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2012U Z l KOMMUNIKATION
Die Globalisierung der Wirtschaft, die laufende Verände- rung der Marktsituation und der ständig steigende Kosten- druck haben zur Anpassung der Beschaffungsstrategie gezwungen, weg von der lokalen Beschaffung hin zu inter- nationalen Beschaffungsaktivitäten. «Global Sourcing», die strategische Ausrichtung des Versorgungsmanagements auf internationale Märkte und der Zugang zu preisgünstigen Bezugsquellen ist mittlerweile ein wichtiger Wettbewerbs- faktor für Unternehmen jeder Größe. Allerdings bergen die Vorteile auch viele Nachteile, wie z.B. eingeschränkte per- sönliche Kontakte aufgrund geografischer Entfernungen oder Sprachbarrieren, grössere Intransparenz der Zuliefer- ketten oder Gefahren für die Logistik aufgrund politischer oder umweltbedingter Krisen.
Die gesamte Supply Chain betrachten
Im Rahmen einer jährlich von PRTM durchgeführten Stu- die wurden Vertreter von mehr als 300 Herstellungs- und Dienstleistungsbetrieben weltweit nach aktuellen Trends in der Supply Chain für 2012 befragt. «End-to-End Supply Chain Risk Management» war eine der häufigsten Aussa- gen. Das heisst, das Risiko- und Chancenmanagement sollte die gesamte Wertschöpfungskette umfassen, von der Bedarfsplanung über die Lieferantensuche, -evaluation und -beobachtung bis hin zum Monitoring der Zulieferkette von Schlüsselpartnern. Eine (automatisierte) Analyse und Aus- wertung interner Daten, z.B. aus ERP-Systemen, kann dazu einen wesentlichen Teil beitragen – allerdings nur in Bezug auf bereits bestehende, direkte Firmenbeziehungen.
Externe Informationsquellen erschliessen
Dabei wären auch viele Informationen über Firmen vorhan- den, die noch nicht oder nicht direkt zum Lieferantennetz- werk gehören. Im Internet. Verstreut über zig Web-Seiten, versteckt in unverständlichen Formulierungen, verklausu- liert in News. Deshalb gibt es längst Anbieter, die sich auf das Finden, Analysieren und Bereitstellen firmenrelevan- ter Informationen spezialisiert haben und auch die öffent- liche Hand ermöglicht den elektronischen Zugang zu struk- turierten Firmendaten, z.B. aus den Handelsregistern. Und dennoch bleibt das Bild fragmentiert, der Blick rückwärts gerichtet und Abhängigkeiten intransparent.
The Big Picture
Wie man das ändern kann, wird an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW im Rahmen des nationalen For- schungsprojekts APPRIS (Advanced Procurement Perfor- mance and Risk Indicator System) untersucht. Vertreter ver- schiedener wissenschaftlicher Disziplinen, Software-Ent- wicklungspartner, Informationsanbieter und Anwendungs- partner erarbeiten gemeinsam ein System zur Früherken-
nung von Risiken in der Supply Chain. Im Rahmen dieses Projekts wurde von der ETH ein Risikomodell entwickelt, in welchem zehn Top-Risiken und dazu gehörende Warn- signale identifiziert wurden. Angereichert mit Risiko-In- dikatoren und einem Bewertungsschema ergibt sich ein se- mantisches Modell, das als Basis für das Frühwarnsystem dient. Die aus verschiedenen Quellen aufbereiteten Infor- mationen werden mit dem semantischen Modell verknüpft und erlauben aggregierte Auswertungen und Schlussfolge- rungen. Für Management und Einkauf werden die Risiken in einem Cockpit aufbereitet und visualisiert.
In volatilen Märkten Risiken in der Supply Chain souverän managen
Die Risiken im Zusammenhang von direkten Lieferanten- beziehungen zu managen ist für ein Unternehmen bereits eine Herausforderung. Die Komplexität bzw. die Menge an Informationen nimmt nochmals zu, wenn nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Produkte überwacht wer- den sollen. Nehmen wir als Beispiel ein Produkt X7 das von den Lieferanten A und B geliefert wird. Auf den ersten Blick würde man ein Single-Sourcing-Risiko ausschliessen.
Betrachten wir aber auch die weiteren Beziehungen unse- rer Lieferanten, so könnten wir vielleicht erkennen, dass Lieferant B der einzige Hersteller von Produkt X7 ist und ebenfalls an Lieferant A liefert. Das System müsste dieses Warnsignal identifizieren und das Risiko ausweisen. Zur Erkennung von Risiken müssen in der Regel viele unter- schiedliche Daten- und Informationsquellen ausgewertet werden. Damit dies möglichst aktuell und über grössere Datenmengen erfolgen kann, bieten sich semantische Tech- nologien an. Die Bedeutung externer, interner, strukturier- ter, semi-strukturierter und unstrukturierter Daten wird in einem semantischen Modell sichtbar gemacht und mit Hintergrundinformationen verknüpft. Mittels semantischer Verfahren können somit auch versteckte oder indirekte Risi- ken erkannt und für das Management oder den Einkauf visualisiert werden.
Der Blick in die Zukunft
Ein Frühwarnsystem ist nicht früh, wenn nur auf Fakten basierende Risiken ausgewertet werden. Heutige Risiko- Management-Systeme basieren vornehmlich auf internen Quellen oder Firmenbewertungen von Drittanbietern. Sie alle aber liefern Vergangenheitsdaten. Für den Blick in die Zukunft müssen andere Quellen erschlossen werden. Dazu zählen gängige Medien wie Zeitungen, aber auch soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co. Allerdings ber- gen solche Informationen selbst wieder ein Risiko, da es sich um Meinungen, Annahmen und Schlussfolgerungen handeln kann und nicht um Tatsachen. Entschärft werden U N T E R N E H M E N S O R G A N I S AT I O N
Die Risiken entdecken, bevor sie
Um Risiken in der Supply Chain früh zu entdecken, genügt es nicht, eigene ERP-Daten für Lieferanten auszuwerten. Vielmehr muss das gesamte Netzwerk betrachtet und Daten aus externen Quellen mit internen Daten verknüpft werden.
Mit Hilfe semantischer Technologien können Daten integriert, automatisch analysiert und so Risiken früher identifiziert werden.
TEXT BARBARA THÖNSSEN UND SANDRO EMMENEGGER
Zur Erkennung von Risi- ken in volatilen Märkten müssen in der Regel unterschiedliche Daten- und Informationsquellen ausgewertet werden.
Foto: Bilderbox.de / Grafik: zVg
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Erst wenn eine ganzheitliche Sicht auf Supply- Chain-Risiken vorhanden ist, verschiedenste Informations- quellen genutzt, Fakten und News ausgewertet und Abhängigkeiten identifiziert werden, können Warnsignale früh erkannt, Risiken minimiert und zu Chancen gemacht werden.
entstehen
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Fakten (Vergangenheitsbezogen)
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Semantik Quellen
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Supplier Value ID
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L bh 43% 6455453
n I e c u d o r
P c. 94% 3474365
G A l a m h c a
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A t u g r h e
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Cockpit Dashboard/Cockpit
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r o t k a f o k i s i R r o t a k i d n I
g n u t h c i w e G
n o i t k a r t x E - n e t a D ) 1
e i g o l o t n O t i m ) n e z n a t s n I ( n e t a D g n u f p ü n k r e V ) 2
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3
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DIE AUTOREN
Barbara Thöns- sen ist Dozen- tin am Institut für Wirtschafts- informatik der Fachhochschu- le Nordwest- schweiz FHNW und leitet den Kompetenz- schwerpunkt Information Management.
Sandro Em- menegger ist wissenschaftlicher Assistent im selben Kompetenz- schwerpunkt
www.fhnw.ch/iwi können solche Unsicherheiten wiederum mit Hilfe
semantischer Technologien: Als erstes kann dieses Risiko maschinell erkannt und evaluiert werden. In einem zwei- ten Schritt kann dann das ausgewiesene Risiko von Exper- ten bewertet und anschliessend relativiert bzw. eskaliert werden.
E N T E R P R I S E - R E S O U R C E - P L A N N I N G
(Einsatzplanung der in einem Unternehmen vorhandenen Ressourcen, meist ist die dafür eingesetzte Software gemeint)