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Zvi Harry Likworniks autobiographischer Bericht überschreitet an keiner Stelle die Grenze zur Fiktion

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Judith Aistleitner zu

Zvi Harry Likworniks (Über)Lebensbericht

In: Zwischenwelt. Literatur/Widerstand/Exil 30.Jg, Nr. 2, September 2013, S. 46 In der Reihe „Edition Shoah & Judaica/Jewish Studies" des Hartung-Gorre Verlags Konstanz werden seit 1984 unter der Leitung des Soziologen und Historikers Erhard Roy Wiehn Studien zur jüdischen Geschichte der Ukraine und Rumäniens publiziert, vor allem aber Autobiographien und Biographien von Überlebenden der Schoa.

Zvi Harry Likworniks autobiographischer Bericht überschreitet an keiner Stelle die Grenze zur Fiktion. Das Buch ist dem Mut des Autors entsprungen, seine persönliche Erinnerungsar- beit zu veröffentlichen: Nach Jahrzehnten der überlebensnotwendigen Verdrängung hatte sich die schmerzhafte Erinnerungslast mit Gewalt wieder einen Weg ins Bewusstsein

gebahnt und den Autor dazu bewogen, die traumatisierenden Kindheitserfahrungen in einem Todesghetto in Transnistrien, die schweren Jahre nach Kriegsende, den gefahrvollen

Neuanfang der Familie im damaligen Jungstaat Israel öffentlich mitzuteilen.

Die Originalausgabe erschien 2011 auf Hebräisch und wurde von Galia Ben Tov ins Deutsche, der eigentlichen Muttersprache, nämlich der Sprache der Mutter des Autors, übersetzt.

Likwornik wurde 1934 als Sohn der Dora Katz und des Willy Zeev Likwornik in Czernowitz geboren, wo er mit seinem älteren Bruder Manfred Elimelech ein materiell bescheidenes, aber behütetes Familienleben in nicht-orthodoxer jüdischer Tradition genoss. Die

dramatische Zäsur in seinem Leben erfolgte im Sommer 1941, als die deutsche Wehrmacht und rumänische Faschisten Czernowitz und die Nordbukowina besetzten.

Mehr als 50.000 Juden und Jüdinnen wurden am 11. Oktober 1941 in das Czernowitzer Ghetto gesperrt, unter ihnen auch der damals siebenjährige Zvi Harry Likwornik und seine Familie.

Es begannen die mörderischen Deportationen der rumänischen und ukrainischen Juden und Jüdinnen sowie der Angehörigen der Roma-Minderheit in das künstlich eingerichtete ru- mänische Verwaltungsgebiet Transnistrien im Südwesten der Ukraine. Auf einem

Todesmarsch gelangte die Familie Likwornik in das Ghetto der ukrainischen Kleinstadt Berschad, wo katastrophale Existenzbedingungen herrschten. Noch im ersten Winter der furchtbaren Gefangenschaft brach der Vater in Gegenwart Zvi Harrys tot zusammen. Bis zur Befreiung durch die Rote Armee 1944 musste Zvi Harry die Rolle des Versorgers

übernehmen, zumal Mutter und Bruder gesundheitlich schwer angeschlagen waren.

Dem entbehrungsreichen Rückweg der Familie nach Czernowitz folgten der Schock über die ausgeraubte Wohnung und ein Leben in völliger Mittellosigkeit. Die nordostrumänische Stadt Iaşi wurde die nächste Zwischenstation der Familie, die sich dort dem HaSchomér

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HaZair anschloss und in einem mühevollen bürokratischen Hürdenlauf die Genehmigung zur Ausreise nach Israel erlangte. Nach einem monatelangen beschwerlichen Aufenthalt in einem zypriotischen Internierungslager konnten der Autor und seine Familie 1948 endlich in Israel einreisen.

Der Neuanfang gestaltete sich hart; bis die erste Ein-Zimmer-Wohnung in Jaffa gefunden werden konnte, lebte Zvi Harry mit seiner Mutter in verschiedenen ImmigrantInnenlagern in ärmlichen Verhältnissen. Zvi Harry musste früh zu arbeiten beginnen, um für sich und seine Mutter zu sorgen. Er verlor im Holocaust seine Kindheit, den Vater, seine geliebte Tante und andere Verwandte; die Verfolgungen raubten ihm zudem das Grundrecht auf Bildung, die Möglichkeit, sich als Kind und Jugendlicher zu entfalten und persönliche Perspektiven zu ge- winnen. Dank seines Selbstbehauptungswillens und seiner Neugier nahm er als jugendlicher wissbegierig alles Neue in seiner Umgebung auf – allem voran die hebräische Sprache, die er sich zu großen Teilen selbst beibrachte.

Likworniks Bericht besticht durch den ehrlichen Blick des Autors, der den LeserInnen auch problematische Erfahrungen mitteilt; er erzählt vom fehlenden Verständnis, der Unter- stützungsverweigerung von Familienmitgliedern mütterlicherseits ebenso wie von der schwierigen Situation der Schoa-Überlebenden, denen von der bereits ansässigen Bevölkerung des neuen Staates Israel kaum Interesse oder Anteilnahme wiederfuhr.

Judith Aistleitner

Zvi Harry Likwornik: Als Siebenjähriger im Holocaust. Nach den Ghettos von Czernowitz und Bérschad in Transnistrien ein neues Leben in Israel 1934-1948-2012. Hg. von Erhard Roy Wiehn. Konstanz-Hartung-Gorre 2012. 210 S Euro I8,-

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