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Archiv "Hereditäre Tubulopathien mit Diuretika-ähnlichem Salzverlust" (24.07.1998)

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(1)

artter beschrieb Anfang der sechziger Jahre zwei Patien- ten mit kongenitalem re- nalem Salzverlust, normotensiver Hyperreninämie, Hyperaldosteronis- mus und hypokaliämischer Alkalose (4). Wenige Jahre später berichtete Gitelman über ein ähnliches Krank- heitsbild mit den zusätzlichen Merk- malen einer Hypomagnesiämie und Hypokalziurie (18). Im weiteren Ver- lauf wurden insbesondere von pädia- trischen Arbeitsgruppen (15, 39, 48) mehrere Varianten des Bartter-Syn- droms mit pränataler Manifestation publiziert. Die Nomenklatur dieser hereditären Salzverlust-Tubulopathi- en erfolgte dabei nach den als jeweils charakteristisch angesehenen klini- schen Symptomen oder biochemi- schen Merkmalen. Durch die unter- schiedlichen Vorstellungen zur Pa- thogenese entstand so eine Vielzahl von zumeist deskriptiven Bezeich- nungen für einige klinisch sehr ähnli- che Krankheitsbilder (57) (Tabelle 1).

Schließlich gelang es mit Hilfe der

Molekulargenetik, verschiedene epi- theliale Transportdefekte als primäre Ursache für eine Salzverlust-Tubulo- pathie zu identifizieren (10, 27, 53, 54, 55, 58). In Anlehnung an das jeweils defekte Transportprotein erhielten diese Erkrankungen in der Folge zu- sätzlich molekularbiologische Be- zeichnungen (Tabelle 1).

Da es sich bei den hereditären Tubulopathien um seltene Erkran- kungen handelt (Inzidenz etwa 1 : 50 000), ist für die medizinische Be- treuung einzelner Patienten sowie für die Durchführung wissenschaftlicher Studien eine Kooperation verschiede- ner Kliniken und Fachrichtungen wichtig. Die dazu erforderliche Kom- munikation zwischen Geburtshelfern, Neonatologen, Nephrologen, Epithel- physiologen und Genetikern kann durch eine einheitliche, klinisch-pa- thophysiologisch ausgerichtete Klas-

sifikation deutlich verbessert werden.

Unter diesem Aspekt erscheint die Einteilung der Salzverlust-Tubulopa- thien in einen Furosemid-Typ, einen Thiazid-Typ und einen Amilorid-Typ sinnvoll.

Furosemid-Typ

Der Furosemid-Typ (FSLT: Furo- semide-like salt-losing tubulopathy) wird bisher als Hyperkalziurisches Bartter-Syndrom, Hyper-Prostaglan- din-E-Syndrom oder Antenatales Bartter-Syndrom bezeichnet (13, 15, 39, 48). Es handelt sich typischerweise um ein schweres Krankheitsbild, daß sich bereits pränatal manifestiert (Ta- belle 2). Die fetale Polyurie führt ge- gen Ende des zweiten Schwanger- schafts-Trimenons zur Ausbildung ei- nes Polyhydramnions und damit zur Frühgeburtlichkeit. Postpartal zeigt sich ein exzessiver renaler Kochsalz- verlust mit Iso- oder Hyposthenurie und einer massiven Polyurie. Dagegen

Hereditäre

Tubulopathien mit Diuretika-ähnlichem Salzverlust

Arnold Köckerling Martin Konrad Hannsjörg W. Seyberth

Stichwörter: Hereditäre Tubulopathien, Bartter- Syndrom, Salzverlust, Ionentransport, Indometacin Angeborene Salzverlust-Tubulopathien – bisher häufig unter dem Begriff Bartter-Syndrom zusammengefaßt – müssen insbesondere in der Neonatalperiode als Ursache für Entgleisungen des Elektrolyt- und Wasserhaushalts in Betracht gezogen werden. Neue molekulargenetische und pharmakologische Studien konnten nachweisen, daß es sich um mehrere, pathophysiologisch eigenständige Er- krankungen des tubulären Ionentransportes handelt. Kli-

nisch können drei Gruppen mit here- ditärem renalem Salzverlust unter-

schieden werden. Dabei gleichen Symptomatik sowie bio- chemische und pharmakologische Merkmale dem Bild ei- ner Langzeitbehandlung mit Schleifendiuretika, Thiazi- den oder Kalium-sparenden Diuretika. Die Therapie der Salzverlust-Tubulopathien umfaßt neben einer adäquaten Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution die Suppression der sekundär erhöhten Prostaglandinsynthese mit Indo- metacin.

ZUSAMMENFASSUNG

Key words: Hereditary tubulopathy, Bartter syndrome, salt loss, ion transport, Indometacin

Inherited salt-losing tubulopathies – often referred to as Bartter syndrome – must be considered in cases of severe fluid and electrolyte disturbance in the neonate. These dis- orders include a number of genetically and pathophysiolo- gically distinct entities caused by different defects of tubular ion transport. Three groups of hereditary salt wasting can be

distinguished. The clinical appearances as well as biochemical and pharmacological characteris-

tics resemble long-term exposure to loop diuretics, thiazide diuretics, and potassium-saving diuretics, respectively. The treatment of these salt-losing tubulopathies includes ad- equate supplementation with fluid and electrolytes as well as suppression of secondary prostaglandin formation with indometacin.

SUMMARY

B

Abteilung für Allgemeine Kinderheilkunde (Leiter: Prof. Dr. med. Hannsjörg W.

Seyberth), Universitäts-Kinderklinik, Marburg.

(2)

ist die renale Kaliumexkretion initial noch normal (29). In dieser ersten Phase steht eine hyponatriämische Dehydratation im Vordergrund, so daß differentialdiagnostisch auch eine Salzverlust-Tubulopathie vom Ami- lorid-Typ (Pseudohypoaldosteronis- mus) erwogen werden muß. Im weite- ren Verlauf tritt jedoch regelmäßig ei- ne Hyperkaliurie mit unterschiedlich stark ausgeprägter hypokaliämischer Alkalose auf. Charakteristisch für die FSLT ist eine Hyperkalziurie, die zumeist schon innerhalb der ersten Lebenswochen zur Nephrokalzinose führt (13, 15, 39, 48, 52).

Polyurie und Salzverlust korrelie- ren mit einer massiv erhöhten renalen Ausscheidung von Prostaglandin E2 (PGE2) und dessen Hauptmetaboliten PGE-M (48). Die erhöhte PGE2-Bio- synthese ist außerdem mit einer nor- motensiven Hyperreninämie und ei- nem sekundären Hyperaldosteronis- mus assoziiert. Häufig treten – ver- mutlich durch PGE2vermittelt – syste- mische Symptome wie Fieber, Erbre- chen, sekretorische Diarrhö und Osteopenie auf (49). In der Folge wird oft eine Wachstumsretardierung beob- achtet (47).

Primäre Ursache für die FSLT ist eine defekte Chloridresorption im Be- reich des dicken aufsteigenden Schen- kels der Henleschen Schleife (TALH).

Dieser elektrogene epitheliale Io- nentransport basiert auf folgenden zellulären Mechanismen(Grafik 1).

Die in der basolateralen Mem- bran lokalisierte Na+-K+-ATPase er- zeugt einen steilen elektrochemischen Gradienten für Natrium von extra- nach intrazellulär. Angetrieben durch diesen Gradienten, fördert der in der apikalen Membran gelegene Fu- rosemid-sensitive Kotransporter Na+ zusammen mit K+ und 2Cl- vom Tubuluslumen in die Zelle. Essen- tiell für das Funktionieren des Na+-K+-2Cl--Kotransporters ist ein ständiges K+-Recycling in das tubuläre Lumen durch spezifische K+-Kanäle vom ROMK-Typ. Chlorid dagegen verläßt die Zelle durch cAMP-abhän- gige basolaterale Cl--Kanäle in das In- terstitium und wird somit im Nettoef- fekt resorbiert. Durch die Chloridre- sorption wird über dem Epithel eine elektrische Spannung aufgebaut. Die- se Spannung wiederum ist der Antrieb

für die parazelluläre Resorption von Ca++und Mg++durch das kationense- lektive Schlußleistennetz (20, 32).

Ist nun eine der genannten Trans- portkomponenten defekt, kommt es zum Erliegen der elektrogenen Chlo-

ridresorption und damit zum typischen klinischen Bild einer Furosemid-ähnli- chen Tubulopathie mit Salurese, Poly- urie, Hyperkalziurie und Hypermagne- siurie sowie einem Verlust der renalen Konzentrationsfähigkeit (20, 30).

Tabelle 1

Einteilung der hereditären Salzverlust-Tubulopathien

Klassifizierung Synonyme Transport-

defekt Furosemid-Typ (FSLT) Hyperkalziurisches Bartter-Syndrom

Antenatales Bartter-Syndrom NKCC2 oder Hyper-Prostaglandin-E-Syndrom ROMK Thiazid-Typ (TSLT) Gitelman-Syndrom

Hypokalziurisches Bartter-Syndrom NCCT Familiäre hypokaliämische

Hypomagnesiämie

Amilorid-Typ (ASLT) Pseudohypoaldosteronismus Typ 1 ENaC Sammelbegriffe Bartter-Syndrom

Idiopathische hyperkaliurische Hypokaliämie

Klassisches Bartter-Syndrom

Tabelle 2

Klinische und biochemische Merkmale der hereditären Salzverlust-Tubulopathien

Furosemid-Typ Thiazid-Typ Amilorid-Typ

Transportdefekt NKCC2 ROMK NCCT ENaC

Polyhydramnion + + – +

Polyurie + + (+) +

Salurese ­ ­ (­) ­

Urin-Osmolalität < 300 < 300 500–800 ca. 300

Kalziurese ­ ­ ¯ (­)

Nephrokalzinose + + – (+)

PGE2/PGE-M ­ ­ (­) ­

Renin/Aldosteron ­ ­ (­) ­

Serum-Na+ (¯) (¯) « ¯

Serum-Cl- ¯ ¯ ¯ (¯)

Serum-Mg++ (¯) (¯) ¯ «

Serum-K+ ¯ (¯) ¯ ­

Base Excess + (+) + –

(3)

Molekulargenetisch wurden bei Patienten mit FSLT bisher Mutatio- nen im Na+-K+-2Cl--Kotransporter (NKCC2-Gen auf Chromosom 15q15- 21) und im renalen K+-Kanal ROMK (KCNJ1-Gen auf Chromosom 11q24-

25) nachgewiesen (27, 53, 54). Für Mutationen im KCNJ1-Gen konnte in Expressionsstudien der Verlust der K+-Kanal-Funktion belegt werden (12). Interessant ist die Beobachtung, daß bedrohliche Hypokaliämien bei Patienten mit NKCC2-Mutationen häufiger auftreten als bei Patienten mit KCNJ1-Mutationen (12). Letzte- re profitieren möglicherweise davon, daß ROMK-Isoformen auch an der Aldosteron-induzierten Kaliumsekre- tion im Sammelrohr beteiligt sind (23, 33) (Grafik 4). Der ROMK-Defekt verhindert somit einen zusätzlichen, aufgrund des sekundären Hyperaldo- steronismus zu erwartenden renalen Kaliumverlust.

Für das pathophysiologische Ver- ständnis der hereditären Salzverlust- Tubulopathien – und insbesondere der FSLT – ist neben dem primären tu-

bulären Transportdefekt vor allem die sekundär erhöhte Prostaglandin-E2- Synthese von außerordentlicher Be- deutung (Grafik 2). Die gestörte Elek- trolytresorption im TALH-Segment mit nachfolgendem renalem Salzver-

lust und chronischer Volumenkontrak- tion resultiert in einer Reduktion von glomerulärer Filtrationsrate und rena- lem Blutfluß. Als Gegenregulation wird zur Aufrechterhaltung der Nie- renfunktion vasodilatatorisches PGE2 freigesetzt (34, 35). Direkte Stimulati- on durch PGE2und tubuloglomuläres Feedback aktivieren das Renin-Angio- tensin-Aldosteron-System (3, 34, 57).

Die obligate Hyperreninämie verhin- dert einen arteriellen Hypotonus; der sekundäre Hyperaldosteronimus redu- ziert einerseits den renalen Natrium- verlust, ist andererseits jedoch für die Hypokaliämie verantwortlich (15, 39).

Die exzessive Freisetzung von PGE2 aggraviert außerdem ganz wesentlich den tubulären Elektrolyt- und Wasser- verlust. An der Henleschen Schleife reduziert PGE2, vermittelt durch EP3- Rezeptoren und ein inhibitorisches G-

Protein, die zelluläre cAMP-Konzen- tration und bewirkt somit eine zusätzli- che Hemmung der basolateralen Chlo- rid-Resorption (Grafik 1). Am Sam- melrohr inhibiert PGE2 die Natrium- resorption und antagonisiert den ADH-abhängigen Wassertransport (9, 24, 34). Dieser PGE2-Effekt resultiert in einer weiteren Verminderung der tu- bulären Konzentrationsfähigkeit mit hyposthenurischer Polyurie.

Die Suppression der sekundär er- höhten PGE2-Synthese mit Cyclo- oxygenase-(COX-)Inhibitoren ist der- zeit Hauptangriffspunkt in der thera- peutischen Intervention bei der FSLT.

Erst kürzlich wurde erstmals über eine erfolgreiche pränatale Indometa- cintherapie nach molekulargeneti- scher Diagnose an Amnionzellen be- richtet. Dabei konnte eine Reduktion des Polyhydramnions sowie eine Ver- längerung der Schwangerschaft er- reicht werden (29). Postpartal steht je- doch zunächst eine sofortige Substitu- tion von Flüssigkeit und Elektrolyten im Vordergrund. Die Therapie mit ei- nem COX-Inhibitor, in der Regel In- dometacin, sollte nach Sicherung der Diagnose einschleichend erfolgen.

Diese Behandlung erfordert insbeson- dere bei sehr unreifen Frühgeborenen ein engmaschiges Monitoring von Kör- pergewicht, Serum- und Urinelektro- lyten, renaler Prostaglandinexkretion und Medikamentenspiegeln, da auf- grund der geringen therapeutischen Breite von Indometacin in diesem Al- ter die Gefahr eines akuten Nierenver- sagens und schwerwiegender intestina- ler Komplikationen relativ hoch ist (29, 37, 43). Ein optimales perinatales Ma- nagement unter Vermeidung von De- hydratationszuständen und Elektrolyt- imbalancen trägt nicht nur zum guten Gedeihen der Kinder bei, sondern kann möglicherweise auch das Auftre- ten einer Nephrokalzinose verhindern oder deren Ausprägung abschwächen (29, 36, 38). Jenseits der Neonatalperi- ode ist mit zunehmendem Alter häufig eine Steigerung der Indometacindosis (beispielsweise 1 bis 3 mg/kg/d) erfor- derlich, um die Prostaglandinausschei- dung ausreichend zu supprimieren. In diesem Alter ist aber auch die Gefahr renaler und intestinaler Nebenwirkun- gen deutlich geringer. Allerdings müs- sen die Eltern darüber aufgeklärt wer- den, daß Indometacin als Antipyreti- cAMP

C1- C1-

2C1- 3Na+ 2K+

Ca++

Mg++

K+ K+

K+ Na+

ATP AC

Gi EP3 PGE2

ATP Furosemid

Lumen

(apikal) Interstitium

(basolateral)

Proximaler Tubulus

Distaler Tubulus

Sammel- Henlesche rohr

Schleife Grafik 1

Mechanismus der Furosemid-sensitiven Elektrolyt-Reabsorption in der Henleschen Schleife: Die basolaterale Na+-K+-ATPase erzeugt einen elektrochemischen Gradienten für den Einstrom von Na+ in die Zelle. Angetrieben durch diesen Gradienten, erfolgt die Na+-Aufnahme aus dem Tubuluslumen zusammen mit K+und 2Cl-durch ei- nen Furosemid-sensitiven Kotransporter. Die Funktion des Na+-K+-2Cl--Kotransporters ist an ein K+-Recycling durch apikale K+-Kanäle (ROMK) gekoppelt. Cl-verläßt die Zelle basolateral durch cAMP-abhängige Cl--Kanäle und einen K+-Cl--Kotransporter. Die Cl--Resorption generiert eine transepitheliale Potentialdifferenz und treibt damit die parazelluläre Resorption von Ca++und Mg++an. PGE2hemmt – vermittelt durch einen EP3-Rezeptor und ein inhibitorisches G-Protein (Gi) – die Adenylatcyclase (AC). Daraus resultiert eine verminderte zelluläre cAMP-Konzentration und somit eine Inhibition der Cl--Reabsorption. Als Ursache für eine FSLT wurden bisher kei- ne Mutationen des luminalen Na+-K+-2Cl--Kotransporters und des luminalen K+-Kanals (ROMK) identifiziert.

(4)

kum Infektionskrankheiten maskieren kann. Zusätzlich zur Therapie mit COX-Inhibitoren ist in jedem Lebens- alter auf eine ausreichende Flüssig- keitszufuhr und Elektrolytsubstitution mit NaCl und gegebenenfalls auch KCl zu achten. In der Dauerbetreuung der FSLT-Patienten sind mindestens halb- jährliche Verlaufskontrollen zur The- rapieüberwachung (unter anderem re- nale Prostaglandin-Aus-

scheidung und Indometa- cin-Serumspiegel) erfor- derlich (49). Da die Ne- benwirkungen einer le- benslangen Indometacin- behandlung, insbesondere in Hinsicht auf eine Anal- getika-Nephropathie, bei FSLT-Patienten bisher nicht bekannt sind, sollte die Indometacindosis so niedrig wie möglich liegen und regelmäßig den indivi- duellen Bedürfnissen an- gepaßt werden.

Die Prognose einer FSLT hängt derzeit we- sentlich vom Grad der Frühgeburtlichkeit und von der Optimierung des perinatalen Managements ab. Postpartale Entglei- sungen des Salz- und Was- serhaushalts sowie allge- meine Probleme der ex- tremen Frühgeburtlich- keit sind wahrscheinliche Ursachen für eine psycho- motorische Retardierung bei einigen FSLT-Patien- ten (46, 47, 49). Bei Ju- gendlichen und jungen Er- wachsenen wurde verein- zelt über eine chronisch progrediente Niereninsuf-

fizienz berichtet (2, 46, 60). Dabei bleibt allerdings unklar, ob diese durch die Langzeitbehandlung mit COX- Inhibitoren oder primär durch die Grunderkrankung verursacht wurde.

Thiazid-Typ

Der Thiazid-Typ (TSLT: Thia- zide-like salt-losing tubulopathy) ist bisher unter den Bezeichnungen Gitelman-Syndrom, Hypokalziuri- sches Bartter-Syndrom oder familiäre

hypokaliämische Hypomagnesiämie bekannt (Tabelle 1) (18, 42, 44, 59). Im Gegensatz zur FSLT wird die Erkran- kung häufig erst im späten Kindes- oder frühen Erwachsenenalter dia- gnostiziert und zeigt in der Regel ei- nen milderen Verlauf. Die Patienten fallen durch Müdigkeit, Obstipation, Muskelschwäche oder -krämpfe, Ge- lenkbeschwerden (Chondrokalzino-

se) und gelegentlich durch einen Min- derwuchs auf (49, 56). In anderen Fäl- len wird die Diagnose beispielsweise bei einer präoperativen Elektrolyt- Bestimmung oder im Rahmen einer Enuresis-Abklärung gestellt. Die ty- pische Konstellation von Laborpara- metern liegt jedoch bereits im Säug- lingsalter vor (Tabelle 2). Bei nur leichtem renalem Kochsalzverlust ist die tubuläre Konzentrationsfähigkeit fast vollständig erhalten. Die Diurese ist nur mäßig erhöht oder sogar nor- mal. Pathognomonisch ist eine Hypo-

kalziurie (< 0,1 mol/mol Kreatinin) in Kombination mit einer hypermagne- siurischen Hypomagnesiämie (5, 49).

Letztere ist für das Auftreten mus- kulärer Symptome verantwortlich, kann aber selbst bei sehr niedrigen Se- rumkonzentrationen (Mg++ 0,3 mmol/l) asymptomatisch bleiben.

Ähnlich wie bei der FSLT findet man auch hier eine sekundäre hypokali- ämische Alkalose als Zei- chen einer Stimulation des Renin-Angiotensin- Aldosteron-Systems. Da- gegen ist die renale Pro- staglandinexkretion bei der TSLT häufig nur leicht oder mäßig erhöht (19, 35).

Als primärer Defekt konnten bei Patienten mit TSLT verschiedene Mutationen im Thiazid- sensitiven Na+-Cl--Ko- transporter (NCCT-Gen auf Chromosom 16q13) identifiziert werden (55).

Diese gehen mit einer ge- störten Kochsalzresorpti- on im distalen Tubulus einher. Im Detail basiert dieser epitheliale Trans- port auf folgenden Me- chanismen(Grafik 3).

Ähnlich wie in den übrigen Tubulusabschnit- ten hält die basolaterale Na+-K+-ATPase die intra- zelluläre Na+-Konzentra- tion niedrig und trägt zur Aufrechterhaltung des Membranpotentials bei.

Der elektrochemische Gradient für Natrium von extra- nach intrazellulär ist wiederum Antriebs- kraft für die luminale Kochsalzaufnah- me durch den Thiazid-sensitiven Na+- Cl--Kotransporter (20). Ein Defekt dieses Kotransporters resultiert nicht nur in einer verminderten NaCl-Re- sorption, sondern immer auch in einer gesteigerten Kalziumresorption (16).

Anders als in der Henleschen Schleife erfolgt die Kalziumresorption im dista- len Tubulus transzellulär (Grafik 3).

Kalzium strömt durch spannungsab- hängige Ca++-Kanäle aus dem Lumen in die Zelle und wird basolateral im Austausch gegen Natrium in das Inter- Tubulärer Transportdefekt (NKCC2/ROMK)

Salzverlust

TGF Abfall von

GFR RBF

PGE2

Volumenkontraktion

Renin-Angiotensin-Aldosteron „ADH-Antagonist“

Isosthenurie

Nephrokalzinose

Hyposthenurie Verminderte Reabsorption von Chlorid, Natrium, Kalzium

Prävention eines Hypotonus

Korrektur der Hyponatriämie

Hyperkaliurie Hypokaliämie Grafik 2

Schematische Darstellung der pathophysiologischen Abläufe bei der FSLT. TGF: tubulo- glomeruläres Feedback; GFR: glomeruläre Filtrationsrate; RBF: renaler Blutfluß; ADH:

antidiuretisches Hormon.

(5)

stitium resorbiert. Der 3Na+-Ca++-An- tiporter konkurriert dabei mit der lu- minalen Kochsalzaufnahme; das heißt, ein Defekt des Thiazid-sensitiven Ko- transporters führt über eine Abnahme der intrazellulären Na+-Konzentration zur vermehrten Aktivität des 3Na+- Ca++-Antiporters und somit zur gestei- gerten Kalziumresorption mit charak- teristischer Hypokalziurie (7, 51). Die

pathophysiologische Basis der hyper- magnesiurischen Hypomagnesiämie bei TSLT-Patienten ist dagegen noch weitgehend ungeklärt. Diskutiert wird ein kompetitives Verhalten von Natri- um- und Magnesiumresorption im kor- tikalen Sammelrohr (14). Dort liegt wegen des Transportdefektes im vor- geschalteten distalen Tubulussegment eine hohe luminale NaCl-Konzentrati- on vor. Möglicherweise induziert der sekundäre Hyperaldosteronismus in dieser Situation im Sammelrohr ei- ne besonders effektive Natriumrückre- sorption auf Kosten eines ausgepräg- ten Magnesiumverlustes.

Die Therapie der TSLT ist sym- ptomatisch, da sich der bekannte Transportdefekt nicht beheben läßt.

Wichtig ist eine ausreichende Substi-

tution mit Kaliumchlorid. Außerdem sollte eine Therapie mit Magnesium- präparaten erfolgen. Allerdings ist selbst eine hochdosierte Magnesium- substitution häufig nicht ausreichend oder muß wegen intestinaler Neben- wirkungen (Diarrhö) reduziert wer- den (19). Eine Besserung der Hypo- kaliämie und gelegentlich auch der Hypomagnesiämie kann durch zu-

sätzliche Gabe eines Aldosteron- Antagonisten (zum Beispiel Spirono- lacton) oder Na+-Kanalblockers (zum Beispiel Amilorid) erreicht werden (11, 14). Je nach Ausprägung der sekundären Hyperprostaglan- dinurie ist eine Behandlung mit dem COX-Inhibitor Indometacin indi- ziert. Hierdurch werden sowohl die direkten PGE2-Effekte als auch der sekundäre Hyperaldosteronismus supprimiert.

Die Prognose der TSLT bezüg- lich physischer und mentaler Ent- wicklung ist nach dem derzeitigen Wissensstand gut (6, 49). Bei Lang- zeittherapie mit COX-Inhibitoren muß allerdings auf Zeichen einer Analgetikanephropathie geachtet wer- den. Die Patienten sollten darüber

informiert werden, daß in Situationen mit erhöhten Elektrolyt- und Flüssig- keitsverlusten (wie Diarrhö, Fieber, vermehrtes Schwitzen, operative Ein- griffe) eine Anpassung der Substituti- onstherapie erforderlich ist.

Amilorid-Typ

Die hereditäre Salzverlust-Tubu- lopathie vom Amilorid-Typ (ASLT:

Amiloride-like salt-losing tubulo- pathy) wird ebenfalls durch einen epithelialen Transportdefekt verur- sacht und entspricht dem Pseudohy- poaldosteronismus Typ I. Bisher wur- den eine autosomal rezessive und eine autosomal dominante Variante be- schrieben (21, 31).

Klinisch gleicht das Bild der au- tosomal rezessiven ASLT zunächst dem Furosemid-Typ. Die Erkran- kung manifestiert sich ebenfalls prä- natal und ist durch einen schweren Verlauf gekennzeichnet (Tabelle 2).

Wie bei der FSLT kann der fetale Salz- und Flüssigkeitsverlust mit ei- nem Polyhydramnion und Frühge- burtlichkeit assoziiert sein (1, 28).

Postpartal resultiert die anhaltend hohe Salurese in einer häufig lebens- bedrohlichen hyponatriämischen Dehydratation (1, 21, 28). Im Gegen- satz zu den anderen Salzverlust-Tu- bulopathien entwickeln sich trotz Hy- peraldosteronismus innerhalb kurzer Zeit eine ausgeprägte Hyperkaliämie und eine metabolische Azidose (40).

Neben einer massiven Stimulation des Renin-Angiotensin-Aldosteron- Systems findet man bei der ASLT auch eine deutlich gesteigerte Pro- staglandinfreisetzung (41, 50) sowie eine Hyperkalziurie mit Nephrokal- zinose (50).

Pathophysiologisch liegt ein De- fekt der Aldosteron-abhängigen Na- triumresorption im Sammelrohr vor (Grafik 4). In diesem Segment ist die Na+-Permeabilität der apikalen Membran der limitierende Resorpti- onsfaktor. Anders als in der Henle- schen Schleife oder im distalen Tubu- lus erfolgt die Aufnahme aus dem Tubuluslumen nicht mittels Kotrans- porter, sondern durch den Amilorid- sensitiven epithelialen Na+-Kanal (ENaC) (17, 20). Im Gegenzug wird Kalium durch spezifische luminale C1-

C1-

3Na+

3Na+ Ca++

Ca++

Ca++

2K+ Na+

ATP

ATP Thiazide

Lumen

(apikal) Interstitium

(basolateral) Proximaler

Tubulus

Distaler Tubulus

Sammel- Henlesche rohr

Schleife Grafik 3

Mechanismus der Thiazid-sensitiven Elektrolyt-Reabsorption im distalen Tubulus: Die Kochsalzaufnahme aus dem Tu- buluslumen erfolgt in diesem Segment durch einen Thiazid-sensitiven Na+-Cl--Kotransporter. Die Antriebskraft für diesen Transport ist wiederum der durch die basolaterale Na+-K+-ATPase erzeugte elektrochemische Na+-Gradient von extra- nach intrazellulär. Cl-wird auf der basolateralen Seite durch einen selektiven Cl--Kanal ausgeschleust.

Ca++wird im distalen Tubulus transzellulär resorbiert. Die Aufnahme aus dem Lumen erfolgt via Ca++-Kanäle, der basolaterale Transport via Ca++-ATPase oder 3Na+-Ca++-Antiporter. Thiazide erhöhen – vermutlich durch eine Ab- nahme der zellulären Na+-Konzentration – die Antriebskraft für den 3Na+-Ca++-Antiporter. Als Ursache für eine TSLT wurden bisher Mutationen des luminalen Na+-Cl--Kotransporters identifiziert.

(6)

Kanäle – vermutlich vom ROMK- Typ (23) – sezerniert. Der für den Na+-Einstrom erforderliche Konzen- trationsgradient wird wiederum durch die basolaterale Na+-K+-ATP- ase aufrechterhalten. Der gesamte Transportmechanismus wird durch Aldosteron stimuliert. Das Mineralo- kortikoid bindet an einen zytosoli- schen Rezeptor und erhöht über eine Steigerung der Proteinsynthese die Anzahl luminaler Na+-Kanäle und basolateraler Na+-K+-Pumpen (25).

Bei Patienten mit autosomal re- zessiver ASLT wurden Mutationen verschiedener Untereinheiten des Amilorid-sensitiven Na+-Kanals ENaC als primäre Ursache für die Erkran- kung nachgewiesen (␣-Untereinheit auf den Chromosomen 12p13.1-pter; ␤- und ␥-Untereinheit auf Chromosom 16p12.2-13.11) (10, 58). Da der epithe- liale Na+-Kanal auch in anderen Aldo- steron-sensitiven Organen exprimiert wird, können neben der renalen Sym- ptomatik auch der Respirationstrakt, die Kolonmukosa und die Schweißdrü- sen betroffen sein (21, 26, 40). In diesen Fällen gleicht das klinische Bild dem ei- ner Mukoviszidose (22). Die autoso- mal dominante Form der ASLT ver-

läuft weniger dramatisch. Die renalen Salz- und Flüssigkeitsverluste neh- men mit zunehmendem Alter ab, ex- trarenale Symptome fehlen häufig (21). Als primäre Ursache wird ein Defekt des Aldosteron-Rezeptors diskutiert, allerdings steht der mole- kulargenetische Nachweis für diese Hypothese noch aus (31).

Therapeutisch steht zunächst ei- ne adäquate Natrium- und Flüssig- keitssubstitution im Vordergrund (1, 40, 41). Hierdurch kann oft auch eine

Steigerung der renalen Kalium- Exkretion erreicht werden. Treten trotzdem bedrohliche Hyperkaliämi- en auf, ist die rektale oder orale Gabe von Ionenaustauschern (Natriumsal- ze!) indiziert. Ein weiterer Ansatz- punkt in der Behandlung ist die Su- pression der sekundär gesteigerten PGE2-Freisetzung (8, 41). PGE2 hemmt den Chloridtransport in der Henleschen Schleife und somit auch die Kalziumresorption in diesem Tu- bulussegment (Grafik 1). Daraus re- sultieren bei der ASLT zusätzliche Salzverluste und in einigen Fällen ei- ne Nephrokalzinose, die mit Indo- metacin erfolgreich behandelt werden kann (50).

Die Prognose der ASLT hängt wesentlich von einer Prävention neo- nataler Dehydratationszustände und Elektrolytentgleisungen sowie vom Ausmaß der Beteiligung weiterer Or- gansysteme ab.

Resümee

Neue molekulargenetische Er- kenntnisse und pharmakologische Untersuchungen haben im Laufe der letzten zwei Jahre wesentlich zur Auf- klärung der Pathogenese hereditärer Salzverlust-Tubulopathien beigetra- gen. Allerdings lag bisher keine ein- heitliche Nomenklatur für diese Er- krankungen vor. Die von uns hier vor- geschlagene Einteilung in Furosemid- Typ, Thiazid-Typ und Amilorid-Typ erfolgte in Anlehnung an die allge- mein bekannten Effekte dieser Diure- tika auf den tubulären Ionentrans- port. Damit beinhaltet diese neue Klassifikation erstmals auch die pa- thophysiologischen Aspekte der ent- sprechenden Tubulopathien.

Unter Berücksichtigung der in dieser Übersicht dargestellten mole- kularbiologischen Defekte, patho- physiologischen Mechanismen und klinischen Merkmale ist eine weitere Optimierung des klinischen Manage- ments der Salzverlust-Tubulopathien anzustreben. Eine entscheidende Vor- aussetzung hierfür ist – insbesondere bei pränataler Manifestation (FSLT und ASLT) – die gute Kooperation verschiedener Fachrichtungen. Aus diesem Grund sollte die Betreuung der Patienten nach Möglichkeit in Absprache mit einem spezialisierten Zentrum erfolgen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-1841–1846 [Heft 30]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser Dr. med. Arnold Köckerling Universitäts-Kinderklinik Deutschhausstraße 12 35033 Marburg K+

3Na+ 2K+

Na+

ATP Amilorid

Lumen

(apikal) Interstitium

(basolateral) Proximaler

Tubulus

Distaler Tubulus

Sammel- Henlesche rohr

Schleife

ALDO ALDO

R

Proteinsynthese Grafik 4

Mechanismus der Amilorid-sensitiven Na+-Reabsorption im Sammelrohr: Auch im Sammelrohr generiert die basolaterale Na+-K+-ATPase einen zelleinwärts gerichteten elektrochemischen Gradienten für Na+. Entlang dieses Gradienten wird Na+durch Amilorid-sensitive Na+-Kanäle (ENaC) aus dem Lumen resorbiert. Im Ge- genzug wird K+durch selektive apikale K+-Kanäle in das Lumen sezerniert. Na+-Reabsorption und K+-Sekreti- on werden durch Aldosteron (ALDO) stimuliert. Dabei erhöht Aldosteron nach Bindung an den zytosolischen Mineralokortikoidrezeptor (R) die Zahl der apikalen Na+-Kanäle und basolateralen Na+-K+-Pumpen. Als Ursa- che für eine ASLT wurden bisher Mutationen des Amilorid-sensitiven Na+-Kanals (ENaC) identifiziert.

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