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ntersuchungen zeigen es immer wieder: Der deutsche Medizin-Pro- fessor hat das beste Image bei der Bevölkerung. Er steht ganz oben in der Skala der angesehensten Berufe. Weil Image auch blenden kann, blüht der Handel mit gefälschten Akademiker- Titeln. Bei den so genannten Promo- tionsberatern soll es Falsifikate aus Ost- europa schon für 10 000 Euro geben. Ein gekaufter Titel aus deutschen Landen kostet schon mehr – ab 50 000 Euro auf- wärts. Das Risiko, ertappt zu werden, ist nach Angaben von Capital verschwin- dend gering.Doch hin und wieder fliegen Medizin- Hochstapler auf – einer zum Beispiel, weil er so dämlich war, die Geldausgabe für den falschen Doktor von der Steuer absetzen zu wollen. Ein anderer bezahl- te für seine Chuzpe, als er sogar eine Frauenarztpraxis eröffnete. Berühmt wurde der ehemalige Postbote Gert P., der es in einer Anstalt in Sachsen sogar zum Oberarzt der Psychiatrie brachte.
Vor Gericht tönte er: „Wenn man Sprache und Dialektik der Psychiatrie beherrscht, kann man jeden Schwach-
sinn formulieren!“ In Mün- chen gab sich ein Aus- hilfskoch als Professor Col- mar aus und geisterte als weißes Phantom durch die großen Kliniken der Stadt.
Auf charmante Art bat er die Patienten um Wechselgeld und ver- schwand damit.
Das Halbgott-Image tut noch immer seine Wirkung. Ein Scherz- bold gab mal in großen deutschen Zeitungen folgende Anzeige auf:
„Angesehener Arzt kommt zur Aufwertung auf Ihre Party.“ Er be- kam eine Reihe von Of- ferten, die mit einem nam- haften Mediziner ihre Party aufpeppen wollten.
Im Internet kann man sogar unter www.doktortitelkauf.de einen kirchlichen Doktortitel erwerben. Und zwar von ei- ner amerikanischen Kirche. Für den
„Doctor of Divinity“ ist kein Examen
notwendig – er kostet nur 250 Dollar.
Beim „Doctor of Immortality“ muss da- gegen ein Test zu 75 Prozent richtig beant- wortet sein – ihn gibt’s für 290 Dollar. Es lebe die Erkenntnis: „Der Schein be- stimmt das Sein!“ Bernd Ellermann
W
ie lassen sich völlig frustrierte Aktionäre so behandeln, dass sie am Ende gar froh sind, es hät- te alles ja viel schlimmer kommen können? Vorstand und Aufsichtsrat der Allianz lösten diese Aufgabe, aus ih- rer Sicht wenigstens, mit eini- ger Bravour. Auf der letzten Hauptversammlung Ende April zogen Vorstand und Aufsichtrat alle Register der Kunst, dass einem Hören und Sehen fast verging.Über eine Vielzahl von Vi- deoleinwänden erlebten die staunenden Zuschauer noch- mals die Flutkatastrophen des Vorjahres und alle mögli- chen Erdbeben weltweit. Sie- bentausendfünfhundert Au- genpaare waren nach den op- tischen Eindrücken sichtlich froh, dass sie mit ihren Kapi- talverlusten noch am wenig- sten gestraft waren – Geld verloren, Leben behalten, tief
Luft holen, bisschen mosern, ab ans Büffet.
Derlei Dramaturgie ist sehr wohl eine Glanzleistung, vor allem im Angesicht des ebenfalls erdrutschartigen Ver- lustes der Allianz-Aktie von 75 Prozent in nur einem einzi- gen Jahr. Die Vorführung er- füllte also voll ihren Zweck, den Aktionären sollte klar ge- macht werden, wo der wirkli- che Grund des Niedergangs zu suchen sei.
Von Managementfehlern indes war vergleichsweise we- nig zu hören. Gleichwohl hat sich hier die Konzernführung nicht gerade mit Ruhm be- kleckert, wie die fehlgeschla- gene Integration der Dresd- ner Bank in die Allianzgruppe
eindrucksvoll zeigt. In der Tat symbolisiert die Milliarden- vernichtung bei der Allianz- Börsenkapitalisierung eine ge- waltige Zäsur in der deut- schen Industrielandschaft, nichts wird mehr so sein wie zuvor, lautet die Botschaft.
Doch halt. Wenn es richtig ist, dass bei schlechten Nach- richten gekauft werden muss, dann ist die Einhaltung dieser Regel bei der Allianz-Aktie möglicherweise angezeigt,mei- nes Erachtens sogar dringend geboten.
Diese Einschätzung hat nicht nur mit dem neuen Chef Michael Diekmann zu tun, aber eben auch. Der 48-Jähri- ge ist meiner Meinung nach genau der Richtige, die Alli-
anz aus schwerem Fahrwasser zu führen. Aber auch die Sub- stanz des Unternehmens ist längst nicht so marode, wie es der derzeit geringe Börsen- wert widerspiegelt.
Wann allerdings die Alli- anz-Aktie zu neuem Leben erwacht, vermag ich nicht zu beurteilen.Auch Rückschläge wird es immer wieder geben.
Auf Sicht von 24 Monaten dürfte der Assekuranztitel gleichwohl ein solides Ver- doppelungspotenzial haben.
Dieses Kursziel klingt enorm und ambitioniert, ist aller- dings selbst für den Fall, dass es so kommt, nur ein Trost- pflaster für diejenigen Ak- tionäre, die zu Kursen über 200 Euro gekauft haben.
Wer aber jetzt einsteigt oder Bestände verbilligt, wird ver- mutlich alles richtig gemacht haben, wenn er sich nur ausrei- chend Zeit lässt. Eine Allianz fürs Leben halt eingeht. ) S C H L U S S P U N K T
[60] Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 199. Mai 2003
Der Schein bestimmt das Sein
zur Allianz AG
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