GLOBAL LERNEN
Inhalt
Weltkonferenz Rio + 20
Im Juni 2012 findet in Rio de Janeiro die UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung statt. Sie wird Rio+20 genannt, denn vor 20 Jahren tagte die Weltgemeinschaft schon einmal dort. Rio 1992 galt da- mals als wegweisend für die Entstehung einer globalen Umwelt- und Entwicklungs- partnerschaft. Die Konferenz brachte wichtige Dokumente wie die Erklärung von Rio über Umwelt und Entwicklung, die Klimarahmenkonvention, das Biodiversitätsabkommen und die Agenda 21 auf den Weg.
Doch es ist zu befürchten, dass die Bilanz über die seither erreichten Forschritte ernüch- ternd ausfällt. Der Klimawandel hat sich beschleunigt, die Artenvielfalt geht zurück, die Zerstörung der Wälder schrei- tet voran und über eine Milli- arde Menschen lebt weiterhin in Armut. Doch es gibt ermu- tigende Tendenzen im Bereich der erneuerbaren Energien, bei der Ausweitung ökologisch bewirtschafteter Landflächen oder bei der Trinkwasserver- sorgung. Ein Hauptthema der Konferenz soll der Wandel zu
einer „Grünen Wirtschaft“ sein und die Frage, wie diese zu nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung beitra- gen kann. Außerdem steht die Reform und Stärkung der politischen Institutionen für nachhaltige Entwicklung auf der Tagesordnung.
Bereits bei der Formulierung der Themen gab es keinen Konsens, was „Grüne Wirt- schaft“ genau bedeutet. In vielen Industrie- und Schwel- lenländern wird unter „Grüner Wirtschaft“ vor allem der Aus- bau alternativer Technologien
Praxis
3 Bilanz: Wo steht die Welt?
4 Konsumziele
Infos
5 Die Rio+20 Konferenz 6 Grünes Wachstum 7 Zukunftsfähigkeit 8 Gerechte Entwicklung 9 Hürden in der Politik
Konkret
10 Brasilien bereitet sich vor
Nachrichten
11 Veranstaltungen
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Die Zeitschrift GLOBAL LERNEN wendet sich an Lehrerinnen und Lehrer der Sekundar- stufen. Sie erscheint drei mal pro Jahr und kann kostenlos bezogen werden.
GLOBAL LERNEN wird von Brot für die Welt in Zu sammenarbeit mit dem
„Arbeitskreis Pädagogik“
und der Berghof Foundation erstellt.
Sie können GLOBAL LERNEN abonnieren (s. Seite 12).
ISSN 0948-7425
Service für
Lehrerinnen und Lehrer
Ausgabe 2012-1
Kontakte für Globales Lernen
Brot für die Welt Stafflenberg straße 76 70184 Stuttgart Telefon: 0711 2159-568 Fax: 0711 2159-368
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Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-1
22 DAS THEMA
Konzeption von Global Lernen
Die Zeitschrift „Global Lernen“ bietet Ihnen folgende Rubriken:
1. Praxis
Direkt im Unterricht und in der Bildungsarbeit einsetzbare Arbeitsblätter (Seite 3 und 4)
2. Info: Zur Diskussion
Hintergrundinformationen zum jeweiligen Thema aus unter- schiedlichen Blickwinkeln (Seite 5 bis 9)
3. Brot für die Welt konkret
Stellungnahmen, Einschätzungen und Projekte von „Brot für die Welt“ zum Thema (Seite 10)
4. Nachrichten
Wissenswertes aus der Bildungsarbeit von „Brot für die Welt“, dem Arbeitskreis „Pädagogik“ und der Berghof Foundation.
(Seite 11)
Praxis – zum Einsatz der Arbeitsblätter
Die Arbeitsblätter auf den Seiten 3 und 4 sind jeweils für den Einsatz im Unterricht konzipiert. Das entsprechende Arbeitsblatt wird für alle Schülerinnen und Schüler kopiert.
Die Arbeitsblätter bieten Zugang und Möglichkeiten der Aus- einandersetzung zu folgenden Aspekten des Themas:
Arbeitsblatt 1:
Die Bilanzen zeigen ein gemischtes Bild der Entwicklungen seit dem Weltgipfel 1992 in Rio. Es gibt einige Verbesserun- gen, es überwiegen jedoch die alarmierenden Tendenzen.
Die Schülerinnen und Schüler arbeiten die positiven und negativen Entwicklungen heraus. Sie beschäftigen sich mit unterschiedlichen Interpretationen der Statistiken, indem sie Reden aus verschiedenen gesellschaftlichen Perspektiven ve- fassen (z. B.: Werte ich es positiv, wenn 60 % der Menschheit Zugang zu Sanitäranlagen haben, oder betone ich, dass so immer noch 2,8 Mrd. Menschen ohne Zugang sind?).
Arbeitsblatt 2:
Die Millenniumkonsumziele (MCGs) sind ein Vorschlag zur Ergänzung der im Jahr 2000 von der Weltgemeinschaft verabschiedeten Millenniumentwicklungsziele. Die MCGs sollen vor allem die reichsten 20 % der Weltbevölkerung in die Pflicht nehmen, ihren Konsum zugunsten einer globalen nachhaltigen Entwicklung einzuschränken. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln die Vorschläge für Konsumziele wei- ter, präsentieren diese im Plenum und reflektieren über ihren eigenen Beitrag zur Erreichung dieser Ziele.
Umweltminister Norbert Röttgen hatte anlässlich des Welt- klimagipfels in Durban 2011 ein einheitliches Pro-Kopf Budget für die Emission von Treibhausgasen gefordert. Was dies kon- kret für ihren Alltag bedeuten würde, können die Schülerin- nen und Schüler anhand der Berechnung der CO2-Emissionen ihrer letzten Urlaubsreise erfahren.
Was „Brot für die Welt“
vom Rio+20-Gipfel erwartet
wie Solaranlagen und Elektro- autos verstanden, wodurch neue Jobs und Absatzmärkte geschaffen werden sollen.
Viele zivilgesellschaftliche Organisationen im Norden und Süden fordern jedoch ein grundlegenderes Umdenken beim gegenwärtigen Konsum- verhalten in den westlichen Gesellschaften.
Wie der Bericht über die menschliche Entwicklung 2011 vom Entwicklungsprogramm der UN (UNDP) zeigt, drohen die globalen Umweltschäden Entwicklungsfortschritte in den ärmsten Ländern zu- nichte zu machen. Das Thema Nachhaltigkeit ist daher nicht getrennt von Gerechtigkeit zu behandeln. Entwicklungslän- der fordern für ihre jeweilige Bevölkerung das Recht auf Entwicklung ein.
Im zweiten Themenblock der Konferenz geht es um die Reform der UN-Institutionen zur nachhaltigen Entwicklung.
Verschiedene Reformmodelle werden diskutiert, z. B. die Gründung einer Weltumwelt- organisation oder eines Um- weltstrafgerichtshofs. Auch wenn die Langsamkeit und die
fehlende Umsetzung von Kon- ferenzbeschlüssen oft bemän- gelt wird, schaffen Weltkon- ferenzen globale Leitbilder, an denen sich Akteure auf allen Ebenen orientieren können.
Das Thema in der Schule
Das Thema fügt sich in den Rahmen der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Ent- wicklung ein. Internationale Großereignisse wie die Welt- konferenz Rio+20 werden medial begleitet. Daher ist es sinnvoll, diese auch im Un- terricht aufzugreifen, damit Schülerinnen und Schüler die Berichterstattung besser ein- ordnen und bewerten können.
Ein Überblick über die Themen, Akteure und Positionen auf der Konferenz ist hier hilfreich.
Es geht auch darum, sich mit konkreten Zielen auseinander zu setzen, die auf der Konfe- renz verhandelt werden.
Letztlich sollte auch immer diskutiert werden, welche Verhaltensweisen Schülerinnen und Schüler in ihrem Alltag verändern können, um einen Beitrag zur nachhaltigen Ent- wicklung zu leisten.
1. Grundsteinlegung für ein neues Entwicklungs- und Wohlstandsmodell, das die Grenzen des Wachstums anerkennt, die natürlichen Lebensgrundlagen schützt und die gerechte Teilhabe aller Menschen sowie künftiger Generationen ermöglicht.
2. Beschluss verbindlicher nachhaltiger Entwicklungsziele als Meilensteine des globalen Umbaus.
3. Beschluss nationaler „Roadmaps“ für den Transforma- tionsprozess sowie von „Low Carbon Action Plans“
bis 2050.
4. Beschluss der partnerschaftlichen Unterstützung von Schwellen- und Entwicklungsländern.
5. Der globale Umbau benötigt neben dem verbindlichen Rahmen einer Weltordnungspolitik eine völlig neue Qualität der internationalen Zusammenarbeit.
6. Der Gipfel setzt Impulse für nachhaltige Lebensstile und einen veränderten Konsum.
33
GLOBAL LERNEN 2012-1 • © BROT FÜR DIE WELT
PRAXIS. ZUM HERAUSNEHMEN UND KOPIEREN
Messzahl
in Mio.
Hektar, Index 1992 = 0 in Mio.
Hektar in Mio.
Hektar Index 1992 = 100 in Zahlen
Index 1992 = 100 in Mio.
Hektar
in kg
in % in Mio. t
1992
0 35 (2002)
12
100 41
100
11
34
10 3,1
heute*
–300 147
17
92 8
145
37
43
33 4,2 (2008) f IndIkator
f WäLDER UND BIODIvERSITäT weltweiter Waldverlust
nachhaltig bewirtschaftete Waldfläche mit FSC Zertifikat Geschützte Gebiete
Artenvielfalt weltweit
Öltankerunfälle
f ERNäHRUNG UND LANDNUTZUNG Lebensmittelproduktion
Landfläche für Biolandbau
globaler Fleischkonsum pro Kopf und Jahr
Anteil überfischter, erschöpfter Bestände am Gesamtfischbestand Thunfischfang
Bilanz: Wo steht die Welt?
* Die meisten verfügbaren Daten beziehen sich auf das Jahr 2010, abwei- chende Jahreszahlen sind in Klammern angegeben.
Alle Daten stammen aus einem Bericht, in dem das Umweltprogramm der Vereinten Nationen anlässlich der Weltkonferenz Rio+20 Daten aus unterschiedlichen globalen Studien zusammengetragen hat:
UNEP: Keeping track of our changing environment – From Rio to Rio+20 (1992–2012), Nairobi, 2011.
AUFGABEN
• Schauen Sie sich die dargestellten globalen Entwicklungen an, die der Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen aufzeigt. Markieren Sie die Ihrer Meinung nach fünf gravierends- ten Fehlentwicklungen und die fünf erfreulichsten Entwicklun- gen seit 1992.
• Geben Sie Beispiele für Entwicklungen an, bei denen Ihnen die Messung in Zahlen schwierig erscheint.
• Suchen Sie sich eines der sechs Themenfeld aus. Überlegen Sie, aus welcher Perspektive Sie die darin genannten Zahlen in- terpretieren möchten (z. B. Vetreter/in der Solarenergiebranche, Umweltaktivist/in, Wissenschaftler/in, afrikanische(r) Menschen- rechtler/in). Verfassen Sie eine kurze Rede, in der Sie die von Ihnen ausgewählten Zahlen interpretieren. Formulieren Sie not- wendige Konsequenzen aus den von Ihnen genannten Entwick- lungen.
f IndIkator
f BEvöLKERUNG Weltbevölkerung jährliche Wachstumsrate Bevölkerung
Anteil Slumbewohner/innen an Stadtbevölkerung Slumbewohner/innen weltweit Anteil Menschen mit Zugang zu Trinkwasser
f KLIMAWANDEL Weltweite Treibhausgas- emissionen
CO2-Emissionen pro $ des Welt-BIP
Verbrauch ozonschädigender Stoffe
Größe des Eisschildes der Arktis Naturkatastrophen
f ENERGIE
Investitionen in erneuerbare Energien weltweit
Nutzung von Solarenergie
Nutzung von Windenergie
Atomkraftwerke weltweit Menschen ohne verlässliche Energieversorgung
f RESOURCENNUTZUNG UND KONSUM
Abbau natürlicher Ressourcen
Weltweite Plastikproduktion Materialintensität (Material - verbrauch pro Produkt) Zahl der Flugzeugpassagiere Zahl der Mobilfunkverträge Zahl der Internetnutzer
Messzahl
in Mio.
in % in %
in Mio.
in %
in Mio. t in Gramm
in Mio. t
in Mio. km2 Anzahl
in Mio US $ Index 1992 = 100 Index 1992 = 100 in Zahlen
in Mio.
in Mio. t
in Mio. t Index 1992 = 100 in Mio.
in Mio.
in Mio.
1992
5.400
1,65
46 657
77
22.000 600
0,7
6,66 200
39.000
100
100 360
–
42.000
115
100 1.135 – –
heute*
7.000
1,2
33 827
87
30.600 460
0,05 (2009)
4,33 400
211.000
30.000
6.000 437
1.400
60.000 (2005)
165
85 2.270 6.000 2.000
GLOBAL LERNEN 2012-1 • © BROT FÜR DIE WELT
44 PRAXIS 2. ZUM HERAUSNEHMEN UND KOPIEREN
Konsumziele vereinbaren
Millenniumkonsumziele
Die Millenniumkonsumziele sind ein Vorschlag des srilanki- schen Professors Mohan Munasinghe*. Die reichsten 20 % der Menschheit sollen sich auf die Erreichung von Millennium- konsumzielen bis 2020 verpflichten. Denn sie verbrauchen rund 80 % der weltweiten Ressourcen und stoßen 80 % der gesamten Treibhausgase aus. Prof. Munasinghe und weitere Unterstützer haben das UN-Kommitee zur Vorbereitung der Weltkonferenz Rio+20 aufgefordert, konkrete Millenniumkon- sumziele zu formulieren.
vgl. www.millenniumconsumptiongoals.org;
www.uncsd2012.org/rio20/content/documents/312MCG%20 Proposal%20for%20Rio20-v12F.pdf, 02.02.2012
* Prof. Mohan Munasinghe ist vorsitzender des Munasinghe Insti- tuts für Entwicklung (MIND) in Colombo, Sri Lanka. Er war u.a. vi- zepräsident des UN Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC- AR4), das 2007 zusammen mit Al Gore den Friedensnobel- preis erhielt.
vorschläge für Millenniumkonsumziele (2012–2020) von Munasinghe und Kolleg/innen:
1. Fettleibigkeit (Body-Mass-Index > 30) halbieren;
2. Fleischkonsum halbieren;
3. Arbeitszeit auf 20 Stunden pro Woche senken;
4. Steuern für die Reichsten in einer Gesellschaft erhöhen;
5. Anteils der Nutzung nicht-motorisierter Verkehrsmittel (Fahrräder, Fußgang) verdoppeln;
6. 50 % Bio-Anteil am Essen erreichen;
7. Energieverbrauch in privaten Haushalten um 50 % reduzieren;
8. Abfall um 90 % reduzieren.
vgl. www.millenniumconsumptiongoals.org;
blogs.worldwatch.org/transformingcultures/mcgsupdate/, 02. 02. 2012
Klimaziel oder Urlaubsziel
Nach Berechnungen des Wissenschaftlichen Beirats der Bun- desregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) dürfte jeder Mensch weltweit maximal 2.000 kg CO2 pro Jahr ausstoßen, um die Klimaerwärmung auf 2 Grad zu begrenzen.
Für Mobilität wären pro Jahr ca. 400 kg CO2 erlaubt (Wohnen, Konsum und Ernährung verbrauchen den Rest).
AUFGABEN
1. Erarbeiten Sie in Kleingruppen Begründungen für die einzel- nen Millenniumkonsumziele. Nehmen Sie gemeinsam Verände- rungen oder Ergänzungen an dem Zielkatalog vor.
2. Illustrieren Sie Ihre Vorschläge auf einem Plakat und stellen Sie dieses anschließend im Plenum vor.
3. Bewerten Sie gemeinsam die Chancen und Grenzen ihrer formulierten Ziele. Legen Sie dar, welchen persönlichen Beitrag Sie zur Erreichung der Millenniumkonsumziele leisten.
Reichweite (max. 400 kg)
Flugzeug 38 kg 1.052 km
Mittelklasse-PKW 15 kg 2.667 km
Bahn 4 kg 10.000 km
Reisebus 2 kg 20.000 km
Fahrrad 0 kg unendlich viele km
Elektro-PKW (Normalstrom) 10 kg 4.000 km Elektro-PKW (Ökostrom) 0,7 kg 57.143 km www.co2-emissionen-vergleichen.de/verkehr/CO2-PKW-Bus- Bahn.html
Gefährt CO2-Ausstoß
pro 100 km
AUFGABE
Berechnen Sie (gemeinsam mit Ihrer Familie) den CO2-Ausstoß für die letzte Urlaubsreise. Nehmen Sie die Tabelle zur Hilfe.
Ermitteln Sie Ihren Spielraum für den Rest des Jahres, wenn SIe das Klimaziel einhalten wollen. Diskutieren Sie, ob Sie diese Berechnung bei der Wahl zukünftiger Urlaubsziele und Trans- portmittel berücksichtigen werden.
Klimaretter oder Klimasünder?
Erwartete Teilnehmerzahl bei Rio+20: 15.000 Durchschnittliche Flugstrecke pro Person: 20.000 km (1/4 Erdumfang x 2 für Hin- und Rückflug)
CO2-Ausstoß pro Konferenz-Teilnehmer/in: 7600 kg Gesamt CO2-„Reisekosten“ bei Rio+20: 114.000.000 kg
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-1
55 55
INFO: ZUR DISKUSSION
Rio + 20: Entwicklung, Akteure, Themen
Die Weltkonferenz im brasi- lianischen Rio im Juni 2012 soll als Meilenstein in den Bemühungen um die Lö- sung globaler Probleme wie Klimawandel, Armut und verlust der Artenvielfalt in die Geschichte eingehen.
Die Erwartungen sind hoch.
Was ist bisher geschehen?
Wer ist dabei? Welche The- men werden verhandelt?
Und welche Ergebnisse er- hofft man sich?
Stationen auf dem Weg zur nachhal tigen Entwicklung
1972
Der Club of Rome veröffent- licht den Bericht „Grenzen des Wachstums“. In Stockholm fin- det die UN-Konferenz über die menschliche Umwelt statt. Der Beginn dieser Konferenz, der 5. Juni, ist heute noch der „in- ternationale Tag der Umwelt“.
1987
Der Bericht der Brundtland- Kommission prägt den Begriff
nachhaltige Entwicklung als eine Entwicklung „die den Bedürf- nissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglich- keiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“
1992
Der Erdgipfel in Rio (UN Kon- ferenz über Umwelt und Entwicklung) bringt die Bio- diversitätskonvention, die Kli- marahmenkonvention, die UN Kommission für nachhaltige Entwicklung (UNCSD) und die
Agenda 21 für lokale Maßnah- men auf den Weg.
1997
Das Kyoto-Protokoll wird von 183 Staaten unterzeichnet und sieht bis 2015 die Reduzierung der CO2-Emissionen um 5 % gegenüber 1990 vor. Jährliche Klimakonferenzen dienen der Überprüfung (Conference of Parties – COP).
2000
Im Jahr 2000 werden acht Mil- lenniumentwicklungsziele auf der UN-Generalversammlung verabschiedet, die sich insbe- sondere der Armutsbekämp- fung widmen. Das siebte Ziel ist
„ökologische Nachhaltigkeit“.
2002
Auf dem Weltgipfel in Jo- hannesburg werden weitere Umweltabkommen erzielt.
Bekannt wird er wegen der hohen Beteiligung zivilgesell- schaftlicher Gruppen und Wirt- schaftsunternehmen.
2009
Klimakonferenz in Kopenhagen (COP-15) zur Erneuerung des Kyoto-Protokolls scheitert.
2010
Auf der Klimakonferenz in Cancun (COP-16) gelingt die Einigung, die globale Tempe- raturerwärmung auf zwei Grad zu begrenzen.
2012
Der Rio+20 Weltgipfel befasst sich mit zwei großen Themen- blöcken:
• einer „Grünen Wirtschaft“
im Kontext nachhaltiger Ent- wicklung und Armutsbekämp- fung
• einer Reform des institu- tionellen Rahmens für nach- haltige Entwicklung.
vgl. Lexikon der Nachhaltigkeit, Schlagworte: Abkommen und Bündnisse vor 1992, Abkommen und Bündnisse seit 1992, Rio.
Erhoffte Ergebnisse
Die Vorbereitungen der Kon- ferenz koordiniert die UN- Kommission für nachhaltige Entwicklung. Sie bündelt auch die von den verschiedenen Interessengruppen im Vorfeld geäußerten Erwartungen.
Erhoffte Ergebnisse der Kon- ferenz sind:
• die Verabschiedung Nach- haltiger Entwicklungsziele;
• eine Roadmap für eine Grüne Wirtschaft;
• die Schaffung eines UN- Rates für nachhaltige Entwick- lung;
• die Stärkung des Umwelt- programms der Vereinten Nationen.
vgl. UNCSD: Pressemeldung vom 04. 11. 2011, unter: uncsd.iisd.org/
news/brazil-host-of-uncsd-propo- ses-change-of-dates/
• Internationale Organisationen
insgesamt 48 (z. B. UN-Kommission für nachhaltige Entwick- lung, Umweltprogramm der Vereinten Nationen, Welternäh- rungsprogramm, Weltbank, Welthandelsorganisation)
• Staatengruppen
z. B. Europäische Union, G77 (loser Zusammenschluss von Ent- wicklungs- und Schwellenländern) und China, Mitgliedstaaten des Pacific Island Forum
• Staaten
Alle 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen von Afgha- nistan bis Zypern
• Interessengruppen (Stakeholder)
Mehrere hundert Organisationen und Netzwerke, die sich folgenden Hauptgruppen (Major Groups) zuordnen: Indigene Bevölkerungen, Bauern, Arbeitnehmer & Gewerkschaften, Kommunalpolitiker, Wirtschaft und Industrie, Wissenschaft und Technologie, Frauen, Kinder und Jugendliche, Nichtregie- rungsorganisationen.
vgl. www.uncsd2012.org > member states, major groups
Akteurgruppen bei Rio+20
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-1
66 INFO: ZUR DISKUSSION
Grünes Wachstum
OECD: Umwelt- verträgliches Wachs- tum
Umweltverträgliches Wachs- tum bedeutet, Wirtschafts- wachstum und Entwicklung zu fördern und gleichzeitig sicherzustellen, dass Natur- güter weiter die Ressourcen und Umweltleistungen liefern können, die Voraussetzung für unser Wohlergehen sind. Um dies zu erreichen, müssen In- vestitionen und Innovationen herbeigeführt werden, die ein dauerhaftes Wachstum unter- stützen und neue wirtschaftli- che Chancen entstehen lassen.
Eine flexible, dynamische Wirtschaft dürfte die besten Wachstumsergebnisse erzielen und am ehesten in der Lage sein, den Übergang zu einem umweltverträglicheren Wachs- tumspfad zu bewältigen. Die umweltverträgliche Gestaltung des Wachstums erfordert einen weitaus effizienteren Ressourceneinsatz, um die
Die westlichen industrienationen verstehen unter grünem Wachstum vor allem eine Förderung von umweltfreund- lichen Technologien. Die Organisation OECD, in der die größten volkwirtschaften der Erde vertreten sind, spricht von umweltverträglichem Wachstum. Die Europäische Union hat in der Wachstumsstrategie „Europa 2020“ ihre vor stellungen von nachhaltigem Wachstum festgehalten.
Auch Deutschland sieht sich mit seinen Konzepten für er- neuerbare Energien und Elektromobilität als vorreiter für Nachhaltigkeit.
ökologischen Belastungen zu verringern.
Strategien für ein umwelt- verträgliches Wachstum müssen Unternehmen und Verbraucher zu einem um- weltfreundlicheren Verhalten anspornen, eine reibungslose und gerechte Reallokation von Arbeitsplätzen, Kapital und Technologien zu Gunsten um- weltfreundlicherer Aktivitäten fördern und geeignete Anreize für umweltfreundliche Inno- vationen schaffen und diese unterstützen.
Verstärkte Anstrengungen zur Steigerung des weltweiten Handels und der globalen In- vestitionsströme könnten zur Stützung eines nachhal- tigen Wachstums und Ver- breitung umweltverträglicher Technologien beitragen.
OECD: Towards Green Growth - Auf dem Weg zu umweltverträg- lichem Wachstum, Paris, 2011.
(Auszüge)
Europa 2020
Nachhaltiges Wachstum bedeutet:
• Aufbau einer wettbewerbs- fähigeren, emissionsarmen Wirtschaft, die Ressourcen ef- fizient und nachhaltig einsetzt;
• Schutz der Umwelt, Verrin- gerung von Emissionen und Erhalt der biologischen Vielfalt;
• Nutzung der Führungsrolle Europas bei der Entwicklung neuer, umweltfreundlicher Technologien und Produkti- onsmethoden;
• Aufbau effizienter und in- telligenter Stromnetze;
• Nutzbarmachung EU-weiter Netze, um unseren Unter- nehmen – vor allem kleinen Herstellerbetrieben – zusätz- liche Wettbewerbsvorteile zu verschaffen;
• Verbesserung der Rahmen- bedingungen für Unterneh- men, insbesondere für kleine und mittelständische Unter- nehmen;
• Unterstützung der Verbrau- cher, damit sie wohlüberlegte Entscheidungen treffen können.
Ziele der EU für nachhaltiges Wachs- tum:
1. Bis zum Jahr 2020 Verringe- rung der Treibhausgasemissio- nen um 20 % gegenüber dem Niveau von 1990. Im Rahmen einer globalen und umfassen- den Vereinbarung ist die EU bereit, weiter zu gehen und die Emissionen um 30 % zu redu- zieren – sofern sich andere In- dustrieländer zu vergleichbaren Emissionsreduzierungen ver- pflichten und die Entwicklungs- länder einen ihren Fähigkeiten entsprechenden Beitrag leisten.
2. Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch auf 20 %;
3. Steigerung der Energieeffi- zienz um 20 %.
http://ec.europa.eu/europe2020/
priorities/sustainable-growth/
index_de.htm, 10. 11. 2011
Deutschlands Ziele
Die im Energiekonzept vom 28. September 2010 beschlos- senen Ausbauziele im Strom- sektor sind im Erneuerbare- Energien-Gesetz (EEG) als Min- destziele verankert worden, die spätestens in nerhalb der jeweiligen Dekade erreicht werden sollen. Demnach sollen spätestens 2020 mindestens 35 % der Stromversorgung durch erneuerbare Energien bereitgestellt werden; 2030 sollen es 50 %, 2040 65 % und 2050 80 % sein.
Bundesumweltministerium: www.
bmu.de/erneuerbare_energien/
doc/47336.php,
Elektromobilität
viele Gründe sprechen für die Elektromobilität:
• Klima- und Umweltschutz- aspekte (CO2- und Schadstoff- reduktion);
• zukünftige Ausrichtung einer insbesondere für den Mittelstand in Deutschland wichtigen Industriesparte und dadurch Sicherung von bis zu einer Million Arbeitsplätzen;
• Reduzierung der Abhängig- keit von erdölbasierten Kraft- stoffen (…).
Deshalb steht die Entwicklung der Elektromobilität für die Bundesregierung im Fokus ih- rer Politik. Deutschland hat ein klares Ziel: Bis 2020 soll es eine Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen geben.
Bundeswirtschaftsministerium:
www.bmwi.de/BMWi/Navigation/
Wirtschaft/Industrie/elektro- mobilitaet
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-1
77
INFO: ZUR DISKUSSION
Zukunftsfähige Produktion und Konsum
Biologischer Landbau in Uganda
In Uganda leben 85 % der Bevölkerung ganz oder teilweise von der Landwirtschaft. Eine von der Regierung unterstützte nachhaltige Bewirtschaftung der Landflächen konnte die Lebens bedingungen der breiten Bevölkerung verbessern. Im Jahr 2007 gab es in Uganda bereits über 200.000 zertifizierte Biobäuerinnen und -bauern, die eine Landfläche von knapp 300.000 Hektar nachhaltig bewirtschaften.
Erneuerbare Energien in China
China hat 2005 ein Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschie- det. Die Kapazitäten bei der Erzeugung von Windenergie sind seitdem jährlich um 100% gestiegen. Allein im Jahr 2009 ent- standen in China 300.000 neue Jobs im erneuerbare-Energien- Sektor. Mit einem Marktanteil von 45% ist China der weltweit größte Produzent von Solarzellen.
Nachhaltige Stadtplanung in Brasilien
Die Bevölkerung der Millionenstadt Curitiba hat sich seit den 1970er Jahren verdreifacht. Zur gleichen Zeit jedoch wurde die Grünfläche pro Einwohner/in von 1m2 auf über 50m2 ausge- weitet. Durch ein gutes öffentliches Nahverkehrssystem hat Curitiba eine viel niedrigere Luftverschmutzung und einen 30 % niedrigeren Benzinverbrauch als andere brasilianische Metro- polen.
Forstwirtschaft in Nepal
Fast 40 % des Landes sind mit Wald bedeckt. Nachdem die Waldfläche in den 1990er Jahren stetig zurückging, konnte der Trend seit 2000 umgedreht werden. Über 14.000 lokale „Wald- nutzergruppen“ wurden gebildet, die eigenverantwortlich rund ein Viertel des nepalesischen Waldes nachhaltig bewirtschaften.
35 % der nepalesischen Bevölkerung sind daran beteiligt.
vgl. UNEP: Green Economy – Developing Countries Success Stories, Paris, 2010, www.unep.org/greeneconomy, 06. 02. 2012
Grüne Erfolgsgeschichten
Schmutzige In- dustrie abschaffen
Wer eine grüne Ökonomie will, muss die schmutzige Ökonomie beenden. Punkt.
Atomkraft, neue Kohlekraft- werke, Gentechnik, die globale Entwaldung und Überfischung sind einige der Dinge, die in einer grünen oder nachhal- tigen Wirtschaft Geschichte sein müssen. Unkontrollierte Finanzspekulationen und eine Wirtschaft, die auf dem Prinzip des ewigen „Mehr und Mehr“
beruht – auch!
Mittler, Daniel (Politischer Di- rektor von Greenpeace Interna- tional): vorwärts zur Green Eco- nomy, in: Forum Umwelt und Entwicklung, Rundbrief 3-2011, S. 9. (Auszug)
Begrenzte Erde
Es gibt eine einfache Wahrheit, die auch mit dem Adjektiv
„Grün“ nicht umzustoßen ist:
In einer begrenzten Welt ist unbegrenztes Wachstum nicht möglich. Unsere Erde ist ein begrenzter Raum. Der Boden, die nicht-erneuerbaren Res- sourcen, wachsen nicht nach.
Die Biosphäre wächst nicht. Sie kann nicht endlos Schadstoffe aufnehmen. Mit Effizienz und grüner Technologie lassen sich die Klimaveränderung und das Ressourcenproblem nicht lösen.
Aus der Krise „herauswachsen“
ist eine Illusion. Den „Rebound- Effekt“ kennen wir nicht zuletzt von der Mobilität (Der Rebound- Effekt tritt auf, wenn man z. B.
sparsamere Autos fährt, damit dann aber mehr Kilometer zurücklegt, Anm. d. R.). Einen Begriff fürchten die Politik und auch viele Umwelt- und Entwicklungsorganisationen wie der Teufel das Weihwasser:
Suffizienz. Sie haben Angst, als
Verzichtsmuffel, Verhinderer und „Gürtel-enger-schnallen- Apostel“ abgestempelt zu wer- den. Zweifellos ist es einfacher, Wachstumsgewinne etwas ge- rechter zu verteilen, als das ge- rechte Teilen des Vorhandenen zu postulieren. Aber Suffizienz heisst nicht Verzicht. Es ist eine Ökonomie des „Genug“.
Bär, Rosemarie: von Rio zu Rio+20: Eine Leidensgeschichte, www.alliancesud.ch/de/ep/
klima/von-rio-zu-rio-20, 10. 11. 2011 (Auszug)
Probleme „grüner Technologien“
Der Stoff, aus dem unsere ökolo- gischen Träume sind, ist manch- mal ganz schön hartes und dre- ckiges Material: Solarzellen zum Beispiel werden überwiegend auf Basis von Silizium produziert. (…) Ein noch weitaus größerer und problematischerer Rohstoffhun- ger als im Solar- oder Windbe- reich zeichnet sich für die noch ganz am Anfang stehende Elek- tromobilität ab. Zu befürchten ist, dass ohne Änderungen am alten MIV- (Motorisierter Indivi- dualverkehr-) Konzept zukünftig Millionen neuer Autos gebaut werden, die in der Produktions- phase teils sogar noch mehr Rohstoffe verschlingen als die alte Fahrzeugflotte. Das Problem dabei: Bei der Gewinnung, etwa von Seltenen Erden, entstehen ganze Seen giftigen Schlamms.
Und immer wieder werden Men- schen- und Arbeitsrechte mit Füßen getreten, Landrechte von Ureinwohnern verletzt und der Reichtum in die Taschen von nur ganz wenigen gelenkt.
Fuchs, Peter: Rohstoffe für die grüne Wirtschaft – Ausbeutung wie gehabt? In: Forum Umwelt und Entwicklung, Rundbrief 3-2011, S. 17f. (Auszug) Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern angesichts der Weltkonferenz Rio+20 ein grundlegendes Umdenken bei globalen Konsum- und Produktionsmustern sowie neue Wohlfahrtskonzepte. Modellprojekte aus aller Welt zeigen, dass veränderungen machbar sind.
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-1
88 INFO: ZUR DISKUSSION
und extreme Armut eine inter- nationale Devisentransaktions- steuer oder eine allgemeinere Finanztransaktionssteuer einzuführen. Eine Abgabe von lediglich 0,005 Prozent auf Devisengeschäfte könnte pro Jahr 40 Milliarden Dollar oder mehr einbringen, schätzt der Bericht.
vgl. UNDP: Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit: Eine bessere Zu- kunft für alle, New York, 2011.
Umweltbewegung der Armen
In ganz Indien gibt es Proteste gegen Infrastrukturprojekte und das, was gängig „Entwick- lung“ genannt wird. (…) Die betroffenen Menschen wissen, dass Bergbau und Waldrodungen dazu führen, dass ihre Wasserstellen aus- trocknen oder sie Weide- und Ackerland verlieren. Sie wissen, dass sie arm sind. Und sie sa- gen laut und so deutlich wie möglich, dass das, was andere Entwicklung nennen, sie nur noch ärmer macht. Deshalb stellen sie das herrschende Entwicklungsparadigma in Frage. Dieses Phänomen nenne ich Umweltbewegung der Armen. Sie haben recht, denn die Entwicklungsvorha- ben nutzen örtliche Ressour- cen – Mineralien, Wasser, Land.
Aber sie bringen keine Arbeits- plätze, um die Menschen, die ihre traditionelle Lebensweise verlieren, zu entschädigen.
Falsch verstandener „Fort- schritt“ zerstört mehr Einkom- men, als er schafft. Die Prio- rität kann nicht sein, die Gier der Mächtigsten zu erfüllen. Es muss darum gehen, die einfa- chen Bedürfnisse der Ärmsten zu befriedigen.
Narain, Sunita: Umwelt- bewegung der Armen, in: E+Z, 09/2011, S. 320–321.
Leitbild
nachhaltiger Ent- wicklung
Erstens muss Entwicklung in- klusiv sein, d.h. allen Menschen die Perspektive auf ein Leben in Würde und gesellschaftli- che, politische und wirtschaft- liche Teilhabe eröffnen.
Zweitens muss Entwicklung ökologische Grenzen und Gesetze anerkennen, und die Schöpfung und unsere Mitwelt bewahren. Die Gemeingüter der Erde haben Werte, die sich nicht angemessen über Marktpreise ausdrücken lassen.
Dieser Aspekt genießt vor al- lem in vielen „globalisierungs- fernen“ Kulturen und bei den indigenen Völkern dieser Erde höchste Relevanz.
Drittens führt kein Weg daran vorbei, eine neue industrielle Revolution, den Metabolismus unseres Wirtschaftsmodells einzuleiten und mit aller Kon- sequenz zu verfolgen. Nur wenn es gelingt, den Ressour- cenverbrauch nicht nur relativ sondern auch absolut zu ent- koppeln von wirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinnen, und wenn die Wirtschaft radikal de- karbonisiert wird – also immer weniger und perspektivisch gar keine Treibhausgase mehr emittiert – schaffen wir die Transformation hin zu einem neuen Leitbild nachhaltiger Entwicklung.
Die drei Prinzipien können kurz gefasst werden als das Recht auf Entwicklung, die Akzeptanz der Grenzen des Wachstums sowie die techno- logische Effizienzrevolution des kommenden Solarzeital- ters.
Füllkrug-Weitzel, Cornelia (Direktorin, Brot für die Welt):
Globale Krisen und globale Transformation (en) – Eine Zeit- ansage, Stuttgart, 2011 (Aus- züge).
Nachhaltige Entwicklung und Gerechtigkeit
Umweltprobleme gefährden
Entwicklung
Die Fortschritte in der Ent- wicklung der ärmsten Länder der Welt könnten um die Jahrhundertmitte zum Still- stand kommen oder sich sogar umkehren, wenn nicht unver- züglich mutige Schritte ein- geleitet werden, um weitere Umweltschäden zu verhindern und die tiefen Ungleichheiten innerhalb der Länder und zwi- schen ihnen abzubauen. Dies geht aus dem Bericht über die menschliche Entwicklung 2011 hervor, den das UN-Entwick- lungsprogramm (UNDP) veröf- fentlicht hat.
Der Bericht 2011 plädiert da- für, beide Aspekte im Blick zu behalten. Um ökologische Nachhaltigkeit möglichst fair und effektiv zu verwirk- lichen, gilt es, bestehende Ungleichheiten bei Gesund- heit, Bildung, Einkommen und Gleichstellung zu überwinden und zugleich die erforderli- chen globalen Maßnahmen zur Sicherung der Energieer- zeugung und zum Schutz der Ökosysteme zu ergreifen.
Mit Blick auf die wegweisende UN-Konferenz über nach- haltige Entwicklung, die im Juni 2012 in Rio de Janeiro stattfinden wird, betont der Bericht, dass die internationale Gemeinschaft die Frage der Nachhaltigkeit unter der Pers- pektive grundlegender sozialer Gerechtigkeit für die heutigen und die künftigen Generatio- nen behandeln muss.
Der Bericht fordert, dass die 1,5 Milliarden Menschen, die derzeit an kein Stromnetz angeschlossen sind, in die Elektrizitätsversorgung einbe- zogen werden. Dies sei auf er- schwingliche und nachhaltige Weise und ohne signifikanten Anstieg der CO2-Emissionen zu erreichen. Der Bericht veran- schlagt Investitionen in Höhe eines Achtels des Betrags, der gegenwärtig für die Subventi- onierung fossiler Brennstoffe ausgegeben wird: 2009 waren dies weltweit schätzungsweise 312 Milliarden US-Dollar.
Auch schließt sich der Bericht der vielfach erhobenen Forde- rung an, zur Finanzierung des Kampfes gegen Klimawandel Für Menschen in Entwicklungsländern ist Umweltschutz kein Luxus, sondern eine Frage des Überlebens. Eine
„grüne Wirtschaft“, die Fragen der Gerechtigkeit ignoriert, wird keinen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten können.
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-1
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INFO: ZUR DISKUSSION
Hürden in der Politik
1 Problemdefinition
Die Probleme des Klima- wandels sind inzwischen hinreichend bekannt und nur wenige Wissenschaftler bezweifeln, dass die globale Erwärmung gravierende Aus- wirkungen auf Menschen und Umwelt hat. Allerdings gesche- hen die Klimaveränderungen schleichend und zeitversetzt, so dass die Dringlichkeit zum Handeln leicht unterschätzt wird.
2 Themensetzung
Die Entwicklung der Tagungs- themen bei Rio+20 wurde von der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung koor- diniert. Bereits die Formulie- rung, was unter dem Thema
„Grüne Wirtschaft“ verstanden werden soll, führte in den Vor- bereitungstreffen zu heftigen Kontroversen. Während die einen sich von einer „Grünen Wirtschaft“ wertvolle Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung versprechen, fürchten andere, dass dieser Begriff zu einem
„Ökoprotektionismus“ der In- dustrieländer führen könnte.
Der Vorwurf lautet, sie würden durch höhere Umweltstan- dards Entwicklungsländern den Zugang zum Weltmarkt erschweren.
3 Politikformulierung
Zur Vorbereitung gemeinsa- mer Zielformulierungen für die Rio+20 Konferenz wurden bisher über 600 Stellungnah- men von Staaten und Inter- essengruppen sowie Berichte von Internationalen Organi- sationen eingereicht. Diese in einem Politikpapier zusam- men zu bringen und einzelne
Internationale verhandlungen über Umwelt und nachhal- tige Entwicklung sind komplexe Prozesse. Der Politikzyklus ist ein Modell aus der Politikwissenschaft, mit dem sich diese Prozesse veranschaulichen lassen. Mit jedem Schritt im Politikprozess sind besondere Herausforderungen ver- bunden, die hier am Beispiel der Rio+20 Konferenz aufge- zeigt werden.
Forderungen angemessen zu berücksichtigen ist eine Mammutaufgabe. Denn alle Akteure bringen unterschied- liche Interessen, Werte und Hintergründe mit.
Die Staaten, deren Existenz durch den Klimawandel be- droht ist, wie viele kleine Inselstaaten im Pazifik, plädie- ren verständlicherweise für strenge Regeln beim Klima- schutz. Industriestaaten hinge- gen zögern, weil dies enorme Anpassungsleistungen ihrer gesamten Volkswirtschaften erfordern würde. Denn alle Wirtschaftssektoren (Industrie, Landwirtschaft, Verkehr) sind derzeit von fossilen Brennstof- fen abhängig. Dagegen war die Einigung auf das Verbot einzelner ozonschädigender Stoffe von 1989 einfach, weil nur einzelne Branchen (z. B.
Elektrogerätehersteller) be- troffen waren. Schwellenlän- der sehen die Industrieländer zuerst in der Pflicht zu han- deln, denn deren Emissionen pro Kopf sind weit höher als bei allen anderen. Schwellen- länder wollen das Recht auf einen vergleichbaren Wohl- stand. Industrieländer hinge- gen weisen darauf hin, dass der absolute C02-Ausstoß in China jetzt schon der höchste weltweit ist.
4 Politikumsetzung
Kommt es zum Abschluss ei- ner Vereinbarung, z. B. über die Reduzierung der Emissi- onen, ist es die Aufgabe der Staaten die vereinbarten Ziele in nationale Gesetze einzubet- ten. Sie entwickeln nationale Aktionspläne und sind verant- wortlich für deren Umsetzung.
Oft sind die internationalen Vereinbarungen aber nur frei- willige Selbstverpflichtungen.
Die Umsetzung läuft schlep- pend, wenn es keine Instanz gibt, die sie überprüft, auf Mängel hinweist oder auch Strafen bei Nichteinhaltung verhängt. Einige Nichtregie- rungsorganisationen überneh- men daher die Aufgabe des
„Watchdogs“ und versuchen die Staaten an ihre Verpflich- tungen zu erinnern.
5 Politiküberprüfung
Damit überprüft werden kann, ob die politischen Maßnahmen erfolgreich waren, reichen die Mitgliedsstaaten der Verein- ten Nationen nationale Fort- schrittsberichte bei der UN- Kommission für Nachhaltige Entwicklung ein. Auch das Um- weltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) veröffentlicht regelmäßig Berichte, in denen es Bilanzen über Klimaverän- derungen, Artenvielfalt usw.
zusammenstellt.
6 Problem-
beendigung oder -neudefinition
Da sich seit 1992 fast alle glo- balen Probleme, die zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt wa- ren, verschärft haben, müssen
diese neuen Realitäten bei der Weltkonferenz berücksichtigt werden.
Es ist also dringend notwen- dig, anspruchsvolle politische Ziele zu definieren, die den Problemen angemessen sind, Umsetzungsschritte zu verein- baren, die überprüft werden können und internationale Institutionen zu stärken. Sie müssen die Überprüfung übernehmen und Mitttel zur Verfügung haben, um die Staaten dazu zu bringen, sich an ihre eigenen Zielvorgaben zu halten.
vgl. UNEP: Keeping track of our changing environment – From Rio to Rio+20 (1992–2012), Nairobi, 2011.
Zum Modell des Politikzyklus vgl.
Jahn, Werner / Wegrich, Kai: Pha- senmodelle und Politikprozesse:
Der Policy Cycle, in: Schubert, Klaus / Bandelow, Nils C. (Hrsg.):
Lehrbuch der Politikfeldanalyse 2.0, München, 2009, S. 82.
Zu den Interessensgegensätzen im Bereich Klimaverhandlungen vgl. Rittberger, volker / Kruck, An- dreas / Romund, Anne: Grundzüge der Weltpolitik. Theorie und Empi- rie des Weltregierens, Wiesbaden, 2010, S. 571 ff.
Problem- definition
Themen- setzung Problem-
beendigung oder Problem- neu- definition
Politik- formulierung Politik-
überprüfung
Politik- Umsetzung
1
2
3 4
5 6
Der Politikzyklus (idealtypischer verlauf)
Brot für die Welt • Global Lernen, 2012-1
1010 BROT FÜR DIE WELT KONKRET
Brasilien: Eine Stimme bei Rio + 20
vorbereitungen auf Rio
Im Oktober 2011 nahm CESE in Brasilien an einem Treffen des zivilgesellschaftlichen Netzwerkes Abong teil, um über die Vorbereitung der UN-Konferenz Rio+20 zu dis- kutieren.
Augusto Caju Santiago, Refe- rent für Umweltthemen bei CESE war dabei. Er betont, wie wichtig es ist, dass sich insbe- sondere die indigenen Völker und Quilombolas (Nachfahren schwarzer Sklaven, Anm. d. R.) beteiligen. Er sagt: „Ihre ge- samte Lebensweise steht bei- spielhaft für den Schutz der Umwelt und die Minderung der Effekte des Klimawandels.
Die Konsumgesellschaft sollte diese Beispiele kennen, um endlich die Umweltleistun- gen anzuerkennen, die diese traditionellen Gemeinden er- bringen.”
Lokale Klimafolgen einschätzen
Extreme Dürren, Über- schwemmungen, Wirbel- stürme: die Folgen der globalen Erderwärmung sind in Brasilien bereits angekom- men. Die indigenen Völker wie etwa die Guarani gehören zu den besonders betroffe- nen Bevölkerungsgruppen.
Der Klimawandel „bewirkt die Veränderung unserer Lebens- weise, weil wir Guarani uns an der Natur orientieren“ heißt es in einem Handbuch, das CESE gemeinsam mit indigenen Gemeinden entwickelt hat, um die lokalen Auswirkungen der globalen Klimaveränderun- gen offen zu legen. In einem weiteren Abschnitt wird das Problem erläutert: „Es gibt die Epoche der Jagd, des Fisch- fangs und des Pflanzens. Mit dem globalen Temperaturan- stieg gibt es zu lange Phasen der Hitze oder des Regens.
Mit einer Natur im Ungleich- gewicht, wissen wir nicht, wie lange die Regenzeit dauern wird, um das Saatgut zu pflan- zen, wie lange die Trockenzeit dauern wird, um Fische zu fangen und wie lange die Kälteperiode anhält, um zu jagen.“
Wissen weiter- geben
Das erwähnte Handbuch ent- stand infolge eines Seminars, das von CESE gefördert und mitorganisiert wurde. Die Teilnehmenden entschieden, die Debatte in die indigenen Dörfer zu tragen, um die Kli- maveränderung ebenso aus der Perspektive der Guarani wie der Nicht-Indigenen be- trachten zu können. „Viele Dinge, die wir bereits einige Zeit beobachtet hatten, konn- ten wir vor dem Seminar gar nicht als Folge der Klimaverän- derung und somit als Teil eines globalen Problems einordnen“, sagte der Kleinbauer Custódio Camilo do Carmo. Er nahm im März 2011 an der von CESE or- ganisierten Feldforschung und dem anschließenden Seminar
„Klimaveränderung und das Recht auf Land, Wasser und Territorium“ teil.
Die vorbereitungen auf die Weltkonferenz Rio+20 laufen in Brasilien auf Hochtouren. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen und soziale Bewegungen arbeiten dort daran, dass ihre Stimmen während der Konferenz gehört werden. Eine davon ist die Nichtregierungsorganisation CESE. Sie organisiert ein Förderprogramm zum „Recht auf Wasser, Land und Territorium“.
Die Stimme der völker
Um die Verursacher des Klima- wandels in den Industrielän- dern auf die lokalen Auswirkun- gen aufmerksam zu machen und ihre Rechte einzufordern, wollen die indigenen Gruppen sich auf der Rio+20 Konferenz Gehör verschaffen können.
Parallel zur offiziellen UN-Kon- ferenz wird daher ein „Gipfel der Völker“ stattfinden, den Umweltorganisationen und soziale Bewegungen organisie- ren. Hier wollen CESE und ihre Partner den Zusammenhang zwischen Klimaveränderung, dem herrschenden Entwick- lungsmodell und der Verlet- zung von Menschenrechten deutlich machen.
„Wir werden versuchen zu er- reichen, dass es während der Konferenz Rio+20 Raum für unsere Themen gibt und dass unsere Vorschläge die Ergeb- nisse der Abkommmen beein- flussen”, sagte Renato Cunha von der Umweltgruppe Gambá während des Vorbereitungs- treffens von CESE im Oktober 2011. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Doch viele Schritte sind bereits getan.
Textgrundlage von Claudia Fix, EED-Fachkraft für Kommunika- tion bei CESE in Brasilien.
Info: www.cese.org.br
CESE (Coordenadoria Ecumênica de Serviço) ist eine ökumenische Nichtre- gierungsorganisation, die 1973, während der brasilia- nischen Militärdikatur, von fünf Kirchen in Brasilien gegründet wurde. CESE unterstützt unter anderem Kleinbäuerinnen und -bau- ern, Landarbeiter/innen und indigene Völker dabei, ihre Grundrechte einzufordern.
CESE wird auch von Brot für die Welt unterstützt.
Die Organisation CESE