icht selten fangen mit der Ver- abschiedung eines Gesetzes die eigentlichen Schwierigkei- ten erst an. War bei den Beratungen des Ende 1997 verabschiedeten Trans- plantationsgesetzes und auch in der Folge die Frage der Feststellung des Todeszeitpunkts ausgiebig erörtert worden, so schenkte man dem Pro- blem der gerechten Verteilung der Transplantate zunächst weniger Be- achtung. In Paragraph 16 des Trans- plantationsgesetzes wurde die Bun- desärztekammer beauftragt, dafür nach „Stand der Erkenntnisse der me- dizinischen Wissenschaft“ Richtlinien zu entwickeln. Eine inhaltliche Präzi- sierung erfolgte diesbezüglich in dem Gesetz nur in der Form, daß die le- bensspendenden Organe insbesonde- re nach Erfolgsaussicht und Dring- lichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln seien.
Angesichts eines immer größeren Mißverhältnisses zwischen bestehen- den Wartelisten und durchgeführten Organtransplantationen und ange- sichts der nicht geringen Todesrate bei wartenden Patienten blieb eines der zentralen ethischen Probleme – so der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Karsten Vilmar, auf ei- nem Presseseminar zum Thema „Ethi- sche Grenzfragen in der Medizin“ – mit Verabschiedung des Gesetzes vor- erst ungeklärt. Hier ist es Aufgabe der Ständigen Kommission Organtrans- plantation der Bundesärztekammer, die im Gesetz vorgesehenen Richtlini- en über die Verteilung der für Trans- plantationen zur Verfügung stehenden Organe zu erarbeiten. Der Vorsitzen- de der Kommission, Prof. Dr. jur.
Hans-Ludwig Schreiber, berichtete über einige Kernpunkte des derzeit
noch zur Diskussion stehenden Ent- wurfs, der im Sommer 1999 abschlie- ßend beraten werden soll.
Notwendiger Konsens
Wenn man es durchaus als Erfolg ärztlicher Berufspolitik verbuchen kann, daß die Bundesärztekammer per Gesetz zur Regelung einer sol- chen Angelegenheit bestimmt wurde, so ist sich Schreiber auch bewußt, daß nicht ausschließlich medizinisch-wis- senschaftlicher Sachverstand die Fra- ge lösen kann, welcher Patient vorran- gig mit einem Spenderorgan bedacht wird. Deutlich wurde das Bemühen, bei der weiteren Behandlung der Angelegenheit ein bestimmtes Maß an (fach)öffentlicher Transparenz zu schaffen und soweit als möglich einen allgemeinen gesellschaftlichen Kon- sens herbeizuführen.
Für die Entscheidung über den Platz auf der Warteliste für eine Or- gantransplantation wird künftig ein Punktsystem verwendet, mit dem verschiedene Faktoren unterschied- lich stark gewertet werden. Nach dem primären Ausschlußfaktor Blutgrup- pen-Kompatibilität soll die Gewebe- verträglichkeit am stärksten ins Ge- wicht fallen. Auch die Dauer der War- tezeit auf ein Spenderorgan soll die Punktwertung wesentlich bestimmen, wobei allerdings die höchstmögliche Punktzahl nach sechs Jahren Warte- zeit erreicht wird. Angesichts kurzer Ischämiezeiten wird auch die Distanz zwischen Entnahme- und Transplan- tationsort Berücksichtigung finden. In Ausnahmefällen – etwa bei Kindern oder bei Doppeltransplantationen – sind Punktezuschläge vorgesehen.
Das gleiche gilt für Patienten in un- mittelbarer Lebensgefahr, wobei et- waiger Mißbrauch von vornherein durch geeignete Kontrollinstanzen ausgeschaltet werden soll. Ziel sei es, ein möglichst gerechtes System zu etablieren, bei dem medizinische Kri- terien bestimmend sind.
Als eine noch unbestimmbare Va- riable bei der Erörterung des Themas erweisen sich die schon heute möglich scheinenden Erfolge medizinischer Forschung. Niemand kann konkret voraussagen, was zukünftig in Form von künstlichen, gezüchteten oder Xe- no-Transplantaten möglich sein wird.
Daß aufgrund neuester Forschungser- gebnisse die Züchtung bestimmter menschlicher Gewebestrukturen oder auch Organe aus nicht ausdifferenzier- ten, totipotenten embryonalen Stamm- zellen keine Phantasie mehr ist, son- dern eine realistische Perspektive dar- stellt, darauf verwies Prof. Dr. med. Dr.
rer. nat. Henning M. Beier, Direktor des Instituts für Anatomie und Repro- duktionsbiologie an der TH Aachen.
Über das inzwischen handhabbare Klonieren sei es nun vermutlich mög- lich, den Zellkern des potentiellen Organempfängers in die leere Hülle ei- ner nicht ausdifferenzierten Stammzel- le zu übertragen. Denkbar erscheint somit die Züchtung von Organen, de- ren genetische Informationen mit de- nen des Empfängers übereinstimmen.
Verantwortbare Forschung
Allerdings seien in Deutschland die Forschungsmöglichkeiten durch das Embryonenschutzgesetz, das die fremdnützige Verwendung von Em- bryonen verbietet, sehr stark einge- schränkt. Angesichts der nunmehr denkbaren therapeutischen Möglich- keiten wünscht sich Beier eine neue öffentliche Diskussion darüber, was in der medizinischen Forschung ethisch künftig verantwortbar sein soll. Ihm gehe es darum, daß alle Ar- gumente öffentlich transparent ge- macht werden. Nur auf der Grundla- ge eines breiten öffentlichen Konsen- ses erscheine es ihm vertretbar, den Gesetzgeber zum Abbau bestehen- der gesetzlicher Beschränkungen in der Embryonenforschung aufzufor- dern. Dr. Thomas Gerst A-827
P O L I T I K AKTUELL
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 13, 2. April 1999 (23)