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Die Genossen Jehus 1857.

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Die Genossen Jehus

Roman von

Alexander Dumas

Aus dem Französischen von

Dr. Edmund Zoller

Illustration aus Romantische Meisterwerke.

S t u t t g a r t.

Verlag der Frankh'schen Verlagshandlung.

1857.

Druck von Eduard Hallberger in Stuttgart.

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Inhaltsverzeichnis

Die Genossen Jehus

Einleitung. Die Stadt Avignon.

Erste Abtheilung.

I. Die Table d'Hôte.

II. Ein italienisches Sprichwort.

III. Der Engländer.

IV. Das Duell.

V. Roland.

Zweite Abtheilung.

I. Morgan.

II. Die Karthause von Seillon.

III. Wozu das Geld des Directoriums diente.

IV. Romeo und Julie.

V. Die Familie Rolands.

VI. Schloß Noires Fontaines.

VII. Die Lustbarkeiten der Provinz.

VIII. Die Lustbarkeiten der Provinz.

IX. Die Lustbarkeiten der Provinz.

X. Die Lustbarkeiten der Provinz.

Dritte Abtheilung.

I. Das Gespenst.

II. Die Lustbarkeiten der Provinz.

III. Das Urtheil.

IV. Das kleine Haus der Rue de la Victoire.

Vierte Abtheilung.

I. Eine wichtige Mittheilung.

II. Der Ball der Opfer.

III. Guyon, Amiet und Leprêtre.

IV. En familie.

V. Die Diligence von Genf.

VI. Der Rapport des Citoyen Fouché.

VII. Der Sohn des Müllers von Kerleano.

VIII. Die Diplomatie Cadoudals.

IX. Die Diplomatie Georges Cadoudals.

X. Die Diplomatie Georges Cadoudals.

XI. Die Diplomatie Georges Cadoudals.

XII. Heirathspläne.

XIII. Der Gesandte.

XIV. Die beiden Signale!

Fünfte Abtheilung.

I. Die Grotte von Ceyzeriat.

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II. Das leere Nest.

III. Das Hotel zur Post.

IV. Die Mallepost von Chambery.

V. Die Antwort des Lord Greenville.

VI. Der Spursucher.

VII. Eine Eingebung.

VIII. Die Entdeckung.

IX. Wo die Ahnungen Morgans sich verwirklichen.

X. Cadoudal in den Tuillerien.

XI. Die Reservearmee.

XII. Wo Amelie ihr Morgan gegebenes Versprechen hält.

XIII. Wo Amelie ihr Wort hält.

XIV. Das Bekenntniß.

XV. Wo die Hoffnungen Rolands, so sicher sie auch zu sein schienen, noch einmal getäuscht werden.

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I

Einleitung.

Die Stadt Avignon.

ch weiß nicht, ob das Vorwort, das wir den Augen des Lesers unterbreiten wollen, sehr nützlich ist, und doch können wir dem Wunsche nicht widerstehen, wenn nicht das erste Capitel, so doch die Einleitung dieses Buches daraus zu machen.

Je weiter wir im Leben, je weiter wir in der Kunst vorrücken, desto mehr überzeugen wir uns da»von, daß nichts abgerissen und isoliert ist, daß die Natur und die Gesellschaft einen folge richtigen, nicht einen durch Zufälle bestimmten Gang geht, und daß das Ereigniß, diese heitere oder düstere, wohlriechende oder übelriechende, lächelnde oder traurige Blume, die sich heute unter unsern Augen öffnet, ihre Knospe in der Vergangenheit und ihre Wurzeln vielleicht in alten Tagen hatte, wie sie ihre Frucht in der Zukunft treiben wird.

Solange der Mensch jung ist, nimmt er die Zeit, wie sie kommt: er blickt heiter aus das Gestern zurück, kümmert sich wenig um das Heute und kennt keine Sorge für den nächsten Tag. Die Jugend ist der Frühling mit seiner frischen Morgenröthe und seinen schönen Abenden; zieht manchmal ein Sturm am Himmel aus, so bricht er unter Donner los und ist ebenso rasch vorüber: der Himmel aber blaut noch einmal so schön, die Atmosphäre ist noch einmal so rein und die ganze Natur lächelt freundlicher, denn zuvor.

Wozu an die Ursachen dieses Sturmes denken, der rasch wie eine Laune, ephemer wie eine Phantasie vorübergeht? Ehe wir die Lösung des meteorologischen Räthsels haben, ist der Sturm vorbeigerauscht.

Anders aber ist's mit diesen furchtbaren Phänomen, die gegen Ende des Sommers unserer Ernte drohen, die im Herbste unsere Weinberge belagern: man fragt sich, wohin sie gehen, man kümmert sich darum, woher sie kommen und sucht das Mittel, ihren Schaden abzuwenden.

Für den Denker, für den Geschichtsschreiber, für den Dichter nun liegt ein ganz anderer Stoff tieferen Erwägens in den Revolutionen, diesen Stürmen der socialen Atmosphäre, die die Erde mit Blut bedecken und eine ganze Generation von Menschen vernichten, als in den Stürmen des Himmels, die eine Fruchternte überschwemmen, und eine Weinernte verhageln, das heißt, die Hoffnung eines einzigen Jahres vernichten und ein Unheil anrichten, das, weit gegriffen, das folgende Jahr wieder gut machen kann, wenn der Herr nicht gerade, seine Zornestage hat.

Ehedem würde ich, sei es aus Vergeßlichkeit, sei es aus Gleichgültigkeit, vielleicht auch aus Unwissenheit — glücklich wer da nicht weiß! unglücklich wer da weiß! — ehedem würde ich wohl die Geschichte, die ich meinen Lesern heute mittheilen will, erzählt haben, ohne mich bei dem Orte auszuhalten, wo die erste Scene meines Buches spielt, ich hätte ohne Weiteres diese Scene geschrieben, ich hätte den Süden wie eine zweite Provinz behandelt, Avignon wie eine zweite Stadt genannt.

Aber heute ist das nicht mehr der Fall: ich lebe nicht mehr in den Stürmen des Frühlings, sondern in den Wettern des Sommers und den Ungewittern des Herbstes. Wenn ich heute Avignon nenne, so citire ich ein Gespenst und wie Antonius, als er das Todtentuch von Cäsars Leiche wegnahm, ausrief:

»Hier schaut! fuhr des Cassius Dolch herein: seht, welchen Riß der tück'sche Casca machte! Hier stieß der viel geliebte Brutus durch!« so sage ich, indem ich das blutige Leichentuch der päpstlichen Stadt anblicke: »Hier fließt das Blut der Albigenser, dort das Blut der Camisarden: hier das Blut der

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Republikaner, dort das Blut der Royalisten: hier das Blut Lescuyers, dort das Blut des Marschalls Brune.«

Und ich fühle mich von einer tiefen Trauer erfaßt und beginne zu schreiben: aber bei den ersten Zeilen gewahre ich, daß, ohne mich dessen zu versehen, der Griffel des Historikers in meiner Hand an die Stelle des Romanschreibers getreten.

Nun, wir wollen beides sein: gönne, lieber Leser, die zehn, die fünfzehn, die zwanzig ersten Seiten dem Historiker, die übrigen gehören dem Romanschreiber.

Sagen wir deshalb einige Worte von Avignon, dem Orte, wo die erste Scene des neuen Buches spielt, das wir dem Publikum übergeben.

Vielleicht ist es gut, ehe man liest, was wir davon sagen, einen Blick, aus das zu werfen, was sein nationaler Geschichtschreiber, Franyois Nouguier, davon sagt.

»Avignon,« sagt er, »eine edle Stadt durch ihr Alter, angenehm durch ihre Lage, stolz durch ihre Mauern, lachend durch die Fruchtbarkeit ihrer Ländereien, reizend durch den sanften Charakter ihrer Einwohner, prachtvoll durch ihren Palast, schön durch ihre großen Straßen, bewundernswerth durch die Bauart ihrer Brücke, reich durch ihren Handel und bekannt in der ganzen Welt.«

Der Schatten Franyois Nouguiers möge uns verzeihen, wenn wir seine Vaterstadt nicht mit ganz denselben Augen ansehen.

Die, welche Avignon kennen, werden entscheiden, wer sie richtiger geschildert, der Historiker oder der Romanschreiber.

Die Gerechtigkeit erfordert vor allem festzustellen, daß Avignon eine ganz besondere Stadt ist, das heißt die Stadt der extremsten Leidenschaften: die Epoche religiöser Kämpfe, die in ihr den politischen Haß entzündet, gehört dem 12. Jahrhundert an: die Thäler des Ventoux bargen nach seiner Flucht aus Lyon Pierre de Vaux und seine Waldenser, die Vorfahren jener Protestanten, welche unter dem Namen Albigenser den Grafen von Toulouse viele Verfolgung zuzogen und die sieben Schlösser, welche Raimund IV. in Languedoc besaß, dem Papste eintrugen.

Als mächtige, von Podestas regierte Republik verweigerte Avignon seine Unterwerfung unter den König von Frankreich. Eines Morgens erschien jedoch Ludwig VIII., der es viel einfacher fand, einen Kreuzzug nach Avignon zu unternehmen, wie es Simon von Montfort gethan, als nach Jerusalem zu ziehen, wie Philipp August, eines Morgens sagen wir, erschien Ludwig VIII. vor den Thoren von Avignon und verlangte, die Lanze eingelegt, den Helm aus dem Kopfe, mit flatternden Bannern und schmetternden Kriegstrompeten, Einlaß.

Die Bürger verweigerten ihn: sie boten dem König von Frankreich als äußerste Concession den friedlichen Einlaß an, wenn er das Haupt entblößen, die Lanze im Bügel halten und nur das königliche Banner entfalten wolle. Der König begann die Blocade: diese Blocade dauerte drei Monate, während welcher, sagt der Chronist, die Bürger von Avignon den französischen Soldaten Pfeil mit Pfeil, Wunde mit Wunde, Tod mit Tod bezahlten.

Die Stadt capitulirte endlich. Ludwig VIII. führte in seiner Armee den Cardinallegaten Romain de St. Ange mit sich: dieser dictirte die Bedingungen, ächte Priesterbedingungen, hart und absolut.

Die Bewohner von Avignon wurden dazu verurtheilt, ihre Bollwerke zu demoliren, ihre Gräben aufzufüllen, dreihundert Thürme niederzureißen, ihre Schiffe auszuliefern und ihre Kriegsmaschinen zu verbrennen. Sie mußten außerdem eine ungeheure Contribution bezahlen, die Waldenser Ketzerei abschwören und in Palästina dreißig Bewaffnete vollständig equipirt unterhalten, um zur Befreiung

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des heiligen Grabes mitzuwirken. Um endlich die Vollziehung dieser Bedingungen zu überwachen, von denen die Bulle noch in den Stadtarchiven existirt, wurde eine Brüderschaft von Büßenden gestiftet, die sich durch sechs Jahrhunderte bis aus unsere Zeit erhalten hat.

Im Gegensatz zu diesen Büßenden, welche man die weißen Büßenden nennt, wurde der Orden der schwarzen Büßenden gestiftet, welcher ganz das Gepräge des Oppositionsgeistes des Grafen Raimund von Toulouse trug.

Von diesem Tag schlug der religiöse Haß in politischen Haß um.

Es war für Avignon nicht mehr genug, das Land der Ketzerei zu sein, es mußte der Schauplatz des Schismas werden.

Man erlaube uns in Beziehung aus das französische Rom eine kurze historische Abschweifung;

genau genommen wäre sie hinsichtlich des Vorwurfs, den wir behandeln, nicht nöthig, und vielleicht würden wir besser daran thun, uns mit einem Sprung mitten in das Drama hinein zu versetzen, aber wir hoffen, daß man uns verzeihen wird. Wir schreiben überdies für Solche, welche in einem Roman bisweilen gerne etwas Anderes finden, als Roman.

Im Jahre 1285 bestieg Philipp der Schöne den Thron.

Das Jahr 1285 ist ein Datum von großer historischer Bedeutung. Das Papstthum, das in der Person Gregor VII. dem Kaiser von Deutschland die Stirne bot; das Papstthum, das, materiell von Heinrich IV. besiegt, ihn moralisch unterjochte; das Papstthum wird von einem einfachen sabinischen Edelmann beohrfeigt und der eiserne Handschuh Colonnas machte das Gesicht Bonifacius VIII.

erröthen.

Aber der König von Frankreich, durch dessen Hand die Ohrfeige eigentlich gegeben worden, was hatte er unter dem Nachfolger Bonifacius VIII. zu erwarten?

Dieser Nachfolger war Benedict XI., ein Mann von niederer Herkunft, der jedoch vielleicht ein Mann von Genie gewesen, wenn man ihm die Zeit gegönnt.

Zu schwach, um sich mit Philipp dem Schönen in einen Kampf einzulassen, fand er ein Mittel, um das ihn zweihundert Jahre später der Stifter eines berühmten Ordens beneidet hätte. Er verzieh Colonna großmüthig und öffentlich.

Colonna verzeihen hieß Colonna für schuldig erklären; nur die Schuldigen bedürfen der Verzeihung.

Wenn Colonna schuldig war, so war der König von Frankreich mindestens sein Mitschuldiger.

Es war einige Gefahr dabei, einen solchen Beweis aufrecht zu erhalten; Benedict XI. war auch nur acht Monate Papst.

Eines Tages erschien eine verschleierte Frau, welche sich für eine Convertitin der h. Petronilla von Perouse ausgab, als er gerade bei Tische saß, und überreichte ihm ein Körbchen mit Feigen.

War eine Natter darin verborgen, wie in dem der Cleopatra? Thatsache ist, daß der heilige Stuhl andern Tages vacant wurde.

Damals hatte Philipp der Schöne eine seltsame Idee, so groß, daß sie ihm anfangs wie eine Hallucination erscheinen mußte.

Es war dies die Idee, das Papstthum von Rom nach Frankreich zu ziehen, es an Ketten zu legen, und es Münzen zu seinem Nutzen schlagen zu lassen.

Die Regierung Philipp des Schönen war die Zeit der Ankunft des Goldmessias. Das Gold war der einzige und alleinige Gott dieses Königs, der einen, Papst beohrfeigt. Der h. Ludwig hatte einen

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Priester zum Minister, den würdigen Abt Suger: Philipp der Schöne hatte zwei Banquiers zu Ministern, die beiden Florentiner Biscio und Musciato.

Du erwartest wohl, lieber Leser, wir werden in den philosophischen Gemeinplatz der Verwünschung des Goldes verfallen? Du täuschest Dich!

Im 13. Jahrhundert ist das Gold ein Fortschritt.

Bis dahin kannte man nur die Erde.

Das Gold war die gemünzte Erde, die bewegliche, tauschbare, transportable, theilbare, verfeinerte, so zu sagen vergeistigte Erde.

Solange die Erde nicht ihre Repräsentation im Golde hatte, hatte der Mensch wie der Gott Terminus, dieser Grenzstein der Felder, die Füße in der Erde stecken. Ehedem nahm die Erde den Menschen mit sich fort: jetzt nimmt der Mensch die Erde mit sich fort.

Aber das Gold mußte man von dem Orte heben, wo es lag: und wo es lag, war es ganz anders vergraben, als in den Minen von Chili oder Mexico.

Das Gold- war bei den Juden und in den Kirchen.

Um es aus dieser doppelten Mine zu heben, brauchte es mehr, als einen König, es brauchte einen Papst.

deshalb beschloß Philipp der Schöne, dieser große Schatzgräber, eines Papstes Gunst gewinnen zu wollen.

Benedict XI. war todt, das Conclave in Perugia; die französischen Cardinäle bildeten die Majorität im Conclave.

Philipp der Schöne warf sein Auge auf den Erzbischof von Bordeaux, Bertrand de Got. Er kam mit ihm in einem Walde bei Saint Jean d'Angely zusammen.

Bertrand de Got hütete sich bei der Zusammenkunst zu fehlen.

Sie hörten dort die Messe und als das Sanctissimum erhoben wurde, schwuren sie sich bei dem Gott, den man verherrlichte, absolute Verschwiegenheit.

Bertrand de Got wußte noch nicht, um was es sich handelte.

Als die Messe zu Ende war, sagte Philipp der Schöne zu ihm:

»Erzbischof, es liegt in meiner Macht, Dich zum Papste zu machen.«

Bertrand de Got achtete anfangs nicht darauf, und warf sich dem König zu Füßen.

»Was muß ich thun, um das zu erreichen?« fragte er.

»Mir sechs Gunstbezeugungen erweisen, die ich von Dir verlangen werde,« antwortete Philipp der Schöne.

»Es ist an Dir zu befehlen, und an mir zu gehorchen,« sagte der künftige Papst.

Der Schwur der Dienstbarkeit war geleistet.

Der König erhob sich, küßte ihn auf den Mund und sagte:

»Die sechs Gunstbezeugungen, die ich von Dir verlange, sind folgende:

»Die erste, daß Du mich vollkommen mit der Kirche aussöhnst und daß Du mir die Missethat vergeben lässest, die ich an Bonifaz VIII.begangen:;

»Die zweite, daß Du mir und den Meinigen das Nachtmahl wieder gebest, das der Hof von Rom mir entzogen;

»Die dritte, daß Du mir die Zehnten der Geistlichkeit in meinem Königreich auf fünf Jahre

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zuerkennst, um die im flandrischen Kriege gehabten Unkosten zu decken;

»Die vierte, daß Du das Andenken an Papst Bonifacius VIII, vernichtest und annullirest;

»Die fünfte, daß Du den Messires Jacopo und Pietro de Colonna die Cardinalswürde verleihest;

»Von der sechsten Gunstbezeugung und Versprechung behalte ich mir vor, zur geeigneten Zeit am geeigneten Orte mit Dir zu sprechen.«

Bertrand de Got beschwor die bekannten Versprechungen und Gunstbezeugungen und die unbekannte Versprechung und Gunstbezeugung. Diese letztere, welche der König nicht hinter den andern nennen wollte, war die Aushebung des Templer-Ordens.

Außer dem Versprechen und dem Schwur aus das Corpus Domini gab Bertrand de Got seinen Bruder und zwei seiner Neffen als Geißel.

Der König schwur seinerseits, daß er ihn zum Papst erwählen lassen werde.

Diese Scene, welche an dem Kreuzweg eines Waldes in der Dunkelheit vor sich ging, glich weit mehr einer Beschwörung zwischen einem Zauberer und dem Teufel, als einem Vertrag, den ein König mit einem Papst abschließt.

Die Krönung des Königs, welche einige Zeit später in Lyon stattfand und mit der die Gefangenschaft der Kirche begann, schien Gott wenig zu gefallen.

Im Augenblicke, als der königliche Zug vorüberkam, stürzte eine mit Zuschauern besetzte Mauer zusammen, verwundete den König und tödtete den Herzog von Bretagne.

Der Papst wurde umgeworfen, die Tiara rollte in den Koth.

Bertrand de Got wurde unter dem Namen Clemens V. zum Papste erwählt.

Clemens V. leistete Alles, was Bertrand de Got versprochen hatte.

Philipp wurde für unschuldig erklärt, das Nachtmahl ihm und den Seinen wieder gegeben, der Purpur floß von den Schultern der Colonna, die Kirche wurde verpflichtet, die flandrischen Kriege und den Kreuzzug Philipps von Valois gegen das griechische Kaiserreich zu bezahlen. Das Gedächtnis, Papst Bonifacius VIII. wurde, wenn auch nicht vernichtet und annullirt, so doch beschimpft: die Mauern des Tempels wurden niedergerissen und die Templer aus dem Wallgange des Pont-Neuf verbrannt.

Alle diese Edicte — man hieß sie von dem Augenblick an, da sie die weltliche Macht dictirte, nicht mehr Bullen — alle diese Edicte waren von Avignon datiert.

Philipp der Schöne wurde der reichste König der französischen Monarchie; er besaß einen unerschöpflichen Schatz: es war dies sein Papst. Er hatte ihn gekauft, er bediente sich seiner, er legte ihn unter die Presse, und wie aus einer Presse Most und Wein fließen, so floß aus diesem zerdrückten Papst Gold.

Das Pontificat, das in der Person Bonifacius VIII. beohrfeigt worden war, abdicirte von seiner weltlichen Herrschaft in der Person Clemens V.

Wir haben erzählt, wie der blutige König und der goldene Papst erstanden.

Man weiß, wie sie von hinnen gingen.

Jacob von Molau hatte Beiden von seinem Scheiterhaufen herab ein Jahr bestimmt, in dem sie vor Gott erscheinen sollten. »Der sterbende Greis hat die Gabe einer Sybille,« sagt Aristophanes.

Clemens V. schied zuerst von der Erde: er hatte im Traume seinen Palast brennen sehen.

»Von diesem Augenblicke an,« sagt Baluze, »wurde er traurig und genas nicht mehr.«

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Sieben Monate später kam die Reihe an Philipp; die einen lassen ihn aus der Jagd sterben, von einem Wildschwein umgeworfen. Dante gehört zu diesen. »Der,« sagt er, »den man an der Seine hatte Münzen fälschen sehen, starb von dem Stoß eines Wildschweinzahns.« Aber Guillaume de Nangis läßt den königlichen Falschmünzer eines weit mehr aus das Walten der Vorsehung deutenden Todes sterben.

»Abgezehrt durch eine den Aerzten unbekannte Krankheit starb Philipp,« sagt er, »zum großen Erstaunen aller Welt, ohne daß sein Puls oder sein Urin die Ursache der Krankheit oder die drohende Gefahr verraten hätten.«

»Der ausschweifende König, der tumultuarische König Ludwig X.« sagt Hutin, »folgte seinem Vater Philipp dem Schönen, Johann XXII. Clemens V.«

Avignon wurde damals in der That ein zweites Rom. Johann XXII. und Clemens VI. machten es zur Königin des Luxus. Die Sitten der Zeit machten daraus die Königin der Verschwendung und Üppigkeit. An der Stelle seiner Thürme, welche Romain de St. Ange niedergerissen, umgab Hernandez de Heredi, der Großmeister des Johnnniterordens von Jerusalem, seine Hüfte mit einem Mauergürtel. Die Stadt besaß ausschweifende Mönche, welche die heiligen Umfriedungen der Klöster zu Orten der Liederlichkeit und Ueppigkeit machten: sie besaß schöne Courtisanen, welche die Diamanten aus der Tiara brachen, um sich Arm- und Halsbänder daraus zu machen: endlich hatte sie die Echos von Baucluse, die ihr die süßen und melodiösen Lieder Petrarcas sangen.

Dies dauerte, bis König Karl V., ein kluger und religiöser Fürst, welcher dem Scandal ein Ende zu machen beschlossen, den Marschall von Boucicaut schickte, um den Gegenpapst Benedict XIII. aus Avignon zu vertreiben: bei dem Anblick der Soldaten des Königs von Frankreich erinnerte sich dieser jedoch, daß er, ehe er Papst unter dem Namen Benedict XIII. geworden, Capitän unter dem Namen Peter de Luna gewesen. Fünf Monate vertheidigte er sich, selbst aus den Mauern seines Schlosses die Kriegsmaschinen richtend, welche weit mörderischer waren, als seine päpstlichen Blitze. Endlich zu fliehen gezwungen, entkam er durch ein Schlupfthor aus der Stadt, nachdem er hundert Häuser zerstört, und viertausend Avignoneser getödtet und flüchtete nach Spanien, wo der König von Arragonien ihm ein Asyl bot. Dort segnete er jeden Morgen von ein, Thurme herab, in Gegenwart zweier Priester, aus denen er sein heiliges Collegium gebildet, die Welt, der es darum nicht besser ging, und excommunicirte seine Feinde, denen es darum nicht schlimmer ging.

Als er sich endlich dem Tode nahe fühlte und fürchtete, das Schisma möchte mit ihm aufhören, so ernannte er seine beiden Vicare zu Cardinälen, unter der Bedingung, daß, wenn er gestorben, der eine den andern zum Papst erwähle. Die Wahl ging vor sich. Der neue Papst setzte einen Augenblick, von dem zweiten Cardinal unterstützt, der ihn gewählt, das Schisma fort. Endlich traten beide in Unterhandlung mit Rom, thaten öffentliche Abbitte und kehrten in den Schooß der heiligen Kirche zurück, der eine mit dem Titel eines Erzbischof von Sevilla, der andere mit dem eines Erzbischof von Toledo.

Von diesem Augenblick bis zum Jahre 1790 wurde Avignon, das seine Päpste Verloren hatte, von Legaten und Vice-Legaten regiert: es hatte sieben päpstliche Herrscher, die während siebenmal zehn Jahren in seinen Mauern residiert: es hatte sieben Spitäler, sieben büßende Brüderschaften, sieben Männerklöster, sieben Frauenklöster, sieben Parochieen und sieben Kirchhöfe.

Man begreift, daß jene beiden büßenden Brüderschaften, von denen die eine die Ketzerei, die andere die Orthodoxie, die eine die französische Partei, die andere die römische Partei, die eine die

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absolut Monarchisch gesinnten, die andere den constitutionellen Fortschritt repräsentierte, nicht die Elemente des Friedens und der Sicherheit für die alte päpstliche Stadt waren; man begreift, sagen wir, daß in dem Augenblicke, wo in Paris die Revolution losbrach und diese Revolution sich durch die Einnahme der Bastille manifestirte, die beiden Parteien, welche noch von den Religionskriegen unter Ludwig XIV. glühten, nicht unthätig gegenüber von einander blieben.

Für die, welche Avignon kennen, gab es zu jener Zeit und gibt es noch zwei Städte in der Stadt: die Stadt der Geistlichen, das heißt die römische Stadt, und die Stadt der Handeltreibenden, das heißt die französische Stadt.

Die Stadt der Priester mit ihrem päpstlichen Palaste, ihren hundert Kirchen, ihren zahllosen Glocken, welche stets bereit sind, die Brandrufe und das Todtengeläute des Mords ertönen zu lassen.

Die Stadt der Handeltreibenden mit ihrer Rhone, ihren Seidenfabrikarbeitern und ihrem Transit, der von Nord nach Süd, von West nach Ost, von Lyon nach Marseille, von Nimes nach Turin geht.

Die französische Stadt war die verfluchte Stadt, eifersüchtig darauf, einen König zu haben, neidisch aus neue Freiheiten: sie zitterte bei dem Gedanken, ein sclavisches Gebiet, ein Priestergebiet zu sein; das die Geistlichkeit zu Herren hätte.

Die Geistlichkeit, nicht die Geistlichkeit, wie es welche zu allen Zeiten in der römischen Kirche gab und wie wir sie heute kennen: fromm, tolerant, streng im der Pflicht und der christlichen Liebe festhaltend, nur in der Welt lebend, um sie zu trösten und zu erbauen, ohne sich in ihre Freuden oder ihre Leidenschaften zu mischen; sondern die Geistlichkeit, wie sie durch die Intrigue, den Ehrgeiz und die Begierde geworden, das heißt, jene Hofabbés, die Rivalen der römischen Abbés, müßige Libertins, kecke Elegants, Könige der Mode, Autokraten des Salons, welche die Hand der Damen küßten, deren Cicisbeos zu sein sie sich die Ehre gaben und ihre Hände den Frauen aus dem Volke reichten, denen sie die Ehre erwiesen, sie zu Maitressen zu nehmen.

Will der Leser einen Typus jener Abbés haben, so nehme er den Abbé Maury. Stolz wie ein Herzog, anmaßend wie ein Lakai, Sohn eines Schusters und aristokratischer, als der Sohn eines großen Herrn.

Wir nannten Avignon eine Priesterstadt, fügen wir noch hinzu, eine Stadt des Hasses. Nirgends lernt man mehr, als in den Klöstern hassen. Das Herz des Kindes, das überall sonst rein von bösen Leidenschaften ist, ward hier voll Haß geboren, der sich seit achthundert Jahren vom Vater aus den Sohn vererbt, und nach einem Leben voll Haß vermachte der Vater die ganze diabolische Erbschaft wieder seinen Kindern.

Beim ersten Schrei der Freiheit, welchen Frankreich aufstieß, erhob sich die französische Stadt voll Freude und Hoffnung; der Augenblick war endlich für sie gekommen, laut die von einer jungen minorennen Königin, die ihre Sünden abkaufen wollte, geschehene Auslieferung einer Stadt, einer Provinz und mit ihr, einer halben Million Seelen streitig zu machen. Mit welchem Rechte waren diese Seelen in aeternum an den härtesten und habgierigsten Herrn, den römischen Stuhl, verkauft worden?

Frankreich versammelte sich aus dem Marsfelde in brüderlicher Umarmung der Föderation. War es nicht Frankreich? Man ernannte Abgesandte, diese begaben sich zum Legaten und baten ihn ehrerbietig zu gehen.

Man gönnte ihm vierundzwanzig Stunden, um die Stadt zu verlassen.

Während der Nacht machten sich die Papisten den Spaß, einen Gliedermann mit der dreifarbigen Concarde an den Galgen zu hängen.

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Man leitet die Rhone, man canalisirt die Durance, man baut den wilden Sturzbächen, die beim Schneegang sich in flüssigen Lawinen von den Höhen des Vertoux herabstürzen, Dämme. Aber diese furchtbare Strömung, diesen lebendigen Strom, diesen menschlichen Sturzbach, der den jähen Abhang der Straßen von Avignon hinabbraust, hat, nachdem er einmal losgelassen war und dahin stürzte, selbst Gott nicht versucht, zu hemmen.

Beim Anblick des Gliedermanns mit den Nationalfarben, der am Ende eines Strickes baumelte, erhob sich die französische Stadt wie ein Mann und stieß ein lautes Wuthgeschrei aus. Vier dieses Vergehens verdächtige Papisten, zwei Marquis, ein Bürger und ein Arbeiter wurden aus ihren Häusern herausgerissen und an die Stelle des Gliedermanns gehängt.

Es war am 11. Juni 1790.

Die ganze französische Stadt schrieb an die Nationalversammlung, daß sie sich Frankreich unterwerfe: und mit ihr die Rhone, ihr Handel, der Süden, die Hälfte der Provence.

Die Nationalversammlung hatte einen ihrer reactionären Tage, sie wollte sich nicht mit dem Papste brouilliren, sie schonte den König: sie vertagte die Sache. Von Diesem Augenblick war die Bewegung von Avignon eine Empörung und der Papst konnte aus Avignon machen, was der Hof nach der Einnahme der Bastille aus Paris gemacht, wenn die Nationalversammlung die Proclamation der Menschenrechte vertagt hätte.

Der Papst befahl alles zu annulliren, was in der Grafschaft Venaissin geschehen war, die Privilegien des Adels und der Geistlichkeit wieder herzustellen, und die Inquisition in ihrer ganzen Strenge wieder einzuführen.

Die päpstlichen Decrete wurden angeschlagen.

Ein einziger Mann wagte es, am hellen Tage, im Angesichte Aller, gerade aus die Mauer zuzugehen, wo das Decret angeklebt war und es abzureißen.

Er hieß Lescuyer.

Er war kein junger Mann: ihn riß nicht das Ungestüm der Jugend hin. Nein, es war beinahe ein Greis, der nicht mal aus diesem Lande, sondern ein Franzose, Picarde, war, ein feuriger und doch zugleich bedächtiger Charakter: ein ehemaliger Notar, der sich vor langer Zeit in Avignon niedergelassen.

Es war ein Verbrechen, welches das römische Avignon nicht vergaß.

Ein Verbrechen so groß, daß die h, Jungfrau darüber weinte.

Ihr wißt, Avignon ist bereits Italien, Es braucht um jeden Preis Wunder und wenn Gott keine thut, so findet sich sicher Jemand, der welche ersinnt. Und dann muß das Wunder ein Wunder der heiligen Jungfrau sein. Die heilige Jungfrau ist alles für Italien, dieses poetische Land. Ja Madonna! Der ganze Geist, das ganze Herz, die ganze Sprache der Italiener ist voll von diesen zwei Worten.

In der Eglise des Cordeliers geschah dies Wunder.

Die Masse strömte hinzu.

Es war viel, daß die Jungfrau weinte, aber es verbreitete sich zu gleicher Zeit ein Gerücht, das die Masse in Aufregung versetzte: eine große Kiste war durch die Stadt geführt worden: diese Kiste hatte die Neugierde der Bewohner von Avignon rege gemacht. Was konnte sie enthalten?

Zwei Stunden später war es nicht mehr eine Kiste, von der man sprach: sondern achtzehn Kisten, die man nach der Rhone hatte bringen sehen.

Was für Effecten sie enthielten, hatte ein Lastträger verrathen: es waren die Effecten des

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Leihhauses, welche die französische Partei mit sich nahm, indem sie sich von Avignon verbannte.

Die Effecten des Leihhauses, das heißt die abgelegten Kleider der Armen.

Je ärmer eine Stadt ist, desto reicher ist das Leihhaus. Wenige Leihhäuser konnten sich rühmen, so reich zu sein, als das von Avignon.

Es war nicht mehr eine Ansichtssache, sondern ein Diebstahl und zwar ein infamer Diebstahl.

Weiße und Rothe liefen nach der Eglise des Cordeliers und schrieen, die Municipalität müsse ihnen Rechenschaft ablegen.

Lescuyer war der Secretär der Municipalität.

Sein Name wurde unter die Menge geworfen, nicht als der, welcher die beiden päpstlichen Decrete abgerissen, — dann hätte er augenblicklich Vertheidiger gehabt — sondern als der, welcher den Befehl an den Beamten des Leihhauses unterzeichnet, daß man die Effecten abgebe.

Man schickte vier Männer fort, welche Lescuyer ergreifen und nach der Kirche bringen sollten.

Man fand ihn aus der Straße, aus dem Wege nach dem Rathhause; die vier Männer warfen sich aus ihn und schleppten ihn unter wildem Geschrei nach der Kirche.

Dort angekommen, sah Lescuyer an den flammenden Blicken, die aus ihn geheftet waren, an den ausgestreckten Fäusten, die ihm drohten, an dem Geschrei, das seinen Tod forderte, daß er in einem der Höllenkreise sei, welche Dante vergessen.

Der einzige Gedanke, der ihm kam, war, daß der gegen ihn sich empörende Haß durch die Verstümmlung der päpstlichen Anschläge veranlaßt sei; er bestieg die Kanzel und wollte sich eine Tribüne daraus machen. Mit der Stimme eines Mannes, der sich nicht nur nichts vorzuwerfen hat, sondern bereit, ist, von Neuem zu beginnen, sagte er:

»Meine Brüder, ich hielt die Revolution für nothwendig; demzufolge handelte ich mit all' meiner Macht . . . «

Die Fanatiker begriffen, daß, wenn Lescuyer sich erklärte, er gerettet war.

Das war's nicht, was sie brauchten. Sie warfen sich aus ihn, rissen ihn von der Tribüne, stießen ihn unter die brüllende Menge, welche ihn nach dem Altar schleppte, indem sie jenes furchtbare Geschrei aufstieß, welches die Mitte hält zwischen dem Pfeifen der Schlange und dem Gebrüll des Tigers, jenes mörderische Zu! Zu!, das dem Avignoneser Volke eigenthümlich ist.

Lescuyer kannte diesen unheilvollen Schrei; er suchte sich an den Fuß des Altars zu retten.

Er flüchtete sich nicht dahin, er stürzte vielmehr daran nieder.

Ein Polstermacher, der mit einem Stocke bewaffnet war, hatte ihm eben einen so heftigen Schlag damit aus den Kopf versetzt, daß der Stock in zwei Stücke zerbrochen war.

Man stürzte sich nun aus den armen Leichnam, und mit jener Mischung von Wildheit und Lustigkeit, welche den Völkern des Südens eigenthümlich ist, begannen die Männer singend ihm auf dem Bauch herumzutanzen, während die Frauen, zur Sühne der Blasphemien, die er gegen den Papst ausgestoßen, ihm mit ihren Scheeren die Lippen abschnitten oder besser gesagt, festonnirten.

Und aus dieser Masse der Wüthenden drang ein Geschrei oder vielmehr ein Röcheln hervor; dieses Röcheln sagte:

»Im Namen des Himmels! im Namen der Jungfrau! im Namen der Menschlichkeit! macht doch ein Ende mit mir!«

Dieses Röcheln wurde gehört: wie aus einen Wink entfernten sich die Mörder.

Man ließ den Unglücklichen blutend, entstellt, zerstoßen seinen Todeskampf langsam auskosten.

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Er dauerte fünf Stunden, während welcher dieser arme Leichnam unter dem Gelächter, den Beschimpfungen und Verspottungen der Menge aus den Stufen des Altars zuckte.

So mordet man in Avignon.

Aber man höre, es gibt noch eine andere Art.

Ein Mann von der französischen Partei hatte die Idee, aus das Leihhaus zu gehen und sich zu erkundigen, wie es dort stand.

Alles war in bester Ordnung: es war kein silbernes Besteck von dort weggekommen.

Also nicht als Mitschuldigen an einem Diebstahl, sondern als Patrioten hatte man Lescuyer so grausam hingemetzelt.

Er war zu jener Zeit ein Mann in Avignon, der mit dem Volke nach Belieben schaltete und waltete.

All diese furchtbaren Rädelsführer des Südens haben eine so traurige Berühmtheit erlangt, daß es genügt, sie nur zu nennen, und selbst der Unbelesenste wird sie kennen.

Dieser Mann hieß Jourdan.

Ein Großsprecher und Lügner, hatte er die Leute vom unteren Volke glauben gemacht, daß er es sei, der dem Commandanten der Bastille den Hals abgeschnitten.

Man nannte ihn deshalb auch Jourdan Coupetéte.

Dies war nicht sein Name: er hieß eigentlich Matthieu Jouve. Er war kein Provencale, sondern aus Puy - en – Belay. Er war anfangs Maulthiertreiber aus den rauhen Höhen um seine Geburtsstadt gewesen, dann Soldat ohne Krieg — der Krieg hätte ihn vielleicht menschlicher gemacht; — zuletzt Schenkwirth in Paris.

In Avignon war er Krapphändler.

Er sammelte dreihundert Männer, bemächtigte sich der Thore der Stadt, ließ dort die Hälfte seiner Truppe, und mit dem Rest marschierte er nach der Eglise des Cordelieres, während zwei Kanonen voran fuhren.

Er stellte diese vor der Kirche aus und schoß ins Blaue hinein.

Die Mörder zerstreuten sich wie ein Flug aufgescheuchter Vögel, indem sie einige Todte aus den Stufen der Kirche zurückließen.

Jourdan und seine Leute schritten über die Leichen weg und betraten den heiligen Ort.

Hier war nur die heilige Jungfrau und der unglückliche Lescuyer zurückgeblieben, welcher noch athmete.

Jourdan und seine Kameraden hüteten sich wohl, Lescuyer den Garaus zu machen; sein Todeskampf war ein ausgezeichnetes Mittel zur Aufwiegelung. Sie nahmen diesen Rest von Leben, diese drei Viertel Leichnam und trugen ihn blutend, keuchend und röchelnd hinaus.

Jedermann floh bei diesem Anblick und schloß Thüren und Fenster.

Nach Verfluß einer Stunde waren Jourdan und seine drei Hundert Herren der Stadt.

Lescuyer war todt, aber das hatte wenig zu sagen: man brauchte seinen Todeskampf nicht mehr.

Jourdan benützte, den Schrecken, den er der Stadt eingejagt, und verhaftete oder ließ vielmehr achtzig Personen ungefähr verhaften, die Mörder oder wenigstens die angeblichen Mörder Lescuyers.

Dreißig vielleicht hatten nicht mal den Fuß in die Kirche gesetzt; findet man jedoch eine gute Gelegenheit, sich seiner Feinde zu entledigen, so muß man sie benützen, denn die guten Gelegenheiten sind selten.

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Diese achtzig Personen wurden in dem Trouillasthurm aufgeschichtet.

Man hat ihn geschichtlich »Tour de la Glaciére« genannt.

Weshalb den Namen Trouillasthurm ändern? Der Name ist schmutzig und paßt vortrefflich für die schmutzige Handlung, die dort begangen worden.

Er war der Schauplatz der inquisitionellen Tortur.

Heute noch sieht man dort an den Wänden den fetten Ruß, der mit dein Rauch von dem Holzstoße aufstieg, aus welchem die menschlichen Leiber verbrannt wurden: heute noch zeigt man Dir das sorgfältig aufbewahrte Handwerkszeug der Folter: den Kessel, den Ofen, den spanischen Bock, die Ketten, die Fallthüren, und es fehlt nichts, bis herab zu den alten Gebeinen.

In diesem von Clemens V. gebauten Thurme schloß man die achtzig Gefangenen ein.

Nachdem man diese Achtzig zu Gefangenen gemacht und eingeschlossen, war man in großer Verlegenheit: was mit ihnen anfangen.

Durch wen sie aburtheilen lassen?

Es gab kein legal zusammengesetztes Tribunal, als die Tribunale des Papstes.

Die Unglücklichen umbringen lassen, wie sie Lescuyer umgebracht?

Wir sagten bereits, daß ein Drittheil, vielleicht sogar die Hälfte nicht nur keinen Theil an dem Meuchelmord genommen, sondern nicht mal den Fuß in die Kirche gesetzt.

Sie hinrichten lassen? Das Gemetzel würde als Repressalie gelten.

Aber um diese achtzig Personen hinzurichten, brauchte man eine gewisse Anzahl von Henkern.

Eine Art von Tribunal, das Jourdan improvisirt, hielt seine Sitzungen in einem der Säle des Palastes: es hatte einen Gressier mit Namen Raphel, einen Präsidenten, der halb Italiener, halb Franzose war, einen Redner im Volkspatois, mit Namen Barbe-Savournin de la Roua; dann drei oder vier arme Teufel, einen Bäcker, einen Speckhändler, die Namen verlieren sich bei der untergeordneten Stellung.

Das waren die Menschen, welche riefen:

»Man muß sie alle umbringen; wenn ein Einziger entkäme, würde er als Zeuge dienen.«

Aber wie wir sagten, die Henker fehlten.

Man hatte kaum zwanzig Menschen im Hofe zur Verfügung, sie gehörten alle den unteren Volksklassen von Avignon an: ein Perückenmacher, ein Damenschuhmacher, ein Seifensieder, ein Maurer, ein Tischler; alle kaum, wie es eben der Zufall fügte, bewaffnet. Der Eine mit einem Säbel, der Andere mit einem Bayonnet, Dieser mit einer Eisenstange, Jener mit einem am Feuer gehärteten Stück Holz.

Alle diese Menschen waren von einem seinen Octoberregen durchfröstelt.

Es war schwer, aus diesen Leuten Mörder zu machen.

Wohl! aber dem Teufel ist nichts schwer.

Es gibt in solchen Zeiten eine Stunde, wo es ist, als wenn Gott das Vaterland verließe.

Dann kommt der Teufel an die Reihe.

Der Teufel trat in Person in diesen kalten und schmutzigen Hof.

Er hatte die Gestalt und das Aeußere eines einheimischen Apothekers Namens Mendes angenommen; er stellte einen von zwei Laternen beleuchteten Tisch aus; diesen bedeckte er mit Gläsern, Kannen, Krügen und Flaschen.

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Welcher Art war das höllische Gebräu, das in diesen geheimnißvollen Gefäßen mit den bizarren Formen verschlossen war? Man weiß es nicht, aber die Wirkung kennt man wohl.

Alle, welche von der diabolischen Flüssigkeit tranken, fühlten sich plötzlich von einer fieberhaften Wuth, von einem Mord- und Blutdurst ergriffen.

Nun brauchte man ihnen nur noch die Thüre zu zeigen, sie stürzten sich von selbst in das Gefängnis.

Die Metzelei dauerte die ganze Nacht; die ganze Nacht hindurch hörte man Schreien, Jammern und Todesröcheln durch die Dunkelheit dringen.

Man metzelte und erwürgte Alles, Männer und Frauen: die Schlächter waren, wie wir sagten, berauscht und schlecht bewaffnet.

Aber es gelang ihnen doch.

Inmitten der Schlächter machte sich ein Kind durch seinen unbändigen Blutdurst bemerkbar.

Es war der Sohn von Lescuyer.

Er mordete und mordete in einem fort: er rühmte sich, ganz allein, mit seiner kindlichen Hand, zehn Männer und vier Frauen gemordet zu haben.

»O, ich kann morden, wie ich will,« sagte er, »ich bin noch nicht fünfzehn Jahre, man wird mir nichts anhaben.«

Wie man mordete, so warf man Todte und Verwundete, Leichen und Lebendige in den Hof des Trouillasthurms: sie fielen sechzig Fuß hoch herunter: die Männer wurden zuerst hinabgeschleudert, dann die Frauen. Die Mörder brauchten Zeit, um die Leichen derjenigen, welche jung und hübsch waren, zu schänden.

Um neun Uhr Morgens, nach einer zwölfstündigen Metzelei, rief eine Stimme aus der Tiefe dieses Grabes:

»Habt Gnade! macht ein Ende mit mir, ich kann nicht sterben.«

Ein Mann, der Waffenschmied Bouffier, beugte sich über die Brüstung hinab: die Andern wagten es nicht.

»Wer ruft denn?« fragten sie.

»Es ist Lami,« antwortete Bouffier.

Und als er wieder unter die Uebrigen getreten war, fragten sie:

»Nun, was hast Du da drunten gesehen?«

»Eine drollige Marmelade,« sagte er, »alles durcheinander, Männer und Frauen, Priester und hübsche Mädchen, 's ist um vor Lachen zu bersten.«

»Der Mensch ist wahrhaftig eine garstige Raupe,« sagte der Graf von Monte-Christo zu Herrn von Villefort! . . .

Nun, in diese von den jüngsten Metzeleien noch blutende, noch heiße, noch aufgeregte Stadt wollen wir die beiden Hauptpersonen unserer Geschichte einführen.

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A

Erste Abtheilung.

I.

Die Table d'Hôte.

m 9. October des Jahres 1799, an einem schönen Tage jenes südlichen Herbstes, der an beiden Enden der Provence die Orangen von Hyéres und die Trauben von Saint-Peray reisen läßt, fuhr eine mit drei Postpferden bespannte Calesche gestreckten Trabes über die Brücke der Durance zwischen Cavailhon und Chateau Renard, aus dem Wege nach Avignon, der alten päpstlichen Stadt, welche ein Decret vom 25. Mai 1791, acht Jahre vorher, mit Frankreich vereinigt hatte, eine Vereinigung, die durch den im Jahre 1797 zu Tolentino zwischen dem General Bonaparte und dem Papst Pius VI. abgeschlossenen Tractat bestätigt wurde.

Der Wagen fuhr durch das Aixthor und durchschnitt die Stadt mit den schmalen und winkligen Straßen, welche zugleich gegen den Wind und gegen die Sonne gebaut ist, ohne den geringsten Aufenthalt in ihrer ganzen Länge, bis sie endlich fünfzig Schritte von dem Qullethor am Hotel du Palais-Egalite hielt, das man nach und nach wieder das Hotel du Palais-Royal zu nennen begann, ein Name, den es ehedem geführt und den es noch heute führt.

Diese wenigen scheinbar unbedeutenden Worte bezüglich des Namens dieses Hotels, vor welchem die Postchaise hielt, aus die wir unsere Augen gerichtet haben, deutet ziemlich klar den Zustand an, in welchem sich Frankreich unter der Regierung der Thermidor-Reaction befand, welche man das Directorium nannte.

Nach dem revolutionären Kampfe, welcher, vom 14. Juli 1739 bis zum 9. Thermidor 1794 gedauert; nach den Tagen des 5. und 6. October, des 21. Juni, des 10. August, des 2. und 3.

September, des 21. Juni, des 31. Mai und des 5. April; nachdem man das Haupt des Königs und seiner Richter, der Königin und ihres Anklägers, der Girondisten und Cordeliers, der Moderirten und Jakobiner hatte fallen sehen, empfand Frankreich den furchtbarsten und ekelhaftesten Ueberdruß, den es gibt, den Ueberdruß an Blut!

Es war davon zurückgekommen und fühlte die Sehnsucht, wenn auch nicht nach dem Königthum, so doch den Wunsch nach einer starken Regierung, in die es sein Vertrauen setzen, aus die es sich stützen könnte, die für das Land handelte und ihm erlaubte, auszuruhen, während es handelte.

An der Stelle dieses unbestimmten Wunsches hatte es nun das schwache und unentschlossene Directorium, das im Augenblick aus dem üppigen Barras, dem intriguanten Sieyes, dem tapferen Monlin, dem unbedeutenden Roger Ducos und dem ehrenwerthen, aber etwas zu naiven Gohier bestand.

Daraus ergab sich eine mäßige Würde nach außen und eine sehr angreifbare Ruhe nach Innen.

Allerdings begannen in dem Augenblick, bei dem wir angekommen sind, unsere Armeen, die sich während der epischen Feldzüge von 1796 und 1797 mit Ruhm bedeckt und nun durch die Unfähigkeit Scherers in Verona und Cassano und durch die Niederlage und den Tod Jouberts in Novi einen Augenblick zurückgedrängt waren, wieder die Offensive zu ergreifen. Moreau schlug Suwaroff bei Bassignano, Brune den Herzog von York und den General Hermann bei Bergen, Massena vernichtete

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die Austro-Russen bei Zürich, Korsakoff rettete sich mit großer Mühe und der Oesterreicher Hotze wurde mit drei anderen Generalen getödtet und fünf wurden zu Gefangenen gemacht.

Massena rettete Frankreich bei Zürich, wie es neunzig Jahre früher Villars bei Denain gerettet.

Ader im Innern standen die Sachen nicht so gut und die Directorial-Regierung war, muß man gestehen, in großer Verlegenheit zwischen dem Krieg in der Vendée und den Räubereien im Süden, denen wie gewöhnlich die Avignoneser Bevölkerung durchaus nicht fremd geblieben.

Ohne Zweifel hatten die beiden Reisenden, welche aus der am Hotel du Palais-Royal haltenden Postchaise stiegen, einigen Grund, die Stimmung zu fürchten, in der sich die noch immer aufgeregte Bevölkerung der päpstlichen Stadt befand, denn kurz nach Orgon, an dem Punkte, wo sich dem Reisenden drei Wege bieten, von denen der eine nach Nismes, der andere nach Carpentras, der dritte nach Avignon führt, hatte der Postillon seine Pferde angehalten und gefragt:

»Gehen die Citoyens über Avignon oder Carpentras?«

»Welches ist der kürzeste Weg?« fragte der ältere der beiden Reisenden, der, obgleich sichtbar einige Monate älter, kaum dreißig Jahre zählte, in kurzem und scharfem Tone.

»O! die Route über Avignon ist kürzer, um mindestens anderthalb Meilen.«

»Dann wollen wir die Route über Avignon einschlagen,« hatte jener geantwortet.

Und der Wagen fuhr wieder in einem Galopp, welcher andeutete, daß die aus der Reise begriffenen Citoyens, wie sie der Postillon nannte, obgleich die Bezeichnung »Herr« in der Conversation wieder zur Geltung kam, mindestens dreißig Sous Trinkgeld bezahlten.

Derselbe Wunsch, keine Zeit zu verlieren, machte sich auch beim Eintritt in das Hotel geltend.

Es war immer der ältere der beiden Reisenden, welcher, hier wie auf dem Wege, das Wort führte.

Er fragte, ob man rasch speisen könne, und die Art, wie dies Verlangen vorgebracht wurde, zeigte, daß er über vielerlei gastronomische Forderungen wegsehen wolle, wenn nur das verlangte Essen rasch servirt würde.

»Citoyens,« antwortete der Wirth, der beim Geräusch des Wagens mit der Serviette in der Hand dem Reisenden entgegengeeilt war, »Sie sollen rasch und gut aus Ihrem Zimmer servirt werden: wenn ich mir jedoch erlauben dürfte, Ihnen einen Rath zu geben . . . «

Er zögerte.

»O, geben Sie, geben Sie!« sagte der jüngere der Reisenden, der zum ersten Mal das Wort nahm.

»Nun, so meinte ich, Sie würden besser daran thun, einfach an der Table d'Hôte zu speisen, wie es der Reisende macht, den dieser bereits vollständig eingespannte Wagen erwartet: das Diner dort ist ausgezeichnet und bereits servirt.«

Der Wirth deutete zu gleicher Zeit auf einen außerordentlich comfortabel eingerichteten und wirklich mit zwei Postpferden bespannten Wagen: diese scharrten mit den Füßen, während der Postillon mit der größten Geduld aus dem Fenstergesims eine Flasche Cahorswein leerte.

Die erste Bewegung Dessen, an den dieses Anerbieten gerichtet wurde, war ablehnend: indeß nach wiederholter Ueberlegung machte der ältere der beiden Reisenden, als wenn er aus seinen ersten Entschluß zurückkäme, ein fragendes Zeichen gegen seinen Begleiter.

Dieser antwortete mit einem Blicke, welcher sagen wollte:

»Sie wissen wohl, daß ich zu Ihrem Befehle bin.«

»Nun, es sei,« sagte der, welcher bestimmt schien, die Initiative zu ergreifen, »wir werden an der lable d'Hôte speisen.«

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Dann wandte er sich nach dem Postillon um, der abgezogenen Hutes seine Befehle erwartete.

»In einer halben Stunde spätestens müssen die Pferde am Wagen sein.«

Der Wirth zeigte ihnen den Speisesaal und sie traten ein, der ältere der Beiden ging voran der Andere folgte.

Man kennt den Eindruck, den gewöhnlich zwei neue Ankömmlinge an einer Table d'Hôte hervorbringen. Aller Blicke waren nach ihnen gerichtet. Das Gespräch, das ziemlich belebt schien, wurde unterbrochen.

Die Tischgesellschaft bestand aus einigen Stammgästen des Hotels, dem Reisenden, dessen Wagen eingespannt vor der Thüre hielt, einem Weinhändler von Bordeaux, der sich aus Gründen, die wir später mittheilen werden, augenblicklich in Avignon aushielt, und einer Anzahl Reisender, welche mit der Diligence von Marseille nach Lyon gingen.

Die Neu ankommenden begrüßten die Gesellschaft mit einem leichten Nicken des Kopfes und setzten sich an das Ende des Tisches, indem sie sich aus diese Weise durch einen Zwischenraum von drei bis vier Couverts von den andern Gästen absonderten.

Diese Art von aristokratischer Zurückhaltung verdoppelte die Neugier, deren Gegenstand sie waren; überdies fühlte man, daß man es mit Personen von unbestreitbarer Distinction zu thun habe, obgleich ihre Kleidung von der größten Einfachheit war.

Beide trugen Stulpstiefeln mit kurzen Hosen, einen Frack mit langen Schößen, einen Reiseüberrock und einen Hut mit breiter Krempe. — die Tracht beinahe aller jungen Leute zu jener Zeit; was sie jedoch von den Elegants von Paris und selbst der Provinz unterschied, das waren ihre langen und glatten Haare und ihre schwarze militärisch um den Hals geschlungene Cravatte.

Die Muscadins, — so nannte man damals die jungen Modeherren, — die Muscadins trugen die an beiden Schläfen herabhängenden bauschigen Hundsohren, die Haare waren in den Nacken zurück gestrichen und in der weiten Cravatte mit langen fliegenden Zipfeln begrub sich das Kinn.

Einige trieben die Reaction bis aufs Aeußerste.

Das Porträt der beiden jungen Leute bot zwei vollkommen entgegengesetzte Typen.

Der Aeltere von beiden, der, wie mir bemerkten, mehrmals die Initiative ergriffen, und dessen Stimme, selbst in ihren vertraulichsten Tönen, die Gewohnheit des Befehlens bekundete, war, wie gesagt, ein Mann von ungefähr dreißig Jahren mit schwarzen mitten aus der Stirne getheilten Haaren, welche glatt und lang an den Schläfen herab bis aus die Schultern fielen. Er hatte den sonnverbrannten Teint des Mannes, der in den südlichen Ländern gereist ist, dünne Lippen, eine gerade Nase, weiße Zähne und jene Falkenaugen, welche Dante dem Cäsar gibt.

Seine Gestalt war eher klein, als groß, seine Hand war zart, sein Fuß sein und elegant: in seinem Benehmen lag eine gewisse Gene, welche daraus deutete, daß er in diesem Augenblick eine Tracht trage, an die er nicht gewöhnt war, und wenn er sprach, hätte sein Mitunterredner, falls man an den Ufern der Loire und nicht an den Usern der Rhone sich befunden, bemerken können, daß er in seiner Aussprache einen gewissen italienischen Accent hatte.

Sein Begleiter schien drei bis vier Jahre jünger, als er.

Es war ein schöner junger Mann mit rosigem Teint, blonden Haaren, hellblauen Augen, einer starken und geraden Nase, und einem vortretenden, aber beinahe bartlosen Kinn. Er mochte zwei Zoll größer sein, als sein Begleiter, und obgleich von einem etwas über mittelgroßen Wuchse, schien er doch so gut proportionirt gebaut, so erstaunlich ungezwungen und leicht in allen seinen Bewegungen,

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daß man vermuthete, er müsse von einer ungewöhnlichen, wenn auch nicht Kraft, so doch Gelenkigkeit und Gewandtheit sein.

Obgleich er ganz ebenso gekleidet war, und sich aus vollkommen gleichem Fuße präsentirte, schien er doch für den braunen jungen Mann eine tiefe Ehrerbietung zu hegen, und da diese nicht durch das Alter hervorgerufen sein konnte, so datierte sie ohne Zweifel von der untergeordneteren gesellschaftlichen Stellung. Außerdem nannte er ihn Citoyen, während sein Begleiter ihn einfach Roland anredete.

Diese Bemerkungen, welche wir machen, um dem Leser einen tieferen Blick in unsere Erzählung zu gönnen, wurden wahrscheinlich von den Gästen der Table d'Hôte nicht auch in ihrer ganzen Ausdehnung gemacht, denn nachdem man den Neuankommenden einige Secunden Aufmerksamkeit geschenkt, wandten sich die Blicke wieder von ihnen ab und das Gespräch, das einen Augenblick unterbrochen war, nahm wieder seinen Lauf.

Man muß gestehen, daß es sich unfeinen für Reisende äußerst interessanten Gegenstand drehte; es handelte sich um den Angriff aus eine Diligence, welche eine der Regierung gehörende Summe von sechzigtausend Franken mit sich führte. Der Angriff war am Tage vorher aus der Straße von Marseille nach Avignon, zwischen Lambesq und Pont-Royal geschehen.

Bei den ersten Worten, die weiter über das Ereignis, gesprochen wurden, lauschten die beiden jungen Leute mit dem größten Interesse.

Das Ereigniß war aus dem gleichen Wege vorgefallen, den sie zu machen im Begriffe standen, und der, welcher es erzählte, war einer der Hauptbetheiligten bei dem Landstraßenschauspiel.

Es war der Bordeaux-Weinhändler.

Die, welche sich am neugierigsten nach den Einzelheiten erkundigten, waren die Reisenden der Diligence, die so eben angekommen und ehestens wieder abfahren wollten. Die andern Gäste, das heißt die Stammgäste, schienen so sehr aus dem Laufenden mit derartigen Catastrophen, daß sie selbst Einzelheiten erzählen konnten, statt welche sich mittheilen zu lassen.

»Sie sagen also, Citoyen,« fragte ein dicker Herr, an den sich in ihrem Schrecken eine große, hagere und magere Frau drängte, »Sie sagen also, daß der Diebstahl auf dem Wege begangen wurde, den wir so eben zurückgelegt? . . . «

»Ja, Citoyen: zwischen Lambesq und Pont-Royal haben Sie wohl einen Punct bemerkt, wo die Straße auswärts steigt, und sich zwischen zwei Hügeln einzwängt? Es sind dort eine Menge Felsen.«

»Ja, ja, mein Freund,« sagte die Frau, indem sie den Arm ihres Mannes fester drückte, »ich habe den Ort wohl bemerkt und sogleich gesagt, wie Du Dich erinnern mußt:,Das ist eine gefährliche Stelle, ich bin froh, daß wir den Weg bei Tage, und nicht bei Nacht machen.«

»O, Madame,« sagte ein junger Mann, der mit seiner Stimme das schnarrende Sprechen jener Epoche affectirte, und der in gewöhnlichen Zeiten an der Table d'Hôte das große Wort führte, »wir wissen, daß es für die Herren Genossen Jehus weder Tag noch Nacht gibt.«

»Wie, Citoyen,« fragte die Dame noch erschrockener, »am hellen Tage wurden Sie angegriffen?«

»Am hellen Tage, Citoyenne, Morgens zehn Uhr.«

»Und wie viel waren ihrer?« fragte der dicke Herr.

»Vier, Citoyen.«

»Sie hatten sich am Wege in den Hinterhalt gelegt?«

»Nein, sie kamen, zu Pferde, und waren bis an die Zähne bewaffnet und maskiert.«

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»Das ist ihre Gewohnheit,« sagte der junge Stammgast der Table d'Hôte: »nicht wahr, sie sagten:,Vertheidigen Sie sich nicht, es wird Ihnen kein Leid angethan werden, wir wollen nur das Geld der Regierung.«

»Wort für Wort, Citoyen.«

»Dann,« fuhr der fort, welcher so gut unterrichtet schien, »dann stiegen zwei ab, warfen die Zügel der Pferde ihren Genossen zu und zwangen den Conducteur, ihnen das Geld auszuliefern.«

»Citoyen,« sagte der dicke Mann, erstaunt, »Sie erzählen die Sache ja, als wenn Sie sie gesehen.«

»Sie waren vielleicht dabei,« fiel einer der Reisenden, halb scherzend, halb zweifelnd, ein.

»Ich weiß nicht, Citoyen, ob Sie mir damit eine Grobheit zu sagen beabsichtigen,« entgegnete der junge Mann, welcher den Erzähler so freundlich und ausdauernd unterstützte, in hinwerfendem Tone:

»aber meine politischen Ansichten lassen mich Ihren Zweifel nicht als eine Beleidigung betrachten.

Wenn ich das Unglück gehabt hätte, zu der Zahl der Angefallenen zu gehören, oder die Ehre, zu der Zahl der Angreifenden, so würde ich es im einen Falle so offen wie im andern sagen: aber gestern Morgen um zehn Uhr, gerade in dem Augenblicke, als man vier Meilen von hier die Diligence angriff, frühstückte ich in aller Ruhe hier an diesem Platze und, werken Sie wohl, sogar mit denselben Citoyens, die mir in diesem Augenblicke die Ehre erweisen, zu meiner Rechten und zu meiner Linken zu sitzen.«

»Und,« fragte der von den beiden zuletzt angekommenen Reisenden, welche so eben an der Tafel Platz genommen, den sein Begleiter mit dem Namen Roland bezeichnete, »zu wie vielen waren Sie in der Diligence?«

»Warten Sie: ich glaube, wir waren . . . ja, wir waren unserer sieben Männer und drei Frauen.«

»Sieben Männer ohne den Conducteur?« wiederholte Roland.

»Ganz richtig.«

»Und zu sieben ließen Sie sich von vier Banditen plündern? Ich mache Ihnen mein Compliment, meine Herren.«

»Wir wußten, mit wem wir es zu thun hatten,« antwortete der Weinhändler, »und hüteten uns, uns zu vertheidigen.«

»Wie!« versetzte der junge Mann, »mit wem hatten Sie es zu thun? Sie hatten es, wie mich dünkt, mit Dieben, mit Banditen zu thun.«

»Keineswegs: sie hatten sich genannt.«

»Gewiß.«

»Wie! sie hatten sich genannt?«

»Sie sagten: Meine Herren, es ist unnöthig, sich zu vertheidigen: meine Damen, haben Sie keine Furcht, wir sind keine Räuber, wir sind Genossen Jehus.«

»Ja,« meinte der junge Mann von der Table d'Hôte, »sie sagen es zum Voraus, damit keine Verwechslung stattfinden kann: das ist ihre Gewohnheit.

« »Ah, so,« sagte Roland, »was ist denn dieser Jehu, der so höfliche Genossen hat? Ist das ihr Hauptmann?«

»Mein Herr,« sagte ein Mann, dessen Kleidung etwas von einem säculansirten Priester hatte, und der nicht nur gleichfalls ein Stammgast der Table d'Hôte, sondern auch in die Geheimnisse der ehrenwerthen Corporation eingeweiht schien, deren Verdienste man so eben zu würdigen im Begriffe war, »wenn Sie etwas vertrauter mit der Lectüre der heiligen Schriften wären, als Sie zu sein

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scheinen, so würden Sie wissen, daß vor etwa zweitausend sechshundert Jahren dieser Jehu gestorben ist und daß er folglich nicht gegenwärtig die Diligencen aus den Landstraßen angreifen kann.«

»Herr Abbé,« antwortete Roland, der den Mann der Kirche erkannt hatte, »da Sie, trotz des bitteren Tones, in dem Sie sprechen, gut unterrichtet scheinen, so erlauben Sie einem armen Ignoranten, Sie um einige Details über diesen Jehu zu bitten, der vor zweitausend sechshundert Jahren gestorben ist und doch die Ehre hat, Genossen zu besitzen, die seinen Namen tragen.«

»Jehu,« antwortete der Mann der Kirche in demselben essigsauren Tone, »war ein König in Israel, von Elisa geweiht, unter der Bedingung, daß er die Verbrechen des Hauses Achab und Jesabel bestrafe und alle Priester des Baal vernichte.«

»Herr Abbé,« versetzte der junge Mann lächelnd, »ich danke Ihnen für die Erklärung: ich zweifle nicht, daß sie genau und namentlich sehr gelehrt ist, nur gestehe ich Ihnen, daß sie mich nicht sehr aufklärt.«

»Wie! Citoyen,« sagte der Stammgast der Table d'Hôte, »Sie begreifen doch, daß Jehu Seine Majestät Ludwig XVIII. ist, unter der Bedingung gesalbt, daß er die Verbrechen der Revolution bestrafe und die Baalspriester vernichte, das heißt, alle diejenigen, welche irgend welchen Theil an diesem abscheulichen Stand der Dinge genommen, den man seit sieben Jahren die Republik nennt?«

»So, so!« machte der junge Mann: »nun begreife ich. Aber zu denen, welche zu bekämpfen die Genossen Jehus die Ausgabe haben, zählen Sie doch nicht die tapferen Soldaten, die den Fremden von den Grenzen Frankreichs zurückwarfen und die berühmten Generale, welche die Armeen von Tyrol, Sambre-et-Meuse und Italien commandirten?«

»Allerdings, diese zuerst und vor allen.«

Die Augen des jungen Mannes schleuderten Blitze, seine Nasenflügel erweiterten, seine Lippen schlossen sich; er fuhr von seinem Sitze aus; aber sein Gefährte zog ihn an seinem Fracke wieder aus den Stuhl, während er ihm mit einem Blicke Schweigen gebot.

Der, welcher so eben diesen Beweis seiner Macht gegeben, nahm nun zum ersten Mal das Wort:

»Citoyen,« sagte er, indem er sich an den jungen Mann von der Table d'Hôte wandte,

»entschuldigen Sie zwei Reisende, die vom Ende der Welt kommen, wenn Sie wollen, von America oder Indien, die Frankreich seit zwei Jahren verlassen und nun vollkommen ohne Kenntniß von dem sind, was hier vorgeht, sich aber näher unterrichten wollen.«

»Je nun,« antwortete der, an welchen die Worte gerichtet waren, »das ist ja nicht mehr als billig, Citoyen; fragen Sie und man wird Ihnen antworten.«

»Gut denn,« fuhr der junge braune Mann mit dem Adlerauge, den schwarzen glatten Haaren und dem granitenen Teint fort, »nun, da ich weiß, was dieser Jehu ist und welche Ausgabe seine Genossenschaft hat, möchte ich auch wissen, was seine Genossen mit dem Geld beginnen, das sie nehmen.«

»O! mein Gott! das ist sehr einfach, Citoyen: Sie wissen, daß von der Wiederherstellung der bourbonischen Monarchie stark die Rede ist?«

»Nein, ich weiß es nicht,« antwortete der junge braune Mann in einem Tone, dem er vergeblich Unbefangenheit zu verleihen suchte; »ich komme, wie ich Ihnen sagte, vom Ende der Welt.«

»Wie! Sie wußten das nicht? Nun gut, in sechs Monaten wird das eine vollendete Thatsache sein.«

»Wirklich!«

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»Wie ich Ihnen zusagen die Ehre habe, Citoyen.«

Die beiden jungen Leute mit der militärischen Haltung tauschten einen Blick und ein Lächeln aus, obgleich der junge Blonde seine Ungeduld kaum mehr zurückhalten zu können schien.

Ihr Mitunterredner fuhr fort:

»Lyon ist das Hauptquartier der Verschwörung, wenn man überhaupt ein Complott, das sich bei Hellem Tage organisirt, eine Verschwörung nennen kann: der Name »provisorische Regierung«

würde besser passen.«

»Nun gut, Citoyen,« sagte der junge braune Mann mit einer Höflichkeit, die nicht ohne Spott war,

»so wollen wir provisorische Regierung sagen.«

»Diese provisorische Regierung hat ihren Generalstab und ihre Armeen.«

»Bah! ihren Generalstab, vielleicht . . . aber ihre Armeen . . . «

»Ihre Armeen, ich wiederhole es.«

»Wo sind sie?«

»Eine derselben organisirt sich in den Bergen der Auvergne unter den Befehlen des Herrn von Chardon: eine andere im Jura unter den Befehlen des Herrn von Teyssonnet, eine dritte endlich, welche functionirt und zu dieser Stunde sogar sehr angenehm, in der Vendée unter den Befehlen Escarbovilles, Achille Leblonds und Cadoudal.«

»In der That, Citoyen, Sie erweisen mir einen wahrhaften Dienst, indem Sie mir all diese Neuigkeiten mittheilen. Ich glaubte die Bourbonen ganz in das Exil ergeben: ich glaubte die Polizei in der Weise gehandhabt, daß weder ein provisorisches royalistisches Comité in den großen Städten existiren, noch Banditen sich aus den Landstraßen herumtreiben konnten. Endlich glaubte ich die Vendée durch den General Hoche vollständig pacificirt.«

Der junge Mann, an welchen diese Antwort gerichtet war, brach in lautes Lachen aus.

»Aber, woher kommen Sie?« rief er, »woher kommen Sie?«

»Ich habe es Ihnen ja gesagt, Citoyen, vom Ende der Welt.«

»Man merkt es.«

Dann sagte er fortfahrend:

»Nun, Sie begreifen, die Bourbonen sind nicht reich, die Emigrés, deren Güter man verkaufte, sind ruiniert: es ist unmöglich, zwei Armeen zu organisiren und eine dritte zu unterhalten, wenn man kein Geld hat. Man war in Verlegenheit: nur die Republik war es, die ihren Feinden Sold zahlen konnte: es schien jedoch nicht wahrscheinlich, daß sie sich gutwillig dazu entschließen würde: man hielt es deshalb, ohne weiter diese mißliche Unterhandlung zu versuchen, für das kürzeste, ihr lieber das Geld zu nehmen, statt sie darum anzugehen.«

»Ah, jetzt begreife ich endlich.«

»Das ist ein Glück.«

»Die Genossen Jehus sind die Vermittler zwischen der Republik und der Contre - Revolution, Die Einnehmer der royalistischen Generale.«

»Ja, es ist kein Diebstahl mehr, es ist eine militärische Operation, eine Waffenthat, wie jede andere.«

im Corridor, die Thüre des Speisesaales öffnete sich und ein maskierter, bis an die Zähne bewaffneter Mann erschien aus der Schwelle.

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»Allerdings, Citoyen: nun sind Sie über diesen Punkt so aufgeklärt, als wir.«

»Aber,« warf der Weinhändler aus Bordeaux schüchtern ein, »wenn die Herren Genossen Jehus — bemerken Sie wohl, ich will ihnen nichts Böses nachsagen — wenn die Herren Genossen Jehus nur das Geld der Regierung wollen . . . «

»Das Geld der Regierung, nichts Anderes: es ist ohne Beispiel, daß sie einen Privatmann ausgeplündert.«

»Ohne Beispiel?«

»Ohne Beispiel.«

»Wie kam es denn aber, daß sie gestern außer dem Gelde der Regierung ein Häufchen von zweihundert Louisd'ors mitnahmen, die mir gehörten.«

»Mein lieber Herr,« antwortete der junge Mann in der Table d'Hôte, »ich habe Ihnen bereits gesagt, daß hier ein Irrthum obwaltet und daß Ihnen, so wahr ich Alfred von Barjols heiße, das Geld eines Tages zurückerstattet werden wird.«

Der Weinhändler stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf wie Einer, der trotz der ihm gegebenen Versicherung doch noch einigen Zweifel behält.

Und als wenn die Verbindlichkeit, die der junge Edelmann übernommen, welcher so eben seine sociale Stellung durch die Nennung seines Namens kund gegeben, das Zartgefühl derer rege gemacht, für die er in die Schranken getreten, hielt in diesem Augenblicke ein Pferd vor der Thüre: man hörte Schritte im Corridor, die Thüre des Speisesaales öffnete sich und ein maskierter, bis an die Zähne bewaffneter Mann erschien auf der Schwelle.

»Meine Herren,« sagte er unter einer tiefen Stille, die sein Erscheinen verursacht hatte, »ist unter Ihnen ein Reisender Namens Jean Picot, der sich gestern in der Diligence befand, welche zwischen Lambesq und Pont-Royal angefallen wurde?«

»Ja,« sagte,der Weinhändler ganz erstaunt.

»Sind Sie es?« fragte der maskierte Mann.

»Ja.«

»Wurde Ihnen nicht etwas genommen?«

»Allerdings, ein Häufchen von zweihundert Louisd'or, die ich dem Conducteur übergeben.«

»Und ich muß noch dazu sagen,« fügte der junge Edelmann hinzu, »daß dieser Herr eben in diesem Augenblicke davon sprach und sie verloren gab.«

»Der Herr hatte Unrecht,« sagte der unbekannte Maskirte, »wir führen Krieg mit der Regierung und nicht mit Privatleuten, wir sind Parteigänger, keine Diebe; hier sind ihre zweihundert Louisd'ors, mein Herr, und wenn in Zukunft ein ähnlicher Irrthum vorkommen sollte, so reclamiren Sie das Geld im Namen Morgans, der Ihnen als Empfehlung dienen wird.«

Bei diesen Worten legte der Mann mit der Maske einen Sack mit Gold zur Rechten des Weinhändlers nieder, grüßte die Tischgesellschaft höflich und verschwand, indem er die Einen erschrocken, die Andern verblüfft durch eine solche Kühnheit zurückließ.

(25)

II.

Ein italienisches Sprichwort.

Obgleich die beiden Gefühle, die wir so eben angedeutet haben, die vorherrschenden waren, gaben sie sich doch nicht bei allen Anwesenden in gleicher Weise kund. Die Verschiedenheit nuancirte sich nach dem Geschlechte, nach dem Alter, nach dem Charakter, wir möchten beinahe sagen, nach der socialen Stellung der Zuhörer.

Der Weinhändler Jean Picot, der Hauptbetheiligte an dem Ereigniß, das so eben vor sich gegangen, hatte aus den ersten Blick an der Tracht, den Waffen und der Maske einen der Männer erkannt, mit denen er gestern zu thun gehabt, und war deshalb bei seiner Erscheinung anfangs ganz vom Schrecken betäubt; als er jedoch nach und nach den Grund des Besuchs erkannt, den ihm der geheimnißvolle Bandit abstattete, hatte sich sein Schrecken allmälig in Freude verwandelt, indem er alle zwischen diesen beiden Gefühlen liegenden Nuancen nacheinander durchmachte. Sein Goldsack lag neben ihm und man hätte glauben können, er wage es nicht, denselben anzurühren: vielleicht fürchtete er, sobald er seine Hand daran bringe, werde er wie das Gold verschwinden, das man im Traum zu finden glaubt und das sogar verschwindet, ehe man noch die Augen öffnet, in jener Periode zunehmender Klarheit, welche den Schlaf vom vollkommenen Wachsein trennt.

Der dicke Herr aus der Diligence und seine Frau hatten, wie die übrigen Reisenden, welche zum gleichen Wagen gehörten, den unverholensten und lebhaftesten Schrecken an den Tag gelegt. Da er zur Linken von Jean Picot saß, als er den Banditen sich dem Weinhändler nahen sah, hatte er in der illusorischen Hoffnung, eine passende Distanz zwischen sich und dem Genossen Jehus zu behaupten, seinen Stuhl gegen den seiner Frau gerückt, die, dem Drucke nachgebend, auch den ihrigen zu rücken versuchte. Da der Stuhl jedoch, welcher hinter ihr stand, der des Citoyen Alfred von Barjols war, der keinen Grund, hatte, Leute zu fürchten, vor denen er eine so hohe und vortheilhafte Meinung an den Tag gelegt, so hatte der Stuhl der Frau des dicken Herrn ein Hinderniß in der Unbeweglichkeit desjenigen des jungen Mannes gesunden, so daß, wie es in Marengo acht bis neun Monate später geschah, als der Obergeneral es für Zeit hielt, wieder die Offensive zu ergreifen, die retrograde Bewegung ihr Ende erreicht hatte.

Was Jenen betrifft — wir sprechen von dem Citoyen Alfred von Barjols — so war sein Aussehen, wie das des Abbé, der die biblische Erklärung bezüglich des israelitischen Königs Jehu und seiner Mission gegeben, — sein Aussehen, sagen wir, war das eines Mannes, der nicht nur keine Furcht kennt, sondern sogar das Ereigniß, das kommt, ruhig erwartet, wie unverhofft es auch sein mag. Um seine Lippen spielte ein Lächeln, und wenn nicht alle Tischgenossen so sehr mit den beiden Hauptbetheiligten der Scene, welche so eben gespielt, beschäftigt gewesen wären, hätten sie ein beinahe unmerkliches Zeichen beobachten können, das die Augen des Banditen und des jungen Edelmannes austauschten, ein Zeichen, das sich im selben Momente zwischen dem jungen Edelmann und dem Abbé wiederholte.

Die beiden Reisenden, welche wir in den Speisesaal eingeführt, und die, wie wir gesagt, ziemlich isoliert am Ende der Tafel saßen, hatten die ihren verschiedenen Charakteren entsprechende Haltung beobachtet. Der Jüngere von Beiden hatte instinctmäßig die Hand an seine Seite geführt, als wollte er dort eine nicht vorhandene Waffe suchen, und war, wie durch eine Feder bewegt, aufgesprungen, um den maskierten Mann am Halse zu packen, was auch sicherlich geschehen wäre, wenn er allein

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