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Von der Meinungsbildung zur Konsensfindung – Der Konvent vor seiner zweiten Arbeitsphase

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07 / 2002

Von der Meinungsbildung zur Konsensfindung – Der Konvent vor seiner zweiten Arbeitsphase

Werner Weidenfeld

Liebe Leserinnen und Leser,

der EU-Konvent geht nun in die zweite und entscheidende Runde. Als Novum in der Geschichte der Vertragsreformen hat der Konvent eine enorme Aufgabe übernommen:

Offen, demokratisch und in der parlamentarischen Tradition stehend, soll er Reform- vorschläge unterbreiten, die einerseits die Union auf die Zukunft und die Erweiterung vorbereiten und die andererseits über breite Gruppen hinweg konsensfähig sind. Einge- richtet als Antwort auf die Frage nach der Finalität Europas und auf das vielfach beklagte Demokratiedefizit im europäischen Reformprozess, muss er nun zeigen, in welche Richtung er Europa führen will.

Wir befinden uns in einer einzigartigen Konstellation, die Grundsatzentscheidungen unabdingbar macht:

· Die erreichte Dichte der Integration stellt die Frage nach der Finalität mit neuer Dringlichkeit.

· Die mit der Erweiterung verbundene Entgrenzung der bisherigen Raumbilder des Einigungsprozesses macht die Frage nach der Identität Europas unausweichlich.

· Die neue Dimension der Herausforderung weltpolitischer und sicherheitspoliti- scher Art macht effektive Handlungsfähigkeit noch notwendiger.

· Der Jahrhundertschritt zur gemeinsamen europäischen Währung lässt die Frage nach einem stabilen politischen Rahmen geradezu als existenziell erscheinen.

Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, sollte sich der Konvent ambitionierte Ziele setzen: Europa muss sich über eine Schicksalsgemeinschaft hinaus zu einer Erfolgsgemeinschaft entwickeln. In der Vergangenheit hat das Projekt Europa gezeigt, dass Visionen Wirklichkeit werden können. Gleichzeitig wird der ständige Begrün- dungsdruck für die europäische Integration nicht nur erhalten bleiben, sondern weiter- hin zunehmen. Aufbauend auf den Integrationsleistungen der Vergangenheit muss Europa deshalb in den Köpfen und Herzen seiner Bürger als eine Gestaltungsmacht verankert werden, die einen entscheidenden Beitrag zur Zukunftssicherung leisten kann.

Eine solche lebendige Erfolgsgemeinschaft müsste sich durch folgende Komponenten auszeichnen:

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· Die Partizipation der Bürger muss verbessert werden, damit die europäischen Institutionen als echte Einrichtungen für ‚uns Europäer‘ akzeptiert werden.

· Darüber hinaus sollte eine solche Gemeinschaft über Strukturen verfügen, die es erlauben, die gemeinsamen Interessen klar zu formulieren und dann auch durchzusetzen.

· Im Gegenzug muss Europa in vielfältiger Weise Verantwortung in der Welt übernehmen. Hierzu gehören Engagement in der Terrorbekämpfung ebenso wie friedensschaffende Maßnahmen, Einsatz für den Schutz von Minderheiten und die Vermeidung von Hungerkatastrophen.

· Nicht zuletzt ist Zeichen einer solchen Erfolgsgemeinschaft, dass sie Nachhal- tigkeit propagiert und auch selbst betreibt.

Der Konvent kann die institutionellen und strukturellen Voraussetzungen für eine solche Erfolgsgemeinschaft schaffen. Er steht damit vor zwei großen Aufgaben: Er hat in der Anhörungsphase eine Vielzahl von Anregungen für die verschiedenen Politikbe- reiche gesammelt. Nun wird es entscheidend darauf ankommen, wie es dem Konvent gelingt, diese Vorschläge in seine Arbeit zu integrieren, aber dennoch ein schlüssiges Reformkonzept zu entwickeln. Gleichzeitig muss der Konvent sicherstellen, dass seine Ergebnisse den zentralen Referenzpunkt der Regierungskonferenz bilden.

Diese Herausforderungen generieren einen hohen Erfolgsdruck. Als Antwort darauf darf der Konvent nicht bloß den kleinsten gemeinsamen Nenner althergebrachter Art suchen. Vielmehr sollte er den Mut haben, neue und schlüssige Konzepte vorzuschla- gen. Trotz vieler positiver Anregungen hat sich aber bisher noch keine ausreichende Dynamik entwickelt, die die Arbeit des Konvents nach vorne trägt. Nur wenn der Konvent eine tiefgreifende Strategiedebatte führt und sich politische Führung auch selbst zutraut, kann er zur eigentlichen Schaltzentrale im Reformprozess werden.

Wichtig wäre, dass sich eine ‚Erfolgserwartung‘ für den Konvent von Seiten der Bürger, der Konventsmitglieder wie auch der Regierungschefs aufbaut.

Die erste Beratungsrunde des Konvents weist in die richtige Richtung. So zeigten sich in den Plenardebatten bereits wichtige Ansatzpunkte für einen Konsens. Die Mehrheit der Konventsmitglieder stimmt darin überein, dass kein Optionspapier, sondern ein einheitlicher Text, der als Grund- oder Verfassungsvertrag bezeichnet werden kann, die Konventsarbeiten krönen sollte. Die inzwischen eingerichteten zehn Arbeitsgruppen decken mit ihren Themenstellungen im Wesentlichen die Elemente eines Verfassungs- vertrages ab. Allerdings muss die derzeitige Agenda noch um zwei Schlüsselfragen ergänzt werden, die sich auch in den Arbeitsgruppenstrukturen widerspiegeln sollte:

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(1) Institutionelle Reformerfordernisse

Unter der Zielvorgabe einer transparenten Gewaltenteilung sowie einer effektiven politisch-strategischen Führungskraft muss sich der Konvent auf Arbeitsgruppenebene folgenden institutionellen Reformerfordernissen stellen: Präzisierung und Stärkung der Rolle des Europäischen Parlamentes und der Kommission, Neubestimmung der Rats- und Kommissionspräsidentschaft, Arbeitsweise des Rates sowie Einbindung der nationalen Parlamente.

(2) Flexibilisierung

Gerade für jene Politikfelder, die in den Konventsberatungen – gemessen an den Leistungserwartungen der Bürger – als künftige Handlungsprioritäten identifiziert wurden, stellt sich die Frage nach einer Avantgarderolle besonders integrationswilliger und -fähiger Mitgliedstaaten. Dies betrifft insbesondere die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Justiz- und Innenpolitik sowie die Finanz- und Wirtschaftspo- litik. Nachdem die Bedeutung der differenzierten Integration in einer EU der 25 und mehr Mitgliedstaaten weiter zunehmen wird, sollten die im Vertrag festgelegten Flexi- bilisierungsregeln weiterentwickelt werden.

Der Konvent bietet nun die Chance, den europäischen Reformprozess im Einklang mit parlamentarischen Traditionen und unter breiter Bürgerbeteiligung voranzutreiben.

Diese Chance darf nicht ungenutzt bleiben. Sollte dieses neue Verfahren scheitern, drohen düstere Alternativszenarien Wirklichkeit zu werden: die Wiederkehr des Natio- nalismus, die Erosion der Union und die Entsolidarisierung des Gemeinschaftswerkes.

Die Geschichte unseres Kontinents zeigt, dass Krisen und Katastrophen jederzeit möglich sind. Die Europäer sind daher gut beraten, mit Hilfe des Konvents die kultu- relle Leistung einer zukunftsfähigen Verfassungsordnung für Europa zu erbringen.

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