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Die Natnen dej; Pänduiden am Hofe des Viräta.
Von Jarl Charpentier.
Nach der bekannten DarsteUung des Virätaparvan (vv. 22 ff,,
214 ff.) nehmen die fünf Pänduiden und die Draupadi vor ihrem
Eintritt in die Stadt des Viräta andere Namen an und stellen sich
dann unter diesen dem Könige der Matsya vor. So ist Yudhisthira
8 dann ein würfelkundiger Brahmane namens Kanka, und Bhima ein
Koch und Ringkämpfer naraens Vallava {Ballava). Arjuna ferner,
der in der Rolle eines Zwitters (oder eines Eunuchen, — die Sache
erscheint nicht völlig klar) in weiblicher Tracht auftritt und als
Sing- und Tanzlehrer und Erzähler von Haremsgeschichten {äkhyä-
10 yikäh, V. 54) Anstellung nimmt, nennt sich Bfhannalä; Nakula
stellt sich unter dem Namen Qranthika als Stallmeister und Pferde-
arzt') vor; Sahadeva endlich wird unter dem Namen Tantipäla'^)
als Aufseher der Kubheerden angestellt.
M. W. sind diese Namen bisher eigentlich kaum berücksichtigt
16 worden. Man fragt sich aber unwillkürlich, ob sie denn einfach
ad hoc gewählt sind, oder ob ihnen nicht vielmehr ein verborgener Sinn unterliegt, da es die Inder ja sehr lieben, wo möglich überall
versteckte Anspielungen anzubringen oder ausfindig zu machen. Nun
ist es wohl kaum zweifelhaft, daß wenigstens einer jener Namen
«0 schon beim ersten Anblick sich als ein Berufsnarae ergibt, nämlich derjenige des Sahadeva, der ja auch später .als seinen eigentlichen
Namen nicht Tantipäla, sondern Aristanemi angibt. Tantipäla,
das seiner Betonung wegen schon bei Pän. VI, 2, 78 {gotantiyavam
päle) vorkommt und wohl ein vedisches Wort sein mag, scheint
86 sonst nur hier belegt zu sein und ist nach Nilakantha's unzweifel¬
haft richtiger Erklärung so zu verstehen: tantipälah tantir bali-
vardä yasyärn dirghasthülarajjväm vanigbhir alpäir dämabhir
badhyante sä prakrtopayoginl^}y Der Tantipäla ist also jener,
der an einem Seile eine ganze Heerde von Ochsen oder Kälbern,
80 die daran mit Stricken gebunden sind , leitet. In wie weit auch
Granthika, wie sich Nakula nennt, als Berufsname aufzufassen sei,
ist unklar; jedenfalls käme ein Berufsname in Betracht, wenn wir
der Erklärung des Nllakantha folgen dürften, wo es heißt: gran-
thän ayurvedam ädhvaryavam ca vettiti grantkiko 'svinofi suta-
86 tvät I adcinau vai devänäm bhisajäv asvinäv adhvaryu iti ^ruteh
1) Nakula gilt ja sogar später als Verfasser eines Lehrbuchs der Pferde- beilkunde, vgl. Jolly, Medicin, p. 14.
2) Im V. 285 sagt er aber, er sei ein Vaisya namens Aristanemi, in 289 jedocb, man hätte ibn beim Hofe Yudhisthira's Tantipäla genannt.
3) Wobl so zu lesen; die Ausgabe hat °poginl.
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Charpentier, Die Namen der Pänduiden am Hofe des Viräta. 225
Ich finde keinen Beleg dafür, daß grantha = äyurveda oder eher
advaväidyalca — worauf es ja hier ankommt — wäre, und somit
glaube ich kaum, daß die Erklärung des Nllakantha stichhaltig sein
kann. Nun bedeutet granthika neben anderem allerdings nicht nur
.Rhapsode, Erzähler*, sondern sogar „Schauspieler", — eine Be- 5
deutung, die aber hier nicht verwendbar ist : deshalb muß ich wegen
Mangels an Material , das die Beurteilung des Wortes erleichtern
könnte, diesen Namen bei Seite lassen.
Auch Ballava oder Vallava, der Name, den Bhima als Koch
und Ringkämpfer annimmt, ist leider unklar, denn vallava (ballava) 10
bedeutet sonst nur „Kuhhirt* und kommt erst im AmarakoSa und
bei anderen Lexikographen in der Bedeutung „Koch" vor, was aber
offenbar gerade aus dieser Stelle erschlossen worden ist.
Um so deutlicher scheinen mir aber die Anspielungen zu sein,
die in den angenommenen Namen Yudhisthira's und Arjuna's ver-' 15
borgen liegen. Yudhisthira, der, trotzdem er von Geburt aus ein
Ksatriya ist, sich doch für einen Brahmanen ausgibt, nimmt den
Namen Kanka an; das Wort kanka bedeutet eigentlich „Reiher",
und der Reiher spielt in der indischen Literatur genau dieselbe
Rolle wie hier der älteste der Pänduiden : er gibt sich für das aus, 20
was er nicht ist*). Denn der Reiher — gewöhnlich baka genannt
— ist ein eingefleischter Betrüger, der mit gesenktem Kopfe und
gehobenem Fuß wie ein Büßer unbeweglich dasteht; deshalb glauben
die dummen Fische, er sei ein großer Heiliger, und werden ihrer
Leichtgläubigkeit wegen aufgefressen. Der baka ist unter den Vögeln 25
vor allen anderen der datha, der scheinheilige, hinterlistige Schurke,
der Wolf im Schafskleid. Man vergleiche Stellen wie Manu 4, 196
(= Ind. Sprüche 2 230):
adhodrstir näikrtikah svärthasädhanatatparak \
dafho mithyä vinitad ca bakavratacaro dvijah \\ jq
oder Räjat. 6, 309 (= Ind. Spr." 2575):
viävastän jalacärinah prakatitadhyäno ^pi bhunkte bakah |
oder äärüg. Paddh. 890 :
esa bakah sahasäiva vipannah
Säthyam aho kva nu tad gatam asya | jj
sädhu krtänta na kadoid api tväm
vaHcayitum sudatho ^pi samarthah || usw.*)
Nun nimmt Yudhisthira das Außere eines Brahmanen zwar
nicht deswegen an, um anderen Menschen Schaden zuzufügen ; die
Hauptsache ist aber, daß er ebenso wie der Reiher eine Rolle spielt, 40
die ihm nicht von Natur eigen ist. Dazu kommt ferner, daß der
1) In'Trik. III, 3, 15 u. a. lieißt gerade wegen des im MBh. angenommenen Xamens des Yudhisthira einer, der sich für einen Brahmanen ausgibt, ein „kanlcti".
2) In lud. Sprüche' 6393—6394 wird wiederum der Reiher «ls ein ekla¬
tantes Beispiel der Nächstenliebe dargestellt, — vielleicbt nur nus Ironie.
ZeitBchrift der D. M. G. Bd. 72 (1918). 15
226 Charpentier, Die Namen der Pänduiden am Hofe des Viräta.
Reiher nicht nur ein Bild der Heuchelei, der scheinheiligen Hinter¬
listigkeit darstellt , sondern ferner wegen seiner Schweigsamkeit,
seiner Fähigkeit, verborgen und unbeachtet zu leben, berühmt ist.
So wird er an vielen Stellen der Literatur*) in Gegensatz zu Papa-
6 geien und däri/cäs gestellt; ihrer plaudernden Stimme wegen werden
diese gefangen und in Käfigen gehalten , der Reiher aber bleibt
seiner Schweigsamkeit wegen in Freiheit. Wie ein Reiher soll ein
kluger Fürst sich so betragen , daß er wie dieser Vogel verborgen
lebt, MBh. XII, 5309 (= Ind. Sprüche^ 2184):
10 gfdhradfstir bakälinah dvacestah simhavikramoh |
anudvignah käkadanki bhujangacaritam caret \\
Wie ein Reiher soll er über seine Angelegenheiten nachdenken,
XII, 5271 f. (= Manu 7, 106; Ind. Sprüche^ 4378): bakavac ein-
tayed arthän oder Ind. Sprüche'' 6950:
l.'i sarrendriyäni samyamya bakavat pandUo narah \
käladedäpapannäni sarvakäryäni sädhayet || usw.
Auch darin ist also Yudhisthira dem Reiher ähnlich , daß er sicb
am liebsten in Verborgenheit aufhalten will, — soll er doch das
verhängnisvolle dreizehnte Jahr , während dessen ihm und seinen
üu Brüdern die Späher Duryodhana's überall nachstöbern '^), bei Viräta verbringen. Daß Yudhisthira sich somit als den Brahmanen „Reiher"
bezeichnet, hat unzweifelhaft seinen guten Grund.
Schließlich zum Namen des Arjuna, Bfhannalä I Nllakantha
meint , der Name sei in folgender Weise zu erklären : nala ifi
26 ralayor dalayos cäbhedän narah \ birhäms casäu naras ceti närä-
yanasakha ädyo nara ity arthah; da wir aber.absolut keine Neben¬
formen des Wortes nara „Mann", weder rait -l- noch -d-, kennen,
muß man eine derartige Erklärung unbedingt fallen lassen. Der
Narae Brhannalä (ev. "nada) muß aber wohl aus brhant -\- nada
30 {nala) zusammengesetzt sein, und naoh dem, was wir über dieses Wort
wissen, und dem, was Pischel*) über das Wort nada, woraus
ofFenbar nada {nala) entwickelt ist, auseinandergesetzt hat, kann die
Bedeutung des von Arjuna erwählten Namens nicht länger zweifel¬
haft sein. Er enthält eine Anspielung, die so grobkörnig und zu-
85 gleich dermaßen deutlich ist, daß man sich billig darüber verwundern
darf, daß Viräta und seine Hofleute daran keinen Anstoß genommen
haben , —- freilich werden sie ja durch das ganze Buch hindurch
nicht gerade als Sehlauköpfe dargestellt.
Demnach ist es wohl unverkennbar, daß der Dichter, der die
io Pänduiden jene Namen annehmen ließ, es dabei nicht versäumt hat,
nach gut indischer Sitte in diesen Namen gewisse persönliche An¬
spielungen, so weit also möglich, anzubringen.
1) Vgl. Ind. Sprüche'^ 899. 2573. 3572 usw. 2) MBli. lY, 869 1V.
3) ZDMG. 35, 717 f.; Ved. Stud I, 183 ff.
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Zur Geschichte des indischen Dramas.
Von Alfred Hlllebrandf.
Eine weiteren Kreisen gewidmete Darstellung Kälidäsa's hat
raich dazu veranlaßt, raeine Abhandlung ,Über die Anfänge des
indischen Dramas* (München 1914) erneut zu prüfen und Lüders
reichhaltige Abhandlung über ,die Öäubbikas* (Berlin 1916) zu ver¬
gleichen. Lüders bespricht daselbst S. 702 die Stelle aus Varäha- s
mihira's BThatsamhitä 5, 74 :
caitre tu citrakaralelchakageyasaktän
rüpopajivinigamajnahiranyapanyän usw.
imd bemerkt, daß rüpopajlvi° sich auf Männer, nicht auf Frauen
beziehe. Das ist richtig. Tatsächlich wird hierdurch an meiner und lo
meiner Vorgänger Deutung nicbts geändert ; denn nicht nnr die Schau¬
spielerinnen leben von ihrer Schönheit, sondern mittelbar auch die
Leiter der Schauspielertrupps, die vagabundierend umherzogen, tanzten
und mimten ; rüpopajlvin ist gleichbedeutend rait stryäjiva (Manu
11, 64*)) und varnäta = strikrtäjtva , strlkrfajivana (PW), von 15
Wilson mit „a mime, actor' wiedergegeben. Ich kann von Schatten¬
bildern hier, ohne eine sehr gesuchte Deutung, nichts finden und
glaube auch nicht, daß die bunte Nachbarschaft von Malern, Schreibern,
Sängern, Vedakennern und Goldhändlern, aus versehiedenen Gründen
hier vereinigt, irgendwie gegen meine Ansicht spricht. 20
Ltiders hat durch eine eingehende üntersuchung das Verständnis der bekannten und vielbenutzten Stelle im Mahäbhäsya zu P. III, 1,26
(ed. Kielhorn, Bd. II, 36) gefördert und dabei dem. Wort daubhika
die Bedeutung als , Schattenspieler' zugewiesen. Ich kann raich
aber in seine Beweisführung und Erklärung der Stelle nicht durcb- 25
weg hineinfinden und glaube einige Gegenberaerkungen , die am
besten mit dem zweiten und dritten Teil der Stelle beginnen, äußern zu sollen.
Bei dem Ausdruck citresu katham denkt Lüders, S. 722, an
Leute, die den Vortrag von Geschichten, wie die Tötung des Kamsa, so
1) S. auch Manu 8, 362; BaudhRynna 2, 2, 4, 3; YSjfmvalkya 2, 48, an¬
geführt bei J. .1. Meyer, Das Weib, S. 98.
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