Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 48⏐⏐28. November 2008 A2593
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an muss diesen Raum nicht nur betrachten, man muss ihn spüren. Er ist die materialisierte Entsprechung des in der Renais- sance vertretenen Ideals vom Men- schen als Maß aller Dinge. In dem majestätisch runden Saal, von dem aus der Blick in alle Himmelsrich- tungen schweift, ist Weltanschauung zu Stein geworden. Die Villa Alme- rico Capra, besser bekannt als „La Rotonda“, vor den Toren der nord- italienischen Stadt Vicenza ist ein Hauptwerk des berühmtesten Archi- tekten des 16. Jahrhunderts, Andrea Palladio. In diesem Bau, dessen La- ge auf einem Hügel ihn wie eine in der Landschaft exponierte Skulptur erscheinen lässt, bündelt sich die Es- senz des architektonischen Werks dieses Baumeisters.Andrea Palladio, der am 30. No- vember 1508 in Padua das Licht der Welt erblickte und eine Ausbildung als Steinmetz absolvierte, hatte sein Initialerlebnis während einer Rom- reise. Symmetrie und harmonische Proportion der antiken Bauweise faszinierten ihn. Die im letzten Jahr- hundert vor Christus erschienenen Schriften Vitruvs boten Orientie- rung. Palladio betrat jedoch die
Architekturbühne nicht als Kopist oder Epigone, sondern als Baumeis- ter, der mit äußerstem Geschick auf die Bedürfnisse seiner Zeit reagier- te. Antike Zitate wie die breiten Treppen an der „Rotonda“, die an jeder Hausseite zu Portici mit ioni- schen Säulen und Dreieckgiebel führen und die Villa wie einen Tem- pel erscheinen lassen, oder der an das Pantheon erinnernde Kuppel- saal, der die gesamte Höhe der Villa durchmisst, sind Markenzeichen der Bauten Palladios. Was ihn dagegen zeitgemäß und bisweilen gar mo- dern erscheinen lässt, ist sein ausge- prägtes Gefühl für Harmonie.
Die Villa wurde von Palladio als neuer Gebäudetyp entwickelt. Ent-
standen war sie im Zuge der Urbar- machung des ursprünglich sumpfi- gen Gebiets. Die Villa bildete das Zentrum eines bäuerlichen Betriebs, dem sich die ebenfalls von Palladio geplanten Barchessen anschlossen, Wirtschaftsgebäude wie Ställe und Scheunen. Erst später wurden die Villen zu Refugien für Mußestun- den in inspirierender Umgebung. Im Gegensatz zu Palladios Prachtbau- ten in Vicenza, der sogenannten Ba- silica, dem bereits bestehenden Rats- saal sowie der gegenüberliegenden Loggia del Capitaniato und seinen Stadthäusern wie dem Palazzo Chiericati, in denen heute Museen, Behörden und Banken angesiedelt sind, stand es lange nicht gut um die in Privatbesitz befindlichen Villen.
Viele Familien konnten die Mittel für den Erhalt der gewaltigen Anla- gen nicht mehr aufbringen.
Heute bildet lediglich die Villa Barbaro in Maser das Zentrum eines landwirtschaftlichen Familienbe- triebs, den man vom Balkon des re- präsentativen, von Paolo Veronese mit Fresken versehenen Piano No- bile, der ersten Etage, überblickt.
Doch die Hälfte der 28 Palladio- Villen im Veneto steht mittlerweile regelmäßig für Besichtigungen of- fen. Damit das Publikum die Räum- lichkeiten bestaunen kann, haben die alteingesessenen Besitzerfamili- en andere Räumlichkeiten bezogen oder ihren Besitz verkauft. Dem britischen Landmark Trust ist die Sanierung der Villa Saraceno zu verdanken. In den Barchessen kön- nen seitdem Ferienwohnungen ge-
mietet werden. I
Ulrich Traub
ANDREA PALLADIO
Der Erfinder der Villa
Vor 500 Jahren wurde der Renaissancearchitekt geboren.
Er betrat die Architekturbühne nicht als Epigone, sondern als Baumeister, der mit äußerstem Geschick auf die Bedürfnisse seiner Zeit und seiner Auftraggeber reagierte.
IInnffoorrmmaattiioonneenn::Tourist-Information Vicenza: 00 39/04 44/32 08 54 (Führungen zu Palladio). Internet:
www.vicenzae.org, www.palladio 2008.info. Jubiläumsausstellung:
„Palladio 500 Jahre“ mit 300 Expona- ten (unter anderem 80 Originalzeich- nungen von Palladio sowie 30 Archi- tekturmodellen): bis 6. Januar 2009 im Palladio-Palazzo Barbaran da Porto in Vicenza
Foto:picture-alliance/Bildagentur Huber
Die Villa Barbaro in Maser bildet das Zentrum eines land- wirtschaftlichen Fa- milienbetriebs, den man vom Balkon der ersten Etage über- blicken kann.