Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 425. Januar 2008 A147
T H E M E N D E R Z E I T
V
or rund 40 Jahren trat mit der Marburg-Viruskrankheit die erste der „neuen Infektionskrank- heiten“ auf. Zufällig trafen sich der Kliniker, der die ersten Erkrankten im August 1967 sah, und der Elek- tronenmikroskopiker und Virologe, der im November desselben Jahres den Erreger unter dem Elektronen- mikroskop fand, im Juni 2007 in Hamburg wieder und tauschten Er- innerungen darüber aus, wie es sei- nerzeit zur Entdeckung des Erregers kam. Zufall und Serendipity* hatten daran Anteil, dass seine Identität in- nerhalb von drei Monaten aufge- klärt werden konnte. Dazwischen lagen manche Irritationen und Miss- verständnisse.Nach der Aufnahme der ersten schwer erkrankten Patienten in die Medizinische Universitätsklinik in Marburg wurde sogleich klar, dass es sich nicht um eine der in Deutsch- land bekannten exanthemischen Krankheiten wie Scharlach oder
Masern handeln konnte; denn sie zeigten ein nach Lokalisation und Intensität bisher unbekanntes Exan- them. Schnell stellte sich heraus, dass alle Erkrankten bei den Beh- ring-Werken in Marburg/Lahn in der Affenhaltung tätig waren. Zeitgleich erkrankten in Frankfurt am Main und Belgrad einige weitere Perso- nen, die dort ebenfalls mit Affen Kontakt hatten, mit den gleichen Symptomen. Alle Affen waren aus Uganda importiert worden, um aus deren Nieren Impfstoffe gegen Po- liomyelitis herzustellen.
Alle Erkrankten hatten Kontakt mit Affen aus Uganda
Unglücklicherweise gingen diese Affentransporte wegen des Suez- kriegs aber nicht – wie sonst üblich – über Kairo, sondern über London.Dort waren die Tiere aus Afrika und Asien in der Quarantäne nicht, wie es vorgeschrieben war, nach Herkunft und Spezies getrennt worden, sodass eine größere Anzahl seltener Infek- tionen für die Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden musste.
Eine Anfrage bei der Weltge- sundheitsorganisation in Genf ergab keinen Hinweis auf ein gehäuftes Vorkommen von ähnlichen ortsstän- digen Infektionen in den Herkunfts- ländern. Aus Großbritannien wurde Prof. George Dick als Gelbfieber- spezialist zum Konsil hinzugezo- gen, der Gelbfieber ausschloss. Er nahm Blut von einigen Patienten mit nach Porton, England. Dort befand sich ein mikrobiologisches Zentrum, das eng mit der britischen Armee zusammenarbeitete; dadurch kam später der Verdacht auf, dass der vermutete Erreger mit „biolo- gischer Kriegsführung“ zu tun ha- ben könnte. Inzwischen waren ers- te Ergebnisse der serologischen Untersuchungen vorhanden (Prof.
Dr. med. Walter Mannheim, Hygie- ne-Institut Marburg); unter ande- rem fiel ein ungewöhnlich hoher Titer von Antikörpern gegen Lep- tospiren auf (Prof. Dr. med. Lud- wig Popp, Technische Hochschule Braunschweig).
Wie sich später herausstellte, führte dieser Befund auf die falsche Fährte. Es wurde deutlich, dass es sich um Antikörper gegen eine Hun- deleptospire handelte, die bei Tier- pflegern als stumme Infektion ab- laufen kann. Hier war Serendipity am Werk, denn dieser Befund veran- lasste Prof. Dr. med. Rudolf Siegert, Direktor des Marburger Hygiene-In- stituts, die für diesen Mikroorga- nismus als Versuchstiere üblichen, nach damaliger Auffassung nicht aber für Viren geeigneten Meer- schweinchen zu benutzen. Diese er- krankten nicht sichtbar, aber Siegert ließ der Sorgfalt halber die Tempera- tur der Tiere messen, die, wie bei ei- ner Infektion, stark erhöht war. Es gelang ihm und seinem damaligen Assistenten, Prof. Dr. med. Werner Slencszka, den vermuteten Erreger auf andere Meerschweinchen zu übertragen. So konnten sie dank des Einsatzes der Immunfluoreszenz (Slencszka) genügend Blut mit dem infektiösen Agens sammeln und für weitere, unter anderem elektronen- mikroskopische Untersuchungen zur Verfügung stellen. „Wir haben durch Passagen und Virustitration sowie unter Kontrolle der Immunfluores- zenz die Erreger schließlich so ange-
MARBURG-VIRUS
Entdeckung eines bis dahin unbekannten Erregertyps
Planung und Zufall führten 1967 innerhalb von drei Monaten zur Entdeckung eines unbekannten Virus und einer neuen Virusspezies.
* Serendipity ist ein englisches Kunstwort. Die Prinzen von Serendip (Ceylon) fanden etwas, das sie nicht gesucht hatten.
Foto:Bernhard-Nocht-Institut/Günther Müller
A148 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 425. Januar 2008
T H E M E N D E R Z E I T
reichert, dass eine Chance für die elektronenmikroskopische Darstel- lung gegeben schien“, schrieb Sie- gert am 1. Dezember 1967 an den Hamburger Chemiker Dr. rer. nat.
Günther Müller.
Trotz dieser berechtigten Hoff- nung brachten die entsprechenden Untersuchungen in Marburg zu- nächst keine eindeutige Entschei- dung über den Erreger. Daraufhin wandte sich Siegert an Prof. Dr. rer.
nat. Dietrich Peters, den damaligen Leiter der Abteilung für Virusfor- schung am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg. Sie vereinbarten, zur gefahrlosen Handhabung inaktivier- tes Blut und Gewebematerial der er- krankten Meerschweinchen in Ham- burg elektronenmikroskopisch zu untersuchen. Weder der peterschen Arbeitsgruppe noch Forschern an anderen Instituten gelang die Dar- stellung eines verdächtigen Agens.
Um nichts unver-
sucht zu lassen, wandte sich Peters an einen Mitarbeiter der Abteilung, Dr. rer. nat. Günther Müller, der sich mit einer anderen virologischen Fra- gestellung beschäftigte: „Wir kom- men trotz Anwendung aller üblichen Präparationstechniken mit dem Ma- terial von Prof. Siegert zu keinem Ergebnis. Versuchen Sie doch mal, ob Sie nicht mit Ihrer Methode et- was finden.“ Müller arbeitete näm- lich an einer Technik, die zum Ziel hatte, Viruspartikel effektiver und reproduzierbarer aus Untersuchungs-
materialien auf die Trägernetze für die Elektronenmikroskopie zu brin- gen. Schon der erste Versuch mit Blut vom Meerschweinchen führte nach nicht einmal einer Stunde zu ei- nem verblüffenden Erfolg: Im Elek- tronenmikroskop zeigten sich in übergroßer Menge Strukturen ein- heitlicher Form, die sich nach Größe und Morphologie zweifellos als ein bis dahin unbekanntes Virus identifi- zieren ließen. Die Zufälligkeit dieses Ergebnisses wird noch dadurch un- terstrichen, dass es bei späteren Ar- beiten mit neu gewonnenen Virus- präparaten auch mit den zuvor er- folglosen Präparationstechniken kei- ne Schwierigkeiten gab, die Partikel im Elektronenmikroskop darzustel- len. Der Grund dafür ist ungeklärt.
Peters übermittelte den Befund un- mittelbar an Siegert. Sie vereinbar- ten, mit der Veröffentlichung abzu- warten, bis es gelun- gen sei, die Ätiologie gemäß dem koch- schen Postulat durch Reproduzierung des Krankheitsbildes
auf Affen abzusi- chern. Kurze Zeit
später jedoch rief Siegert bei Müller an und bestand trotz der Abwesen- heit von Peters (der war inzwischen zu einem Kongress nach Peru ge- reist) auf der öffentlichen Bekannt- gabe der Entdeckung des Erregers, um einem möglichen Zuvorkom- men einer englischen Arbeitsgruppe vorzubeugen. So kam es nach gleichzeitigen Pressekonferenzen in Marburg und Hamburg am 29. No- vember 1967 in den Medien zur weltweit ersten Information über die Identifizierung des Erregertyps,
der Marburg-Virus genannt wurde.
Da er zu keiner der bekannten Virus- arten passte, wurde mit ihm die neue Gruppe der Filoviren begründet, der später das Ebola-Virus zugeordnet wurde.
Virus noch Wochen nach der Erkrankung im Körper
Epidemiologisch führten die Arbei- ten an der Marburg-Viruskrankheit zu der wichtigen Entdeckung, dass das Virus trotz der Anwesenheit von Antikörpern noch länger im Orga- nismus vorhanden bleiben kann:
Mehrere Wochen nach Beendigung der Epidemie meldete sich die Frau eines Patienten, der die Krankheit überlebt hatte; sie leide an den glei- chen Symptomen, die bei ihrem Mann aufgetreten waren. Das klang zunächst unglaubwürdig, bestätigte sich dann aber doch. Siegert unter- suchte auf Wunsch von Prof. Dr.
Martini das Sperma des genesenen Ehemanns. Siegert war zwar skep- tisch und meinte, es sei bislang keine Virusübertragung beim Menschen bekannt, die zu einer systemischen Erkrankung führe. Aber hier konnte zum ersten Mal nachgewiesen wer- den, dass das Virus im Sperma auch noch Wochen nach der Erkrankung ausgeschieden worden war. Der Amerikaner Mosley äußerte sehr bald den Verdacht, dass auch die He- patitis B durch Sperma übertragen werden könnte, und nunmehr gilt auch bei Aids dieser Weg als Ursa- che der pandemischen Ausbreitung.
Nach der rasch geglückten Ent- deckung des Marburg-Virus ent- wickelte sich ein Streit um die Prio- rität, an dem sich bis heute auch noch die Briten beteiligen. Im Nach- hinein sollte man eher betonen, dass neben unvoreingenommener Pla- nung und Zusammenarbeit verschie- dener Arbeitsgruppen auch Serendi- pity und Zufall dazu führten, die Ätiologie der „neuen Erkrankung“
aufzuklären und eine bis dahin nicht bekannte Virusgruppe, die Filoviren, zu entdecken. In der Folge konnte später die viel häufigere Ebola-Vi- ruskrankheit sehr schnell als Ver- wandte der Marburg-Viruskrankheit
eingeordnet werden. n
Prof. Dr. Gustav Adolf Martini † Dr. rer. nat. Günther Müller Das Deutsche
Ärzteblatt berichtete im Juli 1968 ausführlich über die „Marbur- ger Affenkrankheit“.