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Zur Wirksamkeit der echtzeitnavigierten Botulinumtoxininjektion in den Musculus pterygoideus lateralis bei Kiefergelenkmyopathie

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Academic year: 2022

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Aus der Klinik und Poliklinik für Mund‐, Kiefer‐ und Gesichtschirurgie/

Plastische Operationen

(Direktorin: Prof. Dr. Dr. Andrea Rau)

der Universitätsmedizin der Universität Greifswald

Zur Wirksamkeit der echtzeitnavigierten Botulinumtoxininjektion

in den Musculus pterygoideus lateralis bei Kiefergelenkmyopathie

Inaugural - Dissertation zur

Erlangung des akademischen Grades Doktor der Zahnmedizin

(Dr. med. dent.) der

Universitätsmedizin der

Universität Greifswald 2021

vorgelegt von:

Robert Meyer

geb. am: 07. April 1994 in: Schönebeck (Elbe)

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Dekan: Herr Prof. Dr. med. Karlhans Endlich

1. Gutachter: Herr Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Wolfram Kaduk 2. Gutachter: Herr Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Uwe Eckelt Ort, Raum: Greifswald, Hörsaal der Zahnklinik ZZMK

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis ... I

1. Einleitung ... 3

2. Literatur ... 4

2.1 Studienlage zur Botulinumtoxininjektion bei Kiefergelenkmyopathie 4 2.2 Anatomische Grundlagen ... 5

2.3 Das Krankheitsbild der CMD ... 8

2.3.1 Ätiologie der CMD ... 10

2.3.2 Epidemiologie ... 12

2.3.3 Klassifikation und Diagnostik... 13

2.3.4 Therapiemethoden ... 17

2.4 Botulinumtoxin ... 20

2.4.1 Struktur, Wirkungen und Anwendungsbereiche ... 20

2.4.2 Präparate und Dosis... 23

2.5 Die chirurgische Echtzeit-Navigation ... 25

2.5.1 Definition und Entwicklung ... 25

2.5.2 Aufbau operativer Navigationssysteme ... 26

3. Material und Methoden ... 29

3.1 Patientenpopulation ... 29

3.2 Methode der echtzeitnavigierten Botulinumtoxininjektion ... 31

3.3 Untersuchungsmethoden ... 33

3.3.1 Fragebögen ... 33

3.3.2 Klinische Untersuchung... 34

3.4 Statistische Auswertung ... 39

3.5 Datenschutz und ethische Aspekte ... 40

4. Ergebnisse ... 41

4.1 Ergebnisse der retrospektiv erhobenen Fragebögen ... 41

4.1.1 Beschwerdebild ... 41

4.1.2 Erhaltene Therapien ... 43

4.1.3 Effekte der Botulinumtoxintherapie ... 44

4.1.4 Nebenwirkungen ... 48

4.1.5 Faktoren der Therapieentscheidung ... 50

4.2 Klinische Untersuchung ... 53

5. Diskussion ... 55

5.1 Diskussion der Methodik ... 55

(4)

Inhaltsverzeichnis

5.1.1 Studiendesign und Patientenpopulation ... 55

5.1.2 Echtzeitnavigierte Botulinumtoxininjektionen ... 56

5.1.3 Fragebögen ... 58

5.1.4 Klinische Untersuchung... 59

5.2 Diskussion der Ergebnisse ... 60

5.2.1 Beschwerdebild und erhaltene Therapien ... 60

5.2.2 Effekte der Botulinumtoxintherapie ... 62

5.2.3 Nebenwirkungen ... 66

5.2.4 Faktoren der Therapieentscheidung ... 67

5.2.5 Klinische Untersuchung... 69

6. Zusammenfassung ... 70 Literaturverzeichnis ... III Anhang ... XI Abbildungsverzeichnis ... XXXVI Tabellenverzeichnis ... XXXVIII Abkürzungsverzeichnis ... XXXIX Gleichstellungserklärung ... XLI Eidesstattliche Erklärung ... XLII Lebenslauf ... XLIII Danksagung ... XLIV

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1. Einleitung

1. Einleitung

Die Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) beschreibt ein vielseitiges Krank- heitsbild, welches durch Fehlfunktionen der Kaumuskulatur, des Kiefergelenks und seiner Begleitstrukturen definiert ist (Nidal 2016). Dabei können sich auf das Craniomandibuläre System einwirkende Reize nach Überschreiten der physiologischen Kompensationsfähigkeit (Schwenzer und Ehrenfeld 2000) mit einer stark variablen Schmerzsymptomatik sowie Dysfunktions- und Dyskoor- dinationsstörungen äußern (Ahlers und Jakstat 2011). Diese Symptome wer- den in den meisten Fällen durch eine unbewusste Überbelastung der Kaumus- kulatur und damit auch aller anderen Strukturen des Kiefergelenks ausgelöst und unterhalten (Schindler und Türp 2009). Es ist deshalb naheliegend, die Behandlung der Kaumuskulatur in den Mittelpunkt der kausalen CMD-Thera- pie zu stellen und eine Entlastung sowie Entspannung der Muskulatur zu er- reichen (Reißmann 2017).

Dafür ist Botulinumtoxin (Botox) ein potentes Therapiemittel und zeigt positive temporäre, teilweise permanente objektiv messbare Effekte wie Schmerzre- duktion (von Lindern 2001), Besserung der Kieferkoordination (Pons et al.

2018), Muskeltonusreduktion (Moller et al. 2007) und Minderung von Diskus- dislokationen (Majid 2010). Letztere sind eng mit Dysfunktionen des Musculus pterygoideus lateralis verbunden und konnten 1997 erstmals erfolgreich mit Botulinumtoxin therapiert werden (Daelen et al. 1997). Auf Grund der anato- mischen Lage ist aber gerade dieser Muskel am schwersten zu erreichen (Stelzenmueller et al. 2016).

Um eine höchstmögliche Injektionsgenauigkeit und Wirksamkeit der Botoxin- jektion zu erzielen, wird an der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Ge- sichtschirurgie der Universitätsklinik Greifswald seit 2012 diese Injektion in den Musculus pterygoideus lateralis im Gegensatz zu anderen Kliniken mittels chi- rurgischer Echtzeitnavigation durchgeführt.

Da bisher in der Literatur subjektive Therapiebewertungen der Patienten und der routinierte Einsatz der Echtzeitnavigation nicht dargestellt sind, analysiert die vorliegende Studie retrospektiv die Wirksamkeit der echtzeitnavigierten Botulinumtoxininjektion in den Musculus pterygoideus lateralis bei Kieferge- lenkmyopathie.

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2. Literatur

2. Literatur

2.1 Studienlage zur Botulinumtoxininjektion bei Kiefergelenk- myopathie

1997 gelang es Daelen et al. erstmals, rezidivierende Diskusdislokationen durch gezielte mehrfache Botoxinjektionen in den Musculus pterygoideus la- teralis erfolgreich zu reduzieren. Seitdem sind zahlreiche ähnliche Therapie- versuche dokumentiert (Anhang 1). Zur besseren Vergleichbarkeit der Studien beziehen sich die hier dargestellten Ergebnisse nur auf den Musculus ptery- goideus lateralis. Therapieresultate weiterer Kaumuskeln wurden nicht be- rücksichtigt, auch wenn sie Teil einzelner Untersuchungen waren (Daelen et al. 1997; von Lindern 2001; Karacalar et al. 2005; Moller et al. 2007; Pons et al. 2018).

Insgesamt scheint „die isolierte Behandlung des Musculus pterygoideus late- ralis […] zeitweise rezidivierende Dislokationen […] suffizient zu verhindern“1 (Majid 2010, S. 200). Fu et al. (2010) konnte in seiner Studie beschwerdefreie Zeiträume bis zu zwei Jahren dokumentieren. Darüber hinaus registrierten Mendes und Upton (2009) sogar eine vollständige Rekonvaleszenz der Dislo- kationen. Außerdem besserte sich das Schmerzbild um drei bis vier Skalen- punkte (von Lindern 2001; Ziegler et al. 2003; Pons et al. 2018) und die Mund- öffnung erhöhte sich teilweise um bis zu 4,6 mm (Pons et al. 2018). Erste The- rapieeffekte konnten nach zehn Tagen registriert werden (Bakke et al. 2005;

Vazquez Bouso et al. 2010) und hielten durchschnittlich 6,7 Monate an (von Lindern 2001). Jedoch sind auch Totalrezidive nach Abbau des Wirkstoffs fest- zustellen (Martos-Diaz et al. 2011). Weiterhin normalisiert Botulinumtoxin den Muskeltonus für drei bis neun Monate (Moller et al. 2007) und trägt effektiv zur Reduzierung von Klickgeräuschen und Bewegungsdysfunktionen bei (Ataran 2017).

In Einzelfällen treten milde, temporäre Nebenwirkungen wie Dysphagie, Hä- matome, Artikulationsstörungen, eine temporäre Kaukraftreduktion oder ein

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2. Literatur

verringerter Bewegungsumfang auf. Keine dieser Nebenwirkungen stellt je- doch nach Ataran (2017) eine ernste Kontraindikation für diese Therapiemög- lichkeit dar. Im Durchschnitt benötigten Patienten mit habituellen Myopathien 1,7-mal weniger Injektionen für einen Therapieerfolg als Patienten mit neuro- logischen Krankheitsursachen wie z.B. Parkinson (Yoshida 2018a).

Die Untersuchungen basieren auf Fallstudien (Daelen et al. 1997; Moore und Wood 1997; Mendes und Upton 2009; Martos-Diaz et al. 2011) und größeren Studien mit Populationsgrößen von 32 Patienten mit 102 Botoxinjektionen (Yoshida 2018a). Außerdem variiert die verabreichte Dosis präparatabhängig zwischen 12,5 (Karacalar et al. 2005) und 100 Einheiten (von Lindern 2001).

Weiterhin präsentieren sich die Patientenpopulationen stark heterogen. The- rapieindikationen reichen von schmerzhaften Klickgeräuschen (Bakke et al.

2005) über Diskusdislokationen (Daelen et al. 1997) bis zu myogener CMD und Dystonien (von Lindern 2001). Häufig bestehen neurologisch bedingte Muskelhyperaktivitäten, welche auch von systemischen Krankheiten wie Par- kinson, Multipler Sklerose oder dem apallischen Syndrom (Ziegler et al. 2003;

Fu et al. 2010; Daelen et al. 1998) begleitet werden können. Lediglich Ziegler et al. (2003) und Yoshida (2018a) weisen Patienten mit habituellen Diskus- dislokationen in ihrer Patientenpopulation auf.

Die Injektionen erfolgten teilweise manuell ohne Kontrolle der Kanülenposition (Karacalar et al. 2005) oder mit Hilfe von Elektromyographie (EMG) zur Kanü- lenpositionierung (Moore und Wood 1997; Bakke et al. 2005) wohingegen die echtzeitnavigierte Injektion nur einmal angewendet wurde (Pons et al. 2018).

Hierbei erfolgte der Eingriff, ebenso wie bei Arinci et al. (2009) und Vazquez Bouso et al. (2010) in Intubationsnarkose.

Insgesamt ist Botulinumtoxin ein sehr potentes Mittel zur Behandlung hyper- aktiver Muskeln bei CMD (Schwartz und Freund 2002) und ist dabei konser- vativen Methoden, wie der Schienen- und Verhaltenstherapie oder Gabe von Antiphlogistika, nicht unterlegen (Ataran 2017).

2.2 Anatomische Grundlagen Kiefergelenk (KG)

Im Articulatio temporomandibularis artikuliert das Os temporale mit der Mandibula und ermöglicht die Bewegung des Unterkiefers für mastikatorische

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2. Literatur

und phonetische Funktionen. Dabei werden Abduktionen und Adduktionen, protrusive und retrusive Bewegungen sowie komplexe Mahlbewegungen durch Rotationen und Laterotrusionen mittels des Kiefergelenks realisiert (Schumacher 1997).

Es gliedert sich in eine Capsula, das Caput, einen Diskus und die Fossa mandibularis. Die Fossa mandibularis bildet die ossäre Gelenkpfanne und ist im anterioren Bereich mit Faserknorpel und im distalen Anteil mit Bindege- webe ausgekleidet. Sie ist circa zwei- bis dreimal so groß wie das korrespon- dierende Caput und ermöglicht dadurch zahlreiche Bewegungsfreiräume.

Ventral wird die Fossa durch das Tuberculum articulare, lateral durch den Pro- zessus zygomaticus und dorsal durch die Pars tympanica des Os temporale begrenzt (Abb. 1). Das zur Fossa passende Caput mandibulae weist eine el- liptische Form auf und unterliegt zahlreichen anatomischen Formvarianten (Schumacher 1997).

Abbildung 1: Lage und Bänder des Kiefergelenks nach Prometheus „Kopf und Neuroanatomie“ (2006) aus Stelzenmüller und Wiesner (2010)

Dem Caput und der Fossa ist der Diskus articularis zwischengeschaltet. Die- ser gleicht die Inkongruenz beider Strukturen aus und fungiert als „transpor- table Gelenkpfanne“ (Schumacher 1997, S. 368) bei Kieferbewegungen. Der bikonkav geformte Diskus besteht hauptsächlich aus Faserknorpel und ist in seiner Pars intermedia am grazilsten und gleichzeitig auch am belastungsfä- higsten (Reich und Teschke 2012). Die Pars intermedia weist nur eine Dicke von 1 bis 2 mm auf, wohingegen der ventrale Anteil mit 2 bis 3 mm und der

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2. Literatur

werden. Dorsal separiert sich der Diskus zur bilaminären Zone und weist im oberen Anteil kollagene und elastische Geflechte auf, welche in den Knochen inserieren. Die untere Zone besteht mehrheitlich aus Kollagenfasern und ei- nem lockeren, fettreichen und stark vaskularisierten retroartikulären Polster (Abb. 2) (Schumacher 1997).

Die Kapsel bildet sich aus dem Ligamentum laterale und -mediale, sie schützt das Gelenk vor übermäßigen Bewegungen und produziert die notwendige Sy- novia. Als weitere Stabilisatoren hemmen das Ligamentum sphenomandibu- lare und das Ligamentum stylomandibulare übermäßige Translationen und Protrusionen. Die ausgeprägte Innervationsdichte durch Äste des Nervus tri- geminus erklärt die differenzierte Nozi- und Propriozeption bei Dysfunktionen, Verletzungen oder Entzündungen (Schumacher 1997). In Relation zur Kau- muskulatur ist das Kiefergelenk klein und dadurch verhältnismäßig vulnerabel, obgleich eine große Anpassungsbreite vorzufinden ist (Reich und Teschke 2012). Dies bestätigt sich auch darin, dass die Kiefergelenkkapsel relativ groß- zügig gestaltet ist und dennoch bei Luxationen äußerst selten reißt (Schumacher 1997).

Abbildung 2: Schematischer Aufbau des Kiefergelenks (Stelzenmüller und Wiesner 2010)

Kaumuskulatur

Die Kaumuskulatur besteht aus sehr kräftigen gefiederten Muskeln, welche einzeln, synchron und unterschiedlich stark angesteuert werden können. Als Kieferschließer agieren der Musculus temporalis, der Musculus masseter und der Musculus pterygoideus medialis. Neben der Schwerkraft sorgt der Muscu- lus pterygoideus lateralis für eine aktive Kieferöffnung und inseriert dabei mit

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2. Literatur

seinem oberen Muskelbauch in den Pars anterior des Diskus articularis (Schumacher 1997). Zeitgleich verfügen alle Fasern des Musculus pterygo- ideus lateralis über einen (in)direkten Kontakt zum Kondylus. 40 % der Fasern zeigen jedoch keinerlei Diskusverbindung auf, weshalb eine isolierte Diskus- bewegung ohne Kondylus anatomisch ausgeschlossen ist (Schwenzer und Ehrenfeld 2000). Außerdem bestehen diverse Insertionsvarianten des Mus- kels am Caput mandibulae, wodurch die Diskusposition variieren kann (Litko et al. 2016) (Abb. 3).

Abbildung 3: Variation der Muskelsätze des Musculus pterygoideus lateralis (Litko et al. 2016)

2.3 Das Krankheitsbild der CMD

Die Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD), englischsprachig auch als Tem- poromandibular Disorder (TMD) bekannt, beschreibt ein vielseitiges Krank- heitsbild, welches durch Fehlfunktionen der Kaumuskulatur, des Kiefergelenks und seiner Begleitstrukturen definiert ist (Nidal 2016). Hierunter subsumieren sich multiple Symptome, die durch anatomische, parafunktionelle und psychi- sche Funktionsstörungen hervorgerufen werden (Stelzenmüller und Wiesner 2010), wobei jedoch ein fest definiertes Leitsymptom fehlt (Ahlers und Jakstat 2011). Dieses Krankheitsbild ist der Hauptgrund orofazialer Schmerzen nicht dentogener Ursachen (Okeson 2008).

Costen (1934) setzte erstmals Symptome wie Kopf- und Ohrenschmerzen, verursacht durch Fehlstellungen des Caput mandibulae und eine veränderte Bisslage, kausal in Verbindung mit Kiefergelenkbeschwerden. Das nach ihm benannte Costen-Syndrom findet sich grundlegend in der heutigen Definition der CMD wieder.

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2. Literatur

mit Abweichung der Physiologie zu Grunde liegt. Dysfunktionen äußern sich in Hypermobilitäten, Koordinationsstörungen, Bewegungslimitationen, intraar- tikulären Störungen und (para)funktionell bedingten Zahnschmerzen (Hugger et al. 2016).

Symptomatik

Die Symptome der CMD können sich sowohl schmerzhaft als auch schmerz- frei im und außerhalb des Craniomandibulären Systems manifestieren. Kardi- nalsymptome umfassen dabei myofaziale, dentale und artikuläre Schmerzen sowie Funktionseinschränkungen und Missempfindungen (Tab. 1).

Symptome

Allgemein Rückenschmerzen

Schlaflosigkeit Kopfschmerzen Myofazialer Schmerz Taubheitsgefühl Gliedmaßen

Oral-Dental Unklare Bisslage

Zahnlockerung und Zahnwanderung Unklare Zahnschmerzen

Keilförmige Defekte Alveolarknochenschwund

Burning-Mouth-Syndrom

Kiefer und Schmerzhafte Gelenkgeräusche

Funktion reduzierte oder seitenabweichende Mundöffnung Trismus (Kiefersperre)

Kieferklemme Gelenkhypermobilität

Cranio-Cervikal Muskelhypertrophie

Globusgefühl

Augen und Ohr Lichtempfindlichkeit

Doppelbilder Tinnitus Schwindel

Tabelle 1: Überblick einzelner Symptome der CMD (Murphy et al. 2013; GZFA;

DGFDT; Ahlers und Jakstat 2011; Scrivani et al. 2008)

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2. Literatur

2.3.1 Ätiologie der CMD

Die CMD ist ein multifaktorielles und multikausales Krankheitsbild, dessen Ätiologie komplex und größtenteils noch nicht eindeutig geklärt ist (Nidal 2016). Zur Erklärung hält sich eine Vielzahl an Theorien, welche in ihrer Kom- bination mehrheitlich als Ursachen der CMD akzeptiert werden. Darunter zäh- len insbesondere die Okklusion, die Kaumuskulatur und die individuelle Reak- tionsspezifität des Individuums (Schwenzer und Ehrenfeld 2000). Erweiternd dazu beeinflussen Co-Faktoren die Ausprägung, die Progredienz und Persis- tenz der Symptomatik (Tab. 2). Perpetuierende Faktoren haben bei der Chro- nifizierung des Krankheitsbildes eine besondere Stellung für den Therapiean- satz (Carlsson und Magnusson 2000).

Co-Faktor Untergruppe Beispiele

Prädisponierend Systemisch Gesundheitlicher Allgemeinzustand Strukturell Okklusion, Gelenkhypermobilität Psychologisch Verhalten, Persönlichkeit

Initiierend Mikro- und Makrotrauma

Überbelastung, Parafunktionen

Perpetuierend

Emotionale und soziale Probleme Stress

Hormone

Gesundheitlicher Allgemeinzustand Tabelle 2: Co-Faktoren der CMD (Carlsson et al. 2000)

Übersteigen andauernde oder intensivierende, intrinsische bzw. extrinsische Reize die physiologische Kompensationsfähigkeit, wird dies als Leiden emp- funden (Schwenzer und Ehrenfeld 2000) (Abb. 4). Hyperbalancen oder Fehl- kontakte können so retrusive Kräfte entwickeln und die intraartikuläre Kom- pensation durch Unterversorgung des Diskus negativ beeinflussen. Hingegen werden muskuläre Dysfunktionen und Dyskoordinationen durch Entzündun- gen, Verkürzungen und Myogelosen verursacht (Ahlers und Jakstat 2011).

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2. Literatur

duellen Kompensationsfähigkeit. Als passiver Okklusionstyp gilt ein physiolo- gisch häufiger Zahnkontakt mit geringer Aktivierung parodontaler Sensorik ohne erhöhte Muskelaktivität. Dagegen führen z.B. Fehlkontakte von 10 bis 20 µm beim aktiven Okklusionstypen zu einem gesteigerten Muskeltonus (Schwenzer und Ehrenfeld 2000). Bleibt die okklusale Differenz bestehen, ent- wickeln sich muskuläre Hypervalenzen mit reflektorisch neuromuskulärer Dys- koordination und Symptomen einer CMD. Zeitgleiches Auftreten weiterer Co- Faktoren begünstigen die Symptomatik (Meyer et al. 2017). Zusätzlich belas- ten fehlende dentale Stützzonen den distalen Bandapparat, welcher seine Rückstellkraft reduziert und so vermutlich Diskusdislokationen begünstigen kann (Schwenzer und Ehrenfeld 2000).

Abbildung 4: Schema Kompensationsfähigkeit (eigene Darstellung)

Darüber hinaus können unter anderem Infektionen, Traumata oder eine meta- bolische Arthritis Auslöser einer primären Kiefergelenkerkrankung sein (Schwenzer und Ehrenfeld 2000). Erschwerend dazu können auch zerebrale oder neurologische Erkrankungen, wie z.B. Multiple Sklerose (Daelen et al.

1997) oder Parkinson (Vazquez Bouso et al. 2010; Yoshida 2018a), Teil der CMD sein (Kaduk 2011). Hauptsächlich ist die CMD jedoch durch sekundäre Kiefergelenkerkrankungen wie myofazialen Schmerzen, muskuläre Dysfunkti- onen sowie Diskusdislokationen geprägt. Somit ist „die Vielschichtigkeit der Krankheitsbilder […] auf die Überschneidung mehrerer Organsysteme mit ei- ner großen Zahl von Funktionsabläufen zurückzuführen“ (Kaduk 2011, S. 6) (Abb. 5).

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2. Literatur

Abbildung 5: Zusammenhänge zwischen Muskulatur, Kiefergelenk und Okklusion bei Kiefergelenkerkrankungen (Kaduk 2011)

2.3.2 Epidemiologie

Die CMD ist eine der häufigsten Krankheitsbilder in der (zahn)ärztlichen Praxis (Dworkin et al. 1990). Jedoch unterliegen Angaben über Prävalenz und Inzi- denz auf Grund der heterogenen Patientenpopulationen und der Vielfältigkeit der Krankheit starken Schwankungen.

Die höchste Prävalenz liegt zwischen 35 und 50 Jahren, wobei fünfzigjährige Frauen die höchste Symptomdichte und -ausprägung haben (Yekkalam und Wänman 2014; Lövgren et al. 2016). Gründe dafür können eine geschlechter- spezifische Schmerzwahrnehmung und ein sensibleres Gesundheitsbewusst- sein von Frauen sein (Nidal 2016). Ab der fünften Lebensdekade fällt die Prä- valenz für beide Geschlechter ab und erreicht im 80. bis 90. Lebensjahr ein äquivalentes Level (Ahlers und Jakstat 2011).

60 % der Bevölkerung beschreiben subjektive – selbst wahrnehmbare – Symptome, wohingegen objektiv – vom Behandler – bei 90 % der Menschen Symptome festzustellen sind (Ahlers und Jakstat 2011). In der bevölkerungs- repräsentativen SHIP-Studie2 fanden sich am häufigsten Kiefergelenkknacken (20 %), Unterkieferdeviationen (18 %) und Mundöffnungseinschränkungen (9 %) sowie ebenfalls subjektive Symptome wie Kiefergelenkknacken (8,8 %)

6 sehr selten auf, da die Strukturen des Kauorgans anatomisch und funktionell verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. In der vorliegenden Arbeit wird aber in Anlehnung an die DGZMK der Begriff Cranio-Mandibuläre-Dysfunktion verwendet.

Abb. 1: Klassifizierung von Funktionsstörungen des craniomandibulären Systems

Häufige primäre Kiefergelenkerkrankungen

Arthritiden

Bei der Osteoarthritis liegt neben der degenerativen Veränderung ein entzündliches Geschehen vor. Ursächlich werden eine traumatische, eine metabolische, eine infektiöse und eine rheumatoide Form unterschieden. Nach der Verlaufsform werden die akute und die chronische Arthritis voneinander abgegrenzt. Die traumatische Ostoearthritis kann infolge eines Makrotraumas oder eines Gelenkergusses auftreten.

Die metabolische Osteoarthritis entsteht im Zusammenhang mit bestimmten Stoffwechselerkrankungen, z. B. Gicht. Bei der infektiösen Osteoarthritis handelt es sich häufig um hämatogen fortgeleitete Infektionen; Auslöser können Erreger wie

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2. Literatur

Kiefergelenkschmerzen (1,6 %) deutlich im Vordergrund steht (Türp et al.

2006).

Allerdings besteht eine starke Diskrepanz zwischen hoher Prävalenz und tat- sächlichem Behandlungsbedarf. Dies liegt an der Beschwerdefreiheit vielfach dokumentierter Befunde, welche ohne Verlust der Lebensqualität einhergehen (Ahlers und Jakstat 2011). So sehen lediglich 3,2 % der Patienten subjektiven Behandlungsbedarf – Frauen dabei viermal häufiger als Männer (Micheelis und Reich 1999). Ahlers und Jakstat (2011) sehen in Deutschland einen Be- handlungsbedarf von 3,2 % bei den 35- bis 45-Jährigen und 2,7 % bei den 65- bis 75-Jährigen.

2.3.3 Klassifikation und Diagnostik

„Nach bisherigem Stand der Wissenschaft kann eine CMD nicht vorausgesagt werden, d.h., es gibt keine Möglichkeit, mithilfe von Fragebögen oder klini- schen […] Untersuchungsverfahren eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von CMD zu bestimmen.“ (Reißmann 2019, S. 4). Gleichwohl eignen sich zahlreiche erprobte Fragebogenspezifikationen und klinische Untersu- chungen erfolgreich zum CMD-Screening.

Klassifikationen der CMD

Die umfangreiche Ätiopathogenese der CMD erschwert die Erstellung einer einheitlichen Klassifikation (LeResche et al. 1991). Durch Dworkin und LeResche (1992b) vorgestellt, von John et al. (2006) ins Deutsche übersetzt und von Schiffman et al. (2014) weiterentwickelt, etablierten sich die Research Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorder (RDC/TMD). Sie zeichnen sich vor allem durch eine standardisierte Dokumentation und eine eindeutige Arbeitsanweisung für Diagnostik und Befundinterpretation aus (Dworkin und LeResche 1992a; John et al. 2006). Klinische Untersuchungen und anamnes- tische Befunderhebung werden in der somatischen Achse I erfasst (Anhang 2). In der Achse II (Tab. 4) können mit Hilfe standardisierter Fragebögen psy- chosoziale Aspekte erhoben werden (Dworkin 2002).

Die angepasste Fassung der RDC/TMD von (Schiffman et al. 2014) – die Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorder – eignet sich als sensitives und spezifisches Screeninginstrument zur validen Klassifikation ein- facher und komplexer CMD in der Praxis (Tab. 3).

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2. Literatur

DC/TMD

I. Schmerzassoziierte Diagnosen a. Myalgie

b. Lokale Myalgie c. Myofazialer Schmerz

d. Myofazialer Schmerz mit Schmerzübertragung e. Arthralgie

f. Auf CMD zurückführbare Kopfschmerzen II. Gelenkassoziierte Diagnosen

a. Diskusverlagerung mit Reposition

b. Diskusverlagerung mit Reposition und intermittierender Kieferklemme c. Diskusverlagerung ohne Reposition mit eingeschränkter Mundöffnung d. Diskusverlagerung ohne Reposition ohne eingeschränkte Mundöffnung

e. Degenerative Kiefergelenkerkrankungen f. Subluxation

Tabelle 3: Diagnostic Criteria für die Praxis (Schiffman et al. 2014)

Zur erleichterten Behandlung chronischer Schmerzpatienten und auf Grund der unmittelbaren Zusammenhänge zwischen Muskelschmerz, Kopfschmerz und anderen CMD-Symptomen haben sich interdisziplinär die Klassifikationen der American Academy of Orofacial Pain (AAOP) und der International Head- ache Society (IHS) durchgesetzt (Evers 2004; Klasser et al. 2018). Weiterhin klassifizierte Helkimo für epidemiologische Studien einen Dysfunktionsindex, der häufig zur klinischen Einstufung der CMD genutzt wird (Helkimo 1974b).

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2. Literatur

Achse II RDC/TMD

Schmerz GCPS (Graded Chronic Pain Scale)

SES (Schmerzempfindungsskala) PDI (Pain Disability Index) Schmerzzeichnung / Schmerztagebuch Funktion JFLS (Jaw Funtion Limitation Scale)

OHIP-5 (Oral Health Impact Profile) OBC (Oral Behaviors Checklist) Stress und PSS-10 (Perceived Stress Scale) Somatisierung PHQ-15 (Patient Health Questionnaire)

Angst und PHQ-4 (Patient Health Questionnaire)

Depression B-L (Beschwerden Liste)

GAD-7 (Generalized Anxiety Disorder) HADS (Hospital Anxiety Depression Scale)

ADS (Allgemeine Depressionsskala) PHQ-9 (Patient Health Questionnaire)

Tabelle 4: Verfügbare Fragebögen für Achse II des RDC/TMD (Reißmann 2019;

Türp et al. 2006)

Diagnostische Mittel bei CMD

Der interdisziplinäre Arbeitskreis für Mund- und Gesichtsschmerzen der Deut- schen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) empfiehlt den stan- dardisierten Einsatz des RDC/TMD (Reißmann et al. 2009). Die Patienten wer- den nach einer Stufendiagnostik, gegliedert in Mindest-, Standard- und erwei- terte Diagnostik, untersucht (Türp et al. 2006) (Tab. 5).

Die Mindestdiagnostik (Stufe 1) umfasst eine detaillierte Schmerzanamnese, die klinische Befundung des Kauorgans, ein Schmerzscreening und eine Pa- noramaschichtaufnahme (PSA). Bei der Erhebung des Zahnstatus sollten die statische Okklusion, Stützzonen und Zeichen wie Attritionen und keilförmige Defekte erfasst werden. Bei wirkungsloser Initialtherapie, chronischen oder dysfunktionalen Schmerzen und einer hohen psychosozialen Belastung sollte die Mindestdiagnostik mit einer vertieften psychosozialen Diagnostik verbun- den werden (Standarddiagnostik, Stufe 2).

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2. Literatur

Darauf aufbauend steht zur erweiterten Diagnostik (Stufe 3) die instrumentelle und manuelle Funktions- und Okklusionsanalyse sowie radiologische Bildge- bungen zur Verfügung. Die manuelle Funktionsanalyse umfasst den stati- schen und dynamischen Widerstandstest, den Kompressionstest, Gelenk- spieltechniken sowie das Endgefühl aktiver und passiver Unterkieferbewegun- gen. Dadurch sollen myogene und arthrogene Pathologien differenziert wer- den, wobei es aktuell jedoch keinen Nachweis für die Validität und Reliabilität dieser Untersuchungen gibt (Türp et al. 2006). Fraglich ist außerdem, inwie- weit die hochgradig differenzierte Befundung bei der Diagnosestellung und Therapieplanung verwertbar ist (Stelzenmüller und Wiesner 2010). Dagegen stellen weiterführende statische und dynamische Muskelpalpationen eine sinnvolle Ergänzung dar (Visscher et al. 2009).

Zusätzlich kann im Rahmen der instrumentellen Funktionsanalyse eine Axio- graphie durchgeführt werden, welche den Funktionszustand und Therapiever- lauf objektivieren, jedoch keinen Schmerz detektieren kann. Weiterführend werden in der erweiterten Diagnostik Fragebögen über Lebensqualität, Schmerzverhalten, -bewältigung und -verarbeitung genutzt (Türp et al. 2006).

Achse I RDC/TMD Achse II RDC/TMD

Mindestdiagnostik Schmerzanamnese Unterkieferbeweglichkeit

Schmerzfragebogen der DGSS

Muskelpalpation GCPS

Zahnstatus Statische Okklusions-

kontrolle PSA/OPG

Standarddiagnostik Siehe Mindestdiagnostik ADS B-L

Erweiterte Diagnostik Funktionsanalyse SES

Okklusionsanalyse PDI

MRT, CT Schmerzbewältigung

Tabelle 5: Stufendiagnostik (Türp et al. 2006)

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2. Literatur

2.3.4 Therapiemethoden

„Die Behandlung der CMD kann je nach Diagnose und Chronifizierung sehr komplex sein, da sie nicht nur die Folgen einer Erkrankung im Blick haben, sondern auch die Ursachen beseitigen sollte.“ (Reißmann 2017, S. 198). Ziel- stellung aller Therapien ist die Schmerzelimination, die Wiederherstellung ei- ner physiologischen Kieferfunktion sowie der Lebensqualität einhergehend mit einer Reduktion weiterer Therapienotwendigkeiten (Nidal 2016; Ahlers und Jakstat 2011).

Die Behandlungsansätze gliedern sich in Initial-, Sekundär- und Tertiärthera- pie (Tab. 6) und sollten grundsätzlich sowohl minimalinvasiv, reversibel als auch ursachenbezogen sein (Reißmann 2017). Der Fokus richtet sich dabei auf die Initial- und Sekundärtherapie, wodurch 85 - 95 % aller CMD-Patienten erfolgreich behandelt werden können (Jung et al. 2015).

Initialtherapie Sekundärtherapie Tertiärtherapie Aufklärung Physiotherapie Okklusionsveränderungen

Selbstmanagement Schienentherapie Chirurgie

Schmerzmedikation Verhaltensformung Pharmakotherapie

Tabelle 6: Therapiestufen (Reißmann 2017)

Initialtherapie

Der chronische Schmerz „hat seine ursprüngliche Leit- und Warnfunktion ver- loren [… und es besteht] kein eindeutiger oder gar proportionaler Zusammen- hang mehr zwischen dem Schmerz und dem auslösenden Ereignis.“ (Ahlers und Jakstat 2011, S. 575). Deshalb ist die Schmerzreduktion, das Verhindern einer Schmerzchronifizierung und eines dysfunktionalen Schmerzbildes pri- märes Ziel der Initialtherapie.

Dafür muss der Patient umfassend über das Krankheitsbild aufgeklärt und mögliche Ängste wie z.B. Knackgeräusche, welche heutzutage keinen zwin- genden Interventionsbedarf mehr darstellen, müssen genommen werden (Reißmann 2017). Zusätzlich wird ein Selbstmanagement für 4 bis 6 Wochen empfohlen, wobei Bewegungsübungen, Selbstmassagen, Abstellen von Ha- bits, durchblutungsfördernde Wärmewickel oder schmerzlindernde Kältepads

(20)

2. Literatur

angewandt werden können. Weiterhin finden Analgetika systemisch oder to- pisch als Gel Anwendung (Nidal 2016; Ahlers und Jakstat 2011).

Sekundärtherapie

Physiotherapeutische Behandlungen zeigen initial immer Erfolg, da sie zur Entspannung der hyperaktiven Muskeln und zur Reduktion des Schmerzbildes beitragen. Zeitgleich werden dadurch bewegungslimitierte Gelenke mobilisiert und die neuromuskuläre Bewegungskoordination verbessert (Schwenzer und Ehrenfeld 2000). Hierfür können Thermo- und Kryotherapien sowie Massagen Anwendung finden, welche durch repetitive Durchführung im Alltag ihre Wir- kung potenzieren (Reißmann 2017). Regelmäßige Selbstmassagen können somit das Schmerzbild vergleichsweise effektiv wie eine Schienentherapie re- duzieren (Huwe 2018). Ebenso zeigt die manuelle Therapie eine hohe Wirk- samkeit bei schmerzhafter CMD (Stelzenmueller et al. 2015), wodurch 50 % - 90 % der Patienten eine signifikante Besserung verzeichnen (Young 2015). Weiterführend können bei einem gefestigteren Schmerzbild Ultraschall, Transkutane Elektronervenstimulation (TENS), Low-Level-Lasertherapie (LLLT) oder Akkupunktur angewendet werden (Reißmann 2017; Chipaila et al.

2014). Jedoch bedarf es auch hierzu noch mehr evidenzbasierter Forschung (Kato et al. 2006).

Fernab der physiotherapeutischen Methoden eignen sich teiladjustierte Re- flexschienen oder volladjustierbare Stabilisierungs- und Positionierungsschie- nen. Durch Störung der gewohnten Okklusion durchbrechen Reflexschienen (z.B. Miniplast) den neuromuskulären Regelkreis und reduzieren reflektorisch die Muskelkraft (Reißmann 2017). Bei ausgeprägtem Bruxismus, Diskusverla- gerungen und Arthrose sorgt die volladjustierte Schiene (z.B. Michigan) für eine ideale okklusale und arthrogene Positionierung (Meyer 2013). Eine Me- taanalyse hat bei der Untersuchung 33 randomisierter klinischer Studien fest- gestellt, dass die Schienentherapie das Schmerzbild, die Mundöffnung und Muskelverspannungen signifikant verbessert. Für einen schnellen Wirkungs- eintritt ist das regelmäßige Tragen der Schienen entscheidend und sichert zu-

(21)

2. Literatur

2016). Dabei besteht die Gefahr von irreversiblen Kondylusveränderungen (Moloney und Howard 1986) und Nonokklusionen (Reißmann 2017). Insge- samt sind Schienen- und Physiotherapie in ihrer Wirksamkeit vergleichbar, je- doch bestehen die Effekte der Schiene nachhaltiger (van Grootel et al. 2017).

Des Weiteren sind die Effektivität der progressiven Muskelrelaxation nach Ja- cobsen, des autogenen Trainings oder Sports zur Reduktion von schmerzaus- lösenden Noxen vielfach belegt. Bei starken Formen von Bruxismus und My- algien können unter strenger Beachtung der Nebenwirkungen systemische Muskelrelaxantien oder Antidepressiva verordnet werden (Reißmann 2017).

Tertiärtherapie

Bleiben Behandlungserfolge durch reversible Methoden aus, kann das Thera- piespektrum durch irreversible Okklusionsveränderungen, Chirurgie oder Me- dikamenteninjektionen erweitert werden. Dabei dienen das Einschleifen nicht iatrogener Störkontakte, definitiver Zahnersatz oder kieferorthopädische Inter- ventionen nicht zur kausalen Therapie oder Prävention von CMD (Reißmann 2017).

Zielstellung chirurgischer Maßnahmen ist die Kompensationsförderung und In- duktion einer Regeneration rein arthrogener Krankheitsbilder (Reich und Teschke 2012). Da sich bildgebende Befunde klinisch oftmals anders darstel- len, bietet die Arthroskopie zur Inspektion von Diskusverlagerungen, Perfora- tionen oder Adhäsionen und zur Beurteilung des Entzündungsgrades der Sy- novia einen deutlichen Vorteil (Kaduk 2015; Neff 2015). Bei gleichzeitiger La- vage kann außerdem eine manuelle Reposition des Diskus erfolgen sowie durch das Lösen von Verklebungen und das Ausspülen von Entzündungsme- diatoren die Gelenkmechanik verbessert werden (Reich und Teschke 2012).

Eine einzelne Publikation beschreibt Hyaluronsäure-Injektionen in den oberen Kiefergelenkspalt, wobei sich das Schmerzbild der Patienten teilweise um 50 % verbessern konnte (Chow und Lee 2009).

Darüber hinaus gelang es in zahlreichen Studien, durch Injektion von Botuli- numtoxin in die Kaumuskulatur eine Verbesserung der Kieferfunktion zu errei- chen und Schmerzen sowie muskuläre Hypervalenzen signifikant zu reduzie- ren (Freund et al. 2000; Sidebottom et al. 2013). Zeitgleich konnte die Ein- nahme von Schmerzmitteln deutlich gesenkt werden (Pihut et al. 2016). Eine

(22)

2. Literatur

aktuelle Metanalyse stellte bei 387 Patienten eine durchschnittliche Schmerz- reduktion von 39 % fest (Dadgardoust et al. 2019).

Botulinumtoxin kann außerdem erfolgreich bei Bruxismus eingesetzt werden (Tinastepe et al. 2015) und zeigt dabei teilweise Beschwerdelinderungen bis zu 87 % (Connelly et al. 2017). Ergänzend dazu ermöglicht Botox durch mehr- fache Injektion geringer Dosen eine dauerhafte und volumenbeständige Re- duktion hypertropher Masseteren von erst 12 % bis schließlich 40 % (von Lindern et al. 2001; Mischkowski et al. 2005). Botoxinjektionen sollten vor chi- rurgischen Interventionen Anwendung finden (Song et al. 2007) und stellen zeitgleich eine sinnvolle adjuvante Therapie mit seltenen, leichten und kurzle- bigen Nebenwirkungen dar (Mor et al. 2015). Schlussfolgernd sollte die Inter- vention mit Botulinumtoxin schon frühzeitiger im Rahmen der Sekundärthera- pie in Betracht gezogen werden.

2.4 Botulinumtoxin

Botox wird als Neurotoxin des anaeroben Bakteriums Clostridium botulinum gebildet. Die Bakterienproliferation und Toxinsynthese erfolgt unter anaero- ben, hypoxischen und salzarmen Bedingungen in einem Temperaturbereich von 4°C bis 121°C sowie einem pH-Wert von 4,5 (Sommer 2010).

2.4.1 Struktur, Wirkungen und Anwendungsbereiche Struktur

Das Exotoxin baut sich aus einer schweren und einer leichten Peptidkette auf, wobei letztere die Schlüsselrolle für die synaptische Inhibition einnimmt. Sero- logisch bestehen sieben Typen des Botulinumtoxins (Serumtyp A bis G), wel- che sich hinsichtlich ihrer Potenz, Wirkdauer und der enzymatischen intrazel- lulären Wirkung unterscheiden. Serumtyp A ist der potenteste und Typ B zeigt die längste Wirkdauer (Sommer 2010).

(23)

2. Literatur

Wirkungsmechanismus, Effekte und Nebenwirkungen

Unmittelbar nach iatrogener Injektion oder unbewusster oraler Ingestion be- ginnen die Wechselwirkungen an peripheren Nervenendigungen cholinerger Synapsen. Über die schwere Kette erfolgt eine selektive und irreversible Ad- häsion (Bindungsphase) an der präsynaptischen Membran. In der anschlie- ßenden Internalisationsphase kommt es zur rezeptorvermittelten Phagozytose und endosomalen Aufnahme. Das saure Milieu des Endosoms initialisiert eine Konformationsänderung des Toxins und die leichte Kette (L-Kette) wird zurück ins Zytosol geschleust. Die nun solitäre L-Kette wird proteolytisch aktiviert, wo- bei die daraus differenzierten Serotypen unterschiedliche Strukturen der vesi- kulären Exozytose von Acetylcholin (ACh) inhibieren. Es kommt zur Spaltung der Fusionsproteine SNARE3, SNAP-254, VAMP5 sowie Synaptobrevin und Syntaxin (Abb. 6). Die Exozytose des Neurotransmitters ACh wird inhibiert und die Synapse ist chemisch denerviert (Sommer 2010; Stelzenmüller und Wiesner 2010).

Abbildung 6: Wirkungsmechanismus von Botulinumtoxin an der Synapse nach Naumann (1988) aus Stelzenmüller und Wiesner (2010)

Zusätzlich inhibiert Botox die Sekretion von Entzündungsmediatoren wie Glu- tamat, Substanz P, CGRP6 und Noradrenalin, welche in den peripheren und

3 soluble N-ethyl-maleimide sensitive factor attachment protein receptor

4 synaptosomal assoziiertes Protein 25

5 Vesikel assoziierte Membran-Protein

6 Calcitonin gene-related peptide

(24)

2. Literatur

zentralen Prozess des Schmerzes involviert sind (Dressler 2006). Die irrever- sible Bindung von Botulinumtoxin wird nach 10 bis 12 Wochen durch Aus- sprossung neuer Axone (Sprouting), Neubildung von ACh-Rezeptoren sowie allen Fusionsproteinen und letztendlich durch den Abbau der L-Ketten des Neurotoxins gestoppt. Anschließend ist die Synapse regulär transmissionsfä- hig (Sommer 2010; Stelzenmüller und Wiesner 2010).

Mit beginnender Denervation der motorischen Einheiten kommt es an der Ske- lettmuskulatur zu einer partiellen Parese und an der viszeralen Muskulatur zu einer Atonie. Die Aktivität hypertoner Muskeln wird normalisiert und es resul- tiert eine vaskuläre Dekompression. Reflektorisch steigt die Perfusion und der Muskelmetabolismus wird verbessert, wodurch degenerative Prozesse ver- langsamt werden. Weiterhin sollen sich muskuläre Propriozeptoren und der Muskelspindelapparat neu kalibrieren können (Stelzenmüller und Wiesner 2010).

Als Nebenwirkungen kann es zu lokalen Schmerzen, Hämatomen und Dys- phagien bis hin zu einer ungewollten Parese benachbarter Gewebe kommen (Sommer 2010). Mit steigendem Injektionsvolumen und -druck sowie steigen- der Injektionsdosis erhöht sich die Gefahr der hämatogenen Infiltration und ungewollten Lähmung benachbarter Strukturen (Pirazzini et al. 2017). Klini- sche Studien erfassten bei Botoxinjektionen nur zu 25 % moderate kurzzeitige Nebenwirkungen wie lokale Schmerzen, wobei gleichzeitig auch 15 % der Pla- cebogruppe dieselben Nebenwirkungen registrierten (Naumann und Jankovic 2004).

Indikationen und Kontraindikationen

Das Anwendungsspektrum ist vielseitig und umfasst neurologische, motori- sche und kosmetische Indikationen (Tab. 7). Als Kontraindikationen gelten ge- neralisierte Störungen des Muskeltonus (z.B. Myasthenia gravis), Unverträg- lichkeiten des Wirkstoffs sowie Infektionen im Zielgebiet oder Schwanger- schaft. Ferner sollte keine Botulimtoxintherapie erfolgen, wenn vor weniger als drei Tagen Aminoglykosid-Antibiotika eingenommen wurden (Sommer 2010).

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2. Literatur

Indikationen

Dystonie Blepharospasmus

Oromandibuläre Dystonie Zervikale Dystonie

Schmerzen

Spannungskopfschmerz Rückenschmerzen Trigeminusneuralgie

Migräne CMD

Viszeral Idiopathische Blasenhyperaktivität Harnretention Motorische

Störungen

Hemifazialer Spasmus Arten des Tremors

Tics und Spastiken Bruxismus Kosmetisch Alle Arten mimischer Falten

Facial Shaping

Dekolleté Gummy-Smile

Vegetativ Hypersalivation Hyperhidrosis

Tabelle 7: Einblick in das Anwendungsspektrum von Botulinumtoxin (Sommer 2010;

Pirazzini et al. 2017; Polo 2008)

2.4.2 Präparate und Dosis

Zum Vergleich der unterschiedlichen Wirkungen der Serotypen wird die Medi- kamentenpotenz in Einheiten (E) bzw. Mouse Units (MU) angegeben. Als Re- ferenz gilt die Letale Dosis (LD), mit welcher 50 % einer Gruppe von Swiss- Webster-Mäusen zwischen 18 bis 20 g Körpergewicht getötet werden können (Sommer 2010). Es folgt: 1 E = LD50 = 1 MU.

Die rechnerisch letale Dosis beim Menschen wird auf 5000 Allerganeinheiten kalkuliert – ergo 50 Ampullen mit einer Gesamtwirkstoffmenge von 2000 ng (0,002 mg). Das entspricht dem 12,5-fachen der Höchstdosis bei einer Spas- tiktherapie. Die Gefahr einer versehentlichen Überdosierung ist somit marginal (Sommer 2010).

Gängige Präparate weisen Unterschiede in Potenz (Tab. 8), Wirkungseintritt (Abb. 7) und Wirkungsdauer (Abb. 8) auf. So zeigt Dsyport® mit 2,5 Einheiten pro MU eine geringere Potenz und Xeomin® zeigt den schnellsten Wirkungs- eintritt. Im Mittel wirken alle Präparate circa 4 bis 5 Monate (Rappl et al. 2013).

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2. Literatur

Tabelle 8: Verfügbare Serumtyp A Botoxpräparate (FDA = Food and Drug Administ- ration) (Brin et al. 2014; Majid 2010; Merz Pharma; Ipsen Pharma; Allergan Pharma)

Abbildung 7: Nichteintreten der Wirkung unterschiedlicher Serumtyp A Botoxpräparate; A weiblich, B männlich (Rappl et al. 2013)

Abbildung 8: Wirkungsdauer unterschiedlicher Serumtyp A Botoxpräparate;

A weiblich, B männlich (Rappl et al. 2013)

Hersteller International Europäisch FDA Dosis in E

Allergan Botox® Vistabel®

Vistabex® OnabotulinumtoxinA 1 Ipsen Dysport® Azzalure® AbobotulinumtoxinA 2,5

Merz Xeomin® Bocouture® IncobotulinumtoxinA 1

Lanzhou Prosigne® - - 1

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2. Literatur

das Vorhandensein aktiver und inaktiver Toxinmoleküle, welche dem Körper als Antigene präsentiert werden und deren Relation als spezifische biologische Aktivität (SBA) definiert ist. Je geringer der Anteil an inaktiven Molekülen, desto höher ist die SBA und desto geringer die Antigenität (Tab. 9). Die Gefahr des Therapieversagens reduziert sich ebenfalls bei Injektionsintervallen von minimal zwölf Wochen (Dressler 2008). Aktuell ist Xeomin® das einzige pro- teinkomplexfreie Präparat (Frevert 2009).

Produkt SBA (E pro ng Toxin)

Botox® 60

Dysport® 100

Xeomin® 167

Tabelle 9: Spezifische biologische Aktivität ausgewählter Serumtyp A Botoxpräparate (Dressler 2008)

Sogenannte Boost-Injektionen7 triggern die Antikörperbildung ebenso wie hohe Anfangsdosen oder wiederholtes Injizieren zur Definition einer passen- den Therapiedosis und sollten deshalb gemieden werden (Dressler und Saberi 2017). Ein bestehender Antikörpertiter sinkt nach zwei bis drei Jahren so un- terschwellig, dass eine erneute Injektion Wirkung zeigen kann. Alternativ kann bei akuten Beschwerden die Therapiedosis massiv erhöht (Sommer 2010) o- der auf Botulinumtoxin Typ B zurückgegriffen werden (Dressler 2006).

2.5 Die chirurgische Echtzeit-Navigation

2.5.1 Definition und Entwicklung

Die chirurgische computergestützte Echtzeitnavigation umfasst die digitale präoperative Verfahrensplanung sowie die intraoperative Navigation inklusive der Bildgebung. Sie ist besonders in der Tumorchirurgie, bei posttraumati- schen Revisionen, plastischen Rekonstruktionen, Injektionen und multiplen Bi- opsien sowie endoskopischer Chirurgie hilfreich. Durch die sichere Kombina-

7 Injektionsabstand kleiner gleich 2 Wochen

(28)

2. Literatur

tion visueller intraoperativer Befunde mit der Bildgebung können Fehlpositio- nierungen der Instrumente und Verletzungen vitaler Strukturen, insbesondere bei posttraumatisch oder tumorös veränderter Anatomie, vermieden werden.

Zusätzlich erhöht sich die Aussagekraft invasiver diagnostischer Untersuchun- gen (Schwenzer und Ehrenfeld 2011).

Den Ursprung der modernen intraoperativen Navigation legte der Chirurg Spiegel (1947) mit stereotaktischen Eingriffen auf Grundlage des Atlas der Stereotaxie. Durch den späteren Einzug von CT und MRT wurden 1987 erst- mals 3D-Rekonstruktionen möglich und das Feld für rahmenlose Stereotaxie durch erste neuronavigierte Operationen wurde eröffnet (Watanabe et al.

1987). Mit Hilfe elektromagnetischer und ultraschallbasierter Navigationshilfen konnten erstmals Positionierungsgenauigkeiten der Instrumente von 2 bis 4 mm erzielt werden. Die Reliabilität dieses Verfahrens war jedoch auf Grund von Interferenzen zu ungenau (Schramm et al. 2007).

Das Operationsspektrum erweiterte sich erst durch die Einführung von opti- schen und infrarotbasierten Systemen, welche den heutigen Standard darstel- len (Hassfeld und Muhling 2001). 1994 erfolgte erstmals die mechanisch un- terstützte Navigation bei Tumorresektionen an der Schädelbasis und 1995 das navigierte dentale Implantieren (Schramm et al. 2007).

Für das Segment der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie finden die Template- Guided Navigation (TGN) und die Echtzeitnavigation (real time navigation) An- wendung. Bis auf die Navigation bei dentalen Implantationen konnte sich die TGN durch CAD/CAM gefräste Bohrschablonen nicht durchsetzen, da sie we- nig Flexibilität hinsichtlich kurzfristiger Änderungen des Operationssitus bietet.

Diese Flexibilität ist bei der Echtzeitnavigation gegeben, sodass sie für die meisten Operationen zur Anwendung kommt (Kaduk et al. 2013).

2.5.2 Aufbau operativer Navigationssysteme

Moderne Navigationssysteme bestehen heutzutage grundsätzlich aus einem Detektierungssystem (z.B. Infrarotkamera), einem Computer mit spezieller Na- vigationssoftware und einem interaktiven Display (Kaduk et al. 2013) (Abb. 9).

(29)

2. Literatur

Abbildung 9: Navigationsplattform CurveTM Image Guided Surgery (Brainlab AG)

Für die Realisierung einer „exakten geometrischen Situation des normalen und pathologischen Gewebes“8 (Kaduk et al. 2013, S. 318) erstellt die Navigations- software mit Hilfe der Data-Fusion-Technique ein detailgetreues 3D-Modell des Patienten aus den jeweils vorhanden Bildgebungsdaten (DVT, CT- und MRT-Daten) im DICOM-Format. Dabei liefern DVT und CT die präzisesten Daten, wohingegen es beim MRT zu Volumenverzerrungen kommen kann.

Mithilfe des interaktiven tracking-system wird das Matchen des digitalen Pla- nungsmodells mit dem Operationssitus inklusive der Registrierung der Instru- mente ermöglicht. Herstellerspezifisch funktioniert das System via infrarot, op- tisch, elektromagnetisch oder kombiniert optisch-elektromagnetisch (Kaduk et al. 2013).

Mit Hilfe eines Dynamic Reference Frames (DRF), welcher am Patienten in- vasiv bzw. noninvasiv befestigt ist, können Lageveränderungen des Situs durch das tracking-system detektiert werden. Zur invasiven Fixation haben sich in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie kleine Osteosyntheseschrauben und in der Neurochirurgie die Mayfield-Klemme etabliert. Als noninvasive Me- thoden stehen Schienen, Klebepads oder ein Headset zur Verfügung (Schramm et al. 2007).

Die Firma Brainlab stellt mit den Produkten Z-touch® und Softtouch® eine suf- fiziente Kombination noninvasiver Registrierungsmöglichkeiten zur Verfügung

8 “[…] reproduces the exact geometric situation of the normal and pathologic tissues.” (Kaduk, 2013, S. 318).

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2. Literatur

(Abb. 10). Softtouch®registriert via Kontakt von mindestens drei prominenten Oberflächenpartien unterschiedlicher Ebenen (z.B. Nasenwurzel, Augenwin- kel) den Situs. Dagegen agiert Z-Touch® via LASER kontaktlos und scannt eine vorgegebene faziale Oberfläche des Operationsfeldes. Die Kombination beider Verfahren ermöglicht das sichere Zusammenführen der digitalen mit den realen Patientendaten (Lorenz et al. 2006).

Abbildung 10: Noninvasive Registrierung Z-Touch® (links) und Softtouch® (rechts) (Brainlab AG)

Mit Beendigung des Registrierungsprozesses kooperieren das tracking-system, die kalibrierten Instrumente, der DRF und die verarbeitende Software für den Patienten individuell miteinander. Somit können „alle starren Instrumente wie ein Bohrer, ein Meißel oder ein Endoskop“ (Schramm et al.

2007, S. 9) und natürlich auch eine Injektionskanüle wie bei der Botulinumto- xininjektion sicher navigiert werden.

(31)

3. Material und Methoden

3. Material und Methoden

3.1 Patientenpopulation

167 Patienten, die ab 2012 die Kiefergelenksprechstunde der Klinik und Poli- klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universitätsklinik Greifswald aufsuchten, wurde auf Grund einer diagnostizierten Kiefergelenkmyopathie mit habituellen Diskusdislokationen eine Botulinumtoxininjektion in den Mus- culus pterygoideus lateralis zu Behandlung angeboten.

Gegen die Botoxtherapie entschieden sich 144 Patienten. Nur 23 Patienten entschieden sich für die navigierte Botoxinjektion, was 13,7 % aller in der Kie- fergelenksprechstunde behandelten Patienten entspricht. Alle 23 Patienten er- hielten bei der Erstbehandlung 25 Einheiten Bocouture® pro Musculus ptery- goideus lateralis. Bei vier Patienten fanden sich Abweichungen und es wurde auf Grund des Beschwerdebildes zusätzlich der Musculus masseter therapiert bzw. der Patient erhielt durch seine Krankenkasse ausnahmsweise ein ande- res Präparat bezuschusst (Tab. 10). Bei Patient Nr. 12 erfolgte angesichts ei- ner vier Monate späteren Dysgnathieoperation zusätzlich die Botoxinjektion in den Musculus masseter, um einem forcierten Pressen und anderen Parafunk- tionen protektiv entgegenzuwirken.

Insgesamt wurden bis zum Abschluss der Patientenakquise Ende 2019 54 Botoxinjektionen bei 23 Patienten durchgeführt. Vier dieser Patienten wie- derholten nach durchschnittlich 14,5 Monaten die Therapie.

Patient Dosis in E pro

M. pterygoideus lateralis Zusatz

Nr. 2 50 Bei zweiter Injektion

Nr. 12 25, Vistabel® 25 MU pro M. masseter beidseits

Nr. 13 40 20 MU in den M. masseter rechts

Nr. 18 50 Keine Studienteilnahme

Tabelle 10: Abweichende Medikamentendosen

Alle Patienten wurden um eine Vorstellung zur Nachuntersuchung gebeten.

Für die Studienuntersuchung stellten sich schlussendlich von den 23 mit Bo- tulinumtoxin therapierten Patienten 17 als sogenannte Injektionsgruppe zur

(32)

3. Material und Methoden

Verfügung. Davon waren zwölf Patienten zur Teilnahme an der klinischen Un- tersuchung inklusive des Fragebogens und fünf Patienten nur zur Beantwor- tung des Fragebogens bereit (Tab. 11).

Von den 144 Patienten, welche keine Botoxtherapie in Anspruch genommen hatten, waren 18 Patienten bereit, als Kontrollgruppe an der Untersuchung in- klusive des Fragebogens teilzunehmen (Tab. 12).

Entfernung in Km

Teilnahme vollständig Nur Fragebogen Absage

n % n % n %

< 10 - - - - - -

10 – 50 3 25 - - 1 16

50 – 100 5 42 3 60 1 16

> 100 4 33 2 40 4 67

Anteil von

Population n=23 12 52 5 22 6 26

Tabelle 11: Anreiseweg und Patientenanzahl der Injektionsgruppe (Prozent gerundet)

Entfernung in Km

Teilnahme Absage

n % n %

< 10 4 22 10 8

10 – 50 5 28 21 17

50 – 100 9 50 58 46

> 100 0 0 37 29

Anteil von Population n=144 18 12 126 88

Tabelle 12: Anreiseweg und Patientenanzahl der Kontrollgruppe (Prozent gerundet)

Gründe für die Nichtteilnahme am Studienverfahren waren eine fehlgeschla- gene Kontaktaufnahme (12-mal, 9 %), Ableben (4-mal, 3 %), weite Anfahrts- wege (92-mal, 70 %) oder eine Ablehnung der Nachkontrolle (24-mal, 18 %).

Diese Ablehnung wurde mit zu geringen Beschwerden (11-mal), einem fehlen- den persönlichen Mehrwert (3-mal) oder durch allgemein negative ärztliche

(33)

3. Material und Methoden

Hinzuzufügen ist, dass zwei Patienten der Injektionsgruppe (Nr. 1 und Nr. 4) sich während der laufenden Studie für eine erneute Botoxinjektion entschie- den. Die komplette Studienuntersuchung erfolgte hierbei zweimal. Alle weite- ren Patienten nahmen erst nach dem Abschluss ihrer Therapie an der Studie teil.

Das Durchschnittsalter der Injektionsgruppe lag bei 53,6 Jahren (±13 Jahre) und 88,2 % waren Frauen. In der Kontrollgruppe waren 77,7 % weiblich und das mittlere Alter lag bei 52,3 Jahren (±12 Jahre). Die Patienten beider Grup- pen waren also mehrheitlich weiblich (Abb. 11).

Abbildung 11: Geschlechterverteilung der Patienten

3.2 Methode der echtzeitnavigierten Botulinumtoxininjektion Die Medikamenteninjektion erfolgte in den Musculus pterygoideus lateralis beidseits. Bei dieser Therapie handelt es sich um eine Selbstzahlerleistung.

Zur exakten Navigation wurde für jeden Patienten eine navigierbare MRT-Bild- gebung beider Kiefergelenke angefertigt.

Präparate und Vorgehen bei der navigierten Botoxinjektion

Die Botulinumtoxininjektion erfolgte am liegenden Patienten nach erfolgreicher Einrichtung des Navigationssystem Vector Vision® (Fa. Brainlab) durch navi- gierte Punktion von der jeweiligen präaurikulären extraoralen Wangenseite.

Zur exakten Kalibrierung wurden Softtouch® und Z-touch®(Abb. 12) angewen- det und abschließend eine Lagekontrolle der Instrumente an markanten Kno- chenpunkten durchgeführt.

15 14

2 4

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

Injektionsgruppe Kontrollgruppe

Patientenanzahl

männlich weiblich

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3. Material und Methoden

Navigationsungenauigkeiten wurden durch das Einlesen einer Luer-Spritze mit einer standardisierten Kalibrierungsnadel (Abb. 13), längenidentisch mit der Injektionskanüle, ausgeschlossen. Auf Wunsch erhielten die Patienten vor der Botoxinjektion eine subkutane Lokalanästhesie mit 0,5 ml Xylocitin 2 %.

Abbildung 13: Navigationsfähige Luer-Spritze mit Referenzkanüle

Mittels Echtzeitnavigation wurden je Musculus pterygoideus lateralis drei gleichgroße Medikamentendepots á 0,5 ml = 8,3 Einheiten Botulinumtoxin am Muskelansatz, -ursprung und in der Muskelbauchmitte gesetzt (Abb. 14). Ins- gesamt wurden je Muskel 1,5 ml Botulinumtoxinsuspension = 25 Einheiten in- jiziert.

Abbildung 12: Anordnung Echtzeitnavigation (links) und Patientenregistrierung (rechts)

(35)

3. Material und Methoden

Abbildung 14: Injektion des Botulinumtoxins in den Musculus pterygoideus lateralis (links) und Kontrolle durch die Echtzeitnavigation (rechts)

3.3 Untersuchungsmethoden

Die Untersuchungen erfolgten retrospektiv mit Hilfe zweier selbst entwickelter Fragebögen und nach den Research Diagnostic Criteria for Temporomandibu- lar Disorder (RDC/TMD) sowie mit Hilfe des Helkimo-Index.

3.3.1 Fragebögen

Zur spezifischen Therapieevaluation wurde ein Fragebogen für die Injektions- gruppe sowie ein Fragebogen für die Kontrollgruppe entwickelt (Anhang 4, 5).

Zu Beginn wurde ein Gegenstandskatalog erstellt, der sich an anderen klini- schen Studien sowie den ätiologischen Eckpunkten des Krankheitsbildes ori- entierte. Hieraus wurden anschließend die Fragebögen generiert.

In beiden Fragebögen wurden soziodemographische Merkmale wie Alter und Geschlecht erfasst. Es wurde erfragt, welche Therapien der Patient im Rah- men seiner Kiefergelenkbehandlung erhalten hat, wie wirksam er diese ein- stuft und welche Zuzahlungen geleistet wurden. Weiterhin wurde aufgenom- men, wie ausgeprägt die Symptome waren, wie risikoreich der Patient die Be- handlung mit Botulinumtoxin einstuft und welche Gründe im Falle einer Thera- pieablehnung ausschlaggebend waren. Erweiternd dazu umfasste der Frage- bogen für die Injektionsgruppe eine Bewertung des Beschwerdebildes vor, während und nach der Behandlung. Der Wirkungsverlauf des Medikamentes,

(36)

3. Material und Methoden

die Fähigkeit die Kaumuskulatur zu entspannen, Veränderungen bei der Kau- kraft sowie der Mundöffnung und potentielle Nebenwirkungen wurden eben- falls erfasst.

Die Fragen wurden mit Hilfe von visuellen Analogskalen (VAS), Single- und Multiple-Choice-Fragen oder über die Möglichkeit einer Freitexteingabe beant- wortet. VAS erlauben ein nachvollziehbares, objektives und valides Darstellen subjektiver Empfindungsänderungen (Schomacher 2008). Die Skalen wurden an ihren Extrempunkten beschriftet und der Befragte konnte seine Antwort in Abstufungen von 0 % bis 100 % angeben. Beschriftungen der Skalen lauteten:

trifft nicht zu – trifft voll zu; keine Beschwerden – starke Beschwerden; nicht wirksam – sehr gut wirksam; unverändert wirksam – besser wirksam.

Antwortmöglichkeiten im Freitext fanden insbesondere bei Fragen zur Thera- pieentscheidung bzw. -ablehnung Anwendung, da hier unvorhersehbare Ant- worten zu erwarten waren. Es bestand keine Begrenzung der Zeichenzahl. Für alle Fragen bestand eine Filterführung, sodass die Fragen zielgruppenspezi- fisch angezeigt wurden.

Die Beantwortung des Fragebogens war innerhalb von zehn bis zwanzig Mi- nuten möglich. Jedem Patienten war es gestattet Fragen zum Inhalt und Ver- ständnis zu stellen.

3.3.2 Klinische Untersuchung

Die Funktionsuntersuchung wurde nach dem Helkimo-Index und den Rese- arch Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorder (RDC/TMD) durch- geführt. Dafür wurden die Mundöffnung, die Unterkiefermobilität und die Be- wegungsformen des Unterkiefers inklusive des Vorhandenseins von Schmerz bei allen Bewegungen erfasst. Weiterhin wurden Palpationsschmerzen der Kaumuskulatur und der Kiefergelenke sowie deren Geräuschausprägungen dokumentiert. Ferner erfolgte eine Bissklassifizierung nach Angle. Die Mes- sungen erfolgten mit einer Messlehre oder einer Parodontalsonde.

Mundöffnung

(37)

3. Material und Methoden

Abbildung 15: Messung Overbite

b) Schneidekantendifferenz aktiv (SKDa)

Die SKDa ergibt sich aus der Summe der SKD und dem Overbite bei maxima- ler Mundöffnung. Die SKDa wird dabei durch Muskel- und Bänderspannung limitiert und zwischen den Inzisalkanten der orthogonal zueinanderstehenden Frontzähne gemessen (Abb. 16).

Abbildung 16: Messung SKDa

c) Schneidekantendifferenz passiv (SKDp)

Es erfolgte eine mäßige Dehnung des Unterkiefers mit den Fingern zwischen den Inzisalkanten und eine Vergrößerung der Mundöffnung bis zur Maximalen SKD. Dabei wird die Bänder- und Muskelspannung überwunden.

(38)

3. Material und Methoden

Unterkiefermobilität

Dem Patienten wurden alle Kieferbewegungen erklärt und gezeigt. Es wurde die Möglichkeit gegeben, die Bewegungen einige Male zu üben, sodass eine suffiziente Messung erfolgen konnte.

a) Overjet (horizontaler Überbiss)

Der Overjet ist die Distanz, mit welcher die mittleren oberen die mittleren un- teren Inzisiven bei habitueller Interkuspidation sagittal überragen. Die Mes- sung erfolgte zwischen der Inzisalkante der mittleren oberen Inzisiven und der vestibulären Fläche der unteren Inzisiven (Abb. 17).

Abbildung 17: Messung Overjet

b) Protrusion

Unter gleitendem Zahnkontakt wird der Unterkiefer so weit wie möglich nach ventral geschoben und der Abstand der lingualen Fläche der Unterkiefer Inzi- siven zu der vestibulären Fläche der Oberkiefer Inzisiven gemessen. Overjet plus Messung ergeben die reale Protrusion (Abb. 18).

(39)

3. Material und Methoden

c) Rechts- und Linkslaterotrusion

Unter gleitendem Zahnkontakt wird der Unterkiefer so weit wie möglich nach rechts bzw. links geschoben. Gemessen wurde der Abstand zwischen den Mit- tellinien bzw. der angezeichneten Mittellinie (Abb. 19).

Abbildung 19: Messung Laterotrusion

d) Bewegungsasymmetrien

Der Patient öffnet und schließt seinen Mund repetitiv. Bewegungsasym- metrien wurden wie folgt untersucht:

I. Keine Abweichung: gleichmäßige, geradlinige Öffnung

II. Deviation: S-förmige Asymmetrie, Abweichung der Mittellinie mit Rück- kehr des Unterkiefers in die Medianebene

III. Deflektion: Asymmetrie, Abweichung der Mittellinie ohne Rückkehr des Unterkiefers in die Medianebene

IV. weitere Asymmetrien: ein anderes nicht näher beschriebenes Bewe- gungsmuster oder ein schlagartiges Mundöffnen

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