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Cologne in the Mirror of Stari Most / Filmsequenz

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Academic year: 2022

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Benita Joswig

Die Alte Brücke von Mostar und die Macht der gespiegelten Welten

Film memorial “Cologne in the Mirror of Stari Most”

(13 Minutes / 2001-02, by Benita Joswig and Viola Michely)

Totale und Naheinstellung

Brücken bauen in einem vielgestalteten Europa betrifft auch eine kleine, vom Bau ganz besondere Brücke in Europa. Sie liegt in Mostar im ehemaligen Jugos- lawien, im heutigen Bosnien und Herzegowina. Es ist dieStari Most, die “Alte Brücke”, die seit dem 16. Jahrhundert über die Landesgrenzen bekannt als ein Symbol eines kulturellen Miteinanders von islamisch-orientalischen, orthodox- östlichen und römisch-katholisch-westlichen Strömungen weit zurückreichen- der Kontinuität in Europa steht. Sie hat Erdbeben, Hochwasser und Kriege unbeschadet überlebt. Am 9. November 1993 wurde sie als letzte von insgesamt 10 Brücken der Stadt von kroatischen Tuppen im bosnisch-kroatischen Sepa- ratkrieg zerstört, der die Stadt in Mostar Ost und Mostar West teilte.

Ich selbst habe diesen jüngsten Krieg in Europa nur durch mediale Über- tragungen oder Inszenierungen wahrgenommen. Eines der ersten Pressefotos, das in einer deutschen Zeitung von der gänzlich zerstörten Stari Most abge- lichtet war, hat mich gepackt, als hätte ein Mensch zu mir gesprochen. Lag es daran, dass ich diese Brücke kannte, da ich wie viele Deutsche als Jugendli- che Urlaub in Jugoslawien gemacht habe und zum ersten Mal bewusst in Europa eine multireligiöse Gesellschaft wahrnahm? Die Brücke sprach zu mir und zu der Kunsthistorikerin Viola Michely. Wir machten uns auf die Suche nach einer Sprache, die mit künstlerischen Mitteln eine Brücke aufbaut, die zwischen den Brücken in Europa liegen kann. Wir reisten nach Mostar mit einem Konzept in der Tasche, einer Idee, die wir mit den Menschen vor Ort besprechen wollten, sie um Rat und ihre Meinung fragten, ob ein Filmdenk- mal, das sowohl die zerstörte Brücke in Mostar als auch die Hohenzollern- brücke aus Köln miteinander in Beziehung setzt, in Mostar Ost und auch in Mostar West gezeigt werden konnte?

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1 Diese künstlerische Arbeit ist ausleihbar über Benita Joswig: benax@t-online.de.

Shot und Schnitt

Das Filmdenkmal “Cologne in the Mirror of Stari Most” setzt sich aus einem Standbild und laufendem Filmmaterial zusammen, die nahtlos miteinander ver- bunden sind. Das Standbild zeigt die zerstörte Alte Brücke von Mostar, das Filmmaterial dokumentiert die Bewegung auf der Hohenzollernbrücke, die spiegelverkehrt projiziert wird. Das Denkmal ist eine hochrechteckige Projek- tion von 3 Metern Höhe und 1.50 Meter Breite.1

Nach herkömmlichen Vorbildern ist Stari MostDenkmal, mahnt ihrer Zer- störung. Die Brücke vor Ort bildet den Sockel für die zerstörte Brücke. Die Welt steht Kopf. Die auf dem Kopf laufenden Menschen gehen über Brücken.

Es ist wie ein Blick von einer Brücke, der Blick in den Fluss, in welchen der Himmel ins Wasser fällt und die Welt, aus den Angeln gehoben, sich in fließender Bewegung befindet.

Da es sich um einen Blick von Deutschland aus auf den Krieg und die Zer- störung der Brücke von Mostar handelte, um eine Infragestellung der Rolle Europas bzw. Deutschlands geht, haben wir ein Begleitprogramm zur künst- lerischen Arbeit erstellt.

Rückblende 1

Im August 2001 bekamen wir die Möglichkeit, das Filmdenkmal auf dem inter- nationalen Kulturfestival, das insbesondere von Jugendlichen aus Ost und West Mostar organisiert wurde, zu zeigen.

Nachdem ich zum ersten Mal im Jahr 2000 in der zerstörten Stadt Mostar war, schrieb ich einen Brief an diese Stadt. Er begleitet mich seither.

Brief an Mostar

Ich weiß nicht, wie eine Granate aussieht, welche Blicke ein Heckenschütze ein- nimmt, wie wahnsinnig der Hunger nach Wasser ist, wenn die Versorgung in einer ganzen Stadt zusammengebrochen ist.

Ich weiß es nicht, wie die Toten in den Familien beweint werden und wie das Grauen und der gemachte Tod zu beruhigen ist.

Wie ein schwerer Mantel laufe ich, eine Touristin nachahmend, durch Mostar, spüre den wieder gewordenen Alltag, der keiner ist, sehe die verwundeten Häuser, die Granateinschusslöcher in der Nähe der Fenster, im Asphalt, sehe die Menschen, die hier wohnen.

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Cologne in the Mirror of Stari Most / Filmsequenz

In einem Gespräch höre ich, dass die Wunde Respekt brauche, dass sie trotz ent- standenem Schorf eine leicht Aufzubrechende sei, Ein-Immer-da. Die Häuser in Mostar sind unzählige Verwundete, Verwaiste, zersplittert wie Glas. Kein Fluss kann schreien, kein Vogel.

Der Krieg wird und ist gemacht.

Den Krieg gibt es nicht – es gibt nur die Menschen. Die Menschen, die den Ein- schuss einer Granate verputzen, zuschmieren, glätten und tünchen, die Wohnungen herrichten und möglicherweise selbst Verwundende waren, scharfe Schützen.

Oder: Sie haben zusammengehalten im Keller, auf der Flucht, in den Wäldern – ohne Halt.

Arg ist Krieg.

Und der Krieg ist nicht menschlich, tödlich ist er, treffsicher körperwarm und blu- tig und dreckig und vergewaltigt: Direkte Aussage und konkrete Handlung.

Der Tod im Krieg verspricht einen weiteren Toten.

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Die Menschen haben Flügel. Sie sind geborene, die sich selbst tragen. Die Menschen sind Schlafende, alle.

Wird geschossen, kann es Tote geben. Wird getreten, gibt es Verletzungen.

Wird geschlagen, schreit kein Fluss oder ein Berg.

Tote sind zuvor lebendig.

Mostar wird von der ganzen Welt wieder aufgebaut.

Mostar wird verputzt und vergessen in einem.

Die Alte Brücke von Mostar wird rekonstruiert.

Die noch vorhandenen Steine der Brücke liegen wie ein Grabmal am Flussufer, ordentlich aufgereiht. Der Fluss ein Bett einer toten Brücke, einer niedergeschos- senen.

Die Flügel der Menschen haben die Fähigkeit, Mostar aufzubauen.

Alle anderen kommen zu früh oder zu spät.

Seit ich in Mostar gewesen bin, ist Europa kleiner geworden, und die Dichte der neu entstandenen Grenzen ist deutlich.

Benita Joswig (August 2000)

Shot 2: Frankfurter Hauptbahnhof 2004

Eingangshallen in Hauptbahnhöfen pulsieren, weil Menschen sich durch- einander und miteinander fortbewegen, rhythmisiert durch Wartezeiten, Ankunfts- und Abfahrtszeiten. In der Eingangshalle des Frankfurter Haupt- bahnhofs fand eine herausfordernde und riskante Verdichtung statt. Fotogra- fie aus aller Welt unterbrach dieses Geflecht der Bewegungen in einem Raum im Raum, innerhalb einer rotfarbnen Seilabsperrung, die an einen Staatsemp- fang erinnerte. Ein heiliger Bezirk war markiert, in dem der Schrecken sitzt;

die Weltsprache eines freien Fotojournalismus (World Press Foto) der wie- derum erschreckend-faszinierend die Augen einforderte hinzusehen, mitten auf dem Bahnhof.

Fotos von den Kriegen auf dieser Welt, stille Großformate, spektakulär und doch sind es Miniaturausschnitte, die Momente des Angriffs auf Menschen zeigen, wo auch immer auf dieser Welt in Afrika, Lateinamerika, Asien oder dem Nahen Osten.

Kriege sprechen eine gemeinsame Sprache, das wird sichtbar. Die Ver- wundung hat keine Hautfarbe oder ethnische Zuordnung, die Körper gehen

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2 Susan Sontag, Das Leiden anderer betrachten(Hanser: München 2003), 26.

auf diesen Fotos eine unsichtbare Verbindung ein, es besteht ein unvergleich- licher Zusammenhang, besonders in den Auswirkungen wie Hunger, Behin- derung, Verstümmelung, Heimatlosigkeit, Leid und seelischer Zerrissenheit.

Die Menschen, die auf diesem Hauptbahnhof in diese Bilder hineingeraten, werden langsamer, sie bilden einander ein Gegenüber, Blicke treffen sich.

Die Fotos sind inhaltliche Brücken, ohne Worte wird kommuniziert und dem Wahnsinn ins Gesicht geschaut. Susan Sontag fasst die Wirkungsweise von Kriegsfotografie in ihrem jüngst erschienenen Buch Das Leiden anderer betrachtenaus zwei diametral zueinander stehenden Ansichten zusammen. Ein Krieg werde “real”, wenn es Fotos gebe. Das sei eine Erfahrung, die inner- halb des Vietnamkriegs zu beobachten war und habe den Protest gegen diesen Krieg durch Bilder/Fotos überhaupt erst mobilisieren können. Auch in Bosnien sei es der sogenannte “CNN-Effekt” gewesen, da durch die unentwegte mediale Übertragung aus dem belagerten Sarajevo in die Wohnzimmer der Welt der Krieg erst wahrgenommen worden sei. Die zweite Ansicht sei fast eine Umkehrung des so eben Gesagten, weil die Bilderüberflutung genau das Gegenteil von Einmischung und Aufbegehren gegen den Krieg auslöse; die Gefühle der Leute stumpfen ab, ihre Fähigkeit zu fühlen, Signalen ihres Gewis- sens zu folgen, werde unterbunden.2

Ich beobachte auf dem Frankfurter Bahnhof, dass die Fotos einen treffen wie eine Begegnung jenseits vom Spektakulären, eben nicht reduziert auf das Niveau des Bilderschocks. Möglicherweise liegt die Chance dazu an dem Ort, der selbst ein bewegter ist, ein Transit, ein Unort im Ort, an dem sich durch diese Fotos eine große Stille einträgt, die Raum schafft, um überhaupt hinse- hen zu können. Es ist, als ob sie uns anschauen, damit wir uns anschauen.

In dieser Blickfolge liegt der zweite Blick, so habe ich es wahrgenommen, der Blick bekommt eine zweite Chance. Das heißt, es werden nicht nur die Fotos angesehen, sondern über diese Fotos wird kommuniziert, die Chance dieses Blickwechsels ist Teil der gesamten Inszenierung. Tränen sind mir selbst gekommen, als ein Mann, ein Afghane (?), vor einem Foto, das in Afghanistan aufgenommen wurde und den Kriegsterror am Leib eines Mannes zeigt, um sich sieht und Tränen in den Augen hat. Ohne Worte gab es ein Einverständ- nis zwischen uns, kurz trafen sich unsere Blicke und wir haben uns über diese Fotos, über den Krieg ausgetauscht, übersprachlich.

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Cologne in the Mirror of Stari Most / Filmsequenz Rückblende 2

Die Idee für das Filmdenkmal “Cologne in the Mirror of Stari Most” (13 Min.

2001-2002) kam – wie anfangs erwähnt – durch ein Foto der american press zustande. In einem Zeitungsartikel wurde über die Alte Brücke (Stari Most) in Mostar berichtet, wie die Brücke zunächst angeschossen und dann nach und nach niedergeschossen wurde. Wie aus dem Boden herausragende Zahn- stümpfe, funktionslos geworden, so wurde die zerstörte Brücke aus der Luft fotografiert. Uns, die Kunsthistorikerin Viola Michely und mich hat dieses Foto etwas von dem Schrecken dieses Krieges verstehen lassen. Vielleicht gab uns diese über Jahrhunderte alt gewordene Brücke den Raum, um überhaupt auf diesen Krieg zu sehen, eine Verbindung von Deutschland mit dem ehe- maligen Jugoslawien aufzunehmen. Eine schwarz-weiß Fotografie, schlecht abgebildet in einer Tageszeitung, erschreckte, irritierte die seit Monaten im Fernsehen übertragene Bilderflut dieses Krieges in Europa.

Unser Leitmotiv war schlicht: Wenn eine Brücke auf dieser Welt kriegerisch zerstört wird, geht das alle Brücken dieser Welt an. Deswegen haben wir die

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zerstörte Steinbrücke in Mostar mit der aus Eisenstahl konstruierten Hohen- zollernbrücke von Köln in Beziehung gesetzt. Die Menschen, die tagtäglich über die Brücke in Köln laufen, radeln, joggen oder sich mit dem Zug über die alte Ost-West Verbindung fortbewegen, haben wir gefilmt und die Aufnah- men vom Menschen verkehrt herum – wie eine Wasserspiegelung der einst lebendigen Brücke in Mostar – ins Bild gesetzt. Spiegelbilder im Fluss sind nicht zu greifen, sie sind nicht rekonstruierbar. Eben in diesem Moment, in dem die Brücke in Mostar durch kriegerische Aggression aufgehört hat zu existie- ren, wurde auch die gespiegelte Welt zerstört, die uns durch Brücken gegeben sind. So ergab sich der Zusammenhang, indem das zerstörte Leben, das beson- ders durch die multireligiöse und ethnische Vielfalt sich in Mostar auch auf den Brücken abgespielt hat, nun durch eine künstlich erzeugte Spiegelung mit der Kölner Brücke in Zusammenhang gebracht wurde. Die beiden Flüsse flossen nun in medialer Bildsprache nahtlos ineinander, das Rheinwasser in die Neretva und die Neretva in den Rhein. Wir haben die Filmarbeit “Filmdenk- mal” genannt. Das bedeutet, dass die Brücke in Köln den Sockel für die zer- störte Brücke in Mostar bildet: Die Welt steht Kopf. Die auf dem Kopf lau- fenden Menschen in Köln gehen über ihre Brücke in Deutschland. Der Sockel ist ein auf dem Kopf stehender laufender Film. Das Denkmal ist die vom Krieg zerstörte Brücke in Mostar, ein Standbild, ein Mahnmal.

Rückblende 3

Wir bezeichnen unsere Arbeit als Filmdenkmal und greifen auf die gleichen Mittel zurück, die in Kriegsberichterstattungen als Informationsträger benutzt werden.

Das Foto der american presssetzen wir als Denkmal, als Mahnmal des Städ- temords. Urbizid haben die Menschen im ehemaligen Jugoslawien die Zerstö- rung ihrer Städte genannt.

Die Alte Brücke in Mostar, die Stari Most wurde als letzte der Mostarer Brücken zerstört.

Es war ein dumpfer, tieffallender Laut, gestürzt in die Neretva, kein Bluten.

Junge Erwachsene, die wir aus den damals getrennten Stadtteilen trafen und die zum Zeitpunkt der Zerstörung der Brücke noch Jugendliche waren, erzähl- ten uns, dass sie damals um ihre Brücke gemeinsam weinten, die ganze Nacht hindurch.

In Mostar selbst gab und gibt es immer noch die Postkarten von der nicht zerstörten Brücke zu haben. Oder: In ihrer stolzen Ganzheit ist sie nach ihrer Zerstörung zum Beispiel auf das Garagentor unserer Gastgeberin gemalt worden.

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Erst im Sommer 2001, als wir auf das internationale Kulturfestival eingeladen worden sind, um unser Filmdenkmal zu zeigen, gab es zum erstenmal Post- karten von der zerstörten Brücke.

Unser größtes Problem war, ob wir diese Wunde der Stadt in Form einer künstlerischen Arbeit in Mostar zeigen können und wollen. Reihen wir uns nicht in die Art von Bilderstattung ein, die die Katastrophe ästhetisiert, immer wieder zeigt und Blindheit erzeugt anstatt Wachsamkeit und Handlungssinn?

Wie provokativ ist so ein Filmdenkmal für die Bewohnerinnen und Bewoh- ner in Mostar, welche Schuldgefühle, welche leidvollen Erinnerungen, aber auch Aggressionen werden mit dem Blick auf das Zerstörte wiederbelebt durch dieses Bild der Abbildung, durch diese mediale Inszenierung, die dieses Denk- mal auch ist?

Die Verbindung der alten Steinbrücke in Mostar über die Neretva und die aus Eisenstahl konstruierte Kölner Brücke über den Rhein hat uns den Zusam- menhang denken lassen, dass die Welt zusammenhängt, dass die Zerstörung der Brücke in Mostar von der Brücke in Köln nicht unabhängig zu betrachten ist, dass die Zerstörung einer Brücke auf dieser Welt alle Brücken betrifft.

Naheinstellung

Die Frage bleibt für mich und ich stelle sie mir beim Einkaufen, im Gottes- dienst, an der Universität, zu Hause: Wie hängen wir zusammen? Welche Verbindlichkeit ist eigentlich möglich? Wie können wir trotz aller Distanz- und Näheregulierungen füreinander da sein, auch über Kontinente hinweg?

Welche Empathie, Einfühlung oder die im Sinne Martin Bubers aus seinem Dialogdenken entstandene Wortschöpfung “Umfassung” ist in einer scheinbar so global zusammenhängenden Welt möglich? Welchen Sinn und welche Funktion können Fotos und Kunstwerke haben, so dass wir den zweiten Blick einnehmen und wir uns vom Bild lösen, um dem Mitmenschen in die Augen zu sehen? Wenn Künstler und Fotojournalisten diesen Blickraum schaffen, entsteht eine Bildsprache, die die Produktion einer einschüchternden und desensibilisierenden Kriegsbildlogik unterbricht.

Theologisch – und dies aus der Perspektive des Christentums formuliert – liegt in dieser Unterbrechung eine seit Jahrhunderten überschneidende und tragende Bilderfolge von Christus, in dessen Antlitz die Welt sich spiegelt und umgekehrt die Welt Christus ablichtet. Die tragende Bedeutung Christi, der als der Getötete und Auferstandene bezeugt wird, hat unsere Blicke auf das Leid dieser Welt geprägt und beeinflusst. Es fragt sich, inwiefern uns diese Bilder beistehen, uns gegenseitig nicht aus dem Blick zu verlieren.

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Sehen wir eine andere Person, wird diese zunächst spiegelverkehrt und auf dem Kopf auf unsere Netzhaut projiziert, und das Gehirn übersetzt dann diese Verkehrung. Es ist das Prinzip der Spiegelreflexkamera, das alte Strahlen- prinzip, das durch seine Brechung in einer bestimmten Belichtungszeit die Welt festhält, anhält; Fotos entstehen, die in alle Welt versendet werden.

Reifen wir nicht und üben uns nicht darin, den zweiten Blick einzuüben, ver- lieren die Fotos ihre eigentliche Wirkung. Der Bildterror gibt weiter den Ton an und entfremdet unsere Einfühlungskraft, er ist gefährlich, dass wir selbst Hand anlegen, Kriege befürworten und dem Pazifismus abschwören. Die Brücke in Mostar ist, nachdem durch einen Behelfssteg die beiden Seiten der Stadt wieder verbunden wurden, nach elf Jahren wieder aufgebaut worden.

Ihre Wölbsteine, die wie aufgebahrt auf einem Megapodest direkt am Neret- vaufer über Jahre lagen, waren zum Teil nicht mehr zu gebrauchen, ihre Kon- sistenz wurde auch durch nachträgliche unnötige Bohrungen porös und brüchig.

Der Presse konnte entnommen werden, dass der Wiederaufbau seit Jahren von absurden Kompetenzrangeleien internationaler Expertengruppen geprägt wurde, die eine völker-verbindende Rekonstruktion der Brücke forcierten, ohne die Mitsprache und Mitarbeit einheimischer Leute genügend zu berücksichti- gen. Wer einen zu schnellen Wiederaufbau der Brücke zu einer Erfolgsge- schichte “völkischer Einheit” konstruieren möchte, ist weder an der Brücke wirklich interessiert noch an den Menschen, die ihre Brücke in einem ihnen entsprechenden Prozess aufbauen. Denn eine Reinszenierung des Zerstörten gibt es nicht (Viola Michely). Kriegerische Handlungen schaffen große Ver- letzungen, und jeder Wiederaufbau trägt die Scham des zu Unrecht Zerstörten.

Wird dies verdrängt, wird die Chance der Brücken zwischen den Menschen in Mostar überspielt und fremdbestimmt. Es gehe darum, so sagte es mir eine Studentin aus dem ehemaligen Jugoslawien auf dem Kongress “Studenten bauen Brücken” in Hamburg im Jahr 2003, dass die Menschen in Mostar vor allem damit beginnen, mit ihren Blicken Brücken zu bauen. In diesem Sinne meine ich, dass eine wiederaufgebaute Brücke aus Stein zwar ein großes Abbild ist, aber nicht der eigentliche Bogen.

Rückblende 4

Das Filmdenkmal wurde auf dem interkulturellen Festival in Mostar im Juli 2001 gezeigt, im Oktober 2001 an der Universität Paderborn im Rahmen des Kongresses “Stari Most ist Europa”, in Kooperation mit dem ehema- ligen Beauftragten für Flüchtlingsrückkehr, Wiedereingliederung und rück- kehrbegleitenden Wiederaufbau in Bosnien und Herzegowina der deutschen

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3 Der Preis wird u. a. an Künstlerinnen, die auch Wissenschaftlerinnen sind, vergeben.

Bundesregierung, Hans Koschnick, sowie Wissenschaftlern der Universität Pader- born und aus dem ehemaligen Jugoslawien, im Juli 2002 in der Trinitatiskirche in Bonn im Rahmen der Verleihung des Zukunftspreises der Gemeinde an Violy Michely und mich, im Oktober 2002 beim Gastspiel Künstlerzentrum Köln-Braunsfeld, im Februar 2003 beim Frankfurter Kunstverein im Rahmen der Preisverleihung der Königinnenwege der Maecenia Stiftung/Frankfurt3, im Mai 2003 auf dem Kongress “Studenten bauen Brücken” an der Universität Hamburg, der von Studierenden aus dem ehemaligen Jugoslawien zum zweiten Mal in Hamburg organisiert wurde, und schließlich auf der Internationalen Tagung der ESWTR in Budapest, wo Theologinnen aus ganz Europa zusam- men kommen, Brücken bilden, trotz aller Differenzen.

“Stari Most – Hohenzoller Bridge” is a composition of a still picture (dpa foto of 1993) and a moving film seamlessly connected with each other. The still picture shows the old bridge of Mostar in ruins; the film shows the Hohenzoller Bridge in Cologne/Germany projected upside down. The moving film material is composed of different levels of pictures. First of all, people are involved who use bridges, as well as the movement and rhythm of the bridge they have created. This is formally reinforced by the horizontal and vertical axes of the pictures, which dominate the compositions of pictures in turn. In spite of their urban everyday occurrence, the film conveys the noise of the trains, the water, the sounds of the city, people’s voices, the whole urban turmoil – an inherent ambivalence. The dividing lines between beauty, buoyancy, threat and destruction are in flux like the border between memorial and film, Mostar and Cologne. The people of Cologne are walking upside down onto the bridge of Mostar that no longer exists; the Neretva and the Rhine are confluent. This memorial is a bridge in itself, a subtle message of the vision that this world is connected, that the destruction of Mostar Bridge cannot be judged independently of the bridge in Cologne. The destruction of one bridge in this world concerns all bridges.

«Stari Most (le ‘vieux pont’ en bosniaque) – le pont Hohenzoller» est la combi- naison d’une image fixe (photo dpa de 1993) et d’un film animé qui se fondent l’un dans l’autre. La photo montre l’ancien pont détruit de Mostar; le film, le pont Hohenzoller à Cologne (Allemagne) à l’envers. Le film est composé de différents niveaux d’images. Il y a d’abord des personnes passant sur le pont, puis le mouve- ment et le rythme du pont que leurs déplacements engendrent. Les axes horizontaux et verticaux des images, qui dominent alternativement la composition, renforcent les

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effets. Outre les bruits de la vie urbaine quotidienne, on entend le grondement des trains, le ruissellement de l’eau, tous les sons divers de la ville, les voix humaines et un tumulte général, ce qui crée une ambivalence inhérente. Les frontières entre la beauté, la gaîté, les menaces et la destruction débordent des limites entre mémo- rial et film, Mostar et Cologne. Les habitants de Cologne marchent la tête en bas sur le pont de Mostar qui n’existe plus, au confluent de la Neretva et du Rhin.

Ce mémorial lui-même est un pont, un message subtil exprimant la vision que tout dans le monde est relié, que la destruction du pont de Mostar ne doit pas être consi- dérée indépendamment de l’existence du pont de Cologne. La destruction d’un seul pont renvoie à tous les ponts du monde.

Benita Joswig(*1965), Dr. phil., Künstlerin und Theologin mit Schwerpunkt Prak- tische Theologie und ästhetische Bildung. Promotion über die Interdependenzen von Tisch und Altar am Beispiel des Kunstprojekts “altäre” auf dem Messeplatz / Kassel. Besonderes Anliegen ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist der Zusammen- hang von Theologie und Bildender Kunst, auch im politischen Kontext, in welchem Fragen der Gewalt, des Terrors, Kriegs- und Friedenspolitik verhandelt werden.

Fragen nach Erinnerungs- und Trauerritualen, deren theologische Einordnung und Deutung hat sie sowohl im Zusammenhang deutscher Nachkriegsgeschichte bear- beitet als auch religionsgeschichtlich untersucht. Seit 1994 Ausstellungen im In- und Ausland. Seit 2005 lebt und arbeitet sie in Heidelberg.

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