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Grohé, Micaela: Lehrer brauchen Unterrichtsforschung

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Musikpädagogik - Magazin

ine gute Theorie ist vor allem prak- tisch, wenn man etwas beurteilen will, und sei es das eigene Lehrerver- halten. Meist wird dieses aber von an- deren beurteilt, und zwar ohne Berück- sichtigung des Lehrerverhaltens dieses Beurteilers. So profitieren von den Theorien eher die Ausbilder als die Lehranwärter oder die Lehrer.

Eine gute Theorie ist auch von Nutzen, um ein Ziel zu definieren, z. B. freitags in der 7. Stunde mit einer 8. Klasse zu arbeiten, ohne zu schreien. Aber für den Weg zu diesem Ziel sind Theorien etwa so gangbar wie ein Seil: als Richt- schnur geeignet, aber man kann nicht einfach darauf laufen. Das zeigt meiner Meinung nach das Beispiel von den Schülern, die an der Musik herum- meckern, die ihr Lehrer auswählt: Auch wenn der durch die Ablehnung der von ihm gewählten Musik gestresste Musik- lehrer annehmen darf, dass die Ableh- nung gewissermaßen natürlich oder so- gar notwendig ist (Pubertät, Identität) und dass er sie deshalb nicht persönlich nehmen sollte (das sollte er sowieso nicht) – ist damit sein Problem mitnich- ten gelöst. Gelassen die Ablehnung er- tragen und verstehen ist noch kein Un- terrichtskonzept. Ablehnung fruchtbar machen – so Niessens Vorschlag, heißt wahrscheinlich: Begründungen einfor- dern und so ins Gespräch über die Mu- sik kommen. Das ist zwar sinnvoll, aber als „praktische Theorie“ kaum ausreichend, wenn die Ablehnung sei- tens der Schüler bestehen bleibt.

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Optimierung des eigenen Lehrerverhaltens

Um Wissenschaft für den Musikunter- richt nutzbar zu machen (was ja auch im Interesse der Wissenschaft sein könnte), wünsche ich mir „gesichertes Wissen“, Forschungsergebnisse, die ein großes Manko des Systems Schule aus- gleichen könnten, nämlich das Schmo- ren im eigenen Saft. Obwohl es sinn- voll ist, an einer bestimmten Schule in einer bestimmten Gegend an einer be- stimmten Schülerschaft das eigene Leh- rerverhalten auszurichten und zu opti- mieren, erhöht diese Beschränkung doch die Gefahr, viele Handlungsoptio- nen ungenutzt zu lassen. Ergebnisse empirischer Untersuchungen könnten den Blick weiten und Anregungen für die individuelle Weiterentwicklung geben.

Eine (neue) Theorie hingegen stieße al- ler Wahrscheinlichkeit nach auf weni- ger Interesse und hätte kaum Einfluss auf den Unterrichtsalltag. Auf das Bei- spiel oben bezogen: Musiklehrer brau- chen weniger eine Antwort auf die Fra- ge „Warum lehnen meine Schüler die Musik ab, die ich auswähle?“ als viel- mehr eine Antwort auf die Frage „Unter welchen Umständen setzen sich Schüler mit ihnen fremder Musik aus- einander?“ (Die Antwort ist schon an- gedeutet: wenn die Schüler sich nicht in Gefahr sehen, von andern mit dieser Musik identifiziert zu werden.)

Einige für den Musikunterricht relevan- te Fragen könnten sein:

Welchen Einfluss hat die Sitzord- nung auf die Arbeitsatmosphäre?

Wie beeinflusst der Anteil an Be- wegung den Lernzuwachs?

Welche Gender-Stereotypen werden von Musiklehrern bedient?

Welches Lehrerverhalten flößt lei- stungsschwachen Schülern Selbst- vertrauen ein?

Wie wirkt sich die Teilnahme an Musik-AGs auf die Mitarbeit im Musikunterricht aus?

Welche Gründe führen zur Teilnah- me an einer Musik-AG?

Welches Vorgehen/Verhalten von Musiklehrern regt Schüler an, ein Instrument zu erlernen?

Wie tragen Musiklehrer zum Selbstbild eines „unmusikalischen“

Schülers bei?

Woran erinnern sich Menschen 20 bis 30 Jahre nach ihrem Schulab- schluss im Bezug auf ihren Musik- unterricht?

Wie empfinden Schüler und Musik- lehrer Körperkontakt im Unter- richt?

Welchen Einfluss hat die technische Wiedergabe-Qualität von Musik auf deren Akzeptanz durch die Schüler?

Unter welchen Umständen glauben Schüler, dass sie im Musikunter- richt etwas Sinnvolles lernen?

Beobachtung des Unterricht

Was das Problem des Forschens in Schulen angeht, schlage ich vor, dieje-

31/2011

Lehrer brauchen

Unterrichtsforschung

Eine Entgegnung auf den Artikel von Anne Niessen im AfS-Magazin 30 Micaela Grohé

E

Foto: Benedikt Henn

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Musikpädagogik - Magazin

nigen einzubeziehen, die immer wieder zu Recht als Spezialisten bezeichnet werden: die Schüler. Konkrete Beob- achtungsaufträge können Wunder wir- ken, und zwar auf beiden Seiten. Hin- gegen sind nur wenige Schüler in der Lage, (ohne das Beobachten zu üben) qualifizierte Urteile über Unterricht ab- zugeben.

Auch Lehramtsstudenten könnten die gezielte Beobachtung von Unterricht als Grundlage für Prüfungsarbeiten nut- zen. (Eine Praktikantin, die eine Arbeit über Unterrichtsstörungen schrieb, er- klärte mir, dass die Störungen in mei- nem Unterricht mit der Begeisterung zunähmen, die ich für den Unterrichts- gegenstand hege.)

Technisch ist es im Übrigen leicht mög- lich, Unterricht an jeder beliebigen Schule so zu dokumentieren, dass man ihn mit dem nötigen Zeitaufwand auf

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eine bestimmte Frage hin analysieren kann. Die Nähe zu einer Hochschule sollte deshalb keine Rolle spielen.

Theorie als Richtschnur

Guten Unterricht zu definieren bleibt ein lohnendes Unterfangen, das eben- falls in Theorien mündet, die eine zeit- lang als Richtschnur dienen können – so zur Zeit die Idee vom selbständigen Lernen. Das Ergebnis, dass die Unter- richtsmethode wesentlicher für die Mo- tivation der Schüler war als der Unter- richtsgegenstand, verweist meines Er- achtens nach auf die fundamentale Be- deutung der Beziehungen, denn letzt- lich besteht der Unterschied zwischen einem Unterricht, in dem die Schüler selbstständig lernen, und einem lehrer- zentrierten Unterricht in der Haltung

des Lehrers zu seinen Schülern. Was guten Unterricht zu jeder Zeit kenn- zeichnet, benennt Anne Niessen gleich zu Anfang: die Lehrer-Schüler-Bezie- hung. Für deren Gestaltung erhält der Lehramtsanwärter aber in der Regel kaum oder keine Anleitung, weil diese angeblich nicht möglich ist. Die Leh- rerpersönlichkeit hat man oder man lernt es nie. Mit solchem Unsinn auf- zuräumen ist es höchste Zeit und dies- bezügliche Forschungsergebnisse kä- men ganzen Generationen zugute.

Dann wäre endlich Schluss mit dem scheinheiligen Gerede der Wasser- scheuen vom „Sprung ins kalte Wasser“

(elaborierter: „Praxisschock“). Dann könnte die Theorie als Richtschnur für hilfreiche Analysen und das notwendi- ge praktische Training dienen.

Referenzen

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