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Archiv "Erfahrungen mit der Negativliste: überwiegend negativ!" (07.11.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Politik

Bis zum Jahresende muß der Bundes- minister für Arbeit und Sozialordnung dem Deutschen Bundestag über die mit der „Negativliste" (Arzneimittel, die nicht mehr zu Lasten der Kassen verordnet werden dürfen) gemachten Erfahrungen berichten. Dabei geht es insbesondere um die „gesundheit- lichen und finanziellen Auswirkun- gen". Die betroffenen Gruppen — Ärz- te, Krankenkassen, Pharmaindustrie

und Apotheker — waren gehalten, bis zum 5. Oktober 1984 dem Minister ihre Stellungnahmen vorzulegen. Die Kas- senärztliche Bundesvereinigung stütz- te ihren Bericht in erster Linie auf eine von ihr veranlaßte Umfrage bei Praktischen und Allgemeinärzten. Die Ergebnisse erläuterte der Hauptge- schäftsführer der KBV, Dr. Eckart Fiedler, auf einem Presseseminar in Berlin, wie nachfolgend referiert wird.

G

egen Bedenken und Ein- wände fast aller Betroffenen hatte die Bundesregierung im Rahmen des Haushaltsbe- gleitgesetzes 1983 vom 20. De- zember 1982 den § 182 f der Reichsversicherungsordnung dahingehend geändert, daß Mit- tel, die „bei geringfügigen Ge- sundheitsstörungen" üblicher- weise verordnet werden, nicht mehr zu Lasten der Krankenkas- sen verordnet werden dürfen.

Eine schon 1977 im Krankenver- sicherungs-Kostendämpfungs- gesetz (KVKG) angestrebte ähn- liche Regelung war in den Vor- arbeiten steckengeblieben.

Die Neuregelung sollte die Kran- kenkassen um 580,5 Millionen D-Mark jährlich an Arzneimittel- ausgaben entlasten. Eine Erwei- terung des Indikationskataloges um Schmerzmittel und Mittel zur Durchblutungsförderung wurde bereits erwogen.

Nun wird der Minister dem Bun- destag aber keine Erfolgsmel- dung machen können, wenn er über die Ergebnisse der Nega- tivliste berichtet. Das Konzept, das nach den Worten des dama- ligen Parlamentarischen Staats- sekretärs im Bundesarbeitsmini-

Erfahrungen mit der

Negativliste:

überwiegend negativ!

sterium, Hermann Franke, „eine dauerhafte Entlastungswirkung für die gesetzliche Krankenver- sicherung mit einem neuen und sinnvollen sozial- und gesund- heitspolitischen Konzept" ver- binden sollte, hat sich als Fehl- schlag erwiesen.

Die Kassenärztliche Bundesver- einigung faßte die Ergebnisse aus ihrer Sicht zusammen:

Die Einsparung für die ge- setzliche Krankenversicherung liegt mit rund 225 Millionen DM deutlich unter der Erwartung.

Ausgabenzuwächse bei ande- ren Indikationsgruppen bleiben dabei unberücksichtigt.

Der Einschränkung der Ver- ordnungsfähigkeit gewisser Arz- neimittel auf Kassenrezept be- gegnen die Kassenärzte in er- ster Linie durch Verordnung auf Privatrezept, Abgabe von Ärzte- mustern oder Empfehlung von Hausmitteln.

Eine Substitution durch Arznei- mittel anderer Indikationsgrup- pen spielt eine untergeordnete Rolle.

0

Bei Einführung der Neurege- lung hatten rund 80 Prozent der Allgemein-/Praktischen Ärzte Auseinandersetzungen mit ih- ren Patienten. Noch heute ha- ben nahezu 40 Prozent der Allgemein-/Praktischen Ärzte Schwierigkeiten. 90 Prozent füh- len sich durch die Negativliste behindert.

Einem starken Rückgang der Zahl der Verordnungen der von der Neuregelung betroffenen In- dikationsgruppen steht ein we- sentlich geringerer Umsatzver- lust der Hersteller gegenüber.

Entsprechend hat die Selbstme- Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 45 vom 7. November 1984 (17) 3305

(2)

dikation deutlich zugenommen.

Letzteres gilt vor allem für die Abführ- und SchnupfenmitteL

0

Die Notwendigkeit, Arznei- mittel selber bezahlen zu müs- sen, betrifft insbesondere ältere Personen (Rentner) und ist da- her sozial fraglich.

0

Die Neuregelung hat zwar bei den Allgemein-/Praktischen Ärzten zu einem Fallzahlrück- gang um ca. 1,5 Prozentpunkte

(1 ,5 Millionen Fälle pro Jahr) ge-

führt, gleichzeitig traten aber in circa 2 Millionen Behandlungs- fällen Zeichen einer Krankheits- verschleppunQ durch zu späten Arztkontakt auf. ln 60 Prozent dieser Fälle stellten sich Kompli- kationen ein (Nasennebenhöh- lenentzündung, Bronchitis, Mit- telohrentzündung). Als Folge der Komplikationen mußte nicht nur eine den Patienten stärker belastende Diagnostik (Rönt- gen), sondern auch eine "schär-

fere" Therapie (Einsatz von Anti-

biotika) vorgenommen werden. ..,.. Zusammenfassend: die Neu- regelung muß aus medizini- scher Sicht als bedenklich be- zeichnet werden.

Umfrage

bei den Allgemeinärzten

gigen Gesundheitsstörungen"

ausging, mußten "bei stärker ausgeprägter Symptomatik" - die wiederum schwer definier- bar ist - die genannten Mittel nach Auffassung der Vertrags- partner zu Lasten der Kasse ver- ordnungsfähig bleiben. Eine enumerative Zusammenstellung der nicht mehr verordnungsfähi- gen Mittel war unmöglich, weil Arzneimittel einiger Gruppen, beispielsweise Schmerzmittel, nur in bestimmten Fällen von der Erstattung ausgeschlossen sind. Die Aufnahme solcher An- algetika in eine Negativliste hät- te den irrigen Eindruck erwek- ken können, diese Mittel dürften grundsätzlich nicht mehr zu La- sten der gesetzlichen Kranken- versicherung verordnet werden.

Um ein zuverlässiges Bild zu ge- winnen, wie sich die Anwen- dung der "Negativliste" auf das Verhältnis zu den Patienten, die Verordnungsweise der Ärzte und das Verständnis bei den Pa- tienten ausgewirkt hat, stellte das Zentralinstitut für die kas- senärztliche Versorgung im Auf- trage der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung einen Fragebo- gen zusammen (Tabelle 1 ). Er wurde an 1720 Praktische und Allgemeinärzte verschickt, da diese Arztgruppe als Hauptver- schreibar von "Bagatellarznei- mitteln" von dieser Regelung am stärksten betroffen ist. Die Hälfte aller angeschriebenen Ärzte schickte den Fragebogen ausgefüllt zurück.

Durch die Neuregelung sei es, so sagten 78,3 Prozent, zu ärger- lichen Auseinandersetzungen mit Patienten gekommen. Fast ebenso viele, 78,1 Prozent, stell- ten fest, daß infolge der Ein- sch rän ku ngen bei der Arznei- mittelverordnung weniger Pa-

tienten mit geringfügigen Ge-

sundheitsstörungen ihre Praxis aufgesucht hätten. Diese Aussa- ge wird durch einen verstärkten Rückgang der Fallzahlen bei Praktischen/AIIgemeinärzten in

LA-MED-Befragung

Ihr Urteil ist erneut gefragt!

ln den kommenden Wo- chen befragt die Ar- beitsgemeinschaft LA- MED, in der die über- regionalen und die re- gionalen medizinischen Zeitschritten zusam- mengeschlossen sind, erneut die Ärzte zu ih- rem Leseverhalten.

Falls Sie zu den reprä- sentativ ausgewählten Ärzten gehören, die vom Untersuchungsinstitut IVE um ein Interview ge- beten werden, bitten wir Sie herzlich um Ihre be- reitwillige Mitwirkung.

Verlag, Redaktion und Herausgeber des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTS sind sehr daran interes- siert zu erfahren, wie Sie unser Informationsange- bot einschätzen und nutzen

.

Zur weiteren Verbesserung unserer Zeitschrift sind wir auf Ihr Urteil darüber ange- wiesen, wie unsere Ar- beit bei Ihnen

"

an- kommt

"

. Sie werden den Nutzen daraus zie- hen!

Vielen Dank für Ihre Mitarbeit.

Ihr

Deutscher Ärzte-Verlag

Die im medizinischen Sinne

fragwürdige Fassung der am 1.

April 1983 in Kraft getretenen Bestimmungen hatte von An- fang an Schwierigkeiten bei Ärz- ten und Patienten erwarten las- sen, besonders im Falle von Er- kältungskrankheiten. Anwen- dungsempfehlungen, die von den Vertragspartnern gemein- sam erarbeitet wurden, damit der Wille des Gesetzgebers überhaupt in die Praxis umge- setzt werden konnte, blieben ein Notbehelf. Die im Gesetz verwendeten Begriffe "Erkäl- tungskrankheiten" und "grippa- ler Infekt" sind medizinisch nicht eindeutig definierbar. Da

der Gesetzgeber von "geringfü- den ersten vier Quartalen nach • • • • • • • • • • • • •

(3)

1

Tabelle 1: Auswirkungen des § 182 F RVO auf die Arztpraxis Verhaltensstrategie des Arztes gegenüber seinen Patienten

Erkältg. u grippalen Infekten

Mund- u.

Rachen- therap.

Abführ- mitteln

Reise- krank- heiten bei

(Strategie der Ärzte in %)

Empfehlen Haus- mittel (Tee, Um- schläge usw.) Verordnen physika- lische Therapie Geben Ärztemuster ab

Verordnen auf Privatrezept Verordnen ein Arz- neimittel einer an- deren Indikations- Gruppe auf Kas- senrezept

Keine besondere Strategie

Verordnen weiter auf Kassenrezept

Quelle: Umfrage des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung

40,8 39,3 37,3 2,8

11,7 4,0 2,8

45,8 38,5 23,8 23,1

32,1 50,3 64,2 76,6

15,7 6,0 8,5 4,6

4,0 7,2 5,4 8,9

42,1 7,9 2,6 3,4

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Erfahrungen mit der Negativliste

Inkrafttreten der Neuordnung bestätigt:

2/83 - 6,8%

3/83 - 4,3%

4/83 - 4,3%

1/84 - 5,2%

Zwar waren die Fallzahlen der Praktischen und Allgemeinärzte schon vorher rückläufig, aber dieser Rückgang hat sich nach Einführung der „Negativliste"

deutlich verstärkt. Die Beschleu- nigung ist mit 1,5 Prozentpunk- ten bestimmt nicht zu hoch an- gesetzt. In absoluten Zahlen: das sind etwa anderthalb Millionen Behandlungsfälle.

Verspätete Arztkontakte

Die Krankenkassen könnten die- sen Rückgang der Fallzahlen als erwünschte Nebenwirkung ver- buchen, da er zusätzliche Ein- sparungen zu bringen scheint.

Diese Rechnung erweist sich aber als trügerisch. Auf die Fra- ge nach verschleppten Krank- heiten und verspäteter Inan- spruchnahme des Arztes seit der Neuregelung haben 71,9 Prozent der Ärzte mit Ja geant- wortet und die Durchschnitts- zahl je Quartal mit 23 angege- ben. Das würde, hochgerechnet, zwei Millionen Fälle ausmachen.

Von 68 Prozent der Ärzte wur- den Komplikationen (14 Fälle je Quartal) beobachtet, die bei ei- nem rechtzeitigen Arztbesuch hätten vermieden werden kön- nen. Das sind insgesamt 1,3 Mil- lionen Fälle.

Nun werden solche Zahlen si- cherlich mit einiger Skepsis auf- genommen werden. Die Mei- nung, daß es in zahlreichen Fäl- len vermeidbare Komplikatio- nen durch Krankheitsverschlep- pung gegeben habe, wird aber durch mehrere Tatsachen ge- stützt. So hat, bei allgemein rückläufiger Verordnungshäu- figkeit, die Verschreibung von Antibiotika und Sulfonamiden/

Chemotherapeutika um je 2,8 Prozent zugenommen. Auch das

verstärkte Auftreten von akuter oder chronischer Bronchitis und Sinusitis spricht dafür. Solche Komplikationen bedingen einen erhöhten diagnostischen und therapeutischen Aufwand, der sich zum Beispiel in höheren Zahlen bei der Röntgendiagno- stik niedergeschlagen hat. Das dürfte die Einsparungen durch verringerte Fallzahlen und weni- ger Ausgaben für bestimmte Arzneimittelgruppen mehr als kompensiert haben. So hat es unter anderem eine Steigerung der Leistungshäufigkeit der In- halationstherapie (Ziffer 501) um 16 Prozent auf 100 Behand- lungsfälle gegeben.

Die finanzielle Seite

Nach dem GKV-Arzneimittelin- dex haben sich die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversi-

cherung für Arzneimittel der durch die Negativliste betroffe- nen Indikationsgebiete seit dem 1. April 1983 bis zum Jahresen- de um 192,3 Millionen DM ver- ringert. Die Zahl der verordne- ten Packungen ging um 34,4 Mil- lionen zurück (Tabelle 2 auf Sei- te 3309). Auf das erste Jahr nach Inkrafttreten der Haushaltsbe- g leitgesetze hochgerechnet, kommt man auf 255 Millionen DM und 46 Millionen Packun- gen. Der Bundesverband der Ortskrankenkassen errechnete einen höheren Einspareffekt, nämlich 316 Millionen, die, wenn man die gegenüber 1982 eingetretenen Preissteigerun- gen berücksichtigt, einen Ein- spareffekt von 403 Millionen DM bedeuteten. Dabei werden aller- dings zwei ungleiche Zeiträume rechnerisch miteinander vergli- chen. Beide Seiten kommen aber zu dem Schluß, daß die Ein- Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 45 vom 7. November 1984 (19) 3307

(4)

Darstellung: Anzahl der Abführmittel —

Verordnungen je 1000 Einwohner im Jahr 1980 in Schweden

Verschreibungen je Tsd.Einwohner pro Jahr

WEIBLICH 600

500

400

300

200

100

MÄNNLICH

0 - 4 10 - 14 20 - 24 30 - 34 40 - 44 50 - 54 60 - 64 70 - 74 >74

Altersgruppe/

Sigstad, Drug Litilization in Norway Lebensjahr

sparungen in weiten Bereichen wieder aufgezehrt worden sei- en. Der Bundesverband der Ortskrankenkassen nennt als Grund „eine starke Preiserhö- hung" (7,7 Prozent) „als auch ... einen starken Struktur- effekt" (16,7 Prozent).

So sei zu erklären, daß bei ei- nem Rückgang der Verordnun- gen um 42,4 Prozent bei den Mitteln der Negativliste lediglich 28,1 Prozent Umsatzrückgang zu verzeichnen gewesen seien.

In der Stellungnahme der Kas- senärztlichen Bundesvereini- gung wird darauf hingewiesen, daß in erster Linie billigere Arz- neimittel nicht mehr verordnet wurden.

Beispielsweise gingen bei den Hustenmitteln die Verordnungs- zahlen für Antitussiva (Husten- blocker) um 33 Prozent zurück.

Bei den im Schnitt doppelt so teuren Expectorantia belief sich der Rückgang auf nur 4 Prozent.

Kostenmäßig also enttäuschend

— pharmakologisch und medizi- nisch ist dagegen die Verringe- rung der Hustenblocker-Ver- schreibungen zu begrüßen.

Der Vorwurf gegen die Kassen- ärzte hat aber nicht nur eine fi- nanzielle Seite. Sie hätten, so geht aus einem Bericht in DIE ORTSKRANKENKASSE (Nr. 18 vom 15. September 1984, Seite 675 ff.) hervor, nicht nur teurer verordnet, sondern ihr Verord- nungsverhalten sogar zum Schaden der Patienten geän- dert: „Die Entwicklung in eini- gen Indikationsgruppen lassen Substitutionen in stark wirksa- me Arzneimittel vermuten, die aus gesundheitlicher Sicht be- denklich sein müssen." Einen typischen Substitutionseffekt vermuten die Verfasser im er- höhten Umsatz von Antibiotika in Kombination mit Hustenmit- telsubstanzen. Die Verfasser sprechen von Umgehungsstra- tegien, die „durchaus negative gesundheitspolitische Effekte beinhalten können".

Auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) stößt in dieses Horn.

Fundierte Aussagen über ein verändertes Verordnungsverhal- ten der Ärzte ließen die Marktda- ten zwar nicht zu, aber „aus mit- geteilten Beobachtungen" in Apotheken gehe hervor, daß vielfach von Anfang an „wesent- lich stärker wirksame und damit teurere Arzneimittel" verordnet würden.

Umgehungsstrategien

Das Zentralinstitut hatte in sei- nem Fragebogen die Möglich- keit von „Umgehungsstrate- gien" berücksichtigt. Nach den Antworten spielen sie aber eine ganz untergeordnete Rolle. Je nach der Indikationsgruppe empfahlen die Ärzte zwischen 37,3 und 40,8 Prozent Hausmit- tel (Tee, Umschläge und ähn- liches). Sehr hoch war der Er- satz einer Verordnung durch Ab- gabe von Ärztemustern (zwi- schen 23,1 Prozent bei Reise- krankheit und 45,8 Prozent bei Erkältungskrankheiten).

Die Frage stellt sich allerdings, ob die Hersteller die Ärzte über eine „Erinnerungswerbung"

hinaus weiterhin mit Arzneimit- teln „bemustern" werden, die von den Kassen nicht mehr be- zahlt werden, in der Erwartung, die Ärzte würden das Mittel nun auf Privatrezept verschreiben oder der Patient das ihm be- kannte Mittel von sich aus ver- langen und kaufen.

Besteht durch die mit der Nega- tivliste zwangsläufig verstärkte Selbstmedikation nicht die Ge- fahr, daß durch Dauer und Men- ge der ärztlich unkontrollierten Einnahme von Mitteln Gesund- heitsschäden heraufbeschwo- ren werden?

Die ABDA jedenfalls beobachte- te „umfangreiche Marketing- maßnahmen" der Industrie mit verstärkter Verteilung von Ärzte- mustern, Umformulierung von Indikationen in der Fachwer- bung und verstärkte Publikums- werbung für Mittel der Selbst- medikation, die auch in Selbst- bedienungsläden angeboten werden sollen.

(5)

G KV- Ausgaben Verord- nungszahl Hustenmittel

- 1,9 -14,2 - 10,5

- 7,1 540,0

42,9 550,5

50,0 GKV-

Ausgaben Verord- nungszahl Schnupfen-

mittel - 17,3

- 26,6 161,4

21,4

- 28,0 - 5,7 133,4

15,7 G KV-

Ausgaben Verord- nungszahl Mund- u. Rachen-

therapeutika - 41,6

- 52,4 - 66,0

- 11,0 158,6

23,1 92,6 12,1 G KV-

Ausgaben Verord- nungszahl

+ 1,2 - 12,8 Antiemetika

(u. a. Mittel gegen Reise- krankheit)

+ 0,8 - 0,6 68,0

4,1 67,2

4,7 GKV-

Ausgaben Verord- nungszahl Grippemittel

-28,5 -34,4 - 20,3

- 3,3 50,9

6,3 71,2

9,6 G KV-

Ausgaben Verord- nungszahl

- 68,3 - 6,7 49,6

4,0 117,9

10,7

- 57,9 - 62,6 Abführmittel

Summe GKV-

Ausgaben Verord- nungszahl

934,5 85,1 1126,8

119,5

-192,3 - 34,4

- 17,1 - 28,8 in Millionen 1982 1983

Veränderung absolut

in

Millionen in Prozent

Tabelle 2: Ausgaben- und Verordnungszahlentwicklung der von der Negativ-Liste betroffenen Indikationsgruppen

Quelle: GKV-Arzneimittelindex

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Erfahrungen mit der Negativliste

Die eigentliche Substitution spielt, das geht aus der ZZ-Um- frage hervor, eine sehr geringe Rolle. Die Abgabe von Arznei- mitteln anderer Indikationen auf Kassenrezept beläuft sich bei Erkältungskrankheiten und grip- palen Infekten auf 15,7 Prozent, bei Abführungsmitteln auf 8,5 Prozent und bei Mund- und Ra- chentherapeutika auf 6 Prozent.

Negativliste

Nun gibt es bei einzelnen Arz- neimitteln tatsächlich einen deutlichen Anstieg der Zahl der Verordnungen, etwa bei den vom BdO ausdrücklich genann- ten Schnupfenmitteln „Sinu- pret" und „Sinfrontal". Das ist aber nicht als „Umgehungsstra- tegie" zu deuten. Beide Mittel sind, wie schon ihr Name andeu- tet, vorwiegend zur Verwendung bei Erkrankungen der Nasenne- benhöhlen gedacht.

> Für die Behauptung, daß das vermehrte Auftreten der Diagno- se „Sinusitis" unmittelbare Fol- ge von Hinweisen der Pharma- werbung sei, bei dieser Diagno- se könnten Schnupfenmittel weiterhin zu Lasten der Kran- kenkassen verordnet werden, fehlt jeder Beweis.

Ähnlich sieht es bei Antibiotika und Sulfonamiden aus, bei de- nen, während allgemein die Zahl der Verordnungen zurückging, die Verordnungshäufigkeit um 2,8 Prozent wuchs. Auch hier ist leichtfertig mit dem Vorwurf der Substitution gearbeitet worden.

I> Der Grund zu verstärkter Ver- ordnung von Antibiotika und Sulfonamiden ist in der Notwen- digkeit zu suchen, verschleppte und ernster gewordene Krank- heiten mit wirksameren Mitteln zu therapieren. Das jedenfalls zeigen die Ergebnisse der Um- frage. Diese Entwicklung kann (finanziell) nicht im Interesse der Krankenkassen sein und (medizinisch) nicht im Sinne der Kassen- und Vertragsärzte.

Umschichtungen bei Schmerzmitteln

Inwieweit Schmerzmittel anstel- le von Grippemitteln verordnet worden sind, bedarf noch der Klärung. Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure bzw. Paracetamol zeigten ei- nen auffälligen Verordnungszu- wachs. Auf der anderen Seite aber gab es bei Schmerzmitteln anderer Zusammensetzung (der GKV-Index nennt u. a. Thomapy- rin, Togal, Optalidon, Dolviran) Umsatzeinbrüche zwischen 33 und 70 Prozent. Das spricht da- für, daß es sich nicht um Sub- stitution von Grippe- durch Schmerzmittel handelt, sondern um Verschiebungen im Berei-

che der Analgetika, die noch ge- nauer analysiert werden müß- ten.

Erhebliche Schwierigkeiten hat es durch den ausnahmslosen Ausschluß von Laxantien aus der Leistungspflicht der Kassen gegeben. Bei Patienten mit gro- ßen Hernien, bei Querschnittge- lähmten und Anus-praeter-Trä- gern haben viele Krankenkas- sen deswegen Härteregelungen eingeführt, was nach dem Ge- setz auch durchaus zulässig ist.

Benachteiligt bleibt aber die große Altersgruppe der über Sechzigjährigen, die den weit- aus größten Teil der Verbrau- cher von Abführmitteln stellt. >

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 45 vom 7. November 1984 (21) 3309

(6)

Nach skandinavischen Zahlen, die mit den unseren durchaus vergleichbar sind, steigt der Be- darf an Laxantien etwa ab 60 Jahren steil an (Darstellung Sei- te 3308). Hier eine Änderung der Lebensgewohnheiten erreichen oder durch Anwendung von Hausmitteln einen Ausgleich schaffen zu wollen, erscheint aussichtslos. Der Arzt kommt um die Verordnung von Abführ- mitteln nicht herum, und der Pa- tient, meist handelt es sich um Rentner, muß diese aus eigener Tasche bezahlen. Das führt nicht selten zu sozialen Härten, denen der Arzt nicht abhelfen darf.

Weniger und teurer

Unstreitig ist, daß die Einschrän- kung der Zahl der verordneten Packungen um 28,8 Prozent bei den Arzneimitteln der Negativli- ste der Krankenversicherung nur 17,1 Prozent an Einsparun- gen gebracht hat. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen, Gründe, auf die der Arzt in den meisten Fällen keinen Einfluß hatte.

• Es gab bei den Arzneimitteln Preissteigerungen um durch- schnittlich 5,8 Prozent.

€)

Gerade bei Mitteln aus dem Negativlistenbereich sind viele billige Packungen weggefallen.

• Vielfach wurden größere Packungen verordnet. Die vor Jahren vereinbarte Normierung der Packungsgrößen wirkt sich jetzt aus.

• Ersatz älterer Arzneimittel durch neuzugelassene und in der Regel teurere. Allein 1983 gab es 933 Neuzulassungen;

1978 waren es noch 106. Für 1984 liegen etwa 1600 Anträge auf Neuzulassung vor.

• Anstieg des Anteils rezept- pflichtiger Arzneimittel, die ein um 120 Prozent höheres Preisni- veau im Durchschnitt gegen-

über den rezeptfreien Mitteln aufweisen.

Anstieg der Zahl der Rent- ner, deren Arzneimittel deutlich im Preis über dem Durchschnitt liegen.

Dem starken Rückgang der Zahl der Verordnungen von Arznei- mitteln der Negativliste steht ein wesentlich geringerer Umsatz- verlust bei den Herstellern ge- genüber. Das deutet auf eine er- hebliche Zunahme der Selbst- medikation, vor allem bei Ab- führ- und Schnupfenmitteln. Ei- ne Entwicklung, die nicht unbe- denklich ist. Nach Angaben der ABDA gab es bei den nicht ver- schreibungspflichtigen Arznei- mitteln der Negativliste Umsatz- steigerungen bis zu 20 Prozent.

Insgesamt entfallen 41,5 Pro- zent der auf dem Apotheken- markt verkauften Packungen auf Selbstmedikation.

Finanziell verfehlt

Die „Negativliste" hat in finan- zieller Hinsicht die an sie ge- knüpften Erwartungen nicht er- füllt. Die KBV sagte, die tatsäch- lichen Einsparungen lägen „un- ter der Erwartung". „Die Orts- krankenkasse" schrieb, das Ziel der Einsparungen sei „weit ver- fehlt" worden. Die ABDA mein- te, Ersparungen seien „nur zum Teil eingetreten". Auf der an- dern Seite hat sie im ärztlichen Bereich eindeutig negative Ent- wicklungen ausgelöst: Gesund- heitsschäden durch Krankheits- verschleppungen, bedenklichen Anstieg der Selbstmedikation, soziale Härten für alte Men- schen mit morbiditätsbedingt höherem Arzneimittelverbrauch.

Die Krankenkassen schieben die Schuld an dem Mißerfolg der Preispolitik der pharmazeuti- schen Industrie zu und „Ver- schiebungen im Verordnungs- verhalten der Ärzte".

Solche Verschiebungen sind bis zu einem gewissen Grade un-

vermeidlich gewesen. Der Arzt konnte sich nicht darauf be- schränken, die indizierten Mittel ausnahmslos nicht mehr oder nur auf Privatrezept zu ver- schreiben, sondern mußte Alter- nativen suchen. Daß die Kas- senärzte dabei, durch Werbe- informationen der Industrie ver- anlaßt, „Bagatellarzneimittel"

durch hochwirksame und damit für den Patienten gefährliche Substanzen teilweise ersetzt hätten, beinhaltet den Vorwurf bewußter oder fahrlässiger Ge- sundheitsgefährdung der Pa- tienten durch den Arzt, ein un- verantwortliches, unter Umstän- den sogar sträfliches Hinweg- setzen über den Grundsatz des

nil nocere.

Die Kassenärztliche Bundesver- einigung belegt mit ihrer Stel- lungnahme, daß solche Be- schuldigungen, für die die An- schuldiger selbst nur „Indizien"

vorbringen können, falsch sind, und weist sie entschieden zu- rück. Wirkliche Gesundheits- schäden bewirkt, wenn auch vom Gesetzgeber ungewollt, diese Neuregelung des § 182 f RVO, indem sie Hürden für die Inanspruchnahme des Arztes aufbaut, auch wenn es dem Wortlaut nach nur um Einspa- rungen bei Arzneimitteln geht.

Sie erweitert aber tatsächlich die Entscheidung des Versicher- ten über Art und Schwere einer Gesundheitsstörung stark zu- gunsten einer ausgedehnten Selbstmedikation.

II> Unter diesen Umständen an eine Fortschreibung der Nega- tivliste zu denken, hält die Kas- senärztliche Bundesvereinigung für gesundheitspolitisch unver- tretbar. Man sollte eher Erwä- gungen anstellen, ob der Ein- sparungseffekt, der selbst ohne Berücksichtigung der durch Komplikationen entstandenen Mehrkosten kaum ein Viertel- prozent der Ausgaben der Ge- setzlichen Krankenversicherung erreicht, Aufwand und Risiken dieser Regelung rechtfertigen. ❑

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