e i t , e i n e G e f a h r , d i e g e r a d e b e i p o l i t i s c h e i n g e b u n d e n e n K u n s t w e r k e n v e r m i e d e n w e r d e n m u ß t e .
D i e V e r p f l i c h t u n g d e r H i s t o r i e n m a l e r e i a u f d a s G e s e t z d e r W a h r s c h e i n l i c h k e i t e r s c h w e r t e je
d o c h d e n V e r w e i s v o n e i n e m h i s t o r i s c h e n o d e r l i t e r a r i s c h e n E r e i g n i s a u f d a s Z e i t g e s c h e h e n u n d d a m i t e i n e p o l i t i s c h e A u s s a g e . W i e k o n n t e d e m B e t r a c h t e r n u n v e r m i t t e l t w e r d e n , d a ß d a s h i s t o r i s c h e o d e r l i t e r a r i s c h e E r e i g n i s a u f e i n e n G e g e n w a r t s b e z u g h i n b e f r a g t w e r d e n s o l l t e ? W i e u n t e r s c h i e d s i c h e i n e r e i n h i s t o r i s c h e o d e r lite
r a r i s c h e D a r s t e l l u n g v o n e i n e r s o l c h e n , d i e m i t e i n e m G e g e n w a r t s b e z u g p o l i t i s c h g e l e s e n w e r d e n w o l l t e ? E i n e v e r g l e i c h s w e i s e e i n f a c h e u n d h ä u f i g b e m ü h t e F o r m a r b e i t e t e w e i t e r h i n , w e n n
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auch in abgemilderter Weise, mit zwei unter
schiedlichen zeitlichen Ebenen: Sie überblen
dete einen historischen Helden mit der Physio
gnomie einer zeitge
nössischen Figur. Auf diese Möglichkeit griff auch Raffael zurück, als er in der Darstellung des Sieges von Papst Leo IV. über die Sarazenen in der Stanza dell'In
cendio di Borgo den Papst mit den Zügen LeosX., des Auftragge
bers der Ausmalung, zeigte. Und das Gesicht des alten Mannes, der im Brand des Borgo von einem jungen Mann aus den Flammen getragen wird, soll d e m Antlitz
von Lorenzo de' Medici ähneln, dem Vater Leos X. Aber auch diese Form genügte eigentlich nicht den strengen Regeln der Historienmalerei, d e n n auch sie widersprach in der Verbindung zweier zeitlicher Ebenen dem Gesetz der Wahr
scheinlichkeit und lief damit Gefahr, unglaub
würdig zu sein. Hier waren die Kunsttheoretiker wenig k o m p r o m i ß b e r e i t . Es blieben damit im wesentlichen zwei Möglichkeiten zur Verdeutli
c h u n g einer politischen I n a n s p r u c h n a h m e der narrativen Historienmalerei: die Entwicklung ei
ner weitestgehend politischen Vorstellungen folgenden Ikonographie und der Verweis mit Hilfe des Kontextes, in den ein Historienbild ein
g e b u n d e n war.
Die politische Ikonographie konzentrierte sich auf eine Reihe von T h e m e n , die sich als beson
M
5 I Pietro da Cortona: Die Schlacht bei Arbella, 1643-1647, Fresko, Rom, Palazzo dei Conserva- tori
6 I Charles Le Brun: Die Schlacht bei Arbella, vor 1669, Öl/Lw., 4,70 >
Louvre
12,65 m, Paris, Musee du
ders geeignet erwiesen. Am prominentesten war sicherlich aus d e m Bereich von Literatur und Mythologie die Figur des Herkules, der man in nahezu jeder g r ö ß e r e n Residenz begegnen kann (• Herkules). Von den Göttern boten sich Zeus und Apoll an; aus der Geschichte stach beson
ders Alexander der G r o ß e hervor, aber auch an
dere antike, z u m Teil auch mittelalterliche natio
nale G r ö ß e n wurden mit ihren vorbildlichen Handlungen gezeigt (• Bildnis, theomorphes).
Auf wen nun mit dem jeweiligen mythologi
schen oder historischen Helden angespielt wer
den sollte, war meist nur dem Kontext, in den die Werke eingebunden waren, zu e n t n e h m e n , und Irritationen waren nicht ganz auszuschließen.
So wurde die Grande Galerie des Louvre von
Nicolas Poussin mit Szenen aus der Vita des Her
m
7 I Pietro da Cortona: Die Göttliche Vorsehung, 1633-1639, Fresko, Rom, Palazzo Barberini
kules (1641-1642) ausgemalt, die auf Lud
wig XIII. anspielten. Unter Ludwig XIV. wurde dann überlegt, die Ausmalung fertigzustellen, auch wurde das HerkulesThema für die Grande Galerie in Versailles diskutiert, beide Male sollte auf den lebenden König angespielt werden. Und auf Ludwig XV. ist schließlich die Decke des Her
kulesSaales in Versailles g e m ü n z t .
Über die Deutung eines Gemäldes, darüber, ob es politisch gelesen werden will und auf welche zeitgenössische Person es bezogen werden soll, gibt im Normalfall der Kontext Auskunft. So dürfte Aniello Falcones Schlacht bei Arbella (San Marino, Museo di Stato) für eine Kunstsamm
lung b e s t i m m t gewesen sein und damit keine über das militärische Thema hinausgehende po
litische Konnotation besessen haben.
1 0Pietro da Cortonas etwa gleichzeitig entstandenes Bild gleichen T h e m a s ist hingegen als eine indirekte Glorifizierung seines Auftraggebers, des päpst
lichen Feldmarschalls Alessandro Sacchetti, zu
8 I Charles Le Brun: Der König regiert selbst. Der Prunk der benachbarten Mächte, 1678-1686, Öl/Lw., Versailles, Mu- see national des chäteaux de Versailles et de Trianon, Grande Galerie (Zustand nach der Restaurierung 2004- 2007)
lesen |Abb. 5|. Die Verbindung von Auftraggeber und antikem Feldherr geschieht über den ge
m e i n s a m e n Beruf und den g e m e i n s a m e n Vorna
men. Bei Charles Le Bruns Bild gleichen T h e m a s besteht zwar keine Namensidentität zwischen antikem Helden und Auftraggeber, dafür ver
band Ludwig XIV. und Alexander neben ihren kriegerischen Aktivitäten und ihrem jungen Alter insbesondere die Krone |Abb. 6|. So stand für die Zeitgenossen fest, d a ß Ludwig der neue Alexander sei, bereits bei seiner Geburt hatte die Panegyrik auf eine Verwandtschaft der beiden verwiesen.
1 1Bilder wie diese argumentieren je nach Betrach
ter unterschiedlich. Dem Auftraggeber, hier Alessandro Sacchetti oder Ludwig XIV., soll der historische oder literarische Held als Leitbild dienen, an dem er sich zu orientieren habe, um selbst entsprechend g r o ß e Taten vollbringen zu können; den übrigen Betrachtern soll das Bild vermitteln, d a ß der Herrscher bereits im Besitz der gezeigten Qualitäten sei und eine entspre
chende Verehrung verdiene. Die historischen
wie auch die literarischen und mythologischen
5 1 1
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T h e m e n bargen indes die Gefahr einer gewissen Beliebigkeit, denn sie waren letztlich jedermann verfugbar.
Ein individuelles, auf eine konkrete Person zuge
schnittenes Programm erlaubte hingegen die Allegorie, die zudem den Vorteil b e s a ß , nicht dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit unterworfen zu sein, und damit in h o h e m M a ß e den Anforde
rungen einer Panegyrik genügen konnte. Ein Zweifel daran, d a ß Pietro da Cortonas Decke im Palazzo Barberini mit der Göttlichen Vorsehung einen Zeitbezug besitzt, kann nicht bestehen:
Die Darstellung erlaubt keine andere Deutung
|Abb. 7\. Das hochgradig verschlüsselte Decken
bild feiert die Wahl von Urban VIII. zum Papst und erschließt sich nur unter Berücksichtigung seines politischen Gehaltes. Auf den Papst als eigentlichem Gegenstand der Darstellung wei
sen neben dem räumlichen Kontext seine Wap
pentiere, die Bienen. Darüber hinaus erlaubte die Allegorie eine innerbildliche Vermischung mit dem Zeitgeschehen. So verbanden Peter Paul Rubens im MediciZyklus (16221627) und Charles Le Brun in der Decke der Grande Galerie von Versailles Zeitgeschehen und zeitgenössi
sche Akteure mit Allegorien und allegorisch zu verstehenden mythologischen Figuren |Abb. 8|.
Der Historiograph der königlichen Kulturver
waltung Andre Felibien begleitete diese Form der königlichen Selbstdarstellung kunsttheoretisch, indem er, in Abweichung von Alberti, an den Gipfel seiner Gattungshierarchie, noch über die narrative Historienmalerei, die allegorische Ein
kleidung eines T h e m a s stellte. «Will man noch höher steigen, so m u ß man die Tugenden der g r o ß e n Menschen und die erlesensten Geheim
nisse in allegorischen Kompositionen unter dem Schleier der Fabel zu verhüllen wissen.»
1 2Diese Form b e s a ß zudem den Vorteil, d a ß sie auch au
ß e r h a l b des höfischen Kontextes, etwa in der Reproduktionsgraphik, eindeutig zu verstehen
9 I Jacques-Louis David: Die Liktoren bringen Brutus die Leichen seiner Söhne, 1789, Öl/Lw., 323 x 422 cm, Paris, Musee du Louvre
war. Als Problem erwies sich hingegen die nur schwere Entschlüsselung m a n c h e r Darstellun
gen; m a n versuchte dem mit Beschreibungen zu begegnen, wie sie zu Pietro da Cortonas Decke, zur MediciGalerie von Rubens und zu Le Bruns Ausmalung der Decke der Grande Galerie un
mittelbar nach deren Fertigstellung erschienen.
Mit dem 17. Jahrhundert endet die g r o ß e Zeit der politischen Repräsentation mit Hilfe der Histo
rienmalerei. Die Gattung fiel in eine tiefe Krise, die auch die Selbstdarstellung der Herrscher er
faßte. Die Versuche, die Historienmalerei wieder in ihre alten Rechte zu setzen, wollten nicht fruchten. Erst im Vorfeld der Französischen Re
volution wurde ihr wieder eine herausragende Bedeutung zugewiesen, und auch jetzt war diese Bedeutung nicht von einer politischen Inan
s p r u c h n a h m e zu trennen, w e n n auch in prin
zipiell veränderter Form. JacquesLouis Davids Gemälde Die Liktoren bringen Brutus die Leichen seiner Sohne feiert 1789 nicht m e h r den Helden, u m dessen Qualitäten einem zeitgenössischen Herr
scher zuzuweisen, es verweigert sich einer sol
chen Lesart, indem die Darstellung die Hand
lung des Bildhelden in Frage stellt |Abb. 9|.
1 5Der
Betrachter wird nicht m e h r aufgefordert, die
V o r b i l d l i c h k e i t d e r H a n d l u n g d e s B r u t u s a l s m o r a l i s c h e o d e r p o l i t i s c h e N o r m z u a k z e p t i e r e n , w i e d i e s b i s d a h i n in e n t s p r e c h e n d e n D a r s t e l l u n g e n d e r Fall g e w e s e n w a r , s o n d e r n e r m u ß s i c h e n t s c h e i d e n , w e l c h e r d e r b e i d e n i m Bild t h e m a t i s i e r t e n P o s i t i o n e n e r s i c h a n s c h l i e ß t : E i n e r s e i t s i s t B r u t u s z u s e h e n , d e r , w e n n a u c h z w e i f e l n d , a u s G r ü n d e n d e r S t a a t s r a i s o n s e i n e b e i d e n S ö h n e h a t h i n r i c h t e n l a s s e n , a n d e r e r s e i t s w e r d e n M u t t e r u n d S c h w e s t e r n d e r V e r u r t e i l t e n g e z e i g t , d i e d e r e n T o d h e f t i g b e k l a g e n . D i e v o n D a v i d g e f u n d e n e F o r m d e r H i s t o r i e n m a l e r e i i s t i n e i n e m g a n z n e u e n S i n n e p o l i t i s c h , i n d e m s i e d e n B e t r a c h t e r n i c h t l e d i g l i c h z u e i n e m p a s s i v e n R e z i p i e n t e n b e s t i m m t , d e r v o n e i n e r b e s t i m m t e n L e s a r t d e s Z e i t g e s c h e h e n s ü b e r z e u g t w e r d e n s o l l , s o n d e r n i n d e m s i e i h n a k t i v in e i n e n P r o z e ß d e r p o l i t i s c h e n B e w u ß t w e r d u n g e i n b e z i e h t . G l o r i f i z i e r e n k a n n d i e s e F o r m d e r H i s t o r i e n m a l e r e i i n d e s n i c h t m e h r .
A n m e r k u n g e n
1 Vgl. Leon Battista Alberti: Deila pittura, in: id.: Klei
nere kunsttheoretische Schriften, h g . v. H u b e r t Janit
s c h e k , Wien 1877, S. 105, die lateinische F a s s u n g : Leon Battista Alberti: De pictura, in: id.: Das Stand
bild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei, hg. v. O s kar B ä t s c h m a n n u. C h r i s t o p h Schäublin, D a r m s t a d t 2000, S. 256, § 3 5 . Zu Albertis Begriff der H i s t o r i e n m a l e r e i vgl. b e s o n d e r s Michael Baxan
dall: Giotto and the Orators. Humanist Obseruers 0 / Painting in Italy and the Discovery 0/Pictorial Composi
tion 1 3 5 0 1 4 5 0 , O x f o r d 1971; Kristine Patz: Zum Begriff der «Historia» in L. B. Albertis «De pictura», in:
Zeitschriftjiir Kunstgeschichte 49/1986, S. 2 6 9 2 8 7 . 2 Z u m D i k t u m «ut picutra poesis» vgl. Renselaer
W. Lee: Ut pictura poesis. The Humanistic Theory qf Painting, N e w York 1967 (zuerst e r s c h i e n e n in: Art Bulletin 22/1940, S. 1 9 7 2 6 9 ) .
3 Eine Bibliographie der E d i t i o n e n der Aristoteli
s c h e n Poetik bei Lane C o o p e r u. Alfred G u d e m a n : A Bibliography qf the Poetics ofAristotle, N e w Häven, L o n d o n u. O x f o r d 1928; zur W i r k u n g s g e s c h i c h t e vgl. E u g e n e N a p o l e o n Tigerstedt: Obsenmtions on the Reception qf the Aristotelian «Poetics» in the Latin West, in: Studies in the Renaissance 15/1968, S. 7 2 4 . 4 Vgl. T h o m a s Kirchner: Der epische Held. Historien
malerei und Kunstpolitik im Frankreich des 17. Jahrhun
derts, M ü n c h e n 2001, S. 191 ff.
5 Zur G e s c h i c h t e der K o m p o s i t i o n vgl. T h o m a s P u t t f ä r k e n : The Discovery qf Pictorial Composition.
Theories of Visual Order in Painting 1 4 0 0 1 8 0 0 , N e w Häven u. L o n d o n 2 0 0 0 .
6 Vgl. Jutta Held: Französische Kunsttheorie des 17. Jahr
hunderts und der absolutistische Staat. Le Brun und die ersten acht Vorlesungen der Akademie, Berlin 2001.
7 Vgl. W e r n e r Busch: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne, M ü n c h e n 1993, S. 36 ff.
8 Vgl. T h o m a s Kirchner: Paradigma der Gegenuw
tigkeit. Schlachtenmalerei als Gattung ohne Genrekon
uentionen, in: Stefan G e r m e r u. Michael F. Zim
m e r m a n n (Hg.): Bilder der Macht. Macht der Bilder.
Zeitgeschichte in Darstellungen des ig.Jahrhunderts, M ü n c h e n 1997, S. 107124.
9 Vgl. Aristoteles: Poetik, ü b e r s , v. O l o f G i g o n , Stuttgart 1978, S . 3 0 , § 5 .
10 Vgl. Fritz Saxl: The Battie Scene unthouta Hero. Aniello Falconeand his Patrons, in: Journal qf the Warburg and Courtauld Institutes 3/19391940, S. 7 0 8 7 , S. 71.
n Vgl. Kirchner 2001, S. 103 ff.
12 A n d r e Felibien: Preface, in: id. (Hg.): Conferences de TAcade'mie royale de peinture et de sculpture pendant l'anne'e 1667, Paris 1668, [S.XV]: «Et m o n t a n t en
core p l u s h a u t , il f a u t par d e s c o m p o s i t i o n s alle
g o r i q u e s , scavoir couvrir s o u s Ie voile de la fable les vertus d e s g r a n d s h o m m e s , et les m y s t e r e s les plus relevez.»
13 Vgl. Stefan G e r m e r u. H u b e r t u s Kohle: From the Theatrical to the Aesthetic Hero. On the Priuatization qf the Idea qf Virtue in Dauid's «Brutus» and «Sabines», in:
ArtHistory 9/1986, S. 1 6 8 1 8 4 .