• Keine Ergebnisse gefunden

Landgericht Koblenz Karmeliterstraße Koblenz

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Landgericht Koblenz Karmeliterstraße Koblenz"

Copied!
21
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

In Sachen

Radermacher ./. Volkswagen AG Aktenzeichen: 15 O 155/20

wird unter Bezugnahme auf den Vortrag der Beklagten, der Manipulationsvorwurf sei nicht hinreichend substantiiert vorgetragen auf die Klageerwiderung wie folgt repliziert und einleitend neben dem aktuellen Urteil des LG München I vom 31.03.2020 (Az. 3 O 13321/19) und des LG Regensburg vom 19.03.2020 (Az. 73 O 1181/19) gegen die hiesige Beklagte hinsichtlich des streitgegenständlichen Motorentyps EA 288 insbesondere auf den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 28.01.2020, Az.

VIII ZR 57/19 hingewiesen.

Der BGH stellt in seinem Beschluss klar, dass der Vortrag, es existiere eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem Fahrzeug, nicht bloß als Vortrag „ins Blaue hinein“ beurteilt werden darf.

Das Gericht hat daher einen Beweis über die Frage des Vorhandenseins einer (unzulässigen) Abschalteinrichtung zu erheben. Der BGH führt wie folgt aus:

„Hiermit hat das Berufungsgericht - wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt - die Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Klägers rechtsfehlerhaft überspannt und infolgedessen verfahrensfehlerhaft den vom Kläger für die von ihm behauptete Programmierung der Motorsteuerung seines Fahrzeugs und für die von ihm weiter geltend gemachte temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung angetretenen Sachverständigenbeweis nicht erhoben.

(…)

AHP RA-Gesellschaft mbH, Im Steinigen Graben 28a, 63571 Gelnhausen

Landgericht Koblenz Karmeliterstraße 14 56068 Koblenz

Datum: 25.09.2020

Unser Zeichen: 20/1101/Pa (bitte stets angeben) Ihr Zeichen:

Im Steinigen Graben 28a 63571 Gelnhausen-Hailer Telefon: + 49 6051 / 538 77 97 Telefax: + 49 6051 / 533 13 28 Mobil: + 49 176 / 476 46 413 sekretariat-paul@ahp-kanzlei.de Deutsche Kreditbank Berlin IBAN: DE19120300001064573239 BIC: BYLADEM1001

Eingetragen im Handelsregister B des Amtsgerichts Hanau zu HRB 97163 Steuernummer: 19 855 31539 Vertreten durch den Geschäftsführer:

Andreas H. Paul, LL.M.

Rechtsanwalt | Wirtschaftsjurist (LL.B.)

(2)

Das Berufungsgericht hat jedoch die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen missachtet, indem es den Sachvortrag des Klägers als unzureichende Behauptungen "ins Blaue hinein" und die hierzu angebotenen Beweise als unzulässige "Ausforschungsbeweise" bewertet hat.

Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind.

Weiter ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält.

Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich - wie hier der Kläger - nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann.

(…)

Diese strengen Voraussetzungen für eine Behauptung "ins Blaue hinein" liegen im Streitfall nicht vor. Das Berufungsgericht hat unter Überspannung der Substantiierungsanforderungen die Darlegung von Einzelheiten verlangt, die für die rechtliche Schlüssigkeit des Klägervorbringens nicht erforderlich sind, sondern von ihm allein unter dem Gesichtspunkt der Nachvollziehbarkeit der klägerischen Behauptungen verlangt worden sind. Dabei hat es verkannt, dass der Kläger, der mangels eigener Sachkunde und hinreichenden Einblicks in die Konzeption und Funktionsweise des in seinem Fahrzeug eingebauten Motors einschließlich des Systems zur Verringerung des Stickoxidausstoßes keine genauen Kenntnisse von dem Vorhandensein und der konkreten Wirkung einer Abschalteinrichtung haben kann, ausreichend greifbare Anhalts-punkte vorgebracht hat, auf die er letztlich seinen Vorwurf stützt, sein Fahrzeug sei in zweifacher Hinsicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ausgestattet.“

So liegt der Fall auch hier. Zudem wird darauf hingewiesen, dass die EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston in ihrem Gutachten und Schlussvortrag in der Sache C-693/18 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass Thermofenster unzulässige Abschalteinrichtungen darstellen. Thermofenster könnten nur ausnahmsweise zulässig sein, wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“. Das Ziel, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verzögern, rechtfertige ihrer Ansicht nach nicht den Einsatz einer Abschalteinrichtung. Ausnahmen seien zudem sehr eng auszulegen.

Für eine „Ausnahme“ trägt derjenige die Beweislast, der sich auf die Ausnahme berufen will – hier die

(3)

Beklagte.

Hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen des Anspruchs aus § 826 BGB wird auf das aktuelle Urteil des BGH vom 30. Juli 2020 - VI ZR 367/19 hingewiesen:

„Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht vom Kläger näheren Vortrag dazu verlangt, welche konkrete bei der Beklagten tätige Person für den Einsatz der illegalen Abschalteinrichtung verantwortlich ist. Die Entscheidung über den Einsatz der Abschalteinrichtung betrifft die grundlegende strategische Frage, mit Hilfe welcher technischen Lösung die Beklagte die Einhaltung der - im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren - Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm sicherstellen wollte. Vor diesem Hintergrund genügte die Behauptung des Klägers, die Entscheidung sei auf Vorstandsebene oder jedenfalls durch einen verfassungsmäßig berufenen Vertreter getroffen oder zumindest gebilligt worden.“

Im Übrigen:

Die Beklagte räumt das Vorhandenseins eines Thermofensters nun ausdrücklich ein. Es steht somit fest, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Abschalteinrichtung verbaut ist.

Die Abschalteinrichtung der Beklagten wird bereits ab Temperaturen von weniger als + 15° C und mehr als + 30° C aktiv; mit anderen Worten: Die Abgasreinigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs erfolgt nur im Temperaturbereich von + 16° C bis + 31° C.

Beweis: Sachverständigengutachten Vernehmung des Vorstands

Vor dem Hintergrund, dass im Prüflabor (NEFZ) gemäß der Durchführungsverordnung zur EU-Richtlinie 2017/1152 (Ziffer 2.3.3) eine Soll-Umgebungstemperatur von + 25° C herrschen soll, deren Abweichung nicht mehr als +/- 5° C Betragen darf (= + 20° C bis + 30° C), arbeitet die Abgasreinigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs faktisch nur im Prüflabor, nicht hingegen im realen Fahrbetrieb; will heißen: Bei dem Thermofenster handelt es sich um eine Prüfstanderkennungs-Software.

Beweis, sofern nicht gerichtsbekannt: Sachverständigengutachten

Die Klagepartei behauptet daher, dass die Beklagte mit dem – unstreitig vorhandenen – Thermofenster vorsätzlich und sittenwidrig eine Prüfstanderkennungs-Software in das streitgegenständliche Fahrzeug implementiert hat, womit die Beklagte die Klagepartei geschädigt hat.

Beweis, sofern nicht gerichtsbekannt: Sachverständigengutachten Der Leiter der Entwicklungsabteilung der Beklagten hatte hiervon Kenntnis.

Die Abschalteinrichtung versucht die Beklagte jedoch zu rechtfertigen, in dem sie sich auf eine Ausnahmeregelung der EU-Verordnung zum Zwecke des Bauteilschutzes beruft.

Es erfolgt in diesem Zusammenhang der ausdrückliche Hinweis, dass die Beklagte für das Vorliegen einer Ausnahme im Sinne der EU-Verordnung darlegungs- und beweisbelastet ist.

(4)

Völlig unsubstantiiert behauptet die Beklagte, das Thermofenster wird erst ab Temperaturen von weniger als – 24 Grad und mehr als + 70 Grad aktiv.

Dieser Vortrag muss genauso pauschal bestritten werden!

Wohingegen die Klagepartei als außenstehende Verbraucherin nicht in der Lage ist, näher zu der Wirkungsweise und den Parametern bzw. der Bedatung des Thermofensters vorzutragen, wäre es für die Beklagte ein Leichtes, den Vortrag zur Bedatung durch Vorlage interner Dokumente oder Gutachten zu belegen. Solange die Beklagte ihren Vortrag daher nicht substantiiert vorgetragen hat, bedarf es auch keines Sachverständigengutachtens – der Vortrag ist bislang schlichtweg unbeachtlich.

Ferner wird der Vorwurf der Manipulation auch abseits des Thermofensters erhoben:

In dem streitgegenständlichen Fahrzeug, in dem ein Motor des Typs EA 288 verbaut ist, befindet sich eine Software-Steuerung, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet. Auf dem Prüfstand wird ausreichend AdBlue eingespritzt – im normalen Fahrbetrieb wird hingegen weniger AdBlue verwendet.

Dieser Vorwurf wird auf die Untersuchungen des Abgasexperten Axel Friedrich, der seinerzeit den VW- Betrug mit aufgedeckt hatte, gestützt. Die Tagesschau berichtet wie folgt:

„Der Abgasexperte Axel Friedrich, der den ersten Diesel-Skandal mit aufgedeckt hatte und Experte im Diesel-Untersuchungsausschuss des Bundestages war, kommt nach Durchsicht der VW-Unterlagen zum Ergebnis, dass auch beim Motor EA 288 eine Abschalteinrichtung vorliegt.

"Das Fahrzeug erkennt, ob es auf einem Prüfstand steht - nur dann wird ausreichend AdBlue eingespritzt. Dagegen wird im normalen Fahrbetrieb auf der Straße viel weniger AdBlue verwendet."

Tatsächlich findet sich in den VW-Dokumenten auch eine "Beschreibung der SCR- Dosierstrategie im Zyklus und außerhalb des Zyklus." SCR steht für Katalysatoren, bei denen Harnstoff (AdBlue) zur Abgasreinigung eingespritzt wird.“ (Quelle: abrufbar unter:

https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/vw-abgasskandal-157.html)

Im Übrigen zur Klageerwiderung:

1.

Mittlerweile hat sich

das LG Heilbronn (Urteil v. 01.04.2019, AZ. Kn 8 O 120/18, beig. als Anlagenkonvolut K5), das LG Mönchengladbach (Urteil v. 27.06.2019, Az. 1 O 148/18, beig. als Anlagenkonvolut K5), das LG Koblenz (Urteil v. 10.07.2019, Az. 12 O 119/18)

das LG Frankfurt am Main (Urteil v. 18.07.2019, Az. 2-10 O 93/19, beig. als Anlagenkonvolut K5), das LG Düsseldorf (Urteil v. 31.07.2019, Az. 7 O 166/18 – Anlagenkonvolut K5) sowie

das LG Offenburg (Urteil v. 30.09.2019, Az. 3 O 474/18)

(5)

der Rechtsauffassung der 7. und 23. Kammer des LG Stuttgart zum „Daimler-Thermofenster“

angeschlossen. Auch die 12., 29. und 46. Kammer des LG Stuttgart halten das von vielen Herstellern installierte „Thermofenster“ derzeit für unzulässig (Urteil vom 16.08.2019, Az. 12 O 108/19 – Anlagenkonvolut K5, sowie Urteil aus August 2019, Az. 46 O 101/19, und Urteil vom 08.11.2019, Az.

12 O 236/19 und Urteil aus Oktober 2019, Az. 29 O 181/19).

Die 7. Kammer des LG Stuttgart hält auch noch jüngst an seiner Rechtsauffassung fest, vgl. dazu das Urteil vom 10.09.2019, Az. 7 O 80/19.

In einer Verfügung vom 24.06.2019, Az. 54 O 240/19, äußerte sich nunmehr auch das Landgericht Ingolstadt in einem Verfahren gegen die Beklagte selbst grundlegend zu dem sogenannten

„Thermofenster“. Hierzu sei zunächst darauf hingewiesen, dass die VW AG in diesem Verfahren Folgendes vortragen ließ:

„In dem Fahrzeug wird zur Reduktion des Stickoxidausstoßes die sog. Abgasrückführung eingesetzt. [...] Daher wird die Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen zurückgefahren, eine signifikante Reduktion erfolgt jedoch erst bei einer Temperatur von 5 Grad Celsius und weniger.“

Diese Argumentation verkehre nach Ansicht des Gerichts im Ergebnis das Regel-Ausnahme-Verhältnis ins Gegenteil und führe anders als vom Gesetzgeber beabsichtigt, nicht bloß zu einer punktuellen Durchbrechung des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen.

Das sog. Thermofenster im Niedertemperaturbereich falle nach Auffassung des LG Ingolstadt unter keinen der im Gesetz genannten Ausnahmetatbestände. Weder geht es vorliegend um eine Einrichtung, die lediglich beim Motorstart Verwendung findet noch greift die Abschalteinrichtung ein, weil dies gerade durch das Prüfverfahren zur Emissionsmessung vorgegeben wird. Sofern der Abschluss der Untersuchungskommission des Bundesverkehrsministerium abschließend feststelle, dass die Verwendung einer Abschalteinrichtung "stets" gerechtfertigt sein kann, wenn dies - unabhängig von dem konkret drohenden Schaden - nachvollziehbar mit Aspekten des Motorschutzes begründet wird, verkennt dies die von Gesetzes wegen gezogene zeitliche Grenze. Die Ausnahmetatbestände würden zwar keine in Zeiteinheiten ausgedrückten Regelungen enthalten, allerdings sei erkennbar, dass die Vorschrift für den zulässigen Einsatz einer Abschalteinrichtung mit der Anlassphase des Motors und dem Prüfzyklus zwei eng abgrenzte Zeitfenster benennt. Eine Auslegung dahingehend, dass der Aspekt des Motor- und Bauteilschutzes ohne zeitliche Begrenzung zur Durchbrechung des Verbotes ausreichen kann, ließe sich nicht widerspruchsfrei begründen (vgl. Landgericht Ingolstadt, Verfügung vom 24.06.2019, Az. 54 O 240/19 – Beweis: Beiziehung der Akten).

Zu Recht geht nun auch das OLG Karlsruhe von der Unzulässigkeit solcher Thermofenster aus, die auch im streitgegenständlichen Fahrzeug existieren: In zwei mündlichen Verhandlungen am 02. Juli 2019 äußerte der Senat sich dahingehend, die Verwendung des Thermofensters in relevanten Modellen als illegale Abschaltvorrichtung einstufen zu wollen (Az. 17 U 257/18 und 17 U 294/18).

Das OLG Karlsruhe führt in seinem Beschluss vom 22.08.2019 (AZ. 17 U 257/18) wie folgt aus:

„aa) Vor dem Hintergrund der vom Kläger vorgetragenen Diskrepanz der Messwerte auf dem Prüfstand und im Realbetrieb (s.o.) geht der – zur Beantwortung dieser Rechtsfrage allein

(6)

berufene – Senat davon aus, dass es sich auch bei dem Thermofenster um eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelt, die nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 strikt unzulässig ist, sofern nicht die ausdrücklich normierten Ausnahmetatbestände des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 greifen (vgl. BGH, Beschluss vom 8.

Januar 2019 – VIII ZR 225/17 –, Rn. 11, juris).

bb) Da sich die Beklagte hinsichtlich des unstreitig implementierten sog. Thermofensters als eine

„temperaturabhängige Regelung der Abgasrückführung“ (II 206) auf eine dem Motorschutz und dem sicheren Betrieb dienende Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vom generellen Verbot von Abschalteinrichtungen nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 beruft, möge sie ihrer diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast nachkommen und zur genauen technischen Ausgestaltung im streitgegenständlichen Motor näher vortragen, zumal der Bericht der Untersuchungskommission V. (dort S. 72, 119) Zweifel an der Zulässigkeit der Abschalteinrichtungen aus Motorschutzgründen äußert und die Beklagte zu Recht darauf hinweist, dass sich nicht (nur) die Frage stellt, „ob es ein Thermofenster gibt, sondern wie weit es jeweils appliziert ist“ (II 218).“

Das OLG Karlsruhe weiter:

„cc) Je nach konkreter objektiver Ausgestaltung dieses Thermofensters (wann genau kommt es zu einer Drosselung oder Abschaltung der Abgasrückführung in welchem Umfang? wie groß ist der Temperaturbereich? wo wird die ausschlaggebende Temperatur genau gemessen? etc.) können sich gegebenenfalls Rückschlüsse auf den subjektiven Tatbestand des § 826 BGB ergeben.“

Infolge dessen verwunderte auch die Entscheidung des LG Duisburg vom 30.10.2018 (Az. 1 O 231/18) nicht, wonach die Beklagte wegen eines „Thermofensters“ beim Motorentyp EA 288 – wie vorliegend – zum Vorteil des Verbrauchers verurteilt wurde.

Es bleibt somit festzuhalten, dass derzeit (mindestens) die folgenden Gerichte das von der Beklagten verbaute „Thermofenster“ als unzulässig einstufen und einen Anspruch gemäß § 826 BGB zusprechen:

- OLG Karlsruhe

- LG Stuttgart (7., 12. und 23. und 46. Kammer) - LG Heilbronn

- LG Koblenz

- LG Frankfurt am Main - LG Mönchengladbach - LG Koblenz

- LG Düsseldorf - LG Ingolstadt - LG Offenburg - LG Duisburg

Ferner gehen diverse Kammern des LG Stuttgart derzeit von einer (sekundären) Beweislast der Beklagten im Hinblick auf die Manipulation und Kenntnis des Vorstandes aus. Es gilt in diesem

(7)

Zusammenhang nochmals hervorzuheben, dass die Klagepartei keinen Einblick in die Interna und in die von der Beklagten verbaute Technik hat. Ein über den Klagevortrag hinausgehender Sachvortrag ist der Klagepartei schlichtweg unmöglich und unzumutbar; selbst unter Zuhilfenahme eines privaten Sachverständigen wäre es der Klagepartei nicht möglich, ergänzenden Sachvortrag zu erbringen.

Gemessen daran ist die Klageerwiderung der Beklagten nicht dazu geeignet, dem klägerischen Sachvortrag entgegenzutreten.

Auf die hierzu ergangenen Hinweise des LG Stuttgart vom 16.07.2019, Az. 12 O 229/19 und Az. 12 O 236/19, den Hinweis vom 10.07.2019, Az. 23 O 109/19, sowie den Hinweis vom 21.08.2019, Az. 2 O 113/19, jeweils mit Verweis auf den Hinweis des OLG Stuttgart vom 08.05.2019, Az. 3 U 101/18 wird verwiesen – s. hierzu auch die Anlagenkonvolut K6).

Daran hält das LG Stuttgart (Hinweis vom 03.02.2020, Az. 46 O 223/19) auch jüngst fest. Es wird aus dem ausführlich Hinweis zitiert:

„Hinweis gemäß § 139 ZPO:

Der Kläger führt in der Klageschrift (dort S. 4 f.) aus, im streitgegenständlichen Fahrzeug sei eine Technologie zur Reduktion des Stickoxidausstoßes vorhanden (sog.

Abgasrückführung). Diese werde bei Temperaturen außerhalb eines Temperaturfenster von 7° C bis -30° C abgeschalten, wodurch die Stickoxidemissionen ansteigen würden.

Die Klagepartei vermag in ihrer Eigenschaft als Verbraucherin bzw. nicht- fachkundiger Kunde hier die Einzelheiten der Abgasrückführung und der Motorsteuerung unter dem Gesichtspunkt der Emissionskontrolle nicht dezidiert erläutern. Zu den hierzu notwendigen Informationen - und entsprechenden Softwaredateien - hat sie naturgemäß - auch bei Einschaltung eines Privatgutachters - keinen Zugang. Umgekehrt ist es der Beklagten als Entwicklerin und Herstellerin des Motors ohne jedwede Schwierigkeiten möglich, die Einzelheiten der Abgasrückführung zu erläutern und im Besonderen die Frage nach einer Abschalteinrichtung zu beantworten (vgl. auch die Verfügung der 20. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 03.04.2019 - 20 0 349/18). Der Beklagten obliegt insoweit eine: sekundäre Darlegungslast.

Die Beklagte möge - sofern eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung nicht bestritten werden sollte - darlegen, bei welchen Außentemperaturen (konkrete Nennung eines Temperaturfensters erforderlich) die Abgasrückführung reduziert wird und ggf. um welchen Grad (prozentuale Angabe erforderlich) dabei eine Reduktion eintritt. Insbesondere ist anzugeben, ab welchen Temperaturen - möglicherweise gestaffelt - die Abgasrückführung (AGR) in welchem Umfang aus welchem Grund reduziert bzw. ganz aufgehoben wird. Eine tabellarische Auflistung wäre hilfreich.

Die Beklagte möge schließlich - sofern eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung nicht bestritten werden sollte - konkret darlegen, welche

(8)

Auswirkungen die Reduzierung der Abgasrückführung auf die Stickoxidemission und die Einhaltung des Euro 5 Grenzwertes nach Anhang I der EG (VO) 715/2007 hat.

Die Beklagte möge konkrete Werte nennen. Auch insoweit wäre eine tabellarische Auflistung zweckmäßig.

Hinsichtlich der Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 VO EG 715/2007 trifft die Beklagte die volle Darlegungs- und Beweislast. Es ist gerichtsbekannt, dass die Beklagte in anderen Verfahren - bei gleichen und anderen Motormodellen - vorträgt, eine Kondensation und Versottungsgefahr, die für die Reduzierung der Abgasrückführung angeführt wird, könne auch bei Außentemperaturen von 20° C auftreten. Die Beklagte möge daher die Gründe für die Reduzierung der Abgasrückführung bei niedrigen und ggf. bei hohen Temperaturen (konkreter Vortrag zur Temperatur erforderlich) im streitgegenständlichen Fahrzeug näher darlegen.

Die Beklagte möge dabei - sofern eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung nicht bestritten werden sollte - darlegen, aus welchen Gründen die Reduzierung der Abgasrückführung bei dem von ihr noch darzulegenden Temperaturfenster beginnt. Ferner möge die Beklagte dazu Stellung nehmen, ob ein etwaiges Versottungsrisiko auch durch eine Reduzierung der Abgasrückführung von weniger als der von ihr darzulegenden prozentualen Reduzierung erreicht werden könnte.

Schließlich hätte die Beklagte - sofern eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrück- - Seite 3 - führung nicht bestritten werden sollte - hinsichtlich der Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 VO EG 715/2007 darzulegen und ggf. zu beweisen (s.o.), weshalb eine Reduzierung der AGR in technischer Hinsicht herstellerübergreifend nach den anerkannten Regeln der Technik und nach dem Stand der Technik in welchem Umfang erforderlich war und nicht durch andere technische Komponenten im Zeitpunkt der Typengenehmigung und des Kaufvertragsschlusses vermieden werden konnte.

Die Beklagte möge - sofern eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung nicht bestritten werden sollte - überdies darlegen, ob sie eine etwaige temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung im Typengenehmigungsverfahren im Detail gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) offengelegt habe.

Der Beklagten wird aufgegeben, binnen der Klageerwiderungsfrist die Typengenehmigung und den entsprechenden Antrag der Beklagten für den Typ des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs vorzulegen.

Sollte die Reduktion der Abgasrückführung auch von anderen (softwaregesteuerten) Bedingungen, wie Fahrzeuggeschwindigkeit, Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlass, oder sonstige Parameter, abhängen, sind

(9)

die genauen Parameter und die konkreten Auswirkungen auf die NOx-Werte anzugeben. Das Gericht geht davon aus, dass die Beklagte vor dem Einsatz der Motorsteuerung die unterschiedlichen Fahrverhaltensweisen und möglichen Belastungen im realen Fahrbetrieb in Tests simuliert und bewertet hat. Entsprechende Daten dürften der Beklagten ohne weiteres vorliegen.

Die Beklagte wird schließlich höchst vorsorglich auf die ihr obliegende sekundäre Darlegungslast bezüglich der etwaigen Kenntnis der Vorstandsebene bzw. der Repräsentanten und des etwaigen Schädigungsvorsatzes hinsichtlich einer etwaigen Abschalteinrichtung hingewiesen. Ein einfaches Bestreiten würde nicht genügen.

Insoweit kommt es auch darauf an, welche Informationen typischerweise von der Abteilung des Entwicklungsbereichs weitergeleitet und akten- und datenmäßig zur weiteren Verwertung, auch zum Abruf in den Abteilungen und Niederlassungen, festgehalten werden. Diesbezüglich besteht auch eine Nachforschungspflicht der Beklagten (vgl. insoweit auch den sehr eingehenden Hinweisbeschluss des OLG Karlsruhe zum sog. ,,VW-Abgasskandal" vom 05.03.2019 - 12 U 142/18 sowie OLG Stuttgart, Hinweise im Protokoll vom 08.05.2019 - 3 U 101/18, sowie zuvor bereits LG Stuttgart, Urteil vom 09.05.2019 - 23 O 220/18 - juris).

Für einen etwaigen Rechtsirrtum wäre die Beklagte überdies primär darlegungs- und beweispflichtig.“

Auch wird auf die anliegende Sammelvorlage zum EuGH (Protokollanlage zur mündlichen Verhandlung vom 13. November 2019) von Herrn Richter Dr. Fabian Reuschle (Richter am Landgericht Stuttgart) hingewiesen, die die rechtlichen Hintergründe sehr anschaulich und ausführlich durchleuchtet (Anlagenkonvolut K6).

Im Ergebnis gelangt auch Richter Reuschle zu der Rechtsauffassung, dass - die Darlegungs- und Beweislast beim Hersteller liegt;

- Sittenwidrigkeit zu bejahen ist;

- Vorsatz vermutet wird; und

- keine Nutzungsentschädigung in Abzug zu bringen ist 2.

Das Thermofenster ist auch nicht erforderlich, um den Bauteilschutz zu gewährleisten. Es fällt daher insbesondere nicht unter die bereits mehrfach genannte Ausnahmeregelung der EU-Verordnung.

Wie rbb24 am 05.09.2019 berichtete, wird das Thermofenster allein aus Kostengesichtspunkten verbaut, um die eigenen Gewinne zu maximieren. Hierbei bezieht sich rbb24 auf die Aussage des Professors Kai Borgeest, der das Zentrum für Verbrennungsmotoren an der Technischen Hochschule in Aschaffenburg leitet. Prof. Borgeest führt wörtlich wie folgt aus:

"Das Temperaturfenster ist ein reines Kostenargument. Man kann auch die Fenster wesentlich breiter fassen oder sogar ganz darauf verzichten. Das ist ausschließlich ein Frage des Geldes und nicht der technischen Machbarkeit“

(10)

Der Artikel ist abrufbar unter der URL: https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2019/09/vw-diesel- software-illegale-abschalteinrichtungen.html

Vor diesem Hintergrund wird, sofern das Gericht den Einwand der Beklagten, das Thermofenster sei zwingend erforderlich, für substantiiert erachtet, angeregt, den Professor Kai Borgeest als Sachverständigen bzw. sachverständigen Zeugen zu hören.

3.

Ferner wird das Gericht darauf hingewiesen, dass die im Anhang der der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 genannten Grenzwerte auch im realen Fahrbetrieb unter normalen Betriebsbedingungen einzuhalten sind.

Vor diesem Hintergrund besteht auch eine Haftung der Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art.

4 Abs. 1 Unterabsatz 2, Art. 4 Abs. 2 Unterabsatz 2, Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr.

715/2007. Bei den genannten Normen handelt es sich um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.

Auf das Urteil des BGH vom 13.12.1984 (III ZR 20/83, NJW 1985, 1774, 1775) im Zusammenhang mit der Frage des Verschuldens wird ebenfalls hingewiesen. Im Übrigen wird auf den diesbezüglichen Hinweis des LG Stuttgart vom 23.08.2019, Az. 20 O 117/19, hingewiesen (Anlagenkonvolut K6).

In Ergänzung zur Klageschrift wird Folgendes klargestellt:

In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA 288 mit der Euro-Abgasnorm EU6 verbaut, dessen Hersteller und Entwickler die Beklagte ist.

Das streitgegenständliche Fahrzeug hält bei seiner tatsächlichen Verwendung im realen Fahrbetrieb die in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 determinierten Grenzwerte gerade nicht ein.

Nach den Messergebnissen der Deutschen Umwelthilfe überschreiten Fahrzeuge mit demselben Motorentyp (= EA 288 EUR 6) bei einer Außentemperaturbereich von +18 bis +30 Grad Celsius den Grenzwert um den Faktor von 1,5 bzw. 5,5 (= Messergebnis eines Audi A3 1.6 TDI, EZ 03/2016, oder Audi A4 2.0 TDI, EZ 05/2016)

Beweis im Bestreitensfalle: Vorlage des Messergebnisses der DUH, abrufbar unter https://www.duh.de/projekte/eki-kontrollen/eki-ergebnisse/alle-ergebnisse-im-ueberblick/

Diese Grenzwertüberschreitung ist auf die in dem streitgegenständlichen Motor als unzulässig zu würdigende Abschalteinrichtung in Form eines sog. „Thermofensters“ zurückzuführen.

Dies vorausgeschickt zur Klageerwiderung:

4.

Der Klage ist vollumfänglich stattzugeben. Die Beklagte laviert sich nämlich um die relevanten Punkte herum. Ausdrücklich zu bestreiten, dass es ein Thermofenster im streitgegenständlichen Fahrzeug gibt, kann sie nicht (weil eines vorhanden ist). Ebenso kann sie vermutlich nicht vortragen, dass der Vorstand von nichts gewusst haben soll. Im Ergebnis steht nun daher – unabhängig davon, wie der bei der Klagepartei verbaute Motor zu bezeichnen ist, nach eigenem Sachvortrag der Beklagten fest, dass:

(11)

a) im streitgegenständlichen Fahrzeug ein Thermofenster verbaut ist, welches die Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen reduziert. Dies trägt die Beklagte selbst vor.

b) dem Vorstand der Beklagten und den jeweiligen Abteilungsleitern der Entwicklungsabteilungen bekannt war, dass diese Abschalteinrichtung gegen EU-Recht verstößt. Jedenfalls wird von der Beklagten trotz sekundärer Darlegungslast nichts anders Lautendes vorgetragen (warum wohl?).

Damit steht im Tatsächlichen alles Notwendige fest, um den Anspruch der Klagepartei aus § 826 BGB zu begründen.

Die Beklagte meint hingegen, man könne sonst keine Fahrzeuge bauen. Was wohl eher der Fall ist: Die Beklagte vermochte keine Dieselfahrzeuge zu bauen, die den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.

Die EU-Norm betrifft Benziner und Diesel. In den Benzinern verbaut die Beklagte keine Abschalteinrichtungen. Dies wäre der Klagepartei jedenfalls nicht bekannt. Gerne mag sie das offenlegen.

In Ergänzung zur Klageschrift soll im Zusammenhang mit den grundsätzlich vorhandenen technischen Alternativen zum Thermofenster und zur Frage der Sittenwidrigkeit folgender Sachvortrag ergehen:

Die Beklagte hatte nach Medienberichten gemeinsam mit der Volkswagen AG und der BMW AG ab 2007, d.h. vor Herstellung des Fahrzeugs der Klagepartei, ein Kartell gebildet. Es war zwischen den drei Gesellschaften vereinbart worden, dass die Entwicklung besserer Abgasreinigungssysteme nicht bzw.

nicht im Rahmen der Möglichkeiten betrieben werden soll.

Das Handelsblatt berichtet hierüber wie folgt:

„Dem Handelsblatt liegen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaften Braunschweig und München zur Dieselaffäre vor. Sie dokumentieren eine jahrelange Zusammenarbeit der Hersteller beim Thema Abgas und eine verschwörerisch wirkende Sprache.

Bereits 2007 hat ein geheimes Krisentreffen in München stattgefunden. Teilgenommen hat der versammelte Sachverstand der deutschen Autoindustrie. BMW hatte seine Dieselexperten geschickt. Auch Abgesandte von Daimler-Chrysler waren gekommen. Für Volkswagen nahmen sowohl Vertreter der Kernmarke an dem Treffen teil als auch die besten Köpfe aus der

Motorenentwicklung von Audi.

Und doch konnten die Ingenieure nicht die Aufgabe lösen, die ihnen aufgetragen war: den Diesel sauberer zu machen. Die Präsentation vom 4. April 2007 in München zeigt das Unvermögen der Teilnehmer auf bunten Balken: Deutsche Dieselmotoren stießen zu viel Stickoxid aus, viel zu viel.

Auf dem Papier hatten die Ingenieure längst eine Lösung dafür gefunden. Ein Harnstoffgemisch, Adblue genannt, sollte nach dem Verbrennungsprozess eingespritzt werden. Damit wurden die Abgase gebunden und ihr Ausstoß reduziert.

Nur: In der Anwendung versagte das System. Für eine effektive Reinigung der Abgase waren im Extremfall bis zu 8,5 Liter Adblue pro 1000 Kilometer nötig. Bei mehr als einem Liter aber kam

(12)

es zu Ablagerungen, die Motoren versotteten, das Fahrzeug nahm Schaden.

Und so begannen die deutschen Fahrzeughersteller den großen gemeinsamen Schmu. Fortan würden sie den Einsatz von Adblue drastisch begrenzen. Dadurch fuhren die Autos zwar noch schmutziger, aber wenigstens blieben sie nicht stehen. Gescheitert an der technischen Herausforderung, machten sich die Konzerne parallel an eine politische: Irgendwie musste man den plötzlich viel niedrigeren Bedarf an Adblue den zuständigen Behörden erklären.

„Hallo die Herren, anbei der von BMW, DC (Daimler-Chrysler) und Audi gemeinsam erarbeitete Vorschlag zur Plausibilisierung der Deckelung der Adblue-Dosierung. Mitgewirkt haben Kollegen der Aggregateentwicklung sowie der Zulassung. Die Treiberrolle haben die Kollegen von BMW.“

So begann eine Mail nach dem Krisentreffen 2007. Die Details der Präsentation in München sollten „keineswegs der Behörde gezeigt werden!“, warnte der Verfasser. Dann folgten Argumente, mit denen die Konzerne mögliche Fragen vom Kraftfahrt-Bundesamt oder ähnlich lästigen Einrichtungen abwiegeln sollten. Die Mail endete mit der Bitte um „Feedback (nächste Telko), um bis Mitte Mai ein erstes Präsentationskonzept für die Behörden vorzubereiten“.

BMW bestreitet eine solche „Treiberrolle“ wie auch eine Absprache. Das Unternehmen habe keine Anhaltspunkte, dass es Vereinbarungen zur Deckelung der Adblue-Dosierung gab, teilte ein Sprecher mit. „Allerdings ist eine Begrenzung der maximalen Dosiermenge aus technischer Sicht unter anderem erforderlich, um Ablagerungen am Dosiermodul zu verhindern.“ Auch mit dieser technisch notwendigen Limitierung seien zu jedem Zeitpunkt alle gesetzlichen Vorgaben erfüllt worden.

So interpretiert jeder die Vergangenheit auf seine Weise. „Bei uns wird nicht manipuliert“, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche, als beim Konkurrenten Volkswagen im September 2015 die Abgasaffäre öffentlich wurde. Diese Position vertreten die Schwaben weiterhin.

Doch die Behörden vermuten: Die deutschen Fahrzeughersteller versagten nicht nur alle gemeinsam beim Reinigen ihrer Dieselabgase, sie machten auch alle gemeinsame Sache, um dieses Unvermögen zu vertuschen. Juristisch gesehen gesellt sich damit zum Vorwurf des Betrugs der Verdacht auf Kartellbildung. Das kann teuer werden.

[…]

Die Kommissionsbeamten haben ihren Untersuchungsgegenstand inzwischen auf Themen eingegrenzt, in denen es die eindeutigsten Hinweise auf illegale Absprachen gibt: Die in den Mails und Präsentationen diskutierten Abmachungen zur Einspritzung von Adblue gehören dem Vernehmen nach ebenso dazu wie Absprachen zur Größe der Adblue-Tanks.

Daneben gibt es auch deutliche Hinweise auf Rechtsverstöße bei der Einführung von Partikelfiltern für Otto- und Dieselmotoren. Die hausinternen Juristen raten Vestager dazu, sich auf eindeutige Rechtsbrüche zu beschränken. Schließlich muss die Entscheidung gerichtsfest sein.

Die Bußgelder dürften laut Kartellexperten allerdings auch dann in die Milliarden gehen, wenn sich die Kommission auf wenige Themen beschränke.

(13)

Billiger davonkommen könnten die Unternehmen, wenn sie sich auf einen Vergleich mit der Kommission einließen. Daran habe aber BMW bislang kein Interesse gezeigt, heißt es in den Kreisen. Für die Kommission ist ein Settlement weniger attraktiv, wenn es das Verfahren gegen eine der Parteien fortsetzen muss – denn das bedeutet doppelte Arbeit. Die Behörde wollte sich auf Anfrage nicht zu Details der Untersuchung äußern.

Dem Handelsblatt liegen Unterlagen vor, die ihr zur Beweisführung gegen Audi, BMW, Daimler, Porsche und Volkswagen dienen könnten. Tausende von E-Mails, umfangreiche Power-Point Präsentationen und handschriftliche Notizen zeichnen das Bild einer Branche, die bei der Vertuschung ihres technischen Versagens zusammenhielt wie Pech und Schwefel.

„Meine Einschätzung: Ganz ohne Bescheißen werden wir es nicht schaffen“, schrieb ein Audi- Manager am 22.1.2008 unter der Betreffzeile „Adblue-Verbrauch“ an mehrere Kollegen. Diese Einschätzung wurde offenbar geteilt – und die Info kam gleich in den Giftschrank.

„Bei der OEM Taskforce Adblue-Ablagerungen wurde nochmals bestätigt, diese Thematik in keiner Form gegenüber den US-Behörden EPA und Carb zu erwähnen“, hieß es in einem Schreiben eines hochrangigen Audi-Entwicklers vom 3. November 2008 an Führungskräfte des VW-Konzerns. Der Absender berief sich bei der Bewertung auch auf die Einschätzung von Mitarbeitern des Daimler-Konzerns, die bei einem Krisentreffen anwesend waren. Ihnen dankte der Audi-Manager „für ihre Unterstützung“. Die drei Unternehmen äußerten sich nicht zu der von den Mitarbeitern beschriebenen Geheimhaltung gegenüber den Behörden.

Die Deutschen ließen sich von ihrer Dieselnot nicht bremsen. Vor allem Volkswagen und Audi hatten Nachholbedarf in den USA, dem damals größten Automarkt der Welt. Dort aber war der Diesel als Dreckschleuder verschrien. Gerade die in den USA so beliebten großen Sportwagen würden als Diesel schrecklich stinken, so die Wahrnehmung. Volkswagen und Audi starteten darauf ihre „Clean-Diesel“-Kampagne. Mit viel Marketingetat und lustigen Werbefilmchen bauten sie Vorbehalte ab und machten den Diesel autosalonfähig. Der Verkauf zog stark an.

Doch im Hintergrund herrschte nervöses Treiben. Eigentlich, so die Vorschriften in den USA, durfte die Harnstofflösung beim routinemäßigen Termin in der Werkstatt nachgefüllt werden, wenn auch der Ölwechsel anstand. Zumindest Audi überlegte deshalb, ob man die Kunden nicht auf diese Weise einfangen könne. „Dann müssen wir notfalls das Ölwechselintervall anfassen, analog Toyota“, schrieb ein Manager dem anderen am 26.1.2009. Der japanische Konkurrent ließ seine Kunden schließlich alle 5000 Meilen die Werkstätten anlaufen. Weil Audi aber drei Jahre kostenlosen Service anbot, wären mehr Werkstattbesuche teuer geworden. Die Deutschen entschieden sich gemeinsam für die billigste Lösung.

Audi, BMW, Daimler, Porsche und VW kamen zu der Zeit überein, viel kleinere Adblue-Tanks in die Wagen einzubauen als nötig. Gleichzeitig programmierten zumindest Volkswagen und Audi ihre Motoren so, dass sie erkannten, ob sich die Fahrzeuge auf der Straße befanden oder auf einem Teststand – zum Beispiel bei einer Umweltbehörde.

Dort schaltete die Software in den sauberen Modus. Da man auf diese Weise nun weniger Platz für Adblue-Tanks brauchte, sparte dies sowohl Gewicht als auch Kosten. Spuren wollte man

(14)

freilich nicht hinterlassen. Aus einer Mail eines Entwicklungschefs am 1. April 2010 in Paris zur Deckelung der Adblue-Zufuhr: „Selbstbeschränkung wird befürwortet (Keine Protokollierung und Dokumentierung der Details!).“

Und die Abgase? Die würden wohl zum Problem werden, wussten die Ingenieure schon früh.

Wie genau die Autohersteller verfolgten, was in den Innenstädten passierte, wenn Millionen von Dieselfahrzeugen das Zigfache der erlaubten Stickstoffe ausstießen, zeigt eine Präsentation von Audi von Juli 2010. Zitat: „Die EU-Luftreinhalterichtlinien schreiben seit Anfang dieses Jahres eine Verschärfung der NO2-Immissionen auf einen jährlichen Richtwert von 40 µg/m³ vor.“

Die Ingenieure notierten die Folgen ganz nüchtern. Die EU-Staaten hätten allerdings nicht rechtzeitig Maßnahmen ergriffen, um diese Werte einzuhalten. „Dies zeigt sich daran, dass in 2008 in 21 EU-Mitgliedsstaaten in 270 Städten die NO2-Grenzwerte überschritten wurden. In London wurde der Stundengrenzwert heute schon mehr als 18 Mal überschritten.“

BMW betonte, dass es seit 2007 eine öffentliche Diskussion zu drohenden Fahrverboten gegeben habe: „Deshalb lag es nahe, dass sich auch die OEMs (die Hersteller, Anmerkung der Redaktion) mit diesen Fragestellungen und möglichen Lösungen beschäftigten.“ Daimler und VW äußerten sich nicht dazu.

Die Fahrzeughersteller schrieben selbst auf, dass ihre Dieselmotoren wohl einen Anteil an der Luftbelastung hatten. Die Ermittlungsbehörden haben inzwischen umfangreichen Chroniken erstellt. Auswertungen von Präsentationen wie der aus dem Jahr 2010 zeigen, wo genau die Berichtswege durch die verschiedenen Konzerne liefen und wie weit oben die Kenntnis der Dieselmanipulationen angesiedelt war. Laut dieser Darstellung endete sie zumindest bei Volkswagen und Audi erst mit dem Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn und Rupert Stadler.

Beide bestreiten eine Kenntnis von Manipulationen oder Absprachen.

Die US-Umweltbehörden machten mit Volkswagen einen kurzen Prozess. Der Konzern unterschrieb ein Schuldanerkenntnis. In Deutschland laufen Tausende von Klagen. Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnete gegen alle BMW, Daimler und Volkswagen Rückrufe an, damit sie Dieselmotoren nachrüsten.

Vieles in der Abgasaffäre hielten die Konzerne bisher im Dunkeln. Bei Licht besehen zeigt sich immerhin eine zutreffende Vorhersage. Die viel zu hohen Abgaswerte würden eine „erneute Dieseldiskussion entfachen, da der Diesel-Pkw als Hauptursache der NO2-Überschreitung in den Städten gesehen wird“, hieß es in einer Audi-Präsentation im Juli 2010. Und weiter: „Als Lösung wird die möglichst schnelle Einführung einer wirksamen NO2-Abgasnachbehandlung gesehen.“

Diese solle nicht nur auf dem Teststand den Ausstoß von Stickoxiden verringern, sondern auch im Straßenverkehr.

Schön wäre das gewesen, doch die Ingenieure kamen nur schleppend voran. Es dauerte vier Jahre, bis ein Konzern aus der Runde ausscherte. „Daimler hat die Absprache der Entwicklungsvorstände, dass alle OEMs den SCR-Tank minimal belassen (…) aufgekündigt“, meldete ein Audi-Manager seinen Mitarbeitern im März 2014. Fortan verbaute Daimler größere Tanks, die eine höhere Einspritzung von Adblue in den Abgasstrom erlaubten. Später tat dies

(15)

auch BMW. Inzwischen hatte man die technischen Probleme gelöst.

Die Makel der Vergangenheit wurden die deutschen Fahrzeughersteller trotzdem nicht mehr los.

Ob sich die VW-Mitarbeiter bei ihren Kollegen ab und zu darüber ausweinten, wie nahe die US- Behörden ausgerechnet ihrem Konzern beim Dieselschummeln kamen? Zu den Details ihres Vorgehens schweigen sich alle Konzerne aus. Fest steht, dass zumindest Daimler die Nähe zur vermeintlichen Konkurrenz nach einigen Jahren zu heiß wurde.

Im Februar 2014 eilten die Stuttgarter zum Bundeskartellamt, um der Behörde „mögliche Vergehen“ in ihren Häusern anzuzeigen. Zwei Jahre später folgte Volkswagen. BMW, 2007 von Audi als „Treiber der Adblue-Declaring“ beschrieben, bestreitet bis heute Absprachen und technische Manipulationen.

So wie sich vorher die Zusammenarbeit lohnte, mag sich zumindest für Daimler und Volkswagen auch ihr Ende auszahlen. Die Brüsseler Wettbewerbshüter können Bußgelder reduzieren oder ganz streichen, wenn ein Kartellteilnehmer sich als Kronzeuge andient. Vier Jahre dauern die Ermittlungen der EU-Kartellbehörde nun schon. Auf vielen der belastenden Unterlagen prangt neben dem Logo auch das Motto von Audi: Vorsprung durch Technik. Mehr davon hätte sicher geholfen. Aber es war ja nur ein Werbespruch.“

Beweis: Bericht des Handelsblatts, Anlagenkonvolut K7, Inaugenscheinnahme:

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/kartellverdacht-autokonzerne- sahen-dieselkrise-kommen-ohne-bescheissen-werden-wir-es-nicht-

schaffen/24066992.html

Am 5. April 2019 veröffentlichte die EU-Kommission ihre vorläufige Auffassung in obigem Kartellverfahren. Dort heißt es:

„Die Kommission ist der vorläufigen Ansicht, dass BMW, Daimler und VW gegen die EU- Wettbewerbsvorschriften verstoßen haben, indem sie sich an systematischen Absprachen beteiligten, die eine Einschränkung der Entwicklung und Einführung von Abgasreinigungstechnologien für neue Diesel- und Benzin-Pkw im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bezwecken sollten. Diese Absprachen erfolgten bei Fachtreffen der Automobilhersteller in den sogenannten „5er-Kreisen“.

[…]

Die Kommission ist der vorläufigen Ansicht, dass das Verhalten der Automobilhersteller darauf abzielte, den Innovationswettbewerb bei diesen beiden Abgasreinigungssystemen einzuschränken, und den Verbrauchern somit die Möglichkeit verwehrte, umweltfreundlichere Fahrzeuge zu kaufen, obwohl die Automobilhersteller über die entsprechende Technologie verfügten.“

Beweis: Pressemitteilung der EU-Kommission vom 05.04.2019, Anlagenkonvolut K7.

Obige Auffassung macht sich die Klagepartei zu eigen. Ferner ist auf Folgendes hinzuweisen:

(16)

- Der Vorstand der Beklagten hatte Kenntnis und handelte sittenwidrig -

Es wird Bezug genommen auf den Sachvortrag aus der Klageschrift. Aufgrund der sekundären Beweislast der Beklagten ist der Vortrag mehr als ausreichend. Die Beklagte hat nicht substantiiert bestritten und auch nicht das Gegenteil dargelegt und dieses insbesondere nicht ausreichend unter Beweis gestellt.

Vielmehr laviert die Beklagte herum. Sie schreibt, dass gegen die Vorstände nicht ermittelt wird. Warum schreibt die Beklagte nicht einfach: „Die Vorstände wussten nichts von einem Thermofenster“? Antwort:

Weil das unwahr wäre.

Die Beklagte behauptet, dass sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht gegen den Vorstand richten und dass für den Vorstand der Beklagten die Unschuldsvermutung gilt. Die Beklagte behauptet, es sei intern eine vertretbare Rechtsauffassung bzgl. der Zulässigkeit des Thermofensters nach der EG- Verordnung vertreten. Insofern könne kein Vorsatz vorliegen. Diese Behauptung, die sich letztlich auf die Behauptung einer Rechtsauffassung stützt, genügt nicht um die sekundäre Darlegungs- und Beweislast zu erfüllen. Die Beklagte möge substantiiert darlegen, welcher Vorstand, welche Rechtsauffassung vertreten hat. Die einfache Behauptung der Vorstand habe eine vertretbare Rechtsauffassung vertreten, genügt im Hinblick auf das Kartellverfahren nicht. Das Gericht mag der Beklagten aufgeben Gutachten oder E- Mail-Verkehr vorzulegen, die belegen, dass der Vorstand davon ausging das Thermofenster sei uneingeschränkt zulässig. Die Beklagte möge Unterlagen vorlegen, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass das Kartellverfahren zu Unrecht geführt wird. Die Beklagte möge der substantiierten Behauptung des Klägers im Zusammenhang mit dem Kartellverfahren in substantiierter Form entgegentreten.

Die Beklagte stellt sich hier als völlig redliches Unternehmen dar. Damit passt nicht zusammen, dass die Europäische Kommission das Kartellverfahren führt und wohl ein Bußgeld gegen die Beklagte erlassen wird. Dies, weil die Beklagte Teil eines Kartells war, welches die Abgasvorschriften den Europäischen Union vorsätzlich unterlaufen wollte. Es irritiert, dass die Beklagte hier kein sittenwidriges Verhalten zu erkennen vermag.

Die Beklagte legt Urteile vor, wonach sie nicht sittenwidrig gehandelt habe. Diese Urteile stammen jedoch noch aus der Zeit, bevor die Rechtsauffassung der EU- Kommission veröffentlicht wurde. Die Rechtsauffassung der EU-Kommission bzw. Sachvertrag dazu kann also nicht Gegenstand dieser Urteile gewesen sein. Es ist hier im Hinblick auf das Kartellverfahren eine Sittenwidrigkeit gegeben. Wie die Beklagte meint, dass hier kein Vorsatz vorliegt, wenn man sich mit anderen Automobilherstellern zusammensetzt und bespricht, Europäische Normen auszuhebeln, erschließt sich hier nicht. Die Beklagte möge Urteile vorlegen, die das Kartellverfahren als Tatsachenstoff berücksichtigen.

5.

Die Beklagte ist antragsgemäß zu verurteilen.

Sollte das Gericht den Manipulationsvorwurf nicht für ausreichend substantiiert erachten, wird angeregt, der Beklagten aufzugeben,

- sämtlichen Schriftverkehr (einschließlich Anträge und Bescheide) im Zulassungsverfahren mit dem KBA;

- und auch jeden Schriftverkehr (einschließlich ergangener Bescheide) mit dem KBA nach Zulassung des relevanten Fahrzeugtyps offenzulegen,

(17)

der im Zusammenhang mit dem Stickoxidausstoß des hier in Streit stehenden Modelltyps steht.

Es wird insoweit auch schon jetzt beantragt, dass die Beklagte

- die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser vorgelegten Unterlagen an Eides Statt versichert.

Begründung:

Nur anhand der Einsichtnahme in die vorbeschriebenen Unterlagen ist es der Klagepartei möglich und zumutbar, ergänzenden Sachvortrag zur vorgenommenen Manipulation im hiesigen Fall zu äußern. M. a.

W.: Nur so kann die Beklagte dem klägerischen Sachvortrag substantiiert entgegentreten und ihrer sekundären Darlegungs- und Beweislast gerecht werden.

Im Einzelnen:

Bereits im Jahre 2016 soll das KBA laut einem Bericht des Handelsblattes von einem Münchener Staatsanwalt aufgefordert worden sein, bei Erkenntnissen über illegale Abschalteinrichtungen bei Audi zuerst die Staatsanwaltschaft und erst danach die Autohersteller zu kontaktieren. Dieser Aufforderung soll die Behörde nicht nachgekommen sein, was die Strafverfolgungsbehörden als mögliche Strafvereitelung bezeichneten (vgl. den Bericht der Zeit-Online – abrufbar unter: https://www.zeit.de/politik/2019- 07/abgasskandal-andreas-scheuer-kraftfahrt-bundesamt-vorwuerfe). Es ist demnach davon auszugehen, dass das KBA bei der Manipulationsaufklärung nicht hinreichend mitwirkt.

Ferner wurde das KBA in der Vergangenheit von den Autoherstellern massiv getäuscht. Das KBA war nicht in der Lage, die Manipulationen aufzudecken und gegen die Automobilhersteller einzuschreiten. So berichtet die Presse (vgl. den Bericht des Handelsblattes „Warum das KBA bei Audi so lange weggesehen hat“ – Anlagenkonvolut K7) unter anderem davon:

„Das Handelsblatt und der Bayerischer Rundfunk haben gemeinsam über 80.000 Dokumente zur Dieselaffäre ausgewertet. Die Recherche zeigt: Für die Volkswagen-Akteure war das Flensburger Kraftfahrt-Bundesamt eine reine Durchlaufstelle, wenn es darum ging, manipulierte Fahrzeuge in den Markt zu bringen. Selbst als der Dieselskandal längst bekannt war, ließen sich die KBA-Verantwortlichen von Audi-Akteuren täuschen.“

„Der jetzige VW-Boss Herbert Diess machte dabei Zusicherungen, die sich später als unhaltbar erwiesen. Das zeigt ein bislang unbekannter Brief von ihm an das KBA. Allerdings fehlte den Prüfern der Behörde ganz offensichtlich auch die Rückenddeckung von oben, hätten sie sich mit der Autoindustrie anlegen wollen. Neue Dokumente belegen, dass der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) von Anfang an darauf aus war, den Herstellern zur Seite zu stehen. Gemeinsam mit KBA-Chef Ekhard Zinke versuchte Dobrindt, den Skandal bereits für erledigt zu erklären, bevor er begonnen hatte – selbst wenn man dafür die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft behindern musste. Auf Fragen zu den Vorgängen äußerten sich weder VW und Audi noch das Bundesverkehrsministerium. Sie verweisen auf laufende Verfahren. Das KBA reagierte auch auf mehrfache Anfrage nicht.“

Auch die Daimler AG hat das Kraftfahrtbundesamt getäuscht, wie das LG Stuttgart mit Urteil vom

(18)

09.05.2019, Az: 23 O 220/18, feststellte:

„Die Beklagte hat das KBA im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens über das Vorliegen der unzulässigen Abschalteinrichtung getäuscht.

i) Die Beklagte trägt zwar pauschal und mit einer geschwärzten Anlage vor, sie habe die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung dem KBA gegenüber im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens offengelegt (Anl. B 1, Bl. 240 ff. d.A.). Allein damit genügt sie ihrer sekundären Darlegungslast nicht. Das Gericht hat deshalb mit den Klägervortrag davon auszugehen, dass die Reduzierung der AGR-Rate bei einer Außentemperatur von 14 ° C bzw.

bei 9° C um 40 % gegenüber dem KBA nicht angezeigt wurde.

ii) Die Beklagte verweist darauf, sie habe im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens Angaben zur temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung getätigt und genieße Vertrauensschutz, dass das KBA seine Rechtsauffassung nicht ändere. Allerdings lässt sich dem von der Beklagten vorgelegten nahezu durchgängig geschwärzten Auszug des Beschreibungsbogens (Anlage B 1, Bl. 240 ff. d.A.) lediglich die Angabe entnehmen, dass die AGR-Rate u.a. durch den Parameter „Lufttemperatur“ gesteuert werde. Die Formulierung

„Lufttemperatur“ lässt dabei schon vom Wortlaut her nicht zwingend auf die Umgebungstemperatur schließen, sondern kann auch so ausgelegt werden, dass die Temperatur im Verbrennungsraum gemeint ist. Die Beklagte behauptet jedenfalls nicht einmal, dass sie gegenüber dem KBA im Rahmen der Beantragung der Typgenehmigung auch weitere Einzelheiten angegeben hat, etwa, dass beim streitgegenständlichen Fahrzeugtyp die Rate der Abgasrückführung schon bei bzw. unter 14 °C sowie bei 9° C betriebspunktabhängig um bis zu 40 % niedriger ist als bei höheren Temperaturen und welche Auswirkungen dies auf den NOx- Ausstoß hat. Dabei ordnete schon seinerzeit Art. 3 Abs. 9 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 an, dass die Hersteller bei der Beantragung der Typgenehmigung der Genehmigungsbehörde nicht nur belegen müssen, dass die NOx-Nachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei –7 °C innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreicht, sondern darüber hinaus auch Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems (AGR) machen müssen, „einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen“, wobei diese Angaben „auch eine Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Emissionen“ umfassen müssen. Dass die Beklagte diesen Erfordernissen im Typgenehmigungsverfahren nachgekommen ist, hat sie weder dargetan noch belegt, so dass auch nicht ersichtlich ist, dass das KBA in die Lage versetzt wurde, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug umfassend zu prüfen.“

Festzuhalten bleibt daher zunächst, dass das KBA nicht nur die gebotene Mitwirkung bei der Aufklärung vermissen ließ, sondern selbst auch nicht in der Lage gewesen ist, die Manipulationen zu entdecken und offen zu legen.

Schließlich hält das KBA die negativen Bescheide zum Vorteil der Automobilindustrie verdeckt. Wie das Handelsblatt nun berichtet und bestätigt, hält das Kraftfahrtbundesamt (u. a.) die Bescheide zu den 3- oder 4,2 Liter-Motoren von Audi und Porsche zurück – diese sind bisher öffentlich nicht einsehbar (vgl.

Pressebericht des Handelsblattes – „Die geheimen Papiere“ – Anlagenkonvolut K7). Welche Bescheide noch unter Verschluss stehen, ist ungewiss.

(19)

Eingedenk des Vorstehenden besteht somit der starke Verdacht, dass das Kraftfahrtbundesamtes weder die ausreichende Kenntnis hat, noch willens und in tatsächlicher Hinsicht dazu in der Lage ist, sämtliche Manipulationen an Diesel-Fahrzeugen aufzudecken; überdies – und das ist gravierend – besteht aufgrund der Presseberichte eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass das KBA entscheidende Informationen zum Vorteil der Automobilindustrie nicht Preis gibt und sich damit auf die Seite der „Täter“ stellt.

Dies führt freilich zum Nachteil des Verbrauchers. Der Geschädigte ist nicht in der Lage – und es ist ihm auch nicht zumutbar – sämtliche essenzielle Informationen, die zur Beantwortung der Frage, ob eine Manipulation am streitgegenständlichen Fahrzeug vorliegt – zu beschaffen.

Auf der anderen Seite dürfte es für die Beklagten aber ein Leichtes sein, die notwendigen Information im hiesigen Rechtsstreit offen zu legen.

Die Automobilindustrie hat in der Vergangenheit viele Gründe dafür geliefert, dass nahezu alle Diesel- Motoren unter Manipulationsverdacht stehen. Sofern die Automobilindustrie nun aber ihre „weiße Weste“ präsentieren will, hat sie den vollen Einblick in ihre Interna zu gewähren. Tut sie dies nicht, ist sie aufgrund der damit vorgenommenen Beweisvereitelung antragsgemäß zu verurteilen.

Im Lichte der obigen Ausführungen ist es auch nicht von Bedeutung, ob für das streitgegenständliche Fahrzeug schon ein amtlicher Rückruf des Kraftfahrtbundesamt angeordnet wurde.

Denn, die Tatsache, dass bislang kein amtlicher Rückruf angeordnet wurde, beweist nur – so einfach es auch klingen mag – dass die Behörde eben (noch) keinen Rückruf angeordnet hat. Mehr aber auch nicht:

Die Nichtanordnung beweist nämlich gerade nicht,

- dass das Fahrzeug nicht mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgestattet wurde;

- dass das Kraftfahrtbundesamt den Modelltyp des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht mit positivem Ergebnis auf illegale Abschalteinrichtungen überprüft hat;

- dass das Kraftfahrtbundesamt davon überzeugt ist, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht über eine illegale Abschalteinrichtung verfügt.

Zwar ist ein erfolgter Rückruf ein starkes Indiz für eine Manipulation. Ein nicht erfolgter Rückruf sagt aber nichts über die Tatsache aus, ob ein Motor „manipuliert“ wurde. Das Zivilgericht hat die Frage der Manipulation bzw. die Widerlegung des bestehenden Manipulationsverdachts unabhängig von der in Kritik stehenden Behörde des Kraftfahrtbundesamtes zu beurteilen.

Abschließend weisen wir in Ergänzung zu den vorstehenden Ausführungen noch auf das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 31.07.2019 hin.

Die 7. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (7 O 166/18) hat die Volkswagen AG dazu verurteilt, dem Kläger den Kaufpreis (abzüglich einer Nutzungsentschädigung) für den von ihm erworbenen VW Tiguan 2.0 TDI zu erstatten und das Fahrzeug zurück zu nehmen.

Warum ist das hier relevant?

Ganz einfach: Das Gericht hat festgestellt, dass das Fahrzeug des Klägers vom sog. "Diesel-

(20)

Abgasskandal" betroffen war, obwohl die VW AG das mit dem Kraftfahrtbundesamt abgestimmte Softwareupdate bei dem Fahrzeug aufgespielt hat.

Allerdings ist die Abgasreinigung durch das Update dergestalt programmiert worden, dass sich dort nun anstelle der ursprünglichen Abschalteinrichtung ein "Thermofenster" befindet, so wie es auch bei der Daimler AG standardmäßig verbaut ist.

D.h., die Abgasreinigung funktioniert(e) bei dem im Verfahren vor dem LG Düsseldorf relevanten Fahrzeug nur bei Temperaturen zwischen 10° bis 32° Celsius. Bei Temperaturen unter 10° Celsius und über 32° Celsius findet hingegen keine Abgasreinigung statt. Außerdem wird die Abgasreinigung ab einer Höhe von 1000m ausgeschaltet.

Das Urteil ist also auf den hiesigen Rechtsstreit übertragbar:

Nach Auffassung der Kammer am LG Düsseldorf hätte die Volkwagen AG den Kläger auch über diese Einschränkungen bei der Abgasreinigung informieren müssen. Weil eine Aufklärung über die vorhandenen Abschaltvorrichtungen nicht erfolgt ist, wurde dem Kläger ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) zugesprochen. Zum einen sei der Kläger durch den Kauf eines mangelhaften Fahrzeugs ohne vorherige umfassende Aufklärung jedenfalls in seiner Entscheidungsfreiheit geschädigt worden. Zum anderen hielt das Gericht aber auch das Aufspielen des Software-Updates nicht für ausreichend. Aufgrund der durch das "Thermofenster" gegebenen Einschränkungen bei der Abgasreinigung verfüge das Fahrzeug auch nach dem Update über eine unzulässige Abschaltvorrichtung im Sinne der europäischen Vorschriften. Dass die Volkswagen AG ihr Vorgehen seit Bekanntwerden des "Abgasskandals" mit dem Kraftfahrtbundesamt abgestimmt hat, war für die Entscheidung der Kammer im Ergebnis ebenso unerheblich wie die Frage, ob die Abgaswerte nunmehr eingehalten werden.

Zu vermuten ist daher, dass auch nach einem (ggf. bereits erfolgten) Software-Update weiterhin eine Software vorliegt, die die Abgasreinigung dergestalt programmiert, dass sich ein „Thermofenter“ ergibt.

Beweis: Einzuholendes Sachverständigengutachten

Dies wird durch entsprechende Medienberichte bestätigt (Bericht von Phoenix.de – „Geheimakte VW“ – abrufbar unter https://www.phoenix.de/sendungen/ dokumentationen/geheimakte-vw-a-105818.html):

„ZDFzoom liegen interne Unterlagen vor, aus denen hervorgeht, wie Regierung und VW die Abgaskrise bewältigt haben. Anstelle einer teuren Umrüstung - so einigte man sich - sollte ein kostengünstiges Software-Update durchgeführt werden. Damit seien die betroffenen Dieselautos wieder in Übereinstimmung mit den Gesetzen. Doch Messungen an auf diese Weise

"nachgebesserten" Fahrzeugen ergeben ein anderes Bild.“

Das erkennende Gericht muss sich folgendes bewusst machen:

Die Abgasreinigung funktioniert nur bei Temperaturen zwischen 10° bis 32° Celsius. Bei Temperaturen unter 10° Celsius und über 32° Celsius findet hingegen keine Abgasreinigung statt. Außerdem wird die Abgasreinigung ab einer Höhe von 1000m ausgeschaltet.

(21)

Beweis: Einzuholendes Sachverständigengutachten

Das Fahrzeug unterliegt damit auch nach dem Software-Update nach wie vor einer illegalen Abschalteinrichtung.

Beweis: Einzuholendes Sachverständigengutachten

Diese Abschalteinrichtung macht es möglich, das AGR-System immer nur bei warmen Außentemperaturen zwischen +15 und +33 Grad Celsius zu aktivieren. Sinkt die Temperatur unter +15 Grad oder steigt es über + 33 Grad wird das AGR weggeschaltet. Für Deutschland bedeutet dies, dass die AGR Systeme mindestens sechs Monate im Jahr nicht funktionieren (vgl. hierzu Peter Kolba/

Lydia Ninz: Diesel-Schäden, Wie Sie sich zur Wehr setzen können!).

Beweis: Einzuholendes Sachverständigengutachten

Bericht aus dem Standard.at, abrufbar unter

https://www.derstandard.at/story/2000059837493/vw-verfehlt-stickoxidgrenzwerte-auch- nach-update

Dieses Thermofenster ist dabei weder notwendig noch mit Bauteilschutz zu rechtfertigen. Vielmehr ist dieses Thermofenster das Ergebnis der Zusammenarbeit der deutschen Autobauer im Kartell der Autoindustrie, wie es bereits in der Klageschrift bzw. Replik beschrieben wurde.

Beweis: Einzuholendes Sachverständigengutachten

Andreas H. Paul, LL.M.

Rechtsanwalt

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Ei e du des e fassu gs ge i ht stü de es alle falls zu, die Ni htigkeit ei es Gesetztes deklaratorisch festzustellen. Hier schreibt Sie Ihr Souverän an. Nicht ich bin Ihr

Hierfür ist eine Gesetzeslücke erforderlich, die nur vorliegt, wenn der Wortlaut der Vorschrift nicht all diejenigen Fälle erfasst, die das gesetzgeberische Regelungsprogramm

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 21.09.2020 nicht beendet wird.. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen, wonach die Beklagte in qualifizierter Weise gegen Individualschutz begründende

November 2016 waren das Vermögen des HAMC B*** und Sachen Dritter beschlagnahmt, soweit der Berechtigte durch Über- lassung der Sachen an den HAMC B*** dessen strafrechtswidrige

Aber was ist mit einem Feuer, das noch nicht brennt, das aber geplant, geprobt, vorbereitet und absichtlich so gelegt wird, dass es sich mit der Hitze, Explosion und Strahlung

• „Unabhängig von der Verpflichtung jeder Lehrkraft, sich für Suchtprävention verantwortlich zu fühlen, wird an jeder Schule eine Beratungslehrkraft für Suchtprävention

Auch wenn die Pandemie für die Realisierung der Plattform mitauslösend war, die Idee dahinter geht weit über die aktuelle Problemlage für die Kultur hinaus und lässt sich auch