Das Kinojahr 1998 dürfte zum aufregendsten des Jahr- zehnts werden. Fast alle be- deutenden US-Regisseure sind diesmal präsent: Woody Allen, Francis Ford Coppola und Mar- tin Scorsese, Clint Eastwood, Brian De Palma, Oliver Stone, Gus van Sant und Peter Weir.
Auch Großmeister Stanley Kubrick wird nach einjähri- ger (!) Drehzeit sei- ne lang erwartete Liebesgeschichte
„Eyes wide shut“
(„Weit geschlosse- ne Augen“) präsen- tieren – mit Tom Cruise und Nicole Kidman in den Hauptrollen. Steven Spiel- berg kommt gleich zweifach auf die Leinwand: in „Ami- stad“ erzählt er ein Sklaven- drama, im Kriegsfilm „Pri- vate Ryan“ spielt Tom Hanks einen Soldaten bei der Alli- ierten-Invasion in der Nor- mandie.
Auch sonst Superlative wie nie: astronomische 110 Millionen Dollar verschlang das Science-fiction-Kriegs- spektakel „Starship Trooper“
von Paul Verhoeven. Gut doppelt so viel hat der Stapel- lauf der „Titanic“ gekostet.
Wenig sparsam gab sich gleichfalls der Exil-Schwabe Roland Emmerich bei seinem
„Godzilla“ – mit den Mega- Millionen von „Indepen- dence Day“ kann er sich’s lei- sten, tief in die digitale, teure Trickkiste zu greifen. Nicht nur das berühmte Japan- Monster wird neu belebt. Wie alle Jahre wieder stehen diverse Remakes auf dem Programm: ob „Lolita“, „Tar-
zan“, „Zorro“ oder die legen- dären „Blues Brothers 2000“.
Fernseherfolge feiern ebenfalls Filmpremiere: in
„Schirm, Charme und Melo-
ne“ gibt sich der „englische Patient“ Ralph Fiennes als John Steed die nostalgische Ehre, derweil Esoterik-Fans mit den TV-erprobten „X- Files“ nun auch auf ihre Kinokosten kommen sol- len. Drei Jahre nach „Pulp Fiction“ gibt sich Kultstar Quentin Tarantino mit
„Jackie Brown“ fast gewalt- frei, dafür krimikomödian- tisch: eine Stewardeß soll für
das FBI einen Waffenhändler zur Strecke bringen – und Robert de Niro grinst dazu. Das Schauspiel-Cha- mäleon glänzt zudem in
„CopLand“, wo er gemeinsam mit Sylvester Stallone (!) ge- gen korrupte Polizisten vor- geht: ein cle- ver konstruier- ter Thriller mit auffallend star- ken Akteu- ren. Als noch eindrucksvol- ler erweisen sich Robin Wil- liams und New- comer Matt Damon in Gus van Sants Ju- genddrama „Good Will Hunting“: die Geschichte ei- nes neurotischen Jung-Ge- nies und seines Psychologen gilt schon jetzt als der ganz große Favorit für Berlinale- Bär und Oscar.
Nach wie vor im Trend:
Schauspieler auf dem Regie-
stuhl, ob Clint Eastwood, Warren Beatty oder Kevin Costner. Auch Robert Red- ford will’s nicht lassen und ver- filmte den „Pferdeflüsterer“.
Ganz auf Wiedererken- nungswert setzen einmal mehr die Fortsetzungen be- kannter Kassenknüller: auf
„Scream 2“ folgen „Free Wil- ly 3“, „Lethal Weapon 4“ so- wie „Star Trek 9“. Für Dis- kussionen dürfte Martin Scorseses aufwendiges Tibet- Epos „Kundun“ sorgen: die Chinesen sehen diese ein- drucksvolle Biographie des 14. Dalai Lama aus dem Hau- se Disney derart ungern, daß sie heftig mit Handelsblocka- den drohen. Vom Mickey- Mouse-Konzern mußte ei- gens Ex-Außenminister Hen- ry Kissinger als Vermittler engagiert werden.
Und die Deutschen?
„Blechtrommler“ Schlöndorff präsentiert den US-star- besetzten Kidnapping-Krimi
„Palmetto“. „Der bewegte Mann“-Macher Sönke Wort- mann zeigt sich gesellschafts- kritisch in „Der Campus“, ei- ner hintersinnigen Abrech- nung mit Opportunismus und Intrigantentum an einer Uni- versität, derweil Til Schweiger im Thriller „Judas Kiss“ sei- nen Hollywood-Einstand gibt.
Noch immer unverwüst- lich die Beziehungskomödie:
„2 Frauen, 2 Männer, 4 Probleme“, „Frauen lügen nicht“ oder „Das merkwür- dige Verhalten geschlechts- reifer Großstädter zur Paa- rungszeit“. Die Leinwand- rivalen fürs nächste Weih- nachtsfest stehen unterdes- sen schon fest: Detlev Bucks Großstadtwestern „Liebe dei- nen Nächsten“ gegen „Star Trek 9“. Dieter Oßwald
A-424 (52) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 8, 20. Februar 1998
V A R I A FEUILLETON
Das Kinojahr 1998
Fernseherfolge feiern Filmpremiere
Beziehungskomödien, Science-fiction, Fortsetzungen, Thriller
In „Kundun“ wird die Biographie des 14. Dalai Lama erzählt. Foto: D. Oßwald
Es ist 100 Jahre her, da nahm ein ge- witzter Erfinder etwas Schellack, feingemahlenes Barytgestein, Schie- fermehl, Baumwollflock sowie Ruß und preßte daraus flache Scheiben – fertig war die Schellack-Schallplatte.
In den 50er Jahren verdrängten dann die PVC-Langspielplatten (LP) die Schellackscheiben vom Markt.
Ende der 70er Jahre dann ein neuer technischer Sprung: Statt Musik auf analogem Wege aufzuzeichnen,
wurde die digitale Technik ent- wickelt. 1983 begann der Siegeszug der Compact Disc (CD), der bis heute andauert. Inzwischen haben die Bun- desbürger mehr „Silberlinge“ als schwarze Platten. Der Verkauf der einst führenden Langspielplatten ist heute bis zur Belanglosigkeit abge- sackt.