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Archiv "Die „Vergangenheitsbewältigung“ darf nicht kollektiv die Ärzte diffamieren: Gegenmeinung" (01.08.1987)

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deutschen Truppen einmarschier- ten. Heute sind nur erstaunlich we- nige Deutsche oder Österreicher be- reit, eine frühere Parteizugehörig- keit zuzugeben, eine etwas klägliche Haltung, denn kein Mensch konnte damals ahnen, daß Hitler und ein Teil seiner Umgebung zu Verbre- chern werden würden.

Während der Zeit, die ich vor meinem Ausscheiden aus Jena in der Klinik tätig war, wurden Frauen zur Sterilisation eingewiesen. Heute wird diese Maßnahme als unmensch- liches Vergehen dargestellt, und da- mit werden Tausende von Ärzten zu Verbrechern abgestempelt. Wir alle haben damals dies Vorgehen durch- aus gebilligt, denn es war nicht un- menschlich. Wir Ärzte handelten aus der Überzeugung, daß diese Ste- rilisierungen viel Leid verhindern würden. Keine der Frauen, die wäh- rend meiner Zeit eingewiesen wur- den, war bekümmert, wenn sie auf- geklärt wurde, daß ihr Sexualleben nicht betroffen sein würde, daß nur eine Empfängnis verhindert würde.

Nach meiner Erinnerung hatten da- mals alle diese Frauen schon Kinder geboren. Unlängst wurde in zwei Heften des Deutschen Ärzteblattes auf die Häufigkeit und Schwere der Kindesmißhandlungen und des sexu- ellen Mißbrauches von Kindern hin- gewiesen — und genau die Eltern sol- cher Kinder sind damals sterilisiert worden. Wir Ärzte haben diese Menschen nicht als Verbrecher, son- dern als Kranke gesehen.

Während der Jahre in China hörte ich wohl von Verbrechen des Hitler-Regimes, schenkte aber die- sen Greuelnachrichten keinen Glau- ben. 1927 hatte ich in den USA eine so infame und verlogene Deutschen- hetze in einer Zeitschrift „Ten years ago" gelesen, daß ich gemäß dem Sprichwort: wer einmal lügt . . . die Nachrichten als Greuelpropaganda abtat. Ich kehrte erst 1952 in die Heimat zurück und mußte jetzt er- kennen, daß wirklich Verbrechen begangen worden waren. Ich habe alle Bekannten, Freunde, sehr viele Menschen befragt und immer wieder befragt: Wußtet ihr von diesen furchtbaren Geschehen? Fast alle waren total unwissend, wenige sag- ten, sie hätten eine böse Ahnung ge-

habt. Von Massentötungen wußte keiner, wohl aber von KZ. Ich las das Buch „Kommandant von Auschwitz", das unter Aufsicht von Besatzungsoffizieren geschrieben wurde. Daraus ist ersichtlich, wie ri- goros von „oben her" darauf geach- tet wurde, dies schreckliche Gesche- hen vor dem deutschen Volk geheim zu halten, denn Hitler, Himmler u. a. mußten wohl fürchten, daß das Wissen von dieser Endlösung eine Revolte im deutschen Volk auslösen konnte.

Mich erschütterte es, daß mein früherer Lehrer Max Henkel, dieser tapfere aufrechte Mensch, den Frei- tod gewählt hatte, als die Gestapo ihn verhaften wollte. Er war, wie mir seine Frau mitteilte, wissend ge- worden und hatte in Wort und Schrift die Verbrechen verurteilt, wobei er klar erkannt hatte, daß er mit Verfolgung und Tod rechnen mußte. Ich bin überzeugt, daß es in Deutschland mehr solcher Männer gab, die ihren Abscheu äußerten und dann bei Nacht und Nebel von der Gestapo abgeführt wurden, um hingerichtet zu werden. Von diesen stillen Helden wird nicht gespro- chen, und das ist unverzeihlich. Hät- ten damals alle, die um die Vernich- tung der Juden wußten, laut und deutlich ihre Ächtung und Verdam- mung dieser Verbrechen in die Öf- fentlichkeit getragen, dann wäre vielleicht diese grausame Aktion ab- gebrochen worden, doch diesen Mut, den Max Henkel gezeigt hatte, brachten wohl nur wenige auf, und diese sind verschollen.

Nein, die Millionen Deutscher, die nichts wußten, brauchen keine Vergebung, und wie kann man ver- gessen, was man nie gewußt hat!

Und ganz gewiß gilt dies für all die Deutschen, die damals noch nicht geboren waren; sie schuldig zu spre- chen, ist Sippenhaftung.

Die Deutschen aber, die um die Verbrechen wußten — es müssen Hunderte, vielleicht ein paar Tau- send in prominenten politischen Po- sitionen gewesen sein —, die aber nicht den Mut aufbrachten, dieses Tun zu verdammen, haben sich durch ihr Schweigen schuldig ge- macht. Viele wurden später hinge- richtet, andere wurden mit Frei-

heitsstrafen belegt. Ich denke hier an den Staatssekretär unter Himm- ler, Herrn von Weizsäcker, dessen Sohn, unser Bundespräsident, zwar seinen Vater verteidigte, aber heute nicht müde wird, das deutsche Volk zur Sühne zu ermahnen, die Schuld nie zu vergessen. Ich verstehe diese Haltung nicht.

Wenn jüngere Ärzte den Präsi- denten der Bundesärztekammer, Herrn Vilmar, „heftig kritisieren", so kann hier nur Unwissenheit die- ser jüngeren Ärzte vorliegen, Un- wissenheit über die einstigen Ver- hältnisse in Deutschland, aber mehr noch über das Verhalten der deut- schen Ärzteschaft während der Jah- re des Hitlerregimes. Die Ärzte- schaft wußte ebensowenig von den Verbrechen wie das deutsche Volk.

Daß ein Bruchteil der Ärzteschaft sich vergangen hat, das wissen wir.

Da war die Euthanasie, aber schlim- mer noch, da waren Experimente an Menschen. In jedem Berufsstand gab es und gibt es Menschen, die ih- ren Beruf mißbrauchen.

Unter diesen jüngeren Ärzten gibt es sicher nicht ganz wenige, wel- che die von politischen Parteien le- galisierte Abtreibung auf Grund ei- ner sozialen Indikation betreiben.

Dies allerdings ist ein Verbrechen, ist Mord, auch wenn Juristen ein an- deres Wort dafür finden. Es ist ein grober Verstoß gegen den Eid des Hippokrates, in dem die Abtreibung als Untat besonders erwähnt ist. Es ist grotesk, in einem reichen Land, das die höchsten Sozialleistungen gewährt, die Abtreibung gesunden menschlichen Lebens zu legalisie- ren, und es ist schandbar, daß eine Ärzteschaft es duldet, daß die ärzt- liche Ethik von Politikern untergra- ben werden kann.

Professor Dr. Günther Huwer, Roßpoint 9, 8240 Berchtesgaden- Stanggaß

Gegenmeinung

In diesem Beitrag nehmen so- wohl der Interviewer wie auch Dr.

Vilmar Stellung zu einem Referat, das ich am 31. Mai 1986 auf dem 6.

A-2106 (20) Dt. Ärztebl. 84, Heft 31/32, 1. August 1987

(2)

Amtliche Mitteilungen

Alendbel, D.Offeuderksefee

ZTEH LATT 18

30 neu 1987

f • abe erund,: Vk.,1f, AIDS Erreger

Stabilität und Inaktivierung

Da das liepetilis-B-Virus wie HIV Oberlugen wird, jedoch etehiler und Met.

düser ah BW ist, sind alle Vorsichhurneu gegen Itepatieis euch prima, gegen MV Aldalege Med.

Impotenz

Polarisierung Organgenese — Psychegenese Ist überholt

Ur Poreedeng

Krankenhaus

Anpassung und Ausbau

Die Verschiebungen iro BevölkenIngsaufban führen zu hiehrnechfrege

Titelseiten spiegeln offensichtlich Zeitge- schichte. Zur Erinnerung: Mit diesem Titel des Deutschen Ärzteblatts erschien das In- terview mit Dr. Karsten Vilmar

3. Im Vorspann zu dem Inter- view werde ich als „ein Arzt namens Hartmut M. Hanauske-Abel" vor- gestellt.

Demgegenüber lege ich Wert auf die Feststellung, daß ich promo- vierter Arzt bin.

Dr. Hartmut M. Hanauske- Abel, Dexheim

Schlußwort

Erkenntnisse

für Freiheit und Frieden

Auseinandersetzungen mit den Verbrechen während der nationalso- zialistischen Diktatur sind leider oft geprägt von Kollektivurteilen — sei es Diffamierung, sei es Verharmlo- sung. Durch Aufzählung des auch von anderen begangenen Unrechts wird versucht, „Entschuldigungen"

zu finden oder das schreckliche Ge- schehen zu verdrängen. Zum Ver- ständnis — soweit das überhaupt möglich ist — sind jedoch tieferge- hende Überlegungen anzustellen, um zu einem differenzierten Urteil Jahreskongreß der Internationalen

Ärzte für die Verhinderung des Atomkrieges gehalten habe und das am 2. August 1986 in der wissen- schaftlichen Zeitschrift „The Lan- cet" erschienen ist.

1. Dr. Vilmar hält mir darin

„eine profunde Unkenntnis der neueren Deutschen Geschichte" vor und bestätigt damit die Behauptung des Interviewers, ich hätte aus dem Umstand, daß auf der Titelseite des

„Deutschen Ärzteblattes" vom 1.

Juli 1933 neben den damaligen Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot ei- ne Hakenkreuzfahne wehte, gefol- gert, die „Machtübernahme" im Jahre 1933 sei von der „Reichsärzte- kammer" begrüßt worden; dabei wisse jeder Kundige, daß die Reichsärztekammer überhaupt erst nach den Januar-Ereignissen des Jahres 1933 gebildet wurde, ihre Gründung also Folge und Bestand- teil der „Machtübernahme" war.

Damit ist meine Darstellung un- richtig wiedergegeben worden.

Ich habe im „Lancet" ausge- führt, daß die Machtübernahme im Januar 1933 von der „German Chamber of Physicians" begrüßt wurde. Unmittelbar über diesem Satz habe ich die Titelseite des Deutschen Ärzteblattes vom 1. Juli 1933 abdrucken lassen, auf der zu finden ist, es handele sich beim Deutschen Ärzteblatt um das „Mit- teilungsblatt der Vereinigung der deutschen Ärztekammern und des Ausschusses der deutschen Ärzte- kammern": Diese „Vereinigung"

bezeichnet der Begriff „Chamber of Physicians", der damit nichts ande- res aussagt als die heutige Bezeich- nung „Bundesärztekammer", die ebenfalls keine „Kammer" im Sinne einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, sondern eine Arbeitsge- meinschaft der Landesärztekam- mern.

2. Der Interviewer hält mir vor, ich hätte „schlichtweg konstatiert, damals sei ,die ärztliche Elite' aus- geschaltet worden".

Im Lancet-Artikel dagegen steht, daß die Administration „be- gann, einzelne Kollegen als Bolsche- wiken oder Juden zu stigmatisieren und die medizinische Elite auszu- schalten."

zu kommen. Auch deutsche Ge- schichte ist nicht auf die Zeit von 1933 bis 1945 beschränkt, ebensowe- nig hat sie erst 1918 oder 1968 be- gonnen. Es müssen vielmehr weiter zurückliegende Entwicklungen in Deutschland und anderen europä- ischen Ländern und deren Bezie- hungen untereinander in die Be- trachtung mit einbezogen werden.

Mit der Befreiung von der national- sozialistischen Gewaltherrschaft durch den totalen Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 war zu- gleich eine nationale Katastrophe verbunden, an deren Folgen wir noch lange Zeit zu tragen haben werden, deren Ursache jedoch schon weit früher zu suchen ist und spätestens mit der — im übrigen for- mal „legalen" — Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30.

Januar 1933 unabwendbar wurde.

Das allerdings haben damals viele nicht, erst spät oder gar zu spät er- kannt Das auszuführen ist hier je- doch nicht möglich.

Die derzeitige „Renaissance"

der Vergangenheitsbewältigung läßt leider oft vergessen — oder sollte dies jüngeren Diskutanten überhaupt nicht bekannt sein? —, daß sich im Dritten Reich die große Mehrheit der Ärzte selbstlos für eine auch un- ter schwierigsten Bedingungen mög- lichst gute Versorgung der Patienten eingesetzt hat, oft unter Gefahr für das eigene Leben. Viele sind bei Er- füllung ihrer ärztlichen Pflicht zu Tode gekommen Die weit überwie- gende Zahl der Ärzte hat Massentö- tungen und andere Greueltaten nie- mals gebilligt oder gar unterstützt.

Als nach dem Zusammenbruch 1945 das unfaßbare Ausmaß des grausa- men Geschehens allgemein bekannt wurde, hat sich die Ärzteschaft vol- ler Entsetzen und Scham von den dafür verantwortlichen Verbrechern distanziert.

So heißt es zum Beispiel in der Resolution bei einem — damals ei- gentlich noch verbotenen — Treffen junger Ärzte in Marburg am 12. und 13. Juni 1947: „Trotz unserer Notla- ge versichern wir, das ärztliche Be- rufsethos unter allen Umständen hochzuhalten und die Freiheit des ärztlichen Berufs zu wahren. Das Arzttum ist überparteilich und ge- Dt. Ärztebl. 84, Heft 31/32, 1. August 1987 (21) A-2107

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