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Wie fossile Moleküle helfen können, Klimamodelle zu verbessern*

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VON MEEREIS, WETTER UND KLIMA

Das markanteste Merkmal des Arktischen Ozeans ist seine Eisbedeckung – noch. Seit 1979, dem Start der Meereisbeob- achtung durch Satelliten, wurde eine Verringerung der Aus dehnung des Sommermeereises um 12 Prozent pro Jahr- zehnt gemessen (NSIDC 2011). Das entspricht einem Verlust von insgesamt etwa drei Millionen Quadratkilometern – zum Ver gleich: Der indische Subkontinent nimmt eine Fläche von 3,3 Millionen Quadratkilometern ein. Schließlich wurde der fortschreitende Eisrückzug von einer deutlichen Zunahme des wissenschaftlichen und auch des öffentlichen Interesses an der arktischen Meereisbedeckung begleitet. Und so gewann neben den Diskussionen über die Zukunft indigener Bevölke- rungsgruppen (zum Beispiel der Inuit), dem Schicksal von Eisbären oder Fischpopulationen oder der neuen Verfügbar keit von Bodenschätzen, Energierohstoffen und Schifffahrts routen in den hohen Breiten auch die Bedeutung des Meerei ses selbst an Aufmerksamkeit (soLomon et al. 2007).

Denn das arktische Meereis ist nicht nur anfällig für Klima- schwankungen. Durch seine Wechselwirkungen mit der At mosphäre und dem Ozean und auch durch seine Funktion als Puffer zwischen diesen beiden Elementen beeinflusst das Eis den globalen Wärmehaushalt. Wie eine effektive Dämm- schicht reduziert das Meereis den Austausch von Wärme und Feuchtigkeit zwischen dem Ozean und der Atmosphäre.

Dies wiederum beeinflusst die Intensität und Ausrichtung von at mosphärischen Zirkulationsmustern, ist also maßgebend für überregionale Wetterlagen. Des Weiteren kontrolliert das Eis das Wärmebudget der Ozeane durch sein Vermögen, die Son neneinstrahlung zu reflektieren (Albedo), wodurch die Erwär mung der oberen Wasserschichten vermindert wird.

Schließ lich stellt das Eis ein enormes Süßwasserreservoir dar, das auf den Salzgehalt und die Dichtestruktur des Meer- wassers und somit auf globale Meeresströmungen einwirkt.

Während der „Großen Salzanomalie“ in den 1970er-Jahren führte bei spielsweise ein ungewöhnlich hoher Export von Meereis aus dem Arktischen Ozean in den Nordatlantik zur Bildung einer Süßwasserlinse von geringerer Dichte, was eine Abschwä chung des Golfstroms und somit eine Abküh-

lung des Nordat lantiks und Europas bewirkte (diCKson et al. 1988). Die un terschiedlichen Temperatur- und Salzgehalte der Wassermas sen, die im europäischen Nordmeer zwischen Grönland, Is land und Skandinavien aufeinandertreffen, stellen also einen der wichtigsten Antriebsmechanismen für die europäische Wärmepumpe, den Golfstrom, dar. Hier, im nördlichsten Be reich des Atlantiks, spielt die Framstraße, die einzige Tief wasserverbindung zwischen dem Arktischen Ozean und den restlichen Weltmeeren, eine besondere Rolle im Klimage schehen. Bereits der norwegische Polarforscher Fridtjof Nan sen bewies mit seiner Fram-Expedition (1893–

1896), dass der Großteil des arktischen Meereises (ca. 3000 km3 y-1) durch diese schmale Passage nach Süden in den Nordatlantik trans portiert wird. Gleichzeitig beherrscht ein Ausläufer des Golf stroms den östlichen Bereich der Fram- straße vor Spitzbergen und befördert warmes Atlantikwasser nach Norden bis in den Arktischen Ozean hinein. Dieses Wechselspiel von Warm wasserimport und Kaltwasser- bzw.

Meereisexport hält das globale Förderband von kalten und warmen Meeresströmun gen in Schwung, indem es die ther- mohaline Konvektion im Nordatlantik antreibt – in diesem Zusammenhang spricht man auch von der atlantischen meri- dionalen Zirkulation: Das war me Atlantikwasser kühlt auf seinem Weg nach Norden ent lang der skandinavischen Küste bis nach Spitzbergen, wo es auf kaltes Wasser und Meereis trifft, kontinuierlich ab. Durch diese Abkühlung und die Erhöhung des Salzgehalts während der Eisbildung nimmt die Dichte des Oberflächenwassers zu, und es sinkt in tiefere Bereiche des Ozeans hinab, wo es schließlich als Nordatlanti- Polarforschung 82 (1), 87–91, 2012

Mitteilungen

Wie fossile Moleküle helfen können, Klimamodelle zu verbessern*

von Juliane Müller1

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* Wettbewerbsbeitrag der Autorin zur Teilnahme am Deutschen Studienpreis für die wichtigsten Dissertationen des Jahres 2012 der Körber-Stiftung.

Der vorliegende Beitrag wurde beim Deutschen Studienpreis 2012 mit einem 2. Preis in der Sektion Naturwissenschaften ausgezeichnet. Er beruht auf der 2011 von Dr.

Juliane Müller an der Universität Bremen eingereichten Dissertation “Last Glacial to Holocene variability in the sea-ice distribution in Fram Strait/Arctic Gateway: A novel biomarker approach“.

1 Alfred Wegener Institute for Polar and Marine Research, Am Alten Hafen 26, D-27568 Bremerhaven, Germany; <juliane.mueller@awi.de>

Abb. 1: Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert überreicht die Urkunde für einen 2. Preis beim Deutschen Studienpreis 2012 der Körber-Stiftung an Dr. Juliane Müller. Der Festakt fand am 6. November 2012 im Kaisersaal der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin statt. Foto: Körber-Stif- tung/David Ausserhofer.

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sches Tiefenwasser zurück nach Süden in Richtung Antarktis strömt. Diese enorme Umwäl zung von Wassermassen im europäischen Nordmeer wirkt wie ein riesiger Pumpmecha- nismus, der den Golfstrom in Gang hält.

SCHWINDENDES ARKTISCHES MEEREIS UND EUROPAS WÄRMEPUMPE

Inwieweit die Stärke des Golfstroms, der Nordeuropa ein für diese Breiten ungewöhnlich mildes Klima beschert, von Ver änderungen in diesem Konvektionsprozess beeinträch- tigt wird, ist bereits Thema vieler Klimastudien. Momentan wird ein durch die zunehmende Erwärmung beschleunigtes Aus süßen des Arktischen Ozeans durch höhere Nieder- schläge, eine höhere Zufuhr von Süßwasser aus den Flüssen der Anrai nerstaaten und insbesondere durch den sich selbst verstärken den Prozess des Schmelzens von Meereis beob- achtet. Dieses Aussüßen wird das empfindliche Gleichge- wicht der unter schiedlichen Wassermassen im Nordatlantik stören. Eine damit verbundene Verminderung der thermoha- linen Konvek tion beziehungsweise des Pumpmechanismus hätte eine Abschwächung des Golfstroms zur Folge (PeLtier et al. 2006). Darüber hinaus resultiert eine Abnahme der Eisbe deckung nachweislich in einer Destabilisierung der Luft druckverhältnisse in der Arktis, was zu häufigeren und stärke ren Stürmen im arktischen und atlantischen Sektor führt (Jaiser et al. 2012).

Das Verhalten des arktischen Meereises spielt demnach eine bisher eher vernachlässigte, allerdings überaus wichtige Rolle für die Abschätzung der Folgen des Klimawandels. Bedauer- licherweise unterschätzen Computermodelle die Geschwin- digkeit des Eisrückgangs im Arktischen Ozean um mehrere Jahrzehnte (stroeve et al. 2007). Mithilfe eben jener Com putermodelle sollen jedoch Klimaszenarien simuliert werden, die wertvolle Informationen über künftige atmosphä- rische und ozeanische Zirkulationsmuster liefern könnten;

Informa tionen über Veränderungen der Temperatur- und Nieder schlagswerte, Sturmintensitäten und -häufigkeiten. Wo genau wird es zu ausgedehnten Dürreperioden oder wo wird es wiederholt zu Überschwemmungen kommen? Die begrenzte Fähigkeit dieser Modelle, die genaue Meereisentwicklung und das resultierende Verhalten von Ozeanströmungen und Luft- massenbewegungen vorherzusagen, stellt demnach ein gravie- rendes Defizit in der Klima(folgen)forschung dar.

Um nun die Vorhersagefähigkeit von Klimamodellen zu ver bessern, hilft der Blick in die Vergangenheit. Können die Mo delle die Meereisbedeckung früherer Zeiträume zuver- lässig reproduzieren, verbessert dies auch die Prognosen über kom mende Meereisschwankungen? Eine Kontrolle solcher Paläo modellierungen erfolgt durch Klima- oder Proxydaten, wie sie zum Beispiel aus Sedimentkernen gewonnen werden.

Unter einem Proxy (englisch: Stellvertreter) wird in der Kli maforschung ein Anzeiger verstanden, der Informationen über frühere Umweltbedingungen liefert. So können Pollen oder Baumringe Aufschluss über Niederschlags- und Tempe- raturverhältnisse an Land geben, während die Isotopenver- teilungen in den fossilen Kalkschalen von marinen Einzellern die Temperatur und den Salzgehalt des Meerwassers reflek- tieren. Solche auf Proxydaten basierenden Studien über längst vergangene (präindustrielle) Umweltbedingungen in der

Ark tis helfen also einerseits, die natürliche Variabilität des Kli mas abzuschätzen; andererseits dienen sie als Datengrund- lage für computergestützte Simulationen jener Prozesse, die solche natürlichen Schwankungen auslösen beziehungsweise beglei ten.

Die gezielte Paläorekonstruktion über ein Vorhandensein oder Fehlen von Eis in einer bestimmten Meeresregion gestal tet sich aufgrund der Natur des Eises jedoch als äußerst schwierig.

Während das Kommen und Gehen von Gletschern anhand eindeutiger Signaturen im Gestein (z.B. Gletscher schrammen) leicht erfasst werden kann, hinterlässt das Ge frieren oder Schmelzen von Meerwasser bzw. Meereis fak tisch keine Spuren. Und so konnte die Frage, ob, wann, oder gar wie lange Teile der Arktis mit Meereis bedeckt waren, bisher nur indirekt beantwortet werden.

DER MOLEKULARE FINGERABDRUCK VON EISALGEN

Ein vielversprechender Ansatz, wie eine Paläoeisbedeckung eindeutig nachgewiesen werden kann, wurde im Jahr 2007 von der Arbeitsgruppe um Simon T. Belt und Guillaume Massé an der Universität Plymouth (England) vorgestellt (beLt et al.

2007). Ein neuer Proxy, ein hoch verzweigtes Isoprenoidmo- lekül, das ausschließlich von im Meereis leben den Diatomeen (Kieselalgen) produziert wird, sollte als Eis anzeiger fungieren.

Solche Moleküle, die spezifisch für den Organismus sind, der sie synthetisiert, werden auch Biomar ker genannt. Dieser Biomarker für Meereisalgen war neu und wurde kurzerhand IP25 getauft (für „Ice Proxy” mit 25 Kohlenstoffatomen).

Mittels organisch-geochemischer Analy sen identifizierten Simon T. Belt und seine Kollegen den Eis marker IP25 in Meer- eisproben und in marinen Oberflächen sedimenten des saisonal bis permanent mit Meereis bedeckten kanadisch-arktischen Archipels und schlussfolgerten, dass mit dem Nachweis dieses Biomarkers in marinen Sedimenten eine vorangegangene Meereisbedeckung belegt werden könne.

Nach der Blüte der Eisalgen im Frühling und mit der einset- zenden Eisschmelze im Sommer sinken die Überreste der Al gen inklusive IP25 auf den Meeresboden, wo sie im Sedi- ment abgelagert werden. Anders als das empfindliche Kieselgehäu se der Algen, das anfällig für Korrosion ist, sind die organi schen Lipide, zu denen IP25 gehört, recht stabil und über Jahr tausende im Sediment konservierbar – man nennt Biomarker daher auch geochemische oder molekulare Fossi- lien. Wäh rend das Vorhandensein von IP25 in entsprechend alten Sedi menten eine Paläoeisbedeckung anzeigt, kann das Fehlen des Biomarkers jedoch unterschiedliche Gründe haben.

Entweder fehlte das Meereis, oder aber die Eisdecke war ungewöhnlich dick und kompakt. Unter einer permanenten, auch im Som mer nicht schmelzenden und mehrere Meter dicken Eisschicht verschlechtern sich die Lebensbedingungen für die sonst gut angepassten Eisalgen extrem. Es kann nicht genügend Licht durch das Eis dringen, um das Wachstum der Einzeller anzuregen. So bleibt die Frühjahrsblüte der Eisalgen aus, und es gelangt kein IP25 in das darunterliegende Sedi- ment. Diese Ambivalenz stellt einen grundlegenden Schwach- punkt in der Anwendung des neuen Eismarkers dar.

Im Rahmen einer Untersuchung der wechselnden Klima- und

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Umweltbedingungen in der Framstraße während der letzten 30.000 Jahre (müLLer 2011) fand sich schließlich die Lö sung des Problems: Statt sich nur auf den einen Biomarker IP25 zu konzentrieren, hilft die Berücksichtigung anderer mo lekularer Hinterlassenschaften im Sediment. Marines Phyto plankton (hierzu gehören beispielsweise Braun- oder Grün algen, Dinoflagellaten oder Diatomeen) gedeiht vorzugsweise im offenen, eisfreien Wasser. Während der Metabolismus der im Meereis lebenden Eisalgen (Eisdiatomeen) auf eine redu- zierte Lichtverfügbarkeit eingestellt ist, reagiert das Phyto- plankton äußerst empfindlich auf den Lichtmangel unterhalb des Meereises. Ähnlich dem für Eisalgen charakteristischen Molekül IP25 gibt es auch spezielle Biomarker, die von den Organismen des Phytoplanktons synthetisiert werden. Hierzu gehören bestimmte Sterole (Brassicasterol, Dinosterol) oder einfache, kurzkettige n-Alkane, die ebenso wie IP25 nach dem Absterben und der Zersetzung des organischen Materials im Meeresboden „gespeichert“ werden. Die Verknüpfung dieser beiden Biomarkertypen, von denen der eine als Eisanzeiger (IP25) und der andere als Anzeiger für eisfreie Bedingungen (Phytoplanktonbiomarker) fungiert, sollte demnach eine ein deutige Unterscheidung zwischen dem Fehlen von Meereis (kein IP25, aber viele Phytoplanktonbiomarker im Sediment) und dem Vorhandensein einer permanenten, mehrere Meter dicken Eisschicht (weder IP25 noch Phytoplanktonbiomarker im Sediment nachweisbar) ermöglichen. Um die Anwendbar- keit dieser Methode zu prüfen, folgte ein „Feldversuch“.

EIN ABBILD DER MODERNEN VERBREITUNG VON MEEREIS IN DER FRAMSTRASSE

Es wurde eine Vielzahl von Oberflächensedimenten aus ver schiedenen Gebieten der Framstraße hinsichtlich ihres Inven tars an Biomarkern untersucht (müLLer et al.

2011). Im Be reich der marinen Geologie repräsentieren Oberflächensedi mente – das sind die obersten Zentimeter des Meeresbodens – eine Momentaufnahme der jüngsten Umwelt- beziehungswei se Klimabedingungen eines Untersu- chungsgebietes. Da die Meereisbedeckung in der Framstraße aufgrund der Zufuhr von warmem Atlantikwasser einerseits und dem Export pola ren Wassers und Meereises andererseits höchst variabel ist, stellt dieses Gebiet ein ideales „Testge- lände“ für die Über prüfung des neuen Biomarkeransatzes dar. Wie Satellitenauf nahmen zeigen, ist das Vorkommen von Meereis im Osten der Framstraße auf die küstennahen Gebiete vor Spitzbergen begrenzt, während der breite konti- nentale Schelf von Ost grönland beinahe das ganze Jahr über mit Meereis bedeckt ist. Der Großteil des arktischen Pack- eises, das entlang der grön ländischen Küste nach Süden in den Atlantik treibt, schmilzt jedoch, bevor es das Irminger Meer vor der Südostküste Grönlands erreicht, so dass dieses Gebiet bereits im Frühling eisfrei ist. Würde das Vorkommen von IP25

und der Phyto planktonbiomarker in den Sedimentproben der unterschiedli chen Gebiete diese Verbreitung des Meereises auch wider spiegeln?

In den Proben aus dem Irminger Meer und aus den Gebieten vor Spitzbergen, wo es kein oder nur wenig Meereis gibt, fehlt IP25 oder ist in nur sehr geringen Konzentrationen vor handen, während die Phytoplanktonbiomarker stark angerei chert sind.

Vor der Küste Grönlands, die bis in den Sommer hinein mit Eis bedeckt ist, verhält es sich genau andersherum: Viel IP25

und nur wenige Phytoplanktonbiomarker sind im Sediment konserviert. Dieser Befund passte hervorragend in das Konzept und ließ vermuten, dass der Ansatz, die beiden verschiedenen Biomarker zu kombinieren, sehr gut funktio niert. Rätsel gaben jedoch die gleichzeitig hohen Konzentra tionen von IP25 und Phytoplanktonbiomarkern in den Proben der Dänemarkstraße zwischen Grönland und Island und ent lang des äußeren konti- nentalen Schelfs von Grönland auf. Wie können sowohl die Konzentrationen des Eismarkers als auch die der Phytoplank- tonbiomarker gleichzeitig erhöht sein? Vergleiche mit den Satellitendaten zeigten, dass an genau diesen Stellen die Meer- eisbedeckung ihre maximale Frühjahrsausdehnung erreicht – diese Zonen werden auch als Eisrandlagen bezeichnet. Das Wachstum von Phytoplankton wird im Bereich von Eisrand- lagen durch die kontinuierliche Freisetzung von Nährstoffen aus dem langsam schmelzenden Eis enorm stimuliert, so dass es regelmäßig zu Phytoplank tonblüten entlang des Eisrandes kommt (smith et al. 1987). Dieses Phänomen ist also verant- wortlich für die hohen Kon zentrationen von Phytoplankton- biomarkern in den Sediment proben, die auch reich an IP25

sind. Für die Paläorekon struktion von Meereis ist diese Beob- achtung von großer Be deutung, da sie erstmalig eine Möglich- keit bietet, die Position früherer Eisrandlagen zu bestimmen.

Auch für die (Paläo-) Klimaforschung sind diese Informa- tionen äußerst wichtig, da es sich hierbei um die Kontakt- zone zwischen offenen, mit der Atmosphäre in Austausch stehenden, und eisbedeckten, von der Atmosphäre abge- schirmten Wasserflächen handelt.

Eine rechnerische Verknüpfung der beiden Biomarker zu ei nem neuen Index erlaubte schließlich auch einen direkten und vor allem quantitativen Vergleich der Meereisverbreitung, wie sie durch die Biomarkerdaten abgebildet wird, mit der wirklichen, von Satelliten erfassten Eisverbreitung im Unter suchungsgebiet.

Dieser Index zeigt das Verhältnis von IP25 zu einem Phyto- planktonbiomarker an; daher auch der frei gewählte Name PIP25 (für Phytoplankton-IP25-Index). Hohe PIP25-Werte deuten auf eine hohe Eisbedeckung hin, niedrige Werte verweisen auf eine geringe Eisbedeckung (Abb. 2). Er freulicherweise korre- lieren die PIP25-Werte aller Sediment proben sehr gut mit den aus Satellitendaten berechneten Meereiskonzentrationen für die jeweiligen Positionen der Se dimentproben. Wie hoch die Eisbedeckung einer definierten Fläche ist (je nach Auflösungs-

Abb. 2: Schematische Darstellung unterschiedlicher Meereisbedingungen mit entsprechender Produktivität von Phytoplankton und Eisalgen sowie den re- sultierenden Konzentrationen der Biomarker und PIP25-Indizes im Sediment (müLLer et al. 2011).

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vermögen des Satelliten kann das ein Areal von 6,25 bis zu 25 km2 sein), wird standard gemäß in Konzentration angegeben:

Bei einer Meereiskon zentration von 50 % ist demnach die Hälfte der Fläche eisbe deckt. Dieser direkte Vergleich einer auf Proxydaten basie renden Meereisrekonstruktion mit wirklichen Meereisdaten für die Frühjahrssaison ist der erste dieser Art, und die gute Korrelation belegt, dass der PIP25-Index tatsäch- lich für quan titative Meereisrekonstruktionen genutzt werden kann. Zum Beispiel würde ein PIP25-Index von 0,7 einer Meereiskonzen tration von 70-80 % entsprechen. Idealerweise könnte man also anhand von PIP25-Werten aus Sedimentbohr- kernen direk te Aussagen über eine frühere Meereiskonzentra- tion in einem Untersuchungsgebiet ableiten.

Insbesondere, weil die bislang recht vagen Aussagen über ein früheres Vorhandensein oder Fehlen von Meereis nicht in Klimamodelle integriert werden können, stellt dieser neue Ansatz eine grundlegende Innovation für die Klimaforschung dar. Wie stark oder wie schnell veränderte sich beispielsweise die arktische Meereiskonzentration während des letzten Inter- glazials vor etwa 125.000 Jahren, das in vielen Computersi- mulationen als Äquivalent zu den heutigen Bedingungen und zur Abschätzung des Ausmaßes des globalen Temperaturan- stiegs herangezogen wird? Was waren die natürlichen Antriebsmechanismen hierfür? Wie veränderten sich die oze anisch/atmosphärischen Zirkulationsmuster? Und schließ- lich: Wie reagierte das globale Klima?

Die Option, aus PIP25-Werten abgeleitete Meereiskonzentrati- onen in Paläoklimamodelle einzulesen, um längst vergangene Klimaschwankungen und daran geknüpfte Ursache-Wirkungs -Prinzipien zu simulieren, würde die Zuverlässigkeit prognos- tischer Klimamodelle deutlich erhöhen.

DAMALS WIE HEUTE

Weitere Untersuchungen an langen Sedimentkernen, also an deutlich älterem Probenmaterial, sollten nun Aufschluss über die klimatische Entwicklung in der Framstraße während der letzten 30.000 Jahre geben. Hierbei konnte auch die Anwend- barkeit von IP25 – der neue Meereisproxy wurde bis zu die sem Zeitpunkt nur in maximal 10.000 Jahre alten Sedimenten nachgewiesen – in Kombination mit Phytoplanktonbiomar- kern geprüft werden.

In den letzten 30.000 Jahren wandelte sich das globale Klima erheblich. Während des letzten Glazials, der letzten großen Kälteperiode, waren die Landmassen Nordamerikas und Nordeurasiens mit dicken Eisschilden bedeckt, die sich erst während des Deglazials vor circa 18.000 Jahren zurückzogen und schmolzen. Die Ausdehnung dieser Eisschilde ist anhand von geomorphologischen Strukturen (Moränenlandschaften, Findlinge) recht gut dokumentiert; für die Ausdehnung des Meereises gibt es jedoch nur wenige und oft sogar wider- sprüchliche Annahmen.

Mit der Untersuchung eines Sedimentkerns vom yermak- Plateau, einer untermeerischen Hochfläche nordwestlich von Spitzbergen, konnte nun anhand von IP25 und der Phytoplank- tonbiomarker eindeutig rekonstruiert werden, wie variabel die Meereisbedeckung während der letzten 30.000 Jahre war (müLLer et al. 2009). Dies erlaubte auch Rückschlüsse auf

die Veränderlichkeit der thermohalinen Zirkulation, also das Verhalten des Golfstroms. Im Zeitraum des „Letzten Gla zialen Maximums“ am Ende der Weichselkaltzeit vor 20.000 Jahren zeigt das Fehlen von IP25 und der Phytoplanktonbio marker beispielweise an, dass der nördliche Bereich der Fram- straße über 6000 Jahre lang mit einer permanenten und sehr dicken Eisdecke überzogen gewesen sein muss; der nördliche Ausläufer des Golfstroms war deutlich geschwächt. Dies steht im krassen Kontrast zu einem abrupten Klima wechsel vor circa 15.000 Jahren, als die Meerenge zu Beginn des Bølling- Interstadials innerhalb weniger Jahrzehnte eisfrei wurde und es auch für mindestens 200 Jahre lang blieb. Der ungewöhn- lich schnelle Rückzug des Meereises in der Fram straße wurde von einem rapiden Anstieg der Wassertempera turen im Nord- atlantik begleitet und zeigt, wie eng das Verhal ten der Meer- eisbedeckung mit abrupten Klimaschwankungen verknüpft ist.

Dies drückt sich auch in einem weiteren Ereig nis vor 13.000 Jahren aus, als eine plötzliche Kaltphase mit einem erneuten Vorstoß des Meereises nach Süden und einer Verringerung der thermohalinen Zirkulation einherging. Für einige Jahrhun- derte blieb die nördliche Framstraße, wie be reits während des

„Letzten Glazialen Maximums“, von dickem Eis bedeckt.

Was löste diese ständigen Wechsel von Kalt-und Warmpha sen aus? Zu den natürlichen Ursachen für die häufigen und oftmals sehr schnell aufeinanderfolgenden Klimaschwankun gen gehören Veränderungen in der Intensität der Sonnenein- strahlung, Schwankungen der atmosphärischen Kohlendio xid- und Methankonzentration oder durch den Zerfall großer Eisschilde ausgelöste Süßwasserereignisse, die die ozeani- sche (und auch atmosphärische) Zirkulation veränderten.

Im war men Holozän, das die letzten 11.000 Jahre umfasst, veränder te sich die Ausdehnung des Meereises in der Fram- straße we niger dramatisch als am Ende der letzten Kaltzeit.

Mithilfe der IP25- und Phytoplanktonbiomarker-Daten eines Sediment kerns aus der östlichen Framstraße konnte gezeigt werden, dass die Meereisbedeckung in diesem Gebiet über 8000 Jahre hinweg kontinuierlich zugenommen hat. Diese Entwicklung steht im Zusammenhang mit einer stetigen Abnahme der Son neneinstrahlung auf der Nordhalbkugel und einem verringer ten Wärmetransport durch den nord- atlantischen Ausläufer des Golfstroms. Interessanterweise korrelieren kurzzeitige Fluk tuationen in der Ausdehnung des Meereises vor Spitzbergen mit plötzlichen Gletscherbewe- gungen auf dem Archipel. Hier wird deutlich, wie schnell sich die Wechselwirkungen zwi schen Ozean und Atmosphäre auf die Umwelt auswirken. In den Phasen des Rückzugs von Meereis konnte mehr Feuchtig keit von der eisfreien Meeres- oberfläche an die Atmosphäre abgegeben werden, wodurch die Niederschlagsrate über Spitzbergen erhöht wurde. Der Niederschlag, in Form von Schnee, beschleunigte somit das Wachstum der Gletscher. In den Phasen einer Meereiszunahme wiederum stagnierte das Gletscherwachstum oder nahm sogar ab, weil der für ein Wachstum benötigte Niederschlag fehlte.

Zu dieser Zeit blo ckierte eine ausgedehnte Meereisdecke vor der Küste Spitz bergens den Wärme- und Feuchtigkeitsaus- tausch zwischen Ozean und Atmosphäre.

Dem langfristigen Abkühlungstrend im Holozän steht der momentan beobachtete, schnell voranschreitende Eisrück- gang gegenüber. Die Position, an der der untersuchte Sedi- mentkern gezogen wurde, ist inzwischen nur noch sehr selten von Meereis bedeckt. Nun gilt das Holozän – das Zeit-

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alter der Menschen – in Bezug auf Klimaschwankungen als ver gleichsweise stabil, und so stellt sich die Frage, inwie- weit die momentane Klimaentwicklung noch im Rahmen natürlicher Schwankungen liegt und wie die ozeanischen und atmosphä rischen Rückkopplungsmechanismen aussehen werden.

Um diese Fragen zu beantworten, müssen Computermodelle die klimarelevanten Prozesse sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft zuverlässig abbilden können.

KLIMA IM WANDEL

Viele Paläoklimastudien, die sich nicht nur mit der Entwick- lung in der Arktis, sondern auch in anderen Regionen befas sen, zeigen, dass der momentan beobachtete Klimawandel kein Einzelfall, kein neues Phänomen ist. Neu ist hingegen, dass der Mensch (unter anderem) durch die Emission von Treibhaus- gasen zum Klimawandel beiträgt. Noch viel wichti ger aber ist, dass die Welt, anders als vor Jahrtausenden, mitt lerweile von sieben Milliarden Menschen bewohnt wird. Der Rückgang des arktischen Meereises mag keine unmittelbare Auswirkung auf Regionen haben, die nicht zu den Anrainer staaten des Arkti- schen Ozeans gehören. Die mit dem Eisrück gang verbundenen ozeanischen und atmosphärischen Verän derungen tragen jedoch auch zum überregionalen Klima wandel bei und beein- flussen somit die Ökologie, die Ökono mie und schließlich auch das Migrationsverhalten ganzer Na tionen.

Der Schwerpunkt der meisten Klimastudien liegt auf der Si mulation der kurz- und auch langfristigen Entwicklung regio naler und globaler Umweltbedingungen (Erwärmungs- trends, Niederschläge etc.), um Prognosen abzugeben, die den politi schen Entscheidungsträgern als Richtlinien für Handlungs strategien dienen sollen. Viele Modelle schei- tern jedoch schon an der Simulation der heutigen Klima- bedingungen – sie können beispielsweise die Entwicklung der arktischen Meereisbedeckung während der letzten 30 Jahre nicht korrekt wiedergeben (stroeve et al. 2007). Die Notwendigkeit, sol che Modelle zu verbessern, liegt auf der Hand. Die richtige Simulation des Verhaltens von Meereis und der physikali schen Wechselwirkungen im Ozean-Atmo- sphäre-System stellt eine grundlegende Voraussetzung für die Berechnung vertrauenswürdiger Zukunftsprojektionen dar.

Der neue PIP25-Index bietet erstmals die Möglichkeit, eine Paläoeisbe deckung nicht nur qualitativ, sondern auch quan- titativ abzu bilden. Computermodelle können mithilfe dieser Daten kali briert werden, sodass sie „lernen“, nicht nur die komplexen Steuerungsmechanismen der Vergangenheit richtig wiederzu geben, sondern auch die zukünftigen Klimabedin- gungen realistisch vorherzusagen.

Zuverlässige Prognosen über den Wandel der Eisbedeckung im Arktischen Ozean und die damit einhergehenden Verände- rungen der Albedo, der Wassertemperatur und -dichte, der ozeanischen Strömungsmuster, der Verteilung von Hoch- und Tiefdruckgebieten oder der Stabilität des submarinen Perma- frosts werden die Planung von Maßnahmen des Klimafolgen- schutzes deutlich erleichtern. Dass sich das Klima verändert, wird kaum zu ändern sein. Umso wichtiger ist es, abschätzen zu können, wie es sich verändern wird und wie diesem Wan del begegnet werden kann.

Literatur

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