nerhalb von zwei Jahren nach Behand- lungsabschluss keine persönlichen Be- ziehungen erlaubt sind. „Manche war- ten diese zwei Jahre stichtagsmäßig ab und setzen das Verhältnis dann fort“, beklagt sie. Auch Tschan fordert ein le- benslanges Tabu, da die therapeutische Beziehung unter Umständen ein Leben lang anhalten könne.
„Zahnlose“ Berufsverbände
Das Verbändetreffen gegen sexuellen Missbrauch in der Psychotherapie hat auch bewirkt, dass die Berufsverbände das Thema ernster nehmen. Seit 1991 wurden Ethikrichtlinien verfasst, Ehren- gerichte und Schlichtungskommissionen eingerichtet. Die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psy- chosomatik und Tiefenpsychologie e.V.
(DGPT) zum Beispiel, die Ärzte und Psychologen vertritt, hat eine Schlich- tungs- und Ausschlusskommission mit vorsitzendem Richter und setzt Vertrau- ensleute ein, wenn Fälle unklar sind.
Meist wenden sich die Betroffenen selbst an den Verband, oder die Ausbildungsin- stitute informieren. Die Psychoanalyti- ker lassen sich die Aufklärung etwas ko- sten: 30 000 DM seien es beim letzten Fall gewesen, berichtet Holger Schildt, Ge- schäftsführer und Justiziar. 2001 und 2002 seien Mitglieder wegen sexueller Übergriffe aus der DGPT ausgeschlos- sen worden. „Der Ausschluss soll andere abschrecken“, hofft Schildt.
Dennoch kann ein Ausschluss nicht verhindern, dass der Therapeut weiter behandelt. „Die Berufsverbände sind im Grunde zahnlos“, betont der Präsident der niedersächsischen Psychotherapeu- tenkammer, Wittmann. Die Kammern dagegen können darauf hinwirken, dass den Tätern die Approbation von der je- weiligen Bezirksregierung – den Appro- bationsbehörden – entzogen wird. Bei
„hinreichendem Tatverdacht“ werde der Täter vor das Berufsgericht für die Heil- berufe, ansässig bei den Verwaltungsge- richten, gebracht, berichtet Dr. jur. Dirk Schulenburg, Justiziar bei der Ärztekam- mer Nordrhein. Etwa zwei bis drei Fälle bringe die Ärztekammer im Jahr wegen sexuellen Missbrauchs vor das Berufsge- richt. Die Fälle, die der Aufsicht führen- den Kammer bekannt wurden, würden
„hartnäckig verfolgt“, sagt Schulenburg, es müsse allerdings eine schriftliche Be- schwerde vorliegen, um den Verstoß ge- gen das Berufsrecht verfolgen zu kön- nen. „Viele Fälle bleiben wahrscheinlich im Verborgenen, da sie uns nicht gemel- det werden“, bedauert der Justiziar. Ein
„niedrigschwelligeres Angebot“ könne daher sinnvoll sein, denn: „Erfahrungs- gemäß ist an den Vorwürfen etwas dran.“
Für den des Missbrauchs angeklagten Universitätsprofessor Günter P. ist die Ärztekammer nicht zuständig. Die Be- rufsaufsicht für den Beamten liegt beim Wissenschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen. Den Ausgang der Strafsache – der Prozess läuft noch – muss die Staatsanwaltschaft dem Mini- sterium beziehungsweise der Approbati- onsbehörde mitteilen.
Im Gegensatz zu den Ärzten sind die Psychologischen Psychotherapeuten noch nicht in allen Bundesländern verkam- mert. In Niedersachsen ist der Aufbau der Kammerstrukturen am weitesten fortgeschritten, daher konnte dort be- reits eine Berufsordnung beschlossen
werden. Unter § 12 Absatz 4 ist der Tat- bestand „sexuelle Kontakte zu Patienten sind unzulässig“ verankert*. Bei einem berechtigten Verdacht ist vorgesehen, ein Berufsgericht unter Vorsitz eines Rich- ters einzuschalten. Die Berufsordnung sieht allerdings nicht vor, Psychothera- peuten zu verpflichten, verdächtige Kol- legen anzuzeigen. Dies sei zwar disku- tiert worden, berichtet Wittmann, doch
die Gefahr, einen möglichen Paragra- phen zur Denunziation missliebiger Kol- legen zu benutzen, erschien zu groß. Er ist der Meinung, dass es neben der mora- lischen Verpflichtung eine Möglichkeit zur anonymen Anzeige geben sollte. Der Kammerpräsident ist sich bewusst, dass
„bisher viel versäumt wurde, obwohl die Wiederholungsgefahr groß ist“. Er glaubt aber,dass durch die junge Genera- tion der 25- bis 30-Jährigen „etwas ins Rollen gekommen ist“. Denn vor allem Therapeuten mittleren Alters „tun sich mit dem Tabuthema noch schwer“.
Die im Aufbau begriffenen Psycho- therapeutenkammern haben die Chance, das Thema Übergriffe in der Psychothe- rapie tabulos anzugehen und somit mehr Öffentlichkeit zu schaffen. Dann würden sich auch mehr der oft hochgradig ver- ängstigten Betroffenen trauen, einen Missbrauch anzuzeigen. Anbieten würde sich auch eine Zusammenarbeit mit den Ärztekammern. Grundsätzlich fördert die Tabuisierung des Themas die Täter zusätzlich. Klare Leitlinien zum Umgang mit übergriffigen Kollegen können hel-
fen, die Scheu vor der Konfrontation zu verlieren.Der „Pakt des Schweigens“ un- ter Kollegen muss gebrochen werden.
Die Etablierung entsprechender Curri- cula in der Aus-, Weiter- und Fortbildung bei Ärzten und Psychologen sollte zügig ausgebaut werden. Schließlich müsste re- gelmäßige Supervision für langjährig Tätige verpflichtend sein. Petra Bühring T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1–26. Januar 2003 AA23
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Mit Patientinnen wird häufiger geflirtet
Vogt et al. befragten in einer empirischen Studie Psychologische Psychotherapeuten der Sektion klinische Psychologie des Berufsverbandes Deutscher Psychologen e.V. zu Körperkontakten und sexuellen Kontakten. Ergebnisse: Frauen werden sowohl von Therapeuten als auch von Thera- peutinnen häufiger berührt als Männer. Therapeutinnen geben an, ihre weiblichen Patienten häufiger an Schulter/Arm, Gesicht/Haaren, Knie/Bein zu berühren oder ihnen einen Wangenkuss zu geben als ihre männlichen Patienten. Sie gehen davon aus, dass Berührungen zwischen Frau- en keine Signale für Erotik oder Sexualität sind. Bei einem männlichen Gegenüber befürchten sie, dass die Berührungen als implizite sexuelle Angebote verstanden werden könnten.
Therapeuten berühren Patientinnen nicht signifikant häufiger als ihre Patienten. Sie befürch- ten im Gegensatz zu den Therapeutinnen jedoch nicht, dass die Berührungen von den Frauen missverstanden werden könnten. Sie gehen offenbar davon aus, vermutet Vogt, dass ihr Verhal- ten als „schützend, scherzhaft oder unschuldig-zärtlich“ angesehen wird. Therapeuten geben weiter an, häufiger mit ihren Patientinnen als mit Klienten zu flirten, sie mit den Augen auszu-
ziehen oder ihnen sexuelle Komplimente zu machen. pb
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das im Internet unter www.aerzteblatt.de/
lit0103 abrufbar ist.
*Die Berufsordung ist im Internet einzusehen unter www.psychotherapeutenkammer-nds.de.