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Archiv "Masterplan für Äthiopien: Moderne Psychiatrie im Einklang mit traditionellen Heilmethoden" (21.10.2011)

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A 2216 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 42

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21. Oktober 2011

MASTERPLAN FÜR ÄTHIOPIEN

Moderne Psychiatrie im Einklang mit traditionellen Heilmethoden

Die Ludwig-Maximilians-Universität München hat in Zusammenarbeit mit der

Universität Jimma einen zweijährigen Ausbildungsgang zum „Mental Health Worker“

ins Leben gerufen, um die psychiatrische Versorgung im Land zu verbessern.

E

s ist dunkel in der Hütte. Durch die verdeckte Eingangstür fällt nur ein schmaler Lichtstreifen. Seit Wochen schon liegt die 25-jährige Mekdes am Boden der Lehmhütte ihrer Familie und starrt vor sich hin.

Sie erzählt von Geisterstimmen und fühlt sich von anderen Menschen bedroht. Sie ist unruhig. Kürzlich entfloh Mekdes in die Savanne und musste von Familienangehörigen tagelang gesucht werden. Aus Hilf- losigkeit und Scham haben die Familienmitglieder sie mit einem Seil an die Hüttenwand angebun- den. Täglich kommt ihre Großmut- ter zu ihr und benetzt ihren Kopf und ihre Schultern mit „heiligem Wasser“. Gerade berät die gesamte Familie, wie man Mekdes wohl helfen kann.

So oder ähnlich könnte die Ge- schichte einer Äthiopierin lauten, die unter einer psychiatrischen Er- krankung leidet. Mekdes würde

dringend eine psychiatrische Be- handlung benötigen, doch dies ist für die meisten der 80 Millionen Bewohner Äthiopiens noch eine Zukunftsvision. Äthiopien ist das zehntgrößte Land Afrikas, nimmt auf dem Human Development In- dex Platz 171 von 182 ein und zählt damit zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Häufigkeit psychischer Erkrankungen in Äthiopien liegt nach Schätzung der WHO bei 15 Prozent der Erwachsenen und bei elf Prozent der Kinder (www.who.

int.org). Doch nahezu die Hälfte der Äthiopier hat keinen Zugang zum Gesundheitssystem.

Im Land praktizieren nur 34 Fachärzte für Psychiatrie, 30 von ihnen in der Hauptstadt Addis Abe- ba. Eine psychiatrische Klinik, das Amanuel Mental Hospital in Addis Abeba, und vier psychiatrische Ab- teilungen in Universitätskliniken (Addis Abeba, Mekele, Gondar,

Jimma) können Patienten im Land stationär versorgen. Ansonsten be- schränkt sich die psychiatrische Versorgung in Äthiopien auf eine allgemeinmedizinische Mitbehand- lung in regionalen Gesundheitssta- tionen.

Auch besteht innerhalb der Be- völkerung wenig Aufklärung über psychische Erkrankungen. Psych - iatrische Symptome werden daher häufig „magisch“ erklärt und Pa- tienten von ihren Familienangehö- rigen zu traditionellen Heilern ge- bracht, die heiliges Wasser anbie- ten, welches geträufelt oder getrun- ken werden soll. Amulette werden getragen, Kräuterelixiere verab- reicht sowie Rituale und Exorzis- men durchgeführt. In der Bevölke- rung herrscht der Glaube, dass übernatürliche Kräfte für psych - iatrische Erkrankungen verantwort- lich sind und böse Geister bei Fehl- verhalten oder „Sünde“ von Men- schen Besitz nehmen können. Man spricht in Äthiopien von „Buda“

oder „Evil Eye“, wohinter sich der Das Lehrangebot

der Universität Jim- ma zu psychischen Erkrankungen (oben) ist ein Leuchtturmprojekt für Äthiopien.

Foto: LMU Jimma Projekt/Andrea Jobst Foto: iStockphoto

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Deutsches Ärzteblatt

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21. Oktober 2011 A 2217 Glaube verbirgt, durch den „bösen

Blick“ einer Person verrückt wer- den zu können.

In der 150 000 Einwohner-Stadt Jimma lebt und arbeitet Dr. Markos Tesfaye; er leitet die Abteilung für Psychiatrie der dortigen Universi- tät. Schon die Fahrt von Addis Abe- ba nach Jimma gibt einen Eindruck über die wenig ausgebaute Infra- struktur des Landes. Mehr als acht Stunden ist man mit dem Auto für die Strecke von 350 km unterwegs.

Für psychiatrisch Erkrankte aus der Landbevölkerung bedeutet dies, dass sie mehrere Hundert Kilometer Fahrt oder Fußmarsch über staubige Landstraßen auf sich nehmen müs- sen, um einen der wenigen Psychia- ter zu konsultieren.

Tesfayes Büro befindet sich auf einem parkähnlich angelegten Uni- versitätscampus, der einen Kontrast zu den staubigen Wegen der Klein- stadt bildet und veranschaulicht, dass das Land in Bildung investiert.

Der Arzt war lange Zeit Einzel- kämpfer. Als einziger Psychiater der Universität ist er für eine psy- chiatrische Abteilung mit 26 Betten verantwortlich und behandelt dar - über hinaus wöchentlich mehr als 150 ambulante Patienten, die von ihren Familienangehörigen tatsäch- lich oft mehrere Hundert Kilometer per Fußmarsch zu ihm gebracht werden. Auch die psychiatrische Lehre für Medizinstudierende liegt allein in seinen Händen. So brennt oft bis spät in die Nacht hinein in seinem Büro noch Licht.

80 Prozent der Ärzte haben das Land verlassen

Tesfaye engagiert sich seit Jahren für den Ausbau der psychiatrischen Versorgung in seinem Land. Er hat sich im Gegensatz zu vielen seiner ärztlichen Kollegen in Äthiopien bewusst für die Arbeit in der Pro- vinz entschieden, weit entfernt von der Hauptstadt. Die Zentralisierung medizinischer Versorgung ist nicht nur ein Problem Äthiopiens. Auf- grund der besseren Lebensbedin- gungen zieht es viele afrikanische Mediziner in die Großstädte und ins westliche Ausland. 80 Prozent der in Äthiopien ausgebildeten Medizi- ner haben das Land in den letzten

Jahren verlassen. So arbeiten der- zeit im Heimatland nur etwa 900 Ärzte (Schweizer Flüchtlingshilfe, [SFH]: Äthiopien: Psychiatrische Versorgung, Auskunft der SFH-Län- deranalyse, 2009).

Die Ludwig-Maximilians-Uni- versität München hat in Zusam- menarbeit mit der Universität Jim- ma einen in Äthiopien bislang ein- zigartigen Ausbildungsgang ins Le- ben gerufen, um die psychiatrische Versorgung in ländlichen Regionen und kleineren Gesundheitsstationen zu verbessern. Der zweijährige Ausbildungsgang mit dem Titel

„Master of Science in integrated and community mental health“

richtet sich an allgemeinmedizi- nisch ausgebildete „Health Wor- ker“, von denen in den kommenden Jahren mehr als 5 000 ihre Ausbil- dung in Äthiopien abschließen wer- den (www.moh.gov.et).

Der Unterricht erfolgt in Form von 17 Blockkursen, die zum Großteil von Münchner Dozen- ten geleitet werden. Wesentliche Elemente sind die Klinische Psychiatrie, Psychotherapie, Psy- chopharmakologie, aber auch die Gebiete der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Medi- zinethik und Public Health sind im Lehrplan enthalten. Je- der Blockkurs wird mit einem schriftlichen Examen und der Masterstudiengang mit einer wissenschaftlichen Masterar- beit abgeschlossen.

Im Januar 2010 starteten die ers- ten fünf äthiopischen Studenten den Studiengang, im Sommer ha- ben sie ihre Ausbildung abge- schlossen. Mit weiteren zwölf Stu- denten wurde das Programm im Januar 2011 fortgeführt. Neben der theoretischen Ausbildung werden die Studenten Schritt für Schritt schon während des Curriculums an die Versorgung psychiatrischer Pa- tienten herangeführt. Nach Been- digung des Curriculums sollen die

„Mental Health Worker“ eine kom- plette psychiatrische Diagnostik und Behandlung selbstständig durchführen können.

Ein besonderer Aspekt stellt hier- bei die Berücksichtigung der lan- deseigenen Tradition psychiatri-

scher Behandlung dar. Der Besuch von Stätten traditioneller Heiler so- wie der Einsatz in einem ländlichen

„primary care center“ sollen das Programm erweitern. Langfristiges Ziel ist es, durch Zusammenarbeit mit traditionellen Heilern und der Bevölkerung das Vertrauen in und das Verständnis für moderne psy- chiatrische Behandlung zu stärken und so zu einer Antistigmatisierung psychisch Kranker beizutragen.

Unklare Fälle werden nach Jimma vermittelt

Fikir ist eine der Studentinnen, die gerade ihre Ausbildung abgeschlos- sen hat. Sie ist 29 Jahre alt, Mutter zweier Kinder und trägt mit ihrer Arbeit maßgeblich zur Versorgung ihrer Familie bei. Seit August ar- beitet sie als „Mental Health Wor- ker“ in einer Gesundheitsstation

nahe ihres Heimatdorfes. Dort wird sie eigenverantwortlich psychiatrische Patienten be- handeln. Neben der medika- mentösen Behandlung und the- rapeutischen Begleitung der Patienten wird ihre Arbeit vor allem auch Information, Unter-

stützung und Aufklärung der Familien beinhalten. Beson- ders schwierige oder unklare Fälle wird sie zur stationären Behandlung nach Jimma vermitteln.

So konnte Fikir auf Mek- des treffen, die von ihrer Fa- milie von der Hüttenwand losge- bunden und zu ihr gebracht wurde.

Eine medikamentöse Behandlung mit Neuroleptika kann Mekdes helfen. Die Familie wird an der Behandlung maßgeblich beteiligt sein, denn sie werden Mekdes zur Medikamenteneinnahme ermuti- gen müssen. Aus diesem Grund ist eine gute Zusammenarbeit mit der Familie und deren Vertrauen in die Behandler unerlässlich. Dabei sol- len traditionelle Heilmethoden nicht ausgeschlossen werden. So wird die Großmutter Mekdes auch weiterhin heiliges Wasser bringen und durch ihre Unterstützung zur psychischen Genesung ihrer Enke-

lin beitragen.

Sandra Dehning, Andrea Jobst, Matthias Siebeck, Norbert Müller Dr. Markos Tesfaye

leitet die Abteilung für Psychiatrie der Universität Jimma.

Foto: Jimma University Ethiopia

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