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B R E N N P U N K T

20 Physik Journal 15 (2016) Nr. 4 © 2016 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

umschaltet, wenn der elektrische Strom parallel zur ursprünglichen Ausrichtung der Spins angelegt wird. Um die Magnetisierung wie- der zurück in die Ausgangsrichtung zu schalten, muss dagegen ein Strom senkrecht zur ursprüng- lichen Ausrichtung der Spins anlie- gen. Beide Effekt treten sowohl bei niedrigen Temperaturen von etwa 150 K wie auch bei Raumtempera- tur auf. Voraussetzung für das elek- trische Schalten bei Raumtempe- ratur ist die hohe Néel-Temperatur des Antiferromagneten CuMnAs.

Oberhalb dieser charakteristischen Temperatur verliert das antiferro- magnetische Material seine ma- gnetische Ordnung. Theoretische Berechnungen basierend auf dem Kubo-Formalismus bestätigen die experimentellen Beobachtungen.

Um die magnetischen Zustände

auszulesen, verwendeten die For- scher eine Widerstandsmessung, die aufgrund der relativistischen Spin-Bahn-Wechselwirkung von der Spinorientierung abhängt [4].

Die besondere Kristall- und Spinstruktur von CuMnAs in der Machbarkeitsstudie ist keine Ein- schränkung für die technische An- wendung anderer antiferromagne- tischer Materialien. Beispielsweise könnte sich Mn2Au, das ebenfalls eine hohe Néel-Temperatur besitzt, aufgrund seiner höheren Leitfähig- keit sogar besser für ein elektrisches Umschalten der Magnetisierung eignen als CuMnAs.

Antiferromagnetismus findet sich sowohl in Metallen als auch in Isolatoren oder Halbleitern. Die Robustheit und Schnelligkeit der Materialien sollte es erlauben, sie in bestehende Konzepte der Mikro-

elektronik zu integrieren. Gleich- zeitig steckt die Implementierung von Antiferromagneten als aktives Bauelement in der modernen Festkörperphysik und Spintronik noch in den Kinderschuhen. Die Möglichkeit, die Magnetisierung in Antiferromagneten elektrisch zu schalten, wird sicherlich weitere Arbeiten zum Antiferromagnetis- mus inspirieren und uns weitere spannende Entdeckungen in die- sem Gebiet in den kommenden Jahren bereiten.

Matthias Benjamin Jungfleisch [1] A. V. Kimel et al., Nature 429, 850

(2004)

[2] A. V. Kimel et al., Nature Physics 5, 727 (2009)

[3] P. Wadley et al., Science 351, 587 (2016) [4] I. Fina et al., Nature Comm. 5, 4671

(2014)

S

eit Robert Browns Arbeiten zu der nach ihm benannten Bewegung in den 1820er-Jahren verfolgten zahlreiche Studien das Ziel, den Ursprung der „Flicker- bewegung“ lebender Materie zu klären. Zu welchen Teilen ist sie aktiven, biologischen bzw. pas- siven, thermischen Ursprungs? In einer kürzlich erschienenen Arbeit nimmt ein interdisziplinäres For- scherteam um Timo Betz von der Universität Münster diese Frage für rote Blutkörperchen erneut ins Visier [1]. Mikro rheologische Me- thoden erlauben es, eine Verletzung des Fluktuations-Dissipations- Theorems (FDT) nachzuweisen.

Begleitende Modellrechnungen und Computersimulationen machen als Ursache dafür aktive Prozesse innerhalb des membranverstär- kenden Spektrin skeletts der Blut- zellen verantwortlich.

Dass die Welt auf mikrosko- pischer Skala von einer Vielzahl be- wegter Wesen („Animalcules“) be- völkert ist, hatte im 17. Jahrhundert bereits der niederländische Tuch- händler Antonie van Leeuwen hoek

Ein ganz besonderer Saft

Die Flickerbewegungen von roten Blutkörperchen werden teils durch aktive Prozesse verursacht.

mit den ersten Mikroskopen ent- deckt. Während Brown bei seinen Untersuchungen daher zunächst noch davon ausging, dass die be- obachtete Bewegung mit einer belebten Ursache zu erklären sei, ist es dank des durchschlagenden Er- folgs seiner Untersuchungen heute umgekehrt: Man fahndet nach Abweichungen von den Vorhersa- gen der Theorie der Brownschen Bewegung, welche die Stärke der passiven, thermischen Fluktuatio- nen abhängig von den Material- eigenschaften und der Temperatur vorhersagt. Die Suche gilt jedoch letztlich heute genauso wie damals dem Anteil der „Lebenskraft“ an der „lebendigen Kraft“, heute besser bekannt als kinetische Energie.

Die von Timo Betz untersuchten Blutkörperchen (Erythrozyten) haben eine wichtige physiologische Bedeutung als flexible Transportbe- hälter von Hämoglobin. Um davon möglichst viel verstauen zu können, verlieren sie ihren Zellkern. Dies vermindert ihre biologische Rege- nerations- und Adaptionsfähigkeit, sodass sie im lebenden Organismus

mit jedem Atemzug millionenfach neu erzeugt werden. Sie sind also einfach erhältlich sowie gut repro- duzierbar und charakterisierbar.

Die Flickerbewegung der Erythro- zytenmembran ist jedoch speziell:

Zellmembranen sind üblicherweise durch ein innen anhaftendes Poly- merskelett mechanisch verstärkt (Abb. 1) und widersetzen sich der Verformung daher durch Krüm- mungssteifigkeit und laterale Span- nung. Wie bei einer Gitarrensaite macht normalerweise die Spannung die Musik – nicht aber bei den Ery- throzyten. Die Analyse ihrer Mem- branfluktuationen im Rahmen der Brownschen Molekularbewegung führte bereits 1975 zu der Hypothe- se, dass aktive Lebens prozesse die Membranspannung im Vergleich zur Biegesteifigkeit klein halten.

Das erklärt auch, warum die Frage nach dem Ursprung der Membran- fluktuationen nicht ohne Weiteres durch einen direkten Vergleich lebender und toter Blutkörperchen zu entscheiden ist: Deren „passive“

Materialeigenschaften unterschei- den sich erheblich und damit

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© 2016 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Physik Journal 15 (2016) Nr. 4 21 natürlich auch ihre thermischen

Fluktuationen.

Als alternativer Indikator diente daher die nicht-Gaußsche Statis- tik der Membranfluktuationen, die auf eine Überlagerung von ther- mischen und nicht-thermischen Fluktuationen hindeuten kann.

Für den nicht-thermischen (nicht- Gaußschen) Anteil ließ sich eine Abhängigkeit vom universellen bio- logischen Treibstoff ATP nachwei- sen [2, 3]. Allerdings treten nicht- Gaußsche Fluktuationen in weicher Materie häufiger auf und setzen nicht zwingend aktive Prozesse voraus [4]. Ein anderer populärer Zugang sucht daher im Verhältnis von Materialantwort zu spontanen Fluktuationen nach Verletzungen des FDT, so z. B. für Haarbündel aus dem Froschohr [5], in rekonsti- tuierten Tierzytoskelett-Modellen [6] oder in Zellen [7].

Das FDT ist ein fundamentales Resultat der Statistischen Mechanik des Gleichgewichts und verallge- meinert den 1905 von Albert Ein- stein gefundenen Zusammenhang der spontanen raumzeitlichen Fluk- tuationen ∆x(t) der Ortskoordinate eines Brownschen Kügelchens mit

dessen Responsekoeffizienten (in dem Fall die Stokes-Reibung ζ)

d 〈∆x2

______ dt = _____ 2kζ BT . (1) Für den Fall eines Kügelchens, das an eine Zellmembran gebunden ist (Abb. 1a, b), ist ζ durch die dissipative Komponente der Responsefunkti- on zu ersetzen. Letztere lässt sich entweder indirekt („passiv“) mit- tels Gl. (1) aus den Fluktuationen bestimmen oder direkt („aktiv“), indem man mit einer optischen Pinzette an dem Kügelchen zieht.

In der Tat gelang es dem Team um Timo Betz, durch den Vergleich beider Methoden zu zeigen, dass das Membranflickern von ATP- verarmten, inaktiven Blutzellen dem FDT gehorcht, das Flickern von ATP-reichen, aktiven Zellen das Theorem aber bei niedrigen Frequenzen verletzt (Abb. 1d). Die Autoren charakterisieren den Effekt der dafür verantwortlichen lang- samen Prozesse phäno menologisch mit Hilfe einer frequenzabhängigen metabolischen Energie.

In anderen Bereichen der Physik und in den Ingenieurwissenschaf- ten gebräuchlicher ist der Begriff

des Rauschtemperatur spektrums, das die Temperatur T in Gl. (1) ver- allgemeinert. Für hinreichend ein- fache physikalische Modellsysteme des Nichtgleichgewichts, z. B. für die experimentell und theoretisch gut kontrollierte heiße Brownsche Bewegung, lässt sich dieses Tempe- raturspektrum streng analytisch be- rechnen [8]. Für die vergleichsweise komplexen Blutzellen und ange- sichts der nicht-Gaußschen Anteile der Fluktuationen sind indes eher schematische, phänomenologische Modellierungen erforderlich. Mit einem elastischen Modell für die Fluktuationen der Zellmembran und ihres Spektrinskeletts (Abb. 1c), das auch die Zellgeometrie berück- sichtigt, identifizieren Betz und Kollegen gute Kandidaten für die aktiven Prozesse im Spektrinnetz- werk, welche die FDT-Verletzung verursachen.

Das Modell sagt eine Kopp- lung der FDT-Verletzung an eine nicht verschwindende mittlere Membran krümmung voraus sowie eine negative Membranspannung.

Das entspricht einer Kompression der Membran durch das Spektrin- netzwerk. Ein detaillierteres Simulationsmodell, das sich als in-silico-Labor für viele weitere Untersuchungen anbietet, komple- mentiert die analytische Rechnung.

Dies nährt die Hoffnung, dass wir 200 Jahre nach Robert Brown auf Charles Darwins Frage, was denn das Gewackel unterm Mikroskop zu bedeuten habe, mehr zu antwor- ten haben werden als „this is my little secret“.

Klaus Kroy [1] H. Turlier et al., Nature Physics, DOI:

10.1038/NPHYS3621 (2015) [2] Y. Park et al., PNAS USA 107, 1289

(2010)

[3] C. Monzel et al., Nature Commun. 6, 8162 (2015)

[4] B. Wang et al., Nature Materials 11, 481 (2012)

[5] P. Martin, A. J. Hudspeth und F. Jülicher, PNAS USA 98, 14380 (2001)

[6] D. Mizuno et al., Science 315, 370 (2007) [7] D. Mizuno et al., Phys. Rev. Lett. 102,

168102 (2009)

[8] G. Falasco et al., Phys. Rev. E 90, 032131 (2014)

Prof. Dr. Klaus Kroy, Institut für Theore- tische Physik, Uni- versität Leipzig, Postfach 100920, 04009 Leipzig

Abb. 1 Eine einzelne Zelle wird mit Poly- styrolkügelchen dekoriert (a), von de- nen drei mit optischen Fallen festgehal- ten werden (b). Das vierte wird passiv beobachtet oder aktiv ausgelenkt, um die Stärke der spontanen Fluktuationen bzw. der elastischen Antwort der Zell- membran zu messen. Im thermischen Gleichgewicht besteht zwischen beiden Größen ein universeller Zusammen-

hang, den das Fluktuations-Dissipations- Theorem mathematisch präzise be- schreibt. Langsame aktive Prozesse im Spektrinnetzwerk der Membran (c) bre- chen dieses Gesetz (d) und verursachen die Abweichungen zwischen den roten (Fluktuation) und schwarzen Symbolen (elastische Antwort). Diese verschwin- den ohne ATP (gestrichelte Linien).

a b

c d

optische Falle

Lokale Mechanik

μ κ η F0 ka ki

Lokale Aktivität

Frequenz in Hz

Elastische Antwort/ Fluktuationen in m N–1

106

105

104

10–1 100 101 102 103

Daten Simulation

nach [1]

Referenzen

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