M 155/2007 STA 15. August 2007 STA C Motion
1340 Zumstein, Langenthal (FDP)
Weitere Unterschriften: 43 Eingereicht am: 04.06.2007
Keine Ungültigkeit bei klarem Willen der Stimmberechtigten
Gemäss Artikel 27 der Verordnung über die politischen Rechte sind zwei ausseramtliche Wahlzettel, die je einen Namen eines wählbaren Kandidierenden enthalten, im gleichen Wahlcouvert ungültig. Dies selbst bei den Ständerratswahlen, wo insgesamt zwei Kandidierende gewählt werden können und somit zweifelsfrei der klare Wille des entsprechenden Stimmberechtigten zum Ausdruck kommt.
Der Regierungsrat wird aufgefordert, die genannte Verordnung mit dem Ziel abzuändern, die Ungültigkeit nur dann auszusprechen, wenn dafür ein begründeter Anlass besteht.
Es wird Dringlichkeit verlangt. Gewährt: 07.06.2007
Antwort des Regierungsrates
1. Grundsätzliches
Artikel 34 der Bundesverfassung enthält eine Garantie der politischen Rechte und schützt „die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe“. Die Garantie der politischen Rechte gilt gleichermassen für den Bund, die Kantone und die Gemeinden.
Nach der Praxis des Bundesgerichts besteht ein Anspruch darauf, dass kein Wahl- oder Abstimmungsresultat anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Dazu gehören auch die korrekte Ermittlung der Wahl- und Abstimmungsresultate. Kernstück dieses Anspruchs bildet das korrekte Zählen der abgegebenen Stimmen.
2. Persönliche und briefliche Stimmabgabe
Nach Artikel 8 Absatz 2 des Gesetzes über die politischen Rechte geben die Stimmberechtigten „ihre Stimme persönlich an der Urne ihres politischen Wohnsitzes oder brieflich ab“ (Artikel 8 Absatz 1 des Gesetzes vom 5. Mai 1980 über die politischen Rechte; GPR, BSG 141.1). Artikel 8 Absatz 6 des Gesetzes über die politischen Rechte hält für die persönliche Stimmabgabe weiter fest, dass der Stimmrechtsausweis im Abstimmungsraum dem Stimmausschuss abzugeben ist und dass der Stimmausschuss die Wahlzettel auf der Rückseite abzustempeln hat.
Anschliessend haben die Stimmberechtigten die Stimm- und Wahlzettel unter der Aufsicht des Stimmausschusses persönlich in die dafür bestimmte Urne einzuwerfen.
Für jede Vorlage darf nur ein Stimmzettel und für jede Wahl nur ein Wahlzettel gestempelt werden.
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Die Artikel 10 und 11 des Gesetzes über die politischen Rechte enthalten die Grundsätze zur brieflichen Stimmabgabe. Diese Grundsätze werden in den Artikeln 23 ff. der Verordnung vom 10. Dezember 1980 über die politischen Rechte (VPR, BSG 141.112) näher ausgeführt. Der Grundsatz, dass ein Wahlzettel nur gültig ist, wenn er abgestempelt worden ist, gilt auch für die briefliche Stimmabgabe (Artikel 27 ff. VPR, insbesondere Artikel 28 Absatz 3 VPR). Artikel 27 Absatz 2 VPR legt Folgendes fest:
„Enthält das Antwortcouvert oder das Stimmcouvert für die nämliche Abstimmungsvorlage oder Wahl zwei oder mehr von einander abweichende Stimm- oder Wahlzettel, so sind diese ungültig“. Damit wird der Grundsatz bestätigt, dass jede stimmberechtigte Person über einen Wahlzettel verfügt.
3. Regelung in anderen Kantonen
Bei den Verwaltungen von insgesamt 10 Kantonen (ZH, LU, FR, SO, BL, SG, GR, AG, VD, VS) wurde eine Umfrage durchgeführt. Alle angefragten Kantone kennen die gleichen Regeln wie der Kanton Bern. Wenn sich in einem Wahlcouvert mehrere unterschiedliche Wahlzettel befinden, werden alle Wahlzettel als ungültig erklärt.
4. Information der Stimmberechtigten
Nach Artikel 23 Absatz 2 VPR erhalten die Stimmberechtigten einen Anleitung zur brieflichen Stimmabgabe. In dieser Anleitung werden die Wählerinnen und Wähler ausdrücklich darauf hingewiesen, dass pro Wahlkategorie nur ein Wahlzettel verwendet werden darf.
Die Behandlung der vorliegenden Motion im Grossen Rat und die Berichterstattung in den Medien werden den Kenntnisstand bei den Stimmberechtigten in dieser Angelegenheit weiter vertiefen.
5. Gesamtbeurteilung
Artikel 34 der Bundesverfassung schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe. Dieser Grundsatz gilt für den Bund, die Kantone und die Gemeinden.
Auch das Bundesgericht hielt fest, dass kein Wahl- oder Abstimmungsresultat anerkannt werden darf, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Die Kantone sind gehalten, diese Grundsätze umzusetzen. Im Kanton Bern können die Stimmberechtigten ihre Stimme persönlich an der Urne ihres politischen Wohnsitzes oder brieflich abgegeben. Für beide Arten der Stimmabgabe müssen die gleichen Grundsätze gelten. Für jede Wahlkategorie ist nur ein einziger Wahlzettel zulässig. Dabei haben die Stimmberechtigten ein umfassendes Recht zur Willenskundgebung. Dies sei am Beispiel der Ständeratswahlen gezeigt: Die Stimmberechtigten können den leeren amtlichen Wahlzettel mit einem oder zwei Namen ausfüllen. Sie können auch einen ausseramtlichen Wahlzettel mit vor gedruckten Namen verwenden. Auf diesem ausseramtlichen Wahlzetteln können Namen gestrichen werden. Es können auch handschriftlich zusätzliche Namen eingefügt werden. Allerdings dürfen bei den Ständeratswahlen nicht mehr als zwei Namen auf dem Zettel stehen.
Denjenigen Personen, die an der Urne abstimmen, kann nicht gestattet werden, zwei Zettel einzuwerfen weil man – so gebietet es das Stimmgeheimnis – nicht kontrollieren darf, was sie stimmen. Deshalb könnte – wenn zwei Wahlzettel gestattet wären – auch nicht kontrolliert werden, ob diese zwei Zettel nicht plötzlich vier Namen enthalten.
Personen, die brieflich stimmen, sind in dieser Hinsicht gleich zu behandeln wie Personen, die an der Urne abstimmen.
Antrag: Ablehnung der Motion An den Grossen Rat