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Archiv "Muskel und Knochen – eine funktionelle Einheit" (15.12.2006)

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er enge Zusammenhang zwischen dem Risiko für eine Fraktur und der Knochenmasse ist Basis für die Empfehlungen der Weltgesundheits-Organisation (WHO) zur Diagnostik und Charakterisierung von Osteopenie und Osteoporose (1). Aufgrund dieser Asso- ziation steht bei Fragestellungen zur Osteoporose die Beurteilung und therapeutische Beeinflussung der Kno- chenmasse im Vordergrund. Diese Überlegung bedingt das Konzept der „peak bone mass“-Optimierung und der theoretischen Reduktion des Frakturrisikos im Alter.

Prävention, Diagnostik und Therapie der Osteoporose

Der Erwerb von viel Knochenmasse im Kindes- und Jugendalter sollte somit vor Frakturen im Alter schüt- zen. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit wissen-

schaftlichen Ergebnissen der letzten zehn Jahre zur Skelettentwicklung. Es wird diskutiert, ob das derzei- tige Konzept, die Knochengesundheit unter der Vor- rangstellung der Knochenmasse zu betrachten, die biologischen Prinzipien der Skelettentwicklung im Kindes- und Jugenalter ausreichend berücksichtigt.

Die zentrale Frage ist, ob ein „optimaler Knochen- aufbau“ im Kindes- und Jugendalter als Maßnahme zur Prävention von Frakturen beziehungsweise Osteo- porose im Erwachsenenalter relevant ist (2, 3, 4, e1, e2, e3 , e4). Es gibt keine kontrollierten Studien über den Zeitraum von 60 bis 80 Jahre, die diese Vorstel- lung belegen. Im Gegenteil – es wird zunehmend kri- tisch diskutiert, ob dieses Konzept und insbesondere die isolierte Analyse der Knochenmasse im Kindes- und Jugendalter, aber auch bei Erwachsenen, zu ver-

ÜBERSICHTSARBEIT

Muskel und Knochen – eine funktionelle Einheit

Paradigmenwechsel bei Skelettuntersuchungen von Kindern und Jugendlichen Eckhard Schönau, Oliver Fricke

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Im sich entwickelnden Organismus von Kindern und Jugendlichen steht die Kraft und die Masse der Mus- kulatur in biologischer Beziehung zur Geometrie und Mas- se des Skeletts. Methoden: Vor dem Hintergrund von Ha- rold Frost's „Mechanostaten Hypothese“ werden Erkennt- nisse osteodensitometrischer und biomechanischer Unter- suchungen der vergangenen zehn Jahre diskutiert. Ergeb- nisse: Bei Heranwachsenden folgt die Entwicklung der Masse und Geometrie des Knochens der Entwicklung der Körpermaße und Muskelkraft. Durch Zunahme der Festig- keit passt sich der Knochen an die durch biomechanische Kräfte bedingte Verformung an. Aus diesem Grund ermög- licht die quantifizierte Untersuchung der Beziehung zwi- schen Knochenfestigkeit und Muskelkraft zwischen primären und sekundären Knochenerkrankungen zu unter- scheiden. Bei primären Knochenerkrankungen ist die Kno- chenfestigkeit nicht an die Muskelkraft adaptiert. Sekun- däre Knochenerkrankungen zeichnen sich durch eine ver- minderte Knochenfestigkeit in Verbindung mit einer gelun- genen Anpassung an eine verringerte Muskelkraft aus.

Diskussion: Der als funktionelle Muskel-Knochen-Einheit bezeichnete Zusammenhang zwischen Muskulatur und Skelett ist ein nützlicher Ansatz in der Diagnostik pädiatri- scher Knochenerkrankungen.

Dtsch Arztebl 2006; 103(50): A 3414–9.

Schlüsselwörter: Osteoporose, Muskel-Knochen-Einheit, Knochendichtemessung, pädiatrische Erkrankung, Osteo- densitometrie

SUMMARY

MUSCLE AND BONE – A FUNCTIONAL UNIT Introduction: This review deals with the relationship of muscle force and mass to bone mass and geometry in the developing skeleton of children and adolescents. Methods:

Results from studies in the last ten years are discussed with reference to Harold Frost's "mechanostat hypothe- sis." Results: Bone mass and geometry follow the develop- ment of body mass and muscle strength in children and adolescents. Therefore, bone is adapted to applied biome- chanical forces. Measuring the ratio of muscle force to bone strength is an approach to distinguish between a pri- mary and a secondary bone disease. Primary bone dis- eases are characterized by dysfunctional adaptation of bone to biomechanical forces. Secondary bone diseases, in con- trast, are characterised by normal adaptation of bone to loaded forces, but a decline of muscle force (sarcopenia).

Discussion: These observations induced us to introduce the "functional muscle-bone unit" into the diagnosis of pediatric bone diseases. The ratio of two parameters – bo- ne strength on the one and to biomechanical forces on the other side – is a reasonable diagnostic tool to distinguish between primary and secondary bone diseases.

Dtsch Arztebl 2006; 103(50): A 3414–9.

Keywords: osteoporosis, muscle-bone unit, osteodensito- metric measurement

Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde, Universtität zu Köln (Prof. Dr. med.

Schönau, Dr. med. Fricke)

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einfachend ist. Zudem wird hinterfragt, ob die Zusam- menhänge zwischen der Entwicklung der Knochenfes- tigkeit im Kindes- und Jugendalter und deren Erhalt im Erwachsenenalter nicht ausreichend erfasst wer- den (5, 6, e5, e6). Beispielhaft dafür konnte bei Kin- dern gezeigt werden, dass die Analyse der Knochen- masse unter anderem von der Körperhöhe abhängig ist. So haben Kinder mit Kleinwuchs kleinere Kno- chen und damit eine geringere Knochenmasse im Ge- gensatz zu großwüchsigen Kindern mit einer entspre- chend hohen Knochenmasse, obgleich die auf die Körpergröße bezogene relative Knochenmasse gleich ist. Entscheidend zur Untersuchung der „Knochenge- sundheit“ ist daher die Beantwortung der Frage, ob die vorhandene Knochenmasse angemessen für die Körperhöhe und somit auch für die Funktion des Ske- lettsystems ist. Dies wurde aber bis vor kurzem nicht berücksichtigt. Dadurch wurden weltweit viele Kin- der mit Kleinwuchs beziehungsweise einer Körper- höhe im unteren Größenbereich als osteopenisch be- ziehungsweise osteoporotisch eingestuft. Das betrifft auch Erwachsene mit geringer Körperhöhe. Beson- ders erschwerend erwies sich bei der Bewertung von Knochenuntersuchungen im Kindesalter die häufige Gleichsetzung der physikalischen Begriffe „Knochen- dichte“ und „Knochenmasse“. Die Knochendichte ist die Knochenmasse pro Knochenvolumen (Einheit in Milligramm pro Volumen: mg/cm3). Dagegen ist die Knochenmasse die Menge an Knochen absolut (Ein- heit in Milligramm: mg) (7).

Für die Interpretation von Knochenanalysen bei Kindern heißt das: Eine verminderte Knochendichte bedeutet eine auffällige Materialeigenschaft, zum Beispiel zu wenig Mineral pro Knochenvolumen wie bei der Rachitis oder Osteomalazie, oder Gewebe- eigenschaft, beispielsweise zu wenige oder zu dünne Trabekel pro Spongiosavolumen. Im Gegensatz dazu ist eine niedrige Knochenmasse bei kleinwüchsigen Kindern – dies sind insbesondere Kinder mit chroni- schen Erkrankungen – ein Normalbefund. Mit ande- ren Worten: eine niedrige Knochenmasse kann be-

dingt sein durch eine niedrige Knochendichte (patho- logischer Befund) aber auch durch eine geringe Kno- chengröße (physiologische Anpassung). Dieser „ba- nale“ Zusammenhang muss in der quantitativen Ana- lyse des Skelettsystems beachtet werden (8).

Repräsentative Studien zeigen, dass in den letzten zehn Jahren – ergänzend zur Untersuchung der Kno- chendichte und Knochenmasse – die Beurteilung der Knochengeometrie und die sich daraus ableitende Knochenfestigkeit im Kindes- und Jugendalter zuneh- mend an Bedeutung gewonnen hat. Diese Ergebnisse haben zu einer Renaissance des biologischen Ver- ständnis der Skelettentwicklung geführt: Form und Größe eines Skelettelements sind Ausdruck seiner biomechanischen Beanspruchung.

Regler der Skelettentwicklung – der Mechanostat

1892 beschrieb der deutsche Anatom Julius Wolff das

„Gesetz der Transformation der Knochen“ (9). Dahin- ter verbarg sich die Vorstellung, dass das Skelettsys- tem sich den äußeren Bedingungen (Kräften) anpasst.

In den 1960er-Jahren wurde dieses Gesetz durch Regulation der Knochenfestigkeitsentwicklung

GRAFIK 1 GRAFIK 2 Bedeutung der

Knochengeometrie für die Entwicklung der Knochenfestig- keit

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die Beobachtungen von dem amerikanischen Or- thopäden Harald Frost weiterentwickelt. Es erfolgte die Beschreibung der „Mechanostat-Hypothese“;

Grafik 1 zeigt den Regelkreis (10, e7, e8).

Im Zentrum steht der „Mechanostat“, der die Kno- chenverformungen, die durch die aktive Muskulatur ausgelöst werden, analysiert und entsprechend ihres Ausmaßes die Knochenfestigkeit durch die Arbeit der Knochenzellen (Osteoblasten, Osteoklasten) anpasst.

Hohe Kräfte beim Muskelaufbau (körperliche Akti- vität) verursachen Knochenaufbau; geringe Kräfte (Immobilität) bedeuten Knochenverlust und Abnahme der Festigkeit. Mit anderen Worten die Knochenfes- tigkeit wird immer auf die einwirkenden Kräfte einge- stellt.

Diese Theorie wurde in den letzten Jahrzehnten von vielen Wissenschaftlern und Medizinern als zu „me- chanisch“ abgelehnt. Erst durch aktuelle Forschungs- arbeiten, die darauf hinweisen, dass das Netzwerk der Osteozyten das „biologische Korrelat“ des Mecha- nostaten darstellt, ist diese Betrachtungsweise bezie- hungsweise die Kopplung Mechanik-Biologie auch für Grundlagenforscher zunehmend interessant (11).

In dem Regelkreis (Grafik 1) werden die mechani- schen Faktoren, wie die Maximalkräfte der Muskula- tur, streng von den nichtmechanischen, wie etwa Hor- mone, Nahrungsbestandteile und Medikamente, ge- trennt. Diese Faktoren haben in dem Regelkreis eine modifizierende Wirkung. Sie können bestimmte Ab- läufe beeinflussen wie beispielsweise:

>die Osteoblastenaktivität durch Parathormon

>die Osteoklastentätigkeit durch Bisphosphonate

>die Osteozytenempfindlichkeit möglicherweise durch Östrogen

>die spontane Mineralisation durch Calcium und Phosphat

>die Muskelentwicklung durch Wachstumshor- mon oder Testosteron.

Sie können aber nicht die mechanischen Kräfte wie Muskelaktivität ersetzen. Es geht bei dieser Betrach- tung nicht um „wichtige“ und „unwichtige“ Faktoren, sondern um das Verständnis des Zusammenspiels.

Auch wenn man sich wünscht, das „Calcium den Kno- chen stark macht“, weil es einfach ist Calcium zu sup- plementieren, wird man sich aufgrund aktueller Daten künftig mit neuen Betrachtungsweisen und Empfeh- lungen vertraut machen müssen (e 21).

Calciummangel ist im Kindesalter die Ursache für eine Rachitis. Die Knochensubstanz ist unzureichend mineralisiert. Osteoporose bedeutet dagegen fehlende Knochensubstanz durch unzureichende Knochenbil- dung oder gesteigerten Knochenverlust. Hierbei han- delt es sich nicht um einen Mineralmangel im Kno- chengewebe.

Wichtige Eigenschaften des Knochens im Kindes- und Jugendalter

Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass sich im Rahmen der Evolution das Prinzip „mit einem Mini- mum an Aufwand (Energie, Material) ein Maximum an Erfolg (ausreichende Festigkeit für körperliche Ak- tivität)“ entwickelt hat. Falls es das Ziel sein sollte, möglichst „schwere Knochen“ zu haben, warum sind die Knochen der Säugetiere dann hohl? Ist es sinnvoll möglichst schwere Knochen zu transportieren? Falls es das Ziel sein sollte, möglichst „dichte Knochen“ zu haben, warum haben Patienten mit einer hohen Mate- rialdichte wie zum Beispiel Patienten mit der Osteo- genesis imperfecta so viele Frakturen? Die Grafik 2 zeigt schematisch die Abhängigkeit zwischen Dichte, Masse und der resultierenden Festigkeit (7, 12, e9).

Die Knochenfestigkeit ist eine Funktion von der Ma- terialeigenschaft (Dichte), der Materialmenge (Mas- se) und der Verteilung der Masse um den Massen- schwerpunkt (Geometrie). Entscheidend ist, dass klei- ne Änderungen der Geometrie, etwa die Zunahme des Durchmessers, in hohem Maße zur Steigerung der Knochenfestigkeit, beitragen.

Skelettentwicklung – eine Funktion einwirkender Muskelkräfte

Der in der „Mechanostat-Hypothese“ postulierte Zu- sammenhang zwischen Muskel- und Knochenent- wicklung wurde im Rahmen der DONALD-Studie (Dortmund Nutritional and Anthropometric Longitu- dinally Designed Study) bei 349 gesunden Kindern und Jugendlichen im Alter von 6 bis 19 Jahren (183 Mädchen) und ihrer Eltern im Alter von 29 bis 59 Jah- ren (201 Mütter) im Querschnitt untersucht. Die DONALD-Studie ist eine longitudinale Untersuchung, die den Effekt der Kinderernährung und anderer

„Lifestyle“-Faktoren auf die kindliche Entwicklung prüft (e10).

Die Untersuchung der Muskel- und Skelettentwick- lung erfolgte mit der peripheren quantitativen Com- putertomographie (pQCT) am nicht dominanten Un- terarm. Die Messorte werden als relativer Abstand des CT-Querschnittbildes von der distalen Ulna-Epiphyse Knochenanalyse mit peripherer quantitativer Computertomographie am Radius

GRAFIK 3

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in Bezug auf die Gesamtlänge des Knochens angege- ben. Die Grafik 3 beschreibt die Lokalisation der CT- Schichten am Radius und die exemplarisch dargestell- ten Parameter für Knochendichte (Spongiosadichte, Kortikalisdichte), Knochenmasse („bone mineral con- tent“ [BMC]) und Knochenfestigkeit („bone strength index“ [BSI]).

Der Parameter BSI zeigte in vielen tierexperimen- tellen Untersuchungen und Bruchfestigkeitsanalysen an menschlichen Knochen postmortem eine hohe Vor- hersagegenauigkeit der Kräfte, die notwendig sind, um diese Knochen zu brechen. Die Grafik 4 be- schreibt die Beziehung der Knochenparameter Masse (BMC) und Festigkeit (BSI) in Abhängigkeit von der Muskulatur (Muskelfläche im Querschnitt am Unter- arm). Wird die Knochenmasse und -festigkeit auf die Muskulatur bezogen, lässt sich unabhängig vom Alter (Kinder, Eltern) eine lineare Beziehung nachweisen.

Diese Daten sprechen für den von Julius Wolff 1892 dargestellten Zusammenhang zwischen Knochen und einwirkenden Kräften und für das 1964 dargestellte Konzept des Mechanostaten durch Harold Frost. Da- gegen ist beim gesunden, normal aktiven Probanden die Entwicklung der Spongiosadichte am distalen Ra- dius weder vom Alter noch in relevanter Weise von der Muskulatur abhängig. Aufgrund dieser Eigen- schaft hat sich in der klinischen Arbeit der Autoren dieser Parameter als guter Screeningparameter zum Nachweis von frühen Knochenverlusten bei ange- borenen Störungen oder chronischen Erkrankun- gen bewährt. Ausführliche Informationen über die DONALD-Studie, die Analyse der Interaktion zwi- schen Muskel und Knochen, die Methoden und die da- zugehörigen Referenzwerte wurden in verschiedenen Publikationen veröffentlicht (12–17, e11–e15).

Neues Diagnostikkonzept: Die „funktionelle Muskel-Knochen-Einheit“

1996 wurde anhand von Pilotuntersuchungen über die Muskel- und Skelettentwicklung im Kindes- und Ju- gendalter der „functional muscle-bone unit“ beschrie- ben (18). Aufgrund der Beziehung zwischen Muskel und Knochen wurde empfohlen, bei Skeletterkran- kungen konsequenterweise auch die Muskulatur zu prüfen. Wenn die Entwicklung beziehungsweise der Erhalt des Skelettsystems eine Funktion der Muskula- tur ist, dann muss konsequenterweise der Muskel mit- untersucht werden. Dieses Vorgehen stellt einen Para- digmenwechsel dar. Bisher wurden Knochenparame- ter im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter in Be- zug auf das chronologische Alter und somit im Ver- gleich zu einem Altersmittelwert einer Population ausgewertet. Die „funktionelle Muskel-Knochen-Ein- heit“ verwendet dagegen die Muskulatur als Refe- renzwert. Zur Umsetzung dieser Vorgehensweise wur- de eine Zwei-Stufen-Diagnostik vorgeschlagen (Gra- fik 5) (19, e16).

Im ersten Schritt wird die Muskelentwicklung un- tersucht. Hierbei dient als individuelle Referenzgröße die Körperlänge. Die Körperlängenentwicklung be-

a) Entwicklung der Knochenmasse und b) der Knochenfestigkeit in Abhängigkeit von der Mus- kelentwicklung

GRAFIK 4

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sitzt eine sehr enge Assoziation zur Entwicklung der Muskelmasse (19, e17). Dieser Zusammenhang lässt sich aus einem teleologischen Blickwinkel verstehen.

Größere Skelettelemente benötigen aufgrund größerer Masse und stärkerer Hebelkräfte auch größere Mus- kelkräfte, um Bewegungen auszuführen.

Im zweiten Schritt des vorgestellten Algorithmus wird die Skelettadaption analysiert. Durch dieses Vor- gehen werden Skeletterkrankungen in primäre und sekundäre Störungen unterteilt. Bei primären Störun- gen handelt es sich um eine Adaptionsstörung des Skelettsystems zum Beispiel Osteogenesis imperfecta, juvenile idiopathische Osteoporose, Medikamenten- nebenwirkungen. Bei sekundären Störungen liegt eine unzureichende Anregung durch die Muskulatur vor, beispielsweise infolge primärer muskulärer Erkran- kungen, kataboler Zustände bei chronischen Krank- heitsbildern, körperlicher Inaktivität. Diese Vorgehens- weise erlaubt die Unterscheidung zwischen Ursache und Wirkung. „Osteoporose“ wird als Symptom be- trachtet und die Pathophysiologie strenger berück- sichtigt.

Fazit und Ausblick

Die Untersuchung des Zusammenwirkens der Mus- kel- und Skelettentwicklung im Kindes- und Jugend- alter weist auf die ständige Adaption des Skelettsys- tems an die äußeren Kräfte. Die äußeren Kräfte stellen dabei die muskulären Maximalkräfte im Rahmen der körperlichen Alltagsaktivitäten dar. Die Verwendung von altersabhängigen Referenzwerten für die Kno- chenmasse ohne Berücksichtigung der Körpermaße führt zu Interpretationsfehlern, wenn Aussagen über die Knochenstabilität mit Hinblick auf das Fraktur- risiko gemacht werden sollen.

Erste Schritte der Hersteller verschiedener quanti- tativer Knochenanalyseverfahren haben zu Änderun- gen ihrer Software für Kinder und Jugendliche ge-

führt. Es erfolgt jetzt der Bezug des Parameters Kno- chenmasse auf die Körpergröße und damit indirekt auf die Knochengröße. Dieser Bezug vernachlässigt je- doch weiterhin die Funktionalität des Systems.

Die Beschreibung von Muskelmasse und Muskel- funktion ermöglicht eine exaktere pathophysiologi- sche Abklärung des Symptoms „Osteoporose“. Bei vielen chronischen Erkrankungen wie juvenile rheu- matoide Arthritis, Niereninsuffizienz, Zustand nach Nierentransplantation, Mukoviszidose, Wachstums- hormonmangel et cetera konnte gezeigt werden, dass eine Störung der Muskelentwicklung und sekundär ei- ne Störung des Skelettsystems vorliegt (20, 21, 22, 23, e18, e19). Diese Ergebnisse haben in der Pädiatrie zu einem grundsätzlichen Umdenken geführt. Aktuelle Studien widmen sich der Intensivierung des Muskel- aufbaus beziehungswiese -erhalts bei chronischen Er- krankungen. Herausragend sind diese Gesichtspunkte für die Diskussionen zur Prävention der Osteoporose.

Die dargestellten Zusammenhänge und aktuellen Forschungsergebnisse, die anlässlich des Third Inter- national Congress on Bone Health in Childhood in Sorrento vorgestellt wurden, zeigen, dass der optima- le Aufbau von Muskelmasse und Muskelfunktion ei- nen wesentlich höheren Stellenwert haben sollte als dies in den zurückliegenden Jahren der Fall war (e20).

Besonders wichtig ist die Erkenntnis, dass ein „Spit- zenwert für Knochenmasse“ („peak bone mass“) im Jugendalter kein dauerhafter Schutz vor Osteoporose im hohen Alter bedeutet. Muskel und Knochen sind ein funktionelles System, das sich immer wieder den neuen Gegebenheiten anpasst (24, 25). Aufgrund des Verständnisses über die Funktionalität des Systems Muskel-Knochen wird es zunehmend klar, dass die körperliche Aktivität im Kindes- und Jugendalter, die hoffentlich dann auch im Erwachsenenalter fortge- setzt wird, eine wichtige Grundvoraussetzung für eine möglichst optimale und langanhaltende körperliche Mobilität darstellt.

Interessenkonflikt

Prof. Schönau erhielt von der Firma Novotec Medical GmbH finanzielle För- dermittel. Dr. Fricke erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richt- linien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Teile der Arbeit wurden 2003 mit dem Hufelandpreis 2002 ausgezeichnet.

Manuskriptdaten

eingereicht: 27. 7. 2005, revidierte Fassung angenommen: 19. 6. 2006

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Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Eckhard Schönau Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde Klinikum der Universität zu Köln Kerpener Straße 62, 50924 Köln

REFERIERT

Früherkennung des Ösophaguskarzinoms

Mittels Lugolscher Lösung lässt sich bei Risikopatienten für ein Platten- epithelkarzinom der Speiseröhre eine Frühdiagnose erreichen. In 62 französischen Endoskopiezentren wurden insgesamt 1 095 Risikopatien- ten prospektiv untersucht. Diese gliederten sich den Befunden entspre- chend in vier Gruppen: Plattenepithelkarzinome von Mundhöhle und/oder Tracheobronchialbaum (Gruppe 1), chronische Alkoholpankreatitis (Grup- pe 2), durch Alkohol induzierte Leberzirrhose (Gruppe 3) und chronischer Alkohol- und Nikotinmissbrauch (Gruppe 4).

Während der Ösophagusdiagnostik setzten die Ärzte auch eine Chro- moendoskopie mit 10 bis 20 mL einer zweiprozentigen Lugolschen Lö- sung ein. Ein Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre entdeckte man bei

3,2 Prozent der Patienten. Die höchste Prävalenz wies die Gruppe 1 mit 5,4 Prozent Karzinomen und 4,5 Prozent schweren Dysplasien auf. Von den 38 bei den 1 095 Probanden gefundenen Karzinomen waren 20 Prozent im Frühstadium. Wiederum 20 Prozent der Karzinome wurden erst nach Einsatz der Lugolschen Lösung detektiert. Ähnliches traf für die nur in Gruppe 1 gefundenen hochgradigen Dysplasiefälle zu: Zwei Drittel wurden erst durch die Chromoendoskopie evident. Eine gering- gradige Dysplasie fand man bei 2,4 Prozent der Probanden; 77 Prozent dieser Fälle wurden erst durch das Färbeverfahren entdeckt. Die Autoren befürworten Screening-Untersuchungen mit Nutzung der Chromoendo- skopie bei allen Patienten, die aktuell oder in der Anamnese ein Platten-

epithelkarzinom der Rauchstraße aufweisen. W

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www.aerzteblatt.de/Lit5006.de

English version of this article is available online:

www.aerzteblatt.de/english

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ÜBERSICHTSARBEIT

Muskel und Knochen – eine funktionelle Einheit

Paradigmenwechsel bei Skelettuntersuchungen von Kindern und Jugendlichen

Eckhard Schönau, Oliver Fricke

Referenzen

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