Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 39|
1. Oktober 2010 A 1871 DER MEDIZINHISTORISCHE BUCHBESTAND IM STADTARCHIV ZEULENRODAKleines Archiv – große Medizin
Der bisher nahezu unbeachtete medizinhistorische Bestand des Stadtarchivs Zeulenroda wird im Spätsommer zum Gegenstand einer sehenswerten Ausstellung.
U
nter dem Titel „Kleines Ar- chiv – große Medizin“ zeigt das Städtische Museum der ostthü- ringischen Kleinstadt circa fünf Monate lang eine eindrucksvolle Sammlung namhafter Autoren des 16. bis 19. Jahrhunderts. Das mehr oder weniger wiedererworbene Wis- sen um den umfassenden medizin- historischen Buchbestand des Stadt- archivs Zeulenroda ist einem Anru- fer aus Baden-Württemberg zu ver- danken. Wenige Wochen, nachdem der neue Stadtarchivar im Frühjahr 2008 seine Stelle antrat, stieß er durch diese gewöhnliche Recher- cheanfrage auf die bedeutende Sammlung. So zog die Suche nach„Gazophylacium medico-physicum“
von Johann Jacob Woyt die Wieder- entdeckung von 254 Werken nach sich, die den medizinischen Wis- sensstand über einen Zeitraum von fast vier Jahrhunderten repräsentiert.
Paracelsus, Johann Christoph Ettner, Heinrich Deventer, Michael Ettmüller, Johann Friedrich Blu- menbach, Friedrich Hoffmann und Friedrich Christian Trommsdorff sind wohl die bedeutendsten Auto- ren der „Fundsache“. Mehr noch, sie bilden ein „Who’s who“ der deutschen Medizingeschichte. Die Idee, die Sammlung nicht nur Archivbenutzern zu präsentieren, schien naheliegend, da das Städti- sche Museum Zeulenroda nicht nur
eng mit dem Stadtarchiv zusam- menarbeitet, sondern auch dessen direkter Nachbar ist. Im Atrium des Museums können alle Interessier- ten den „neuen alten Stolz“ des kleinen Archivs bestaunen. Neben einer Auswahl von 25 bis 30 medi- zinhistorisch bedeutenden Büchern wird das Karl-Sudhoff-Institut, das älteste medizinhistorische Institut der Welt, diverse ergänzende Expo- nate aus seiner Asservatenkammer beisteuern.
Nicht nur das älteste, sondern das wohl wertvollste Ausstellungs- stück ist die Ausgabe von Paracel- cus’ „Wundt- und Arzneybuch“.
Vom berühmten Autor abgesehen ist das zeitgenössische Original aus dem Jahr 1562 wegen seiner Hand- kolorationen sicher auch für die Buchkunde von Inter esse.
Über die überregional bedeuten- den Exponate hinaus bekommt die Ausstellung mit der Einbeziehung des Wirkens einflussreicher Zeulen-
rodaer Ärzte eine regionale Note.
Und das nicht zu Unrecht: Prof. Dr.
Johann Christian Gottlieb Acker- mann, 1756 in der Thüringer Stadt geboren und später Lehrstuhlinhaber an der Universität Altdorf bei Nürn- berg, hatte seinen wissenschaftlichen Schwerpunkt im Studium histori- scher medizinischer Schriften. Das Verdienst von Dr. Ferdinand Schrö- der (1818–1857) liegt dagegen weni- ger in der Medizin als in der Politik.
Der wohl bekannteste Zeulenrodaer Arzt war Abgeordneter des Fürsten- tums Reuß ältere Linie im Frank - furter Paulskirchenparlament und zeichnete die wohl einflussreichste Karikatur der Revolution von 1848 – den „Kehraus“. Das Original befin- det sich mit mehr als 200 weiteren Karikaturen Schröders seit Anfang 1999 wieder im Besitz des Städti- schen Museums und wird in der Aus- stellung zu sehen sein. Schließlich war auch Dr. Johann Gottlieb Stem- ler (1788–1856) stärker politisch denn ärztlich aktiv. Er war einer der bedeutendsten Bürgermeister Zeu- lenrodas und arbeitete an der Verfas- sung des Fürstentums Reuß ältere Linie, zu dem die Stadt gehörte, mit.
Stemler betätigte sich nicht zuletzt als Landeshistoriker und verfasste 1842 die erste Zeulenrodaer Stadt - geschichte. Ihm ist im Übrigen auch die medizinhistorische Sammlung des Stadtarchivs zu verdanken.
Zweifelsohne zählt die Samm- lung zu den Leuchttürmen der his- torischen Buchbestände Zeulenro- das und sticht aus der sonst eher re- gionalen Bedeutung des dortigen Archivbestands hervor. Wer sich wie Stemler für die Medizin und die Geschichte begeistern kann, für den ist die Ausstellung sehenswert.
Wenngleich vergleichsweise räum- lich klein, spiegelt sie doch histo- risch gesehen Großes wider. ■ Katja Krahmer Der Zeulenrodaer
Stadtarchivar Christian Sobeck mit dem Highlight der Ausstellung:
Paracelsus‘ „Wundt- und Arzneybuch“
Foto: Katja Krahmer
Die Ausstellung „Kleines Archiv – große Medizin. Medizin- historische Bücher des Stadtarchivs Zeulenroda“ ist vom 27. August 2010 bis 31. Januar 2011 im Städtischen Museum Zeulenroda, Aumaische Straße 30, 07937 Zeulen- roda-Triebes zu sehen. Telefon: 036628 64135. Öff- nungszeiten: dienstags bis freitags von 9 bis 16 Uhr, don- nerstags 9 bis 18 Uhr, sonntags 13 bis 16 Uhr