• Keine Ergebnisse gefunden

in der Zeitschrift ^

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "in der Zeitschrift ^ "

Copied!
7
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

aus Platzgriinden immer wieder gekürzt und vereinfacht werden mußte, sehe ich doch auch eine Chance darin, daß dieser

»Fremdkörper« in einem Frauenlexikon er- schienen ist. Zumindest hat sein Erscheinen zu dieser Diskussion geführt, die vielleicht auf längere Sicht fruchtbar werden kann, weil sie über die Grenzen und Beschrän- kungen der beiden Fachgebiete hinaus- führt.

Aus meiner Sicht gibt es auch schon Ergebnisse einer Verständigung oder der Integration von Ergebnissen aus dem je- weils anderen Gebiet. Manche feministi- sche Wissenschaftlerinnen sind sehr inter- essiert an der Erforschung der (unbewuß- ten) »Mittäterschaft« von Frauen in der patriarchalischen Gesellschaft. Und einige Psychoanalytikerinnen sind sehr aktiv in der Suche nach der Spezifität weiblicher Theorien und nach angemessenen Theorien der Weiblichkeit. Vielleicht kommen wir irgendwann in unserer Wissenschaft so weit, daß weibliche und männliche Sicht- weisen oder Theorien gleichwertig neben- einanderstehen, sich nicht gegenseitig als

»falsch« ausschließen, sondern als wech- selseitig füreinander sinnvolle Ergänzun- gen angesehen werden können.

Heide Schlüpmann

Homosexualität

in der Zeitschrift ^

»Die neue Generation«

Die neue Generation ist das Publikations- organ des Bundes für Mutterschutz und Se- xualreform. Ab 1911 bildete dieser eine internationale Vereinigung zu Fragen der Sexualpolitik. Mit Beginn des nationalso- zialistischen Staats verlor er seine Exi- stenz.1 Der Bund ging aus der radikalen

Frauenbewegung hervor, verstand sich Zeit seines Bestehens ihr zugehörig. Gleich- wohl war er von Anfang an als Zusammen- schluß aller fortschrittlichen Kräfte im Be- reich der Sexualpolitik konzipiert - als Ver- einigung von Frauen und Männern. Es war daher selbstverständlich, daß zu seinen Mitgliedern Vertreter der Homosexuellen- bewegung wie Magnus Hirschfeld und Kurt Hiller gehörten. Die beiden publizier- ten regelmäßig in der Neuen Generation, ebenso Sexualforscher wie Edward Car- penter, Havelock Ellis, Vertreter der Ju- gendbewegung wie Hans Blüher und Gu- stav Wyneken. Homosexualität ist von der ersten Nummer der Zeitschrift an - als sie noch Mutterschutz hieß - Thema, wenn auch oft nur in Form von Buchbesprechun- gen (so werden von Anfang an Hirschfelds Jahrbücher für Sexuelle Zwischenstufen besprochen) oder Hinweisen auf öffentli- che Aktivitäten der Homosexuellenbewe- gung/-forschung: Vorträge, Vereinsgrün- dungen, Tagungen.

Die Neue Generation wurde dank des Engagements ihrer Herausgeberin - dank aber auch des Engagements von Vertretern des Wissenschaftlich-humanitären Komite- es (WhK)2 wie Hirschfeld und Hiller in der sexualpolitischen Arbeit der Frauenbewe- gung, einer wechselseitigen Unterstützung und Zusammenarbeit zwischen Bund für Mutterschutz und Sexualreform einerseits, dem WhK und dem Institut für Sexualfor- schung andererseits - zu einem nicht sehr großen, aber doch beständigen Teil auch zum Organ der Homosexuellenbewegung.

Die Zeitschrift bildete vor allem in den Jahren 1908 bis 1922 eine Art Diskussions- forum für das Thema Homosexualität. Zur Sprache kommen dabei neben der Ausein- andersetzung mit dem herrschenden Straf- recht unterschiedliche Auffassungen von dem, was Homosexualität ist, wie sie ent- steht und welche kulturelle und soziale Be- deutung sie hat. Die Stellungnahmen rei- chen von einem dezidiert feministischen Interesse bis hin zu männerbündischen

(2)

Vorstellungen. Immer aber ist deutlich, daß Auswahl und Präsentation der Beiträge zur Homosexualitätsdebatte ihre Basis in einer Sexualpolitik der Frauenbewegung haben.

Grundsätzliche Beschränkungen hat diese Debatte darin, daß entschieden weniger Frauen als Männer sich an ihr beteiligen.3

Neuere historische Untersuchungen zur Situation weiblicher Homosexueller, ins- besondere ihrer Rolle in der Frauenbewe- gung, haben ergeben, daß die Zurückhal- tung der Frauen gegenüber dem öffentli- chen Diskurs der Homosexualität - und sei es auch in den Publikationsorganen der Frauenbewegung - zumindest vor dem Er- sten Weltkrieg allgemein galt.4 »Der neue Begriff >homosexuell/konträrsexuell<, mit dem die zeitgenössische sexualwissen- schaftliche Literatur überfrachtet ist, findet sich auf den -zigtausend Seiten frauenbe- wegter Publikationen kaum einige Male«,5

schreibt Hanna Hacker in ihrer Studie, die sich insbesondere auf die österreichische Frauenbewegung bezieht. Doch trifft die Aussage allem Anschein nach auch auf die deutschen Verhältnisse zu. Helene Stöcker bildet mit ihrer Zeitschrift die Ausnahme.

Die allgemeine Praxis der Frauenbewe- gung, über die Homosexualität, auch in den eigenen Reihen, zu schweigen, wird heute als Widerstand gegen die mit der Verwis- senschaftlichung der Homosexualität ein- hergehende männliche Kontrolle gewertet Sicher spricht es für ihr Vertrauen in die aufklärende Kraft der Wissenschaft, wenn Helene Stöcker dem sexualwissenschaftli- chen Diskurs - nicht nur in der Frage der Homosexualität - in der Neuen Generation ein Forum bietet. Doch ist dieses Vertrauen nicht blind, sondern geht einher mit einem kritischen Bewußtsein über die Notwendig- keit, auf die Entwicklung dieser Wissen- schaft Einfluß zu nehmen, sie in eine Aus- einandersetzung mit den Interessen derer zu bringen, über die sie zu verhandeln pflegt. Im Falle der weiblichen Homose- xualität läßt sich Stöcker auf den männli- chen Diskurs ein, kritisch jedoch und gera-

de im Widerspruch zu den Kategorisie- rungsversuchen, der Tendenz zur Verwal- tung menschlicher >Natur<. Ihr Beispiel scheint mir zumindest ein Fragezeichen zu setzen, ob wir uns bei dem Urteil, daß im Schweigen der alten Frauenbewegung eine S tärke des Widerstands lag, beruhigen kön- nen. Die folgende Skizze der Homosexua- litätsdebatte in Die Neue Generation will das Interesse an diesem Beitrag der Frauen- bewegung zum wissenschaftlichen Diskurs wecken.

Der eigentliche Schwerpunkt dieser De- batte liegt in den Jahren vor der Etablierung der Weimarer Republik. Etwa ab 1922 schon verengt sich die Thematisierung der Homosexualität in der Neuen Generation.

Alle Beiträge konzentrieren sich nun mehr oder weniger auf die Strafrechtsreform.

Die organisatorische Verklammerung zwi- schen Bundfür Mutterschutz und Sexualre- form und VWiÄ" nimmt gleichzeitig zu. 1921

tritt die Gesellschaft für Sexualreform mit einem 1. Internationalen Kongreß an die Öffentlichkeit Beteiligt sind wieder die einschlägigen Sexualreformer - Hirsch- feld, Forel, Ellis präsidieren - und eine Anzahl Frauen wie Helene Stöcker und Alexandra Kollontai. Wenn man bedenkt, daß 1911 der Bund für Mutterschutz und Sexualreform den ersten internationalen Kongreß zur Sexualpolitik veranstaltete, so spricht die Tatsache, daß nun die Gesell- schaft für Sexualreform mit ihrem Männer- präsidium zum Träger geworden ist auch für den Rückgang der politischen Kraft der Frauenbewegung. 1925 gehen Bund für Mutterschutz und Sexualreform und WHK eine weitere organisatorische Verbindung im Kartell für Strafrechtsreform ein. Nicht nur, daß der Krieg die Frauenbewegung weit zurückgeworfen hat - trotz des Stimm- rechts, das er den Frauen brachte - die Weimarer Republik hat den pragmatischen Zwang zur Konzentration aller liberalen und emanzipatorischen Kräfte so verstärkt, daß für die Erörterung von Differenzen kaum noch Raum blieb. Diese Verengung

(3)

in der sexualpolitischen ¡Debatte betrifft nicht nur die Frage der Homosexualität. Die Debatte wird insgesamt in den Schatten gestellt vom »Kampf gegen die Gewalt«

(so eine ständige Rubrik der Neuen Gene- ration nach dem Kriege), von einer Anti- kriegs- und Antimilitarismusbewegung, die Helene Stöcker radikal vertrat.

Der Kontext der Frauenbewegung wird generell auch von den männlichen Autoren, die in der Neuen Generation veröffentli- chen, wahrgenommen, so wenn Kurt Hiller beispielsweise gegen die Strafwürdigkeit der Abtreibung argumentiert.6 Das gilt z.T. gleichfalls für Beiträge zur Homo- sexualität. Schon die erste Besprechung des Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen

1906 von Wilhelm Hammer zieht die Paral- lele zwischen der Unterdrückung weibli- cher Sexualität und der der Homosexuellen und weist daraufhin, daß »besonders aktuell (...) die wissenschaftlichen Unter- suchungen von Anna Rühling über Frauen- bewegung und Homosexualität (sind) und das Lebensbild der Umstürzlerischen Luise Michel«.

Interessant ist auch Hammers kritische Anmerkung, Hirschfeld gehe zu wenig auf die nicht eingeborene Homosexualität ein.

Am Biologismus Hirschfelds setzt auch die Herausgeberin Helene Stöcker ihre Frage- zeichen. Dies kann schon aufgrund der ge- samten Sexualitätsdiskussion, die sie am Leitfaden der Emanzipation der weiblichen Sexualität führt, nicht anders sein. Das Le- ben des Körpers und des Geschlechts ist für sie nicht nur physiologisch sondern ebenso kulturell, sozial, historisch bedingt. Daher interessiert sie sich auch für Autoren, die wie Blüher - ja auch Weininger - über Interdependenzen zwischen Formen des Geschlechtslebens und kultureller wie po- litisch-sozialer Organisation nachdenken.

Daß sie mit der Veröffentlichung solcher Beiträge eine Frauenfeindlichkeit zumin- dest von Teilen der Homosexuellenszene zur Sprache bringt, ist der Herausgeberin wohl bewußt, und sie publiziert die entspre-

chend kritischen Reaktionen anderer Auto- ren: Max Hodann z.B. verurteilt 1916 in seinem Beitrag »Das erotische Problem in der Jugendbewegung« den Ausschluß der Frauen, und Heinrich Koerber schreibt 1917 »Vom Antifeminismus« »larvierter«

Homosexueller und vom »horror feminae« g mancher offen Homosexueller. Helene Stöcker lenkt die Redaktion der Homosc- xualitätsdebatte der Neuen Generation in zweierlei Richtung. Einerseits soll sie Ge- meinsamkeit im Kampf gegen soziale Re- pression stärken, andererseits aber muß der feministische Standpunkt überhaupt erst in die männliche Sexualforschung und -poli- tik, in die Männerkultur gebracht werden.

Die Ansätze zu einem feministischen Standpunkt in der Homosexualitätsfrage sind in der Neuen Generation zugegeben- ermaßen nicht sehr entwickelt, aber sie sind vielleicht doch die avancicrtestcn, die es zu dieser Zeit in Deutschland gab.

Die Herausgeberin der Neuen Genera- tion nimmt 1908 anläßlich des Eulenburg- Prozesses erstmals selber Stellung zum § 175.9 Die Ablehnung des Paragraphen ver- tritt sie ähnlich wie Kurt Hiller mit dem Anspruch des Rechts über sich selbst, über den eigenen Körper. Sittlichkeit ist eine historische und ethnische Veränderliche, die Entscheidung über die Moralität einer Handlung liegt allein bei der autonomen Persönlichkeit, sie gehört ganz und gar nicht in den Bereich des Strafrechts. Neben diesem grundsätzlichen Argument führt sie auch noch ein >relatives< an: sie vergleicht die Reaktion des Staates im Rahmen des § 175 mit dem Tatbestand der >Verführung<

einer Frau durch den Mann. Diese bleibe nicht nur straflos, sondern gelte auch noch als ehrenhaft, weil >männlich<. Die Folgen - uneheliche Schwangerschaft - seien da- gegen in Wirklichkeit viel erheblicher. Sie kritisiert also das Strafrecht mit dem bür- gerlich-emanzipatorischen Anspruch der Freiheit des Individuums. Sie bringt jedoch zugleich auch die Perspektive der Frauen ins Spiel, denen die patriarchale Gesell-

(4)

schaft von vornherein die Individuation ab- spricht.

Daß die Frau aus der bürgerlich-patriar- chalen Rechtsordnung der Freien und Glei- chen ausgeschlossen ist, hat auch eine grundlegende Differenz zwischen weibli- cher und männlicher Homosexualität zur Folge. Darauf zu sprechen zu kommen, hat Helene Stöcker Anlaß, als der Vorentwurf zur Strafrechtsreform eine Ausdehnung des

§ 175 auf die Frauen vorsieht 1911 veröf- fentlicht sie ihren Aufsatz »Die beabsich- tigte Ausdehnung des § 175 auf die Frau«.

Darin macht sie auf eine soziale Seite der lesbischen Liebe aufmerksam, die der Op- position gegen die männliche Verfügungs- gewalt, gegen die Restriktionen, denen das Leben der Frauen ganz anders unterliegt als das der Männer:

Für den Mann ist gewissermaßen die ganze Welt da, die Prostituion, das Verhältnis, die Ehe. Die Frau ist durch die moralische Ächtung, jedenfalls nach Außen hin, dem Schein nach, zur vollkommenen Abstinenz gezwungen. 10

Die Unterdrückung des weiblichen Sexual- lebens reicht bis in die intime Beziehung hinein, so daß die Freundin der Frau oft mehr gibt, wie Helene Stöcker schreibt, als die »rohe egoistische, nur an die eigene Befriedigung denkende >Liebe< des Gat- ten«.1 1 Es geht in diesem Artikel nicht da- rum, die lesbische Liebe aus dem gestörten Verhältnis der Geschlechter zu erklären; es geht vielmehr darum, das staatliche Interes- se an einer Ausdehnung des § 175 an einer strafrechtlichen Verfolgung der lesbischen Liebe aufzuklären. Intoleranz gegenüber der weiblichen Homosexualität gab es auch vorher schon. Weswegen wurde die lesbi- sche Liebe nicht früher unter Strafandro- hung gestellt? »Wohl weniger aus liebens- würdiger Toleranz gegen die Frauen, als weil man weibliches Sexualleben über- haupt ignorierte und nicht in Betracht zog.«12 Der Versuch der Ausdehnung des

Paragraphen auf die Frauen ist also als Re- aktion auf die soziale und politische Seite der Frauenliebe zu verstehen: getroffen werden soll durch die Strafrechtsreform die Frauenbewegung, die aus der lesbischen S ubkultur, aus der Freundinnenkultur einen Großteil ihrer Kraft zieht.

Sieht Helene Stöcker in der lesbischen Beziehung auch eine Form der Opposition gegen das Patriarchat, so sieht sie anderer- seits in ihr auch eine Form des Geschlechts- triebs, die ihre Auffassung bestätigt, daß Sexualität von der Fortpflanzung zu tren- nen ist.

Wie wäre die Liebe, auch die rein seelische Liebe, die innige Sympathie, die leiden- schaftlich verehrungsvolle Freundschaft zu Menschen gleichen Geschlechts erklärlich, wenn sich Liebe in jedem höchsten Sinne nur aus dem >Fortpflanzungstrieb entwik- keln könnte?13

Das Patriarchat hat die Sexualität der Frau - real und in der Ideolgoie - der Fortpflan- zung unterworfen und damit zu ersticken versucht. Die lesbische Liebe ist eine ob- jektive Kritik des Herrschaftsmythos von der natürlichen Aufgabe der Frau. Weil je- doch allzulange mit dem Begriff der Natur und Natürlichkeit den Frauen gerade das Recht auf Verfügung über den eigenen Körper und über ihre Sexualität abgespro- chen wurde, ist die Sexualreformerin vor- sichtig, hütet sich, die Rechte Homosexuel- ler im Namen angeborener Triebstruktur, die wegen ihrer Naturgegebenheit nicht moralischer Verantworung unterliegt, zu verteidigen. Für sie gilt es gerade, die Wahlfreiheit, die Entscheidungsfreiheit im Privaten, im Liebesleben durchzusetzen.

Und diese Freiheit ist mehr als liberales Laissez Faire, mit ihr konstituiert sich die autonome Persönlichkeit, der mündige Mensch, der Grundlage und Zweck sozialer und staatlicher Organisation ist/sein soll.

Helene Stöcker setzt sich nicht für die Anerkennung der lesbischen Liebe mit dem

(5)

Pathos der >Betroffenen< ein; sie gibt auch kein Plädoyer für die Abwendung von der heterosexuellen >Normalität<. Man kann ihr aber nicht vorwerfen, daß sie die Veranla- gungstheorien und die wissenschaftliche Untermauerung des >Normalen< nicht in Frage gestellt habe.14 Im Gegenteil, in der Ablehnung einer Argumentation mit biolo- gischen >Tatsachen< unterscheidet sie sich von Hirschfeld, aber auch von Frauen im WhK wie Anna Rühling, für die die Lesbie- rin in Reinform der konstitutionell männli- che Typus Frau ist. Das hat nicht nur die eben erwähnten kritisch-strategischen Gründe, sondern hat auch mit einem sehr stark von Nietzsches Philosophie bestimm- ten Begriff von Sexualität zu tun. Die Wirk- lichkeit der Sexualität ist einerseits von Geschichte, der Geschichte männlicher Macht, geprägt, sie ist andererseits ein Phä- nomen, das aus dem >Reich der Notwendig- keit in das der Freiheit hineinreicht15 und daher als ästhetisches zu fassen ist. Stöcker spricht im Zusammenhang mit der Homo- sexualität von »abweichender Ge- schmacksrichtung«16. Ästhetisch meint für sie aber auch mehr, als daß sexuelle Objekt- wahl eine Frage des Geschmacks ist, es meint, daß die Sexualität das Glücksver- sprechen enthält, das durch die Aufhebung des Herrschaftsverhältnisses zwischen Geist und Natur eingelöst wird. Deswegen argumentiert Stöcker letzlich auch nicht mit Ursachen - denen die positive Natur- wissenschaft nachgeht - sondern teleolo- gisch mit der Frage, wohin wollen wir uns entwickeln?

Immer wieder zeigt sich, daß das Ideal der Androgynie, der vollen Einheit und Ver- schmelzung von Mann und Weib, von dem schon die höchste Weisheit der Antike, wie die romantische Philosophie vor hundert Jahren, kündete, nicht nur ein schöner Traum war, sondern die Wahrheit, die Wirklichkeit, das Ziel und der Sinn der menschlichen Entwicklung überhaupt. 17

Helene Stöckers utopisch-kritischer Blick auf die Homosexualität der Männer und Frauen ist geprägt vom Ideal der Androgy- nität, das sie einerseits aus der Romantik nimmt, andererseits aber auf die Grundlage des psychoanalytischen Bisexualitätsbe- griffs stellt.

Für die Sexualpolitik der Frauenbewe- gung ist es wichtig, sich gegen jede Theorie zu wehren, die der Untermauerung von Ge- schlechtscharakteren dient. Biologie nicht mehr als Schicksal, sondern den Leib, die Physiologie als Glück erfahren zu können, ist das Ziel. Von daher ist klar, daß es Helene Stöcker nicht darum gehen kann, in der Welt von Mann und Frau nun auch noch

»Zwischenstufen« anerkannt zu sehen, sondern die durch Herrschaft konstituierten Begrenzungen aufzuheben. Nicht die Na- tur, sondern Geschichte und Gesellschaft produzieren sexuelle Typen.

1914 geht Helene Stöcker ausführlich auf Magnus Hirschfelds Buch Die Homo- sexualität des Mannes und des Weibes ein,

»Abarten der Liebe« heißt der Aufsatz. Sie unterstreicht die Wichtigkeit dieses Werks im Aufklärungskampf und im Prozeß der Selbstbewußtwerdung der Homosexuellen.

Kritik merkt sie dort an, wo Hirschfeld ihrer Meinung nach zu vorschnell aus kindli- chem Verhalten auf angeborene Homose- xualität schließt. Sie will in der Tatsache, daß Mädchen Knabenspiele treiben und umgekehrt, eine Bestätigung für die »bi- sexuelle Natur des Menschen« sehen. Prin- zipielle Kritik - und hierin macht sie sich auch von psychoanalytischen Erklärungs- mustem frei - übt sie daran, daß das Ver- halten des Mädchens, das es den Knaben nachzutun versucht, mit natürlichen Anla- gen erklärt wird.

Was Hirschfeld hier anführt, daß das Mäd- chen ein innigeres Verhältnis zum Vater, der Knabe zur Mutter haben sollte, das ist nach Freud und seiner Schule wie auch nach uralter Laienbeobachtung etwas durchaus Natürliches, das typisch ist für

(6)

das Verhältnis der Kinder zu den Eltern, während der Wunsch z£„ es den Knaben gleich zu tun, für jedes selbstbewußtere weibliche Kind natürlich sein muß, solange die soziale Minderbewertung auf dem weiblichen Geschlecht ruht}*

1914 veröffentlichte Die neue Generation einen Aufsatz zur Bisexualität von Hein- rich Koerber mit dem Titel »Die Bisexuali- tät als Grundlage der Sexualforschung«.

Der Autor setzt sich, wie bereits erwähnt, an anderer Stelle in der Neuen Generation mit dem Antifeminismus auseinander. Die Herausgeberin selber befaßt sich im glei- chen Jahrgang mit Weininger und seinem Schüler Emil Lucka in ihrem Aufsatz mit

»Geschlecht und Liebe«. Weininger gehört zu denen, die sehr früh - von Fließ - die Bisexualitätsthese übernahmen. Die Se- xualpolitikerin, einig im Aufklärungspat- hos mit der Hirschfeldschen Sexualfor- schung, sucht andererseits nach Theorien, die ihren Gedanken einer >Kulturentwick- lung der Liebe< stützen können.

Die Hoffnungen auf eine Entwicklung erotischer Kultur wurden in der Weimarer Republik enttäuscht. Verdrängung, nicht Aufhebung von Klassen- und Geschlech- terkampf war das Vorzeichen der Kultur der Neuen Sachlichkeit und der Neuen Frau. Das Glück ist in weite Ferne gerückt, es gilt, nur erst die Freiheit und das Leben zu behaupten. Helene Stöcker und Kurt Hil- ler teilen hier die Entschiedenheit, mit der sie Opposition gegen den Staat im Namen der Freiheit des Individuums treiben. Hil- lers Dissertation Das Recht über sich selbst hatte diese Position erstmals in ihrer straf- rechtsphilosophischen Bedeutung formu- liert. Als sie 1908 bei Winter in Heidelberg erschien, suchte Stöcker sofort die Be- kanntschaft des Verfassers. Ganz im Ge- gensatz zu Hirschfeld, der 1912 die Aufga- be der Sexualpolitik darin sah, »den Ge- schlechtstrieb dem Staat und der Gesellschaft nutzbar zu machen« , geht es 19 Hiller und Stöcker darum, W. v. Humboldt

zitierend, »die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen«. Die Solidarisie- rung im Kampf um eine Strafrechtsreform reicht von der Wehrdienstverweigerung über die Abtreibungsfrage zum Kampf der Homosexuellen und läßt auch die Sadoma- sochisten nicht aus:

Der Staat, der den Sadisten dort sehr milde zu behandeln pflegt, wo er im Kostüm des militärischen Vorgesetzen, des Polizei- manns oder des Strafvollzugsbeamten auf- tritt, und Opfer peinigt, denen eine korre- spondierende Veranlagung durchaus fehlt, sollte davon absehen, sich dort einzumi- schen, wo zwei Leute in gegenseitigem Ein- verständnis das tun, was beidejreut, ob- wohl es den einen schmerzt (...)

schrieb Hiller in der Neuen Generation 1922 mit aller Schärfe. In Stöckers >Kampf gegen die Gewalt<, in Hillers zähem Ringen um die Strafrechtsreform während der Wei- marer Republik wird die sexuelle Emanzi- pation zum Kampf um die Verwirklichung des Kultur- und Rechtsstaates.

Anmerkungen

* Der Artikel entspricht im Wesentlichen ei- nem Vortrag, gehalten auf der Konferenz

»Homosexuality, Which Homosexuality?

International Scientific Conference on Gay and Lesbian Studies«, die vom 15.-18. De- zember 1987 an der Freien Universität Am- sterdam stattfand.

1 Zum Bund für Mutterschutz und zur Zeit- schrift Die neue Generation vgl. Heide Schlüpmann, »Radikalisierung der Philoso- phie. Die Nieztsche-Rezeption und die se- xual-politische Publizistik Helene Stöckers«

in Feministische Studien, 3. Jg., Nr. 1, Mai 1984.

2 Das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (Whk) wurde am 15. Mai 1897 in Hirschfelds Wohnung in Berlin gegründet. Es sollte die institutionelle Basis für die Petition zur Strei-

(7)

chung des § 175 bilden. Daher war es zu- nächst eine Vereinigung von Prominenten aus Kultur und Politik, später weitete es sich im Interesse einer Öffentlichkeitsarbeit zur allgemeinen Aufklärung und zur Unterstüt- zung von Homosexuellen aus.

3 Von der Thematik weiblicher Homosexuali- tät allein handelt eigentlich nur ein Aufsatz:

Stella Brown, »Der weibliche Typus inver- sus«, in Die Neue Generation 1922.

4 Vgl. Hanna Hacker, Frauen und Freundin- nen. Studien zur weiblichen Homosexuali- tät< am Beispiel Österreich 1870-1938, Weinheim und Basel 1987.

5 Hanna Hacker, a.a.O., S. 135.

6 Kurt Hiller, »Die Strafwürdigkeit der Abtrei- bung«, in Die Neue Generation 1909.

7 Mutterschutz 1906, S. 325.

8 Die Neue Generation 1917, S. 299-313; S.

305, S. 311.

9 Helene Stöcker, »Der Prozeß Eulenburg und die Sexualwissenschaft«, in Die Neue Gene- ration 1908, S. 285-288.

10 Die Neue Generation 1911, S. 113.

11 Ebd., S. 115.

12 Helene Stöcker, »Abarten der Liebe«, in Die Neue Generation 1914, S. 375-378; S. 386.

13 Helene Stöcker, »Geschlecht und Liebe«, in Die Neue Generation 1913, S. 298-321; S.

303.

14 Diese Kritik an Helene Stöcker übt Margit Göttert in ihrem Beitrag, »Über die Wuth, Frauen zu lieben - die Entdeckung der lesbi- schen Frau« in diesem Heft

15 Helene Stöcker hatte in den neunziger Jahren schon zahlreiche Aufsätze geschrieben, die sich mit dem Geschlechterverhältnis und der Liebe im Patriarchat befaßten, und die 1905 in einem Sammelband Die Liebe und die Frauen (Minden in Westfalen 1905) erschie- nen. In diesen Aufsätzen kommt ihre philo- sophische Bildung und ihre besondere Affi- nität zu Nietzsche zur Geltung.

16 »Die beabsichtigte Ausdehnung des § 175 auf die Frau«, in Die Neue Generation 1911, S. 110-122; 118.

17 Ebd., S. 119.

18 »Abarten der Liebe«, a.a.O., S. 380.

19 Magnus Hirschfeld, »Sexualwissenschaftals Grundlage der Sexualreform«, in Die Neue Generation 1912, S. 115-126; S. 122.

20 Kurt Hiller, »Das Recht Uber sich selbst«, in Die Neue Generation 1925, S. 184-196; S.

190.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Es ist nicht der Dank dafür, daß die Männer nicht fortgelaufen sind; denn eine feige Truppe würde nicht bejubelt werden.. Nein, der Jubel gilt ganz einfach der Tatsache, daß

Die „Bibel“ (Zitat D UELLMAN ) über Laub- frösche war damit vielen, oft jüngeren Enthusi- asten und Studenten nicht erhältlich, so dass sich D UELLMAN und die SSAR entschieden,

Sie, liebe Paten, ermöglichen uns mit Ihrer Unterstützung, auch hier an die Behinderten zu denken und weiterhin für sie unterwegs zu sein.. Dafür danken wir Ihnen

Dieses Prozessdesign ermöglicht die Steuerung und Regelung von Produkt- fluss, Druck und Konzentration auf jeder Stufe. Das System benötigt etwas mehr Filterfläche als

Die Bestimmung des Einflusses der Holz- merkmale auf die Festigkeit wurde durch eine visuelle Aufnahme der Holzmerkmale sowie eine Messung von. Dichte und E-Modul mit

Alien Abonnenten der Arachnologischen Mitteilungen, die mir bei der Obersetzung und Bearbeitung des ROBERTS' SpinnenfOhrers fOr die Niederlande geholfen haben,

• Professionellen Beratungs- und Begleitangebote für Geflüchtete sollen durch nachbarschaftliche, ehrenamtlich organisierte Initiativen ergänzt werden. • Die

Michaelkirchstr. Darüber hinaus leisten Verbände, Vereine und die Wirtschaft ihren Beitrag zur Lösung dieser gesamtgesellschaftlichen Herausforderung und werden in die