as Berufbild des Arztes und speziell das des Gynäkolo- gen hat sich in den letzten 25 Jahren stark gewandelt. Der frühere Frauenarzt und Geburtshel- fer ist „mutiert zum Helfer bei der Schwangerschaftsverhütung, verein- zelt auch zum ,Schwangerschaftsab- brecher‘ bei unerwünschter Schwan- gerschaft“, sagte der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr.
med. Jörg-Dietrich Hoppe. Teilwei- se sei er auch zum ärztlichen Akteur bei assistierter Befruchtung außer- halb und innerhalb des Mutterlei- bes, im Zweifel dabei zum Prä- implantationsdiagnostiker oder zum Pränataldiagnostiker beim Feten, unter Umständen sogar zum Töter des Fetus geworden. Mit dieser ver- änderten Rolle des Arztes in der Fortpflanzungsmedizin und den da- mit zusammenhängenden rechtli- chen Problemen beschäftigten sich in Köln unter anderem Humangene- tiker, Gynäkologen und Juristen.
Hoppe skizzierte zunächst die Konsequenzen der veränderten Rol- le der Ärzte. Aus dem Denken, daß jedes Paar mit Kinderwunsch auch einen Anspruch auf Erfüllung die- ses Kinderwunsches habe, entstünde schließlich eine Konsumentengesell- schaft in dem Sinne, daß die Gesell- schaft nur noch normgetreue Kinder akzeptiere. Dabei würde man viel- leicht sogar eines Tages auch die Schwangerschaft auf Probe als indi- ziert ansehen. Zur Pflichtaufgabe für Ärztinnen und Ärzte würde es dann gehören, fehlerhafte und überzählige Embryonen beziehungsweise Feten zu beseitigen, befürchtet der Vize- präsident der Bundesärztekammer.
Daß der Fetus rechtlich und ethisch bereits jetzt völlig unge- schützt ist, darauf machte der Prä- sident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Prof. Dr. med. Dietrich Berg, auf- merksam. Die einzigen Ausnahmen seien das Embryonenschutzgesetz und die Abtreibungsregelung. Aber auch darin gebe es Schwachstellen.
Der Gynäkologe wies darauf hin, daß seit 1995 die embryopathische Indikation weggefallen sei und die medizinische Indikation insofern er- weitert wurde, als die Mutter ohne zeitliche Befristung und ohne Bera- tung abtreiben kann, wenn die Ge- fahr einer schweren psychischen Be- einträchtigung besteht.
Häufig gelte die Tatsache einer festgestellten kindlichen Erkran- kung oder Behinderung bereits als Rechtfertigung für einen Schwanger- schaftsabbruch. „Gelten dann bald rote Haare als unzumutbar? Darf ein Kind mit Klumpfuß nicht mehr le- ben? Ist ein späteres Herzinfarktrisi- ko unzumutbar“, fragte Berg.
Gesetzliche Änderung gefordert
Berg sprach sich dafür aus, daß Abtreibungen aufgrund von Präna- taldiagnostik nach der 22. Schwan- gerschaftswoche grundsätzlich nicht mehr möglich sein sollen, da nach Schätzungen in Deutschland pro Jahr etwa hundert Feten einen solchen Eingriff überlebten. Nur durch einen intrauterinen Fetozid könne verhin- dert werden, daß Ungeborene die Abtreibung überleben. Die Anwen-
dung dieser Methode sei jedoch für die Ärzte deshalb problematisch, weil „zur Herbeiführung des Be- handlungserfolges faktisch eine Tö- tungshandlung verlangt wird, die von der Rechtsordnung zwar als Schwan- gerschaftsabbruch eingeordnet wird, aber dies nur deshalb, weil sich das Kind noch im Mutterleib befindet“, sagte Rechtsanwältin Ulrike Wollers- heim von der Rechtsabteilung der Bundesärztekammer. „Wenn man das Kind nach der Geburt erschlägt, wäre es Mord. Im Grunde reden wir bereits über Euthanasie,“ brachte Berg seine Analyse auf den Punkt.
Der Heidelberger Humangene- tiker Prof. Dr. med. Claus R. Bart- ram, stellvertretender Vorsitzen- der der Kommission „Somatische Gentherapie“ der Bundesärzte- kammer, appellierte vor allem an das Verantwortungsbewußtsein der Ärzte: „Der Arzt muß in jedem ein- zelnen Fall eine Entscheidung tref- fen.“ Und das gelte generell für die prädiktive Medizin. Bei Gentests, in denen die Disposition zu bestimm- ten Krebsarten festgestellt wird, ist nach Auffassung Bartrams eine Be- ratung durch den zuständigen Arzt und einen Humangenetiker erfor- derlich. Außerdem müsse der Dia- gnostik eine angemessene Nachsor- ge folgen. „Auch bei der prädikti- ven Medizin steht die Persönlich- keit im Vordergrund,“ betonte der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. med. Karsten Vilmar. Eine Richtlinie zur Diagnostik der ge- netischen Disposition zu Krebser- krankungen wird zur Zeit vom Vor- stand der Bundesärztekammer be- raten. Gisela Klinkhammer A-785
P O L I T I K LEITARTIKEL
Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 14, 3. April 1998 (17)