Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 148. April 2005 AA937
S E I T E E I N S
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er verstorbene Papst hat ein öf- fentliches Leben geführt – bis zur letzten Konsequenz. Die Leiden der letzten Jahre hat er nicht verborgen, sondern sich dem Fernsehen und damit den Augen aller genauso aus- gesetzt wie bei seinen großen Auf- tritten in gesunden Tagen.Wir alle haben miterlebt, wie das Gesicht gedunsener wurde, die Spra- che verwaschen bis zur Unverständ- lichkeit, die Haltung verfiel, das Zit- tern nicht mehr beherrschbar war, die Stimme brach, der Kampf mit dem versagenden Körper verloren ging.
Gebietet nicht die Menschenwür- de, den Menschen in seinem Verfall vor neugierigen Augen zu verbergen?
Johannes Paul II. hat zeitlebens die Botschaft von der Würde des Menschen verkündet, sei es gelegen oder ungelegen. Der Gedanke zieht sich als Leitfaden durch seine vielen Ansprachen und Verlautbarungen.
Die Botschaft ist einfach; der damals noch neue Papst hat sie bei seinem ersten Deutschlandbesuch 1980 ge- genüber den Spitzen von Staat und Gesellschaft in zwei Sätzen zusam- mengefasst: „Die Kirche bekennt sich zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen und damit zu seiner unan- tastbaren Würde. In ihr gründen letztlich seine unveräußerlichen Grundrechte wie auch die Grund- werte für ein menschenwürdiges ge- sellschaftliches Zusammenleben.“
So einfach die Botschaft, so ver- zwickt und oft unwillkommen die Auswirkungen: Menschenwürde gilt für das gesamte Leben, von Anfang an bis zu seinem Ende. Daher die Ab- lehnung von Abtreibung, von ver- brauchender Embryonenforschung, von Euthanasie. Unterdrückung ver- stößt gegen die Menschenwürde. Aus der Menschenwürde resultieren das Recht auf Arbeit und die Verpflich-
tung des Kapitals, Arbeitsplätze zu schaffen.
Und Menschenwürde kommt Be- hinderten, Leidenden, Gebrechli- chen genauso zu wie Jungen und Ge- sunden. Nehmt an Eure Bürde, aber nehmt auch wahr Eure Würde, denn Ihr seid Ebenbilder Gottes, so die von dem verstorbenen Papst un- verdrossen verkündete frohe Bot- schaft. Johannes Paul II. hat sie me- dial geschickt umgesetzt und sich selbst zum Beispiel genommen.
Nicht einmal der Tod blieb tabu. Die Nachrichten aus dem Sterbezimmer, wie friedlich der Papst seinem Ende entgegensehe, wurden im Stunden- takt weltweit verbreitet. Denn auch das sollte alle Welt wissen: „Der Tod ist ein Trost“.
Diesen festen Glauben hatte Jo- hannes Paul II. immer schon Kranken und Sterbenden vermittelt. Am Ende hat er ihn vorgelebt. Norbert Jachertz
Johannes Paul II.
Nehmt wahr Eure Würde
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ie private Krankenversicherung (PKV) lässt keine Gelegenheit aus, um mit „unkonventionellen“ Re- formvorschlägen die drohende Bür- gerversicherung abzuwehren. Zeit- gleich mit der Vorlage der Finanzer- gebnisse der sozialen Pflegeversiche- rung, die für 2004 ein Rekorddefizit in Höhe von rund 820 Millionen Euro ausweisen, hat der PKV-Verband Vorschäge für eine kapitalgedeckte, private Mitfinanzierung der Pflege- pflichtversicherung in Berlin publik gemacht. Ihm schwebt ein Kombi- Modell vor, das auf zwei Säulen ruht:der gesetzlichen Pflegeversicherung, finanziert im Umlageverfahren mit einem Beitragssatz in Höhe von 1,7/1,95 Prozent, und einer zusätz- lichen teilkapitalgedeckten Pflicht- versicherung für alle gesetzlich Pfle-
geversicherten. Gleichzeitig sollen die Leistungen bei Einführung eines Zusatzbeitrages in Höhe von zu- nächst 8,50 Euro je Monat dynami- siert und die Pflegesätze im ambu- lanten und stationären Pflegebereich angeglichen werden. Dadurch soll der Trend zur kostenintensiven, pfle- geaufwendigen Heimunterbringung gestoppt werden.
Mit dem Zusatzmonatsbeitrag, der sich jedes Jahr um einen Euro er- höhen soll, soll die Pflegeversiche- rung vor dem ab 2008 drohenden fi- nanziellen Kollaps bewahrt werden, andererseits soll der Realwertverfall der Leistungen gestoppt werden (seit 1995 um 13 Prozent).
Wohlweislich hat die PKV mit dem Kombi-Modell davon abgese- hen, eine vollständige Umstellung
auf Kapitaldeckung zu empfehlen.
Eine solche Radikallösung wäre zwar ordnungspolitisch sauber, aber weder politisch durchsetzbar noch finanziell darstellbar. Ein solcher Schnitt wür- de einen Steuertransfer von minde- stens 14 Milliarden Euro erfordern.
Problematisch ist das Reformkon- zept insoweit, als die Pflegesätze im ambulanten und stationären Bereich angeglichen werden sollen. Bis zur Pflegestufe 2 blieben die Risiken in der gesetzlichen Versicherung undy- namisiert. Dies passt nicht zueinan- der und würde gerade Schwerstpfle- gebedürftige schlechter als bisher absichern und sie zu Sozialhilfeemp- fängern zurückstufen. Gerade dies wollte die PKV mit ihrem Modell zu- mindest bei der ambulanten Pflege vermeiden. Dr. rer. pol. Harald Clade