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Literatur Kultur Geschlecht

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Literatur – Kultur – Geschlecht

Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte

Herausgegeben von

Anne-Kathrin Reulecke und Ulrike Vedder

in Verbindung mit Inge Stephan und Sigrid Weigel

Band 71

ISBN Print: 9783412509200 — ISBN E-Book: 9783412513054

© 2018 Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln, Weimar

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Sebastian Zilles

Die Schulen der Männlichkeit

Männerbünde in Wissenschaft und Literatur um 1900

2018

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

ISBN Print: 9783412509200 — ISBN E-Book: 9783412513054

© 2018 Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln, Weimar

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung:

Fidus, Spatenwacht (1930). © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

© 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Lindenstraße 14, D-50674 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.

Korrektorat: Dore Wilken, Freiburg i. Br.

Satz: büro mn, Bielefeld Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung

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Inhalt

Danksagung ... 11

1. Einleitung: Ziele, Methode, Textkorpus ... 13

2. „This is a man’s world“ – ein Forschungsüberblick: Themen, Theorien und Personen ... 21

Die Entdeckung des Mannes: Masculinity Studies/ Männlichkeitsforschung ... 22

Anglo-amerikanischer Raum ... 22

Deutschsprachiger Raum ... 27

Gender und Erzähltheorie ... 31

Eine gender-orientierte Erzähltheorie ... 31

Männlichkeit als narrative Struktur ... 35

Unter Männern: Zum Forschungsstand über Männerbünde ... 39

3. HIStory – Lektüren von Männerbünden und Männlichkeitskonfigurationen um 1900 ... 47

Das Geschlecht der Geschichte, die Geschichte des Geschlechts ... 51

Geschlechterkonzeptionen von der Antike bis zur Moderne ... 54

Aufrüstungsmomente: Geschlechterkampf und soldatische Männlichkeit ... 59

Zur Krise der Männlichkeit um 1900 ... 62

Verborgene Geschichten der Männlichkeit in Bachofens Das Mutterrecht (1861) ... 68

Bachofens triadisches Geschichtsmodell ... 68

Gendering Water – Männlichkeit und ihre symbolischen Zuschreibungen ... 74

Rezeption und Weiterbearbeitung nach 1900 ... 82

Männerbünde als Träger höherer Entwicklung – Schurtz’ Altersklassen und Männerbünde (1902) ... 89

Schurtz contra Bachofen ... 89

Funktion und Bedeutung männlicher Initiationsriten ... 96

Zum Germanenkult in der Nachfolge Schurtz’ ... 102

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„Wer im Bunde ist, kann nicht sinken“. Zu Blühers Schriften ... 109

Die Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen ... 109

Blühers Doppelband Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft (1917/19) ... 123

Exkurs: Antisemitische Argumentationsstränge bei Blüher und Weininger ... 133

Der Bund als Kategorie der Soziologie: Schmalenbachs (Männer-)Bundmodell ... 137

Ergriffen vom Bunde ... 138

Bund ohne Gender ... 140

Der Weg in den Abgrund: Baeumlers Männerbund und Wissenschaft (1934) ... 144

Der Bund als „Lebenssystem“ und seine Feinde ... 145

Maskulinistische Männlichkeit ... 148

Fazit ... 150

4. Gemachte Männer. Theoretische Überlegungen zur Textanalyse ... 155

5. Hinter Internatstoren. Musils Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906) ... 163

Orte, Räume und Bewegungen ... 167

Der Weg zum Institut: Bahnhof, Konditorei und Božena ... 167

Disziplinierte Körper: Zur Ausbildung im Konvikt ... 180

Zwischen Versteck und Raum der Strafe: Die rote Kammer ... 189

„Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte“ ... 195

Tyrannen: Reiting und Beineberg ... 196

Verworfene Männlichkeit: Zur Figur des Basini ... 205

Zwischen Begeisterung und Kritik: Törleß’ Distanzierung vom Institut ... 213

6. Heinrich und Thomas Manns Burschen. Zu den Studentenverbindungen in Heinrich Manns Roman Der Untertan (1914/18) und Thomas Manns Roman Doktor Faustus (1947) ... 221

„Diederich Heßling war ein weiches Kind“ – Bemerkungen zum Romanbeginn ... 226

Heßlings autoritärer Charakter ... 227

Die „Erziehung zu Mannhaftigkeit und Idealismus“ ... 234

Tauglichkeitsproben ... 247

Inhalt 6

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Die Reifeprüfung: Diederich zwischen Männerbund und Familie ... 254

Netze in Netzig ... 258

Höhenflug und Tiefpunkt ... 259

Von der Peripherie ins Zentrum der Macht – Heßlings endgültiger Aufstieg ... 272

Die Macht des Bundes – Der christliche Winfried-Bund im Roman Doktor Faustus ... 279

„Schlafstroh“ – Das Studentengespräch und seine Folgen ... 281

Durchbruchsmomente – Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ... 295

7. Die Akademie der Menschenverachtung. Militärische Männlichkeit in Werfels Novelle Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig (1919) ... 303

„Nein! Ich war nicht zum Soldaten geboren“ ... 308

Militärische Männlichkeit ... 309

Zerstörte Nerven ... 316

Vatermorde und physische Formen von Gewalt ... 322

Gewaltsame Durchbrechung der Familientradition ... 323

Bewaffnete Erzengel – der anarchistische Geheimbund ... 327

8. Fazit: Die Lehren der Schulen der Männlichkeit ... 335

Siglen- und Literaturverzeichnis ... 341

Siglen ... 341

Primärliteratur ... 342

Sekundärliteratur ... 345

Internetquellen ... 374

Register ... 375

Inhalt 7

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Meinen Großeltern Friedel und Helene Zilles, geb. Hahl.

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Danksagung

Die vorliegende Untersuchung wurde am Seminar für Deutsche Philologie der Uni- versität Mannheim verfasst und im Sommer 2016 von der Philosophischen Fakultät als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde die Arbeit formal durchgesehen und redaktionell leicht überarbeitet.

Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Jochen Hörisch, gebührt Dank für seine Unterstützung, seinen Zuspruch, sein Vertrauen in das Projekt und seine Förderung.

Herrn Prof. Dr. Thomas Wortmann danke ich nicht nur herzlich für die Erstellung des Zweitgutachtens, sondern besonders für seine Betreuung, seine Unterstützung und Motivation. Bei den Mitgliedern der Prüfungskommission, Frau Prof. Dr.

Katharina Philipowski, Herrn Prof. Dr. Reiner Wild und Herrn Prof. Dr. Gregor Schuhen (Siegen), möchte ich mich ebenfalls ganz herzlich bedanken. Viele Kollegen haben das Entstehen der Arbeit auf unterschiedliche Weise begleitet, sich geduldig, helfend und motivierend auf Auseinandersetzungen zum Arbeitsstand eingelassen.

Aus diesem Personenkreis möchte ich besonders Dr. Hannah Dingeldein, Dr. Carrie Khou und Prof. Dr. Andrea Bartl (Bamberg) meinen Dank aussprechen.

Dank der Fürsprache von Frau Prof. Dr. Ulrike Vedder (Berlin) und Frau Prof.

Dr. Ann- Kathrin Reulecke (Graz) konnte die Arbeit in der Reihe Literatur – Kultur – Geschlecht erscheinen. Herrn Harald Liehr vom Böhlau Verlag gilt mein aufrichtiger Dank für seine umsichtige Betreuung und stete Hilfsbereitschaft. Frau Dore Wilken danke ich für ihr gründliches Lektorat.

Mein besonderer Dank gilt meiner Mutter, Rosemarie Zilles, für ihre Liebe und Unterstützung. Meinen Freunden, die hier nicht alle namentlich genannt werden können, möchte ich ebenfalls für ihre Unterstützung danken. Meinem Onkel, Herrn Hans Herget, danke ich für seine großartige Hilfe beim Korrekturlesen; meiner Tante, Elke Herget, für ihre Geduld, wenn sich die Männer in Fachgesprächen ver-

loren haben und für ihre Motivation.

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1. Einleitung: Ziele, Methode, Textkorpus

In einem programmatischen Aufsatz mit dem Titel Männerbund und politische Kultur in Deutschland (1988) hält Nicolaus Sombart fest, dass sich „im wilhelmini- schen Deutschland ein einzigartiges Terrain zum Studium des Männerbundes [findet, S. Z.], und zwar nicht als universelles Phänomen, das es auch hier und da auf der Erde in dieser und jener Phase der Menschheitsentwicklung gegeben hat, sondern als deutsches, urdeutsches, nur deutsches Phänomen“.1 Für Sombart stellt der Führungskreis um Kaiser Wilhelm II. das Musterbeispiel eines Männerbundes dar, wobei dieser lediglich die Spitze einer groß angelegten Struktur bildet, die sich nach unten hin über die gesamte wilhelminische Gesellschaft auffächert und jedes männliche Subjekt betrifft: Der wilhelminische Mann durchläuft Sombart zufolge verschiedene Sozialisationsetappen, die eine spezifische „Persönlichkeitsstruktur, eine[n] Typus [formen, S. Z.], der sich in seinem Fühlen, Denken und Handeln auf eine charakteristische Weise verhält, die man als ,männerbündlerisch‘ bezeichnen kann“.2 Dieser sogenannte „,Männerbund‘-Typus“ und das dementsprechende

„,Männerbund‘-Denken“ seien, so Sombart weiter, „zur Lebensführung und Lebens- ordnung eines ganzen Volkes geworden“,3 also charakteristisch für die Zeit um 1900.

Aus Sombarts historisch- soziologischen Befunden lassen sich folgende Rück- schlüsse über die Kategorie Männlichkeit gewinnen: Männlichkeit lässt sich gerade nicht auf das biologische Fundament (sex) zurückführen, das mit der Geschlechts- zugehörigkeit scheinbar vorgegeben ist,4 sondern muss erst erworben, geformt und ständig neu demonstriert werden. Die Geschlechtsidentität (gender) erscheint vor diesem Hintergrund zweitens als ein performativer Akt, der geschlechtlich codierte Eigenschaften übernimmt und durch den wiederholten Vollzug ständig neu repro- duziert.5 ,Erlernt‘ werden diese geschlechtlich codierten Eigenschaften drittens in sogenannten Schulen der Männlichkeit,6 d. h. in homosozialen 7 Institutionen und Verbänden, die in der Schulzeit beginnen, über Jugend- und Freizeitverbände ver- laufen und mit dem Eintritt in Studentenverbindungen bzw. in das Militär enden.

Ihnen ist gemeinsam, dass sie in dreifacher Weise Arbeit am Körper leisten: Sie

1 Sombart 1988, S. 167.

2 Ebd., S. 172.

3 Ebd.

4 Vgl. Erhart u. Herrmann 1997, S. 7.

5 Vgl. ebd., S. 15.

6 Vgl. Frevert 2001, S. 228 – 245.

7 Zum Begriff der Homosozialität vgl. Kosofsky Sedgwick 1985.

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formen ihn zum einen äußerlich durch Leibesübungen oder rituelle Praktiken; sie verhüllen bzw. bedecken ihn zum anderen durch gendered objects, also Dinge, die durch „ihre Herkunft, ihre Nutzung, ihre Weitergabe, ihre Wertung und Umwertung auf je historische Geschlechtercodierungen verweisen“.8 Schließlich schreiben sie auf symbolischer Ebene männlich codierte soziale Eigenschaften wie Ehre, Pflicht- bewusstsein, Tapferkeit etc. in die Körper ein. Diese sekundären Sozialisations- instanzen verfolgen darüber hinaus aber auch das übergeordnete Ziel, aus Jungen Männer zu machen.

Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, vor dem Hintergrund der oben skizzierten Ausführungen einerseits den ,Männerbund‘-Typus näher zu konturie- ren, nach seinen Charaktereigenschaften zu fragen und andererseits die Schulen der Männlichkeit im Hinblick auf ihre ,Lehren‘, ihre Methoden, ihr Wissen und ihre Zielsetzung genauer zu untersuchen. Im Unterschied zu Sombart wird dabei allerdings die Männerbundthematik nicht ausschließlich als ein ethnologisches, soziologisches oder historisch- kulturelles Phänomen 9 begriffen, sondern auch als ein literarisches. Die Arbeit zielt darauf ab, ein Desiderat der Forschung aufzuar- beiten.10 Sie stellt eine neue Lesart bzw. Interpretation der Männerbundthematik vor, geht es ihr im Gegensatz zu den bislang vorliegenden Forschungsarbeiten doch gerade darum, das kritische Wissen der Literatur 11 zu betonen. Die Sichtweise auf das Phänomen Männerbund kann damit erweitert und der Männerbunddiskurs um einen bisher wenig beachteten Strang ergänzt werden.

Der Untersuchungsgegenstand, die Thesen und die Struktur der Arbeit lassen sich im Einzelnen wie folgt skizzieren: Die Untersuchung ist aus literaturtheore- tischer Perspektive der jüngeren Forschungsdisziplin der Männlichkeitsforschung (Masculinity Studies) zuzuordnen, deren Aufkommen und Entwicklung im anglo- amerikanischen und deutschsprachigen Raum zunächst aufgezeigt werden (vgl.

Kap. 2). Ziel dieses Einführungskapitel ist es, eine Definition von Männlichkeit zu geben. Für die deutschsprachige Männlichkeitsforschung 12 erweist sich der Ansatz Walter Erharts als besonders fruchtbar, Männlichkeit als eine narrative Struktur zu begreifen, wodurch die Geschlechterforschung mit der Erzählforschung verknüpft

8 Vedder 2012, S. 1.

9 Vgl. Sombart 1988, S. 157.

10 In dem zweibändigen Ausstellungskatalog Männerbünde – Männerbande fehlt bezeichnender- weise bereits im Grundlagenkapitel ein spezifisch literaturwissenschaftlicher Beitrag.

Nicht einmal ein Viertel der 96 Beiträge befasst sich insgesamt mit der Literatur. Das ist bezeichnend, stellt dieser Katalog doch die ausführlichste Dokumentation zum Thema Männerbund dar. Vgl. Völger u. von Welck 1990.

11 Vgl. Hörisch 2007.

Einleitung: Ziele, Methode, Textkorpus 14

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wird.13 Als eine narrative Struktur liegt Männlichkeit demnach in Form krisenhafter Beschreibungen, in Geschichten wie auch Erzählungen vor, wobei sich die Krise 14 als zentrales und diachrones Muster erweist, wie über Männlichkeit gesprochen wird. In kritischer Auseinandersetzung mit und deutlicher Abgrenzung von der bisherigen Forschungsliteratur über Männerbünde wird die Krise der Männlich- keit jedoch nicht auf eine weiblich codierte Masse (Le Bon) zurückgeführt, vor der sich die Bünde als ,Bollwerk‘ schützen,15 ebenso wenig wie Männerbünde primär als Stabilisator für eine fragmentierte männliche Identität aufgefasst werden, der durch rituelle Praktiken Sicherheit, Festigkeit und Form verliehen wird.16 Die Krise der Männlichkeit, die um die Jahrhundertwende eine Verdichtung erfährt, führen diese Untersuchungen allein auf äußere Faktoren zurück, wohingegen die vor- liegende Arbeit argumentiert, dass die Krise in den Bünden angelegt ist, ja betont, dass diese selbst die Krisensituation generieren und potenzieren. Dabei besteht um 1900 jedoch ein Ungleichgewicht zwischen den ,harten‘ Wissenschaften und der ,schönen‘ Literatur. Der zeitgenössische wissenschaftliche Diskurs zeichnet ein überwiegend positives Bild von Männerbünden, begreift er das Modell männlicher Gesellschaft als einen immanenten Bestandteil des Staates und sieht die superiore Männergemeinschaft als Verkörperung des logos an, die Kulturarbeit leistet. Dahinter steht eine spezifische, historische Auffassung von Männlichkeit, die auf das Modell bipolarer Geschlechtscharaktere (Hausen) zurückzuführen ist (vgl. Kap. 3) und in einer historischen Diskursanalyse 17 rekonstruiert wird. Die zeitgenössischen wis- senschaftlichen Texte werden in diesem Zusammenhang Erharts Modell folgend als Erzählungen betrachtet.18 Die Arbeit fragt danach, welches Wissen Texte aus den Disziplinen der Altertumsforschung (Bachofen), der Ethnologie (Schurtz), der Psycho analyse (Blüher), der Soziologie (Schmalenbach) und der politischen Pädagogik (Baeumler) zum Thema Männerbund und Männlichkeit produzieren.

Sie interessiert sich weiterhin dafür, welche Wechselwirkungen zwischen diesen Wissenssystemen bestehen, wie diese voneinander profitieren können, sich wei- ter schreiben, aber auch, wie sie sich durchkreuzen oder gar sich in Frage stellen und problematisieren. Vor dem Hintergrund der Untersuchungsergebnisse, dass

13 Vgl. Erhart 2001. Vgl. Erhart 2005, S. 203 – 205.

14 Vgl. Fenske, Hülk u. Schuhen 2013.

15 Vgl. Widdig 1992.

16 Vgl. Brunotte 2004.

17 Vgl. Bogdal 1999. Karpenstein- Eßbach weist bereits 1998 auf die Hochkonjunktur des Diskursbegriffes hin und grenzt fünf Profilierungen des Diskurses voneinander ab. Vgl.

Karpenstein- Eßbach 1988, S. 127 – 138.

18 Vgl. Koschorke 2012.

Einleitung: Ziele, Methode, Textkorpus 15

ISBN Print: 9783412509200 — ISBN E-Book: 9783412513054

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Männerbünde um die zwei zentralen Faktoren von Sexualität und Macht organisiert sind,19 wird ein heuristisches Instrumentarium erarbeitet, mit dessen Hilfe die lite- rarischen Texte analysiert werden sollen (vgl. Kap. 4). Erharts Modell, Männlichkeit als narrative Struktur zu verstehen, wird mit ausgewählten Ansätzen von Michel Foucault und Judith Butler verknüpft, um zu zeigen, dass Männerbünde bestrebt sind, intelligible Geschlechtsidentitäten 20 zu produzieren. Das bedeutet, dass die Bünde von einer scheinbar natürlichen Kausalität zwischen dem anatomischen Geschlecht und der Geschlechtsidentität ausgehen und ein sexuelles Begehren gefor- dert wird, das der heterosexuellen Matrix entspricht. Anders gesagt: Das männliche anatomische Geschlecht erfordert eine männliche soziale Geschlechtsrolle und ein sexuelles Begehren, das auf das weibliche Geschlecht ausgerichtet ist. Unter diesem Blickwinkel vertritt die Arbeit in drei Textanalysekapiteln (vgl. Kap. 5 – 7) erstens die These, dass die erzählende Literatur um 1900 nicht nur von dem in anderen Diszi plinen geführten Diskurs über Männerbünde entschieden abweicht, sondern diesen konterkariert. Sie stellt, so die zweite These, ein kritisches Alternativwissen bereit, das Männerbünde als ideologische Maschinerien entlarvt. Textgrundlage bilden die Romane Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906) von Robert Musil (vgl. Kap. 5), Der Untertan (1914/18) von Heinrich Mann, Doktor Faustus (1947)21

19 Vgl. Sombart 1988, S. 158. Vgl. Widdig 1992, S. 23 ff. Vgl. darüber hinaus auch Blazek 1999 sowie Bruns 2008a. Die vorliegende Arbeit bestätigt dabei die Befunde der oben aufgeführ- ten Untersuchungen, weicht jedoch insofern von diesen Studien ab, als sie verstärkt auf die narrativen Strukturen eingeht, sprich, sie danach fragt, welche (verborgenen) Geschichten über Männlichkeit die jeweiligen Texte erzählen.

20 „,Intelligible‘ Geschlechtsidentitäten sind solche, die in bestimmtem Sinne Beziehungen der Kohärenz und Kontinuität zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex), der Geschlechts- identität (gender), der sexuellen Praxis und dem Begehren stiften und aufrechterhalten. Oder anders formuliert: Die Gespenster der Diskontinuität und Inkohärenz, die ihrerseits nur auf dem Hintergrund von existierenden Normen der Kohärenz und Kontinuität denkbar sind, werden ständig von jenen Gesetzen gebannt und zugleich produziert, die versuchen, ursächliche oder expressive Verbindungslinien zwischen dem biologischen Geschlecht, den kulturell konstituierten Geschlechtsidentitäten und dem „Ausdruck“ oder „Effekt“ beider in der Darstellung des sexuellen Begehrens in der Sexualpraxis zu errichten“. Butler 2012, S. 38.

21 Thomas Mann hat erste Überlegungen zum Roman in dem der Arbeit zugrunde gelegten Zeitraum angestellt, die Ausarbeitung letztlich aber erst 1943 begonnen. Dennoch erscheint eine Einbeziehung des Romans daher gerechtfertigt, da die Studienzeit Leverkühns in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts fällt. Interessant ist außerdem, wie der Blick aus der Situation und der Erfahrung des WKII auf den Beginn des 20. Jahrhunderts zurück ausfällt. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf verwiesen, dass Thomas Manns Roman hier lediglich als ein Exkurskapitel fungiert. Die Analyse fokussiert allein die Studentenverbindung Winfried, Einleitung: Ziele, Methode, Textkorpus 16

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von Thomas Mann (vgl. Kap. 6) sowie die Novelle Nicht der Mörder, der Ermor- dete ist schuldig (1919) von Franz Werfel (vgl. Kap. 7). Die Texte sind daraufhin zu befragen, mit welchen narrativen Mustern die Literatur um 1900 die Formung der männlichen Figuren durch Männerbünde veranschaulicht und welches Bild von Männlichkeit dadurch produziert wird. Darüber hinaus ist zu untersuchen, welche Muster in den Schulen der Männlichkeit sich als Konstante erweisen, sich gegebenenfalls weiterentwickeln oder möglicherweise demontiert werden. Von Die Verwirrungen des Zöglings Törleß bis Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig findet eine eindeutige Gradation der Disziplinierung statt: Die jungen Männer werden zur ,Zielscheibe der Macht‘ (Foucault) und durch zunehmende rituelle Praktiken ihrer Individualität beraubt. Resultat dieses (De-)Formierungsprozesses ist das Bild des harten Mannes.

Mit der Bezeichnung des harten Mannes ist ein Schlagwort aufgegriffen, das Klaus Theweleit in seiner Studie Männerphantasien (1977/79) im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus geprägt hat.22 In seiner Untersuchung faschistischer Geschlechterrepräsentationen der Zwischenkriegszeit argumentiert Theweleit, dass der männliche Körper als ein fester Körperpanzer gegen die Frau konstruiert wird, wobei der Panzer aus psychoanalytischer Sicht als Konsequenz der gewaltsamen Trennung des Sohnes von der Mutter entsteht. Er schützt den Mann vor äußeren, destruktiven (weiblichen) Einflüssen, wie auch vor dem inneren, ero- tischen Begehren nach der Mutter. Männlichkeit, so lässt sich daraus folgern, ver- steht Theweleit als „tendenziell gefährliche Negation von Weiblichkeit“,23 wobei der soldatische, harte Mann die Extremform darstellt. In der vorliegenden Arbeit wird veranschaulicht, dass das von Theweleit dargestellte Männlichkeitsbild das Resultat einer Entwicklung ist, deren Ursprung bereits im wilhelminischen Deutsch- land zu verorten ist. Gerade die erzählende Literatur um 1900 beschreibt immer wieder am Beispiel von Männerbünden die Formbarkeit der Geschlechtsidentität und legt dabei Verhaltensmuster offen, die den Faschismus vorbereitet haben. Die vorliegende Studie liefert eine mögliche Vorgeschichte zu Theweleit, allerdings nur unter einer zeitgeschichtlichen Perspektive und nicht in methodischer Hinsicht.24

22 Vgl. Theweleit 1986 [1977/79].

23 Erhart u. Herrmann 1997, S. 8.

24 Theweleits Untersuchung rekurriert auf eine postfreudianische Theorie der Psychoanalyse, der in dieser Arbeit nicht gefolgt wird. Schon der Grundlagenartikel im Handbuch Männ- lichkeit weist darauf hin, dass der psychische Erklärungsansatz der Verdrängung der Weib- lichkeit grundlegend für die Forschung der 1980er Jahre war, in den 1990er Jahren jedoch zunehmend kritisiert wurde. Problematisch an Theweleits Werk ist die Übertragung indivi- dualanalytisch gewonnener Ergebnisse auf kollektive Prozesse. Vgl. Erhart 2016, S. 13. Zu weiteren Kritikpunkten des Werkes vgl. auch Bergmann u. Moos 2007, S. 15 f.

Einleitung: Ziele, Methode, Textkorpus 17

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Vor diesem Hintergrund ist auch das Textkorpus der Arbeit erklärbar: Mit der Aus- nahme von Thomas Manns Roman handelt es sich um Werke, die vor 1920 entstan- den sind. Darüber hinaus verfolgt die chronologische Anordnung der kanonischen Texte aber noch weitere Intentionen: Die Texte wurden erstens so ausgewählt, dass verschiedene Schulen der Männlichkeit in Form von Kadettenanstalten, Studenten- verbindungen und dem Militär 25 und entsprechend unterschiedliche Altersstufen der Protagonisten fokussiert werden können. In Musils Debütroman Die Verwirrungen des Zöglings Törleß steht ein Internat im Vordergrund, das der etwa sechzehnjährige Törleß besucht. In der Analyse der Romane Der Untertan und Doktor Faustus der Brüder Mann bilden die beiden Studentenverbindungen Neuteutonia und Winfried das Zentrum. Werfels Novelle Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig ermöglicht mit der Darstellung der Kadettenanstalt einerseits einen Anknüpfungspunkt an Musil, liefert mit der Thematisierung des Militärs aber auch eine weitere männerbündische Institution. Perspektiviert wird demnach die Adoleszenz als Übergangsphase vom Jugendlichen zum Mann als ein Lebensabschnitt, in „der die Mannwerdung im besonderen Maß einer narrativen Emphase bedarf“.26 Die Anordnung ermöglicht weiterhin, eine Entwicklungslinie von der einen zur nächsten Schule nachzuzeich- nen. Aus erzähltheoretischer Sicht ergibt sich die Möglichkeit, die unterschiedlichen Erzählperspektiven zu thematisieren und zu diskutieren. Törleß’ Geschichte wird in Musils Roman von einem extradiegetisch- heterodiegetischen Erzähler mit Null- fokalisierung 27 berichtet, der eindeutig in einem Bund mit seinem Protagonisten steht. In Heinrich Manns satirischem Roman dominiert ein szenisches Erzählen, doch die Stellen, an denen sich ein extradiegetisch- heterodiegetischer Erzähler bemerkbar macht, verdeutlichen, dass dieser das Verhalten der Zentralfigur kriti- siert und sich von ihr distanziert. In Thomas Manns homodiegetischer fiktionaler Erzählung wird die Biografie Leverkühns von einem Freund erzählt, sodass hier von einem Bund und einer besonderen Nähe zwischen den Figuren gesprochen werden kann. Bei Werfel hingegen hat man es mit einem autodiegetischen Erzähler zu tun.

Die Diversität der unterschiedlichen Erzählweisen veranschaulicht, dass die Kritik an Männerbünden nicht auf eine Perspektive beschränkt bleibt, sondern in unter- schiedlichen Erzählungen vorliegt, die es genauer zu bestimmen gilt. Die Arbeit legt somit unterschiedliche Narrative über Männerbünde offen und zeigt, wie diese erzähltechnisch strukturiert sind.

25 Die Arbeit verzichtet demnach auf die eingangs erwähnten Jugendverbände. Eine Analyse literarischer Werke um die Wandervogelbewegung herum hat Kristin Schreiber vorgelegt.

Vgl. Schreiber 2014.

26 Glawion 2012, S. 286.

Einleitung: Ziele, Methode, Textkorpus 18

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Der Überblick verdeutlicht, dass die theoretische Zuordnung der vorliegenden literatur- und kulturwissenschaftlichen Studie zur Männlichkeitsforschung die Kom- plexität der Vorgehensweise mit diesem Begriff nicht vollständig zu erfassen vermag.

Männlichkeitsforschung fungiert hier im weitesten Sinne als ein Dachbegriff, denn die Arbeit kommt – um im Sprachbild zu bleiben – ohne Bündnisse mit anderen Literaturtheorien nicht aus: Sie greift einzelne Ansätze und Denkfiguren aus der Erzählforschung, der Diskursanalyse, den Gender und Queer Studies auf und führt daher zu einem Methodenpluralismus.

Einleitung: Ziele, Methode, Textkorpus 19

ISBN Print: 9783412509200 — ISBN E-Book: 9783412513054

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2. „This is a man’s world“ – ein Forschungsüberblick:

Themen, Theorien und Personen

„Der Mann ist ins Gerede gekommen“ 1 – und, so könnte man die Aussage des Soziologen Michael Meuser sinnvoll fortführen, nicht allein im populärwissen- schaftlichen, sondern auch im wissenschaftlichen Diskurs. In der germanistischen Literaturwissenschaft wurde die Männlichkeitsforschung vor den 1990er Jahren kaum betrieben. Zwar führte im Zuge der feministischen Literaturwissenschaft die „relationale[] Erforschung der kulturellen Repräsentation von Frausein und Weiblichkeit […] auch zu Erkenntnissen über Männlichkeit auf verschiedenen Ebenen des literarischen Systems“,2 doch Einzeluntersuchungen, die sich auf Männlichkeit fokussierten, blieben weitgehend ein Randphänomen.3 Erst die Öffnung der Frauen- hin zur Geschlechterforschung infolge der Rezeption von Judith Butlers Gender Trouble (org. 1990) und eine steigende Rezeption anglo- amerikanischer Forschungsarbeiten über Männlichkeit führten am Ende des letzten Jahrtausends zu einer verstärkten Aufmerksamkeit auf Männlichkeit innerhalb der Germanistik.4

Das folgende Kapitel leistet eine Systematisierung zur Historie der Männ- lichkeitsforschung. Die Entstehung der Forschungsdisziplin wird zunächst im anglo- amerikanischen und deutschsprachigen Raum nachgezeichnet. Im deutsch- sprachigen Raum hat das Modell, Männlichkeit als narrative Struktur zu begrei- fen, breite Anerkennung erfahren. Es wird nach einer Skizzierung einer gender- orientierten Erzähltheorie ausführlich vorgestellt, da es den theoretischen Rahmen der vorliegenden Arbeit bildet. Abgeschlossen wird das Überblickskapitel mit einer kritischen Bestandsaufnahe über die bisherigen Forschungsarbeiten zum Thema Männerbünde.

1 Meuser 2006, S. 141.

2 Tholen 2016, S. 270.

3 Vgl. als Ausnahmen: Härle 1986 sowie Popp 1992.

4 Vgl. Tholen 2016, S. 270.

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Die Entdeckung des Mannes: Masculinity Studies/

Männlichkeitsforschung

Anglo- amerikanischer Raum

Den Ursprung des Forschungsfeldes der Masculinity Studies (Männlichkeitsfor- schung)1 genau festzulegen, stellt laut Todd W. Reeser keine leichte Aufgabe dar:

Erste Impulse sind durchaus bereits in den 1970er Jahren zu verzeichnen, doch erst ein Jahrzehnt später gewinnt die Disziplin stärker an Kontur.2 Von ihrem Entstehungszeitpunkt bis zur heutigen Zeit durchläuft das Forschungsfeld ins- gesamt „several transmutations in keeping with and in reaction to developments in feminism, feminist theory, queer studies, postcolonial studies, and most recently, gender studies“.3 Mit dieser Aussage benennt Michael Boehringer nicht nur die zentralen theoretischen Einflüsse, die verdeutlichen, dass Männlichkeitsforschung eine interdisziplinäre Forschungsrichtung ist, sondern er hebt auch die Bedeutung der Intersektionalität und die Relevanz anderer sozialer Kategorien (race, sexuality etc.) hervor, die bei der Konstruktion von Männlichkeit entscheidend sind. Die verschiedenen theoretischen Einflüsse führen zu Einschnitten bzw. Veränderungen, die sich am anschaulichsten in einem dreistufigen Modell systematisieren lassen.

Die Anfangsphase ab den 1970er Jahren wird durch die Frauenbewegung und der aus ihr hervorgegangenen feministischen Theorie einerseits sowie durch die Homosexuellenbewegung und die Gay Studies andererseits wesentlich beeinflusst.

Die sogenannte kritische Männerforschung ist folglich im Zusammenhang mit den politischen Protestbewegungen der späten 1960er Jahre (zweite Welle des Feminis- mus, Homosexuellenbewegung) zu sehen, fällt in eine Phase des Aufruhrs und des Kampfes gegen Sexismus und Homophobie. Gerade die Frauenprotestbewegung wirkt sich sukzessive auch auf die Männer aus, sodass es Mitte der 1970er Jahre zu einer Art Männerbewegung in den USA kommt und auch in anderen Ländern bilden sich Netzwerke und Männererfahrungsgruppen.4 Ein weiteres Resultat

1 Im englischsprachigen Raum existieren Bezeichnungen wie Men’s Studies, Masculinity Studies, New Men’s Studies, Studies of Men/Studies on Men, The Critique of Men. Auch im deutschsprachigen Raum finden sich Begrifflichkeiten wie Männerforschung, Männ- lichkeitsforschung, Männer- und Geschlechterforschung, Reflexive oder Kritische Männer- forschung, feministische Männerforschung. Diese Arbeit legt sich auf die Termini Masculinity Studies/Männlichkeitsforschung fest. Vgl. Walter 2000, S. 97.

2 Vgl. Reeser 2016, S. 26.

3 Boehringer 2008, S. 2.

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dieser Bewegung ist in den zahlreichen Männerbüchern (Verständigungsliteratur) zu sehen,5 in denen Männer als Betroffene zu anderen Betroffenen über sich selbst sprechen.6 Das ist insofern relevant, als man bis dahin allein Frauen, die als „uner- gründliches Wesen“ 7 eingestuft wurden, ein Geschlecht zuschrieb. Der Mann wurde hingegen als die Norm angesehen und das Allgemein- Menschliche wurde synonym mit Mannsein verwendet. Der Beginn der Forschungsdisziplin ist folglich mit der Einsicht verbunden, dass auch Männer ein Geschlecht besitzen. Michael Kimmel fasst diesen Umstand wie folgt zusammen:

Then, we had a curious sort of mixture – one visible gender and one visible norm against which women were measured. Finally we discovered men. When social psychologists first

“discovered” men they used sex role theory to describe the ways in which biological males and females were sorted, categorized, and socialized into their appropriate sex role. […] If one were to look today at those first books on men in the 1970s, one sees this phenomenon most

clearly. The terms “women” and “men” are used as unitary, universal categories.8

Kimmels Ausführung weist unmittelbar auf die zentrale Problematik der frühen Forschungsarbeiten hin: Männlichkeit wird als natürlich bzw. als angeboren ver- standen. So basiert die Geschlechterrollentheorie, die als theoretische Grundlage der frühen Forschung Verwendung findet, eben auf der Prämisse, die männliche Geschlechterrolle als einheitlich, stabil und normativ zu betrachten.

Die These, dass Geschlecht dem menschlichen Handeln vorangeht, kritisieren neuere Ansätze in den 1980er Jahren zunehmend. Sie entlarven dabei die frühe Ansicht der Unsichtbarkeit von Männlichkeit als eine Strategie, die hegemoniale Machtposition zu sichern. Als Pionierarbeit dieser zweiten, sogenannten Entwick- lungsphase gilt der von Harry Brod herausgegebene Sammelband The Making of Masculinities (1987). Der Mann wird dabei als gendered being betrachtet und Männ- lichkeit wird zunehmend in Abhängigkeit von den Kategorien Zeit, Ort und Kultur untersucht. Männlichkeit, so die These, sei ein kulturelles Konstrukt und historisch wandelbar. Neben einer pro- feministischen Haltung 9 erweist sich besonders der Einfluss der Medien als signifikant: Aus der Pop- und Videokultur gehen neue

5 Vgl. ebd., S. 43.

6 Vgl. Meuser 2006, S. 141 f.

7 Feldmann 1997, S. 134.

8 Kimmel 2003, S. xi.

9 „They all [= profeminist American men, S. Z.] conceded that American society is sexist, that women are discriminated against and dominated by men, and that women are objectified sexually and excluded from many, if not most, areas of power that are open to men. They maintained that men’s lives, too, are greatly affected by this system of male dominance and Die Entdeckung des Mannes: Masculinity Studies/Männlichkeitsforschung 23

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Männlichkeitsentwürfe hervor und ergänzen bereits vorhandene Männlichkeits- bilder.10 Diese Form der Visual Culture führt verstärkt zu einer größeren Sichtbar- keit des männlichen Körpers als vergeschlechtlichter Körper.

Die zunehmende Pluralisierung von Männlichkeit schürt aber auch eine tiefe Ver- unsicherung, die sich in einer ,mythopoetischen‘ Perspektive widerspiegelt,11 deren prominentester Vertreter Robert Bly ist. Sein Werk Iron John (1990) steht in der Tra- dition der Psychoanalyse C. G. Jungs und ist ein Plädoyer für die Wiederentdeckung des wilden Mannes.12 Dieser Aufruf zu einer ,authentischen Männlichkeit‘ wurde von Seiten der Männlichkeitsforschung harsch kritisiert.13 Blys essentialistische Auffassung von Männlichkeit steht dem Verständnis, Männlichkeit als kulturell konstruiert und historisch wandelbar zu begreifen, diametral gegenüber.

Die 1990er Jahre stehen unter der Beeinflussung des „feminist post- structuralism“

sowie von „theories of post- modernity“.14 Über Männlichkeit wird in dieser dritten Phase nicht mehr im Singular, sondern im Plural gesprochen. Dabei ersetzt der Begriff Masculinity Studies den der Men’s Studies, um deutlich zu machen, dass sich die For- schungsdisziplin nicht als Intervention oder gar Gegenreaktion gegen die Women’s Studies richtet, sondern sich vielmehr als Fortführung und Erweiterung geschlechter- theoretischer Fragestellungen begreift. Der zunehmende Gebrauch des Ausdrucks ,men and masculinities‘ im anglo- amerikanischen Raum impliziert gleicher maßen eine Verbindung wie auch Brüche zwischen dem anatomischen und dem kulturellen Geschlecht. Weiterhin wird dadurch darauf aufmerksam gemacht, dass Männlichkeit nicht an die biologische Anatomie gebunden sein muss, sondern sie erst dann lesbar wird, wenn sie vom männlich- biologischen Körper entkoppelt wird.15

Das zentrale Werk dieser Phase und der Gender Studies überhaupt 16 stellt Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter (1991) dar, in dem sie das biologische Geschlecht „als ebenso kulturell hervorgebracht wie die Geschlechtsidentität“ 17

that men are competitive, emotionally isolated from one another and their families, and overtly involved in work and sports“. Clatterbaugh 1990, S. 37.

10 Vgl. Blawid 2011, S. 10.

11 Vgl. Clatterbaugh 1990, S. 85 – 103.

12 Vgl. Bly 2011. S. 14 und passim.

13 Exemplarisch kann an dieser Stelle auf Connell Bezug genommen werden, die kritisiert, dass „die kulturellen Wurzeln der [Grimmschen] Märchen [ignoriert] […] [und] ihre Inter- pretation stattdessen mit Gedanken einer „Zeusenergie“ und noch wilderen Entlehnungen aus der mündlichen Überlieferung [verrührt werden]“. Connell 2000, S. 31.

14 Boehringer 2008, S. 2.

15 Vgl. Halberstam 1998.

16 Vgl. Engel 2002, S. 11.

Ein Forschungsüberblick: Themen, Theorien und Personen 24

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erklärt und die These vertritt, dass gender performativ sei (vgl. Kap. 4). Butlers Studie ist als eine Abrechnung mit dem (frühen) Feminismus und dem sex- gender- Modell zu lesen: Die Anthropologin Gayle Rubin beschrieb bereits Anfang der 1970er Jahre dieses System als ein „set of arrangements by which a society transforms bio- logical sexuality into products of human activity, and in which these transformed sexual needs are satisfied“.18 In einer spezifischen Kultur werden demnach aus dem biolo gischen Rohmaterial („raw material of human sex“ 19) gesellschaftliche Subjekte (gender) produziert.20 Für Butler reproduzieren naturwissenschaftliche Disziplinen (Biologie, Medizin) herrschende kulturelle Normen und zementieren diese somit als natürliche Geschlechterdifferenz, da sie darüber entscheiden, welche körperlichen Merkmale für welches biologische Geschlecht bedeutsam sind.

Neben Butlers Das Unbehagen der Geschlechter entstehen in dieser Phase die für die Männlichkeitsforschung grundlegenden Werke von Robert/Raewyn Connell und Pierre Bourdieu 21 im Bereich der Soziologie. Für Connell ist Männlichkeit „eine Positionierung im Geschlechterverhältnis“ 22 und „in einer Reihe von Beziehungs- strukturen verortet, die durchaus unterschiedlichen historischen Entwicklungslinien folgen können“.23 Männlichkeit konstruiere sich in diesem Beziehungsnetz nicht nur in Relation zu Frauen, sondern auch zu Männern. Wenn man, wie Connell versucht, Männlichkeit über Beziehungen zu definieren, dann benötigt man dazu einzelne Parameter, die diese Prozesse veranschaulichen. Ihm zufolge sind die Geschlechter- beziehungen in drei zentralen Strukturen organisiert – denen der Macht, der Arbeit/

Produktion und der emotionalen Bindungsstruktur (Karthexis), die er in ein drei- stufiges Modell überträgt,24 wodurch Männlichkeit hierarchisiert wird und eine normative Komponente gewinnt. Den Kern der Theorie bildet der Hegemoniebegriff, mit dem er die anerkannteste Form von Männlichkeit bezeichnet. Unter hegemo- nialer Männlichkeit versteht Connell „jene Konfiguration geschlechterbezogener Praxis […], welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimationsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frau gewährleistet (oder gewährleisten soll)“.25 Zwei Aspekte gilt es besonders hervorzuheben: Zum einen müssen die Vertreter hegemonialer Männlichkeit nicht

18 Rubin 1975, S. 159.

19 Ebd., S. 165 (Herv. S. Z.).

20 „Gender is a socially imposed division of the sexes“. Ebd., S. 179. Vgl. auch Feldmann u.

Schülting 2008, S. 245 – 247.

21 Vgl. Bourdieu 1997, S. 153 – 217 sowie Bourdieu 2005.

22 Connell 2000, S. 91.

23 Ebd., S. 94.

24 Vgl. ebd., S. 94 – 96.

25 Ebd., S. 98.

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zwangsläufig auch die mächtigsten Männer sein; zum anderen ist das Konzept als

„bewegliche Relation“ 26 zu verstehen, sprich eine zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt in einer spezifischen Kultur anerkannte Strategie, die sich verändern kann. Da allerdings nur ein Bruchteil der Männer dem Bild hegemonialer Männ- lichkeit entspricht, somit nur die Spitze des Modells beschreibt, wird eine Aus- differenzierung nach unten vollzogen. Dabei spricht Connell von untergeordneter und marginalisierter Männlichkeit, die durch das Prinzip der Komplizenschaft an der patriarchalen Dividende partizipieren können. Auch wenn Connells Theorie nicht kritiklos in der Forschung rezipiert wurde, ist das Konzept schnell „zur Leit- kategorie der men’s studies avanciert“ 27 und kommt besonders in den Sozial- und Geisteswissenschaften häufig zum Tragen.28

Bourdieu zufolge resultiert Männlichkeit aus Prozessen des Einübens – in ernsten Spielen des Wettbewerbs erwerben junge Männer einen männlichen Habitus: Der männliche Habitus wird „konstruiert und vollendet […] nur in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen“.29 Dem Wettbewerb liegt eine doppelte Struktur zugrunde:

Er wirkt einerseits kompetitiv, d. h., er trennt die Beteiligten und führt zu Hierarchien;

er wirkt aber auch verbündend, d. h., er stellt einen Platz der homosozialen Ver- gemeinschaftung dar. Die Rolle der Frau bleibt dabei marginalisiert; sie nimmt an den Spielen nicht aktiv teil. Sie wird vielmehr funktionalisiert, denn Männlichkeit ist nach Bourdieu ein relationaler Begriff, der sich gegen Weiblichkeit konstruiert: Männer sind

Opfer der herrschenden Vorstellung. Denn genau wie die weiblichen Dispositionen zur Unterwerfung sind auch die Dispositionen, die die Männer dazu bringen, die Herrschaft zu beanspruchen und auszuüben, nichts Naturwüchsiges. Auch sie müssen erst in einer lang- wierigen Sozialisationsarbeit, d. h., […], einer Arbeit der aktiven Unterscheidung in bezug auf das andere Geschlecht, konstruiert werden. Der Status des Mannes im Sinne von vir impliziert ein Seinsollen, eine virtus, die sich im Modus des Fraglosen und Selbstverständ- lichen aufzwingt. In den Körpern in Form eines Ensembles von Dispositionen eingeprägt, denen der Schein des Natürlichen anhaftet und die häufig in einer bestimmten Art des Verhaltens, der Körperhaltung, einer Haltung des Kopfes, einem Auftreten, einer Gangart sichtbar werden, welche mit einer Denk- und Handlungsweise, einem ethos, einem Glauben aufs engste verbunden sind.30

26 Ebd.

27 Meuser 2006, S. 107.

28 Zur Anwendbarkeit in der Literaturwissenschaft vgl. Tholen 2015.

29 Bourdieu 1997, S. 203.

Ein Forschungsüberblick: Themen, Theorien und Personen 26

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Der Habitus bildet somit die Einheit in der Differenz der Männlichkeiten.

Für diese letzte Phase kann zusammenfassend eine starke Ausdifferenzierung konstatiert werden. Clatterbaugh spricht von gruppenspezifischen Perspektiven, die der vermeintlichen Norm des heterosexuellen, weißen, middle- class Mannes nicht entsprechen und einen Blick von „outside these boundaries“ 31 auf Männlichkeit werfen. Als Beispiele nennt er die Gay Masculinities 32 sowie die Black Masculinities.33 Gerade diese letztgenannten Ansätze tragen endgültig dazu bei, essentialistische Vor- stellungen von dem Mann und der Männlichkeit zu verabschieden. Ein singuläres, universal gültiges Männlichkeitsmuster ist nicht existent, weshalb Männlichkeit im Plural zu denken ist. In Anlehnung an Simone de Beauvoir kann man sagen, dass man nicht als Mann geboren, sondern dazu gemacht wird. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass Männlichkeit stets neu erworben und demonstriert werden muss, sich folglich per se als fragil erweist.

Deutschsprachiger Raum

Im deutschsprachigen Raum setzt die Männlichkeitsforschung nach den USA, Großbritannien, Skandinavien und Frankreich erst mit Verzögerung ein. Trotz der Pionierarbeit Männerphantasien von Theweleit, die sogar im Ausland vielfach beachtet wurde, kann bis in die 1990er Jahre von keiner akademischen Etablierung gesprochen werden. Erst 1996 erfolgt mit dem Sammelband Kritische Männerfor- schung eine erste wissenschaftliche Bestandsaufnahme.34

Auch in Deutschland beginnen schon Ende der 1960er bzw. Anfang der 1970er Jahre einzelne wissenschaftliche Disziplinen erste Definitionsversuche von Männern und Männlichkeit. Eine theoretische Orientierung erfolgt dabei an der amerikanischen Psychologie mit der Theorie der Geschlechtsidentität, die in der Psychologie, der Soziologie und der Psychoanalyse aufgegriffen wird. Begleitet wird die Anfangsphase durch gesellschaftliche und soziale Umbrüche, die sich im Zuge der zweiten Welle des Feminismus wie auch der Studentenprotestbewegung vollziehen. Vor allem die Soziologie legt in diesem Zusammenhang die Konstruktion der Geschlechterrollen offen und stellt Männlichkeit als ein komplexes Gefüge aus Rollenerwartungen, Normen, (Re-)Präsentationen und psychischen Strukturen dar. Vereinzelt wird auch die männliche Subjektivität in Form von autobiografischen Bekenntnissen

31 Clatterbaugh 1990, S. 127.

32 Vgl. Nardi 2000.

33 Vgl. Dybska 2010.

34 Vgl. BauSteineMänner 1996, vgl. nachstehend Erhart 2016.

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untersucht, so exemplarisch im 1979 publizierten Sammelband Männersache. Ver- ständigungstexte,35 in dem vor allem der Druck der männlichen Rolle beklagt wird.

Die Auffassung, dass männlich/weiblich codierte Verhaltensweisen sich vom biolo gischen Geschlecht herleiten lassen und in verschiedenen Sozialisationsprozessen erlernt und internalisiert werden,36 stößt in den 1980er Jahren auf Kritik. Diese Phase ist durch eine starke Orientierung an der feministischen Theorie gekennzeichnet, aus der gängige Methoden und Konzepte auf Männer und Männlichkeit übertragen werden, wodurch ein disziplin- bzw. themenbezogenes Wissen über Männer und Männlichkeit gewonnen wird. Willi Walter fasst die unterschiedlichen Schwerpunkt- setzungen zusammen und nennt folgende Themengebiete, mit denen sich zunächst noch immer überwiegend die Soziologie und die Psychologie, später dann aber auch die Geschichts-, Literatur- und Kulturwissenschaft mit je unterschiedlicher Intensität und divergenten Fragestellungen befassen: Hierzu zählen die männliche Sozialisation, das Verhältnis von Männlichkeit und Gewalt, die männliche Sexua- lität, Männlichkeit und Familie sowie Vaterschaft, Arbeit, soldatische Männlichkeit und das Militär wie auch männliche Körper und nicht zuletzt Männer geschichte.37 Männerbünde bleiben in seiner Aufzählung allerdings unerwähnt.

Die 1990er Jahre sind als deutlicher Einschnitt in der Entwicklung im deutsch- sprachigen Raum zu verzeichnen. Als Wegbereiter erweist sich hier die Geschichts- wissenschaft, die die historische Vielfalt von Männlichkeiten untersucht. Das Projekt einer ,history‘ erweitert die Frauenforschung hin zu einer auf beide Geschlechter bezogenen Geschlechtergeschichte. Die zahlreichen Forschungsarbeiten 38 führen zu einem neuen Verständnis von Männlichkeit und betonen ihre Pluralität, Historizi- tät, aber auch ihre Widersprüchlichkeit und Wandelbarkeit. Die Männergeschichte verläuft keineswegs geradlinig. Untern einer diachronen wie auch unter einer syn- chronen Perspektive lassen sich konkurrierende Männlichkeitsentwürfe konstatieren.

Um 2000 hat sich die Männlichkeitsforschung in nahezu allen wissenschaft- lichen Disziplinen weitgehend etabliert, sodass man keinesfalls mehr von einem

„schwerwiegende[n] Forschungsdefizit“ 39 sprechen kann. Die Institutionalisierung 40

35 Vgl. Müller- Schwefe 1979.

36 Vgl. Pross 1978.

37 Vgl. Walter 2000, S. 102 – 106.

38 Eine Vorreiterstellung nimmt hier zweifelsohne die Historikerin Ute Frevert ein. Auf ihre Arbeiten wird im Zuge der Textanalysen ausführlich eingegangen. An dieser Stelle sei exem- plarisch auf folgende Untersuchungen verwiesen: Trepp 1996, Kühne 1996, Dinges 1998 u.

Habermas 2000.

39 Szcepaniak 2005, S. 1.

40 1999 gründete der Historiker Martin Dinges den Arbeitskreis für interdisziplinäre Männer- Ein Forschungsüberblick: Themen, Theorien und Personen 28

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wird begleitet von einem Anstieg wissenschaftlicher Publikationen.41 Die Sichtbar- keit des Themas Männlichkeiten spiegelt sich nicht nur in einer stetig wachsenden Zahl von Aufsätzen, sondern auch in Form von Monografien, Sammelbänden, Buchreihen, Zeitschriften 42 sowie in Tagungen und im Lehrveranstaltungsangebot der Universitäten wider.

Die Literaturwissenschaft hat die Entstehung der Männlichkeitsforschung von Anfang an begleitet. Ganz allgemein kann zunächst festgehalten werden, dass das Erkenntnisinteresse der Literaturwissenschaft darin besteht, danach zu fragen, „wie literarische Texte Männlichkeitskonzepte reflektieren, modifizieren und selbst wiede- rum Männlichkeitsfiktionen formen“.43 Bei dem Versuch, die Arbeiten und Ergeb- nisse der Männlichkeitsforschung zur deutschsprachigen Literatur zu systematisieren, fällt auf, dass sich die Untersuchungen überwiegend auf einzelne Werke und/oder Autoren beziehen.44 Daneben lassen sich einige weitverbreitete Diskurse identifizieren:

Ein bereits früh geführter Diskurs umfasst die Beziehungen zwischen Männern, die von Freundschaften 45 bis zu offener/camouflierter Homosexualität 46 reichen. Die These, dass sich die Männlichkeitsforschung lediglich mit „abweichende[n] Figuren wie den Androgynen, den Sonderlingen oder den Homosexuellen“ 47 beschäftige, erweist sich mittlerweile als überholt. Tatsächlich unterstreichen gerade die Unter- suchungen zu Männlichkeitsbildern 48 die Pluralität von Männlichkeiten.

Stefan Krammer hat die Bedeutung der Literaturwissenschaft für die Erfor- schung von Männlichkeit nachhaltig betont: Durch autor-, text- oder leser- zentrierte Ansätze können ganz unterschiedliche Erkenntnisse über Männlichkeit gewonnen werden. Analog zur feministischen Literaturtheorie, die die Frage und Schwierigkeit der weiblichen Autorschaft diskutiert und problematisiert hat, kann aus der Per- spektive der Männlichkeitsforschung untersucht werden, „inwiefern hegemoniale Männlichkeit auch das literarische Feld bestimmt“, ob der literarische Kanon als

„Instrument männlicher Macht“ 49 einzustufen ist und inwieweit Universitäten und/

41 Eine Auswahlbibliografie, die eine Übersicht über Männlichkeiten in der deutschen Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart bereitstellt, ist enthalten in Hindinger u. Langner 2011, S. 311 – 341.

42 Männerbilder heißt eine Ausgabe der Zeitschrift Der Deutschunterricht. Vgl. Bogdal 1995.

1997 ist das Kursbuch unter der Schwerpunktsetzung Männer erschienen.

43 Feldmann u. Schülting 2008, S. 454.

44 Vgl. Hindinger u. Langner 2011, S. 7.

45 Vgl. Kraß 2016. Vgl. Mauser u. Becker- Cantarino 1991.

46 Vgl. Buchholtz 2004, Derks 1990 sowie Detering 1994.

47 Bogdal 1998, S. 191.

48 Vgl. ebd., Vgl. Wortmann u. Zilles 2016.

49 Krammer 2007, S. 26.

Die Entdeckung des Mannes: Masculinity Studies/Männlichkeitsforschung 29

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