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Archiv "Wie schlimm wird die „Ärzteschwemme“, und wie kann ihr begegnet werden?" (06.03.1980)

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Klaus Golenhofen

Das stetige Ansteigen der Medizin- studentenzahlen findet in der Öf- fentlichkeit zunehmend Beachtung, und in der Tat ist dies auch ein zen- traler Punkt in der Problematik der ärztlichen Ausbildung. So hat auch die beim Bundesministerium für Ju- gend, Familie und Gesundheit ein- gerichtete „Kleine Kommission zu Fragen der ärztlichen Ausbildung und der künftigen Entwicklung im Bereich des ärztlichen Berufsstan- des" in ihrem Bericht vom 17. Okto- ber 1979 (s. DEUTSCHES ÄRZTE- BLATT Heft 46/1979, Seite 3011) wie- derholt darauf hingewiesen, daß ei- ne Verbesserung der ärztlichen Aus- bildung nur gelingen kann, wenn die Studentenzahl in vernünftiger Weise begrenzt wird. Einen Vorschlag für die Lösung dieses Problems hat sie allerdings nicht vorgelegt. Fragen der Zulassung zum Medizinstudium hat die Kleine Kommission wohl zu Recht ausgeklammert, da dies nicht zu ihren Aufgaben zählte. Um so mehr sollte überlegt werden, ob das Zahlenproblem nicht imStudium ge- regelt werden kann, wie dies auch in anderen Ländern geschieht. Eine mögliche Lösung soll hier zur Dis- kussion gestellt werden.

Im Augenblick beginnen etwa 12 000 junge Menschen jährlich das Medi- zinstudium. Nach den bis zum Früh- jahr 1979 gültigen Prüfungsbestim- mungen (50-Prozent-Regel) durfte man erwarten, daß auch die Zahl der jährlichen Neuapprobationen nach 6 Jahren solche Werte erreicht. Die Einführung der 60-Prozent-Beste- hensregel ab Herbst 1979 hat diese Situation allerdings grundlegend verändert. An Hand der Daten von den Ärztlichen Vorprüfungen soll dies zunächst genauer dargestellt werden. In diesem Zusammenhang sollen auch einige allgemeine Pro- bleme der ärztlichen Ausbildung erörtert werden.

Entwicklung der Ärztlichen Vorprüfungen 1975 bis 1979 In der Abbildung sind die Teilneh- merzahlen an der Ärztlichen Vorprü- fung sowie die Zahl der jeweils be- standenen Prüfungen für die letzten Jahre zusammengestellt (der erste Termin der zentral-schriftlichen Prü- fung, August 1974, ist weggelassen, weil er wegen zu geringer Beteili- gung mit den späteren Terminen nicht vergleichbar ist). Man sieht zu-

Schwangerschaftsabbruch

die im Einzelfall vorliegen, sie kön- nen in keinem Gesetz berücksich- tigt werden. Dies gilt auch für den Schwangerschaftsabbruch, und zwar für ihn mit besonderer Schärfe aus den genannten Gründen.

Der ausführende Arzt hat die Indika- tion voll zu verantworten. Er wird in dieser Verantwortung allein gelas- sen. Auch wenn der Zeitgeist allge- meingültige ethische Grundsätze verlassen hat, bleibt der ärztliche Auftrag unverändert, Leben zu er- halten und nur dann zu opfern, wenn nach eingehender Prüfung kein anderer Ausweg gefunden wer- den kann.

„Benachteiligung"

einer Frau

muß ausgleichbar sein

Nur eine kinderfeindliche Wohl- fahrtsgesellschaft kann uns weisma- chen, die Höchstleistung der Frau, nämlich Schwangerschaft und Ge- burt, entspräche nicht der weibli- chen Würde, widerspräche der Emanzipation der Frau. Männer sind weder zu Schwangerschaft noch Geburt fähig. Diese Seite des menschlichen Lebens, eine der wichtigsten und schönsten, ist ihnen verschlossen. Der Verantwortung für die Entstehung und Erhaltung von Leben müssen sie sich jedoch bewußt sein.

Es erscheint zwingend notwendig, daß die Gesellschaft Sicherheit und Würde der Mutter und des ungebo-

renen Kindes weit mehr unter ihren Schutz stellt, als dies heute der Fall ist. Es muß möglich sein, die „Be- nachteiligung" einer Frau durch Schwangerschaft und Kindererzie- hung voll auszugleichen.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Peter Stoll Ordinarius für Geburtshilfe und Gynäkologie

der Universität Heidelberg Direktor der Frauenklinik der Städtischen Krankenanstalten Mannheim

6800 Mannheim 1

FORUM

Wie schlimm wird die

„Ärzteschwemme",

und wie kann ihr begegnet werden?

Die Zahl der Medizinstudenten nimmt seit Jahren unaufhaltsam zu was mit einem stetigen Sinken der Ausbildungsqualität verbunden ist.

Von einer neuen Approbationsordnung sollte man die Lösung dieses zentralen Problems erwarten. Der Bericht der „Kleinen Kommission"

ist nach Auffassung des Verfassers in dieser Hinsicht unbefriedigend Er schlägt vor, den Numerus clausus für Medizin stufenweise abzu- bauen und durch strenge Auswahl in der Ärztlichen Vorprüfung wenigstens den klinischen Ausbildungsabschnitt vor einer Überflu- tung zu bewahren,

616 Heft 10 vom 6. März 1980

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Aufsätze • Notizen

„Ärzteschwemme"

nächst den bekannten Trend, mit ei- nem Ansteigen der Teilnehmerzahl um mehr als 1000 pro Jahr und ei- nem Anwachsen der Zahl der klini- schen Studienanfänger (bestandene Prüfungen) um rund 1000 pro Jahr:

von gut 6000 im Jahr 1975 auf gut 9000 im Jahr 1978. In dieser Zeit galt die Prüfung als bestanden, wenn 50 Prozent der Fragen richtig beant- wortet waren. Die Mißerfolgsquote lag bei 13 Prozent. Der Anteil derje- nigen, die nach zweimaliger Wieder- holung der Prüfung endgültig schei- terten, betrug allerdings lediglich ein bis zwei Prozent. Wer also ein- mal zugelassen war, hatte seine Ap- probation so gut wie in der Tasche, und mindestens eine gleich große Zahl Studierwilliger hätte die glei- chen Leistungen erbringen können, wenn sie die Barriere des Numerus clausus nicht vom Medizinstudium ausgesperrt hätte. Der Weg im Me- dizinstudium war in unserem Lande spielerisch leicht, jedenfalls im Ver- gleich zu anderen Ländern wie USA, Frankreich und England. (Die soge- nannte 50-Prozent-Regel war in Wirklichkeit eine 37,5-Prozent-Re- gel, denn für jede Frage werden nur fünf Antwortmöglichkeiten angebo- ten, so daß die Zufallstrefferzahl für 62,5 Prozent nicht gewußter Antwor- ten die restlichen 12,5 Prozent für das Bestehen liefert).

Diese Situation konnte natürlich nicht befriedigen. Dennoch brauch- te unsere schwerfällige Gesetzge- bungsmaschinerie viele Jahre, bis sich eine erste, wenn auch höchst unzulängliche Reaktion zeigte: seit August 1979 werden 60 Prozent rich- tige Antworten für das Bestehen ge- fordert (unter Einrechnung der Zu- fallshilfen eine echte 50-Prozent- Forderung).

Die Abbildung zeigt die erwarteten Auswirkungen. Zunächst haben sich etwa 10 Prozent weniger Studenten zur Prüfung gemeldet (Melde-Defi- zit) als unter Fortbestehen der alten Regel zu erwarten gewesen wären.

Drastischer aber ist der Knick in der Entwicklung der klinischen Anfän- gerzahlen: gegenüber einem Erwar- tungswert von rund 6000 haben nur gut 4500 die Prüfung im August 1979

bestanden (Bestehens-Defizit etwa 1400). Die Mißerfolgsquote betrug 25,6 Prozent.

Wie wird sich die Vorprüfung weiter entwickeln?

Die Zahl der Prüfungsteilnehmer wird in diesem Jahr wieder anwach- sen (Antreten der Zauderer, zuneh- mender Anteil von Wiederholern), die Mißerfolgsquote dürfte auf Wer- te zwischen 30 und 40 Prozent stei- gen, und die endgültige Schwund- quote (Anteil derjenigen, die endgül- tig in der zweiten Wiederholungs- prüfung scheitern) dürfte auf minde- stens 10 Prozent steigen. Die Zahl der klinischen Anfänger wird dem- nach in den Jahren 1980/81 auf über 9000 pro Jahr ansteigen und viel- leicht 10 000 erreichen. Das alles gilt natürlich nur unter der Vorausset- zung, daß die Schwierigkeit der Fra- gen unverändert bleibt. Diese Zah- len belegen, daß mit der neuen Re- gelung eine echte Barriere in das Medizinstudium eingebaut worden ist. Leider ist sie keine glaubwürdige Leistungsbarriere im Hinblick auf

den ärztlichen Beruf, weil sie sich einseitig nur auf die mittels Multiple- choice-Fragen meßbaren Leistun- gen stützt. Es bedürfte der Ergän- zung durch eine schriftliche Essay- Arbeit sowie durch eine auf die prak- tischen Leistungen ausgerichtete

Prüfung.

Wie werden sich die klinischen Stu- dentenzahlen und die Approba- tionszahlen entwickeln?

Die Zahl der klinischen Studienan- fänger ist in den letzten Jahren, wie eben dargelegt, stark gestiegen, hat im Jahr 1978 mit über 9000 pro Jahr ein Maximum erreicht und ist 1979 als Folge der 60-Prozent-Regel auf rund 8500 zurückgegangen. Da auch für die drei Abschnitte der Ärzt- lichen Prüfung jetzt die 60-Prozent- Regel eingeführt worden ist, sind die bis dahin für diese Prüfungen sehr niedrigen Mißerfolgsquoten auch deutlich angestiegen — für den 1.

Abschnitt der Ärztlichen Prüfung von rund 5 auf 21 Prozent und für den 2. Abschnitt der Ärztlichen Prü- fung von 1,5 auf 19,3 Prozent. Die Entwicklung der Ärztlichen Vorprüfung in den Jahren 1975-1979

ÄRZTLICHE VORPRÜFUNG 1975-1979 ,

8000

O ZAHL DER TEILNEHMER MELDE-DEFIZIT

• ZAHL DER BESTANDENEN 70010 0/0

PRUFUNGEN °- 2ERWARTUNGS-

6000 WERTE

;BESTEHENS- DEFIZIT --0. '•.

1.400

4000 ..• • _-•.. . 0

-- • •0

2000

e

60 0/0-REGEL

50 0/0-REGEL BIS MARZ 1979

M A M A M A MAMAM=MARZ

1975 1976 1977 1978 1979 A=AUGUST

(Nach Angaben des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen, Mainz)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 10 vom 6. März 1980

617

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Aufsätze • Notizen

„Ärzteschwemme"

endgültigen Schwundquoten für diese Prüfungsabschnitte lassen sich schlecht vorhersagen, in jedem Fall ergeben sich zusätzliche Verzö- gerungseffekte, so daß mit großer Sicherheit die Zahl der jährlichen Neuapprobationen bis 1983 nicht über 8000 ansteigen wird, bis 1985 wahrscheinlich nicht über 9000. Die- se Zahlen liegen im Rahmen der im Augenblick ausgewiesenen klini- schen Ausbildungskapazität — wie- weit sich dies noch mit einer befrie- digenden Ausbildungsqualität ver- einbaren läßt, soll hier nicht disku- tiert werden (vgl. Bock, 1979). Je- denfalls besteht im Augenblick kein Grund zur Panik. Die 60-Prozent-Re- gel hat uns eine kleine Atempause gegeben, allerdings auch nicht mehr. In den nächsten ein oder zwei Jahren sind neue Entscheidungen fällig, wenn die ärztliche Ausbildung noch gerettet werden soll.

Ist die Qualität

der vorklinischen Ausbildung noch zu retten?

Mit dem Ansteigen der Studenten- zahlen ist die Qualität der vorklini- schen Ausbildung ständig zurückge- gangen, und die negativen Auswir- kungen der 1970 eingeführten Prü- fungsordnung auf Lern- und Lehr- motivationen sowie die Kapazitäts- verordnung und sonstige Versuche zunehmender bürokratischer Gän- gelung haben das Ihre dazu beige- tragen. Außerdem rollt im Augen- blick eine neue Welle gerichtlicher Studienplatzerhöhungen in der Vor- klinik an. Diese Welle resultiert ein- mal daraus, daß immer „ökonomi- schere" Modelle zur Ausnutzung der Unterrichtskapazitäten entwickelt werden, und weiterhin daraus, daß die mit der 60-Prozent-Regel stei- genden Schwundquoten als Zu- schlag zur Anfängerkapazität zuge- rechnet werden. Ein emotionaler Hintergrund liegt wahrscheinlich auch darin, daß die Wartezeiten für diejenigen, die keine Traum-Abitur- note um 1,5 erreicht haben, inzwi- schen etwa sechs Jahre betragen — und dies ist natürlich ein Hohn auf die grundgesetzlich garantierte Be- rufs- und Ausbildungsfreiheit.

Daß in dieser Situation die vorklini- sche Ausbildungsqualität noch auf einem befriedigenden Niveau gehal- ten werden kann, erscheint mir als Illusion. Man muß auch zugeben, daß die Kapazitätsgrenzen vieler vorklinischer Kurse unglaubwürdig sind. In den Fächern Chemie und Physik sind, bundesweit gesehen, hinreichende Kapazitäten vorhan- den. In manchen Kursen könnte un- ter Zuhilfenahme audiovisueller Techniken die Kapazität leicht er- weitert werden, wie Köln für den

Biologiekurs und Göttingen für ei- nen Teil des physiologischen Prakti- kums vorexerzieren. In Physiologie und Biochemie wurden an vielen Universitäten die personellen Lehr- kapazitäten durch Stellenstreichun- gen reduziert, obwohl die Aufgaben der Forschung ein organisches Wachsen dieser Fächer verlangen und qualifizierter Nachwuchs vor- handen ist. Völlig unglaubwürdig werden die Schranken schließlich im Hinblick darauf, daß in der Ärztli- chen Vorprüfung nur die Beantwor- tung von Multiple-choice-Fragen verlangt wird.

Ich stelle deshalb folgende Lösung zur Diskussion:

0 Der Numerus clausus wird stufen- weise abgebaut, indem die Zulas- sungszahl für das 1. Semester Medi- zin in jedem Jahr um weitere 1000 erhöht wird.

O Durch personelle, räumliche und apparative Investitionen wird ver- sucht, einen weiteren Verfall der Qualität der vorklinischen Ausbil- dung möglichst zu verhindern.

• Nach den ersten zwei Jahren des medizinischen Studiums wird im Rahmen der „Ärztlichen Vorprü- fung" über die endgültige Aufnahme in den zweiten Studienabschnitt ent- schieden.

0 Für den zweiten Studienabschnitt wird eine Vertiefung der praktischen Ausbildung in Morphologie, Physio- logie und Biochemie vorgesehen, möglichst in enger Verknüpfung mit den klinischen Fächern (vgl. Golen- hofen, 1971).

Eine solche Lösung würde bedeu- ten, daß die Aufhebung des Nume- rus clausus Vorrang besitzt. Die an sich wünschenswerte Genesung der vorklinischen Ausbildung würde auf die Zeit nach der Überwindung des großen Studentenberges verscho- ben. Ausgesprochen erfreuliche Be- gleitphänomene einer solchen Lö- sung wären die Befreiung der Schu- len vom Numerus-clausus-Druck (analoge Modelle wären natürlich für alle weniger harten NC-Fächer noch leichter zu finden) und die Auf- lösung der karzinomartig wachsen- den Mängelverwaltung mit all ihren negativen Nebeneffekten und den ständig steigenden Kosten (vgl.

Breinersdorfer, 1979). Auch die un- glücklichen Bemühungen um einen medizinischen Zulassungstest könn- ten eingestellt werden, und die ebenfalls unwürdige Art, die Lebens- chancen per Los zu entscheiden (vgl. Bochnik et al., 1977; Jacob, 1977), bliebe uns erspart. Die ersten beiden Studienjahre nach diesem Modell könnten weitgehend die Funktion eines Vorstudiums erfül- len, wie es Bochnik et al. (1974) als bestes Mittel zur Auswahl emp- fehlen.

Wie kann die Qualität der klinischen Ausbildung gerettet werden?

Oben wurde dargelegt, daß die Ärzt- liche Vorprüfung nach der 60-Pro- zent-Klausel für eine gewisse Zeit ei- nen hinreichenden Damm gegen die Überflutung des klinischen Studien- abschnittes darstellt. Mit dem zu er- wartenden weiteren Anstieg der Stu- dienanfänger wird aber die Zahl der klinischen Anfänger spätestens in drei Jahren auf über 10 000 pro Jahr ansteigen, wenn nicht zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden.

Drei Lösungen sind denkbar:

Es werden die Voraussetzungen für eine qualitativ hinreichende Aus- bildung so hoher Studentenzahlen geschaffen. Nach den Erfahrungen des letzten Jahrzehnts darf man nicht damit rechnen, daß dies ge- lingt.

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Heft 10 vom 6. März 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(4)

Aufsätze ·Notizen ,,Ärzteschwemme''

f) Mit der Vorprüfung wird eine noch stärkere Selektion als im Au- genblick vorgenommen.

8

Mit der Vorprüfung wird eine Dif- ferenzierung in einen wissenschafts- bezogenen Studiengang alter Art und einen einfacheren, praktisch- ärztlichen Studiengang vorgenom- men, für den weitere Ausbildungs- krankenhäuser eingerichtet werden könnten, unter Verzicht auf viele universitätsspezifische teure Investi- tionen, insbesondere im Bereich der Forschung.

Der dritte Weg scheidet als sofort einsetzbare Maßnahme zur Lösung des quantitativen Problems aus. Die

"Kleine Kommission" hat sich ein- stimmig für die Beibehaltung der Einheit der ärztlichen Ausbildung ausgesprochen, und so tiefgreifen- de Veränderungen bedürften auch langfristiger Vorbereitungen. So bleibt als Sofortmaßnahme eigent- lich nur der unter 2 genannte Weg.

Inhaltliche Veränderungen im ärztlichen Ausbildungs- und Prüfungswesen

Die bisherigen Ausführungen könn- ten vielleicht den Anschein erwek- ken, daß ich die medizinische Aus- bildung nur als ein quantitatives Problem sehen würde. Das Gegen- teil ist an sich der Fall. Höchsten Rang hat für mich nach wie vor die Qualität der Ausbildung, und ich bin mit vielen Kritikern der heutigen Ap- probationsordnung darin einig, daß wesentliche inhaltliche Änderungen dieser Ordnung nötig sind, um die Ausbildungsqualität wieder zu ver- bessern. Meine diesbezüglichen Vorstellungen habe ich. in einer Ar- beit dargelegt, die zu den frühesten und radikalsten Kritiken der jetzigen Approbationsordnung gehört. Ich habe darin ein Modell vorgeschla- gen, bei dem vom ersten Semester an die Begegnung mit dem Kranken und die Erarbeitung von theoreti- schem Wissen parallel laufen und auf diese Weise die horizontale Spaltung der Medizin in Vorklinik und Klinik überwunden und durch eine vertikale Gli.ederung ersetzt

wird (Golenhofen, 1971 ). Dies ist nach wie vor meine ldealvorstellung, die in wesentlichen Punkten auch mit vielen anderen Vorschlägen übereinstimmt. Nur meine ich, daß im Augenblick das quantitative Pro- blem den Vorrang haben muß, weil bei einer Überflutung der klinischen Ausbildung mit 15 000 Studenten pro Jahr alle Bemühungen um eine Verbesserung der Inhalte zum Scheitern verurteilt wären. Man soll- te sich deshalb im Augenblick hü- ten, das Instrument der zentral- schriftlichen Ärztlichen Vorprüfung aus der Hand zu legen. Die verpaß- ten Chancen einer rechtzeitigen in- haltlichen Reform sollte man sich nicht gerade für die Jahre des größ- ten Studentenberges vornehmen, je- denfalls nicht bezüglich der Vorkli- nik. Ich meine also, daß die Forde- rung des 82. Deutschen Ärztetages (1979) nach "weitgehender Abkehr von der zentralen schriftlichen Prü-

fung" auf den klinischen Studienab-

schnitt eingeschränkt, dort aber mit großem Nachdruck vertreten wer- den sollte.

Eine Verbesserung der Ärztlichen Vorprüfung sollte dennöch so früh wie möglich begonnen werden, denn die Härte der Selektion, die mit diesem Instrument getroffen werden

muß, verpflichtet natürlich dazu, die

Auswahlkriterien möglichst sachge- recht den Erfordernissen des ärztli- chen Berufes anzupassen. Der nost- algische Ruf "Zurück zur mündli- chen Prüfung'· ist da sicher nicht die richtige Lösung. Es ist merkwürdig, wie sich in manchen Hirnen die alten mündlichen Prüfungen verklärt ha- ben, und mit welch simplen Argu- menten die Multiple-choice-Fragen (MC-Fragen) als Prüfung von "rei- nem Faktenwissen" oft abgetan wer- den. Aus meiner vieljährigen Tätig- keit am Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) kann ich nur sagen, daß wir uns immer bemüht haben, die Fra- gen möglichst stark auf funktionel- les Denken hin auszurichten, z. B. in der Kombination von Diagrammen mit _verschiedenen Aussagen. Daß dies möglich ist, läßt sich auch durch Analysen belegen und wird von Sachkennern nicht bestritten.

620 Heft 10 vom 6. März 1980

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Wenn ich auf der anderen Seite mei- ne Erfahrungen vergleiche, die ich als Vorsitzender bei der Wiederho- lung der zahnärztlichen Vorprüfung jetzt noch sammeln kann, wo ja die alte mündliche Prüfung noch läuft, so gebe ich einer guten schriftlichen Prüfung doch den Vorzug. Wenn es in einer mündlichen Wiederholungs- prüfung um die Frage von Bestehen oder Nichtbestehen geht, so wird doch über recht schlichte Gegen- stände gesprochen, und ich habe es noch nicht erlebt, daß ein Prüfer da- bei versucht hätte, etwa die Kreativi- tät des Kandidaten auszuloten und in die Bewertung einzubeziehen. Die Härte der zu treffenden Entschei- dungen fordert eine möglichst weit- gehende Objektivität und Einheit- lichkeit, die nur dadurch erfüllt wer- den kann, daß eine zentral-schriftli- che Prüfung einen entscheidenden Stellenwert in der Gesamtprüfung einnimmt. Man sollte also nicht über die Abschaffung der zentral-schriftli- chen Prüfung reden, sondern über ihre Verbesserung und Ergänzung.

Im einzelnen sollten folgende Ände- rungen erwogen werden:

0

Die zentral-schriftliche Prüfung wird dreigeteilt.

~ MC-Fragen, die ohne Hilfsmittel zu beantworten sind.

~ MC-Fragen, bei denen alle Lehr- bücher verwendet werden dürfen.

~ Fragen, die mit kurzen Aussa- gen zu beantworten sind (Essay-Fra- gen).

f) Die zentral-schriftliche Prüfung wird durch einen von den ausbilden- den Hochschulen durchzuführen- den Prüfungsteil ergänzt. (in der Ausgestaltung dieses Teils sollte man den Hochschulen möglichst viel Freiheit lassen und sollte vor allem keine Festlegung auf das Mündliche einbauen, denn es ist zu erwarten, daß viele der Kollegen, die jetzt lautstark die mündliche Prü- fung zurückfordern, sehr bald zum Schriftlichen greifen, wenn sie sich den großen Studentenzahlen gegen-

übersehen!) I>

(5)

„Ärzteschwemme"

Viele der mit Recht beklagten nega- tiven Auswirkungen des jetzigen Prüfungssystems könnten schon durch die Veränderungen unter 1) mehr oder weniger kompensiert werden. So würde beispielsweise die Freigabe der Lehrbücher in der Prüfung sicher dazu führen, daß die Studenten mehr Kraft darauf ver- wenden, mit ordentlichen Büchern umgehen zu lernen, anstatt aus billi- gen Skripten zu pauken. Man könnte dann auch leicht belegen, wie wenig das reine Pauken bei der Beantwor- tung von guten MC-Fragen hilft.

Wie lassen sich

die notwendigen Änderungen schnell genug durchführen?

Schnell genug arbeiten unsere über- komplizierten Lenkungsinstanzen nur dann, wenn das Wasser bis zum Hals gestiegen ist. Wenn eine Lawi- ne von 15 000 Medizinstudenten pro Jahr auf die Krankenbetten der Uni- versitäten zurollt, sollte eigentlich der letzte begreifen, daß etwas ge- schehen muß.

Das Prüfungsrecht für die Ärztliche Vorprüfung wäre umgehend durch eine Änderung der Approbations- ordnung neu zu regeln. Dabei soll- ten nur die Rahmenbedingungen festgeschrieben werden, etwa so:

„Die Ärztliche Vorprüfung besteht aus einem zentral-schriftlichen Teil und einem an der Hochschule durchzuführenden Teil. Die näheren Einzelheiten werden von einer neu zu bildenden Ständigen Kommis- sion geregelt, der Vertreter der Hochschulen, der Ärzteschaft und der Länderregierungen angehören."

Ein neues ständiges Lenkungsgre- mium mit großen Kompetenzen scheint mir erforderlich, um rasches Handeln und eine ständige Weiter- entwicklung des Prüfungswesens an Hand der gesammelten Erfahrungen zu ermöglichen. Veränderungen im Prüfungsmodus und in der Beste- hensregel müssen rasch und in klei- nen Schritten möglich sein. Das starre Festhalten an der 50-Prozent- Regel über fünf Jahre und das ab-

rupte Anheben auf 60 Prozent, wie wir es jetzt erlebt haben, ruft mit Recht größte Proteste hervor. Der ständig wachsende Widerstand ge- gen das jetzige Prüfungssystem (vgl.

Barnikol, 1979) liegt nicht nur in den Prüfungsbestimmungen selbst be- gründet, sondern zu einem guten Teil in Fehlern bei der Realisierung.

So ist es z. B. nicht gelungen, das Prüfungsinstitut (IMPP) in eine gute Kooperation mit den medizinischen Fakultäten einzubinden, nur ganz wenige Hochschullehrer wirken am Prüfungsinstitut mit, der überwie- gende Teil ist durch übertriebene Geheimhaltung ausgesperrt. So ist beispielsweise dem Hochschulleh- rer die Analyse der Prüfungsaufga- ben bis heute nicht zugänglich. Mit dem neuen Lenkungsgremium soll- ten die Fakultäten wieder stärker an der Prüfungsverantwortung, die ja an sich ein Teil der Lehrverantwor- tung ist, beteiligt werden.

Ich will mich hier darauf beschrän- ken, die notwendigen Änderungen in den Grundzügen anzudeuten.

Zusammenfassung

Die Zahl der jährlichen Neuapproba- tionen wird in den nächsten Jahren nicht über 8000 ansteigen. Die Erhö- hung der Prüfungsanforderungen hat dazu geführt, daß die Zahl der klinischen Studienanfänger (Zahl der bestandenen Ärztlichen Vorprü- fungen) nach einem Gipfel von über 9000 im Jahr 1978 auf rund 8500 im Jahr 1979 zurückgegangen ist und in den nächsten 2 Jahren die Grenze von 9000 nicht wesentlich über- schreiten dürfte. Die Gefahr der Überflutung des klinischen Stu- diums ist damit für etwa zwei Jahre gebannt, es gibt eine kleine Atem- pause.

Die Überflutung des vorklinischen Studienabschnittes ist dagegen nicht mehr aufzuhalten. Es wird des- halb vorgeschlagen, dieses Faktum zu akzeptieren und den Numerus clausus für Medizin durch jährliche Erhöhung der Zulassungszahl um 1000 abzuschaffen. Die ersten bei-

den Jahre des medizinischen Stu- diums sollten als eine Art Vorstu- dium begriffen werden, und mit der Ärztlichen Vorprüfung sollte die Ent- scheidung über die endgültige Zu- lassung zum medizinisch-klinischen Studium getroffen werden. Notwen- dige Veränderungen im Modus der Ärztlichen Vorprüfung werden ange- deutet.

Literatur

Barnikol, W.: Die Notwendigkeit materialer Re- formen des Medizinstudiums, DUZ 1979, S.

234-238.

Bochnik, Donike, Pittrich: Numerus clausus in der Medizin, Akademische Verlagsgesell- schaft, Frankfurt/Main 1974.

Bochnik, H. J., Pittrich, W., Richtberg, W.: Her- ausgetestet, DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 1977, S. 1360-1365.

Bock, K. D.: Die universitäre Ausbildung zum Arzt — mehr Praxisnähe oder mehr Theorie?

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 1979, S.

1182-1186.

Breinersdorfer, A. W.: Papiertiger Numerus clausus, Ullstein-Verlag, Frankfurt/M. 1979.

Golenhofen, K.: Orthologie und Pathologie — parallel, DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 1971, S.

869-874.

Jacob, W.: Neuordnung der Zugangswege zum Medizinstudium, DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 1977, S. 1288-1295.

Anmerkung

Mit Aussagewert und Grenzen von MC- Prüfungen befaßt sich eine neue Arbeit von Prof. G. Gebert, dem Leiter der Prü- fungsfragenabteilung am IMPP. Gestützt auf eine qualitative Differenzierung der Original-Prüfungsfragen wird dargelegt, daß mit Hilfe von MC-Fragen durchaus auch höhere kognitive Leistungen gete- stet werden können. Bislang stand aller- dings auch bei den Mainzer Prüfungen die Testung reinen Faktenwissens im Vordergrund, was unter anderem daran liegt, daß die in der Approbationsord- nung festgesetzte Lösungszeit von 90 Sekunden pro Aufgabe nicht erlaubt, hö- here Anteile schwierigerer Fragen einzu- bauen (Internist 21, 1980, im Druck).

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Klaus Golenhofen Physiologisches Institut Deutschhausstraße 2 3550 Marburg

DEUTSCHES ARZTEBLATT

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