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Löhne, Mieten, Steuern – Schieflage beseitigen!

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Academic year: 2022

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Löhne, Mieten, Steuern–

Schieflage beseitigen!

DGB Verteilungsbericht 2018

(2)

Impressum

Herausgeber:

DGB Bundesvorstand

Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik Henriette-Herz-Platz 2

10178 Berlin www.dgb.de

verantwortlich: Stefan Körzell, VB 03 erarbeitet von: Dr. Robby Riedel

Titelbild: Robert Kneschke/Shutterstock.com Abbildungen | Grafiken: DGB

Druck: apm AG, Darmstadt

(3)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort...6

1 Zentrale Ergebnisse ...7

2 Wirtschaft und Arbeitsmarkt im Überblick...10

2.1 Konjunkturelle Lage...10

2.2 Arbeitsmarkt ...12

3 Gesamtwirtschaftliche Lohnposition ...14

3.1 Entwicklung der Lohnquote in Deutschland...14

3.2 Entwicklung der Lohnquote im internationalen Vergleich...18

3.3 Neutraler Verteilungsspielraum...19

4 Entwicklung der Arbeitseinkommen...22

4.1 Entwicklung in Deutschland...22

4.2 Entwicklung der Reallöhne im internationalen Vergleich...25

4.3 Lohndrift...26

4.4 Ost-West-Angleichung ...27

5 Entwicklung der Kapitaleinkommen...30

5.1 Gesamtwirtschaftliche Entwicklung...30

5.2 Unternehmens- und Vermögenseinkommen der Kapitalgesellschaften...32

5.3 Kapitaleinkommen der privaten Haushalte...37

6 Einkommensverteilung ...39

6.1 Einkommensverteilung in Deutschland...39

6.2 Einkommensarmut ...43

6.3 Einkommensverteilung im internationalen Vergleich...47

6.4 Geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede - Gender Pay Gap ...48

7 Vermögensverteilung ...53

7.1 Vermögensverteilung - Internationaler Vergleich und globale Trends ...55

7.2 Vermögensbezogene Besteuerung ...61

8 Wohnungspolitik ist auch Verteilungspolitik...63

9 Politische Handlungsfelder...66

(4)

Abbildungsverzeichnis

Abb. 2.1: Wachstumsbeiträge der BIP-Komponenten...11

Abb. 2.2: Entwicklung der Wachstumsindikatoren der deutschen Wirtschaft ...12

Abb. 2.3: Entwicklung der abhängigen Beschäftigung 2001 bis 2017...13

Abb. 3.1: Entwicklung der Lohnquote in Deutschland seit 2000...15

Abb. 3.2: Lohnquoten der Bundesländer im Jahr 2015 ...16

Abb. 3.3: Entwicklung der Lohnquoten im internationalen Vergleich seit 2000...18

Abb. 3.4: Ausschöpfung des gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraums ...21

Abb. 4.1: Entwicklung der nominalen sowie realen Monatslöhne und -gehälter ...24

Abb. 4.2: Reallohnentwicklung in Deutschland seit 2000 ...25

Abb. 4.3: Reallohnentwicklung in der EU im Jahr 2017 ...25

Abb. 4.4: Effektiv- und Tariflohnentwicklung sowie Lohndrift in Deutschland seit 2000...26

Abb. 4.5: Bruttolohnniveau Ost/West und durchschnittliche Bruttomonatsverdienste in West für verschiedene Wirtschaftsbereiche im Jahr 2017 ...29

Abb. 5.1: Nominale und reale Entwicklung von Volkseinkommen, Unternehmens- und Vermögens- einkommen sowie Arbeitnehmerentgelten seit 2000 (Basisjahr = 2000) ...32

Abb. 5.2: Anteil des Vermögenseinkommens an Unternehmensgewinnen der Kapitalgesellschaften ...36

Abb. 5.3: Entwicklung der (Primär-) Einkommensquellen der privaten Haushalte seit 2000 ...38

Abb. 6.1: Einkommensverteilung in Deutschland (Gini-Koeffizient)...40

Abb. 6.2: Gini-Koeffizient des Äquivalenzeinkommens nach Bundesländern im Jahr 2016...41

Abb. 6.3: Entwicklung der realen verfügbaren Einkommen nach Dezilen seit 1991...42

Abb. 6.4: Entwicklung der Markteinkommen (vor Steuern und Transfers) am Gesamteinkommen nach Einkommensgruppen ...43

Abb. 6.5: Einkommensarmut nach Alter und Geschlecht im Jahr 2016...44

Abb. 6.6: Armutsgefährdungsquote in den Bundesländern im Jahr 2016 ...45

Abb. 6.7: Worker Pay Ratio der DAX-Unternehmen im Jahr 2017 ...46

Abb. 6.8: Gini-Koeffizient des bedarfsgewichteten verfügbaren Haushaltseinkommens sowie Anteil der einkommensreichsten 10% am Gesamteinkommen in der OECD, 2015...47

Abb. 6.9: Gender Pay Gap im internationalen Vergleich im Jahr 2016...49

Abb. 6.10: Gender Pension Gap in OECD-Staaten ...52

Abb. 7.1: Vermögensverteilung in Deutschland im Jahr 2017 ...53

Abb. 7.2: Entwicklung der Vermögen und Verbindlichkeiten privater Haushalte in Deutschland...54

Abb. 7.3: Vermögenskonzentration im internationalen Vergleich im Jahr 2017 ...55

Abb. 7.4: Gini-Koeffizienten der Vermögensverteilung in OECD-Ländern im Jahr 2017 und Veränderung seit 2010...56

Abb. 7.5: Top10/Bottom50-Verhältnis in ausgewählten Industrieländern im Jahr 2017 ...57

Abb. 7.6: Die globale Vermögenspyramide im Jahr 2017...58

Abb. 7.7: Entwicklung der Anzahl der Dollar-Millionäre in verschiedenen Teilen der Welt seit 2009...59

Abb. 7.8: Ultrareiche (Vermögen über 50 Millionen US-Dollar) im Jahr 2017 in ausgewählten Ländern ...60

Abb. 7.9: Steueraufkommen durch Vermögensbesteuerung in OECD-Staaten im Jahr 2015...62

Abb. 8.1: Bestandsentwicklung der Sozialwohnungen (gebundene Mietwohnungen) in den Bundesländern seit dem Jahr 2000 ...64

Abb. 8.2: Mietbelastungsquoten nach Einkommen...65

(5)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 3.1: Entwicklung von Volkseinkommen, Lohnquoten und Profitquote seit 2000 ...17

Tabelle 3.2: Entwicklung der Arbeitsproduktivität, Preisentwicklung, neutraler Verteilungsspielraum, Bruttoverdienste und Ausschöpfung des Verteilungsspielraumes...20

Tabelle 4.1: Entwicklung der monatlichen Brutto-, Netto- und Realeinkommen ...23

Tabelle 5.1: Entwicklung von Volkseinkommen, Unternehmens- und Vermögenseinkommen sowie Arbeitnehmerentgelten von 2000 bis 2017 ...31

Tabelle 5.2: Betriebsüberschüsse, Vermögenseinkommen und Gewinne der Kapitalgesellschaften...33

Tabelle 5.3: Brutto-Unternehmensgewinne sowie direkte Steuern der Kapitalgesellschaften seit 2000 ...35

Tabelle 5.4: Primäreinkommen der privaten Haushalte ...37

Tabelle 6.1: Gender Pay Gap in Deutschland nach Branchen und Tätigkeitsprofil im Jahr 2017 ...50

(6)

Vorwort

Die deutsche Wirtschaft entwickelt sich gut. Dies führt insgesamt zu einer Mehrung des Wohlstands – dennoch, so der Befund des DGB-Verteilungsberichtes 2018, nimmt die Ungleichheit dauerhaft zu. Während hohe Einkommen und Vermögen von der guten Entwicklung profitieren, wächst auf der anderen Seite die Gruppe der Einkommens- und Vermögensschwachen. In der Folge schrumpft die Mittelschicht. Diese Verteilung von Einkommen und Vermögen wird von dem Großteil der Bevölkerung als ungerecht emp- funden. Der Wunsch zu Veränderungen hin zu einer gerechteren Verteilung materieller Ressourcen zieht sich durch alle Bevölkerungskreise.

Durch die jahrelange Umverteilung von unten nach oben und der einhergehenden steu- erlichen Privilegien auf Vermögen herrscht in Deutschland eine extreme Vermögenskonzentration. Auch im in- ternationalen Vergleich steht Deutschland diesbezüglich sehr schlecht da. Die Möglichkeiten, beispielsweise Erbschaften nahezu steuerfrei an die Nachkommen weiterzugeben, schafft von Grund an verzerrte Bedingungen.

Die Einkommensungleichheit zeigt sich in verschiedenen Bereichen. Auf der einen Seite entkoppelt sich die Re- lation von Manager- zu Arbeitnehmerentgelten seit Jahrzehnten beständig. Seit Jahren wurde der Niedriglohn- sektor ausgebaut und atypische Arbeitsverhältnisse sind auf dem Vormarsch. Unter diesen Bedingungen können die meisten kein Geld zur Seite legen. Zudem ist das Verhältnis zwischen der Entlohnung von Arbeit und Kapi- taleinkünften nicht erst seit Kurzem in Schieflage. Die Kapitaleinkommen entwickeln sich prächtig, aber davon profitieren nur die, die bereits Kapital anhäufen konnten.

Um diesen Missständen entgegenzuwirken, muss die Politik nun umsteuern. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns und dessen Anpassung war ein wichtiger Schritt und hat sich als Erfolgsmodell erwiesen. Nichts- destotrotz kann der Mindestlohn nur eine Untergrenze darstellen. Tarifverträge sind weiterhin das wichtigste Instrument zur Regelung der Entgelt- und Arbeitsbedingungen und sorgen für eine gerechtere Verteilung und Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung. Hierzu müssen jedoch bessere Rahmenbedingungen geschaffen und die Tarifbindung gestärkt werden.

Die Verteilungsproblematik äußert sich auch in anderen Lebensbereichen, wie auf dem Wohnungsmarkt. Für viele wird es immer schwieriger oder gar unmöglich, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen sind hiervon betroffen. Aber in dieser Situation finden sich mehr und mehr Haushalte aus der „Mitte“ wieder. Selbst Gutverdienende zahlen heute in Ballungszentren einen gehörigen Teil ihres Ein- kommens nur für das Wohnen. Der Bau von Luxuswohnungen boomt, aber Sozialwohnungen und bezahlbarer Wohnraum bleiben auf der Strecke, obwohl der Bedarf genau hier am größten ist.

Höhere Investitionen in sozialen Wohnungsbau, Bildung und Qualifizierung, Gesundheit und Infrastruktur sind, gerade in einer guten wirtschaftlichen Lage wie derzeit, unausweichlich, um alle am Wachstum und Wohlstand teilhaben zu lassen. Ansätze und Möglichkeiten, durch die sich existenzielle und öffentliche Güter finanzieren ließen, gibt es viele: die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Gestaltung einer wirkungsvollen Erb- schaftssteuer sowie die Besteuerung von Spitzeneinkommen fordert der DGB seit Jahren. Zudem ist eine ge- rechte Besteuerung von Kapitaleinkommen längst überfällig. Hierfür muss die Abgeltungsteuer für alle Kapital- erträge und nicht nur auf Zinserträge wegfallen. Denn es liegt nicht auf der Hand, weshalb Kapitaleinkünfte pauschal mit 25% besteuert und somit im Vergleich zu den Arbeitseinkommen steuerlich privilegiert werden.

Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer bietet zudem Stabilität, denn sie verringert Ausschläge an den internationalen Finanz- und Kapitalmärkten und folglich das Risiko einer weiteren globalen Rezession.

Es wird Zeit, die vorhandenen Stellschrauben zu nutzen und weitere Instrumente zu schaffen, um der extremen Ungleichheit in Deutschland entgegenzuwirken. Für eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bürger würde das drin- gend notwendige Verbesserungen herbeiführen. Jetzt ist die Politik gefragt.

Stefan Körzell, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes des DGB

(7)

1 Zentrale Ergebnisse

Gesamtwirtschaftliche Lohnposition: Lohnquote bewegt sich seitwärts

 Im Jahr 2017 betrug der Anteil der Arbeitnehmerentgelte gemessen am Volkseinkommen 68,8%.

Damit bewegt sich die Lohnquote seit einigen Jahren seitwärts, liegt jedoch unterhalb des Niveaus der Jahrtausendwende.

 In den meisten industrialisierten Ländern sinkt die Lohnquote im langfristigen Trend.

 Die nominalen Bruttolöhne stiegen im Jahr 2017 mit einem Plus von 2,7% stärker als im Vorjahr.

 Allerdings konnte der neutrale Verteilungsspielraum im Jahr 2017 nicht ganz ausgeschöpft werden (- 0,2%). Dies lag in erster Linie an einer im Vergleich zu den Vorjahren anziehenden Preisentwicklung (1,8%).

 Seit dem Jahr 2010 konnte der Verteilungsspielraum im Durchschnitt hingegen gesamtwirtschaftlich ausgeschöpft werden, was die negative Entwicklung zuvor allerdings bisher noch nicht ausgleicht.

Arbeitseinkommen: Leichte Reallohnzuwächse

 Seit dem Jahr 2000 wuchsen die nominalen Bruttolöhne im Jahresdurchschnitt um 1,9%, seit dem Jahr 2010 um 2,7%.

 Die realen Bruttolöhne stiegen im letzten Jahr um 0,9% und damit etwas schwächer als in den Jahren zuvor. Seit der Jahrtausendwende entwickelten sie sich durchschnittlich nur um 0,4%, seit 2010 um 1,4%.

 Eine ähnliche Entwicklung ist bei den realen Nettolöhnen zu verzeichnen. Sie stiegen 2017 um 0,7%, seit dem Jahr 2000 im Jahresdurchschnitt um 0,4%.

 Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland bei der realen Einkommensentwicklung im unteren Mittelfeld.

 Für das letzte Jahr 2017 ergibt sich eine leicht positive Lohndrift (0,3%), d. h., die gesamtwirtschaft- lichen Effektivlöhne stiegen etwas stärker als die Tariflöhne.

 Das durchschnittliche Tarifniveau ostdeutscher Beschäftigter belief sich im Jahr 2017 auf 97,5% des westdeutschen Niveaus. Größere innerdeutsche Abweichungen sind allerdings bei den Effektivlöhnen zu verzeichnen. Durchschnittlich verdient ein/e Beschäftigte/r im Ostteil des Landes 83% des west- deutschen Lohnniveaus. Damit stagniert die Ost-West Angleichung de facto seit 20 Jahren.

 Die Lohnangleichung zwischen Ost und West ist von Branche zu Branche recht unterschiedlich. Wäh- rend Beschäftigte in Erziehung und Unterricht nahezu ähnliche Einkommen generieren, sind die Ver- dienstunterschiede im Verarbeitenden Gewerbe am größten.

Kapitaleinkommen: Nach wie vor auf hohem Niveau

 Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen stiegen seit der Jahrtausendwende mit jahresdurch- schnittlich 3,3% stärker als die Arbeitnehmerentgelte (+2,4%). Dies führt unweigerlich dazu, dass die relative Bedeutung der Unternehmens- und Vermögenseinkommen für das Volkseinkommen stetig zunimmt. Am aktuellen Rand zeichnet sich hingegen eine entgegengesetzte Entwicklung ab, mit stär- ker steigenden Arbeitnehmerentgelten als Unternehmens- und Vermögenseinkommen.

 Das Volkseinkommen wuchs seit dem Jahr 2000 im Mittel um 2,7%.

 Real entwickelten sich die Kapitaleinkommen in den letzten 17 Jahren um 38%, die Arbeitnehmerent- gelte hingegen nur um 17% und das Volkseinkommen um 23%.

 Die Einkommen der Kapitalgesellschaften entwickelten sich recht unterschiedlich und entsprechend des Konjunkturverlaufes. Seit dem Jahr 2000 vermehrten sich ihre Gewinne durchschnittlich um 3,7%, wenngleich die Gewinne seit 2010 etwas zurückgingen.

(8)

 Nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften erzielten in den vergangenen Jahren durchschnittlich höhere Ge- winne bzw. geringere Verluste als finanzielle Kapitalgesellschaften. Letztere hatten insbesondere mit den Turbulenzen an den internationalen Finanz- und Kapitalmärkten zu kämpfen.

 Die Unternehmensgewinne der privaten Haushalte entwickelten sich seit dem Jahr 2000 mit +2,8%

im Durchschnitt geringer als die der Kapitalgesellschaften. Allerdings konnten die Betriebsüberschüsse der privaten Haushalte in den letzten Jahren etwas stärker zulegen.

 Die Vermögenseinkommen der privaten Haushalte wuchsen im Mittel um 1,7% seit dem Jahr 2000.

Einkommensverteilung: Unterschiede zwischen den Geschlechtern sehr hoch

 Die Einkommensungleichheit in Deutschland bewegt sich auf einem hohen Niveau.

 Die 20% Einkommensärmeren mussten seit Anfang der 1990er Jahre reale Einkommensverluste hin- nehmen, während das reichste Zehntel reale Einkommenszuwächse von 30% erhielt.

 Die Einkommensarmut ist kein Randphänomen, sondern es stellt ein gesamtgesellschaftliches Problem dar. Derzeit gilt jede/r Sechste als einkommensarm.

 Besonders Frauen sowie junge und ältere Menschen weisen ein höheres Risiko auf, in Armut zu gera- ten.

 Das Armutsrisiko fällt je nach Bundesland recht unterschiedlich aus. Das höchste Armutsrisiko gibt es in Bremen, das geringste in Baden-Württemberg.

 Auf der anderen Seite der Einkommensspirale sieht die Gegenwart hingegen rosig aus. Ein Dax-Vor- standsvorsitzender bezog im Jahr 2017 durchschnittlich das 85fache eines/-r Unternehmensmitarbei- ters/-in. Der Gesamtvorstand eines DAX-Unternehmen konnte im Jahr 2017 durchschnittlich das 68fa- che eines Unternehmensmitarbeiters erzielen. Unter den DAX-Unternehmen gibt es große Unterschiede.

 Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Einkommensverteilung im Mittelfeld. Die ein- kommensreichsten 10% versammeln rund 23% der Gesamteinkommen.

 In den neuen Bundesländern sind die Einkommen im Vergleich zu den alten Bundesländern gerechter verteilt.

 Die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern (Gender Pay Gap) ist in Deutschland, auch im in- ternationalen Vergleich, sehr hoch. Frauen verdienen im Schnitt rund 21% weniger als ihre männlichen Kollegen. Die Verdienstunterschiede fallen je nach Branche unterschiedlich und mit steigenden Tätig- keitsanforderungen höher aus.

 Die geschlechtsspezifische Verdienstlücke hat auch Auswirkungen auf die Alterssicherung. Ein gerin- ges Einkommen während des Erwerbslebens führt auch zu geringeren Rentenansprüchen im Alter. Die Rentenlücke, Gender Pension Gap, ist hierzulande unter den OECD-Staaten am größten. Demnach beziehen Frauen im Durchschnitt ein um 46% geringeres Alterseinkommen, inklusive betriebliche und private Sicherung, als männliche Rentner.

Vermögensverteilung: Extrem ungleich

 Das gesamte Nettovermögen in Deutschland ist seit der Jahrtausendwende um 75% gewachsen.

 Die Vermögen sind in Deutschland extrem ungleich verteilt. Die reichsten 10% der Bevölkerung ver- fügen über 65%, das wohlhabendste 1% über 32% des Gesamtnettovermögens. Am anderen Ende der Vermögensverteilung besitzen 50% der Bevölkerung gerade einmal 2,4% des Gesamtvermögens.

30% der Erwachsenen haben so gut wie kein Vermögen oder haben gar Schulden.

 Die Vermögenskonzentration und -ungleichheit in Deutschland ist im internationalen Vergleich sehr groß. Hierzulande besitzen die vermögendsten 1% so viel wie 88,2% der Bundesbürger/-innen.

 Seit dem Jahr 2000 ist die Ungleichheit der Vermögen, gemessen am Gini-Koeffizient, um knapp 16%

gestiegen.

(9)

 Die vermögensten 10% in Deutschland verfügen über mehr als das 27fache der vermögensärmeren Hälfte.

 Ungleichheit ist ein globales Problem. Weltweit verfügen 36 Millionen oder 0,7% der erwachsenen Bevölkerung über fast die Hälfte des gesamten globalen Vermögens, hingegen drei Viertel der erwach- senen Weltbevölkerung oder 3,5 Milliarden Menschen lediglich über 2,7%.

 Insbesondere die Gruppe der Reichen und Superreichen konnte ihr Vermögen stetig mehren. Die Zahl der Millionäre und ihr aggregiertes Vermögen rangiert auf einem historischen Allzeithoch, in allen Teilen der Welt. In Europa besitzen rund 4,5 Millionen Menschen über 14,7 Billionen US-Dollar.

 Die Zahl der sehr reichen Personen nimmt im Zeitverlauf zu. Unter 100.000 Bundesbürger/-innen gibt es durchschnittlich 10,7 Personen mit einem Vermögen von mehr als 50 Millionen US-Dollar. Ein/e Arbeitnehmer/-in mit einem durchschnittlichen Nettojahreseinkommen müsste für dieses Vermögen insgesamt 2.200 Jahre unentwegt arbeiten, ohne in der Zeit auch nur einen Cent ausgeben zu dürfen.

 Das Aufkommen aus vermögensbezogenen Steuern ist in der Bundesrepublik sehr gering. Lediglich 2,9% des Gesamtsteueraufkommens werden aus vermögensbezogenen Steuerarten generiert.

Deutschland befindet sich damit im internationalen Ranking in der Schlussgruppe.

 Würde Deutschland ein Aufkommen aus vermögensbezogener Besteuerung des OECD-Durchschnitts generieren, ergäben sich für den Fiskus jährliche Steuermehreinnahmen von 33 Milliarden Euro.

Wohnungspolitik ist auch Verteilungspolitik: Enormer Bedarf an sozialem Wohnungsbau

 Die Verteilung materieller Ressourcen spiegelt sich auch in der Wohnungssituation wider.

 Während auf der einen Seite der Bau von Eigentumswohnungen und Luxuswohnungen boomt, werden auf der anderen Seite immer mehr Sozialwohnungen in Wohneigentum umgewandelt.

 Deutschlandweit fehlen 800.000 Wohnungen, vor allem Sozialwohnungen.

 Etwa 40% aller Haushalte müssen hierzulande mehr als 30% ihres Einkommens für die Miete auf- wenden, fast 20% zahlen mehr als 40% ihres Einkommens für die Miete.

 Besonders geringe Einkommen weisen eine hohe Mietbelastung auf. Während Haushalte mit weniger als 10% Mietbelastung über durchschnittlich mehr als 2.000 Euro pro Person verfügen, sind es bei Haushalten mit einer Belastung durch die Miete von 40-45% rund 730 Euro.

(10)

2 Wirtschaft und Arbeitsmarkt im Überblick

2.1 Konjunkturelle Lage

Die konjunkturelle Entwicklung wird unter anderem dadurch beeinflusst, wie Einkommen und Vermögen in einer Volkswirtschaft verteilt sind. Entsprechend lassen sich aus der wirtschaftlichen Entwicklung auch drängende verteilungspolitische Aufgaben ableiten. Ungleichheit bremst das Wachstum, befördert makroökonomische Un- gleichgewichte und stört eine reibungslose Wirtschaftsentwicklung.

Entwicklung in Deutschland

Im Jahr 2017 wuchs das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 2,2% gegenüber dem Vorjahr. Maßgeblich verantwortlich für das Wachstum ist die Binnenwirtschaft, insbesondere der private Konsum. So trug dieser 1,0 Prozentpunkte zum Wachstum des BIP bei (siehe Abb. 2.1). Die Lohnzuwächse der vergangenen Jahre und die Beschäftigungszunahme führten zu einer gesteigerten Kaufkraft und folglich zu höheren Konsumausgaben.

Der Anstieg der privaten Konsumausgaben ist auch auf die guten Tarifabschlüsse der Gewerkschaften zurück- zuführen und damit auch ein Erfolg des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften. So stiegen die verfügbaren Einkommen im letzten Jahr um 3,3%. Ebenso sorgte die Investitionstätigkeit für eine konjunkturelle Aufwärts- bewegung. So konnten insbesondere die Ausrüstungsinvestitionen und die Bauinvestitionen einen Beitrag zur Dynamik der Wirtschaft leisten. Der Wachstumsbeitrag der Bruttoinvestitionen belief sich im Jahr 2017 auf 0,7 Prozentpunkte. Die Importe stiegen wie bereits in den vergangenen zwei Jahren kräftiger als die Exporte.

Dennoch liefert der Außenhandel unter dem Strich einen leicht positiven Wachstumsbeitrag (0,2 Prozentpunkte).

Fakt ist: Ein binnenwirtschaftlich getragener Aufschwung ist weniger anfällig gegenüber außenwirtschaftlichen Entwicklungen und ist somit die beste Versicherung gegenüber weltwirtschaftlichen Schocks. Zudem führt dies zu höheren Steuereinnahmen, die dann wiederum für gesellschaftlich wichtige Aufgaben genutzt werden sollten.

Der Konjunkturaufschwung setzt sich auch im Jahr 2018 fort. Nach Prognosen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) wird die heimische Wirtschaft in diesem Jahr um 2,1% wachsen. Diese Aussicht wird in erster Linie damit begründet, dass die Löhne weiter ansteigen und sich die gesamtwirtschaftliche Be- schäftigung positiv entwickeln wird. Auch die Investitionstätigkeit trägt zur einer guten Entwicklung bei. Flan- kiert wird der Aufschwung durch die europäische Geldpolitik. Die Erwartungen der Unternehmer über die zu- künftige Geschäftsentwicklung sowie die aktuelle Auftragslage sind weiterhin gut. Auch die Finanzierungsbedingungen für Investitionen stellen sich nach wie vor als günstig dar.

Dennoch ist die deutsche Wirtschaft mit einigen Abwärtsrisiken konfrontiert. Insbesondere der Handelskrieg mit den USA und weitere mögliche handelspolitische Gegenmaßnahmen stellen die europäische und vor allem die deutsche Volkswirtschaft vor ungewisse Herausforderungen. Auch offenbaren die Regierungskrisen in Teilen Europas, dass das Projekt Europa fragil ist und zeigt die Notwendigkeit institutioneller Veränderungen in der EU.

Die öffentlichen Investitionen müssten in Europa und vor allem in Deutschland ausgeweitet werden. Angesichts des immensen öffentlichen Investitionsstaus in Infrastruktur, Digitalisierung, Energie, Daseinsvorsorge, Aus- und Weiterbildung und im öffentlichen Dienst hierzulande ist dies mehr als notwendig. Hinreichender fiskalischer Handlungsspielraum hierfür ist vorhanden. Vor dem Hintergrund, dass mit öffentlichen auch zusätzliche private Investitionen angestoßen werden würden, ergäben sich weitere Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung.

In Anbetracht der enormen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands ist eine Stärkung der heimischen Binnen- nachfrage mehr als angebracht. Dies würde bestehende internationale Ungleichgewichte abbauen und zu einer

(11)

Beruhigung der Handelsstreitigkeiten führen. Die am aktuellen Rand anziehende Binnennachfrage in Deutsch- land reicht jedoch bisher nicht aus, um die anhaltenden – und die Eurozone destabilisierenden – außenwirt- schaftlichen Ungleichgewichte abzubauen. Der Überschuss der deutschen Leistungsbilanz fiel 2017 mit 257 Mil- liarden Euro, oder 7,9% des BIP erneut sehr hoch aus. Das hat der DGB immer wieder kritisiert und unter anderem eine Stärkung der Investitionen und eine bessere Regulierung des Arbeitsmarktes gefordert, um die Binnennachfrage weiter zu stärken.

Abb. 2.1: Wachstumsbeiträge der BIP-Komponenten

Die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre mit einer einseitig ausgerichteten Außenhandelsorientierung der deutschen Wirtschaft zeigen sich auch in der Abbildung 2.2. Während die Exporte seit dem Jahr 2000 um 127%

und die Importe um 98% zulegten, entwickelte sich der private Konsum mit +16% schwach. Die Investitionen verharren fast auf dem Niveau der Jahrtausendwende (+5%).

3,7 0,5 0,5 1,9 1,7 1,9 2,2

0,8 0,7 0,3 0,5 0,9 1,1 1,0

0,2 0,2 0,3 0,3 0,6 0,7 0,3

1,8 -1,7 0,3 0,4 0,1 0,4 0,70,9 1,3 -0,4 0,7 0,2 -0,3 0,2

2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

BIP Privater Konsum

Konsumausgaben des Staates Bruttoinvestititonen Außenbeitrag

Quelle: StBA-VGR, Detaillierte Jahresergebnisse 2017.

(12)

Abb. 2.2: Entwicklung der Wachstumsindikatoren der deutschen Wirtschaft

2.2 Arbeitsmarkt

Die Zahl der Arbeitslosen belief sich nach offiziellen Angaben in Deutschland im Juli 2018 auf ca. 2,32 Millionen.

Saisonbereinigt ist dies der niedrigste Stand seit der deutschen Wiedervereinigung. Im Vergleich zum Vorjahres- zeitpunkt verringerte sich die Zahl der Arbeitslosen um etwa 193.000 Personen. Die Arbeitslosenquote, bezogen auf alle zivilen Personen im erwerbsfähigen Alter, belief sich im Juli 2018 auf 5,1%. Im Vergleich zum Juli 2017 sank sie somit um 0,5 Prozentpunkte. In Ostdeutschland war die Quote mit 6,8% höher als in Westdeutschland mit 4,8%.

Die Zahl der Erwerbstätigen im Inland betrug im Juni 2018 44,9 Millionen und ist somit, saisonbereinigt, auf das Allzeithoch seit Bestehen der Bundesrepublik gestiegen. Gegenüber dem Vorjahreszeitpunkt erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen um 584.000 Menschen. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung lag im Mai 2018 bei 32,88 Millionen. Gegenüber dem Vorjahr ist dies ein Zuwachs von 756.000 Personen.

Trotz dieser erfreulichen Trends gibt es nach wie vor Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Es entstehen zwar neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, aber Langzeitarbeitslose profitieren kaum vom Aufschwung. Zudem handelt es sich bei neu entstandenen Arbeitsplätzen zum großen Teil um Leiharbeit, Teilzeit- und befristete Beschäftigung. Inzwischen arbeiten mehr als 40% der Beschäftigten in atypischer Beschäftigung, gleichbedeu- tend mit mehr als 22 Millionen Anstellungsverhältnissen (siehe Abb. 2.3). Das Ausmaß von atypischer und pre- kärer Arbeit stieg zuletzt weniger stark als in der Vergangenheit, verharrt aber auf hohem Niveau und ist für viele Beschäftigte keineswegs eine Brücke in den Arbeitsmarkt, sondern ein Dauerzustand. Ein Problem stellt die Teilzeitarbeit dar. Es gibt viele Hinweise, dass diese häufig unfreiwillig ausgeübt wird. Die Wünsche der

70 100 130 160 190 220

I.Q. II.Q. III.Q. IV.Q.

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2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

Basisjahr2000=100

BIP Privater Konsum

Konsum d. Staates Bruttoinvestitionen

Exporte Importe

Anmerkung: saison- und kalenderbereinigt nach Census X-12-Arima, preisbereinigt.

Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.

Exporte: 127%

Bruttoinvestitionen: 5%

Privater Konsum: 16%

BIP: 25%

Konsum d. Staates: 29%

Importe: 98%

(13)

Arbeitgeber decken sich oft nicht mit den Wünschen der Beschäftigten. Die Beteiligung von Frauen am Arbeits- markt entwickelt sich positiv, allerdings sind Frauen oft in Teilzeit beschäftigt – zum Teil auch gegen ihren Willen.

Ihr Anteil am Arbeitsvolumen ist im Vergleich der Geschlechter sogar wieder gesunken. Sie sind gemessen an ihrem Potential unterbeschäftigt. Weit mehr als 80% der sozialversicherungspflichtig Teilzeitbeschäftigten sind Frauen.

Im Jahr 2017 arbeiteten über 1 Million Menschen in einem Leiharbeitsverhältnis. Leiharbeit ist ein höchst unsi- cheres Arbeitsverhältnis und wird in mehr als der Hälfte der Fälle nach weniger als drei Monaten wieder beendet.

Dies ist zusätzlich vor einem dramatischen Einkommensunterschied im Vergleich zu Beschäftigten in Normalar- beitsverhältnissen zu sehen. Niedrigeres Einkommen, schlechtere Arbeitsbedingungen, ein erhöhtes Risiko ar- beitslos zu werden und geringe Aufstiegschancen müssen auch die 2,8 Millionen befristet Beschäftigten erdul- den. So ist es nicht verwunderlich, dass atypisch und prekär Beschäftigte häufig zu den 1,1 Millionen abhängig Beschäftigten gehören, die auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind.

Auch der Anteil der Langzeitarbeitslosen verharrt trotz steigender Beschäftigung auf einem hohen Niveau. Die langfristige Integration in den Arbeitsmarkt gelingt nur selten. Die Situation älterer Arbeitsloser gestaltet sich ebenfalls als sehr problematisch und hat sich in den letzten Jahren sogar verschlechtert. Sie finden schwerer wieder Arbeit und sind länger arbeitslos als andere Altersgruppen. Zeitgleich ist auch der Berufseinstieg von jungen Menschen von prekärer Beschäftigung geprägt.

Abb. 2.3: Entwicklung der abhängigen Beschäftigung 2001 bis 2017

4,5 4,63 4,58 4,65 4,78 4,95 5,13 5,33 5,54 5,85

7,42 7,74 8,19 8,55 8,94

5,33

6,32 6,33 6,61 6,76 6,91 7,03 7,1 7,2 7,26

7,4 7,51 7,38 7,44 7,5

2,21 2,05 2,07 2,05 2,5 2,73 2,75 2,83 2,73 2,86 2,81 2,64 2,52 2,46 2,53 2,66 2,8

1,68 1,72 1,81 1,92 2,11 2,13 2,11 2,1 2,14 2,17 2,19 2,19 2,09 2,05 1,99 1,99 2,0 0,36 0,33 0,33 0,4 0,45 0,6 0,73 0,79 0,61 0,81 0,91 0,91 0,87 0,91 0,96 1,01 1,0 23,03

22,74 22,07

21,59

21,21 21,27 21,6

22,03

21,72 21,77 21,84 22,09

22,58 22,83 23,22

15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

0 2 4 6 8 10 12 14

2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

inMillionen

SV-pflichtige Vollzeitbeschäftigte1(rechte Achse)

Befristet Beschäftigte SV-pflichtige Teilzeitbeschäftigte1 Geringfügige Beschäftigte2

Leiharbeitbeschäftigte Solo-Selbstständige

1Wegen einer Umstellung im Erhebungsverfahren liegen für den Zeitraum März 2011 bis September 2012 keine Werte vor. Der starke Anstieg der Teilzeitarbeit durch die Umstellung ist damit zu erklären, dass die Arbeitgeber im Zuge der Umstellung in den Lohnabrechnungsprogrammen die melderelevanten Angaben über ihre Beschäftigten überprüft und häufig auch aktualisiert haben.

2insgesamt mit ausschließlich sowie im Nebenjob geringfügig entlohnte Beschäftigte.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit; IAB-Betriebspanel, Statistisches Bundesamt.

(14)

3 Gesamtwirtschaftliche Lohnposition

3.1 Entwicklung der Lohnquote in Deutschland

Die Lohnquote entspricht dem prozentualen Anteil des Arbeitnehmerentgeltes (Einkommen aus nichtselbstän- diger Arbeit inklusive der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung) am Volkseinkommen. Das Volkseinkom- men setzt sich wiederum aus Arbeitnehmerentgelt sowie Unternehmens- und Vermögenseinkommen zusam- men.

Die gesamtwirtschaftliche Lohnquote ist eine grobe Verteilungskennziffer. Sie spiegelt, wenn auch mit Abstri- chen, die funktionale Einkommensverteilung zwischen den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital wider.1Bei der Entwicklung der Lohnquote sind vor allem langfristige Tendenzen zu beachten, da kurzfristige Veränderun- gen konjunkturelle Ursachen haben können.2Die Entwicklung der Lohnquote ist nicht identisch mit der Entwick- lung der Arbeitskosten oder Löhne je Beschäftigten oder je Arbeitsstunde, denn sie verändert sich auch in Ab- hängigkeit von den gesamtwirtschaftlichen Kapitaleinkommen, von der Beschäftigtenzahl oder vom Verhältnis von Vollzeit- zu Teilzeitarbeit. Trotz der verringerten Interpretationsmöglichkeit der Lohnquote ist ihr anhalten- des, längerfristiges Sinken als Anzeichen einer sozialen Umverteilung zu Lasten der abhängig Beschäftigten und zu Gunsten der Gewinn- und Vermögensbezieher in ihrer jeweiligen Gesamtheit zu werten.

Seit Anfang dieses Jahrtausends bis einschließlich 2007 war die Lohnquote rückläufig (vgl. Abb. 3.1).3Während die Lohnquote im Jahr 2000 noch bei rund 72% lag, fiel sie im Jahr 2007 auf unter 64% und somit auf den niedrigsten Stand seit den 1970er Jahren. Spiegelbildlich stieg der Anteil der Unternehmens- und Vermögens- einkommen (Profitquote) im gleichen Zeitraum von 28% auf 36%. Auch der wirtschaftliche Aufschwung in den Jahren vor der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise sowie die damit einhergehenden Beschäftigungszuwächse haben es nicht vermocht, den Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen zu steigern.

Im Jahr 2008 setzte eine gegenläufige Bewegung ein. So stieg die Lohnquote erstmals seit vielen Jahren wieder.

Im Krisenjahr 2009 und im Kontext des starken Rückgangs der Wirtschaftsleistung stieg die Lohnquote auf 68,4% und somit um 3 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Das heißt jedoch nicht, dass eine reale Ein- kommensumverteilung zugunsten des Produktionsfaktors Arbeit stattfand. Das zwischenzeitliche Hoch ist ledig- lich konjunkturell bedingt. Der relativ starke Anstieg der Lohnquote im Jahr 2009 ist darauf zurückzuführen, dass die gesamtwirtschaftlichen Unternehmens- und Vermögenseinkommen wegen der Turbulenzen auf den Finanzmärkten stärker einbrachen als das Volkseinkommen.

1Arbeitseinkommen aus selbstständiger Arbeit sowie Einkommen von mithelfenden Familienangehörigen werden nicht oder nicht in vollem Maße berücksichtigt. Zinseinkünfte, Dividenden und Mieteinnahmen werden den Gewinneinkommen (Profit- quote) zugerechnet. In die Profitquote fließen auch Einkünfte von Selbstständigen ein, die durchaus als Arbeitseinkommen gedeutet werden können. Bonuszahlungen sind hingegen Bestandteil der Arbeitseinkommen und haben somit Einfluss auf die Lohnquote.

2Konjunkturelle Schwankungen der Lohnquote sind darauf zurückzuführen, dass die Arbeitseinkommen über einen längeren Zeitraum tariflich fixiert sind, die Unternehmens- und Vermögenseinkommen aber schnell auf Konjunktur- und Absatz- schwankungen bzw. auf Bewegungen an den internationalen Finanzmärkten reagieren.

3Ein Absinken der Lohnquote lässt nicht zwangsläufig auf eine Verschlechterung des Einkommensniveaus schließen. Bei einem steigenden Volkseinkommen kann auch bei einer abwärts gerichteten Lohnquote ein Anstieg der Arbeitseinkommen entstehen, wobei sich hierbei allerdings die relative Position der Einkommen gegenüber den Unternehmens- und Vermö- genseinkommen verschlechtert.

(15)

Seit dem Jahr 2012 ist eine leichte Aufwärtsbewegung bei der Lohnquote zu erkennen. Dies ist in erster Linie auf die gute Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Löhne und Gehälter zurückzuführen bei gleichzeitig gerin- ger steigenden Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Im Jahr 2017 betrug der Anteil der Arbeitneh- merentgelte am Volkseinkommen 68,6%. Die Lohnquote erreicht somit ihren höchsten Wert seit knapp 15 Jah- ren. Folglich werden mehr als zwei Drittel der gesamtwirtschaftlichen Einkommen aus abhängigen Beschäftigungsverhältnissen erwirtschaftet. Etwa ein Drittel entfällt auf Einkommen, die aus Unternehmertätig- keit und Vermögen hervorgehen, wie Gewinne, Zinsen, Dividenden, Pachten und Mieten.

Abb. 3.1: Entwicklung der Lohnquote in Deutschland seit 2000

Als interessant erweist sich auch ein Blick auf die spezifischen Lohnquoten der Bundesländer (siehe Abb. 3.2).

Hierbei zeigen sich zum Teil deutliche Unterschiede zwischen den Ländern. Die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin wiesen die höchsten Lohnquoten im Jahr 2015 auf. Kennzeichnend für diese Bundesländer ist, dass sie eine relativ hohe Beschäftigtendichte im Vergleich zur Unternehmensdichte aufweisen, mit der Folge, dass der Anteil der Arbeitnehmerentgelte der abhängig Beschäftigten größer ausfällt als die Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Die Flächenländer Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Schleswig-Holstein hatten die ge- ringsten Lohnquoten innerhalb Deutschlands. Die länderspezifischen Lohnquoten geben jedoch eher wenig Er- kenntnis darüber, ob die funktionale Verteilung des Volkseinkommens in einem Bundesland gerechter ist oder nicht. Hierfür müsste man die langfristige Entwicklung betrachten. Niveauunterschiede haben auch strukturelle Ursachen.

71,971,0 71,1 70,9

67,7 66,6

64,363,6 65,5

68,4

66,866,1

67,7 68,0 68,1 68,168,4 68,6

58 60 62 64 66 68 70 72 74

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

AnteilArbeitnehmerentgeltamVolkseinkommenin Prozent

Quelle: StBA-VGR Detaillierte Jahresergebnisse 2017; eigene Berechnungen.

(16)

Abb. 3.2: Lohnquoten der Bundesländer im Jahr 2015

Die folgende Tabelle 3.1 fasst zentrale Kennziffern der funktionellen Verteilung für Gesamtdeutschland zusam- men. Die Bruttolohnquote4betrug im Jahr 2017 56,3%. Die Nettolohnquote5lag 2017 bei 37,2%. Die bereinigte Lohnquote berücksichtigt Veränderungen in der Erwerbstätigenstruktur einer Volkswirtschaft, um den Einfluss auszuschalten, dass in den vergangenen Jahren das Verhältnis der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an allen Erwerbstätigen gestiegen ist. Somit kann der Einfluss einer veränderten Erwerbstätigkeit auf die Lohnquote im Zeitverlauf ausgeschaltet werden. Die bereinigte Lohnquote, gemessen am BIP, belief sich im Jahr 2017 auf 56,5%.

4Lohnquote abzüglich der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, der freiwilligen Sozialleistungen, der Kosten der be- trieblichen Aus- und Weiterbildung, etc.

5Bruttolohnquote abzüglich der Sozialbeiträge der Arbeitnehmer/-innen und der Einkommenssteuern.

91,1 87,6

77,4 73,8 72,9 70,8

68,8 68,6 68,5 68,1 67,5 67,2 66,5 63,8

58,9 58,5 54,9

Bremen Hamburg Berlin Saarland Hessen Sachsen Nordrhein- Westfalen Thüringen Baden- Württemberg Deutschland Sachsen-Anhalt Mecklenburg- Vorpommern Bayern Nieder- sachsen Rheinland-Pfalz Branden- burg Schleswig- Holstein

AnteilArbeitnehmerentgeltamVolkseinkommenin ProzentimJahr2015

Quelle: VGR der Länder; eigene Berechnungen.

(17)

Tabelle 3.1: Entwicklung von Volkseinkommen, Lohnquoten und Profitquote seit 2000

Jahr

Volksein-

kommen Lohnquote1 Profitquote2 Brutto-

lohnquote3 Netto-

lohnquote4 bereinigte Lohnquote5 in Mrd. Euro in Prozent am Volkseinkommen

2000 1554,9 71,9 28,1 57,7 38,6 58,8

2001 1596,8 71,0 29,0 57,3 38,7 58,0

2002 1606,7 71,1 28,9 57,4 38,7 57,7

2003 1612,7 70,9 29,1 57,1 38,2 57,7

2004 1692,5 67,7 32,3 54,7 37,1 56,7

2005 1716,8 66,6 33,4 53,8 36,5 56,1

2006 1811,1 64,3 35,7 51,8 34,8 54,9

2007 1882,3 63,6 36,4 51,5 34,5 53,7

2008 1896,9 65,5 34,5 53,1 35,4 54,5

2009 1821,5 68,4 31,6 55,4 36,9 56,9

2010 1923,2 66,8 33,2 54,0 36,5 55,8

2011 2028,1 66,1 33,9 53,7 36,0 55,6

2012 2054,5 67,7 32,3 55,1 36,8 56,5

2013 2104,0 68,0 32,0 55,5 37,0 56,5

2014 2181,3 68,1 31,9 55,6 37,0 56,4

2015 2264,9 68,1 31,9 55,7 36,9 56,3

2016 2338,0 68,4 31,6 56,1 37,2 56,4

2017 2434,4 68,6 31,4 56,3 37,2 56,5

1äquivalent zu Arbeitskostenquote = Arbeitnehmerentgelt (einschließlich Sozialbeiträge der Arbeitgeber)

2Unternehmens- und Vermögenseinkommen in Prozent vom Volkseinkommen

3Bruttolöhne und -gehälter in Prozent vom Volkseinkommen

4Nettolöhne und -gehälter in Prozent vom Volkseinkommen

5Lohnquote bereinigt um Veränderungen der Erwerbstätigenstruktur in Prozent des BIP

Quelle:StBA-VGR Detaillierte Jahresergebnisse 2017; EU, Ameco; eigene Berechnungen.

(18)

3.2 Entwicklung der Lohnquote im internationalen Vergleich

In den meisten Industriestaaten ist eine im langfristigen Trend rückläufige Lohnquote zu beobachten. Bei inter- nationalen Vergleichen liegen meist keine Angaben in Bezug auf die Volkseinkommen vor, sondern im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Entsprechend geringer sind die ausgewiesenen Lohnquoten, da das BIP stets höher liegt als das Volkseinkommen.

Betrachtet man die Entwicklung der Lohnquoten seit dem Jahr 2000 im internationalen Vergleich zeigen sich zum Teil deutliche Unterschiede (siehe Abb. 3.3). So stiegen die Lohnquoten beispielsweise in Norwegen um 5,2 Prozentpunkte, in der Tschechischen Republik um 3,4 Prozentpunkte und in Luxemburg um 2,8 Prozent- punkte, während der Anteil der Arbeitnehmerentgelte zum BIP sehr stark in Portugal (7,9 Prozentpunkte), Polen (8,8 Prozentpunkte) und Irland (11,9 Prozentpunkte) seit der Jahrtausendwende sank. Deutschland rangiert im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld. Hierzulande sank die Lohnquote, gemessen am BIP, um 2,3 Prozentpunkte seit dem Jahr 2000.

Die aktuell höchsten Lohnquoten, gemessen am BIP, weisen die Schweiz (65,1%), Belgien (58,7%) und Frank- reich (58,1%) auf. Die geringsten Lohnquoten haben Irland (35,3%), Polen (48,0%) und die Tschechische Re- publik (48,4%) zu verzeichnen.

Abb. 3.3: Entwicklung der Lohnquoten im internationalen Vergleich seit 2000

5,2

3,4 2,8 2,7 2,5

2,1 1,9 1,7 1,6 0,7 0,5

-0,4 -0,8 -1 -1,2 -1,3 -1,7 -2,3

-3,9 -4,6 -5,5 -6,3

-7,9 -8,8

-11,9 51 48,452,5

65,1 58,1

49,9 55,852,8

57,9

50,2 48,652,755,4 55,1 54,858,7 57,8 56,554,556,9 49,2

56,352,3 48

35,3

-30 -20 -10 0 10 20 30 40 50 60 70

-12 -7 -2 3 8

VeränderungderbereinigtenLohnquote(in%desBIPzu Marktpreisen)von2017zu2000inProzentpunkten

Entwicklung Lohnquote seit 2000 (linke Skala)

Lohnquote 2017 (rechte Skala)

Entwicklung zugunsten d. Faktors Arbeit Entwicklung zulasten d. Faktors Arbeit

Quelle: EU-Kommission, Ameco; eigene Berechnungen.

(19)

3.3 Neutraler Verteilungsspielraum

Der neutrale Verteilungsspielraum gibt an, um wie viel Prozent die Löhne im jeweiligen Jahr steigen könnten, ohne die gesamtwirtschaftliche funktionale Verteilung zwischen Kapital und Arbeit zu verändern. Er setzt sich aus der Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität (reale Bruttowertschöpfung je Erwerbstä- tigenstunde) und der Preisentwicklung zusammen. Die Summe aus Preis- und Produktivitätssteigerung ergibt den neutralen Verteilungsspielraum.6,7Will man an der gesamtwirtschaftlichen Verteilung zwischen Kapital und Arbeit etwas verändern, muss die nominale Lohnsteigerung den neutralen Verteilungsspielraum übertreffen, d. h., bei Lohnerhöhungen müsste zusätzlich eine Umverteilungskomponente wirksam werden.

Die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität8ist seit 2000 jahresdurchschnittlich um 1,1%, die Preise sind um 1,4% gestiegen (s. Tab. 3.2). Die nominalen Bruttoverdienste wuchsen im gleichen Zeitraum um durchschnittlich 1,9%. Ohne etwas an der funktionalen Verteilung von Arbeit und Kapital zu ändern, hätte ein neutraler Vertei- lungsspielraum von jahresdurchschnittlich 2,6% ausgeschöpft werden können.

Seit der Jahrtausendwende wurde der neutrale Verteilungsspielraum im Krisenjahr 2009 sowie 2012 und in den Jahren 2014 bis 2016 ausgeschöpft. Im vergangenen Jahr 2017 konnte der Verteilungsspielraum nicht ganz ausgeschöpft werden (-0,2 Prozentpunkte). Durchschnittlich blieb die Lohnentwicklung zwischen 2000 und 2017 jedes Jahr rund 0,8 Prozentpunkte unter dem Wert des neutralen Verteilungsspielraums. Ursachen hierfür sind in der, insbesondere in den ersten Jahren des Jahrtausends, gestiegenen Arbeitslosigkeit, einer Schwächung der Gewerkschaften sowie einer falschen wirtschaftspolitischen Stoßrichtung zu finden. Jahrelang wurde Lohn- zurückhaltung als Wundermittel gegen Arbeitslosigkeit gepriesen. Dieser Denkansatz erwies sich als falsch. Die Lohnentwicklung und die damit einhergehende permanente Nichtausschöpfung des Verteilungsspielraumes führten zu realen Einkommensverlusten der Arbeitnehmerschaft in den Nullerjahren.

Die Entwicklung im letzten Jahr ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass sich neben der stabilen Arbeits- produktivität die Preise in Richtung der EZB-Zielinflation von nahe, aber unter 2% bewegt haben. Dies führte dazu, dass der Verteilungsspielraum bei 2,9% lag und damit höher als in den Jahren zuvor. Zwar konnten die Bruttolöhne je Arbeitnehmer im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr auch zulegen, doch vermochte diese Ent- wicklung nicht, dass der Verteilungsspielraum gänzlich ausgeschöpft werden konnte. Dennoch ist die Entwick- lung der letzten Jahre aus Arbeitnehmersicht grundsätzlich erfreulich. Unter dem Strich lässt sich festhalten, dass der neutrale Verteilungsspielraum seit dem Jahr 2010 durchschnittlich ausgeschöpft werden konnte (0,2%).

6Grundlage für die Berechnungen stellt die Preisentwicklung eines Jahres dar. Alternativ könnte man statt der tatsächlichen Preisentwicklung die EZB-Zielinflationsrate heranziehen, die mittelfristig nahe, aber unter 2% liegt. Dies führt dazu, dass sich der neutrale Verteilungsspielraum entsprechend der Differenz der tatsächlichen Preisentwicklung und der EZB-Zielinfla- tionsrate vergrößert. Verfolgt man diesen Ansatz, bedeutet dies im konkreten Fall, dass im letzten Jahr eine Unterausschöp- fung von 0,4 Prozentpunkten statt von 0,2% stattfand. Zudem wäre es bei der Berechnung des Verteilungsspielraums mit- hilfe der Lohnformel denkbar, statt die Arbeitsproduktivität im Jahresdurchschnitt, die konjunkturunabhängige mittelfristige Entwicklung der Arbeitsproduktivität heranzuziehen, um prozyklische Entwicklungen vorzubeugen. Vgl. hierfür auch Herr und Horn (2012).

7Eine weitere Möglichkeit den gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraum zu ermitteln, ist, statt anhand der Lohnformel, die Entwicklung des Volkseinkommens je Erwerbstätigenstunde für die Berechnung heranzuziehen. Dieser Ansatz führt dazu, dass sich die Ausschöpfung des Verteilungsspielraums in den vergangenen Jahren positiver darstellt. Darüber hinaus sollten für die gesamtwirtschaftliche Preisentwicklung nicht die Verbraucherpreise, sondern die Preisentwicklung des BIP zugrunde gelegt werden. Für eine eingehende Auseinandersetzung siehe Görgens (2017, 2018).

8Die Arbeitsproduktivität beschreibt das Verhältnis des realen BIP und des geleisteten Arbeitseinsatzes in einer Volkswirt- schaft.

(20)

Tabelle 3.2: Entwicklung der Arbeitsproduktivität, Preisentwicklung, neutraler Verteilungsspielraum, Bruttoverdienste und Ausschöpfung des Verteilungsspielraumes

Jahr

Arbeitsproduktivität¹ Preisentwicklung2 Verteilungs- spielraum3

Bruttoverdienst je Arbeit- nehmer4

Ausschöpf- ung 2010 =

100

in % gg.

Vorjahr

2010 = 100

in % gg.

Vorjahr in % 2010 =

100

in % gg.

Vorjahr %-Punkte

2000 89,9 2,5 85,7 1,4 3,9 88,1 1,0 -2,9

2001 92,3 2,7 87,4 2,0 4,7 90,1 2,3 -2,4

2002 93,5 1,2 88,6 1,4 2,6 91,4 1,4 -1,2

2003 94,2 0,8 89,6 1,1 1,9 92,5 1,2 -0,7

2004 95,2 1,0 91,0 1,6 2,6 93,0 0,5 -2,1

2005 96,6 1,5 92,5 1,6 3,1 93,3 0,3 -2,8

2006 98,5 1,9 93,9 1,5 3,4 94,0 0,8 -2,7

2007 100,0 1,5 96,1 2,3 3,8 95,3 1,4 -2,4

2008 100,2 0,2 98,6 2,6 2,8 97,6 2,3 -0,4

2009 97,6 -2,6 98,9 0,3 -2,3 97,6 0,0 2,3

2010 100,0 2,5 100,0 1,1 3,6 100,0 2,5 -1,1

2011 102,1 2,1 102,1 2,1 4,2 103,5 3,5 -0,7

2012 102,7 0,6 104,1 2,0 2,6 106,3 2,7 0,1

2013 103,5 0,8 105,7 1,5 2,3 108,5 2,1 -0,2

2014 104,3 0,7 106,6 0,9 1,6 111,6 2,8 1,2

2015 105,0 0,7 106,9 0,3 1,0 114,6 2,8 1,7

2016 106,4 1,3 107,4 0,5 1,8 117,4 2,4 0,6

2017 107,6 1,1 109,3 1,8 2,9 120,5 2,7 -0,2

1991-

20175 1,4 1,7 3,1 2,1 -1,0

2000-

20175 1,1 1,4 2,6 1,9 -0,8

2010-

20175 1,0 1,3 2,5 2,7 0,2

1Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde.

2Verbraucherpreisindex.

3Neutraler Verteilungsspielraum aus Produktivität ( je Erwerbstätigenstunde) und Preisentwicklung

4Inländerkonzept

5jahresdurchschnittliche Erhöhung in Prozent (bei Wachstumsraten: geometrisches Mittel, sonst: arithmetisches Mittel).

Quelle: StBA-VGR Detaillierte Jahresergebnisse 2017; eigene Berechnungen.

(21)

Abbildung 3.4 stellt für jedes Jahr die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Bruttolöhne und -gehälter und die Entwicklung des neutralen Verteilungsspielraums sowie dessen Ausschöpfung seit 2000 graphisch dar. Mit Ausnahme des Krisenjahres 2009 und den Jahren 2012 sowie von 2014 bis 2016 blieb das Wachstum des nominalen Bruttoverdienstes hinter dem Verteilungsspielraum zurück.

Abb. 3.4: Ausschöpfung des gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraums

Fakt ist:

Am aktuellen Rand bewegt sich die Lohnquote seitwärts.

In vielen Industriestaaten liegt die Lohnquote unter dem Niveau von 2000, so auch in Deutschland.

Seit 2010 konnte der Verteilungsspielraum im Durchschnitt ausgeschöpft werden.

Diese Ausschöpfung des neutralen Verteilungsspielraums kann jahrelange Unteraus- schöpfung nur langsam wettmachen.

-2,9 -2,4

-1,2 -0,7

-2,1 -2,8 -2,7 -2,4 -0,4

2,3

-1,1 -0,7 0,1

-0,2 1,2

1,7 0,6

-0,2

-5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

Prozent-Veränderungenggü.Vorjahr

Ausschöpfung (Bruttoverdienst-Verteilungsspielraum) Verteilungsspielraum

+ Üb erau ssc pf ung - Un te ra us sc pf ung

Quelle: StBA-VGR Detaillierte Jahresergebnisse 2017; eigene Berechnungen.

(22)

4 Entwicklung der Arbeitseinkommen

4.1 Entwicklung in Deutschland

Im letzten Jahr wuchsen die nominalen Bruttolöhne und -gehälter um 2,7%. Seit dem Jahr 2000 sind diese jahresdurchschnittlich um 1,9% gestiegen. Insbesondere die Vorkrisenjahre stellte für die Beschäftigten eine Zeit dar, in der kaum oder niedrige Verdienstzuwächse zu verbuchen waren. In den letzten Jahren stellte sich die Entwicklung der Bruttoeinkommen hingegen positiver dar. Im Zuge der konjunkturellen Erholung nach der Fi- nanz- und Wirtschaftskrise und angesichts des Wettbewerbs um geeignetes Personal hat sich die Verhandlungs- position der Arbeitnehmer/-innen und ihrer Interessenvertreter/-innen gegenüber den Arbeitgebern verbessert.

Entsprechend stiegen die Bruttoeinkommen seit 2010 jahresdurchschnittlich um 2,7%. In absoluten Beträgen erzielte ein/e Arbeitnehmer/-in im Jahr 2017 durchschnittlich ein Bruttomonatseinkommen von 2.863 Euro.

Die realen, also um die Inflationsrate bereinigten, Bruttoverdienste stiegen im Jahr 2017 um 0,9% im Vergleich zum Vorjahr. Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass die Preissteigerung mit 1,8% im Vergleich zu den Vorjahren höher ausfiel. Die realen Bruttolöhne und -gehälter sind seit 2000 um 0,4% pro Jahr gestiegen. Wäh- rend ein/e Arbeitnehmer/-in im Jahr 2000 durchschnittlich 2.090 Euro verdiente, lag das Bruttomonatsgehalt im Jahr 2017 unter Berücksichtigung der Preisentwicklung bei 2.244 Euro. In der ersten Dekade dieses Jahrtausends haben sich die Löhne und Gehälter sehr verhalten entwickelt. Erst im Jahr 2014 haben die realen Bruttolöhne erstmals das Niveau der Jahrtausendwende erreicht.

Eine ähnliche Entwicklung ist auch bei den Nettolöhnen und -gehältern zu verzeichnen. Im Jahr 2017 stiegen diese nominal um 2,5% zum Vorjahr. Die durchschnittliche jährliche Zuwachsrate ist seit der Jahrtausendwende bis 2017 mit nominal 1,8% allerdings geringer als die nominalen Bruttolöhne ausgefallen. Preisbereinigt sind geringe Zuwächse zu verzeichnen (0,4%). Während im Jahr 2000 einem abhängig Beschäftigten monatlich durchschnittlich 1.398 Euro zur Verfügung standen, waren es 2017 in Preisen von 2000 1.484 Euro. Seit 2010 stiegen die realen Nettoeinkommen um jahresdurchschnittlich 1,1%.

(23)

Tabelle 4.1: Entwicklung der monatlichen Brutto-, Netto- und Realeinkommen

Jahr

Nominale Brutto- löhne und -gehäl-

ter1

Nominale Netto- löhne und -gehäl-

ter1

Preis- ent- wick-

lung2 Zuwachs(%-Bruttolohnentwicklung-Preisent- wicklung) Zuwachs(%-Nettolohnentwicklung-Preisent- wicklung)

Reale Bruttolöhne

und -gehälter3 Reale Nettolöhne und -gehälter3 Euro

% gg.

Vor-

jahr Euro

% gg.

Vor- jahr

% gg.

Vor-

jahr % % Euro

% gg.

Vor-

jahr Euro

% gg.

Vor- jahr

2000 2.090 1,0 1.398 2,3 1,4 -0,4 0,9 2.090 -0,4 1.398 0,9

2001 2.138 2,3 1.446 3,4 2,0 0,3 1,4 2.096 0,3 1.418 1,4

2002 2.168 1,4 1.463 1,2 1,4 0,0 -0,2 2.096 0,0 1.415 -0,2

2003 2.195 1,2 1.467 0,3 1,1 0,1 -0,8 2.099 0,1 1.403 -0,8

2004 2.206 0,5 1.498 2,1 1,6 -1,1 0,5 2.076 -1,1 1.410 0,5

2005 2.212 0,3 1.502 0,3 1,6 -1,3 -1,3 2.049 -1,3 1.392 -1,3

2006 2.229 0,8 1.498 -0,3 1,5 -0,7 -1,8 2.034 -0,7 1.367 -1,8

2007 2.261 1,4 1.513 1,0 2,3 -0,9 -1,3 2.016 -0,9 1.349 -1,3

2008 2.314 2,3 1.540 1,8 2,6 -0,3 -0,8 2.011 -0,3 1.338 -0,8

2009 2.314 0,0 1.542 0,1 0,3 -0,3 -0,2 2.005 -0,3 1.336 -0,2

2010 2.372 2,5 1.603 4,0 1,1 1,4 2,9 2.033 1,4 1.374 2,9

2011 2.454 3,5 1.644 2,6 2,1 1,4 0,5 2.061 1,4 1.380 0,5

2012 2.521 2,7 1.684 2,4 2,0 0,7 0,4 2.076 0,7 1.386 0,4

2013 2.574 2,1 1.716 1,9 1,5 0,6 0,4 2.088 0,6 1.392 0,4

2014 2.646 2,8 1.760 2,6 0,9 1,9 1,7 2.128 1,9 1.415 1,7

2015 2.720 2,8 1.805 2,6 0,3 2,5 2,3 2.181 2,5 1.447 2,3

2016 2.787 2,5 1.847 2,3 0,5 2,0 1,8 2.224 2,0 1.473 1,8

2017 2.863 2,7 1.893 2,5 1,8 0,9 0,7 2.244 0,9 1.484 0,7

1991-20174 2,1 1,9 1,7 0,4 0,2 0,4 0,2

2000-20174 1,9 1,8 1,4 0,4 0,4 0,4 0,4

2010-20174 2,7 2,4 1,3 1,4 1,3 1,4 1,1

1Inländerkonzept (monatlich je AN)

2Verbraucherpreisindex

3Basisjahr 2000 = 100

4jahresdurchschnittliche Erhöhung (geometrisches Mittel)

Quelle: StBA-VGR Detaillierte Jahresergebnisse 2017; eigene Berechnungen.

(24)

Abbildung 4.1 zeigt noch einmal graphisch, wie sich die nominalen als auch realen Brutto- und Nettolöhne seit dem Jahr 2000 entwickelten. Erst im Jahr 2014 überstiegen die realen Löhne das Niveau der Jahrtausendwende.

Abb. 4.1 : Entwicklung der nominalen sowie realen Monatslöhne und -gehälter

Die Abbildung 4.2 stellt die jährliche Reallohnentwicklung seit 2000 nochmals graphisch dar. Sie zeigt, dass erst in den vergangenen Jahren die abhängig Beschäftigen reale Einkommenszuwächse verzeichnen konnten. Bis dahin zeichneten sich die Reallöhne durch eine schwache Entwicklung aus. Diese Einkommensentwicklung der Nullerjahre für die abhängig Beschäftigten bleibt nicht ohne Folgen für die deutsche Wirtschaft. Im Gleichschritt zu den stagnierenden Löhnen und Gehältern hat sich die private Konsumnachfrage entwickelt. Wenngleich sich der private Konsum am aktuellen Rand etwas stärker entwickelte als in den Jahren zuvor, hat dieser seit 2000 hierzulande nur um 16% zugelegt (siehe Abb. 2.2).

Spiegelbildlich hat die Bedeutung des Außenhandels in den letzten Jahren stark zugenommen. Im gleichen Zeit- raum konnten die Exporte um 127% und die Importe um lediglich 98% zulegen. Eine einseitig auf den Export ausgerichtete Wirtschaft reagiert allerdings extrem anfällig auf globale ökonomische Verwerfungen. Bricht der Absatzmarkt im Ausland ein, hat dies fatale Folgen für die heimische exportorientierte Wirtschaft und Beschäf- tigung. Wenn man sich vor Augen führt, dass vier von fünf Arbeitsplätzen in Deutschland vom Binnenmarkt abhängen, lässt sich daran die Bedeutung eines robusten Binnenmarktes für die deutsche Wirtschaft ablesen.

Auch deshalb brauchen wir reale Einkommenszuwächse, um den Binnenmarkt zu stärken und die deutsche Wirtschaft von weltwirtschaftlichen Turbulenzen unabhängiger zu gestalten.

209021382168219522062212222922612314231423722454252125742646272027872863 209020962096209920762049203420162011200520332061207620882128 218122242244 1398144614631467149815021498151315401542

16031644168417161760180518471893

1398141814151403141013921367134913381336137413801386139214151447 14731484 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

inEuro;monatlichjeAN;Basisjahr2000

Nominale Bruttolöhne Reale Bruttolöhne Nominale Nettolöhne Reale Nettolöhne

Quelle: StBA-VGR Detaillierte Jahresergebnisse 2017; eigene Berechnungen.

(25)

Abb. 4.2: Reallohnentwicklung in Deutschland seit 2000

4.2 Entwicklung der Reallöhne im internationalen Vergleich

Innerhalb der EU haben sich die realen Löhne und Gehälter im letzten Jahr sehr unterschiedlich entwickelt. In Rumänien (8,3%), Ungarn (4,0%) und Lettland (3,7%) hatten die Beschäftigten im Jahr 2017 um einiges mehr als im Jahr zuvor zur Verfügung. Anders sieht die Situation in Finnland (-1,7%), Spanien (-1,0%) und Italien (- 0,7%) aus. Dort mussten die Beschäftigten reale Einkommensverluste verkraften. Deutschland rangiert im inter- nationalen Vergleich mit einem Plus von 0,8% im Mittelfeld. EU-weit stiegen die Löhne und Gehälter real um 0,4%.

Abb. 4.3: Reallohnentwicklung in der EU im Jahr 2017

-0,4 0,3

0,0 0,1

-1,1 -1,3

-0,7 -0,9

-0,3 -0,3

1,4 1,4

0,7 0,6 1,9

2,5 2,0

0,9

0,0 0,0 0,0 0,0

-0,9 -1,4

-0,6 -0,9 0,3

0,0

1,4 1,2

0,5

-0,1 1,9

2,4 1,8

0,8

-2,0 -1,5 -1,0 -0,5 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 VeränderungdesReallohnszum VorjahreszeitrauminProzent

berechnete Reallohnentwicklung* Reallohnindex**

* Reale Bruttolöhne und-gehälter monatlich je AN in Gesamtwirtschaft.

** Index nach Statistischen Bundesamt (Indexjahr 2015).

Quelle: StBA-VGR Detaillierte Jahresergebnisse 2017; Destatis; eigene Berechnungen.

8,3

4,0 3,7 3,6

2,5 2,4 2,3 2,2 2,1 2,0

1,4 1,2 1,2 1,1 0,9 0,9 0,80,6 0,4 0,3 0,1 0,1 0,1

-0,2-0,3-0,5-0,7-1,0 -1,7

Rumänien Ungarn Lettland Bulgarien Slowakei Polen Irland Litauen Estland TschechischeRepublik Malta Niederlande Slowenien Schweden Kroatien Dänemark Deutschland Luxemburg EU Griechenland Portugal Österreich Frankreich Großbritannien Belgien Zypern Italien Spanien Finnland

inProzentzumVorjahr

Quelle: EU-Kommission.

(26)

4.3 Lohndrift

Als Lohndrift wird die Differenz zwischen der Entwicklung der nominalen Bruttolöhne und -gehälter, die auch die von den Arbeitgebern erbrachten zusätzlichen Einkommensleistungen berücksichtigen (hier auch Effektivlohn genannt), und der von den Sozialpartnern ausgehandelten Tariflöhne bezeichnet. Entwickeln sich die effektiven Einkommen geringer als die Tarifeinkommen, spricht man von einer negativen Drift.

Tariflöhne entwickeln sich mit zeitlicher Verzögerung zu den nominalen Bruttolöhnen, da die Tarifabschlüsse auf Grundlage des jeweiligen Wirtschaftsjahres und in der Regel für längere Laufzeiten verhandelt werden, weshalb sie geringeren Schwankungen ausgesetzt sind als die volatileren Effektiveinkommen. Tariflöhne sorgen somit für eine stabilisierende Einkommensglättung der Beschäftigten. Es ist zu beobachten, dass die durchschnittlichen Laufzeiten der Tarifverträge in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen haben. So betrug die durchschnitt- liche Laufzeit der Tarifverträge im Jahr 2017 25,6 Monate, im Jahr 1999 hingegen 14 Monate.9

Die gesamtwirtschaftlichen nominalen Tarifsteigerungen beliefen sich für das Jahr 2017 auf 2,4%. Hohe jahres- bezogene Tariferhöhungen gab es u. a. in der Textil- und Bekleidungsindustrie (3,1%), im Metallhandwerk sowie im Öffentlichen Dienst der Länder (je 3,0%).

Abb. 4.4: Effektiv- und Tariflohnentwicklung sowie Lohndrift in Deutschland seit 2000

9Vgl. WSI-Tarifarchiv.

-1,4 0,2

-1,3 -1,3 -1,5 -1,3

-0,7 -0,8 -0,6

-2,6 0,7

1,5 0,0

-0,6 -0,3

0,1 0,1 0,3

-3 -2 -1 0 1 2 3 4

inProzentzumVorjahr

Lohndrift Tariflohn Effektivlohn

Effektivlohn: Entwicklung nominale Bruttomonatslöhne und -gehälter (monatlich je AN), die zusätzliche Einkommensleistungen der Arbeitgeber berücksichtigen, zum Vorjahr

Tariflohn: kalenderjährliche Steigerungen der tariflichen Grundlöhne und -gehälter zum Vorjahr, nominal Lohndrift: Differenz aus Effektiv- zu Tariflöhnen

Quelle: WSI-Tarifarchiv; StBA-VGR Detaillierte Jahresergebnisse 2017; eigene Berechnungen.

(27)

Entwicklung seit 2000

In den ersten Jahren seit der Jahrtausendwende zeigten sich bei der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Effektivlöhne sowie der Entwicklung der Tariflöhne deutliche Unterschiede. Seit dem Jahr 2000 bis einschließlich 2017 sind die von den Sozialpartnern ausgehandelten Tariflöhne um nominal 51,9% gestiegen. Die Steigerung der nominalen Effektivlöhne ist im gleichen Zeitraum mit 38,4% bedeutend geringer ausgefallen. Dieser diver- gierende Verlauf der Tarif- und Effektivlöhne wurde in erster Linie durch die Entwicklungen in den ersten Jahren der 2000er bis zur Krise geprägt.

Die Gründe für die in der langen Frist negative Lohndrift sind vielfältig. Sie liegen hauptsächlich in dem Abbau übertariflicher Leistungen, der rückläufigen Tarifbindung der Betriebe, die mit verschlechterten Bedingungen für die Beschäftigten einhergeht, tariflosen Zuständen in einigen Wirtschaftszweigen, der vermehrten Inanspruch- nahme tariflicher Öffnungsklauseln, dem steigenden Lohndruck aufgrund der Hartz-Gesetze sowie einem zu- nehmenden Anteil von Teilzeit- und geringfügiger Beschäftigung.

In den vergangenen drei Jahren zeigte sich hingegen eine entgegengesetzte Entwicklung, wenngleich im gerin- geren Ausmaß. So ist seit dem Jahr 2015 eine positive Lohndrift zu konstatieren. Im letzten Jahr 2017 entwi- ckelten sich die Effektivlöhne (+2,7%) etwas stärker als die Tariflöhne (+2,4%), was eine positive Lohndrift von 0,3 Prozentpunkten zu Folge hatte.

Gründe für eine positive Lohndrift liegen vor allem in Überstundenzuschlägen aufgrund längerer Arbeitszeiten sowie übertarifliche Zahlungen auf betrieblicher Ebene. Zum anderen können auch viele nicht-gebundenen Un- ternehmen angesichts der positiven Situation auf dem Arbeitsmarkt sich nicht erlauben, hinter der Tariflohnent- wicklung zu bleiben.10Insgesamt lässt sich festhalten, dass die effektive Lohnentwicklung größeren Schwankun- gen unterliegt und sich entlang der Konjunktur entwickeln, währenddessen die Tariflöhne über den Zeitraum stabiler sind.

4.4 Ost-West-Angleichung

Ein zentrales Anliegen gewerkschaftlicher Politik ist die Lohnangleichung in Ostdeutschland an das westdeut- sche Niveau. Allerdings sind die innerdeutschen Lohndifferenzen nach 28 Jahren Wiedervereinigung nicht be- seitigt. Das auf Grundlage von 50 Tarifbereichen/-branchen ermittelte durchschnittliche Tarifniveau ostdeutscher Beschäftigter belief sich im Jahr 2017 auf rund 97,5% des westdeutschen Niveaus.11Dieser Wert berücksichtigt allerdings keine wichtigen manteltariflichen Regelungen und Leistungen, wie Arbeitszeit, Urlaubs- und Weih- nachtsgeld oder vermögenswirksame Leistungen. Die Tariflöhne der ostdeutschen Arbeitnehmer/-innen stiegen von einem sehr niedrigen Ausgangniveau nach der deutschen Wiedervereinigung bis 1997 in relativ großen Schritten. Seitdem verlangsamte sich das Wachstum aber merklich.

Im Jahr 2017 erzielten die Arbeitnehmer/-innen in den neuen Bundesländern einen Effektivlohn (Bruttoverdienst zuzüglich vom Arbeitgeber gezahlter Sonderleistungen) von rund 83% des westdeutschen Niveaus. Die Anpas- sung der ostdeutschen Effektivlöhne an die westdeutschen Löhne stagniert faktisch seit 20 Jahren. Die Kluft zwischen den tariflich vereinbarten und den effektiven Löhnen resultiert aus einer geringeren Tarifbindung12der Arbeitnehmerschaft (Ost: 47% der Beschäftigten, West: 59% der Beschäftigten) und der Unternehmen in Ost- deutschland (Ost: 22% der Betriebe, West: 31% der Betriebe).13Nur über einen höheren gewerkschaftlichen

10Vgl. WSI, Tarifbericht 2017.

11Vgl. WSI-Tarifarchiv.

12Branchen- und Firmentarifverträge.

13Vgl. WSI-Tarifarchiv. Alle Angaben für das Jahr 2016.

(28)

Organisationsgrad, insbesondere in den neuen Bundesländern, werden in Zukunft bei der Anpassung der Löhne Fortschritte zu erzielen sein.

Die Lohnspreizung zwischen Ost und West ist nach wie vor erheblich. Auch zwischen verschiedenen Wirtschafts- zweigen gibt es bei dem Grad der Lohnangleichung teilweise große Unterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern, wie aus der folgenden Abbildung 4.5 abzulesen ist. Während im Bereich Erziehung und Unter- richt mit 98,1%, in der Öffentlichen Verwaltung mit 97,7% oder im Gesundheits- und Sozialwesen mit 90,7%

des westdeutschen Niveaus ein relativ ausgeglichenes Lohngefüge zwischen Ost und West existiert, gibt es vor allem im Verarbeitenden Gewerbe mit 70,3%, im Handel mit 73,5% oder in der Informations- und Kommuni- kationsbranche mit 78,3% erhebliche Aufholpotentiale.14Gründe hierfür liegen u. a. in unterschiedlichen Be- triebsgrößen sowie unterschiedlich starken gewerkschaftlichen Organisationsgraden in den jeweiligen Wirt- schaftszweigen.

In absoluten Beträgen bedeutet dies, dass ein/e vollzeitbeschäftigte/r Arbeitnehmer/-in im Bereich Erziehung und Unterricht in Westdeutschland im Jahr 2017 durchschnittlich 4.229 Euro Bruttomonatsgehalt erzielte, wäh- rend ein/e Arbeitnehmer/-in dieser Branche in den neuen Bundesländern 4.149 Euro verdiente. Im Verarbeiten- den Gewerbe erhielt ein/e westdeutsche/r Arbeitnehmer/-in monatsdurchschnittlich einen Verdienst von 4.202 Euro, im Osten der Republik lediglich 2.954 Euro. Der geringste durchschnittliche Verdienst wurde im Jahr 2017 im Gastgewerbe mit 2.367 Euro (West) bzw. 2.012 Euro (Ost), der höchste in der Finanz- und Versicherungs- branche mit 5.190 Euro (West) bzw. in der Energieversorgung mit 4.185 Euro (Ost) erzielt.

14Hierbei werden jedoch lediglich die Bruttoverdienste ohne Sonderzahlungen verglichen, so dass man hier nicht von den Effektivlöhnen sprechen kann.

(29)

Abb. 4.5: Bruttolohnniveau Ost/West und durchschnittliche Bruttomonatsverdienste in West für ver- schiedene Wirtschaftsbereiche im Jahr 2017

Fakt ist:

Die Gehälter und Löhne entwickeln sich am aktuellen Rand gut. Auch die realen Einkom- men zeigen einen leichten Aufwärtstrend.

Dennoch bewegen sich die realen Löhne nur knapp über dem Niveau der Jahrtausend- wende. Grund hierfür sind die jahrelangen Reallohnverluste der Nullerjahre.

In den vergangenen 3 Jahren zeigte sich eine leicht positive Lohndrift, mit etwas höhe- ren Effektiv- als Tariflöhnen.

Die Ost/West-Angleichung stagniert faktisch seit 20 Jahren.

70,3 73,5

78,3 78,8 80,3

82,0 83,4 83,5 85,0

89,9 90,7

97,7 98,1

4202 3557

4989 3353 3096

3480 2367

4171 3803 3786 4229

Verarbeitendes Gewerbe Handel, Instandhaltung und

Reparatur von Kfz Information und Kommunikation Finanz- und Versicherungsleistungen Baugewerbe Verkehr und Lagerei Wasserversorgung Energieversorgung Gastgewerbe Bergbau und Gewinnung von

Steinen und Erden Gesundheits- und Sozialwesen

Öffentliche Verwaltung Erziehung und Unterricht

Bruttomonatsverdienst West in € Bruttolohnniveau Ost/West in %

Anmerkung: Vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer; ohne Sonderzahlungen.

Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.

5002

5172

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