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„Arbeit für alle bei fairem Lohn“

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Rede zum 1. Mai 2009-04-23

Ingrid Sehrbrock

Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes

„Arbeit für alle bei fairem Lohn“

1. Mai 2009 in Itzehoe

Es gilt das gesprochene Wort!

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Anrede,

Unser Maimotto, „Arbeit für alle bei fairem Lohn“ – sagen wir es offen, es klingt etwas nach Zukunftsvision, liebe

Kolleginnen und Kollegen, jedenfalls in der aktuellen Situation.

Die Zeichen stehen auf Sturm. Wir stecken mitten in einer der größten Wirtschaftskrisen, ausgelöst durch eine internationale Finanzkrise, aber auch durch massive Konjunktureinbrüche. Und nicht nur das. Unser

Finanzsystem wurde durch unverantwortliche Aktionen von Spekulanten und Zockern in eine völlige Schieflage

gebracht.

Was viele mit gesundem Menschenverstand in Zweifel gezogen hatten, trat ein:

● Zinserträge von 20 % und mehr – wer hatte eigentlich geglaubt, dass dies auf legale Art und Weise möglich wäre?

● Unternehmenskauf auf Pump durch Heuschrecken – wer hatte gedacht, dass dies eine seriöse Methode sein könnte?

● Gewinnmargen rauf! Arbeitsplätze weg! Löhne runter!

Wer glaubte eigentlich, dass man so Unternehmen führen kann?

Die Verächter des Staates, die Kritiker staatlicher Ordnung, die Marktfetischisten und Wettbewerbsfanatiker – es waren ausgerechnet die, die sich nicht schämten, sofort nach dem Staat zu rufen.

Und um nicht das Bankensystem zusammenbrechen zu lassen, hat die Politik mit großen Summen reagiert, hat

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Finanzmittel zur Stützung des Bankensektors zur Verfügung gestellt.

Kolleginnen und Kollegen,

zwar hat die Politik auch schnell reagiert und das Kurzarbeitergeld ausgebaut. Sie hat die Unternehmen aufgefordert jetzt nicht schnell zu entlassen. Sie hat die Firmenchefs daran erinnert, dass bei einem Aufschwung qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen muss, auch bei weniger nachwachsenden Fachkräften. Ob dies reicht, bleibt aber die Frage.

Aber wir halten auch fest am Ziel: Arbeit für alle bei fairem Lohn. Wir wollen nicht, dass die Menschen Opfer einer Krise werden, die sie nicht zu verantworten haben. Das wollen wir gemeinsam mit den Gewerkschaften in Europa verhindern.

Ich weiß, es ist eine schwierige Sache. Und ich will nichts versprechen, was wir nicht halten können

Die Aufgabe lautet, neue Arbeitsplätze „grüne Jobs“ zu schaffen, - wie es im internationalen Bereich heißt,

bestehende zukunftsfähige Arbeitsplätze zu halten, und für junge Menschen Perspektiven zu eröffnen, trotz der

schwierigen Lage – nicht mehr und nicht weniger.

Schon vor der Krise ging die Entwicklung in die falsche Richtung.

Marktgläubigkeit, Deregulierung, Privatisierung, Shareholder-Value- Kapitalismus und die Gier nach kurzfristiger Gewinnmaximierung haben diese Krise verursacht. Viele, die daran mitgewirkt haben, waschen ihre Hände jetzt in Unschuld. Wir werden nicht vergessen, wer ihnen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft applaudierte, wer durch Deregulierung, Privatisierung und die Jagd nach dem Profit für Wenige den Druck auf die Einkommen und Sozialleistungen

unterstützt hat.

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Wir brauchen einen Neuanfang, eine Wirtschaftsordnung, die dem Wohl aller Menschen dient. Auch Vorstände sollen angemessen verdienen. Aber, wer hat so viel mehr Verantwortung und erbringt so viel mehr Leistung, dass das 500fache des Durchschnittsverdiensts gerechtfertigt ist? Das sprengt einfach jedes vernünftige Maß.

Unser Motto am 1. Mai, dem Tag der Arbeit bleibt: „Arbeit für alle bei fairem Lohn“.

Wir halten fest an der Forderung, dass Gute Arbeit kein Privileg, sondern das Recht aller Menschen ist.

Wir halten fest an der Überzeugung, dass alle einen Anspruch auf einen fairen Lohn für ihre Arbeit haben. Wir halten daran fest, dass mehr Mitbestimmung und Teilhabe wichtige Elemente einer neuen Wirtschaftsordnung sein müssen.

Anrede,

in den letzten Jahren wurde es immer schwieriger, gute Löhne durchzusetzen. Tarifautonomie und Tarifverträge wurden von Kritikern als Ursache für fehlendes Wirtschaftswachstum

gebrandmarkt. Damit wurden viele Unternehmen zur Flucht aus Tarifverträgen aufgefordert, die Tarifbindung ist rückläufig.

Der Niedriglohnsektor hat sich in den letzten Jahren in Deutschland ausgebreitet. Durch die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und die Einführung der Hartz IV-Gesetze geriet das Lohnniveau zunehmend unter Druck.

Arbeitslose müssen jeden Job bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit annehmen. Sie sollen eine Entlohnung akzeptieren, die bis zu 30 Prozent unter dem ortsüblichen Niveau liegt. Wer weiß schon, wie hoch das ortsübliche Niveau ist? Wer weiß, was Sittenwidrigkeit heißt? Zu viele Menschen lassen sich auf schlechte Löhne ein, um nicht arbeitslos zu werden.

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Wer ein Leben lang den Mindestlohn verdient, ist auch im Alter arm!

Arbeitslöhne müssen auch im Alter zu mehr als Existenz sichernder Rente führen!

Wir wissen aber: Nur Existenz sichernde Löhne bewahren die sozialen Sicherungssysteme vor dem Ausbluten. Billigjobs dagegen schwächen die Nachfrage, die maßgeblich von der Massenkaufkraft gerade auch unterer Einkommen abhängig ist.

Tarifvertragliche Lösungen sollen Vorzug haben und sollen durch gesetzliche Maßnahmen abgesichert werden. Die Gewerkschaften fordern eine gesetzliche Regelung, die branchenbezogene

Mindestentgelte auf der Grundlage von Tarifverträgen ermöglicht.

Wir wollen aber auch, dass Tariflöhne wieder leichter

allgemeinverbindlich für die ganze Branche gemacht werden können.

Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz soll auf alle Wirtschaftsbereiche ausgedehnt werden, damit auch ausländische Unternehmen an feste Löhne gebunden werden.

Es ist menschenunwürdig, Arbeitslose in Beschäftigungsverhältnisse zu zwingen, die ihnen selbst bei einer Vollzeittätigkeit nicht die Existenz sichern. Darüber machen sich heute viele Menschen Sorgen, auch solche, die sich früher vor Arbeitslosigkeit und schlechter Bezahlung sicher fühlten. Auch Menschen in der Mittelschicht sind hier verunsichert und in Sorge um die Zukunft.

Daher heißt es, Mindestlohn jetzt! – Das Abrutschen in die Armut muss endlich gestoppt werden!

Anrede,

fairer Lohn ist im Handwerk mittlerweile für die meisten

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein schier unerreichbarer Traum.

Die Differenz zwischen dem Durchschnittsstundenlohn eines Industriearbeiters und dem durchschnittlichen Gesellenlohn im

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Handwerk beträgt mittlerweile fünf Euro. In vielen Bereichen sind Stundenlöhne von unter fünf Euro keine Seltenheit. Ein Monatslohn unter 1.000 Euro für Vollzeit arbeitende dreijährig ausgebildete Gesellen. Das darf nicht sein!

Und noch eines:

Beim Thema faire Löhne muss über Entgeltungleichheit zwischen Männern und Frauen geredet werden. Es ist nach wie vor nicht zu fassen!: Frauen verdienen in Deutschland 22 Prozent weniger als Männer. Einkommensdifferenzen zwischen Frauen und Männern existieren europaweit, aber vor allem in Deutschland ist diese Entgeltlücke besonders groß.

Noch viel schlimmer, sie vergrößert sich sogar. Das hat viel damit zu tun, dass Frauen immer stärker in Teilzeitarbeit und prekäre

Beschäftigungsverhältnisse wie Minijobs abgedrängt werden.

Nach wie vor entscheiden sich Frauen und Männer für typische Berufe. Viele Berufe, die Frauen bevorzugen, werden schlechter bezahlt und bewertet als entsprechende Berufe von Männern.

Tätigkeiten, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden, müssen endgültig aufgewertet werden!

Dies gilt vor allem für die pflegerischen Berufe und Tätigkeiten in sozialen Diensten. Wieso ist Arbeit mit Technik eigentlich „wertvoller“

als Arbeit mit schwierigen Jugendlichen, mit demenzkranken Alten, mit gestrandeten Erwachsenen ohne Perspektive? Es ist auch nicht länger hinnehmbar, dass eine Aufwertung dieser Tätigkeiten

budgetneutral gestaltet werden muss, wie es die Arbeitgeber fordern.

Das heißt doch: Frauenlöhne rauf, Männerlöhne runter. Für ein solches Projekt kann man dann getrost Jahrzehnte ansetzen! Aber so lange wollen wir nicht warten.

Anrede,

auch da, wo Betriebsräte und Gewerkschaften gute Tarifarbeit leisten, muss die Beseitigung von diskriminierenden Beschreibungen und Tätigkeiten weiter fortgesetzt werden. Die Angleichung von

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verschiedenen aber gleichwertigen Tätigkeiten muss unser Ziel bleiben. Dies ist eine Arbeit, die nur wir leisten können.

Der zweite nationale Aktionstag für Entgeltgleichheit, der Equal Pay Day, der Ende März stattgefunden hat, zeigt deutlich, welche hohe Mobilisierungskraft in diesem Thema steckt. Wir dürfen uns nicht beiseite schieben lassen. Entgeltgleichheit ist ein wichtiges politisches Handlungsfeld und es gehört zu unserem Kernthema

„faire Löhne und Arbeit für alle“ uneingeschränkt dazu.

Fairer Lohn: Das muss für alle Beschäftigten gelten. Auch für die als Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter Beschäftigten.

Wir wollen die Beschäftigten in der Leiharbeit mit den Beschäftigten in den Einsatzbetrieben gleichstellen.

Wir unterstützen keine Kostensenkungspolitik durch billigere Arbeitskräfte unter dem Vorwand, der Einsatz von Arbeitnehmern müsse eben flexibel sein.

Stammbelegschaften wurden zugunsten von Leiharbeit und befristet Beschäftigten abgebaut. Nun gilt es, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in Vollzeit und mit Kündigungsschutz deutlich zu stärken.

Nur dort, wo ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf besteht, kann und soll auf die Mittel der Befristung bzw. der Leiharbeit zurückgegriffen werden.

Wo Dauerarbeitsplätze vorhanden sind, muss auch eine dauerhafte Beschäftigung zu fairen und gleichen Bedingungen gewährleistet werden.

Anrede,

Auch Junge Menschen brauchen gute Arbeit

Es ist ein Irrglaube, dass junge Leute gerne als Generation Praktikum heute hier und morgen dort arbeiten. Sie wollen nicht

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wie moderne Arbeitsnomaden quer durch die Republik ziehen.

Dies ist für sie in keinster Weise aufregend.

Auch junge Beschäftigte brauchen und wünschen sich vor allem einen sicheren Arbeitsplatz und ein ausreichendes Einkommen.

Zwischen Wunsch und Realität klafft jedoch eine eklatante Lücke. Und das ist kein Wunder, schaut man sich die Bedingungen an, unter denen junge Beschäftigte arbeiten.

Sie sind deutlich häufiger in unsicherer und unterbezahlter Beschäftigung. Trotz ihrer relativ kurzen Erwerbsbiographie sind Menschen unter dreißig Jahren viel öfter in Leiharbeit oder nur mit Kurzzeit-Verträgen beschäftigt. Kein Wunder, dass diese unsichere Situation sie eher pessimistisch in die Zukunft blicken lässt.

Nahezu jeder Dritte hat Angst um die berufliche Zukunft. Nur jeder Zweite ist der Meinung, dass er/sie die gegenwärtigen Arbeitsanforderungen bis zur Rente bewältigen kann.

Für junge Frauen sieht es noch schlechter aus. Die Gründe sind sowohl niedrigere Einkommen als auch geringere

Aufstiegsperspektiven.

Auf den heute bis zu 30jährigen lastet ein enormer Druck. Und er wird in den nächsten Jahrzehnten noch größer. Angesichts einer alternden Gesellschaft müssen die Jüngeren für den Wohlstand Vieler sorgen.

Sie brauchen sichere Arbeit, die Planbarkeit gewährleistet, sowie ein Einkommen, mit dem sie ihr Auskommen haben. Wie sollen junge Menschen sonst den Mut aufbringen, eine Familie zu gründen? Wie soll sonst die viel beschworene Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingen? Wie sollen die Berufseinsteiger sonst bis zu einem Renteneintritt mit 67 Jahren durchhalten?

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Wenn junge Fachkräfte die Zukunft unseres Landes sind - und das soll keine Floskel sein - dann muss Arbeit für junge

Menschen attraktiver werden! Anpassung und Flexibilität dürfen keine Einbahnstraße bleiben. Wer nur abverlangt und junge Menschen ins Ausland verschiebt mangels Beschäftigungsmög- lichkeiten im eigenen Land, darf sich anschließend nicht über Fachkräftemangel beklagen.

Junge Leute dürfen nicht länger die – meist unfreiwilligen – Vorreiter einer schönen, neuen flexibilisierten und unsicheren Arbeitswelt sein.

Und sie dürfen auch nicht in so genannten Praktika und anderen Schein-Lernverhältnissen ausgebeutet werden. Denn Arbeit hat nun mal ihren Preis.

Daher brauchen wir eine schärfere Trennung von Lern- und Arbeitsverhältnissen. Das Praktikum muss ähnlich der Berufsausbildung klar definiert und zeitlich begrenzt werden.

Damit für alle – Jugendliche und Unternehmen – deutlicher wird, wo Lernen aufhört und regulär zu bezahlende Arbeit anfängt. Das sind wir jungen Leuten schuldig.

Wir wollen „Gute Arbeit“ für alle Beschäftigten, ob jung oder alt, weiblich oder männlich. Und das bedeutet für uns Ausbildungs- plätze für alle, Jobs statt Schein-Praktika, unbefristete Verträge statt Projektarbeit, soziale Sicherung statt Schein-

Selbständigkeit, angemessene Einkommen statt Armut trotz Arbeit, Mitbestimmung statt Angst und Erpressbarkeit.

Anrede,

Arbeit für alle bei fairem Lohn ! Das ist ein hoher Anspruch.

Aber, wir sind nicht blauäugig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jeder weiß, dass ein Wachstumseinbruch von 5 oder 6 % mit wachsender Arbeitslosigkeit einhergeht.

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Die Politik hat mit dem Ausbau des Kurzarbeitergelds und der Förderung von Qualifizierung in dieser Zeit eine vernünftige Entscheidung getroffen. Das Signal an die Betriebe ist:

Haltet die Beschäftigten, qualifiziert sie weiter, sichert Arbeitsplätze und Fachkräfte. Die geburtenschwachen Jahrgänge werden Lücken lassen, wie wir alle wissen.

Aber diese Zeit bietet auch eine echte Chance. Wenn die Politik jetzt mehr daran setzt als früher

• Energie einzusparen

CO2 Emissionen zu reduzieren

• Regenerative Energieträger zu nutzen

• Bausubstanz energetisch zu sanieren

• Energiesparende Autos zu entwickeln, zu bauen,

dann brauchen wir nicht nur die Forscher, die all dies entwickeln. Wir brauchen gerade auch junge Menschen in entsprechend qualifizierenden Berufen; wir brauchen Fachleute mit Zusatzqualifikationen. Unternehmen sind gut beraten, diese Zeit zu nutzen, um mit oder ohne staatliche Förderung innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, Arbeitsplätze zu schaffen, junge Menschen auszubilden.

Die grünen Jobs, seien es die in der Landwirtschaft, im Umweltschutz, in der Gebäudesanierung, in den

energiesparenden Produktionsprozessen müssen gerade jetzt geschaffen werden.

Wenn die Krise sich nicht auswachsen soll, dann brauchen wir wirksame Programme, mit denen in Zukunftsbranchen Arbeitsplätze gehalten und neu geschaffen werden; in denen für die entsprechenden Qualifikationen neue Berufsbilder entwickelt und möglichst schnell ausgebildet werden soll.

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Der DGB hat einen Schutzschirm für Ausbildung gefordert.

Jugendliche sollen auf jeden Fall ihre Ausbildung beenden können, auch wenn ein Unternehmen Konkurs geht. Dafür sollen Betriebe unterstützt werden, die die Ausbildung zu Ende führen. Schließlich wollen wir für die Krisenzeit wieder eine Aufstockung der außerbetrieblichen Ausbildung – aber mit möglichst hohen Praxisanteilen in Betrieben oder Ausbildungszentren.

Wann, wenn nicht jetzt, muss für die Zeit nach der Krise vorgesorgt werden?

Anrede,

diese Zeit braucht allerdings auch den Blick über den nationalen Tellerrand.

Deutschland ist nicht das einzige Land, in dem die Lage schwierig ist. Nicht nur die Industrieländer sind betroffen.

Was wir uns viel zu selten klar machen ist, das gerade die Entwicklungs- und Schwellenländer, die ein wenig mehr Boden unter die Füße bekommen hatten, besonders betroffen sind.

Immer noch gilt, dass weltweit zwischen 40 und 50 % der Frauen und Männer nicht mehr als 2 Dollar pro Tag

verdienen. Damit schaffen sie es nicht, sich selbst und ihre Familien über die Armutsgrenze zu hieven. (Das gilt für 2009).

Ist uns eigentlich bewusst, was das bedeutet?

Machen wir es uns an einem Beispiel klar: Indien, das für viele zu den Schwellenländern gehört, die es gepackt zu haben scheinen, hat mindestens zwei Probleme– nicht gelöst: Analphabetismus und fehlende soziale Sicherung.

Die Hälfte der Bevölkerung kann nicht lesen und schreiben.

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Aber noch schlimmer: ca. 92 % der erwerbstätigen Bevölkerung bewegen sich im sogenannten informellen Sektor.

Was heißt das: sie arbeiten als Tagelöhner/innen auf dem Bau, sie handeln auf der Straße mit Obst, Gemüse oder Dingen des täglichen Bedarfs, sie produzieren in Heimarbeit Kleidung, Zigaretten oder Räucherstäbchen.

Das alles praktisch ohne soziale Absicherung: gerade ist zwar ein erster Schritt für die Bauarbeiter zur Absicherung gelungen. In aller Regel sind diese Menschen aber nicht sozial versichert: ohne Krankenversicherung,

Rentenversicherung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, ohne Unfall- oder Arbeitslosenversicherung.

Eine Bauarbeiterin im indischen Bundesstaat Gujarat, mit der ich 2005 einige Zeit zusammenleben konnte, hatte einen Arbeitsunfall. Für die 48-Jährige fiel nicht nur ihr Einkommen weg, sie hatte auch noch die Kosten für Arzt, Krankenhaus und Medikamente selbst zu zahlen. Das gelang nur, weil ihre Gewerkschaft ihr einen kleinen Kredit gewährt hat, den sie nun mühsam zurückzahlt, denn sie verdient den

Lebensunterhalt für die ganze Familie.

So ist es nicht mehr als richtig, dass die Internationale Arbeitsorganisation, die in diesen Tagen 90 Jahre alt wurde, soziale Sicherung auf der Agenda ganz weit nach vorne geschoben hat, im Rahmen ihres Programms über „Soziale Gerechtigkeit für eine faire Globalisierung“ von 2008.

Die ILO hat 1999 mit ihrem Programm „decent work“ – das man mit „menschenwürdiger oder anständiger Arbeit“

übersetzen könnte, einen wichtigen Anstoß gegeben.

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Und die Bundesregierung hat konsequenterweise mit Mitteln des BMZ Projekte gefördert, die die soziale Sicherung in vielen Ländern befördert. Das geht in die richtige Richtung.

Anrede,

ich freue mich, dass wir mit dem DGB Bildungswerk seit letztem Jahr die Indische Akademie, ein Projekt der Frauengewerkschaft SEWA fördern. Es qualifiziert Gewerkschafterinnen, von denen die meisten nicht lesen und schreiben können. Die Gewerkschaft SEWA ist mit einem solchen Elan an die Arbeit gegangen und so

professionell, dass es nur Freude macht, unser Know how und das von SEWA für eine vielversprechende Sache zusammen zu bringen.

Manche von euch wissen vielleicht, dass mir dieses indische Projekt – und ganz besonders die Frauen, die davon

profitieren sollen - ganz besonders am Herzen liegt. Und ich bin auch ein bisschen stolz, dass es uns gelungen ist, SEWA in den Internationalen Bund der Gewerkschaften

aufzunehmen, obwohl einige alteingesessene indische Gewerkschaften dagegen waren.

Anrede,

was ich damit sagen will ist:wir haben als deutsche Gewerkschaften und als DGB auch eine internationale Verantwortung. Trotz der Krise geht es uns international gesehen immer noch relativ gut. Das muss uns auch eine Verpflichtung sein, für menschenwürdige Arbeit anderswo alles zu tun, was in unserer Macht steht, ohne die nationalen Regierungen aus der Verantwortung zu lassen. Daran sei heute am 1.Mai auch einmal erinnert.

Um es deutlich zu sagen. Ich wünsche mir von der Politik, aber auch von Gewerkschaften, wieder mehr Engagement

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für diejenigen in der Welt, denen es wesentlich schlechter geht als uns.

Übrigens können wir auch selbst von unseren Partnern lernen. Stichwort: Mitgliedergewinnung. Die Gewerkschaft SEWA macht das exzellent. Sie wirbt auch in

Nachbarschaften und im Freundeskreis. Innerhalb weniger Jahre hat sie mehr als 300 000 Mitglieder zusätzlich gewonnen und liegt nun bei über einer Million Mitgliedern.

Arbeit für alle bei fairem Lohn, das ist eine verdammt hohe Anforderung, gerade jetzt. Aber die Gewerkschaften und der DGB nehmen sie ernst.

Schon allein das Instrumentarium, was Betriebe jetzt einsetzen, um Arbeitsplätze zu halten, ist lange verhandelt worden und beeindruckend. Zulagen bei Kurzarbeit,

Arbeitszeitkonten ins Minus bringen, Urlaub abfeiern, keine Fremdfirmen einsetzen, keine Leiharbeit.

Im Übrigen. Die Gewerkschaften - und gerade auch viele von euch – haben ausreichend Erfahrung, wenn es um die Sicherung von Arbeitsplätzen geht. Die großen

Unternehmen können das besser als die Kleinen, das ist auch wahr, sie haben mehr Möglichkeiten, zwangsläufig.

Hinter all diesen verhandelten Instrumentarien steht Innovationsbereitschaft und Verhandlungsgeschick, Erfahrung und Verantwortung, Vertrauen der Belegschaft und der Arbeitgeber.

Und dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute am 1. Mai, meinen herzlichen Dank dafür, ganz offiziell.

Arbeit für alle bei fairem Lohn. Das ist auch eine Vision von einer besseren Welt. Lasst uns für die Verwirklichung dieser Vision Baustein für Baustein setzen. In den Betrieben, in den Gewerkschaften und dem DGB, in der Politik.

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Wir alle.

Wir sind am Zug.

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